Christliche Ethik im Religionsunterricht - Amt für kirchliche Dienste
Christliche Ethik im Religionsunterricht - Amt für kirchliche Dienste
Christliche Ethik im Religionsunterricht - Amt für kirchliche Dienste
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wesentlicher ist jedoch eine andere Frage: Was können solche zu<br />
Bildern geformten Aktivitäten des Gehirns aussagen, und welche<br />
Schlussfolgerungen lassen sich dadurch rechtfertigen? Ein<br />
Beispiel soll den Fragehorizont verdeutlichen: Wir alle arbeiten<br />
mit Computern, sie sind vielen zu einem einigermaßen vertrauten<br />
Werkzeug geworden, obwohl kaum jemand ihre innere Wirkungsweise<br />
kennt. Zu welcher Antwort kommt man wohl, wenn man in<br />
Analogie zu den Methoden der Hirnforschung fragt, welcher Teil<br />
eines Mittelklasse-Computers die größte Aktivität und damit die<br />
deutlichste Farbabgrenzung gegenüber den anderen Bereichen hat?<br />
Die Antwort ist erstaunlich:<br />
Wenn man sich einem aktiven Computer mit einer Wärmebildkamera<br />
nähern würde, wären als „heiß“ und damit farblich deutlich<br />
markiert das Netzteil, vor allem aber das Kühlaggregat zu erkennen.<br />
Festplatte und Prozessor wären schon nur noch als „sehr warm“ zu<br />
klassifizieren. Den höchsten Farbwert hätten also ausgesprochen<br />
s<strong>im</strong>pel konstruierte Teile, die lediglich der Bereitstellung von Energie<br />
oder dem Abtransport von Wärme dienen. Unter soziologischen<br />
Gesichtspunkten eine interessante Erkenntnis. In Hinblick auf die<br />
Werthaltigkeit allerdings ein verzerrendes Ergebnis – hätte der Prozessor<br />
als Herzstück des Rechners mit seinen Millionen winzigster<br />
Schaltungen in dieser Hinsicht doch nur eine untergeordnete Rolle.<br />
Es zeigt sich also, wie wenig der Befund „starke Aktivität“ <strong>im</strong> Grunde<br />
aussagen kann. Qualitative Funktionsunterschiede sind durch<br />
graduelle Wärmeunterschiede gar nicht darstellbar. Darüber hinaus<br />
arbeitet ja auch <strong>im</strong>mer der ganze Computer, wie auch das ganze<br />
Gehirn. Beide sind Systeme, in denen man eine Teilfunktion nur<br />
versteht, wenn man auch alle anderen Teilfunktionen verstanden hat.<br />
So einfach lässt sich das Gehirn also nicht in die Karten gucken.<br />
Zweite Behauptung: Der Blick ins Hirn zeige, dass nicht wir die<br />
Entscheidungen treffen.<br />
Die Ergebnisse der Hirnforschung werden in letzter Zeit sogar<br />
angeführt, um über Veränderungen der Rechtsprechung mit Auswirkungen<br />
bis in die Verfassung hinein nachzudenken. Denn wenn<br />
es <strong>für</strong> alles Wollen und Tun neuronale Vorbedingungen gibt, dann<br />
scheint vielen einsichtig, dass unsere Entscheidungen nicht aus Freiheit<br />
getroffen werden, sondern nur Folge eines neurobiologischen<br />
Uhrwerks sind, das unbeeinflussbar in uns arbeitet. So empfiehlt<br />
der Leiter des Frankfurter Max-Planck-Instituts, Wolf Singer, den<br />
Rechtsphilosophen, sie mögen den Schuldbegriff überdenken - <strong>im</strong><br />
Reich der hirnphysiologischen Kausalitäten gäbe es <strong>im</strong> strengen Sinne<br />
des Wortes nämlich gar keine Schuld, sondern nur Abweichungen<br />
von der „genetischen Normalverteilung“. Darf der Verbrecher dann<br />
noch <strong>für</strong> seine Tat bestraft werden? Wir tun nicht, was wir wollen,<br />
sondern wir wollen, was wir tun – so lautet die neue Kurzformel.<br />
Eine solche Betrachtungsweise hat Peter Bieri, inzwischen emeritierter<br />
Professor <strong>für</strong> analytische Philosophie der FU Berlin, als ein<br />
Stück abenteuerlicher Metaphysik bezeichnet. Bieri veranschaulicht<br />
seine Überlegungen am Beispiel der Betrachtung eines Gemäldes.<br />
Dieses kann man als einen physikalischen Gegenstand beschreiben,<br />
30 Kilogramm schwer und in Öl gemalt. Man kann es aber<br />
auch unter dem Aspekt seines Handelswerts betrachten. Oder seine<br />
ästhetischen Qualitäten ermessen - wobei man schon hier wieder<br />
in arge Schwierigkeiten gerät, wie man in der Kunstbetrachtung<br />
von Kant über Hegel bis Adorno nachlesen kann. Keine dieser Betrachtungsweisen<br />
ist nun näher an der Wirklichkeit als die andere,<br />
wir haben unterschiedliche Betrachtungen zu unterschiedlichen<br />
Fragestellungen. Diese unterschiedlichen Perspektiven darf man<br />
aber nicht einfach vermischen. Wenn jemand das Bild zerschneiden<br />
würde, weil er herausfinden will, was es bedeutet, würde man ihn <strong>für</strong><br />
12 inhalte I ZEITSPRUNG 1•2010<br />
verrückt erklären. Die chemische Analyse der Ölmischung gibt Auskunft<br />
über den Farbenmarkt eines best<strong>im</strong>mten Zeitalters, vielleicht<br />
auch über best<strong>im</strong>mte Vorlieben des Malers oder seine finanziellen<br />
Möglichkeiten, aber nicht über den Inhalt, die Ausdruckskraft oder<br />
den kulturellen Wert des Bildes. Schließt man vom Farbpigmentverhältnis<br />
auf den dargestellten Inhalt des Bildes, begeht man <strong>im</strong><br />
philosophischen Sinn einen Kategorienfehler: Man erzeugt einen<br />
so genannten Fehlschluss, der dadurch entsteht, dass man Termini<br />
einer best<strong>im</strong>mten Kategorie durch andere, nicht zu dieser Kategorie<br />
passende ersetzt. Es führt also eigentlich zu keinem Ergebnis, wenn<br />
wir Fragen, die sich auf einer Beschreibungsebene stellen, auf einer<br />
anderen beantworten wollen.<br />
Dies gilt auch in Hinblick auf den Menschen. Man kann ihn anthropologisch<br />
beschreiben, psychologisch, soziologisch und auch<br />
physiologisch - dazu könnte dann auch die Neurologie etwas sagen.<br />
Aber eine (computertomographische) Zerlegung des Menschen<br />
kann aus dem eben genannten Grund keine Antwort auf die Frage<br />
nach der Willensfreiheit geben. Es sei denn, man geht sehr frei mit<br />
dem Begriff der Freiheit um. Und damit sind wir be<strong>im</strong> nächsten<br />
Problem.<br />
Ein gut Teil der aufgeregten Diskussionen um die Fähigkeiten oder<br />
Möglichkeiten des Menschen, autonome Entscheidungen treffen zu<br />
können, erklärt sich aus einem geradezu fahrlässig lässigen Umgang<br />
mit dem Begriff der Freiheit. Mit ihr ist es nämlich so wie mit der<br />
Zeit. Man glaubt so lange, genau darüber Bescheid zu wissen, bis<br />
man erklären soll, was es ist. In Hinblick auf den Freiheitsdiskurs<br />
müsste man sich eigentlich der notwendigen Diskussion diverser<br />
Vorstellungen von Determinismus/Indeterminismus, Kompatibilismus/<br />
Inkompatibilismus, weichem und hartem Determinismus<br />
und allerlei weiteren Konfektstückchen der klassischen Philosophie<br />
hingeben. Ganz offenbar ist die Freiheit ein weites Feld. Für den<br />
Einstieg in die Diskussion genügt es aber vielleicht, in einem ersten<br />
Schritt zu klären, welche unausgesprochenen Vorstellungen von<br />
Freiheit hinter dem emphatischen Heureka vieler neurowissenschaftlicher<br />
Argumentationen stehen:<br />
• So ist es eine auch unter Wissenschaftlern offenbar weit verbreitete<br />
Meinung, dass die Freiheit des Willens durch nichts zu beeinflussen<br />
sei. Die Gedanken sind eben frei. Dann wäre der Beweis,<br />
dass der Wille von tausend Dingen <strong>im</strong> Gehirn abhängt, schon beachtlich.<br />
Aber so einen unbeeinflussbaren Willen kann sich niemand<br />
wünschen, stünde er doch quasi neben uns, wäre weder mit dem<br />
Körper, noch mit dem Charakter, dem Erleben oder dem Umfeld<br />
verknüpft.<br />
• Lange dominierten auch Auffassungen, nach denen der Wille<br />
durch nicht-physiologische, nämlich psychologische Faktoren<br />
best<strong>im</strong>mt sei. Dann wäre der Beleg <strong>für</strong> eine materielle Bedingtheit<br />
des Willens aufregend. Aber der Anhänger einer solchen Vorstellung<br />
dürfte dann auch noch nie ein Medikament genommen haben. Denn<br />
jede Tablette setzt Neurobiologie und Psychologie in ein Verhältnis<br />
zueinander. Natürlich ist das Mentale nicht vom Physischen zu<br />
trennen.<br />
• Man könnte auch der Auffassung sein, dass der Wille spontan<br />
entsteht. Dann mag es erschrecken, dass die Hirnforschung von<br />
Prozessen spricht, die stillschweigend hinter unserem Rücken ablaufen.<br />
Aber hat nicht Sigmund Freud den Unwillen darüber schon<br />
vor hundert Jahren ertragen müssen?