Gemeindebrief 2011 06 November Dezember - Kirchengemeinde ...
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EG 16<br />
Die Nacht ist vorgedrungen<br />
„Die Nacht ist vorgedrungen“, so beginnt<br />
ein Adventslied nach Versen von<br />
Jochen Klepper, in der das Sehnen<br />
von der dunklen Nacht zum hell erleuchteten<br />
Tag besungen wird. Wir<br />
kennen die „Nacht“, sowohl die Nacht<br />
um uns herum als die in uns, ausgedrückt<br />
in Bildern: Jemand „sieht<br />
schwarz“, „tappt im Dunkeln“ oder<br />
„blickt nicht mehr durch“.<br />
Alle Religionen können als Antwortversuch<br />
auf das Dunkel des Lebens verstanden<br />
werden. Nur wer in die Tiefe<br />
geht, wer die Tiefpunkte des eigenen<br />
Lebens zu durchleiden wagt, wird<br />
ganz werden, heil und erlöst. „Nacht“<br />
bedeutet beides: Sie ist undurchschaubar,<br />
gefährlich und sie ist schützendes<br />
Dunkel, Raum des Vertrauens,<br />
erholsamer Schlaf.<br />
Die Nacht spielt auch in der christlichen<br />
Liturgie eine zentrale Rolle: Die<br />
Heilige Nacht, in der Jesus geboren<br />
wurde, die Osternacht, in der das<br />
neue Licht leuchtet, das alle Finsternis<br />
überwindet. In Taizé, wo ich mit Schülern<br />
schon mehrfach die Lichterfeier,<br />
in der der Auferstehung Jesu Christi<br />
gedacht wird, erleben durfte, kommt<br />
dies besonders zum Ausdruck, wenn<br />
sich das Licht in der schummrigen Kirche<br />
langsam zu einem glanzvollen<br />
Lichtermeer ausweitet.<br />
Die entscheidende Botschaft des Advent<br />
lautet: Die Nacht gehört zu unse-<br />
Advent<br />
19<br />
rem Leben dazu, aber es wird nicht<br />
Nacht bleiben. Auch im Dunkel der<br />
Krankheit, Hilflosigkeit, Unfreiheit,<br />
auch in der quälenden Frage nach<br />
dem „Warum?“ oder im Dunkel des<br />
Todes ist Gott anwesend. „Mitten im<br />
Unheil kommt das Heil auf uns zu“.<br />
Diese kraftvolle Hoffnungsbotschaft zu<br />
bezeugen, ist Auftrag der Kirche. Wir<br />
brauchen diese Visionen, die sich auf<br />
das beziehen, was Menschen und die<br />
Welt wirklich bewegt.<br />
In den Armenvierteln ebenso wie an<br />
den Börsenplätzen, in der „Religion“<br />
der Unterhaltungsindustrie bis zur Unterhaltung<br />
durch die Religionen. Die<br />
Adventsbotschaft verschweigt nicht<br />
das Dunkel, aber sie verheißt das<br />
Licht. Sie bringt nicht Vertröstung,<br />
wohl aber Trost. Sie ist durchaus politisch<br />
und sieht doch jeden einzelnen.<br />
Für diesen Glauben stehen auch die<br />
eindrucksvollen Verse von Jochen<br />
Klepper, der diese im Vorkriegsjahr<br />
1938 schrieb:<br />
Die Nacht ist vorgedrungen,<br />
der Tag ist nicht mehr fern.<br />
So sei nun Lob gesungen<br />
dem hellen Morgenstern!<br />
Auch wer zur Nacht geweinet,<br />
der stimme froh mit ein.<br />
Der Morgenstern bescheinet<br />
auch deine Angst und Pein.<br />
Matthias G. Hagenhoff