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Zeitgeschichtlicher Hintergrund - Volkstheater Rostock

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Das Leben am Württembergischen Hof<br />

[...] Der Hof eines Landes, das nicht mehr als 600000 Einwohner auf 155 Quadratmeilen zählte, wurde der<br />

prächtigste in Europa. Der Hofstaat umfasste 2 000 Personen, unter denen sich 169 Kammerherren von<br />

Adel nebst 20 Prinzen und Reichsgrafen befanden. Wenn der Herzog auf Reisen ging, und er reiste<br />

leidenschaftlich gern, so bestand sein Gefolge aus 700 Personen und 610 Pferden. Die Feste drängten<br />

sich, Bälle, Konzerte, Schlittenfahrten, Jagden, Feuerwerke reihten sich aneinander und zogen Vornehme<br />

in Scharen an. Manchmal hat der Herzog 300 Personen von Rang wochenlang unterhalten und mit den<br />

feinsten und teuersten Leckerbissen bewirtet. Einzelne dieser Veranstaltungen kosteten 3 bis 400000<br />

Gulden, erhielten die Damen doch manches Mal dabei Geschenke im Werte von 50000 Talern. Ganz<br />

besonders berühmt waren die Feiern, mit denen der Herzog seinen Geburtstag beging. 1763 war in<br />

Ludwigsburg bei dieser Gelegenheit eine Orangerie errichtet worden, die tausend Fuß lang war, sodass<br />

die Orangen- und Zitronenbäume hohe, gewölbte Gänge bildeten. Als die Eingeladenen sich in ihnen dem<br />

Schloss nähern, befinden sie sich plötzlich in Wolken, die sich aber auf einen Wink des Herzogs teilen und<br />

den Olymp mit allen Göttern sehen lassen. Zeus befiehlt den Palast der Pracht zu errichten, worauf auch<br />

die letzte Wolke verschwindet und man im mittleren Schlosshof den Palast erblickt, den goldene Säulen<br />

tragen und 200000 Kerzen und Lampen erleuchten. Während die Götter italienische Gesänge anstimmen,<br />

beginnt die Tafel, aus deren Mitte plötzlich Venus aufsteigt, umgeben von 16 Liebesgöttern, die sich<br />

beeilen den Damen köstliche Sträuße aus Porzellanblumen zu überreichen. Als das vorüber ist, schießt<br />

Amor seinen Pfeil gegen eine Mauer ab, die sich im <strong>Hintergrund</strong>e befindet; sie verschwindet und enthüllt<br />

einen Saal, in dem ein Ballett getanzt wird. Den Beschluss macht ein Riesenfeuerwerk von 14000<br />

Raketen, 6000 von ihnen wurden auf einen Schlag abgebrannt. Derartige Feuerwerke kosteten für sich<br />

allein 50000 fl. und mehr. 1764 gab es zum Geburtstag des Herzogs ein großes Karussell, bei dem die<br />

Grafen Hohenlohe, Wittgenstein, Wimpffen, die Freiherren von Pöllnitz, Brandenstein, Uexküll,<br />

Reizenstein, Lengefeld u. a. eine Quadrille der vier Weltteile ausführten. Ein andermal wurden<br />

Schlittenfahrten und »Wirtschaften" in Bauernkostümen unternommen, zu denen die Bauern genötigt<br />

waren ihre Sonntagskleider zu leihen. [...]<br />

Regelmäßig war Montag und Donnerstag Redoute, Dienstag und Freitag Oper, Mittwoch und Samstag<br />

französische Komödie, außerdem noch Bälle, Empfange, Konzerte. [...]<br />

Die Oper Karl Eugens stellte die Pariser in Schatten und rivalisierte in ihren Darbietungen erfolgreich mit<br />

den berühmtesten Bühnen Italiens. [...] Einzelne Opern und Ballette kosteten 100000 fl., empfing doch der<br />

erste Tänzer Vestris, eine europäische Berühmtheit, für ein Engagement von sechs Monaten allein 12000<br />

fl., die übrigen sechs Monate war er an der Großen Oper in Paris angestellt. [...]<br />

Max von Boehn: Deutschland im 18. Jahrhundert. Berlin 1921, S. 454 f., 456, 459<br />

[...] Nicht weniger glänzend als die Geburtsfeste, fährt unser Berichterstatter fort, waren die Festinjagden,<br />

die bald in dieser, bald in jener Gegend des Landes veranstaltet wurden. Der Herzog liebte diese Art von<br />

Vergnügen ebenso leidenschaftlich als er andererseits der kostspieligsten Baulust fröhnte. Ein zahlreiches<br />

Korps von höhern und niedern Jagdbedienten war ihm zu Gebote. Seiner Nachsicht gewiss durften sie<br />

sich die rohesten Misshandlungen und die schreiendsten Ungerechtigkeiten gegen den seufzenden<br />

Landmann erlauben. Man zählte in den herrschaftlichen Zwingern und auf den mit dieser Art von<br />

Dienstbarkeit belasteten Bauerhöfen über tausend Jagdhunde. Das Wild ward im verderblichsten<br />

Uebermaße gehegt. Heerdenweise fiel es in die Aecker und Weinberge, die zu verwahren den<br />

Eigenthümern streng verboten war, und zerstörte oft in einer Nacht die Arbeit eines ganzen Jahres; jede<br />

Art von Selbsthilfe ward mit Festungs- und Zuchthausstrafe gebüßt, nicht selten gingen die Züge der Jäger<br />

und ihres Gefolges durch blühende und reifende Saaten. Wochenlang wurde oft die zum Treiben<br />

gepresste Bauerschaft, mitten in den dringendsten Feldgeschäften, ihren Arbeiten entrissen, in weit<br />

entfernte Gegenden fortgeschleppt. Ward, was nicht selten geschah, eine Wasserjagd auf dem Gebirge<br />

angestellt, so mussten die Bauern hierzu eine Vertiefung graben, sie mit Thon ausschlagen, Wasser aus<br />

den Thälern herbeischleppen und so einen See zu Stande bringen. [...]<br />

Johannes Scherr: Deutsche Kultur- und Sittengeschichte. Leipzig 51873, S.<br />

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