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215 − Die Siedler vom Tiefenbrunnen - Quartierverein Riesbach

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<strong>Die</strong> <strong>Siedler</strong> <strong>vom</strong> <strong>Tiefenbrunnen</strong><br />

<strong>Die</strong> Sicht eines spät Zugezogenen<br />

JESSAMyN GRAVES<br />

Es war die Liebe, welche mich Ende 2002<br />

ins Seefeld und in die WG meiner Freundin<br />

führte. Das Leben galoppierte im<br />

Zeitraffer voran: Studienabschluss,<br />

Umzug, Hochzeit, die Geburt unserer<br />

ersten Tochter. Nach einer gerade mal<br />

zweimonatigen Karriere als Seefeld-<br />

Yuppie stand ich unversehens da mit<br />

einem Baby im Tragtuch, welches tüchtig<br />

unter der Winterjacke einheizte. Der<br />

Innenhof unserer Siedlung war winterlich<br />

grau und die kahlen Obstbäume als<br />

solche kaum zu erkennen. <strong>Die</strong> Kinderschar<br />

der Gründergeneration war im<br />

Schnitt zehn Jahre alt und ich befürchtete,<br />

dass unsere Tochter dereinst alleine<br />

im Innenhof würde spielen müssen. Keine<br />

Frage: ich wollte möglichst bald wieder<br />

weg von hier.<br />

Doch es kam anders. Im April verwandelte<br />

sich der Innenhof in einen blühenden<br />

Obstgarten und die beige<br />

Hausfassade verschwand allmählich hinter<br />

dem üppigen Grün der Apfelbäume<br />

und Weinreben. <strong>Die</strong> selten frei werdenden<br />

Wohnungen vergab die Liegenschaftenverwaltung<br />

der Stadt Zürich<br />

konsequent an junge Familien. Nach und<br />

nach kamen immer mehr kleine Kinder<br />

hinzu und spätestens am ersten Kindergartentag<br />

unserer Tochter war klar: Wir<br />

bleiben hier!<br />

Wir hatten aber auch unglaubliches<br />

Glück: Unsere geräumige WG mit ehemals<br />

sechs Studentinnen und Studenten<br />

mutierte nach und nach zu einer Familienwohnung<br />

mit mehr oder weniger lärmresistenten<br />

Untermietern. Derweil zog<br />

Jahr für Jahr jedes zweite Kind, welches<br />

im Seefeld zur Welt kam, noch vor dem<br />

Schuleintritt weg aus dem Quartier. Gar<br />

schon eine Rarität sind im heutigen Seefeld<br />

erwachsene Eingeborene. Erkennbar<br />

sind sie beispielsweise an ihrem<br />

unverwechselbaren lokalen Dialekt,<br />

wenn sie ihre Kinder im Schulhaus «Karthuus»<br />

abholen oder «id Freschi» in die<br />

Bibliothek begleiten. Sie erzählen von<br />

ihren Grossmüttern, die vor langer Zeit<br />

in der Wäscherei Märki-Glättli an der<br />

Zollikerstrasse 149 arbeiteten oder<br />

davon, dass früher eine niedrige Brücke<br />

über die Kartausstrasse führte und der<br />

Feuerwehr die direkte Durchfahrt von<br />

der Wynegg in die Hornegg verwehrte.<br />

In den Schulferien, wenn die halbe<br />

Nachbarschaft kollektiv verreist und es<br />

im Innenhof totenstill wird, dann ist es,<br />

als ob die Siedlung in einen Tiefschlaf<br />

fallen würde. Unmerklich erst kündet<br />

sich in der letzten Ferienwoche das Wiedererwachen<br />

an. Ein Junge sitzt im Schatten<br />

der Haselstauden und sortiert seine<br />

gesammelten Meeresmuscheln. Später<br />

sitzen zwei Mädchen auf den Schaukeln<br />

und erörtern die unterschiedlichen<br />

Funktionsweisen viertelstündlich ausbrechender<br />

Vulkane und Geysire. Das<br />

Crescendo der hinzukommenden Stimmen<br />

zeugt von der überschwänglichen<br />

Freude des Wiedersehens und spätestens<br />

am abschliessenden Ferienwochenende<br />

erreichen die Spiele und gegenseitigen<br />

Besuche der Kinder eine derartige Intensität,<br />

dass mir das Herz vor Glück zerspringen<br />

möchte. Es sind mitunter<br />

solche Abende, an denen unsere drei<br />

Töchter vor lauter Freude erst lange nach<br />

21 Uhr einschlafen, welche mir die<br />

Gewissheit geben, in dieser Siedlung und<br />

im Seefeld zuhause zu sein.<br />

23<br />

Quartiermagazin Kreis 8 <strong>215</strong>/2011

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