cafe - Wiener Einkaufsstraßen
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Fasten und Feiern<br />
Kollektive Identität<br />
in allen Kulturen?<br />
Jedenfalls ist allein feiern fad und<br />
allein fasten einsam.<br />
Nest-Gala<br />
Die BewohnerInnen des Pensionisten-<br />
Wohnhauses Liebhartstal 2 geben<br />
einen Gala-Abend in der Sohowerkstatt<br />
und kochen selbst. Den Raum<br />
haben sie unglaublich schön gestaltet,<br />
eine Lichtwand aus hinterleuchteten<br />
Collagen, Gewürze und anderes<br />
Essbares auf strukturiertem Papier.<br />
„Nester sind Orte, an denen geboren<br />
und genährt wird. Ein Küken verlässt<br />
das Ei und wird in einer neuen Umgebung<br />
willkommen geheißen“, erklärt<br />
mir Kili Schmid – eine zusammen mit<br />
Alice Pichler an dem Projekt Kunst<br />
und Kochen beteiligte KünstlerIn.<br />
„Fastest Du?“<br />
Fragt mich meine Tischnachbarin. Es<br />
ist seit drei Tagen Ramadan, die<br />
Fastenzeit der Muslime, in der sie auf<br />
Essen und Trinken von Sonnenaufgang<br />
an verzichten und sich nach<br />
Sonnenuntergang zum gemeinsamen<br />
Fastenbrechen treffen. Fasten ist Thema,<br />
auf den Baustellen, am Markt<br />
und in den Betrieben.<br />
Dass die Frage an mich gestellt wird,<br />
überrascht mich trotzdem.<br />
„Ich bin katholisch aufgewachsen.<br />
40 Tage Fastenzeit vor Ostern und<br />
Weihnachten, doch das Fasten wurde<br />
in den 60er Jahren gelockert. Als<br />
strenge Fasttage gelten nur mehr der<br />
Aschermittwoch und der Karfreitag.“<br />
„Und was heißt streng?“,<br />
will meine Tischnachbarin wissen.<br />
„Nur einmal am Tag essen, mäßig und<br />
vor allem kein Fleisch. Und Fleisch<br />
mochte ich als Kind ohnehin nicht.<br />
Meine Mutter mag noch heute keinen<br />
Fisch, daher war für mich, die „Mehlspeis-Tigerin“,<br />
jeder Freitag, damals<br />
noch ein strenger Fasttag, ein Festtag.<br />
Es gab meine Leibspeisen.<br />
Ramadan – Fastenbrechen in der brunnen.passage – alle sind willkommen<br />
Frühjahrskuren kenne ich, den ganzen<br />
Tag nichts zu essen passiert mir öfter,<br />
aus reinem Zeitmangel. Aber tagsüber<br />
nichts zu trinken, wie hält Frau/Mann<br />
das aus?“<br />
„Selbstdisziplin üben,<br />
darum geht es ja. Du bekommst<br />
einen ganz anderen Zugang zum<br />
Essen, zum Trinken, zum<br />
Geschmack. Es ist nicht mehr selbstverständlich,<br />
Du schätzt es wieder<br />
und denkst vielleicht auch an die<br />
Hungernden in der Welt, das sind<br />
immerhin eine Millarde Menschen.“<br />
„Du meinst, es geht um Verzicht? Die<br />
evangelischen, also die reformierten<br />
Christen haben immer schon den Verzicht<br />
beim Fasten in den Vordergrund<br />
gestellt. Besser, bescheiden eine<br />
Wurst zu essen, meinte Ulrich Zwingli<br />
im 16. Jahrhundert in der Schweiz –<br />
und tat das auch öffentlich in der<br />
Fastenzeit –, als mit Fisch zu völlern.<br />
Ja, es ist differenzierter geworden,<br />
das Fasten. Es gibt christliche<br />
Gemeinden, die treffen sich zu einem<br />
einfachen Fastenessen und spenden<br />
dabei für Drittewelt-Projekte, und es<br />
werden Fairtrade-Produkte verkauft.“<br />
„Arme zum Essen einladen<br />
ist auch ein Gedanke bei den öffentlichen<br />
Feiern des Fastenbrechens. Alle<br />
sind willkommen, die einen Platz finden.<br />
Auch in der brunnen.passage zu<br />
Ramadan. Jeden Abend spendet ein<br />
anderes Geschäft des Brunnenviertels.“<br />
„Für Sonntag hat mich Herr<br />
Aggün, der Betreiber des Shops Ecke<br />
Payergasse eingeladen. Es ist sein<br />
Abend, ich bin schon sehr gespannt.“<br />
In Deutschland hat es heuer die Aktion:<br />
„Sieben Wochen ohne – Geiz“<br />
gegeben, ein Appell, die Fastenzeit<br />
bewusst als eine Zeit der Verschwendung<br />
und der Freigiebigkeit, nicht der<br />
Abstinenz zu begehen. Dort nehmen<br />
auch die evangelische und die<br />
römisch-katholische Kirche gemeinsam<br />
mit dem Verkehrsclub Deutschland<br />
an der Aktion „Auto-Fasten“ teil.<br />
Und ganz persönliche Entscheidungen<br />
gibt es auch: den Verzicht auf<br />
Fernsehen, Computerspiele ...<br />
Jedenfalls verleiht Abwechslung von<br />
Askese und Feiern dem Leben einen<br />
Rhythmus, der das Feiern zu etwas<br />
Besonderem werden lässt.<br />
brunnenviertler | Dezember 2008 9