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Zeit1 - Regionale10

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24 — 25<br />

Adam Budak<br />

Christian Philipp Müller<br />

Green Border, 1993<br />

Performance anlässlich<br />

eines weiteren Films im Kopf unter der Regie von Pawel Althamer, oder wir<br />

berühren das authentische Gewebe des ganz gewöhnlichen Lebens, oder<br />

aber wir erleben beides gleichzeitig, da wir offenbar bereits IN DIE DINGE<br />

HINEINGELAUFEN SIND… In seiner Transzendierung der Grenzen des Vertrauten<br />

und Hinterfragung des Status des Aliens ist das Projekt Things You<br />

Can Walk Into eine weitere Kritik an der Mentalität des Eigensinnigen. Der<br />

Ruf nach Zusammengehörigkeit und ein Sinn für Zugehörigkeit und<br />

Gemeinschaft, der so typisch für Althamers Künstlerethos ist, ist der Weltsicht<br />

des Homo faber ähnlich und erlaubt die Wahrnehmung des Künstlers<br />

als reine Verkörperung der Vita activa: „Die Vita activa, menschliches<br />

Leben, sofern es sich auf Tätigsein eingelassen hat, bewegt sich in einer<br />

Menschen- und Dingwelt, aus der es sich niemals entfernt und die es nirgends<br />

transzendiert. (…) Es gibt kein menschliches Leben, auch nicht das<br />

Leben des Einsiedlers in der Wüste, das nicht, sofern es überhaupt etwas<br />

tut, in einer Welt lebt, die direkt oder indirekt von der Anwesenheit anderer<br />

Menschen zeugt. Alle menschlichen Tätigkeiten sind bedingt durch die Tatsache,<br />

dass Menschen zusammenleben, aber nur das Handeln ist nicht einmal<br />

vorstellbar außerhalb der Menschengesellschaft.” 32 Genau dort sollte<br />

man Althamers Praxis ansiedeln – im Zwischenbereich zwischen Herstellen<br />

und Handeln: „Dieser besondere Bezug, der das Handeln an das menschliche<br />

Zusammen bindet, scheint es vollkommen zu rechtfertigen, dass schon<br />

sehr früh (bei Seneca) die aristotelische Bestimmung des Menschen als<br />

eines zoon politikon, eines politischen Lebewesens, im Lateinischen durch<br />

das animal socialis wiedergegeben wird, bis schließlich Thomas [von Aquin]<br />

ausdrücklich sagt: ‚homo est naturaliter politicus, id est, socialis (Der<br />

Mensch ist von Natur politisch, das heißt gesellschaftlich)’”. 33 Das ist<br />

genau die Gesamtdimension Pawel Althamers künstlerischer Praxis: Politik<br />

und Gesellschaft.<br />

der Venedig Biennale Christian Philipp Müller<br />

32<br />

Hannah Arendt: Vita activa,<br />

S. 33.<br />

33<br />

Ebda., S. 34.<br />

34<br />

James Meyer, Christian<br />

Philipp Müller: Ein Gespräch.<br />

In: Philipp Kaiser<br />

(Hrsg.): Christian Philipp<br />

Müller. Basel: Kunstmuseum<br />

Basel, Museum für<br />

Gegenwartskunst 2007,<br />

S. 41.<br />

Christian Philipp Müller<br />

„Burning Love“ oder: Das performative Porträt eines Lokalmatadors<br />

Christian Philipp Müllers kritische Kunstpraxis beschäftigt sich mit der<br />

Kartierung der institutionellen und geopolitischen Parameter des Vernakulären.<br />

Sein Werk ist die Mise-en-scène verschiedenster Wissensdisziplinen,<br />

geschaffen von einem Künstler, der in die verschiedensten Rollen<br />

schlüpft – Archivar, Forscher, Kommunikator und Performer. Dabei bleiben<br />

die Themen nationale Identität und Konstruktion von Grenzen im Zentrum<br />

von Müllers Untersuchungen der Ökonomien des jeweiligen Ortes und der<br />

Politik der Zugehörigkeit. Für die Installation Grüne Grenze, die er 1993 für<br />

den österreichischen Pavillon im Rahmen der Biennale von Venedig realisiert<br />

hat, überquerte der Künstler im Wanderer-Outfit acht Mal illegal Staatsgrenzen.<br />

„In meiner Anleitung zur Grenzüberquerung machte ich Vorschläge<br />

für das beste Outfit, um mit der Landschaft zu verschmelzen. Heutzutage<br />

ist der Tourist die unauffälligste Gestalt“ 34 , bekennt der Künstler bei der<br />

Space Rendez-Vouz,<br />

2008<br />

Manifesta 7, Rovereto<br />

Strickmuster „Brennende<br />

Liebe“<br />

35<br />

Ebda., S. 56.<br />

36<br />

James Meyer: The Functional<br />

Site. In: Platzwechsel.<br />

Ursula Biemann, Tom Burr,<br />

Mark Dion, Christian Philipp<br />

Müller, Kunsthalle Zürich<br />

1995, S. 25-29.<br />

Beschreibung seines bahnbrechenden Projekts, das mittlerweile zu einem<br />

Symbol für den künstlerischen Diskurs zur Politik nach 1989 und Themen<br />

der nationalen Repräsentation geworden ist. Das gesamte Schaffen von<br />

Christian Philipp Müller scheint ein Statement gegen den Eigensinn zu<br />

sein. In einem Gespräch mit James Meyer räumt er ein: „Ich hasse starre<br />

Identitäten. Ich glaube an multiple Identitäten (…) Wir werden alle auf Klischees<br />

reduziert. Wir werden typisiert, weil unsere Gesellschaft mit multiplen<br />

Identitäten nichts anfangen kann. Wenn ich über diesen Bach springe,<br />

dann sehen Sie mich genau im Dazwischen, an der Grenze: Das ist es vor<br />

allem, worum es in meiner Arbeit geht. Sie ist eine Hybride. Sie haben ein<br />

Bild vor sich und eine Bildunterschrift, und sie versuchen dann im Kopf eine<br />

Verbindung zwischen dem, was Sie sehen und dem was Sie lesen herzustellen.<br />

Was ich dabei erreichen möchte, ist die richtige Abstimmung. Ich<br />

versuche das geeignete Medium, den Maßstab, den Raum und die Einbeziehung<br />

meines eigenen Körpers zu finden, um meine Botschaft rüberzubringen.<br />

Zum Beispiel zeigte ich in Venedig nicht das Werk von Christian Philipp<br />

Müller. Ich präsentiere mich nicht selbst als das Produkt. Ich präsentiere<br />

Umstände. Ich orientiere mich in der Arbeit an Themen, vorgegebenen und<br />

selbst gewählten.“ 35 Seine für die Manifesta 7 (2008) konzipierte Feldarbeit/Installation/Performance<br />

Space Rendez-Vous ist ein komplexes ortsspezifisches<br />

Gebäude aus Querverweisen, in dem der Futurist Fortunato<br />

Depero auf Weltraumeroberungsträume aus der Zeit des Kalten Krieges<br />

trifft, die globale Industrie und folkloristische Allegorien. Müllers Carro<br />

Largo-Parade, die bevölkert war mit in Trachten für Deperos festa dell’uva<br />

im Jahr 1936 gekleideten Menschen war ein ehrgeiziger Versuch, unter Verwendung<br />

des kritischen Vokabulars einer globalisierten Welt die Dogmen<br />

des Regionalismus neu zu schreiben. Christian Philipp Müllers Kunstpraxis<br />

(zusammen mit dem Werk von u.a. Fred Wilson, Mark Dion, Andrea Fraser)<br />

wurde von James Meyer als Erforschung des so genannten „funktionalen<br />

Ortes“ beschrieben, einem erweiterten Ortsbegriff, der im Gegensatz zu<br />

einem (physikalischen) festen Ort als „ein Prozess, ein sich zwischen Orten<br />

vollziehender Vorgang, eine Kartierung institutioneller und diskursiver Verzweigungen<br />

und der sich dazwischen bewegenden Körper (vor allem dem<br />

des Künstlers) verstanden wird. Es ist ein Ort der Informationen, Schauplatz<br />

des Ineinandergreifens von Texten, Fotografien und Videoaufzeichnungen,<br />

physikalischen Orten und Dingen: ein allegorischer Ort (…).“ 36 Nach<br />

dieser Definition ist das Werk eine Bewegung, eine Bedeutungskette; eine<br />

Funktion erscheint in der Passage zwischen Orten und Blickwinkeln. Meyer<br />

unterstreicht die Bedeutung des Zusammentreffens zwischen dem Produzenten<br />

und dem Ort, an dem die grundlegenden Identitäten des Künstlers<br />

und einer Gemeinde zusammenfallen oder ernsthaft herausgefordert<br />

werden. Eine solche Praxis weist Züge einer „diskursiven Performativität“<br />

auf, einer bestimmten Form der sozialen Maskerade, die tiefergehende<br />

Forschung, kritisches Engagement und Identifikation mit dem Thema bzw.<br />

dem untersuchtem Subjekt erleichtert.

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