14. Elektronenmikroskopische Fraktographie - Möser, Martin
14. Elektronenmikroskopische Fraktographie - Möser, Martin
14. Elektronenmikroskopische Fraktographie - Möser, Martin
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<strong>14.</strong> <strong>Elektronenmikroskopische</strong> <strong>Fraktographie</strong><br />
M. MÖSER<br />
aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,<br />
VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1982, S. 341-358<br />
(vorliegendes Kapitel digitalisiert vom Autor im Oktober 2007)<br />
Ein Bauteil reagiert auf eine mechanische Überbeanspruchung mit Verformung oder/und Bruch<br />
(Gewaltbruch). Wesentlich geringere Belastungen können, wenn sie zyklisch aufgebracht<br />
werden, bereits zum sogenannten Ermüdungsbruch führen. Noch stärker verringert Korrosion die<br />
zur Bruchauslösung notwendige Last, nämlich als Schwingungsrisskorrosion bei zyklischer<br />
Beanspruchung und – unter bestimmten Voraussetzungen – als Spannungsrisskorrosion bei<br />
vorwiegend statischer Beanspruchung. Die gleiche negative Wirkung geht von hohen<br />
Temperaturen (indem sie Kriechvorgänge begünstigen) und von atomarem Wasserstoff aus. Die<br />
beim Bruch wirksamen Mikroprozesse (s. Kap. 13) beeinflussen die Ausbildung der Bruchfläche<br />
in mehr oder weniger spezifischer Weise, und zwar hauptsächlich auf mikroskopischem, in<br />
gewissem Umfang auch auf makroskopischem Niveau.<br />
Das Bemühen, die makroskopische Erscheinung eines Bruchs zu deuten, dürfte so alt sein wie<br />
die Herstellung und der Gebrauch von Werkzeugen und ihr Versagen durch Bruch. Als<br />
Makrofraktographie hat dieses Verfahren, evtl. unter Zuhilfenahme einer Lupe oder eines<br />
Stereomikroskops, heute noch seinen festen Platz in der Schadensanalyse inne [1, 2]. Die<br />
Begutachtung der Bruchfläche als Methode der Qualitätskontrolle wurde bereits von<br />
AGRICOLA in seiner „De Re Metallica“ erwähnt. Die erste umfassende Bruchflächenbeschreibung<br />
wurde 1722 von REAUMUR verfasst, der schon ein Mikroskop benutzte (s. [2]).<br />
Allerdings ermöglicht das Lichtmikroskop bei der Untersuchung der relativ rauen Bruchflächen<br />
wegen seiner geringen Schärfentiefe sinnvolle Vergrößerungen nur bis etwa 50-fach. Dieser<br />
Nachteil wurde umgangen, indem man sich bei höheren Vergrößerungen auf die Untersuchung<br />
des Rissverlaufs im Schliff beschränkte, also indirekte <strong>Fraktographie</strong> betrieb. In seinem<br />
Bestreben, doch noch Bruchflächendetails bei hohen Vergrößerungen mit dem Lichtmikroskop<br />
sichtbar zu machen, war C. A. ZAPFFE im Jahr 1939 erfolgreich. Trotz des Risikos, die<br />
Frontlinse seines Mikroskops an hervorstehenden Kristallitkanten zu beschädigen, gelang es ihm<br />
als ersten Schritt, die Spaltfacetten des wasserstoffinduzierten Sprödbruches abzubilden.<br />
ZAPFFE prägte auch den Begriff ,,<strong>Fraktographie</strong>“ (s. [2]).<br />
Mit der allgemeinen Einführung des Durchstrahlungs-Elektronenmikroskops (TEM =<br />
transmission electron microscope) wurde auch bald versucht, mittels Abdrucktechniken dessen<br />
große Schärfentiefe und hohes Auflösungsvermögen für die Bruchflächenabbildung auszunutzen.<br />
Diese Methode hat wesentliche Erkenntnisse über Bruchvorgänge liefern können [2], doch blieb<br />
sie mehr auf Probleme grundlegender Art beschränkt und wurde zur Aufklärung von Schadensfällen<br />
nur vereinzelt eingesetzt. Das ist darin begründet, dass es relativ schwierig ist, von stark
342<br />
strukturierten Bruchflächen artefaktfreie Abdrücke herzustellen; bei Schadensfällen werden<br />
außerdem Präparation und Auswertung durch Beläge, Verquetschungen und Korrosionsabtrag<br />
zusätzlich erschwert. Den allgemeinen Durchbruch für die (Mikro-)<strong>Fraktographie</strong> brachte erst die<br />
Einführung des Rasterelektronenmikroskops (REM) Mitte der sechziger Jahre, vor allem, weil<br />
mit ihm die Möglichkeit geschaffen wurde, Bruchflächen direkt zu betrachten [2-4]. Zusätzlich<br />
bietet das REM folgende Vorteile: Es lassen sich relativ große Proben untersuchen. Außer einer<br />
eventuellen Reinigung ist bei Metallen keine besondere Präparation erforderlich. Die Aufnahmen<br />
vermitteln einen stark räumlichen Eindruck, was die Interpretation vereinfacht. Große Bereiche<br />
können schnell durchmustert und bei einer Bruchflächenbeschädigung die noch erhaltenen<br />
Details leicht aufgefunden werden. Mit den erreichbaren niedrigsten Vergrößerungen (6- bis 30fach)<br />
lässt sich der Anschluss an das makroskopische Erscheinungsbild herstellen. Bei einem<br />
Auflösungsvermögen von 7 … 20 nm werden mit dem REM die bei fraktographischen<br />
Untersuchungen benötigten Abbildungsmaßstäbe, die selten über 10000-fach hinausgehen,<br />
problemlos beherrscht. Die günstigere Auflösungsgrenze des TEM, die bei Bruchflächenabdrücken<br />
ca. 3 … 5 nm beträgt, sichert diesem allerdings bei Ermüdungsbrüchen einen<br />
begrenzten Anwendungsbereich. Sofern das REM mit einem Spektrometer zur<br />
energiedispersiven Mikroanalyse (EDS; s. Kap. 9.) ausgerüstet ist, ergibt sich außerdem die<br />
Möglichkeit, die chemische Zusammensetzung interessierender Bruchflächendetails<br />
(Einschlüsse, Ausscheidungen, Beläge) mit Ausdehnungen von über 0,5 µm zu bestimmen.<br />
Je nachdem, ob eine Schadensprobe oder eine Laborprobe fraktographisch untersucht werden<br />
soll, ergeben sich unterschiedliche Fragestellungen. Bei Schäden wird gewöhnlich nach dem<br />
wirksamen Bruchmechanismus bzw. nach der schadensauslösenden Beanspruchungskomponente<br />
gefragt. Die REM-Untersuchung war dann erfolgreich, wenn anhand spezifischer<br />
Ausbildungsformen des Bruchgefüges der Bruch- bzw. Schädigungsmechanismus eindeutig<br />
festgelegt werden konnte, also eine genaue Diagnose vorliegt, denn die einzuleitenden<br />
Abhilfemaßnahmen können jeweils sehr unterschiedlicher Art sein. In der zerstörenden<br />
Werkstoffprüfung wird der Schädigungsmechanismus bewusst gewählt. Hier wird bei gegebener<br />
Werkstoffstruktur die jeweilige Beanspruchbarkeit eines Werkstoffes getestet, oder es wird nach<br />
der günstigsten Strukturvariante für einen bestimmten Einsatzzweck gesucht. Demzufolge<br />
interessieren mehr die Besonderheiten in der Rissausbreitung innerhalb einer Bruchart, die dann<br />
zur Deutung der jeweiligen Testergebnisse heran gezogen werden. Da unter definierten<br />
Bedingungen gearbeitet wird, stellt das hier erhaltene Bruchbild die entscheidende Vergleichsmöglichkeit<br />
für entsprechende Schadensfälle dar, das heißt, die <strong>Fraktographie</strong> hat die Bindungen<br />
zwischen Werkstoffforschung und der ehemals mit starkem trial-and-error-Charakter behafteten<br />
Schadensforschung wesentlich enger werden lassen. Unter Umständen wird dadurch ein Schaden<br />
zum aufschlussreichen Langzeittest aufgewertet, zumal es kaum möglich ist, alle im Einsatz<br />
möglichen Schädigungseinflüsse und deren Überlagerungen vorher ausreichend zu erfassen und<br />
zu simulieren.
343<br />
Von Bedeutung ist außerdem die Tatsache, dass die Bruchfläche auch Informationen<br />
hinsichtlich der das Bruchverhalten wesentlich mitbestimmenden Werkstoffstruktur enthält: Der<br />
spröde Gewaltbruch, ob nun trans- oder interkristallin, lässt die Korngröße sichtbar werden; beim<br />
interkristallinen Bruch zeigen sich eventuell noch Veränderungen an den Korngrenzen. Der<br />
transkristallin-duktile Bruch ist hervorragend geeignet, Inhomogenitäten, wie Ausscheidungen,<br />
Einschlüsse und auch Hohlräume freizulegen, da an ihnen die Rissbildung einsetzt. Sie können<br />
dann nach Art, Größe und Verteilung beurteilt werden [5] und sind außerdem der EDS<br />
zugänglich. In Analogie zur Metallographie am Schliff ließe sich auch von „Fraktometallographie“<br />
[6] oder einfacher von ,,Bruchmetallographie“ sprechen. Eine weniger<br />
aufwendige Art der Präparation ist kaum denkbar. Von Vorteil ist diese Methode besonders dann,<br />
wenn die zu untersuchenden Einschlüsse und Ausscheidungen zwar flächig ausgedehnt, aber sehr<br />
dünn sind, so dass sie mit der konventionellen Schlifftechnik nur schwierig zu erfassen sind<br />
(s. Abschn. <strong>14.</strong>2.). Zugleich erhält man Aussagen darüber, wie diese Inhomogenitäten das<br />
Bruchverhalten beeinflussen.<br />
Interessieren die Zusammenhänge zwischen Besonderheiten in der Rissausbreitung und<br />
unterliegendem Gefüge, z. B. bei mehrphasigen Werkstoffen, so empfiehlt es sich, die<br />
Bruchfläche wie einen metallographischen Schliff anzuätzen [6] oder einen Schrägschliff an die<br />
Bruchfläche zu legen und dann den Übergang von der Ätzzone zur Bruchfläche zu untersuchen.<br />
Erwähnt werden muss ein spezielles Verfahren [7], bei dem ein Teil der Bruchfläche zunächst<br />
abgedeckt und der frei gebliebene Teil elektrolytisch oder chemisch geätzt wird.<br />
Voraussetzung für eine Untersuchung im REM ist, dass die Bruchflächenstruktur wenigstens<br />
teilweise noch erhalten ist. Das wird bei Schadensfällen, wenn zwischen Rissentstehung und<br />
endgültigem Bruch eine größere Zeitspanne liegt, am ehesten in den zuletzt entstandenen<br />
Rissbereichen der Fall sein. Vorteilhaft ist es, einen noch nicht ganz durchgelaufenen Riss bzw.<br />
Nebenrisse aufzubrechen.<br />
Bei Schadensfällen ist oft eine Bruchflächenreinigung erforderlich. Als sehr geeignet hat sich<br />
die von DAHLBERG [8] angegebene Lösung (50 ml destilliertes Wasser, 3 ml konzentrierte<br />
Salzsäure, 4 ml 2 Butin-1,4-diol [35%-ige wässrige Lösung] als Inhibitor) erwiesen, wobei die<br />
Reinigung im Ultraschallbad erfolgen sollte.<br />
<strong>14.</strong>1 Brucharten und ihre mikroskopischen Merkmale<br />
a) Gewaltbruch<br />
Transkristallin-duktiler Bruch. Das Kennzeichen des makroskopisch duktilen Bruches, auch<br />
als Zähbruch oder Verformungsbruch bezeichnet, ist im Allgemeinen durch eine ausgeprägte<br />
transkristalline Wabenstruktur gegeben, welche sich an Einschlüssen und Ausscheidungen<br />
ausbildet (Abb. <strong>14.</strong>1a): Durch Dekohäsion oder Bruch dieser Partikeln setzt Hohlraumbildung<br />
ein. Im Verlauf der weiteren Dehnung nimmt die Größe der Hohlräume zu. Das dazwischen<br />
befindliche Material schnürt sich stark ein und wird schließlich abgeschert.
344<br />
a) b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>1 Transkristallin-duktiler Bruch<br />
a) Zweiphasiger CrNi-Stahl mit Mikroduplexgefüge, Wabenstruktur mit freigelegten<br />
Titaniumcarbonitriden; b) Verfestigter austenitischer Manganstahl: Zäher Gewaltbruch mit<br />
ausgedehnten strukturlosen Bereichen durch Gleitbanddekohäsion<br />
Stehen viele Fremdphasenpartikeln als Hohlraumkeime zur Verfügung, wie bei vergüteten<br />
Stählen mit ihren vielen fein verteilten Karbiden, ist der Wabendurchmesser klein, wobei<br />
allerdings nicht an jedem Partikel eine Wabe entsteht [4]. Die Tiefe der Waben kann als Maß für<br />
die Zähigkeit eines Werkstoffs angesehen werden. Wenn sich das Fließen in Gleitbändern<br />
lokalisiert hat und die Abgleitmöglichkeiten erschöpft sind, erfolgt die Trennung entlang dieser<br />
Gleitbänder [9]. Im Bruchbild finden sich dann ausgedehnte strukturarme oder strukturlose<br />
Bereiche, wie Abb. <strong>14.</strong>1b bei einem austenitischen Manganstahl zeigt, der durch Kaltverformung<br />
stark verfestigt wurde.<br />
Transkristalliner Sprödbruch (Spaltbruch). Die Körner werden längs kristallographischer<br />
Ebenen – bei Eisen die {100}-Ebene – aufgespalten. Die Risskeime bilden sich an Stellen, an<br />
denen die Gleitvorgänge behindert werden, also an Einschlüssen, Ausscheidungen (Abb. <strong>14.</strong>2a)<br />
und Korngrenzen (Abb. <strong>14.</strong>2b). Der in einem günstig gelegenen Korn (90 o -Lage zur Hauptbeanspruchungsrichtung)<br />
entstandene Riss teilt sich beim Überschreiten einer Korngrenze, wenn<br />
Orientierungsunterschiede auszugleichen sind, terrassenförmig auf. Die neuen Teilspaltebenen<br />
vereinigen sich im weiteren Rissverlauf unter Ausbildung größerer Scherstufen, was zu einem<br />
charakteristischen Flussmuster (river pattern) führt (Abb. <strong>14.</strong>2b).<br />
Bei zweiphasigem CrNi-Stahl, bei dem sich durch eine spezielle Wärmebehandlung<br />
(Schweißsimulation) der zähe Austenit an den Korngrenzen ausgeschieden hat, kann der Spaltriss<br />
diese nicht überschreiten. Die Körner brechen isoliert voneinander, und die Korngrenzenbereiche<br />
werden nachträglich duktil aufgetrennt; ein Flussmuster fehlt dementsprechend (Abb. <strong>14.</strong>2c).<br />
Feine Bruchlinien auf der Spaltfläche geben die lokale Rissausbreitungsrichtung innerhalb des<br />
Korns an (s. auch Abb. <strong>14.</strong>2a).
345<br />
a)<br />
c)<br />
d)<br />
Abb. <strong>14.</strong>2 Transkristalliner Sprödbruch (Spaltbruch)<br />
a) Ausscheidung als lokales Rissausgangsgebiet (25%-iger Chromiumstahl);<br />
b) von einer Korngrenze ausgehender Spaltbruch in Gussstahl, ausgeprägtes Flussmuster;<br />
c) zweiphasiger CrNi-Stahl: Spaltriss durch zähen Austenit an den Korngrenzen abgestoppt;<br />
d) Martensit-Spaltbruch in der Randzone eines vergüteten Bauteils. Versprödung als Folge<br />
einer unbeabsichtigten Aufkohlung im Härtungsbad<br />
Bei gehärteten oder vergüteten Stählen wird der Martensit ebenfalls entlang der {100}-Ebene<br />
gespalten. Die meist starken Orientierungsunterschiede zwischen benachbarten Martensitbereichen<br />
erschweren dem Spaltriss das Überschreiten der Korngrenzen und begünstigen damit<br />
Schervorgänge, um die ebenfalls isoliert voneinander entstandenen Einzelspaltflächen zu<br />
vereinigen. Deswegen treten Flussmuster hier auch weniger oder kaum in Erscheinung<br />
(Abb. <strong>14.</strong>2d).<br />
Interkristalliner Sprödbruch. Ein Sprödbruch kann sich entlang von Korngrenzen<br />
ausbreiten, wenn diese durch Segregationen, Oxidation oder auch Wasserstoffeinwirkung<br />
geschwächt sind.<br />
b)
346<br />
a) b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>3 Interkristalliner Sprödbruch<br />
a) Durch Überhitzung oxidierte Korngrenze, teilweise schon abgeblättert;<br />
b) interkristalliner Bruch durch Kohlenstoffsegregation (Einsatz-Direkthärtung)<br />
Eine Korngrenzenoxidation kann eventuell an abblätternden Korngrenzen erkannt werden<br />
(Abb. <strong>14.</strong>3a), auch gröbere Karbidausscheidungen werden zumindest andeutungsweise im REM<br />
sichtbar. Im Allgemeinen liegt jedoch die Stärke der versprödenden Korngrenzenfilme bzw.<br />
Segregationszonen im Bereich von atomaren Monolagen. Mit dem REM sind dann keine<br />
Besonderheiten an den Korngrenzen mehr zu erkennen (Abb. <strong>14.</strong>3b). Der Nachweis einer solchen<br />
Segregation bleibt speziellen Analysenverfahren, hauptsächlich der Auger-Elektronen-<br />
Spektroskopie (AES), vorbehalten.<br />
Interkristalliner Wabenbruch. Vom Hochtemperatur-Langzeitkriechen abgesehen, kommt<br />
es zu dieser Bruchart, wenn die korngrenzennahen Bereiche wesentlich weicher sind als das<br />
Korninnere. Aufmerksamkeit hat diese Bruchart deswegen gefunden, weil sie für die sogenannte<br />
Relaxationsrissigkeit – im Englischen bekannt als stress relief cracking – neben Schweißnähten<br />
kennzeichnend ist (Abb. <strong>14.</strong>4). Diese Risse finden sich vor allem nach dem Spannungsarmglühen<br />
warmfester bzw. stabilisierter hochlegierter Stähle und haben folgenden Entstehungsmechanismus:<br />
Beim Schweißen gehen in der überhitzten Zone neben der Schmelzlinie<br />
(Grobkornzone) die Karbide in Lösung. Beim Spannungsarmglühen scheiden sich die Karbide<br />
feindispers im Inneren der ehemaligen Austenitkörner aus, wodurch das Korninnere aufgehärtet<br />
wird. An den Austenitkorngrenzen verbleibt eine ca. 0,3 µm breite ausscheidungsfreie und damit<br />
relativ weiche Zone, die die Kriechvorgänge beim Spannungsabbau aufnehmen muss. Das<br />
Verformungsvermögen dieser Zone kann bereits bei Kriechdehnungen von 0,2 … 0,3% erschöpft<br />
sein, so dass sich zunächst feine Poren bilden, die sich zu einem Rissnetzwerk vereinigen<br />
[10, 11]. Wegen der geringen Gesamtverformung handelt es sich in diesem Fall trotz der<br />
Wabenstruktur auf den Korngrenzen makroskopisch um einen Sprödbruch.
347<br />
b) Ermüdungsbruch (Schwingungsbruch)<br />
Abb. <strong>14.</strong>4 Warmfester Stahl,<br />
Relaxationsrissigkeit:<br />
Korngrenzen mit feiner<br />
Wabenstruktur<br />
Ermüdungsrisse laufen entlang von Gleitebenen ein und sind dabei ungefähr unter 45 o zur<br />
Hauptbeanspruchungsrichtung orientiert (Stadium I). Nach dem ersten oder zweiten Korn<br />
schwenkt der Riss gewöhnlich in die 90 o -Lage ein (Stadium II). Das Stadium I ist vor allem bei<br />
Nickelbasislegierungen ausgeprägt: Die ebenen kristallographischen Flächen vermitteln den<br />
Eindruck eines transkristallinen Sprödbruches (Abb. <strong>14.</strong>6a). In Bruchbahnen angeordnete<br />
Schwingungsstreifen kennzeichnen, sofern sie im REM auflösbar sind und nicht verrieben oder<br />
verquetscht wurden, das Stadium II der Rissausbreitung. Die Regel, dass die Schwingungsstreifen<br />
den Rissfortschritt pro Lastwechsel markieren, dass ein Schwingungsstreifen also einem<br />
Lastwechsel entspricht, gilt für Streifenabstände von mehr als 0,5 µm. Darunter kann die Zahl der<br />
tatsächlich aufgebrachten Lastwechsel bis zu einer Größenordnung über dem Wert liegen, der<br />
sich aus der Streifenzählung ergibt [12]. Bei hohen Spannungsamplituden – im Zeitfestigkeitsbereich<br />
– sind die Schwingungsstreifen naturgemäß relativ breit (Abb. <strong>14.</strong>5b). Im Extremfall<br />
werden sie dem bloßen Auge sichtbar und zeigen im REM eine Wabenstruktur (Abb. <strong>14.</strong>5c). Bei<br />
niederzyklischer Belastung (10 -4 Hz) und hohen Temperaturen, z. B. bei Spitzenlast-Gasturbinen,<br />
wird der Rissfortschritt pro Lastwechsel durch Korngrenzenoxidation und Kriechvorgänge stark<br />
beschleunigt; die Risse verlaufen dann interkristallin [13]. Die in Abb. 15.5d in den<br />
Korngrenzenzwickeln sichtbaren Wabenfelder sind offensichtlich auf die mitwirkenden<br />
Kriechvorgänge zurückzuführen.<br />
c) Schwingungsrisskorrosion<br />
Die einer Wechselbeanspruchung überlagerte Korrosion beschleunigt die Rissausbreitung<br />
beträchtlich. Grundsätzlich kann jeder Elektrolyt bei jedem Metall wirksam werden [14].<br />
Korrosion ist ein zeitabhängiger Prozess. Folglich wird sie die Rissausbreitung dann stark<br />
beeinflussen, wenn die Belastungsfrequenz und außerdem die Lastamplituden bzw. die<br />
Spannungskonzentration niedrig sind.
348<br />
a) b)<br />
c) d)<br />
Abb. <strong>14.</strong>5 Ermüdungsbruch<br />
a) Ermüdungsrissausbreitung im Stadium I (Nickelbasislegierung), Oxideinschluss als Riss-<br />
Starter; b) Mess-Stutzen brach nach ca. 2000 Lastwechseln: breite Schwingungsstreifen;<br />
c) Rohrbruch nach ca. 40 Lastwechseln: Schwingungsstreifen mit Wabenstruktur<br />
(Ausschnitt); d) FeNi-Legierung, niederzyklische Ermüdung bei hoher Temperatur: Waben<br />
in den Korngrenzenzwickeln durch Kriechvorgänge<br />
Wenn die neu entstandenen Risswände sofort passivieren, wie das im Allgemeinen bei höher<br />
legierten Stählen der Fall ist, bleibt die Bruchstruktur erhalten, und die fraktographische<br />
Untersuchung gestaltet sich einfach. Schwieriger wird es, wenn, wie gewöhnlich bei unlegierten<br />
Stählen, die Risswände weiterhin der Korrosion unterliegen. Diesen beiden Möglichkeiten<br />
entspricht die Einteilung in Schwingungsrisskorrosion im „passiven“ bzw. „aktiven“ Zustand, die<br />
ursprünglich für das Verhalten der Probenoberfläche vor und während der Rissbildungsphase<br />
getroffen wurde [15].
349<br />
a) b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>6 Schwingungsrisskorrosion<br />
a) Gebrochene Turbinenschaufel – interkristalline Bruchanteile; b) Bruchbahnen mit Schwingungsstreifen,<br />
kristallographische Orientierung erkennbar (unlegierter Stahl)<br />
Als Beispiel für ,,passive“ Schwingungsrisskorrosion soll der Bruch einer Dampfturbinenschaufel<br />
aus 13%-igem Chromiumstahl dienen. Solche Brüche können gehäuft im Übergang vom<br />
Heiß- zum Nassdampfgebiet der Turbine auftreten, da hier günstige Möglichkeiten zur<br />
Anreicherung von Verunreinigungen gegeben sind, wobei hauptsächlich Chloride sich<br />
begünstigend auf Rissentstehung und -ausbreitung auswirken. Interkristalline Bruchanteile<br />
(Abb. <strong>14.</strong>6a) in einem Bereich, der etwas hinter dem Risseinlaufgebiet liegt, werden als<br />
Kennzeichen einer Schwingungsrisskorrosion gewertet [16]. Meistens findet sich auf der<br />
Blattfläche Lochfraß, und von einer solchen Lochfraßgrube ist der Riss oft auch gestartet [17].<br />
Als Beispiel für Schwingungsrisskorrosion im aktiven Zustand sei folgender Fall genannt:<br />
In Lochplatten aus unlegiertem Stahl, die im Betrieb starken Temperaturschwankungen durch<br />
abwechselnde Beaufschlagung mit Heiß- und Kaltwasser ausgesetzt waren, fanden sich zahlreiche<br />
Stegrisse. Die durch Aufbrechen freigelegten Rissflächen trugen dichte Rostschichten,<br />
unter denen sich im Wesentlichen Ätzstrukturen fanden. Nur im unmittelbaren Riss-Spitzenbereich<br />
waren die Bruchstrukturen noch erhalten geblieben (Abb. <strong>14.</strong>6b). Eine andeutungsweise<br />
kristallographisch orientierte Anordnung von Bruchbahnen und Ermüdungsstreifen lässt sich<br />
darauf zurück führen, dass der Riss im Wesentlichen den aktiven Gleitbändern folgte, die wegen<br />
ihrer hohen Versetzungsdichte bevorzugt angelöst wurden.<br />
d) Spannungsrisskorrosion<br />
Spannungsrisskorrosion setzt das Vorhandensein von Zugspannungen voraus. Als besonders<br />
wirksam hinsichtlich einer Schadensauslösung erweisen sich immer wieder Zug-
350<br />
a) b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>7 Spannungsrisskorrosion in CrNi-Stahl a) „Spaltbruch“; b) Grabenstrukturen<br />
Eigenspannungen, wie sie z. B. beim Schweißen, beim nachfolgenden Beschleifen der<br />
Schweißnähte oder durch Kaltverformung eingebracht werden. Im Gegensatz zur<br />
Schwingungsrisskorrosion ist die Spannungsrisskorrosion an bestimmte Kombinationen von<br />
Material und Medium gebunden. Am bekanntesten, weil volkswirtschaftlich am bedeutendsten,<br />
ist die Anfälligkeit der austenitischen Chromium-Nickel-Stähle gegenüber Chlorionen bei<br />
Temperaturen oberhalb von 80 o C. Unter stark sauren Bedingungen, so durch Zusatz von<br />
Schwefelsäure, oder bei Bedeckung der Stahloberfläche mit feuchten Chloridbelägen, ist<br />
Spannungsrisskorrosion hier auch bei tieferen Temperaturen (Raumtemperatur) möglich [18–20].<br />
Der Rissverlauf ist bei den genannten Stählen im Allgemeinen transkristallin. Das Bruchbild<br />
ähnelt dem des transkristallinen Sprödbruches (Abb. <strong>14.</strong>7a), der bei diesen duktilen Stählen sonst<br />
auch bei tiefen Temperaturen nicht auftritt. Spannungsrisskorrosion kann zumindest bei den<br />
Chromium-Nickel-Stählen als Ätzprozess verstanden werden: Entlang von kristallographischen<br />
Ebenen wachsen – vermutlich induziert durch lokal hohe Versetzungsdichten – Serien paralleler<br />
Tunnel ein, deren Zwischenwände durch die Zunahme der Tunneldurchmesser abgedünnt und<br />
unter Einfluss der anliegenden Zugspannung schließlich abgeschert werden. Dieser Mechanismus<br />
hinterlässt unter Umständen ausgeprägte Grabenstrukturen [20, 21] auf der Bruchfläche<br />
(Abb. <strong>14.</strong>7b).<br />
e) Wasserstoffinduzierte Rissbildung<br />
Gegenüber Wasserstoff sind im Wesentlichen die un- und niedriglegierten Stähle empfindlich,<br />
die austenitischen Stähle dagegen kaum 1) . Der Wasserstoff kann auf verschiedene Weise ins<br />
Material gelangen, wobei er zunächst immer im atomaren Zustand vorliegt und deshalb im<br />
Metallgitter sehr beweglich ist.<br />
1) Völlig resistent sind nur die Stähle mit hohem Nickelgehalt (20%) und daher stabilem Austenitgitter<br />
(ELIEZER, D. et al., Metallurgical Transactions 10A [1979] 935).
351<br />
Wasserstoff wird beim Gießen oder Schweißen von der Schmelze aufgenommen, wenn in diese<br />
Feuchtigkeit eingetragen wurde. Beim elektrolytischen Beschichten, beim Beizen sowie bei<br />
Korrosionsprozessen entsteht atomarer Wasserstoff, der in den Stahl eindiffundieren kann. Dort<br />
sammelt er sich bevorzugt in Bereichen hoher atomarer Fehlordnung, also an Korngrenzen,<br />
Phasengrenzen bzw. Einschlüssen oder in Gebieten hoher Versetzungsdichte, wodurch<br />
zusätzliche Spannungen aufgebaut werden [22]. Die eigentliche schädigende Wirkung des<br />
atomaren Wasserstoffes ergibt sich wahrscheinlich aus seiner Fähigkeit, die Trennfestigkeit des<br />
Gitters herabzusetzen (Dekohäsionstheorie [23]). Sofern der Wasserstoff sich an Einschlüssen<br />
oder auch in Mikrolunkern sammelt, geht er in den molekularen Zustand über. Damit wird er<br />
unbeweglich, kann aber beträchtliche Drücke entfalten und Hohlräume bilden bzw. aufweiten,<br />
was bei sehr weichen Stählen oder reinem Eisen zur Bildung von Blasen führen kann [22, 24].<br />
Die Empfindlichkeit eines Stahles gegenüber wasserstoffinduzierter Rissbildung nimmt mit<br />
steigender Festigkeit zu. So wurde die wasserstoffinduzierte Rissbildung (,,verzögerter<br />
Sprödbruch“) nach dem elektrolytischen Beschichten (z. B. Cadmieren) erst zum Problem, als<br />
man im Flugzeugbau die Festigkeit bestimmter Bauteile über 1250 MPa steigerte (s. [25]). Bei<br />
Stählen dieser Festigkeit sind die Korngrenzen das bevorzugte Gebiet der Rissbildung, wie<br />
Abb. <strong>14.</strong>8 belegt. Es handelt sich hier um eine Schraubenfeder (Zugfestigkeit ca. 1500 MPa) aus<br />
einer wasserhydraulischen Regelungseinrichtung. Die Feder war mit einer Schutzschicht aus<br />
Epoxidharz überzogen, die im Laufe des Betriebes rissig geworden war. Unter dem Einfluss des<br />
ständig vorhandenen Wasserfilms wurde infolge Lokalelementbildung die freigelegte<br />
Stahloberfläche stark korrodiert, und es bildeten sich Ätzgruben aus. Der bei der Korrosion<br />
entstehende atomare Wasserstoff führte zur interkristallinen Rissbildung in der unter Spannung<br />
stehenden Feder und schließlich zum Bruch. Bei den freigelegten Korngrenzen handelt es sich<br />
um die der ehemaligen Austenitkörner, die durch Segregationen markiert sind.<br />
Abb. <strong>14.</strong>8 Interkristalliner Bruch einer<br />
Schraubenfeder durch<br />
Wasserstoff
352<br />
Stähle mit Festigkeiten unter 1250 MPa, ungünstigenfalls liegt diese Grenze bei ca. 1000 MPa,<br />
sind gegenüber von außen eindringendem Wasserstoff, der beim elektrolytischen Plattieren oder<br />
durch Korrosionsvorgänge entsteht, wenig empfindlich. Trotzdem wird auch bei diesen Stählen<br />
Wasserstoffrissigkeit gefunden. Offensichtlich ist dies an zwei Voraussetzungen gebunden:<br />
– Das Wasserstoffangebot muss hoch sein. Das ist der Fall, wenn Wasserstoff mit der Schmelze<br />
aufgenommen wurde, oder wenn eine Korrosion in Gegenwart von Verbindungen abläuft, die<br />
die Rekombination des Wasserstoffes behindern, wie das bei der Korrosion durch Schwefelwasserstoff<br />
der Fall ist (s. [24, 26]). Außer Schwefelwasserstoff sind unter anderem<br />
Verbindungen des Phosphors (z. B. als PH3), des Arsens (As2O3), des Selens und auch Cyanide<br />
als Reaktionsgifte bzw. Promotoren bekannt [27].<br />
– Der im Gitter bewegliche, atomare Wasserstoff hat zwar einen gewissen versprödenden<br />
Einfluss, aber er ist zunächst nicht in der Lage, rissauslösend zu wirken. Vielmehr muss er erst<br />
extrem konzentriert werden. Das kann über die schon erwähnte molekulare Zwischenspeicherung<br />
in Poren und Einschlusshohlräumen erreicht werden.<br />
Zur Rissbildung kommt es dann, wenn diese relativ große Wasserstoffmenge in den atomaren<br />
Zustand zurückversetzt wird, was durch Fließvorgänge bewirkt werden kann. Dieser Effekt zeigt<br />
sich am deutlichsten bei den vom Schweißen her bekannten Fischaugen, die nachweislich erst<br />
beim Erreichen der Fließgrenze entstehen; man findet sie hauptsächlich auf den Bruchflächen<br />
von Schweißbiegeproben (Abb.<strong>14.</strong>9a). Über ihren Entstehungsmechanismus existiert folgende<br />
Vorstellung:<br />
a) b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>9 „Fischauge“ in Schweißnaht<br />
a) Der Wasserstoff hatte sich an einem Einschluss gesammelt und eine Pore gebildet.<br />
b) Feine Bruchfacetten, von Mikroporen durchsetzt
353<br />
Bei plastischer Deformation des Schweißgutes entstehen in den Wandungen von Wasserstoffporen<br />
neue Oberflächen, an denen der Wasserstoff adsorbiert wird. Dabei dissoziiert dieser und<br />
dringt atomar in das deformierte Gitter ein, wo er die Rissbildung bewirkt [28]. Der Rissverlauf<br />
ist bei den Schweiß-Fischaugen transkristallin (Abb. <strong>14.</strong>9 b). Die Bruchfacetten ähneln denen des<br />
Spaltbruchs, sind aber bei gleichem Gefügezustand wesentlich kleiner als diese und zeigen sich<br />
als verrundet oder verwölbt (,,botanische Blattmuster“ [29]). Die Ursache dafür ist, dass die<br />
Rissausbreitung weniger entlang von Spaltebenen, sondern hauptsächlich – wegen der starken<br />
Affinität des Wasserstoffs zu Versetzungen – entlang von Gleitebenen ({110}-Ebenen) erfolgt<br />
[30].<br />
Auf den gleichen Effekt sind grundsätzlich die sogenannten Unternahtrisse zurück zuführen,<br />
wie man sie gelegentlich unter den Kehlnähten von Stählen findet: Wasserstoff diffundiert beim<br />
Schweißen aus der erstarrenden Schmelze in die überhitzte Zone des Grundwerkstoffes. Dort<br />
sammelt er sich an den gewöhnlich reichlich vorhandenen, flach gewalzten Einschlüssen<br />
(vorwiegend Sulfide) und rekombiniert unter Aufbau eines wahrscheinlich beträchtlichen<br />
Innendrucks. Während des Abkühlens und der damit verbundenen Schrumpfungsvorgänge treten<br />
im Bereich des T-Stoßes senkrecht zur Walzrichtung (Dickenrichtung) starke Zugspannungen<br />
auf. Der Grundwerkstoff, dessen tragender Querschnitt durch die Einschlüsse geschwächt ist,<br />
kann durch Überlagerungen von Schrumpfspannung und Innendruck des Wasserstoffes so hoch<br />
belastet werden, dass es zum Fließen der metallischen Stege zwischen den Einschlüssen und dann<br />
zur Auslösung des Fischaugeneffektes kommt. Aus Abb. <strong>14.</strong>10a ist ersichtlich, dass die<br />
Sulfideinschlüsse als lokale Rissausgangsgebiete gedient haben und dass das transkristalline<br />
Sprödbruchgefüge die gleiche feine Strukturierung wie beim Fischauge aufweist.<br />
a)<br />
b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>10 Aufgebrochener Unternahtriss<br />
a) feinstrukturiertes transkristallines Bruchgefüge, Sulfideinschluss als lokales<br />
Rissausgangsgebiet;<br />
b) Restgewaltbruch neben dem Unternahtriss: Wabenbruch zwischen den Einschlüssen
354<br />
Beim nachträglichen Aufbrechen des Risses sind die metallischen Zwischenstege wieder unter<br />
Ausbildung von Wabenstruktur, also duktil, aufgetrennt worden (Abb. <strong>14.</strong>10b).<br />
Im Fall der Wasserstoffbeladung durch Schwefelwasserstoffangriff (Petrolchemie!) sind<br />
ebenfalls (Sulfid-) Einschlüsse bzw. deren Hohlräume der Ort der Wasserstoffansammlung. Da<br />
hier Wasserstoff kontinuierlich und in großen Mengen in den Stahl eindringt, können solch hohe<br />
Innendrücke aufgebaut werden, dass es durch Überlagerung mit der Lastspannung zum<br />
Fischaugeneffekt auch dann kommt, wenn die Einschlüsse weniger günstig für die<br />
Rissentstehung liegen als bei den Unternahtrissen. Das wird in Abb. <strong>14.</strong>11 an einer mit H2S-<br />
Lösung beaufschlagten Zugprobe gezeigt, die in Walzrichtung belastet worden war: Die<br />
Bruchfacette nimmt eindeutig ihren Ausgang an einer aufgeweiteten Einschlussspalte.<br />
Abb. <strong>14.</strong>11 Von aufgeweitetem<br />
Einschlusshohlraum<br />
ausgehende Bruchfacette in<br />
H2S-beaufschlagter<br />
Zugprobe<br />
<strong>14.</strong>2. Untersuchungen von Gefügeinhomogenitäten im REM<br />
(Bruchmetallographie)<br />
Sulfidverspritzungen. In geschweißten Platten aus höherfestem Baustahl wurden<br />
interkristalline Risse gefunden, die sich von der wärmebeeinflussten Zone des Grundwerkstoffes<br />
über die Schmelzlinie in das Schweißgut hinein erstreckten und eine Länge von bis zu 1 mm<br />
erreichten. Für die Untersuchung im REM wurden diese Risse aufgebrochen. In ihrer<br />
Nachbarschaft fanden sich im Grundwerkstoff Anhäufungen flacher Einschlüsse in der Art, wie<br />
sie bereits in Abb. <strong>14.</strong>10b gezeigt wurden. Auch hier handelte es sich im Wesentlichen um<br />
Sulfide (Eisen-Mangan-Sulfide). Entlang der Schmelzlinie waren die Sulfideinschlüsse auf- oder<br />
angeschmolzen und die Schmelze unter dem Einfluss der Schrumpfspannung auf die<br />
Austenitkorngrenzen ,,verspritzt“ worden [31, 32]. Das führte dort zur Entstehung flacher<br />
Mikrolunker mit farn- oder rosettenartigen Sulfid-Erstarrungsstrukturen (Abb. <strong>14.</strong>12a).<br />
Ähnliche Erscheinungen fanden sich in geschmiedeten Bauteilen, die überhitzt worden waren<br />
(Abb. <strong>14.</strong>12b). Da es sich um einen relativ reinen Stahl handelte, musste der Schwefel erst aus<br />
dem Korninneren an die Korngrenzen diffundieren, um sich dort als Schmelze zu sammeln.<br />
Denkbar ist auch, das bei der starken Kornvergröberung, die hier stattgefunden hatte, der
355<br />
Schwefel von den wandernden Korngrenzen mittransportiert und somit auf ihnen angereichert<br />
wurde [33]. Da zur Erzeugung von Sulfidverspritzungen hohe Verformungsspannungen<br />
erforderlich sind – ohne diese formt sich die Sulfidschmelze globular ein [31] – konnte unter den<br />
verschiedenen Wärmebehandlungen, denen das Bauteil unterworfen worden war, eindeutig das<br />
Glühen zum Schmieden als für die Überhitzung verantwortlich ermittelt werden. Die<br />
Temperaturen dürften beim Schmieden über 1300 o C gelegen haben – wie neben der<br />
Schmelzlinie einer Schweißnaht im vorher besprochenen Fall.<br />
a) b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>12 Sulfidverspritzungen<br />
a) Angeschmolzener Sulfideinschluss mit farn- und moosartigen Verspritzungsstrukturen;<br />
b) Verspritzungsfarn durch überhitztes Schmieden<br />
Nachweis von versprödenden Phasen. Schweißnähte aus austenitischem CrNiMo-Stahl<br />
hatten bei der Biegeprüfung versagt. Die Ursache wird in solchen Fällen der Bildung der Sigma-<br />
Phase zugeschrieben, deren metallographischer Nachweis im Schliff hier jedoch nicht<br />
überzeugend gelang. Bei der REM-Untersuchung der Bruchfläche fanden sich zahlreiche flache<br />
Mulden, die mit einer dünnen rissigen Phase ausgelegt waren, wobei die Rissigkeit das spröde<br />
Bruchverhalten dieser Phase kennzeichnet (Abb. <strong>14.</strong>13a).
356<br />
a) b)<br />
Abb. <strong>14.</strong>13 Spröde Phasen<br />
a) Sigma-Phase in CrNiMo-Stahl durch Aufbrechen freigelegt; b) aufgekohlter Schleuderguss<br />
(35% Ni, 25% Cr): Der Bruch hat sich ausschließlich an der Carbidphase orientiert.<br />
Mit der EDS konnte eine beträchtliche Erhöhung des Chromium- und Molybdängehaltes<br />
gegenüber der Matrix nachgewiesen werden, wie es in [34] für die Sigma-Phase beschrieben<br />
wird.<br />
Während in diesem Fall die metallische Matrix zwischen den Phaseneinlagerungen noch für<br />
eine gewisse Restduktilität sorgte, kann bei höheren Anteilen der spröden Phase die<br />
Rissausbreitung allein von dieser bestimmt werden. Auf solche Erscheinungen trifft man bei den<br />
meist mit 35% Nickel und 25% Chromium legierten Schleudergussrohren in Ethylenanlagen, die<br />
bei Temperaturen von ca. 1150 o C betrieben werden und einer Aufkohlung durch das Prozessgas<br />
unterliegen. Während dabei die metallische Matrix an Chromium verarmt, erhöht sich der<br />
Carbidanteil stark. Das zeigt sich im Bruchbild deutlicher als im Schliff, weil der Riss fast<br />
ausschließlich durch die karbidische Phase läuft und die metallische Matrix umgeht<br />
(Abb. <strong>14.</strong>13b). Zwangsläufig ist der Stahl in diesem Zustand bei Raumtemperatur sehr spröd.<br />
Die elektronenmikroskopische <strong>Fraktographie</strong> hat sich besonders seit der Einführung des REM<br />
zu einem Routineverfahren in der Werkstoffforschung entwickelt. Aus der Kenntnis des<br />
mikroskopischen Bruchverhaltens können sich Hinweise für eine gezielte Werkstoffoptimierung<br />
ergeben. Außerdem liefert eine Bruchflächenuntersuchung in gewissem Umfang Informationen<br />
über die Werkstoffstruktur. Für die Schadensforschung bedeutet die rasterelektronenmikroskopische<br />
<strong>Fraktographie</strong> einen Qualitätssprung, da die jeweilige Schadensdiagnose meist schneller<br />
und sicherer gestellt werden kann, als das vorher der Fall war. Das grundsätzliche Verständnis für<br />
Schädigungsprozesse hat sich wesentlich erweitert. Durch Kombination mit EDS und AES wird<br />
der Aussagewert einer Bruchflächenuntersuchung zusätzlich erhöht.
357<br />
<strong>14.</strong>3. Literatur<br />
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[32] MÖSER, M., SCHMIDT, V., Proc. 7. Congress on Materials Testing Budapest 1978, Vol. 2, p. 851<br />
[33] STEFFENS, H. D. et al. unveröff. (zitiert in: Bruchuntersuchung und Schadenklärung. – München<br />
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[34] WEISS, B.; HUGHES, C. W.; STICKLER, R., Praktische Metallographie 7 (1971) 582<br />
Als Standardwerk der Schadensforschung, in dem auch die elektronenmikroskopische <strong>Fraktographie</strong><br />
berücksichtigt wurde, ist anzusehen: Failure Analysis and Prevention (Metals Handbook, Vol. 10,<br />
8th Edition). – Ohio: ASM 1975<br />
Anmerkungen: Die Bilder wurden größtenteils neu eingescannt, die Rechtschreibung wurde<br />
aktualisiert. Der Seitenumbruch entspricht ungefähr dem Original, der Zeilenumbruch ist frei.<br />
Die Spannungsrisskorrosion wurde hier als mikroskopisches Ätzen dargestellt. Der Verfasser<br />
kam später zu der Einsicht, dass es sich um wasserstoffinduzierten Bruch handelt.<br />
Beim Reinigungsmittel wurde von inhibierter Salzsäure auf verdünnte Zitronensäure (15%)<br />
gewechselt.<br />
Eine überarbeitete Fassung dieses Kapitels ist in englischer Sprache erschienen:<br />
Fractography with the SEM (failure analysis). In: Electron Microscopy in Solid State Physics.<br />
Eds. H. Bethge and J. Heydenreich. Elsevier: Amsterdam–New York–Tokyo 1987; pp 366-385