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Musiktherapie innerhalb der Rehabilitation von Kindern mit ...

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Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI). Music Therapy Today (online), November,<br />

available at www.musictherapyworld.info<br />

<strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong><br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI)<br />

Karen Radbruch<br />

1985 werden in Australien die ersten Cochlear-Implantationen an gehörlosen<br />

Kin<strong>der</strong>n durchgeführt, ein Jahr später kommt es zu ersten Implantationen an<br />

Kin<strong>der</strong>n in Deutschland. Im Verlauf <strong>der</strong> vergangenen 15 Jahre steigt die Zahl<br />

<strong>der</strong> CI-versorgten Kin<strong>der</strong>n rapide an. Um bei den Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

eine optimale Hörentwicklung sicherzustellen ist neben <strong>der</strong> medizinisch und<br />

technisch-apperativen Versorgung beson<strong>der</strong>s die postoperative<br />

hörpädagogische För<strong>der</strong>ung und Betreuung <strong>der</strong> Patienten <strong>von</strong><br />

entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung. Im Rahmen dieser <strong>Rehabilitation</strong>smaßnahmen<br />

scheint sich zunehmend auch die <strong>Musiktherapie</strong> zu etablieren.<br />

Im folgenden sollen spezifische Inhalte und Ziele <strong>der</strong> musiktherapeutischen<br />

Arbeit im Rahmen dieser postoperativen Phase kurz skizziert werden. Eine<br />

Forschungsstudie zum Thema <strong>der</strong> kommunikativen Entwicklung <strong>innerhalb</strong><br />

<strong>der</strong> musiktherapeutischen Begegnung soll mögliche Entwicklungstendenzen<br />

und För<strong>der</strong>schwerpunkte in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> CI-versorgten Kin<strong>der</strong>n näher<br />

untersuchen und aufzeigen.<br />

Zunächst eine kurze Darstellung <strong>der</strong> Rahmenbedingungen: nach einer<br />

operativen Versorgung <strong>mit</strong> einem Cochlear Implant 1 (CI) sind die<br />

Voraussetzungen zu einem eingeschränkten physiologischen Hören<br />

gegeben und <strong>der</strong> eigentliche Hörlernprozeß beginnt. Für viele taubgeborene<br />

Kin<strong>der</strong> kommt es zum ersten Mal zu einem Hörerlebnis. <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong><br />

CI-versorgten Kin<strong>der</strong>n meint so<strong>mit</strong> die Begleitung und Unterstützung des<br />

langsamen Hineinwachsens <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in die Welt <strong>der</strong> Geräusche und <strong>der</strong><br />

Stimmen. Hierbei durchlaufen sie die gleichen Entwicklungsschritte wie<br />

Kin<strong>der</strong> ohne Hörschädigungen – lediglich zeitversetzt um einige Monate und<br />

Jahre. Unsere Aufgabe <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong>sphase ist es diese<br />

natürlichen Entwicklungsschritte im Auge zu behalten und Voraussetzungen<br />

dafür zu schaffen, daß diese Kin<strong>der</strong> auf ihrem Weg die notwendigen<br />

Erfahrungen machen können.<br />

1 Ein Cochlear Implantat ist eine elektronische Hörhilfe, die die ausgefallenen Funktionen <strong>der</strong> Cochlea<br />

technisch zu ersetzten versucht, d.h. die erfor<strong>der</strong>liche elektrische Reizung des Hörnervens wird durch<br />

das CI übernommen. Die äußerst komplexe Arbeitsweise des Innenohrs kann jedoch durch die<br />

Hörprothese nicht hun<strong>der</strong>tprozentig ersetzt werden.<br />

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Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI). Music Therapy Today (online), November,<br />

available at www.musictherapyworld.info<br />

Innerhalb dieses <strong>Rehabilitation</strong>sprozesses finden sich eine Reihe <strong>von</strong><br />

Arbeitsfel<strong>der</strong>n in denen Musik eine wichtige Rolle spielt:<br />

musikalische Sprachtherapie, Hörtraining <strong>mit</strong> Musikinstrumenten,<br />

musikalisch-rhythmische Erziehung und nicht zuletzt <strong>Musiktherapie</strong>.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> praktischen Arbeit ist es nicht immer möglich eine klare<br />

Trennung zwischen diesen Arbeitsbereichen zu ziehen und es ist ebenfalls<br />

unmöglich ein generalisiertes, standardisiertes Konzept für <strong>Musiktherapie</strong><br />

aufzustellen.<br />

Mein Anliegen ist es, den Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> und über die Musik zu begegnen und<br />

zu kommunizieren. Dies geschieht in einer sehr spielerischen Weise: es gibt<br />

zunächst keine Vorgaben, keine Regeln und keine Übungen. Die Kin<strong>der</strong><br />

können explorieren und ausprobieren was ihnen gefällt. Sie können <strong>innerhalb</strong><br />

dieses musikalischen Geschehens zu Entdeckern und Erfin<strong>der</strong>n werden und<br />

an ihre eigenen kreativen Möglichkeiten herangeführt werden. In dieser<br />

Phase versuche ich ihre Angebote aufzunehmen, sie zu erwi<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu<br />

erweitern und so<strong>mit</strong> einen ersten Kontakt aufzubauen. Von großer<br />

Bedeutung ist das Verständnis <strong>von</strong> musikalischer Aktivität als einer<br />

gemeinsamen Aktivität. Ich stehe ihnen als gleichberechtigter Spielpartner<br />

gegenüber ohne im Voraus zu wissen, wie sich das Spiel weiterentwickelt.<br />

Dieser Kontext läßt sich vielleicht als eine Art „musikalischer Spielplatz“<br />

charakterisieren. Hörgeschädigte Kin<strong>der</strong> sind vielfach in Trainingsprogramme<br />

eingebunden um in speziellen Übungen ihre Hör- und Sprechfähigkeiten zu<br />

verbessern und erweitern. So<strong>mit</strong> kann <strong>der</strong> spielerische Charakter <strong>der</strong><br />

<strong>Musiktherapie</strong> ein sinnvollen Gegenpol darstellen. Lernen und Entdecken<br />

aus dem Spiel heraus ist <strong>der</strong> natürliche Weg des Lernens bei Kin<strong>der</strong>n und wir<br />

müssen darauf achten, daß diese Kin<strong>der</strong> das Spielen nicht verlernen.<br />

Zu Beginn meiner praktischen Arbeit <strong>mit</strong> Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> CI habe ich häufig <strong>mit</strong><br />

Begrüßungslie<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> Klavierbegleitung begonnen o<strong>der</strong> auch erste<br />

Spielaktivitäten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> harmonischen Begleitakkorden ergänzt. Viele<br />

dieser Kin<strong>der</strong> reagierten eher ängstlich o<strong>der</strong> auch gelangweilt. Dies alles<br />

stellt schon hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an die Hörfähigkeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die erst<br />

am Anfang eines Hörlernprozesses stehen. Gesang <strong>mit</strong> harmonischer<br />

Klavierbegleitung könnte in diesem Kontext auch als „Sprache <strong>mit</strong> Störschall“<br />

charakterisiert werden. Beson<strong>der</strong>s im Erstkontakt ist es deshalb wichtig, das<br />

musikalische Angebot so klar und einfach wie möglich zu gestalten, um den<br />

Kin<strong>der</strong>n die Angst vor <strong>der</strong> neuen Situation und dem neuen Angebot zu<br />

nehmen - <strong>von</strong> diesem Ausgangspunkt läßt sich das musikalische Angebot<br />

je<strong>der</strong>zeit gemeinsam <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n verän<strong>der</strong>n und erweitern.<br />

Wir müssen den Kin<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> musiktherapeutischen Arbeit ausreichend<br />

Zeit geben, die Instrumente und <strong>der</strong>en Klänge zu entdecken (– auch wenn es<br />

manchmal nicht einfach ist für uns als Musiktherapeuten sich musikalisch<br />

„herauszuhalten“!). Erst wenn sich die Kin<strong>der</strong> als Urheber einer Klanges<br />

bewußt sind, den Kin<strong>der</strong>n dieser Klang vertraut ist, kann aufbauend darauf<br />

eine musikalische Interaktion o<strong>der</strong> ein musikalischer Dialog entstehen.<br />

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<strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI). Music Therapy Today (online), November,<br />

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Ziele <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> Cochlear Implant<br />

• Auf dem Weg in die Welt <strong>der</strong> Geräusche und Stimmen kann es für die<br />

Kin<strong>der</strong> nach eine CI-Operation eine erstes wichtiges Ziel sein das<br />

Interesse für die Instrumente und das Spielen auf den Instrumenten zu<br />

wecken und die Instrumente als Klanginstrumente zu entdecken.<br />

In <strong>der</strong> praktischen Arbeit bin ich vielfach Kin<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> ersten Monaten<br />

nach <strong>der</strong> CI-Versorgung begegnet. Sie zeigten häufig ein großes<br />

Interesse für die Instrumente – aber ihre Aufmerksamkeit war vielmehr<br />

auf die Schrauben <strong>der</strong> Trommeln gerichtet, sie haben die Buchstaben auf<br />

dem Xylophon entdeckt und sortiert o<strong>der</strong> sie haben ihre Gesichter in dem<br />

Metall <strong>der</strong> Trompeten gespiegelt. Ein Interesse für eine Spielaktivität im<br />

herkömmlichen Sinne war zunächst nicht immer zu beobachten...<br />

• Wenn es gelingt bei den Kin<strong>der</strong>n ein Interesse für den Klang <strong>der</strong><br />

Instrumente zu wecken können sie <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> musiktherapeutischen<br />

Arbeit ein breites Spektrum an Klängen und Tönen entdecken und<br />

kennenlernen.<br />

Ihr großer Frequenzumfang und ihre hohe Intensität macht Musik häufig<br />

zugänglicher für hörgeschädigte Menschen als Sprache. (vgl.<br />

PETURSSON, NEPPERT, 1996, S. 120, Abb. 41: Die Hörfläche des<br />

menschlichen Ohres)<br />

• Als weitere Konsequenz kann die musiktherapeutische Arbeit den Prozeß<br />

des Hörenlernens über den Aspekt des Entdeckens <strong>von</strong> Tönen und<br />

Klängen hinaus unterstützen: Unterscheiden, Identifizieren und<br />

Verstehen als weitere Stufen <strong>innerhalb</strong> des Hörlernprozesses können in<br />

<strong>der</strong> gemeinsamen musikalischen Aktivität erlebt und erfahren werden.<br />

• Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die auditive Wahrnehmung<br />

beim Instrumentalspiel eng <strong>mit</strong> dem eigenen Handeln verknüpft ist. Die<br />

Kin<strong>der</strong> können aktiv suchen – sie sind nicht passive Empfänger <strong>von</strong><br />

Höreindrücken.<br />

• Ein weiteres Ziel ist, daß die Kin<strong>der</strong> ihre Stimme neu erleben können und<br />

ohne die Anfor<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Lautbildung und sprachlicher Anfor<strong>der</strong>ung frei<br />

<strong>mit</strong> ihr experimentieren können.<br />

„Er (Anm.: ein Säugling <strong>mit</strong> Hörmin<strong>der</strong>ung) hört seine eigene Stimme<br />

nicht. Er spielt nicht <strong>mit</strong> seiner Stimme wie <strong>mit</strong> Händen und Füßen – er<br />

verstummt in <strong>der</strong> 2. Hälfte des ersten Lebensjahres (HILDMANN, 1999.<br />

S. 30). Nach einer CI-Operation müssen diese Kin<strong>der</strong> das Spielen <strong>mit</strong><br />

eigenen Stimme nachholen: schreien, quietschen, flüstern etc.. Und<br />

<strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> musiktherapeutischen Arbeit können wir diesem Angebot<br />

auf musikalischer Ebene begegnen: jede Stimme hat ihre Tonhöhe, ihre<br />

Dynamik, vielleicht einen Rhythmus etc.. Wir nehmen es so<strong>mit</strong> als ein<br />

musikalisches Angebot wahr.<br />

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Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI). Music Therapy Today (online), November,<br />

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• Daneben kann es gelingen, den Kin<strong>der</strong> einen neuen Weg anzubieten ihre<br />

Gefühle und Gedanken auszudrücken; Kin<strong>der</strong>, die in <strong>der</strong> Mehrzahl nur<br />

über reduzierte sprachliche Möglichkeiten verfügen. <strong>Musiktherapie</strong> kann<br />

zu einem Ventil <strong>der</strong> eigenen emotionalen Empfindlichkeit werden.<br />

• Darüber hinaus können die Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>Musiktherapie</strong> die Erfahrung<br />

machen, daß Musik auch <strong>mit</strong> CI bereichernd und lustvoll erlebt werden<br />

kann. Selbstvertrauen für die eigene musikalische Aktivität kann<br />

aufgebaut werden und Hemmschwellen überwunden.<br />

• Das breite Spektrum an kommunikativen Erfahrungsmöglichkeiten<br />

<strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> musikalischen Aktivität ist meiner Meinung nach das<br />

vielleicht wichtigste Ziel. Kommunikation die unabhängig ist <strong>von</strong><br />

lautsprachlichen Komponenten und sich an dem Hörbedürfnissen und<br />

Hörfähigkeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> orientieren kann.<br />

Da dieser letzte Punkt <strong>der</strong> zentraler Aspekte meiner Forschungsstudie ist,<br />

möchte ich an dieser Stelle ein wenig ausholen:<br />

Kommunikative Entwicklung<br />

Kommunikative Entwicklung beginnt sowohl bei hörenden als auch bei<br />

hörgeschädigten Kin<strong>der</strong>n sehr früh; schon im präverbalen Stadium macht<br />

das Kleinkind in <strong>der</strong> Interaktion zu seinen Bezugspersonen wichtige<br />

kommunikative Erfahrungen. Eltern strukturieren alltägliche Situationen und<br />

ihre Interaktions- und Kommunikationsangebote auf eine Weise, die zur<br />

Spracherwerbssituation werden.<br />

Die Hörschädigung schafft Bedingungen, die diese Interaktion gefährden und<br />

erschweren. Es ist nicht <strong>der</strong> hörgeschädigte Mensch selbst <strong>der</strong> im Kontakt zu<br />

seiner Umwelt behin<strong>der</strong>t ist, es ist ein Merkmal <strong>der</strong> Interaktion des<br />

Hörgeschädigten <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt in <strong>der</strong> er lebt, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> „hörenden Welt“.<br />

Sprachliche und zum Teil auch nichtsprachliche Austauschprozesse<br />

zwischen dem hörgeschädigten Kind und seiner hörenden Umwelt gelingen<br />

mühsamer und unvollständiger.<br />

Eine Vielzahl psychologischer Forschungsstudien haben sich <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

kommunikativen Entwicklung und Verhalten <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> Hörschädigung<br />

beschäftigt (z.B. NCHOLAS, GEERS und KOZAK,1994; LEDERBERG et al.,<br />

1998).<br />

Diese Untersuchungen kommen mehrheitlich zu dem Ergebnis, daß die<br />

kommunikative Entwicklung hörgeschädigter Kin<strong>der</strong> quantitativ wie qualitativ<br />

verzögert stattfindet.<br />

Zudem erscheint mir in diesem Zusammenhang die Tatsache wichtig, daß<br />

verbale Kommunikation immer auf nonverbale Kommunikation aufbaut. Auch<br />

dies wird in den genannten Untersuchungen deutlich.<br />

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Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

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In <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> hörgeschädigten Kin<strong>der</strong>n, in <strong>der</strong> Nachsorge und Rehaphase<br />

<strong>von</strong> CI-versorgten Kin<strong>der</strong>n steht das Erlernen <strong>der</strong> Lautsprache im Mittelpunkt<br />

– es darf jedoch nicht vergessen werden, daß die nonverbale kommunikative<br />

Entwicklung erst die Basis hierfür schaffen muß. Wir dürfen diese sich<br />

aufeinan<strong>der</strong> aufbauende Entwicklungsstufen nicht vergessen.<br />

„Several contemporary theories of language acquisition hold that the<br />

functional aspect of communication is the driving force in the acquisition of a<br />

formal language“ (NICHOLAS, GEERS, KOZAK, 1994. S. 133)<br />

Die Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten wird zum einen als treibende<br />

Kraft für den Spracherwerb gesehen, darüber hinaus auch als Grundlage für<br />

soziale Entwicklung, als Schlüssel zur sozialen Integration und Individuation.<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang: es geht hierbei um die kommunikative<br />

Entwicklung, nicht die sprachliche Entwicklung!<br />

Um die kommunikative Entwicklung zu begleiten und zu för<strong>der</strong>n ist die<br />

Schaffung spielerischer, kindgerechter Kommunikations- und<br />

Dialogsituationen dringend notwendig, die den beson<strong>der</strong>en Bedürfnissen<br />

hörgeschädigter Kin<strong>der</strong> Rechnung tragen. Wir müssen uns hierbei dem<br />

Entwicklungsstand <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> anpassen, ihren Hörfertigkeiten und ihrem<br />

Höralter 2 .<br />

Es gilt durch positive Kommunikationserlebnisse, durch entspannte und<br />

sichere Kommunikation den Kin<strong>der</strong>n wichtige Erfahrungsmöglichkeiten zu<br />

bieten und bei den Kin<strong>der</strong>n Neugierde und Spaß an <strong>der</strong> Interaktion zu<br />

entwickeln.<br />

Die <strong>Musiktherapie</strong> kann meines Erachtens genau diese<br />

Rahmenbedingungen schaffen: Musik als nonverbales Kommunikations<strong>mit</strong>tel<br />

hält ein breites Spektrum an kommunikativen Erfahrungen bereit, losgelöst<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> sprachlichen Komponente (s.a. ALDRIDGE, 1996, S.51ff).<br />

Seit 1999 habe ich die Möglichkeit im Rahmen eines Forschungsstipendiums<br />

diese Komponente <strong>der</strong> kommunikativen Entwicklung <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong><br />

musiktherapeutischen Arbeit näher zu untersuchen. Ich möchte mich an<br />

dieser Stelle bei <strong>der</strong> Andreas-Tobias-Kind Stiftung/Hamburg bedanken,<br />

die diese Studie finanziell ermöglicht hat.<br />

<strong>Musiktherapie</strong> <strong>mit</strong> hörgeschädigten Kin<strong>der</strong>n unter dem beson<strong>der</strong>en<br />

Aspekt <strong>der</strong> kommunikativen Verän<strong>der</strong>ung – eine Forschungsstudie<br />

Das Ziel dieser Studie ist es zu untersuchen, ob sich das kommunikative<br />

Verhalten <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> Hörschädigungen <strong>innerhalb</strong> des festgelegten<br />

Zeitraums <strong>von</strong> 10 <strong>Musiktherapie</strong>sitzungen signifikant verän<strong>der</strong>t. Konkret gehe<br />

ich hierbei die folgenden Fragestellungen nach:<br />

• Verän<strong>der</strong>t sich die Länge <strong>der</strong> interaktiven Phasen?<br />

2 Höralter = das Alter gerechnet ab dem Zeitpunkt <strong>der</strong> CI-Anpassung.<br />

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Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

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• In welchem quantitativen Verhältnis werden die Kommunikationsmodi<br />

Alternation und Ko-Aktivität verwendet?<br />

Die Aufteilung dieser 2 Kommunikationsmodi basiert auf den Theorien<br />

<strong>von</strong> Daniel STERN. <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> nonverbalen Kommunikation zwischen<br />

Mutter und Kind entdeckte er zwei parallele Kommunikationsformen:<br />

♦ die Ko-Aktivität, bei welcher Mutter und Kind gleichzeitig vokalisieren.<br />

Diese Kommunikationsform bedeutet eine stärkere emotionale<br />

Beteiligung und betont die gemeinsame Erfahrung.<br />

♦ die Alternation, bei welcher Mutter und Kind in einer dialogischen<br />

Struktur agieren und welche wichtig ist für den Austausch <strong>von</strong><br />

symbolischen Informationen (z.B. Lautsprache).<br />

Innerhalb <strong>der</strong> improvisierten Musik finden sich beide<br />

Kommunikationsmodi.<br />

• Ein weiteres Beobachtungskriterium sind die „Initiativen zur<br />

Kommunikation“, d.h. die unterschiedlichen Angebote bei<strong>der</strong> Spielpartner<br />

<strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> interaktiven Phasen, die <strong>von</strong> dem an<strong>der</strong>en Spielpartner<br />

weitergeführt werden. Verän<strong>der</strong>t sich Anzahl und Verhältnis <strong>der</strong> Initiativen<br />

zwischen Kind und Therapeutin?<br />

Es würde den Rahmen <strong>der</strong> Studie sprengen alle Sitzungen unter diesen<br />

genannten Punkten auszuwerten, deshalb habe ich mich bei <strong>der</strong> Auswertung<br />

auf je 2 Episoden aus <strong>der</strong> 1., 5. und 10. Sitzung beschränkt. Die Länge <strong>der</strong><br />

Episoden ist 2 Minuten und sie beinhalten die 2 Phasen größtmöglicher<br />

Interaktion zwischen Kind und Therapeutin in <strong>der</strong> jeweiligen Sitzung.<br />

In Zusammenarbeit <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frühför<strong>der</strong>stelle für hörgeschädigte Kin<strong>der</strong><br />

Bochum und <strong>der</strong> Schwerhörigenkin<strong>der</strong>garten Bochum habe ich im Rahmen<br />

dieser Studie <strong>mit</strong> 24 Kin<strong>der</strong>n im Alter zwischen 3 und 6 Jahren gearbeitet. 11<br />

<strong>von</strong> ihnen waren <strong>mit</strong> einem CI versorgt, die an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> HdO-<br />

Geräten. Alle Kin<strong>der</strong> waren eingebunden in ein För<strong>der</strong>konzept <strong>der</strong><br />

hörgerichteten Frühför<strong>der</strong>ung und hatten keine musiktherapeutischen<br />

Vorerfahrung. Zudem habe ich Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> Mehrfachbehin<strong>der</strong>ungen <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Studie ausgeschlossen.<br />

Im Folgenden möchte ich zwei Kin<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Studie vorstellen und anhand<br />

konkreter Beispiele aus den Therapien die Vorgehensweise und die<br />

Ergebnisse näher erläutern:<br />

Marvin ist vier Jahre alt, ein freundlicher, ruhiger Junge. Er spielt am liebsten<br />

für sich, ist aber sehr ausdauernd in seinen Aktivitäten, wenn man ihn alleine<br />

läßt.<br />

Bei Marvin wurde <strong>mit</strong> 1 Jahr eine beidseitige Taubheit diagnostiziert, <strong>mit</strong><br />

dreieinhalb Jahren bekommt Marvin ein CI. 3 Monate später lerne ich Marvin<br />

in <strong>der</strong> <strong>Musiktherapie</strong> kennen.<br />

Bei Marvin erfahre ich aus <strong>der</strong> Akte: „Er zeigt ein passives<br />

Kommunikationsverhalten auf verbaler Ebene, ...sporadischer Einsatz <strong>von</strong><br />

Gebärden“<br />

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In <strong>der</strong> ersten Sitzung ist Marvin sehr interessiert an den Musikinstrumenten:<br />

er berührt und untersucht sie - beson<strong>der</strong>s die Schrauben <strong>der</strong> Trommel - und<br />

spielt <strong>mit</strong> den Schlegeln herum. Mich scheint er kaum wahrzunehmen. Ein<br />

Interesse für den Klang <strong>der</strong> Instrumente ist zunächst nicht zu beobachten.<br />

Das erste Instrument, daß Marvin etwas länger spielt ist die Triangel.<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> 1. Sitzung:<br />

Marvin hat sich die Triangel ausgesucht. Er spielt auf <strong>der</strong> Triangel und<br />

untersucht und beobachtet die Drehbewegung des Instrumentes. Er wirkt<br />

sehr konzentriert und versunken.<br />

Ich spiele Klavier – ebenfalls in <strong>der</strong> hohen Lage. Ich bemühe mich sein Spiel<br />

aufzugreifen und in seinen Pausen zu i<strong>mit</strong>ieren.<br />

Ein gerichtetes Hören auf seine eigene Spielaktivität entwickelt sich – ein<br />

gerichtetes Hören auf mein musikalisches Angebot scheint noch einen Schritt<br />

zu früh. So<strong>mit</strong> ist noch kein Platz für eine musikalische Interaktion.<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> 10. Sitzung:<br />

Wir sitzen uns an 2 Kongas gegenüber; ein Wechselspiel entwickelt sich und<br />

es entsteht eine lange Phase gerichteter Aufmerksamkeit für das<br />

gemeinsame Tun. Marvin nimmt musikalische Angebote seines Gegenübers<br />

wahr und reagiert entsprechend. Darüber hinaus bringt er eigene Ideen in die<br />

gemeinsame Spielaktivität ein. Eine <strong>der</strong>artige Phase an konzentrierter und<br />

gerichteter Aufmerksamkeit ist für Marvin zu diesem Zeitpunkt<br />

außergewöhnlich.<br />

Marvin ist ein Junge <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> Studie, bei dem sich die Phasen <strong>von</strong><br />

Interaktion deutlich verlängert haben und dieses Ergebnis stellt sich in<br />

meinen Auswertungen wie folgt dar:<br />

Grafik I<br />

Sekunden<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

Marvin: "Interaktion"<br />

Interaktion findet statt Interaktion findet nicht statt<br />

11<br />

172<br />

55<br />

7<br />

166<br />

1 2 3<br />

79 54<br />

Episoden: 1 aus1.Sitzung, 2 aus 5.S., 3 aus 10.S.


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Dieses Ergebnis belegt eindeutig, daß Marvin <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> musikalischen<br />

Aktivität Möglichkeiten <strong>der</strong> Interaktion entdeckt und erweitert hat und<br />

grundlegende Erfahrungen bezüglich seiner kommunikativen Entwicklung<br />

sammeln konnte: die Fähigkeit auf Klänge zu hören und adäquat darauf zu<br />

reagieren als ein unerläßlicher Aspekt <strong>von</strong> Kommunikation überhaupt.<br />

Bis heute sind die Auswertungen <strong>der</strong> Videos <strong>von</strong> 10 <strong>der</strong> 11 Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> CI<br />

abgeschlossen und bezogen auf diese Gruppe findet sich bei 7 weiteren<br />

Kin<strong>der</strong>n die gleichen Tendenzen bezüglich <strong>der</strong> Länge <strong>der</strong> interaktiven<br />

Phasen. Mit allen diesen Kin<strong>der</strong>n habe ich <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> ersten 18 Monate<br />

nach ihrer CI-Anpassung gearbeitet.<br />

Ein zweites wichtiges Ergebnis ist die Auswertung <strong>der</strong> Spielstruktur <strong>innerhalb</strong><br />

<strong>der</strong> interaktiven Phasen:<br />

Grafik II<br />

Sekunden<br />

150<br />

100<br />

Marvin: "Interaktion/Spielstruktur"<br />

Co-Aktivität Alternation<br />

50<br />

0<br />

5 6<br />

8<br />

25 14<br />

24<br />

1 2 3<br />

Episoden: 1aus 1.Sitzung, 2 aus 5.S., 3 aus 10.S.<br />

134<br />

Es wird deutlich, daß sich Interaktion häufig zunächst in <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong><br />

Alternation aufbaut und dies ist mehr als verständlich betrachtet man das<br />

Höralter <strong>von</strong> Marvin.<br />

Bei den weiteren 7 Kin<strong>der</strong>n, bei denen eine Verlängerung <strong>der</strong> interaktiven<br />

Phasen zu beobachten ist, findet sich ebenfalls eine Dominanz des<br />

Kommunikationsmodus Alternation.<br />

„...das Erstellen einer Dialogstruktur, die die Über<strong>mit</strong>tlung <strong>von</strong><br />

Bedeutungsinhalten erst ermöglicht, ist <strong>der</strong> erste wichtige Schritt zur<br />

Kommunikation“ (ALDRIDGE, 1999. S. 59).


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Ganz an<strong>der</strong>s stellen sich die Ergebnisse <strong>von</strong> Niklas dar:<br />

Niklas ist ein großer, temperamentvoller 6-jähriger Junge. Innerhalb <strong>der</strong> 10<br />

Sitzungen hat er beim Trommelspielen 3 Schlegel zerbrochen...<br />

Bei Niklas wird die Hörschädigung <strong>mit</strong> 4 Monaten diagnostiziert. Im Alter <strong>von</strong><br />

3 Jahren bekommt Niklas ein CI. Er akzeptiert es zunächst nicht, erst etwa<br />

ein halbes Jahr später. Als ich Niklas kennenlerne liegt die Erstanpassung<br />

schon zweieinhalb Jahre zurück.<br />

Aus seiner Akte erfahre ich: „Er weiß um den kommunikativen Charakter <strong>der</strong><br />

Lautsprache, bemüht sich zunehmend sie einzusetzen“.<br />

Betrachten wir die Grafik bezüglich <strong>der</strong> Länge <strong>der</strong> interaktiven Phasen bei<br />

Niklas:<br />

Grafik III<br />

Sekunden<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

Niklas: "Interaktion"<br />

Interaktion findet statt Interaktion findet nicht statt<br />

180<br />

51<br />

9<br />

182<br />

56<br />

168<br />

1 2 3<br />

65<br />

Episoden: 1 aus 1. Sitzung, 2 aus 5. S., 3 aus 10.S.<br />

Eine Verlängerung <strong>der</strong> interaktiven Phasen läßt sich nicht beobachten – die<br />

Tendenz ist eher gegensätzlich. Innerhalb <strong>der</strong> Studie finden sich bei 3<br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> CI keine deutlichen Verän<strong>der</strong>ungen bezüglich <strong>der</strong> Länge <strong>der</strong><br />

interaktiven Phasen. Alle diese Kin<strong>der</strong> tragen das CI seit mehr als 1 _<br />

Jahren. Bei einem Kind ist eine deutliche Verkürzung <strong>der</strong> interaktiven Phasen<br />

zu beobachten.<br />

Dennoch läßt sich auch bei Niklas eine deutliche Verän<strong>der</strong>ung seines<br />

kommunikativen Verhaltens feststellen. Dies möchte ich wie<strong>der</strong>um <strong>mit</strong> einem<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> 1. und 10. Sitzung verdeutlichen:


Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

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Beispiel aus <strong>der</strong> 1. Sitzung:<br />

Niklas spielt kräftig und temperamentvoll <strong>mit</strong> einem Schlegel auf <strong>der</strong> großen<br />

Trommel, ich sitze am Klavier. Niklas unterbricht sein Spiel immer wie<strong>der</strong> und<br />

wartet auf meine Einsätze. Er macht die Vorgaben, ich i<strong>mit</strong>iere sein Spiel. An<br />

2 Stellen gebe ich neue Impulse und Verän<strong>der</strong>ungen, Niklas scheint meine<br />

Angebote nicht wahrzunehmen. Gegen Ende spiele ich in einem klaren,<br />

prägnanten Metrum durch – ohne Pause. Niklas schaut erstaunt, fast empört<br />

und wartet bis ich letztenendes doch eine Pause mache...<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> 10. Sitzung:<br />

Ich spiele 2 Kongas in einem gleichmäßigen, gehendem Tempo. Niklas sitzt<br />

am Klavier und steigt in mein Tempo ein – zusammen spielen wir eine kurze<br />

Phase. Als ich etwas leiser werde paßt Niklas sich dem an. Es entwickelt<br />

sich ein dialogisches Spiel, Niklas findet sehr freie und experimentelle<br />

Spielmöglichkeiten auf dem Klavier. Gegen Ende wechselt <strong>der</strong><br />

Kommunikationsmodus erneut und wir spielen gemeinsam kräftig<br />

durchlaufende Phrasen, unterbrochen <strong>von</strong> gemeinsamen Pausen, die Niklas<br />

durch ein deutliches Heben <strong>der</strong> Arme bestimmt.<br />

An diesen zwei Beispielen wird deutlich, daß sich die Qualität <strong>der</strong> Interaktion<br />

<strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> 10 Sitzungen verän<strong>der</strong>t hat. In <strong>der</strong> ersten Sitzung ist es Niklas,<br />

<strong>der</strong> nahezu ausschließlich die Interaktion bestimmt und führt; <strong>der</strong><br />

Kommunikationsmodus ist ausnahmslos die Alternation.<br />

In <strong>der</strong> 10. Sitzung finden sich beide Kommunikationsmodi, Alternation und<br />

Ko-Aktivität. Die Qualität <strong>der</strong> Beziehung verän<strong>der</strong>t sich.<br />

Interaktion bedeutet nicht die I<strong>mit</strong>ation einer bestimmten Anzahl <strong>von</strong><br />

Trommelschlägen, einer speziellen Dynamik o<strong>der</strong> Lautstärke. Die Interaktion<br />

hat sich aus dem eher statischen Beginn heraus gelöst und ist zunehmend<br />

freier und variabler geworden.<br />

Darüber hinaus stellt die gemeinsame Aktivität i.S. <strong>der</strong> Ko-Aktivität höhere<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an das Hören selbst.<br />

In <strong>der</strong> Studie finden sich bei 8 <strong>der</strong> 10 Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> CI Verän<strong>der</strong>ungen bezüglich<br />

<strong>der</strong> Verwendung <strong>der</strong> Kommunikationsmodi.<br />

In <strong>der</strong> 10. Sitzung läßt sich zudem beobachten, daß beide Spieler Initiativen<br />

einbringen die <strong>von</strong> dem an<strong>der</strong>en Spielpartner aufgegriffen werden; das<br />

Verhältnis <strong>der</strong> beiden Spielpartner zueinan<strong>der</strong> wird zunehmend<br />

gleichberechtigt.<br />

In <strong>der</strong> Grafik zeigt sich diese Verän<strong>der</strong>ung wie folgt:<br />

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Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI). Music Therapy Today (online), November,<br />

available at www.musictherapyworld.info<br />

Grafik IV<br />

Grafik V<br />

Anzahl <strong>der</strong> Initiativen<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Sekunden<br />

Niklas: "Interaktion/Spielstruktur"<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

Co-Aktivität Alternation<br />

0<br />

180<br />

11<br />

63<br />

119<br />

1 2 3<br />

Episoden: 1 aus 1.Sitzung, 2 aus 5.S., 3 aus 10.S.<br />

Niklas: "Initiativen"<br />

Niklas Therapeutin<br />

81 86<br />

1 2 3 4 5 6<br />

Episoden:1+2 aus 1.Sitzung; 3+4 aus 5.Sitzung; 5+6 aus 10.Sitzung<br />

In <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> Cochlear Implant beobachte ich häufig ein<br />

Ungleichgewicht zwischen den beiden Spielpartnern. Zum einen begegne ich<br />

immer wie<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>n, die das gemeinsame Spiel zunächst stark bestimmen,<br />

daneben finden sich jedoch auch eine Reihe Kin<strong>der</strong>, die fast ausschließlich


Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI). Music Therapy Today (online), November,<br />

available at www.musictherapyworld.info<br />

reagieren und zu Beginn kaum eigenständigen Impulse in das Spiel<br />

einbringen.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> Studie findet sich bei 8 <strong>der</strong> 10 Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> CI eine Verän<strong>der</strong>ung<br />

des Verhältnisses <strong>der</strong> Kontaktangebote zwischen Kind und Therapeutin. Bei<br />

3 Kin<strong>der</strong>n hebt sich die anfängliche Dominanz <strong>der</strong> Therapeutin etwas auf, bei<br />

5 Kin<strong>der</strong>n zeigt sich eine Reduktion <strong>der</strong> anfänglichen Dominanz <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.<br />

Interaktionen bedeutet eine Wechselbeziehung zwischen aufeinan<strong>der</strong><br />

reagieren<strong>der</strong> Partner; sie vollzieht sich in einem Regelkreissystem <strong>von</strong><br />

Aktionen und Reaktionen aller am kommunikativen Geschehen beteiligten.<br />

Auf sprachlicher Ebene ist dies für Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Anfangsphase nach einer<br />

CI-Versorgung nur schwer möglich – im musikalischen Kontakt gelingt es<br />

leichter sich auf das Kommunikationsniveau <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> einzustellen und<br />

ihnen hierdurch die Möglichkeit zu gegeben die Interaktion sowohl zu führen<br />

und zu lenken als auch zu reagieren und sich führen zu lassen.<br />

Kommunikation ist niemals statisch. Übungssituationen <strong>mit</strong> gleichbleibenden<br />

Spielregeln können die Unvorhersehbarkeit, das ständige „Sichverän<strong>der</strong>n“<br />

nicht simulieren. Dies ist ein Grund dafür, daß ich mich <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong><br />

musiktherapeutischen Arbeit darum bemühe, Hörübungen und Hörspiele<br />

weitestgehend zu vermeiden. Sicherlich müssen wir genau beobachten, ob<br />

die Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> dem sehr freien Angebot überfor<strong>der</strong>t sind und gegebenenfalls<br />

auf Strukturhilfen i.S. <strong>von</strong> Regeln und Vorgaben zurückgreifen. Ziel ist und<br />

bleibt jedoch die freie improvisatorische Form.<br />

Interaktion droht zu Entgleisen, wenn es zu einer Über- o<strong>der</strong> Unterstimulation<br />

kommt. Auf dieser Gradwan<strong>der</strong>ung bewegen wir uns natürlich auch in <strong>der</strong><br />

musiktherapeutischen Arbeit Und vielleicht ist diese Weg in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> CIversorgten<br />

Kin<strong>der</strong>n beson<strong>der</strong>s schmal und für den Therapeuten häufig wenig<br />

vorhersehbar. Wir arbeiten <strong>mit</strong> dem Medium „Musik“, einer <strong>der</strong> diffizilsten<br />

Tonsprache, über ein Hilfs<strong>mit</strong>tel, das systematisch für die viel pri<strong>mit</strong>ivere<br />

Lautsprache optimiert ist. Nur eine genaue Beobachtung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und ihrer<br />

Reaktionen kann uns helfen daß diese Gradwan<strong>der</strong>ung gelingt.<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Studie einerseits, die persönlichen Erfahrungen in <strong>der</strong><br />

praktischen Arbeit an<strong>der</strong>erseits führen mich zu <strong>der</strong> Überzeugung, daß<br />

<strong>Musiktherapie</strong> das <strong>Rehabilitation</strong>s-angebotes für Kin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> CI sinnvoll<br />

ergänzen kann. We<strong>der</strong> die Sprachtherapie noch sonst irgendeine Teilaspekt<br />

<strong>innerhalb</strong> des Rehaprogrammes kann durch die musikalische Arbeit ersetzt<br />

werden, jedoch kann die musiktherapeutische Begegnung den Kin<strong>der</strong>n<br />

wichtige und sinnvolle Erfahrungsmöglichkeiten bieten auf ihrem Weg in die<br />

Welt <strong>der</strong> Geräusche und Stimmen und auf dem Weg zu verbaler<br />

Kommunikation und Interaktion.<br />

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Radbruch, K. (2001) <strong>Musiktherapie</strong> <strong>innerhalb</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>mit</strong> Cochlear Implant (CI). Music Therapy Today (online), November,<br />

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