Zeitgeschichtlicher Hintergrund - Volkstheater Rostock
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Rotes Gold, reiche Beute und besseren Sold hatten ihnen die Werber versprochen und sie glaubten es nur<br />
allzu gerne. Manch einer trug sich sicher auch mit dem Gedanken, sich nach einem leichten Sieg auf<br />
einem Hof oder einer Plantage der Rebellen anzusiedeln. Den unter großem Trubel ausrückenden<br />
Waldeckern rief ein hoher Beamter hinterher: "Die, welche hiervon wieder zurückkommen, will ich alle in<br />
Kutschen fahren sehen!"<br />
Zu Szenen, wie sie Schiller beschrieben hat, kam es beim Ausmarsch nicht. Meutereien und Streiks, die<br />
alten Methoden, mit denen sich die Landsknechte manchmal noch erfolgreich zur Wehr gesetzt hatten,<br />
waren nicht mehr möglich. Wer sein Handgeld genommen hatte, der hatte seine Haut verkauft und als<br />
einzige Möglichkeit der Auflehnung blieb ihm die Desertion. Söldner waren zwar schon immer desertiert,<br />
ganz besonders in langen Kriegen und bei schlechter Versorgung, aber im 18. Jahrhundert wurden<br />
Deserteure zum Hauptproblem aller Armeen. Trotz drakonischer Strafen flohen allein aus der preußischen<br />
Armee Zehntausende, Kopfgelder wurden ausgesetzt und Frankreich bemannte mit eingefangenen<br />
Deserteuren seine Galeeren. Kaum ein Feldherr wagte es, seine Truppen in unübersichtlichem Gelände<br />
oder in aufgelockerter Formation einzusetzen, aus Angst sie dabei zu verlieren. Nachts und auf dem<br />
Marsch wurden die Söldner von leichten Reitern bewacht. Allerdings schafften nur die wenigsten, denen<br />
die Flucht glückte, den Absprung ins Zivilleben. Arbeitslos und ohne Papiere dauerte es meistens nicht<br />
lange bis sie einem anderen Werber in die Hände fielen und erneut kapitulierten.<br />
Nichts davon bei den Hessen. Auf dem Marsch des ersten Kontingents zur Einschiffung nach Bremerlehe<br />
desertierten von den 8.397 Mann ganze 13. Doch es kam noch besser. Die Amerikaner, die sich gerade<br />
gegen ihren König erhoben hatten, hatten schon von den gepreßten und verkauften Söldnern gehört und<br />
rechneten damit, daß viele bei der ersten Gelegenheit desertieren und vielleicht sogar ebenfalls gegen die<br />
Tyrannei zur Waffe greifen würden. Jedem Überlaufer wurden 50 Morgen Land in Aussicht gestellt, jedem<br />
Hauptmann, der 40 seiner Leute mitbrachte, sogar 800 Morgen, dazu Vieh und Steuerfreiheit für mehrere<br />
Jahre. Keiner der Überlaufer sollte gezwungen werden, weiter zu dienen. Falls sie sich doch dazu<br />
entschließen konnten, sollten die Offiziere einen Rang hoher eingestuft werden. Aber all diese<br />
Versprechungen trafen weitgehend auf taube Ohren. Nur ganz wenige Hessen nutzten die Gelegenheit.<br />
Sogar viele, die in Gefangenschaft geraten waren, warteten brav bis sie ausgetauscht wurden und<br />
schlossen sich dann ihren alten Regimentern wieder an.<br />
Das war nicht das verkaufte Schlachtvieh, dessen Schicksal Schiller später so lautstark anprangern sollte.<br />
Man sollte allerdings nach den Gründen fragen. Auf der Morea waren deutsche Söldner bei jeder<br />
Gelegenheit zu den Türken übergelaufen, und es ist kaum anzunehmen, daß die Stöcke der Drillmeister<br />
plötzlich eine größere Loyalität in ihnen hervorgerufen haben sollten. Aber anders als in den meisten<br />
Armeen bestand der Großteil der hessischen Söldner aus Landeskindern, deren Verwandte für Deserteure<br />
haftbar gemacht wurden. Die Gemeinen wurden durch das sogenannte Kantonsystem rekrutiert, durch<br />
das jedem Regiment ein bestimmtes Rekrutierungsgebiet, eben ein Kanton, zugewiesen wurde. In<br />
gewisser Weise waren die Hessen also eher Wehrpflichtige als richtige Söldner. Zudem hatten die<br />
Engländer wahre Schauermärchen über die Grausamkeit der Rebellen verbreitet. Aber vor allem fühlte<br />
man sich auf der sicheren Seite der Sieger, und der Krieg war, verglichen mit den Gemetzeln in Europa,<br />
selten mehr als ein Geplänkel. Des öfteren wurde später betont, daß von den 19.000 verkauften Hessen<br />
nach sechs Jahren nur noch etwa 10.500 zurückkehrten. Doch solche Verlustraten erreichte Friedrich der<br />
Große sogar in seinen siegreichen Schlachten. Von den Hessen waren dagegen bis Kriegsende nur 535<br />
im Kampf gefallen, über 4.000 an Krankheiten gestorben und 3.000 nach dem Friedensschluß freiwillig in<br />
Amerika geblieben.<br />
In der ersten großen Schlacht des Krieges bei Flatbush im August 1776 wurden die Amerikaner von der<br />
disziplinierten europäischen Infanterie förmlich überrannt. Der Feuergeschwindigkeit und vor allem dem<br />
gefürchteten Bajonettangriff der Hessen hatten sie nichts entgegenzusetzen. Ein hessischer Oberst<br />
schrieb: "Die Riflemans sind mehrentheils mit dem Bajonett an die Bäume gespießt worden; diese<br />
fürchterlichen Leute verdienen eher Mitleid als Furcht. Sie müssen immer eine Viertelstunde Zeit haben,<br />
um ein Gewehr zu laden und in dieser Zeit fühlen sie unsere Kugeln und Bajonette". Engländer und<br />
Hessen wüteten furchtbar unter den Amerikanern und massakrierten selbst noch viele von denen, die sich<br />
ergeben wollten. Weit über 3.000 toten und gefangenen Amerikanern standen zwei tote Hessen und 61<br />
tote Engländer gegenüber. Kein Wunder, daß das Überlegenheitsgefühl der Söldner danach geradezu ins<br />
Unermeßliche wuchs. Aber auch die Verluste bei Niederlagen hielten sich in Grenzen. Beim ersten<br />
wichtigen Sieg Washingtons bei Trenton im Dezember 1776 verloren die Hessen zwar mit 933 Mann gut<br />
die Hälfte ihrer eingesetzten Truppen, darunter waren jedoch lediglich 17 Tote und 78 Verwundete. Für<br />
europäische Armeen waren solche Verluste Lappalien.