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Christliche Ethik im Religionsunterricht - Amt für kirchliche Dienste

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Susanne Schroeder<br />

Tun wir, was wir wollen oder wollen wir, was wir tun?<br />

Anmerkungen zum populärwissenschaftlichen Diskurs über die Willensfreiheit<br />

Für meine Kommilitonin war die Neurologie erledigt, als ihr unser<br />

Professor erklärte, ihre Tränen bei Tristan und Isolde seien lediglich<br />

das Ergebnis von Neuronenfeuer und Synapsengeklapper. Das<br />

war 1991. Mindestens 20 Jahre sind wir nun schon Zeugen der<br />

Erfolgsgeschichte „Hirnforschung“. Sie ist das Zauberwort der<br />

gegenwärtigen Wissenschaftsdiskussion, wenn man die zwischen<br />

Faszination und Erschütterung schwankenden Laien- und Feuilletonäußerungen<br />

auf diesem Niveau ansiedeln möchte. Hirnforschung<br />

ist eine Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts, ihr Stellenwert ist<br />

nur mit dem der Genforschung zu vergleichen. Beide scheinen das<br />

Lösungspotential nahezu aller Probleme zu bergen, egal ob von<br />

Schule oder Partnerfindung, von Religion oder Essstörungen die<br />

Rede ist. Denn <strong>für</strong> alles, was Herz oder Verstand bewegt, finden<br />

Forscher inzwischen ein neuronales Korrelat, das sie bunt fl<strong>im</strong>mernd<br />

auf Knopfdruck vor uns aufleuchten lassen und zum Ausgangspunkt<br />

gewagter Diskussionen machen. Wenn das Verhalten des Menschen<br />

neuronal best<strong>im</strong>mt sei, so wird gefragt, kann es dann einen<br />

freien Willen geben? Tun wir, was wir wollen oder wollen wir, was<br />

wir tun? Im Folgenden soll es um zwei Behauptungen gehen, die<br />

häufig zur Anwendung kommen, wenn es in Diskussionen um die<br />

menschliche Willensfreiheit geht: Um die These, wir könnten gar<br />

keine selbstständigen Entscheidungen treffen, sondern irgendetwas<br />

entscheide in uns – und um den Beleg <strong>für</strong> diese These in Form von<br />

bunten Computerbildern.<br />

Erste Behauptung: Der Blick ins Hirn zeige, wo wir Entscheidungen<br />

treffen.<br />

Was uns so bereitwillig den scheinbar klaren Erkenntnissen der<br />

Hirnforschung Glauben schenken lässt, sind die bunten Bilder,<br />

die als Beleg vorgelegt werden, um zu zeigen, wo unser Gehirn<br />

wie arbeitet. Hier wird nicht mehr nur schwarz auf weiß, sondern<br />

meist glühend orange-gelb vulkanausbruchartig der vermeintliche<br />

Nachweis <strong>für</strong> die jeweils neueste Entdeckung erbracht. Man soll<br />

dann sehen können, wo das Sympathiezentrum liegt oder der Ort,<br />

an dem eine antisoziale Persönlichkeitsstörung entsteht.<br />

„Bildgebende Verfahren“ nennt man diese Methode, und dahinter<br />

verbirgt sich neben der Positronen-Emissions-Tomographie (PET)<br />

meist die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), die<br />

vielen heutzutage von ihren eigenen Arztbesuchen her bekannt ist.<br />

Mit diesem weitgehend ungefährlichen Verfahren kann der Sauerstoffgehalt<br />

des Blutes in unterschiedlichen Gehirnarealen zu einem<br />

best<strong>im</strong>mten Zeitpunkt gemessen werden. Allerdings werden hier nur<br />

sehr schwache Signale gemessen, und die Umsetzung ist keineswegs<br />

so einfach, wie oft suggeriert wird. Die Bilder werden stark vom<br />

Computer bearbeitet und zeigten, als die Methode auf den Markt<br />

kam, lediglich mathematische Artefakte. Viele Ärzte betrachteten die<br />

Kernspintomographie aber trotzdem als eine Art magisches Röntgen.<br />

Eine Konvention, wie sie uns von Straßenkarten her geläufig ist,<br />

(dicke rote Linien repräsentieren größere Straßen als schmale gelbe<br />

Linien), hat sich bis heute nicht einheitlich durchgesetzt. So werden<br />

Farben von Labor zu Labor unterschiedlich verwendet. Gute Fachzeitschriften<br />

überprüfen inzwischen die ihnen eingesandten Bilder<br />

auf willkürliche Veränderungen digitaler Bildbearbeitung, denn es<br />

ist z.B. mittels Kontrastveränderungen leicht möglich, reale Effekte<br />

unsichtbar zu machen und Artefakte zu verstärken. Wissenschaftler<br />

täuschen dann nicht unbedingt, aber sie lassen sich von der großen<br />

Suggestionskraft dieser Bilder gern verführen, so der amerikanische<br />

Wissenschaftshistoriker Peter Galison. Deshalb muss man<br />

das „Bilderlesen“ lernen, und nicht jedes Bild spricht die gleiche<br />

Sprache. Wie überhaupt ein Bewusstsein da<strong>für</strong> entwickelt werden<br />

muss, dass wir es in der Naturwissenschaft bei der Beschreibung<br />

von Phänomenen häufig mit Metaphern zu tun haben.<br />

Konrad von Parzham und Bernadette von Lourdes:<br />

Die Durstigen tränken<br />

1•2010 ZEITSPRUNG I inhalte<br />

inhalte<br />

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