Zeitgeschichtlicher Hintergrund - Volkstheater Rostock
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Das Mätressenwesen<br />
Nichts ist so sehr geeignet uns die furchtbare Macht des von oben gegebenen Beispiels kecker<br />
Hinwegsetzung über die hergebrachte Sitte und das allmälige Umsichgreifen einer lasterhaften<br />
Gewohnheit vor Augen zu stellen als die Geschichte der Mätressenwirthschaft an den deutschen Höfen.<br />
Als zuerst einzelne Fürsten, halb schüchtern noch, ihren unordentlichen Neigungen in dieser Richtung<br />
freien Lauf ließen, da zeigte sich die öffentliche Sitte dadurch aufs Höchste empört. Die ersten fürstlichen<br />
Geliebten wurden, wie ein Schriftsteller aus dem vorigen Jahrhundert erzählt, vom Volke mit Koth<br />
beworfen. Die protestantische Geistlichkeit hielt sich in ihrem Gewissen verpflichtet den Fürsten ernstliche<br />
Vorstellungen wegen der Sünde zu machen, die sie durch solche Ausschweifungen begingen. [...] Auch<br />
die weltlichen Rathgeber der Fürsten versuchten anfangs dieselben von solchen ungesetzlichen<br />
Verbindungen zurückzuhalten, deren schädlichen Einfluss auf die öffentliche Moral wie auf die Verwaltung<br />
der Länder sie wohl voraussahen. Aber dieser Widerstand war in der Regel nur kurz und ohnmächtig. An<br />
der Stelle sittenstrenger Theologen fanden sich andere, welche minder scrupulös waren. Die Beamten<br />
oder Hofdiener, welche sich dem Einfluss einer Mätresse nicht beugen oder ihr die gebührende<br />
Ehrerbietung nicht erweisen wollten, wurden durch gefügigere ersetzt. [...] Das Volk verlernte allmälig<br />
seine anfängliche sittliche Entrüstung gegen die fürstlichen Buhlerinnen und jauchzte am Ende selbst<br />
diesen zu, wenn sie an ihm im Glanze des mit seinem Schweiße bezahlten Schmuckes vorüberfuhren<br />
oder mit verschwenderischer Hand die goldenen Gaben ausstreuten, womit die Freigebigkeit ihrer<br />
fürstlichen Geliebten sie überschüttete. Zuletzt hatte sich die öffentliche Meinung so sehr an diese<br />
Mätressenwirthschaft gewöhnt, dass eine Mätresse als ein nothwendiger Bestandtheil jeder fürstlichen<br />
Hofhaltung, ihre Abwesenheit als ein fühlbarer Mangel erschien. "Nun fehlt unserem Fürsten nichts mehr<br />
als eine schöne Mätresse!", rief gerührt ein Bürger der Residenzstadt eines kleinen Fürstenthums aus, als<br />
er seinen jungen Fürsten mit seiner soeben angetrauten liebenswürdigen Gemahlin, von Zufriedenheit<br />
strahlend vorüberfahren sah. [...] Carl Eugen von Würtemberg vertheilte seine Gunstbezeigungen, neben<br />
den erklärten, officiellen Mätressen, an die sämmtlichen Sängerinnen und Tänzerinnen seiner Oper und<br />
seines Ballets, hatte auch außerdem noch häufige Liebschaften in den Residenzen und im Lande umher.<br />
[...]<br />
Karl Biedermann: Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 2.1. Leipzig 1857. Zitiert<br />
nach: Neudruck der 2. Auflage Leipzig 1880: Aalen 1969, S. 100 f., 102<br />
[...] Besonderer Erwähnung bedarf ein tragischer Fall, mit dem der Herzog in höchst unrühmlicher Weise<br />
verknüpft ist. Betraf es doch ein Madchen aus einer der angesehensten Familien, das Opfer der Begierden<br />
des schrankenlos sich auslebenden Landesfürsten wurde. Über den berüchtigten Solituder Fall sagen die<br />
äußerst zurückhaltend verfasste Geburtsanzeige und eine Todesanzeige vom gleichen Tag für den<br />
kundigen Leser genügend aus. Er brachte großes Leid in die Familie des bekannten Professors Jahn an<br />
der militärischen Pflanzschule. Die erste Anzeige vom 21. April 1772 lautet: Geboren ein Sohn namens<br />
"Carl", Mutter. Die Jungfer Friderike Jahnin, Pate: Gerlinger Pfarrer und Hofstaatsprediger Pfeilsticker und<br />
Professor Drescher an der militärischen Pflanzschule. (Die Vaterschaft ist begreiflicherweise nicht<br />
angegeben, der Name des Kindes sagt es; wie umfangreich wäre die Patenschaft im Professorenhaus<br />
ausgefallen, wenn es sich um ein glückliches Ereignis gehandelt hatte.) Fast bedrückend und schmerzvoll<br />
liest sich die Traueranzeige über den Tod der 17-jährigen Mutter wider Willen: Am 21. April 1772 mittags<br />
um 4 Uhr starb an starkem Verbluten und Verkälten nach einem gehabten unglücklichen Zufall Jungfer<br />
Friderika, S. T. Herro Professoris M. Joh. Friedr. Jahnen älteste Tochter und wurde den 23. darauf abends<br />
auf einem Trauerwagen hierher (Friedhof Gerlingen) gebracht und nach einer kurzen christlichen<br />
Einsegnungsrede Pastoris in ihr Grab eingesenkt. [...]<br />
f.<br />
Gotthilf Kleemann: Schloss Solitude bei Stuttgart. Stuttgart 1966, S. 124