Prof. Dr. H.-J. Plewig-Es gibt keine hoffnungslosen Fälle_2_
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- Was kann im Rahmen jeweiliger Zuständigkeit in der bestimmten Phase zur<br />
Wirksamkeit der Wiedereingliederung beigetragen werden?<br />
- Wer hat dazu welche Kompetenz?<br />
- Wie sind Übergänge zu gestalten, wie Abstimmungen festlegbar?<br />
Für alle Eingriffe, insbesondere die devianzpädagogischen, gilt ein entscheidendes<br />
Kriterium: Ohne Interventionsberechtigung durch den betroffenen Jugendlichen<br />
bleiben die Aussichten auf langfristig konstruktive Wirkung gering. Bemerkenswert<br />
ist, dass dieser Aspekt in der Praxis und Fachdiskussion weitgehend unbeachtet<br />
bleibt. Das ist umso erstaunlicher, als das Familienrecht und das KJHG der<br />
Philosophie der Freiwilligkeit, des Dialogs, der Absprache folgen. Die jungen<br />
Menschen müssen also überzeugt werden. Das gilt auch für die von der Strafjustiz<br />
angeordneten ambulanten Maßnahmen.<br />
KRAUSSLACH unterscheidet zwischen Konfliktmanagement (gewohnheitsbildenden<br />
Lenkungsmitteln) und erworbener, zugesprochener und ständig erneuerter Interventionsberechtigung<br />
(1981, S. 77f.; zu den Stufen des Interventionsrechts S. 94<br />
ff.). Das erinnert an den Grundpfeiler der Geisteswissenschaftlichen (Reform-)<br />
Pädagogik, den pädagogischen Bezug (NOHL 1963: ein intensives persönliches ,<br />
auf geistig-seelischer Grundlage beruhendes Verhältnis zwischen einem<br />
erwachsenen, gebildeten Menschen und einem jüngeren Menschen, der ebenso<br />
nach Bildung strebt und daher einen Bildungswillen entwickelt. So verstanden stellt<br />
Erziehung einen Prozess und ein Medium dar, in welchem diese ‚Bildungs- und<br />
Erziehungsgemeinschaft’ stattfindet. Vgl. KRON 1988, S. 200).<br />
Während das Modell von NOHL bürgerlich-idealistischem Denken entspringt, hatten<br />
KRAUSSLACH und seine Kollegen im Rahmen radikaler parteilicher Jugendsozialarbeit<br />
eine andere Zielgruppe vor Augen: die von Ausgrenzung bedrohten gewalttätigen<br />
jungen Proletarier der 1970er Jahre. Dieses Handlungsfeld ist geprägt von<br />
Konflikten der Delinquenten mit allen Institutionen, von der Schule über die Jugendzentren<br />
bis hin zu Jugendamt, Polizei und Gericht. Die Straßensozialarbeiter/innen<br />
hatten lernen müssen, dass sie als Pädagogen kaum etwas ausrichten können,<br />
wenn sie von den Jugendlichen nicht akzeptiert wurden. Sie unterscheiden zwischen<br />
Interventionsbedürfnis und Interventionsberechtigung. „Autorität wird von Jugendlichen<br />
zugestanden und zugebilligt. Sie ist Ausdruck von Achtung, Zuneigung und<br />
Anerkennung. Wer von den Jugendlichen als ‚Autorität’ anerkannt wird, hat in der<br />
Regel mit ihnen viel erlebt und einen längeren Prozess durchgestanden“ (S. 71.).<br />
Diese gemeinsamen Erfahrungen basieren wesentlich darauf, dass die Sichtweisen<br />
und Interessen der Jugendlichen grundsätzlich immer mit einbezogen werden (dieser<br />
Ansatz ist im Forschungsprojekt ‚Zur Entstehung abweichenden Verhaltens’ erstmals<br />
umfassend erarbeitet worden; vgl. SCARBATH/PLEWIG/WEGNER 1981). Das<br />
entspricht einem demokratischen Grundverständnis. In jeder Intervention steckt ein<br />
Bildungserlebnis für die jungen Menschen. Weder aus politischer noch aus<br />
pädagogischer Sicht stellen sie Objekte der Eingriffe dar, sondern sind stets auch als<br />
Subjekte zu betrachten, die zur Teilhabe an der Gesellschaft befähigt werden<br />
müssen. Das ist gerade bei den Maßnahmen zu bedenken, die aus der Sicht der<br />
Betroffenen als Strafe empfunden werden.<br />
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