215 − Die Siedler vom Tiefenbrunnen - Quartierverein Riesbach
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<strong>Die</strong> <strong>Siedler</strong> <strong>vom</strong> <strong>Tiefenbrunnen</strong><br />
KATHARINA ISSLER<br />
Nach wie vor beschäftigt mich eine Frage:<br />
Darf man eigentlich <strong>vom</strong> «Tramdepot»<br />
reden, oder ist «d’Sidlig» beziehungsweise<br />
«d’Sidlig Tüüffebrunne» politisch<br />
korrekt? Vor Jahren wurde ich einmal<br />
von einer Siedlungsbewohnerin abgekanzelt,<br />
als ich nichtsahnend <strong>vom</strong> Tramdepot<br />
sprach – man wohne hier<br />
schliesslich nicht auf dem Abstellgleis!<br />
Für mich bedeutete das allerdings keine<br />
Abwertung, im Gegenteil: Siedlungen<br />
gibt es zuhauf, jedoch nur ein – das! einmalige!<br />
– «Tramdepot». Wer von den<br />
Insidern kann meine Frage klären? (Dass<br />
gewisse Siedlungsbewohner selber <strong>vom</strong><br />
«Bärengraben» reden, ist natürlich ihre<br />
rein private Angelegenheit und sei nur<br />
zwischen Klammern erwähnt).<br />
Wie es «drin» zum Wohnen ist, habe<br />
ich selber nie erlebt. Und ich habe es mir,<br />
trotz mannigfacher freundschaftlicher<br />
Kontakte, auch nie gewünscht. Ich glaube,<br />
dass ich mit der Dichte des ganzen Komplexes<br />
überfordert gewesen wäre. – Für<br />
mich als Betrachterin von aussen machte<br />
und macht die Wohnanlage <strong>Tiefenbrunnen</strong><br />
(auch so eine schöne Bezeichnung,<br />
die mir in einer Publikation begegnet ist)<br />
immer noch einen hermetischen Eindruck,<br />
was wohl kaum an den Bewohnerinnen<br />
liegt, sondern an der<br />
geschlossenen Wirkung der Aussenfassaden<br />
mit den kleinen Durchlässen, die<br />
in etwas gewöhnungsbedürftige Gänge<br />
münden. Umso schöner, dass es immer<br />
wieder Gelegenheit gibt, um ganz offiziell<br />
an Siedlungs-Aktivitäten teilzunehmen,<br />
zum Beispiel am kommenden 25. Juni am<br />
grossen Siedlungsjubiläumsfest.<br />
Schuhe weg!<br />
URSULA MEADERS, BEA MAROPOULOS<br />
In der Siedlung haben wir unsere Kinder<br />
zu höflichen Menschen erzogen:<br />
Wenn sie auf Besuch kommen, ziehen<br />
sie ihre Schuhe aus und stellen sie im<br />
Gang neben die Wohnungstür. Patrice,<br />
der Freund von Sean, hat sich zum<br />
Frühlingsbeginn schöne weisse Markenturnschuhe<br />
gekauft. Eines Samstagabends<br />
spät besuchte er uns. Wir<br />
freuten uns darüber und plauderten<br />
miteinander. Als er und Sean sich nach<br />
einer Stunde auf den Weg in den Ausgang<br />
machten, waren die Schuhe weg.<br />
Wer kann das gewesen sein? <strong>Die</strong><br />
Haustüre ist um diese Zeit immer<br />
geschlossen. Wir halten die Augen<br />
offen! Der Täter muss damit rechnen,<br />
dass er angesprochen wird.<br />
Im gleichen Haus, einen Stock höher,<br />
hat Bea vor drei Jahren ihre hocheleganten<br />
Schuhkafi-Stiefeletten aus Wildleder<br />
in den Schuhschrank gestellt. Als<br />
sie die Schuhe voller Vorfreude anziehen<br />
wollte, klaffte dort, wo sie immer gestanden<br />
hatten eine Lücke. Sie konnte es<br />
nicht fassen – bis jetzt! Der Auftakt zum<br />
Schuh-Klau fand schon vor fünf Jahren<br />
statt, als Sean seine prachtvollen neuen<br />
Treter wie üblich vor der Wohnungstür<br />
parkierte … und sie dann nie mehr wieder<br />
sah! Damit nicht genug. Drei Tage<br />
später folgte per anonymen Brief die<br />
pädagogische Zurechtweisung. Es sei ein<br />
schwerer Fehler, solch schöne Schuhe<br />
vor der Tür stehen zu lassen. Und er<br />
möge daraus eine Lehre ziehen.<br />
Wir in Nummer 78 sind stolz auf unseren<br />
exquisiten Geschmack in Sachen<br />
Schuhe. Umso mehr haben uns diese<br />
Verluste geschmerzt. Doch wir betrachten<br />
das als eine angemessene Opfergabe<br />
dafür, dass wir in dieser Siedlung wohnen<br />
dürfen.<br />
25<br />
Quartiermagazin Kreis 8 <strong>215</strong>/2011