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Christliche Ethik im Religionsunterricht - Amt für kirchliche Dienste

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Michael Frentz<br />

Das Böse überwinden?!<br />

Ein Projekt von LER und Evangelischem <strong>Religionsunterricht</strong><br />

In einem gemeinsamen Projekt mit dem LER-Unterricht hatten<br />

wir uns 2002 dem Problem des Bösen erstmalig genähert. Ziel<br />

der Unterrichtseinheit war es, die Realität des Bösen nach dem<br />

11. September, dem Irakkrieg und zahllosen Beispielen aus dem<br />

Schüleralltag weder zu verklären, noch zu verharmlosen, an LER<br />

und Religion gestellte Fragen aber ernsthaft aufzunehmen. Die<br />

Wahrnehmungsfähigkeit und die Sprachfähigkeit der Schüler<br />

sollte gestärkt und die Frage nach der Möglichkeit, das Böse<br />

zu überwinden, erarbeitet werden. Das Thema wurde in der 10.<br />

Klasse nach folgenden Betrachtungsweisen untersucht:<br />

1. soziologisch; 2. psychologisch; 3. philosophisch/ethisch und<br />

4. theologisch.<br />

Als Nebeneffekt konnten die Schüler erleben, dass sich die verschiedenen<br />

Betrachtungsweisen sinnvoll ergänzen und eigene<br />

Koordinaten abgesteckt werden können. In der hier gebotenen<br />

Kürze soll ein kurzer Überblick über Verlauf und Inhalt gegeben<br />

werden.<br />

Setting<br />

Als Vorerfahrungen werden Collagen oder Bilder erstellt, in denen<br />

die Schülerinnen ihren Zugang, Erfahrungen, Fragen etc. zum<br />

Thema des Bösen darstellen können. Sie werden am Ende erneut<br />

aufgegriffen.<br />

Gemeinsam erarbeiten die Schüler dann einen theoretischen Input.<br />

Der Film: „American History X“ wird von den Schülern anschließend<br />

gemeinsam angesehen und eine Filmkritik geschrieben (zensiert<br />

in Religion bzw. LER). Die besten Kritiken werden von den<br />

Schülern ausgewählt und in der Schülerzeitung veröffentlicht. Im<br />

Fach Darstellendes Spiel fließt der Stoff in eine moderne Adaption<br />

von „Herr der Fliegen“ mit ein.<br />

Input<br />

Die Klasse wird in 4 Gruppen entsprechend der 4 Betrachtungsweisen<br />

(s.o.) aufgeteilt. In den Fachgruppen werden Handouts und<br />

Übersichtsbilder <strong>für</strong> die Klassenwände erarbeitet, die der Klasse<br />

vorgestellt und diskutiert werden und bei der Filmanalyse zum<br />

Einsatz kommen.<br />

Material/Inhalt<br />

1. Soziologie: Diese Gruppe konnte durch die Auswertung des<br />

in der 8. Klasse bereits gesehenen Theaterstückes: „Eins auf<br />

die Fresse“ <strong>im</strong> Grips Theater und der sich anschließenden Gerichtsverhandlung<br />

mit soziologischem Input bereits auf Material<br />

zurückgreifen. Dabei spielen die drei soziologischen Grundsäulen<br />

eine wichtige Rolle: 1. Liebe/Familie/Partnerschaft; 2. das soziokulturelle<br />

Wohnumfeld einschließlich der Hobbys, Vereine etc.<br />

und 3. die Arbeit bzw. Schule.<br />

Die Schülerinnen und Schüler konnten viele Zusammenhänge<br />

zu der alten Grundweisheit herausfinden, dass, wenn mehr als<br />

eine soziologische Grundsäule (z.B. Scheidung und Umzug)<br />

weg bricht, der Mensch in Gefahr ist, sich Ersatzformen <strong>für</strong> seine<br />

Lebensbestätigung zu suchen.<br />

erfahrungen<br />

2. Psychologie: Aus E. Fromms Buch „Die Seele des Menschen<br />

– ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen“ wird die zusammenfassende<br />

Übersicht (Ende Kapitel 5) vom Lehrer zur Verfügung<br />

gestellt und deren Bedeutung von den Schülern erarbeitet.<br />

Inhaltlich geht Fromm davon aus, dass die Seele bei jedem<br />

Menschen progressiv oder regressiv „wachsen“ kann. Den drei<br />

Wachstumstendenzen: Biophilie, Liebe zum Nächsten/zur Natur<br />

und Unabhängigkeit werden die drei entsprechenden Verfallssyndrome:<br />

Nekrophilie; Narzissmus und inzestuöse Symbiose<br />

gegenübergestellt. Sowohl die Begriffe als auch die Merkmale<br />

konnten die Schüler wiederum in kleineren Arbeitsgruppen erarbeiten<br />

und auf den Film u.a. bezogen vorstellen.<br />

3. Philosophie/<strong>Ethik</strong>: Ausgehend von ihrer exemplarischen Übersicht<br />

in Philosophiegeschichte durch „Sophies Welt“ in der 9.<br />

Klasse erstellen die Schülerinnen und Schüler selbstständig <strong>für</strong><br />

das Thema relevante Denkanstöße. Der Lehrer gibt mit Auszügen<br />

aus Susan Ne<strong>im</strong>ans Buch: „Das Böse denken – Eine andere Geschichte<br />

der Philosophie“ sowohl zu ethischen Problemen (Was<br />

soll ich tun? - z.B. der kategorische Imperativ kritisch hinterfragt)<br />

als auch zu philosophischen Problemen neue Impulse. Egal welchen<br />

Input die Schülerinnen und Schüler aus der Philosophie und<br />

<strong>Ethik</strong> einbringen, die herausgefundenen Fragen sind wichtiger als<br />

vermeintliche Antworten. Die Schülerinnen und Schüler brachten<br />

zu verschiedenen Epochen von der Antike bis Nietzsche und der<br />

Kritik jeder absoluten Idee zur Überwindung des Bösen bei Karl<br />

Popper interessante Fragestellungen ein.<br />

4. Theologie: In der theologischen Gruppe wurden viele Impulse<br />

aus dem gesamten <strong>Religionsunterricht</strong> eingebracht: Hiob, die<br />

Sintflut, der Turmbau zu Babel, Judas und die Apokalypse des<br />

Johannes u.a. Aus dem Heft „Religion betrifft uns“ (1/2005, 8)<br />

haben wir den Schülerinnen und Schülern vier grundlegende<br />

Punkte zum Weiterdenken mitgegeben:<br />

1. Theologische Rede vom Bösen nötigt dazu, das Böse auch<br />

<strong>im</strong>mer als eigene, existenzielle Möglichkeit jedes Menschen<br />

wahrzunehmen.<br />

2. Das konkrete Leid und das Opfer kommen in den Blick und<br />

nicht das statistische „Erklären wollen“. Wir lernen, unsere Ohnmacht,<br />

Fehlbarkeit, Schuldfähigkeit nicht durch gesellschaftliche<br />

oder sonstige Erklärungen zu relativieren. Das Böse stirbt nicht<br />

aus und bleibt Abgründigkeit und letzte Ungewissheit des Menschen<br />

über sich selbst und über andere. Es ist rational nicht völlig<br />

einholbar. (Rituale!)<br />

3. Der theologische Kontext verknüpft das Böse <strong>im</strong>mer mit Hoffnung,<br />

dass das Böse nicht das letzte Wort hat. Vergebung, Umkehr,<br />

Versöhnung bieten Möglichkeiten überhaupt die Last zu tragen,<br />

die wir als Täter oder Opfer erleben.<br />

4. Die Menschen brauchen nicht unversöhnlich und verbissen<br />

Schuld bei sich und anderen zu verfolgen, sondern können durch<br />

die Gnade Gottes den Kreislauf von Rache und Vergeltung verlassen.<br />

Die Gerechtigkeit Gottes ermöglicht somit auch einen freien<br />

Blick, um die Gesellschaft in kleinen Schritten <strong>im</strong> Sinne von Gerechtigkeit<br />

und Frieden zu verändern, was <strong>für</strong> die Überwindung<br />

des Bösen <strong>im</strong> christlichen Sinn zusammen gehört.<br />

1•2010 ZEITSPRUNG I erfahrungen<br />

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