Gespaltene Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Belarus ...

enden der Belarusischen Staatlichen Universität Minsk ins Gespräch
mit ZeitzeugInnen des Zweiten Weltkrieges und mit belarusischen
HistorikerInnen. Ebenso gehörten „Fahrten“ zum Gelände des ehemaligen
Konzentrationslagers Trostenec bei Minsk oder zur Gedenkstätte
Chatyn‟ nordöstlich der Stadt dazu. Im Zentrum der Exkursion
stand – wie der Name des Seminars schon verrät – nicht der Zweite
Weltkrieg an sich, sondern seine Reflexion in der belarusischen Erinnerungskultur
sowohl in sowjetischer Zeit als auch nach der Unabhängigkeit
von Belarus‟ im Jahr 1991.
Als Einstieg in die Thematik der belarusischen Erinnerungskultur
und um einen lebendigen Eindruck von unserem Seminaralltag zu vermitteln,
sei in dieser Einleitung – in essayistischer Form – die Schilderung
der Ereignisse des sechsten Seminartages am Freitag, dem
2. November 2007, vorangestellt. An diesem Tag besuchte unsere aus
deutschen und belarusischen Studierenden bestehende Gruppe sowohl
die offizielle Gedenkstätte Chatyn‟ als auch die inoffizielle Gedenkstätte
Kurapaty. Er gibt unserer Ansicht nach am besten wieder, warum
im Titel dieses Bandes von einer gespaltenen Erinnerung an den
Zweiten Weltkrieg in Belarus‟ die Rede ist.
Ein Tag voller Gegensätze
Es ist ein Tag voller Gegensätze. Gegen Mittag besucht unsere Seminargruppe
das Gelände des ehemaligen belarusischen Dorfes Chatyn‟,
das 1943 mitsamt seiner BewohnerInnen von SS und Wehrmacht vernichtet
wurde. Hier befindet sich eine Gedenkstätte, die in der belarusischen
Erinnerungskultur einen zentralen Platz einnimmt. Denn die
noch in sowjetischer Zeit entstandene Gedenkstätte Chatyn‟ erinnert
nicht nur an die ermordeten BewohnerInnen des Dorfes, sondern sie ist
auch ein Gedenkort für alle Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges
auf dem Territorium des heutigen Belarus‟. 4
Die Bewertung und Gewichtung der Vernichtungserfahrung der
belarusischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg stellen heutzutage
keinen Streitpunkt mehr innerhalb der belarusischen Gesellschaft dar,
das „u“ der Bezug zur Kiever Rus‟ hergestellt werden soll. Das Adjektiv russisch heißt
auf Russisch russkij, auf Belarusisch ruski. Belarussisch – mit belarusischem „a“ aber
russischem „ss“ – ist eine nur scheinbar politisch korrekte Mischform.
4 Vgl. Astrid Sahm, Im Banne des Krieges. Gedenkstätten und Erinnerungskultur in
Belarus, in: Osteuropa 58, 2008, H. 6, S. 229-245, hier S. 230-234. Siehe auch die
Beiträge von Svenja Skeide und Alena Dakunova in diesem Band.
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