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Fünf Jahre Christophorus-Haus - Christophorus Hospiz Verein e.V.

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Ich werde gefragt: Wie kannst Du dort arbeiten,<br />

wo es keine Hoffnung gibt, weil alle<br />

sterben? – Hier gibt es Hoffnung. Hier<br />

sterben Menschen mit Hoffnung, die bis<br />

zuletzt dankbar sein können und sich freuen,<br />

wenn ein Mensch sich Zeit für sie<br />

nimmt. Krankheit und Tod sind kein Argument<br />

für sie, Hoffnung und Freude aufzugeben.<br />

Obwohl sie vielleicht auch<br />

schwere Krisen durchleben, bemühen sie<br />

sich aktiv, positiv zu bleiben, und suchen<br />

den Kontakt mit ihrer Umgebung. Mein<br />

Eindruck ist, dass sie dadurch für Hilfe zugänglicher<br />

sind, und dass ihre Hoffnung<br />

ihnen das Sterben erleichtert.<br />

Andere Bewohner erwecken den Eindruck<br />

wenig Hoffnung zu sehen, obwohl sie vielleicht<br />

noch über viele Fähigkeiten verfügen,<br />

sie noch Kinder und Partner haben<br />

und auf ein erfolgreiches Leben zurückblicken<br />

können. Trotzdem sehen sie nur,<br />

dass sie bis zum Tod unentwegt Verluste<br />

erleiden. Viele von ihnen sollen vor der<br />

Krankheit positiv gewesen sein, aber die<br />

Hoffnung habe dem Leid nicht standhalten<br />

können. Es sei einfach viel zu viel gewesen.<br />

Ein Mensch, der die Hoffnung aufgegeben<br />

hat, scheint mir für Trost und<br />

Hilfe weniger empfänglich zu sein. Durch<br />

meine Arbeit erkenne ich klarer, dass ein<br />

als erfüllt empfundenes Leben nicht abhängig<br />

ist von äußeren Umständen, sondern<br />

wie sich ein Mensch in seinem Leben<br />

verhält – bis zuletzt. So gesehen ist das<br />

Sterben eine große Herausforderung, die<br />

letzte Aufgabe im Leben. Sie wird geprägt<br />

von der Art und Weise, wie man das Leben<br />

gelebt hat, wie man gelernt hat, mit<br />

Verlusten und unerfüllten Wünschen umzugehen,<br />

trotz Schwierigkeiten zu vertrauen<br />

und der Zukunft hoffnungsvoll zu be-<br />

40<br />

gegnen, oder ob man sich resigniert zurück<br />

zog.<br />

Mir fällt eine ältere Frau ein, die ich während<br />

eines Nachtdienstes betreute. Ihr Bewusstsein<br />

war schon eingetrübt, die Atemgeräusche<br />

klangen angestrengt. Schon<br />

einige Male wurde sie als „final“ übergeben,<br />

d.h. wir glaubten, dass sie bald gehen<br />

würde. – Aber das tat sie nicht. Sie schien<br />

schwer zu kämpfen und kein Medikament,<br />

keine Maßnahme half wirklich. Ich<br />

bat eine Kollegin in der Nacht um Hilfe<br />

und gemeinsam setzten wir uns zu ihr, was<br />

unsere Zeit eigentlich nicht zuließ. Als wir<br />

dann eine Weile so dasaßen, meinten wir<br />

deutlich zu hören, dass sie unter starken<br />

seelischen Schmerzen litt. Da war etwas<br />

wie ein großer dunkler Stein auf der Brust<br />

gegen den sie kämpfte, gegen den sie atmete.<br />

Obwohl ich nichts von ihr wusste<br />

und nicht mit ihr kommunizieren konnte,<br />

hatte ich doch das Gefühl einer starken<br />

Begegnung. – Sie starb schließlich einige<br />

Tage später. Wir konnten das Problem am<br />

Ende des Lebens nicht mehr lösen, sondern<br />

nur so gut wie möglich palliativ ummanteln.<br />

Später erzählte man uns, dass sie als Kind<br />

traumatisierende Erfahrungen gemacht<br />

habe, von denen sie sich nie hat befreien<br />

können. Bis zuletzt habe sie unter schwersten,<br />

therapieresistenten Depressionen gelitten<br />

und sei tief unglücklich gewesen. Ihre<br />

Betreuerin meinte, dass die Verstorbene<br />

immer wieder gesagt habe: „Ich habe nicht<br />

gelebt, ich lebe nicht!“. Dieses Lebensgefühl<br />

war im Sterben präsent.<br />

Ich denke auch an einen sehr alten Mann in<br />

einem Nachtdienst, der bereits sechzig <strong>Jahre</strong>

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