und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
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Raimar Kremer / Jutta Lutzi / Bernd Nagel, Unfall als Krise<br />
22 Psychische Folgen von Unfällen<br />
jekt, das eine Situation bewusst steuert, zu einem Objekt, das<br />
sich Prozessen ausgeliefert sieht, die sich seinem Einfluss entziehen.<br />
Selbst eine Person, die einen Unfall durch riskantes<br />
Fahrverhalten bewusst in Kauf genommen oder sogar provoziert<br />
hat, muss sich ab einem bestimmten Punkt dem Verlauf<br />
des Geschehens überlassen. Auf psychischer Ebene geht es bei<br />
einem Unfall also auf jeden Fall um Kontrollverlust, Überwältigung<br />
<strong>und</strong> Ausgeliefertsein.<br />
Was den Aspekt der Einwirkung von »außen« betrifft,<br />
bedarf es ebenfalls einer Differenzierung. Gewiss gilt für<br />
Unfälle, die von anderen Menschen oder durch einen technischen<br />
Defekt verursacht werden <strong>und</strong> denen man nicht<br />
ausweichen kann, dass man als Betroffener zwangsläufig<br />
plötzlich <strong>und</strong> unfreiwillig einem von außen initiierten Geschehen<br />
ausgeliefert ist. Im Blick auf den Verursacher des<br />
Unfalls sieht die Sache unter Umständen anders aus. Denn<br />
wie psychologische Untersuchungen (Willenberg 1989) zeigen,<br />
kann es bei Menschen auch eine Unfallneigung geben,<br />
die aus einer hohen Risikobereitschaft <strong>und</strong> Tendenz zur<br />
Selbstgefährdung <strong>und</strong> Selbstverletzung resultiert. Für das<br />
Bewusstsein der Betreffenden erfolgt das Geschehen unfreiwillig<br />
<strong>und</strong> von außen kommend, auf unbewusster Ebene sind<br />
jedoch innere Tendenzen <strong>und</strong> Absichten am Werk. Unfälle<br />
können also auch aus unbewussten Motiven heraus entstehen<br />
<strong>und</strong> für die Betreffenden eine entsprechende unbewusste<br />
Bedeutung haben.<br />
»Menschen, die zu häufigen Unfällen neigen, <strong>und</strong> solche,<br />
die wiederholt Operationen provozieren, schaffen einen<br />
chronisch oder episodenhaften gefährlichen Zustand; der<br />
Übergang zum eigentlich schädigenden Geschehen bedarf<br />
dann nur noch bestimmter situativer Konstellationen oder<br />
eines Anstoßes durch das Individuum selbst. […] Zu häufigen<br />
Unfällen neigende Menschen […] initiieren womöglich<br />
auch durch eine eigene Fehlleistung das eigentliche Unfallgeschehen,<br />
überlassen jedoch die entscheidende Sequenz<br />
der Schädigung Faktoren, die von ihnen nicht kontrolliert<br />
werden können. Sie überantworten sich also z.B. der Geistes-<br />
© 2011, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 9783525670064 — ISBN E-Book: 9783647670065