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Brandenburgisches Ärzteblatt 09/2007 - Landesärztekammer ...

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Medizingeschichte<br />

Aus der brandenburgischen Medizingeschichte: Dr. med. Paul Keller 1877–1945<br />

Heute soll über einen niedergelassenen Arzt<br />

in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in<br />

der ostbrandenburgischen Stadt Schwiebus<br />

an der Bahnlinie Berlin-Posen-Warschau<br />

anhand der erhaltenen Akten der Ärztekammer<br />

Kurmark im Brandenburgischen Landeshauptarchiv<br />

berichtet werden. Als Kind<br />

hat der Autor die Zeit der „Kinderlandverschickung“<br />

erlebt und sich als Medizinhistoriker<br />

ausführlich mit dem Wirken seines älteren<br />

Bruders – dem Pädiater und ersten<br />

Direktor des Kaiserin Auguste Victoria-Hauses,<br />

Reichsanstalt zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit<br />

in Berlin-Charlottenburg –<br />

Arthur Keller (1868–1934) beschäftigt.<br />

Praktischer Arzt in Schwiebus<br />

Über den jüngeren Bruder, den am 20. Dezember<br />

1877 geborenen Erich Georg Paul<br />

Keller, erfahren wir aus der Literatur nichts.<br />

Nach der Karteikarte der Reichsärztekammer<br />

im Bundesarchiv (ehem. BDC) wohnte er in<br />

den dreißiger Jahren, als die Kartei angelegt<br />

wurde, in Schwiebus Landhausstraße 2,<br />

war evangelischer Konfession, verheiratet<br />

und hatte drei Kinder (geboren 1906, 1908,<br />

1911). Er war am 15. Juli 1902 als Arzt approbiert<br />

und seit dem 15. Juli 1904 als praktischer<br />

Arzt in Schwiebus niedergelassen.<br />

Der NSDAP und dem NS-Ärztebund gehörte<br />

er nicht an, jedoch war er beim Amt für Volksgesundheit<br />

zugelassen, Mitglied der KVD und<br />

besaß die Kassenzulassung zu den RVO- und<br />

den Ersatzkassen und für die Wohlfahrtspatienten.<br />

Er war Vertrauensarzt u.a. des Arbeitsdienstes<br />

sowie Gefängnis- und Schularzt.<br />

Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg wird verneint.<br />

Wer Paul Keller gekannt hat, sah den<br />

Grund deutlich. Er war körperbehindert und<br />

litt an einer hochgradigen Kyphoskoliose –<br />

im Volksmund hieß es, er hatte einen Buckel.<br />

Die Ursachen für diese Skelettveränderungen<br />

waren öffentlich nicht bekannt. Er muss als<br />

Kleinkind entweder eine Rachitis oder eine<br />

Knochentuberkulose gehabt haben, die zu<br />

dieser schweren Körperbehinderung geführt<br />

hat. Es muss eine schwere akute Erkrankung<br />

gewesen sein, die der Familie viel Kummer<br />

bereitete.<br />

Studium der Medizin in Breslau, Straßburg<br />

und Marburg<br />

Er besuchte zunächst die Mittelschule in<br />

Schwiebus, war dann auf dem Gymnasium<br />

in Züllichau, legte im Herbst 1897 auf dem<br />

Gymnasium zu Breslau die Reifeprüfung ab<br />

und begann dort das Medizinstudium, wechselte<br />

aber bereits zum Sommersemester 1898<br />

auf die Universität in Straßburg, wo er das<br />

Physicum am Ende des Sommersemesters<br />

1899 ablegte. Danach ging er zum klinischen<br />

Studium an die Universität Marburg,<br />

wo er am 15. Juli 1902 das medizinische<br />

Staatsexamen bestand. Dort wurde er aufgrund<br />

einer an der chirurgischen Universitätsklinik<br />

gefertigten Dissertation „Ueber die<br />

Luxation des Talus“ am 2. Oktober 1902<br />

promoviert. Das Thema hatte er vom a.o.<br />

Prof. Eugen Enderlein (1861–1940), dem<br />

damaligen Oberarzt des Ordinarius für Chirurgie,<br />

Ernst Küster (1839–1930), erhalten.<br />

In der in der Wagnerschern Buchhandlung in<br />

Schwiebus gedruckten Dissertation bedankt<br />

er sich für die Unterstützung bei dem Anatomen<br />

Emil Gasser (1847–1919) und dem<br />

Prosektor am Anatomischen Institut Zumstein.<br />

Welche Tätigkeiten er bis zu seiner Niederlassung<br />

in seiner Heimatstadt ausgeübt hat,<br />

geht aus den eingesehenen Unterlagen nicht<br />

hervor. Wahrscheinlich hat er sich an verschiedenen<br />

Kliniken oder auf einer ärztlichen<br />

Bildungsreise fortgebildet. Die Approbationsordnung<br />

von 1901 hatte das<br />

Medizinalpraktikum in einer Universitätsklinik<br />

beziehunsweise anderen amtlich zugelassenen<br />

Krankenhäusern eingeführt. Für<br />

Keller war aber, da er sein Studium vor Erlass<br />

dieser Bestimmung begonnen hatte,<br />

diese Vorschrift noch nicht obligatorisch.<br />

1904 war die Niederlassung als Arzt nicht<br />

automatisch mit der Kassenzulassung verbunden.<br />

Diese erhielt er erst 1908. Zum Zeitpunkt<br />

seiner Niederlassung wirkten in Schwiebus<br />

mit 9511 Einwohnern und zwei Krankenhäusern<br />

fünf Ärzte. Wobei zu bedenken ist, dass<br />

auch die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften<br />

– soweit diese überhaupt ärztliche<br />

Hilfe in Anspruch nahm – mit versorgt werden<br />

musste. Die stationären Patienten in den beiden<br />

Krankenhäusern wurden damals – ehrenamtlich<br />

beziehungsweise „nebenamtlich“<br />

– von den niedergelassenen Ärzten in der<br />

Stadt mitversorgt.<br />

Im Vorstand des Ärztevereins<br />

Züllichau-Schwiebus<br />

Im Jahre 1933 scheint Paul Keller im Vorstand<br />

des Ärztevereins Züllichau-Schwiebus<br />

gewesen zu sein, denn von ihm ist eine Antwort<br />

auf eine Anfrage der Ärztekammer<br />

über einen Arzt in dem zum Kreis gehörenden<br />

Dorf Stensch erhalten. Keller erklärte für<br />

den Ärzteverein, dass er weder wisse, ob der<br />

Genannte sich niederlassen wolle, noch, ob<br />

er Arier ist. „Inzwischen sind mir auch privat<br />

Nachrichten zugegangen, die mir die Persönlichkeit<br />

des Herrn Dr. S. in etwas zweifelhaftem<br />

Lichte erscheinen lassen.“ Bisher habe<br />

er nichts unternommen und bittet um weitere<br />

Veranlassung. Dr. S. hat sich nicht in dem<br />

Dorf Stensch, das nach dem Reichs-Medizinal-Kalender<br />

für 1935 noch über keinen<br />

Arztsitz verfügte, niedergelassen, sondern<br />

ist als praktischer Arzt im Goldlauter Kreis<br />

Schleusingen in der Provinz Sachsen verzeichnet.<br />

In dem Kalender für das Jahr 1937<br />

ist er nicht als Jude gekennzeichnet.<br />

Über Einzelheiten der ärztlichen Tätigkeit<br />

von Paul Keller – der lange Zeit der Jüngste<br />

der Ärzte in Schwiebus war – als praktischer<br />

Arzt sind keine schriftlichen Aufzeichnungen<br />

überliefert. Bei der Gleichschaltung der ärztlichen<br />

Standesorganisationen nach der<br />

Machtübernahme scheint Keller nicht mit<br />

offiziellen Funktionen der NS-Standesführung,<br />

sowohl der Reichsärztekammer (Kurmark)<br />

als auch der KVD (Kurmark), betraut<br />

gewesen zu sein, trotzdem trat er als Vertrauensmann<br />

der Ärzte in Schwiebus ohne<br />

amtlichen Auftrag auf.<br />

Konkurrenz unter niedergelassenen Ärzten<br />

Aus dem Jahre 1937 ist ein Schriftwechsel<br />

erhalten, der zeigt, wie stark das Konkurrenzverhalten<br />

unter den niedergelassenen<br />

Ärzten auch in der entfernten Provinz war.<br />

Keller schrieb an den Vorsitzenden des Zulassungsausschusses<br />

der KVD für die Kurmark,<br />

Dr. Ideler, in Berlin-Grunewald, der<br />

auch gleichzeitig der Führer der Reichsärztekammer<br />

Gau Kurmark war:<br />

„Eine Kollegin aus Tirschtiegel sucht in<br />

Schwiebus eine Wohnung mit dem Hinweis,<br />

dass sie sich auf Veranlassung des Zulassungsausschusses<br />

für Brandenburg niederlassen<br />

will. Es ist mehrfach von hiesigen Kollegen<br />

darauf aufmerksam gemacht worden,<br />

dass u.E. Schwiebus mit Ärzten voll besetzt<br />

ist. – Fünf Praktiker und zwei zugelassene<br />

(1 Internist, 1 Chirurg) Krankenhausärzte<br />

und dass eine neue Zulassung unsere Existenz<br />

aufs Schwerste bedrohen würde, zumal<br />

in der Umgebung von Schwiebus sechs Ärzte<br />

niedergelassen sind. In dieser Beziehung<br />

liegen die Verhältnisse u.E. viel ungünstiger<br />

als in einem großen Teile der Provinz auch in<br />

der Nachbarschaft. Ich gestatte mir im Namen<br />

der übrigen Praktiker, Sie nochmal auf<br />

unsere Lage aufmerksam zu machen.“<br />

Ideler versah das Schreiben am 9. Februar<br />

1937 mit einem handschriftlichen Vermerk<br />

„soll sich an Dr. Seyffert wenden, der die<br />

Übersiedlung veranlasst hat“. Dieser war als<br />

Standesfunktionär auch für den Kreis Züllichau-Schwiebus<br />

„zuständig“. Was aus der<br />

Angelegenheit geworden ist, geht aus den<br />

Akten nicht hervor.<br />

<strong>Brandenburgisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong> 9/<strong>2007</strong> · 17. Jahrgang<br />

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