FORMEL 1 nicht als Feiertag. Doch die Familie des Kalifen arbeitet an einem Dekret, das für das Gastspiel der Rennfamilie eine Ausnahme zulässt. Schliesslich findet das Debüt im Wüstenstaat am prestigeträchtigsten Datum des Jahres statt: am 04.04.04. «Alles, was wir Bahrainer machen, tun wir von ganzem Herzen», sagt Elie Semaan, Präsident der Bahrain Motor Federation. Bei so viel Gastfreundlichkeit ist die Formel 1 sogar bereit, mit einer lieb gewonnenen Tradition zu brechen: Champagner soll wegen des religiösen Verbots von Alkohol nicht verspritzt werden. Die Veranstalter versprechen dafür, dass Herr der Schikanen Malaysia, Shanghai, Bahrain – diese Formel-1-Strecken haben alle etwas gemein: Sie entspringen dem Gehirn von Hermann Tilke, dem zurzeit erfolgreichsten Rennarchitekten. Elmar Brümmer, Formel-1-Journalist Den Grossen Preis von Bahrain ist er gestern gefahren, heute steht mal eben die schnellste Runde in Shanghai auf dem Programm. Und das alles, bevor die neuen Formel-1- Pisten überhaupt fertig sind. Nein, Hermann Tilke ist keinem Science-Fiction-Film entsprungen. Dazu wäre er, bei allen Visionen, auch viel zu sehr Realist. Aber in seinen Büroräumen in einer umgebauten alten Aachener Hemdenfabrik betreibt er trotzdem so etwas wie eine Formel-1-Zeitmaschine. Per Mausklick kann sich der Diplom-Ingenieur dreidimensional auf Rennstrecken beamen, für die zurzeit noch das Genehmigungsverfahren läuft. Hermann Tilke gibt der PS-strotzenden Branche die Ideallinie(n) vor, zumindest architektonisch. Er ist der Herr der Schikanen. Begonnen hat alles am Nürburgring, wo er als Student für ein paar hundert Mark Honorar eine Rettungsgasse gestalten durfte. Nach der ersten Kreation beschäftigte sich sein Büro auch mit dem Bau von Müllkippen und Tennisanlagen. Aber seine kurvigen Gesamtkunstwerke waren es, mit denen Tilke die Neugier des Automobil- Weltverbandes und des Formel-1-Promoters Bernie Ecclestone weckte. Seither sind Eilaufträge Tilkes Geschäft. Der Kreativdirektor der Asphaltbranche hat die Mehrheit der aktuellen Formel-1-Pisten (um)gestaltet, insgesamt 30 Strecken. Sein Credo: höherer Zuschauerkomfort, mehr Überholmanöver, bessere Sicht, spannendere Rennen – bei grösstmöglicher Sicherheit. Der 49-Jährige handelt bei seinen Designs nach dem Motto: Kurven brauchen einen Grund. 10 <strong>Credit</strong> <strong>Suisse</strong> Bulletin Spezial «DER ERSTE ENTWURF MUSS GLEICH SITZEN.» Hermann Tilke, Rennstrecken-Designer Bei der Ausarbeitung setzt er auf das Reaktionsvermögen seines 100-köpfigen Teams. Dabei kommt es zu Lösungen, die den Laien verblüffen: «Manche Kurve machen wir aus Sicherheitsgründen extra schärfer. Dann ist sie langsamer – und damit entschärft.» Üblicherweise werden aber die Auslaufzonen grosszügig bemessen. «Platz schaffen, damit sich jemand was trauen kann», ist auch so eine tilkesche Maxime. Dass und wie man auf Tilkes Berechnungen bauen kann, zeigt auf spektakuläre Weise die Grand-Prix-Strecke von Sepang, die aus dem Urwald Malaysias gestampft worden ist. Die 80 Millionen Euro teure Piste in Form einer geöffneten Sicherheitsnadel hebt sich von den bislang üblichen Retortenprodukten ab, von den Piloten gern als «Micky-Maus-Kurse» verspottet. «Mit 15 Kurven und acht Geraden hält die Strecke die «Zeremonie das prächtige Erbe und die Kultur Bahrains widerspiegeln wird». Zeigt am Ende ausgerechnet die Formel 1 einen friedlich-kommerziellen Ausweg aus dem viel beschworenen Zusammenprall der Zivilisationen? ❙ nicht nur einen Rekord, sondern verlangt vom Fahrer auch alles ab», schwärmt Formel-1- Aussteiger Heinz-Harald Frentzen. Die Akzeptanz hat einen Hintergrund: Spezialist Tilke ist häufig Gast im Fahrerlager, setzt sich mit Piloten, Teamchefs und Experten zusammen. Seine persönliche Praxisbezogenheit schöpft er aus der Erfahrung als Langstrecken-Rennfahrer: «Wer mal im Cockpit gesessen hat, bringt mehr Gefühl für die Sache mit.» Bei allem Gefühl: Tilkes XXL-Projekte erfordern eine grosse Portion Perfektionismus. «Im Gegensatz zu den Automobildesignern, die mehrere Entwürfe bauen lassen können, bevor ihre Produkte in Serie gehen, muss es bei uns aufs erste Mal hinhauen.» So, wie Tilke das sagt, merkt man: Der Mann braucht diesen Druck, er sucht den Wettbewerb – auch mit sich selbst. «Wir haben eine Menge Ideen, die Schwierigkeit dabei ist nur, alles an einem Ort zusammenzubringen.» Im Idealfall, sagt Tilke, sollte eine Rennstrecke möglichst kompromisslos sein: «Wer es allen recht machen will und soll, der verliert sich darin – und macht es am Ende keinem recht.» An die Interessen der Fans muss man nicht extra appellieren. «Eigentlich», findet Hermann Tilke, «sind das doch die Hauptpersonen.» Das kann sich, wie in Malaysia, im Bau von Gebetsräumen ausdrücken. Oder in einer konvexen Zielgeraden wie in Sepang. Nur so, erläutert der Streckenbauer, «können die Zuschauer das Weisse in den Augen der Fahrer erkennen.» Teleobjektiv natürlich vorausgesetzt. Foto: Peter Granser
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