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Raimar Kremer / Jutta Lutzi / Bernd Nagel, Unfall als Krise Psychodynamische Aspekte von Unfällen 23 gegenwart anderer Verkehrsteilnehmer oder physikalischen Gesetzmäßigkeiten« (a.a.O., 155). Menschen mit solchen Tendenzen zur Selbstschädigung sind infolgedessen Opfer und Täter zugleich – eine Vorstellung die im Blick auf die oft gravierenden körperlichen und psychischen Folgen von Unfällen wie eine ungeheuerliche Unterstellung erscheint. Dennoch ist es so, dass viele Unfälle durch menschliche Fehlleistungen verursacht werden, die nicht nur mit der Tatsache begründet werden können, dass ein Mensch nicht immer zu 100 % aufmerksam sein kann. Bei Unfällen im Straßenverkehr, deren Ursachen nicht aufgeklärt werden können, besteht die Möglichkeit, dass es sich um verdeckte Suizide handelt. Ist ein Unfall geschehen, so ist ein Betroffener unabhängig von seiner Verantwortung zunächst als Opfer im Blick und muss als solches auch versorgt werden. Die Einbeziehung der unbewussten Dimension in die Gesamtbetrachtung des Unfallgeschehens bedeutet ja auch nicht, dass eine Fehlleistung mutwillig geschehen ist. Allerdings kann es vor diesem Hintergrund nicht als rein von außen verursachtes Geschehen betrachtet werden, von dem der Betreffende überwältigt wird, sondern auch als ein Geschehen von innen, das sich freilich der bewussten Kontrolle entzieht. Erst durch eine genauere Analyse der psychischen Situation der Betreffenden wird so manches zunächst unerklärliche Unfallgeschehen für die Betroffenen oder auch die Angehörigen nachvollziehbar. Auch die Frage nach der Unfallprävention erscheint vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht. »Angesichts der 800 jährlich in Großbritannien getöteten Motorradfahrer meint Adams […], dass ein Verbot des Mo torradfahrens zwar die Motorradunfälle verhindert, aber kaum zu erwarten sei, daß Motorradfahrer inklusive der ›hells angels‹ zu Hause sitzen und Tee trinken« (a.a.O., 158). Sie würden sich vermutlich andere Betätigungen suchen, in denen sie eine gewisse Risikobereitschaft ausleben könnten. Von daher bleibt trotz aller nicht zu unterschätzenden äußeren Sicherheitsvorkehrungen – die Zahl der Todesopfer ist in den letzten © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525670064 — ISBN E-Book: 9783647670065
Raimar Kremer / Jutta Lutzi / Bernd Nagel, Unfall als Krise 24 Psychische Folgen von Unfällen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen – der große Risikofaktor »Mensch« mit seiner jeweiligen psychischen Konstitution. Bereits ohne tiefere psychoanalytische Ursachenforschung ist nachvollziehbar, dass jemand, der im Zustand hoher psychischer Aggressionsbereitschaft mit dem Auto unterwegs ist, ein höheres Risiko darstellt als ein innerlich ausgeglichener Fahrer. Sollte der Straßenverkehr jemals vollautomatisiert sein und keine Möglichkeit mehr bieten, sich »auszuleben«, stellt sich die Frage, welch anderer Bereich sich dafür eignet und wo es dann vermehrt zum »Crash« kommt. 3.2 Seelische und körperliche Verletzungen – Gemeinsamkeiten und Unterschiede Hat sich ein Unfall erst einmal ereignet, so bedeutet er für die davon Betroffenen – unabhängig davon, ob sie ihn verursacht haben, unfreiwillig darin verwickelt oder lediglich Zeuge sind –, eine abrupte Unterbrechung eines geplanten Ablaufs und damit einen »Riss zwischen Individuum und Umwelt« (vgl. Fischer/Riedesser 2003, 76). Der bis dahin unbefangene und vertraute Umgang des Individuums mit seiner Umwelt wird gestört, indem z.B. die Autofahrt durch einen Unfall abgebrochen, eine geplante Erledigung durch einen Treppensturz unmöglich gemacht und der Grillabend durch eine Verbrennung nicht mehr durchführbar wird. Das Vertrauen in die Umgebung und die eigenen Steuerungsmöglichkeiten wird erschüttert, und dort, wo bislang Zuversicht und Kontrolle herrschten, finden sich nun Zerstörung und Verletzung. Das Individuum ist in besonderer Weise gefordert, mit solch einer außergewöhnlichen und zunächst unübersichtlichen Situation zurechtzukommen. Wie gut dies gelingt, hängt ab von der Schwere des Unfalls und der entstandenen Verletzungen, von der Unterstützung durch Hilfe leistende Personen und nicht zuletzt von der Persönlichkeit des oder der Betreffenden selbst. Unsichere und ängstliche Personen können © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525670064 — ISBN E-Book: 9783647670065
Seite 2 und 3: Raimar Kremer / Jutta Lutzi / Bernd
Seite 6 und 7: Inhalt Raimar Kremer / Jutta Lutzi
Seite 8 und 9: Vorwort Raimar Kremer / Jutta Lutzi
Seite 26: Raimar Kremer / Jutta Lutzi / Bernd

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