Christliche Ethik im Religionsunterricht - Amt für kirchliche Dienste
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evangelische Beitrag zur ethischen Bildung der Schülerinnen und<br />
Schüler zu sehen: in der Freiheit und <strong>im</strong> Diskurs. Dabei spielt der<br />
Gegenstand des Diskurses die entscheidende Rolle und ist nicht<br />
beliebig. Im Evangelischen <strong>Religionsunterricht</strong> geht es um das<br />
Evangelium, nicht um ein gesellschaftliches Problem, über das<br />
der Mantel des Evangeliums gelegt wird.<br />
4. Umsetzungen<br />
Daraus folgt als Aufgabe des Evangelischen <strong>Religionsunterricht</strong>s<br />
die Befähigung der Schülerinnen und Schüler, „Wertentscheidungen<br />
<strong>im</strong> Licht der christlichen Botschaft“ zu begründen. 21 Schülerinnen<br />
und Schüler brauchen eine Struktur, um Orientierung<br />
gewinnen zu können. Gelingen kann dies, indem Ästhetik und<br />
Performanz eine zentrale Rolle spielen. „Performanzphänomene<br />
heben die ästhetische Frage ins Ethische (und umgekehrt).“ 22<br />
Jede ästhetische Ausd rucksform zwingt sowohl den Darsteller<br />
als auch den Betrachter zur Auseinandersetzung. Indem Schülerinnen<br />
und Schüler sich in Lazarus hineinversetzen und als<br />
Lazarus sprechen, werden sie Teil des Geschehens und müssen<br />
sich in irgendeiner Weise verhalten. Indem sie der Konsequenz<br />
menschlichen Verhaltens nachspüren und zum Ausdruck bringen,<br />
verändern sie selbst ihre Einstellungen. Dies gilt genauso <strong>für</strong> die<br />
Betrachter, die hineingenommen werden in das Geschehen und so<br />
zum Teil desselben werden. Darsteller und Betrachter bedingen<br />
sich gegenseitig. Das Verhalten des reichen Mannes wird gerade<br />
<strong>im</strong> Gegenüber zu Lazarus verwerflich. Und die Armut des Lazarus<br />
wird offenbar <strong>im</strong> Gegenüber zum Reichtum des Mannes, vor<br />
dessen Haus er liegt.<br />
Ästhetik ist Illustration von Normen und Werten, doch geht sie<br />
darüber hinaus. Sie macht sichtbar. „So ist sie Wahr-Nehmung als<br />
spezifische D<strong>im</strong>ension von Wirklichkeit. Für religiöse Bildung<br />
ist dies höchst relevant. Und Wahr-Nehmung bleibt dabei nicht<br />
folgenlos“. 23 Der reiche Mann merkt – wenn auch freilich zu spät<br />
–, dass sein Verhalten auf der Erde Konsequenzen <strong>für</strong> das künftige<br />
Leben hat und deswegen will er Vorsorge treffen <strong>für</strong> seine fünf<br />
Brüder, damit sie aus der Wahrnehmung ihrer Umwelt lernen und<br />
ihr Verhalten ändern.<br />
Die Betrachtung und Reflexion ästhetischer Ausdrucksformen<br />
führt nicht nur zur Auseinandersetzung mit dahinter liegenden<br />
Werten und Normen, sondern kann auch zur Infragestellung<br />
oder Bestätigung eigener Wertvorstellungen beitragen, ist damit<br />
ethische Reflexion.<br />
Dies inkludiert Fragen der Performanz. 24 Schülerinnen und Schüler<br />
werden hineingenommen in christliches Verhalten, vollziehen<br />
nach, wie ein Verhalten christlich begründet aussehen kann.<br />
Hierbei wird die Verschränkung der drei Ebenen (Inhalte, Begründungen,<br />
Umsetzungen) ebenso sichtbar wie die Verbindung<br />
von Ästhetik und Performanz. Die als Performanz vorgetragene<br />
Handlung provoziert Deutungen und Identifikationen, motiviert<br />
zur Auseinandersetzung. Dies hat Auswirkungen auf die Schülerinnen<br />
und Schüler als Akteure performativer Handlungen und<br />
auf die Schülerinnen und Schüler als Betrachter performativer<br />
Handlungen. 25 Ethisches Lernen bedarf des Schauens und des<br />
Tuns. „Der Zuschauer ist als Wahrnehmender <strong>im</strong>mer auch zugleich<br />
ein Handelnder, denn er n<strong>im</strong>mt ja durch sein Tun – und<br />
sei es nur durch seine äusserlich passive aisthesis – und durch<br />
das, was mit ihm geschieht, auf den Verlauf der Aufführung<br />
Einfluss. Was <strong>im</strong>mer die Akteure tun, hat Auswirkungen auf den<br />
Zuschauer, und was <strong>im</strong>mer die Zuschauer tun, hat Auswirkungen<br />
auf die Akteure.“ 26<br />
Im Evangelischen <strong>Religionsunterricht</strong> geht es nun darum, nicht<br />
aktuelle ethische Themen (Gentechnik, Sterbehilfe etc.) zu setzen<br />
und anschließend nach biblischen, theologischen und kirchengeschichtlichen<br />
Begründungen zu fragen, sondern umgekehrt<br />
anhand biblischer und kirchengeschichtlicher Argumentationsstränge<br />
auf ethische Themen zu verweisen. Anhand der Schöpfungsgeschichten<br />
und des Psalms 104 lassen sich Fragen der<br />
Umwelt- bzw. Schöpfungsethik besprechen; die Gleichnisse vom<br />
barmherzigen Samariter und vom armen Lazarus und reichen<br />
Mann verdeutlichen das Verhalten gegenüber den Mitmenschen<br />
und anhand von Röm 12 und 13 kann verantwortliches Verhalten<br />
<strong>im</strong> Gemeinwesen thematisiert werden. Die Begründungszusammenhänge<br />
evangelischer <strong>Ethik</strong> können nicht auf einzelne Themen<br />
beschränkt werden. Die Gefahr eines an den Themen orientierten<br />
Vorgehens besteht darin, dass ein christlich-ethischer Schlenker<br />
produziert wird nach dem Motto: Was sagt denn eigentlich die<br />
Kirche zur In-vitro-Fertilisation?<br />
Das als möglicher Einwand vorgetragene Argument der Schülerorientierung<br />
greift deswegen zu kurz, weil nicht das Thema<br />
selbst schülerorientiert ist, sondern der am starken Sujet sich<br />
orientierende Unterricht. Schülerorientierung ergibt sich aus der<br />
Aufmerksamkeit der Lehrkraft gegenüber den Schülerinnen und<br />
Schülern. 27<br />
Als Beispiel <strong>für</strong> die Verbindung von ethischem Lernen mit Ästhetik<br />
und Performanz kann das diakonische Lernen dienen. Diakonie<br />
ist die ethische Lebensäußerung der Kirche und zugleich<br />
performativer Unterrichtsgegenstand. Diakonisches Lernen ist<br />
ein „Lernweg religiöser Bildung“, 28 der über Exkursionen und<br />
Praxisprojekte hinausgeht. Solche Praxisprojekte können nicht<br />
auf den <strong>Religionsunterricht</strong> reduziert werden, 29 genauso wie<br />
diakonisches Lernen nicht auf Praxisprojekte reduziert werden<br />
kann. 30 Schülerinnen und Schüler werden hineingenommen in<br />
religiöse Praxis, indem sie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter<br />
und seine Rahmenhandlung lesen und performativ zum<br />
Ausdruck bringen, indem sie sich an Spendenaktionen <strong>für</strong> „Brot<br />
<strong>für</strong> die Welt“ beteiligen, indem sie sich als Streitschlichter in die<br />
Tradition Jesu begeben, der sagte: „Selig sind, die Frieden stiften“.<br />
Auch hierbei verbinden sich Ästhetik und <strong>Ethik</strong>.<br />
Im Sinne eines performativen <strong>Religionsunterricht</strong>s ereignet sich<br />
ethisches Lernen <strong>im</strong> <strong>Religionsunterricht</strong> auch, ohne dass es intendiert<br />
ist. Aus der Orientierung am Evangelium folgt die sorgsame<br />
Wahrnehmung des Nächsten. Dadurch dass Schülerinnen und<br />
Schüler hineingenommen werden in eine religiös geprägte Welt,<br />
werden sie auch hineingenommen in eine christlich geprägte<br />
<strong>Ethik</strong>.<br />
Der spezifische Beitrag des <strong>Religionsunterricht</strong>s zur ethischen<br />
Bildung ist das Hineinnehmen der Schülerinnen und Schüler in<br />
christliches Verhalten. Ethische Bildung geschieht <strong>im</strong> <strong>Religionsunterricht</strong><br />
durch nicht mehr – vor allem aber durch nicht weniger<br />
– als durch die Hineinnahme in und die Teilhabe an christlicher<br />
Praxis und den Diskurs darüber.<br />
Mose und die Propheten reichen nicht, es bedarf der Ästhetik und<br />
der Performanz.<br />
Jens Kramer ist Studienleiter <strong>für</strong> Religionspädagogik <strong>im</strong> <strong>Amt</strong> <strong>für</strong> <strong>kirchliche</strong><br />
<strong>Dienste</strong>.<br />
1•2010 ZEITSPRUNG I inhalte<br />
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