Zeit1 - Regionale10
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12 — 13<br />
Adam Budak<br />
3<br />
Hannah Arendt: Vita activa<br />
oder Vom tätigen Leben, 8.<br />
Aufl., München: Piper 2010.<br />
4<br />
Ebda, S. 14.<br />
5<br />
Margaret Canovan: Einleitung.<br />
In: Hannah Arendt:<br />
Human Condition. 2. Aufl.,<br />
mit einer Einleitung von<br />
Margaret Canovan. Chicago:<br />
The University of Chicago<br />
Press 1998, S. XVI.<br />
6<br />
Vgl. Hannah Arendt: Vita<br />
activa, S. 23.<br />
7<br />
Ebda., S. 16.<br />
8<br />
Ebda., S. 18.<br />
Begriffe aus Hannah Arendts bahnbrechendem Werk Vita activa oder Vom<br />
tätigen Leben (1960) 3 , steckt das Wirkungsfeld für sechs Kunstprojekte ab,<br />
in denen die Eigenheiten der historischen wie der zeitgenössischen Gegebenheiten<br />
der Region Liezen, die − wie im Slogan („In der Mitte am Rand“)<br />
des ausrichtenden Festivals, der regionale10, betont wird − im geografischen<br />
Zentrum Österreichs liegt doch gleichzeitig an der (steirisch-regionalen)<br />
Peripherie, im Transitdenken, am Knotenpunkt dreier wichtiger nationaler<br />
Fernstraßen.<br />
„Was wir tun, wenn wir tätig sind“ 4 ist Arendts elementarer Vorschlag<br />
zu einer Neubetrachtung der Condition humaine in ihrem Buch, das, wie<br />
Margaret Canovan anmerkt, während der Studentenbewegung der 1960er-<br />
Jahre begeistert als Lehrbuch der partizipatorischen Demokratie 5 aufgenommen<br />
wurde und das nach wie vor eine Quelle der Inspiration und der<br />
Kontroverse darstellt. In der Tat bilden „das Schaffen“ – die Aktivität, die<br />
sie „Herstellen“ nennt – und „das Soziale” den Rahmen für ihre Analyse<br />
einer menschlichen Welt, die von Dauer sein kann. Vita activa tritt als<br />
Arendts Version des aristotelischen bios politicos auf, das ein dem Bereich<br />
des im eigentlichen Sinne Politischen gewidmetes Leben meinte 6 . „Mit<br />
dem Begriff Vita activa“, – schreibt Hannah Arendt – „sollen im folgenden<br />
drei menschliche Grundtätigkeiten zusammengefasst werden: Arbeiten,<br />
Herstellen und Handeln. Sie sind Grundtätigkeiten, weil jede von ihnen<br />
einer der Grundbedingungen entspricht, unter denen dem Geschlecht der<br />
Menschen das Leben auf der Erde gegeben ist.“ 7 Die Tätigkeit der Arbeit<br />
entspricht dem biologischen Prozess des menschlichen Körpers und die<br />
Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben<br />
selbst. Die Grundbedingung, die dem Handeln entspricht, ist das Faktum<br />
der Pluralität, nämlich die Tatsache, dass nicht ein Mensch, sondern viele<br />
Menschen auf der Erde leben. Und im Herstellen letztendlich „manifestiert<br />
sich das Widernatürliche eines von der Natur abhängigen Wesens, das sich<br />
der immerwährenden Wiederkehr des Gattungslebens nicht fügen kann und<br />
für seine individuelle Vergänglichkeit keinen Ausgleich findet in der potentiellen<br />
Unvergänglichkeit des Geschlechts. Das Herstellen produziert eine<br />
künstliche Welt von Dingen (…) In dieser Dingwelt ist menschliches Leben<br />
zu Hause, (…) und die Welt bietet Menschen eine Heimat in dem Maße,<br />
indem sie menschliches Leben überdauert, ihm widersteht und als objektivgegenständlich<br />
gegenübertritt. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit<br />
des Herstellens steht, ist Weltlichkeit“. Arendt weiter: „(…) das Herstellen<br />
errichtet eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der sie Bewohnenden<br />
in gewissem Maße unabhängig ist und so ihrem flüchtigen Dasein so<br />
etwas wie Bestand und Dauer entgegenhält.“ 8 Im Bereich der Arbeit tritt<br />
der Mensch als Homo faber auf, als der schaffende Mensch, manchmal auch<br />
Weltbildner, Werkzeugmacher oder Schöpfer aller Dinge genannt. Arendt<br />
übernahm diesen Begriff von Henri Bergson, der in seinem Buch Schöpferische<br />
Entwicklung (1921; im frz. Original 1907 erschienen) auf den Homo<br />
9<br />
Henri Bergson: The Creative<br />
Evolution. Übers. v. Arthur<br />
Mitchell. New York, Dover:<br />
1998, S. 139.<br />
10<br />
Hannah Arendt: Vita activa,<br />
S. 451.<br />
11<br />
Danette diMarco: Paradise<br />
Lost, Paradise Regained.<br />
Homo faber and the Makings<br />
of a New Beginning<br />
in „Oryx and Crake“. Zit.<br />
nach: http://findarticles.<br />
com/p/articles/mi_qa3708/<br />
is_200504/ai_n13641438/<br />
(letzter Zugriff: 12.5.2010).<br />
12<br />
Sophie Loidolt: Conditio<br />
humana. So lebt der<br />
Mensch. Unveröffentlichtes<br />
Manuskript, in Auftrag<br />
gegeben vom Universalmuseum<br />
Joanneum. Wien/<br />
Graz: 2010, S. 2.<br />
13<br />
Richard Sennett: The<br />
Craftsman. New Haven: Yale<br />
University Press 2008.<br />
faber verwies, indem er Intelligenz in ihrem ursprünglichen Sinne definierte,<br />
als „die Fähigkeit zur Herstellung von künstlichen Gegenständen, besonders<br />
von Werkzeugen zur Herstellung von Werkzeugen und zur unendlichen<br />
Variation der Herstellung“ 9 . Arendt entwickelt diese Definition, indem sie<br />
behauptet: „Das lateinische Word faber, das vermutlich mit facere im Sinne<br />
des hervorbringenden Machens zusammenhängt, bezeichnet den Künstler<br />
oder Handwerker, der hartes Material bearbeitet – Holz, Stein oder Metall” 10<br />
Nach Arendt hängt die Herrschaft des Homo faber von einer Konstante ab:<br />
Er betrachtet sich selbst als das Maß aller Dinge. Obwohl er zur Vollendung<br />
seines Werkes zweifellos auf natürliche Ressourcen angewiesen ist,<br />
entgeht ihm diese Tatsache, und folglich markiert er die Ressourcen in seinem<br />
von ihm hergestellten Werk als unsichtbar. Arendt behauptet, indem<br />
sie eine populäre marxistische Behauptung wiederholt, dass der Prozess<br />
im Produkt verloren geht, dass mit der Herstellung und der letztendlichen<br />
Vergegenständlichung des Produkts der Homo faber selbst die verschiedenen<br />
für menschliche Kreativität und Geschicklichkeit bei ihrer Veränderung<br />
des innersten Wesens der Natur unabdingbaren Komponenten aus den<br />
Augen verliert. Für Arendt ist die wirkliche Tragödie des Homo faber seine<br />
Selbstbefangenheit in seiner eigenen Aktivität. Er hat die vergegenständlichte<br />
Produktion eingeführt und sich vom Animal laborans das Verlangen<br />
nach Überfluss angeeignet – und somit das Ziel der Ernährung und Grundversorgung<br />
der Gemeinschaft durch natürliche Ressourcen ersetzt durch<br />
jenes der persönlichen (oft finanziellen) Erfüllung durch die Nutzung der<br />
natürlichen Ressourcen zur Schaffung eines Mehrwerts. 11 Der Homo faber<br />
baut sich selbst eine Welt. Er erschafft Werke. Als „artifex“ wie als Schöpfer<br />
ist er Meister seines Werkes/Objekts – bis hin zur Möglichkeit, es wieder<br />
zu zerstören. Die Welten, die er erzeugt, sind, wie Sophie Loidolt anmerkt,<br />
„Welten des Eigensinns. Doch dieser Eigensinn ist immer ein weltlicher<br />
Wille. Er ist ein Streben nach einem Sein, das für seine individuelle Vergänglichkeit<br />
keinen Ausgleich findet in der potenziellen Unvergänglichkeit<br />
des Geschlechts. Weil dieses Sein eine Identität und eine Erzählung in sich<br />
birgt, die in den Werken, die es stets neu herstellt, von Trinkgefäßen bis<br />
hin zu Landschaftsgestaltung, immer manifest ist. Auch wenn das Herstellen<br />
von den natürlichen Ressourcen abhängig ist und auf sie vertraut, ist<br />
das dann selbst nicht mehr Natur, weil es den ewigen Kreislauf von Genese<br />
und Verfall durchbricht und auf einer neuen linearen Zeitebene endet. Die<br />
Tätigkeit des Herstellens hat seine eigene zeitliche Abfolge – einen Anfang<br />
und ein Ende. Doch als eine Tätigkeit ist es natürlich ein Prozess, aber keiner,<br />
der sich einfach erschöpft und erneuert. Ein Werk entsteht daraus, das<br />
in die Welt entlassen werden kann und selbst „‚die Welt’ ist, die bewusst<br />
geformt wurde“. 12 Richard Sennett betont die Rolle des Homo faber in<br />
Arendts conditione humana teatrum und hebt dabei neue Eigenschaften<br />
im Gegensatz zum Animal laborans hervor. 13 Während das Animal laborans<br />
das Herstellen als Selbstzweck betrachtet, ist der Homo faber damit<br />
beschäftigt, „gemeinsam ein Leben zu schaffen.“ Laut Sennett ist „der