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Hoffmann, Anika / Stange, Annekathrin

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<strong>Hoffmann</strong>, <strong>Anika</strong> / <strong>Stange</strong>, <strong>Annekathrin</strong><br />

Privatheit als Gesprächsereignis. Was Informanten mit Interviews machen.<br />

<strong>Hoffmann</strong>, <strong>Anika</strong>, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, anikahoffman@uni-mainz.de / <strong>Stange</strong>, <strong>Annekathrin</strong>, Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz, stangea@uni-mainz.de<br />

Sektion Methoden der qualitativen Sozialforschung: Methodische Probleme der Erforschung privaten Lebens<br />

Lösungsmöglichkeiten für Zugangsprobleme zur Erforschung des privaten Lebens werden im Allgemeinen aus<br />

der Perspektive der Forschung betrachtet: Welches ist die angemessene Methode? Was lässt sich aufzeichnen,<br />

was nicht? Wie erkenne ich Peinlichkeitsschwellen und fördere die Gesprächsbereitschaft?<br />

Wir wollen in unserem Vortrag für Interviewdaten eine alternative Frageperspektive einnehmen wie sie für die<br />

Ethnografie erstmalig von Lau/Wolff (KZfSS 1983) vorgeschlagen wurde. Wenn man die Forschungssituation aus<br />

der Perspektive der „Untersuchten“ betrachtet, ist ein Interview natürlich etwas anderes als ein<br />

Forschungsinstrument. Es eröffnet zahlreiche Optionen für „eigensinnigen Gebrauch“: etwa als Gelegenheit zur<br />

Selbstdarstellung, zur moralischen Entlastung, zur Selbstmandatierung, zur Selbstverständigung oder zur<br />

Therapie. Die durch die Forschungssituation hergestellte Öffentlichkeit wird dabei nicht zwangsläufig zum<br />

Hindernis bei der Erforschung privaten Lebens, sondern mitunter erst Grundlage der Gesprächsmotivation.<br />

Diese - aus Sicht der Forschung - fremdgesteuerte „Zweckentfremdung“ der gewählten ‚Methode’ führt zu<br />

unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Überraschungseffekten, die es aufzufangen gilt. Die Herausforderung<br />

an die Forschung liegt darin, damit umgehen zu können. Intimitätsforschung kann (in diesem Sinne) nicht nur<br />

geplant und durchgeführt werden, sie muss sich auch ereignen dürfen.<br />

Wir möchten anhand ausgewählter Daten aus einem DFG-Projekt zur Soziologie der Schwangerschaft drei<br />

solcher Interviewereignisse vorstellen, bei denen Narrative unter erhöhten Intimitätsansprüchen stehen: einer<br />

Paarstreitigkeit, einer Abtreibungsentscheidung und einer Kuckuckskindproblematik. Wir wollen zeigen, dass die<br />

Grenze der Kontrollierbarkeit der Interviewsituation nicht dem Ende der Intimitätsforschung entspricht, sondern<br />

gleichermaßen Raum bietet, um überhaupt Intimes geschehen zu lassen. Der Perspektivenwechsel von der<br />

Forschung zu den Beforschten zeigt: Das Erheben privater Daten bietet InformantInnen auch stets Gelegenheit,<br />

neue Dinge zu thematisieren, die sie sich als Teil ihres Privatlebens aneignen können.


Beaufaÿs, Sandra<br />

24 Stunden Wissenschaft. Weblog zur Begleitung des Alltags von WissenschaftlerInnen in ersten<br />

Führungspositionen<br />

Sandra Beaufaÿs, Universität Hamburg/Universität Bielefeld, sandra.beaufays@uni-hamburg.de<br />

Sektion Methoden der qualitativen Sozialforschung: Methodische Probleme der Erforschung privaten Lebens<br />

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Entwicklung, dem forschungspraktischen Gebrauch und der Auswertung<br />

eines Online-Tagebuchs, welches im Rahmen einer qualitativen Teiluntersuchung des Projekts „Frauen in der<br />

Spitzenforschung“ eingesetzt wurde. Die qualitative Studie zielte unter anderem darauf, den unter besonderen<br />

Herausforderungen stehenden Alltag von Wissenschaftler/innen in ersten Führungspositionen in Einrichtungen<br />

der Exzellenzinitiative zu erfassen. Die Bedingungen von experimentellen und nicht-experimentellen Fächern<br />

wurden verglichen sowie Wissenschaftler/innen mit Kindern solchen gegenüber gestellt, die keine<br />

entsprechenden Verpflichtungen haben. Da Wissenschaft allgemein als „lebensverschlingender“ Beruf betrachtet<br />

wird und nicht als zeitlich abgrenzbare Tätigkeit, kann außerdem die Frage gestellt werden, ob die Dichotomie<br />

von privatem und öffentlichem Leben in diesem Feld überhaupt greift und ob es hier Unterschiede in der Praxis<br />

der Wissenschaftler/innen gibt.<br />

In der Untersuchung wurden ausgewählte Juniorprofessor/innen und Nachwuchsgruppenleiter/innen über einen<br />

Zeitraum von zwei Jahren begleitet. Sie wurden wiederholt befragt und am Arbeitsplatz besucht. Der stressige<br />

Alltag dieser Hochleister/innen folgt kaum strukturierenden Vorgaben. Obgleich sie komplexen, spezialisierten<br />

Tätigkeiten nachgehen, sind die Abläufe für sie zumeist selbstverständlich, der Lebensalltag neben der<br />

Forschung hingegen wird oft als irrelevant betrachtet. Das Tagebuch wurde in diesem Kontext als Instrument<br />

eingesetzt, um selbstverständlich gelebte Alltagspraktiken, die sich im Interview als nicht „erzählbar“ erweisen,<br />

autografisch zu dokumentieren und so auch implizites Wissen zugänglich zu machen.<br />

Das Tagebuch wurde in Form eines Weblogs zusammen mit Informatikern entwickelt. Ein digitales Online-Diary<br />

hat bestimmte Vorteile, die insbesondere für die Erschließung der untersuchten Zielgruppe wichtig, aber auch für<br />

die eigene Auswertung dienlich sind. Die Einführung des Instruments bei den stark beschäftigten<br />

Nachwuchswissenschaftler/innen erfordert hingegen viel Überzeugungsarbeit.<br />

Für die Auswertung zeigt sich, dass diese Erhebungsmethode nicht alleine stehen kann. Sie ist jedoch ein<br />

vorbereitendes und prozessbegleitendes Mittel, um im Gespräch in tiefere Schichten des (Forschungs-)Alltags<br />

einzutauchen. In diesem Sinne wurden die entstandenen Texte und Protokolle als konkrete Vorlage für intensive<br />

Einzelgespräche genutzt.


Isep, Claudia<br />

Paare, Forscher, Kameras: Visualität und Visualisierung der Zweierbeziehung<br />

Claudia Isep, Universität Klagenfurt, claudia.isep@aau.at<br />

Sektion Methoden der qualitativen Sozialforschung: Methodische Probleme der Erforschung privaten Lebens<br />

Auch wenn bereits Georg Simmel die Relevanz der Dyade betont hat, ist die Paarbeziehung in der Soziologie<br />

bisher vorwiegend theoretisch und, wenn empirisch, durch Rückgriff auf Frageverfahren untersucht worden.<br />

Damit erfahren wir allerdings wenig über den konkreten Interaktionsalltag von Paaren. Dies mag einen einfachen<br />

Grund haben: Das Paar als Untersuchungsgegenstand scheint sich der qualitativen Sozialforschung nicht gerade<br />

‚aufzudrängen‘, schon gar nicht, wenn man - wie im vorliegenden Fall - eine ethnomethodologische Perspektive<br />

und einen ethnographischen Ansatz verfolgt. Können wir den Interaktionsalltag und das private Leben von<br />

Paaren überhaupt beobachten oder verändert die Anwesenheit des Forschers unausweichlich den Gegenstand?<br />

Der Beitrag gibt Einblick in das Dissertationsprojekt „Doing being a couple - zur interaktiven Herstellung der<br />

Zweier-Beziehung“ und diskutiert, wie ethnographische und konversationsanalytische Forschungsstrategien im<br />

Untersuchungsfeld eingesetzt werden können. Besonderer Fokus liegt dabei auf audio-visuellen Verfahren.<br />

Neben ‚klassischen‘ Videoaufzeichnungen natürlicher Alltagssituationen werden auch private Fotografien der<br />

Paare in die Analyse einbezogen. Außerdem wird mit visuellen Darstellungen gearbeitet, die Paare eigens für die<br />

Untersuchung anfertigen und die möglicherweise das Potential haben, das vom Forscher hergestellte Material zu<br />

ergänzen, bzw. zu kontrastieren.<br />

Die leitenden Fragen lauten daher: Wie kann damit umgegangen werden, dass sowohl mit dem Forscher als<br />

Person als auch der Kamera als Objekt immer etwas Drittes ‚neben‘ das Paar tritt? Gibt es Möglichkeiten,<br />

‚Zweiheit‘ zu beobachten, ohne sie zu zerstören? Inwiefern können visuelle Verfahren dazu beitragen, die<br />

Anwesenheit des Untersuchenden zu minimieren bzw. zu verändern? Kann also vielleicht aus dem<br />

Zusammenspiel von maximal- und minimal-möglicher Präsenz des Dritten in der Paarinteraktion besonders hoher<br />

Gewinn gezogen werden? Inwiefern könnte auch gerade die Anwesenheit eines Dritten für die Interpretation von<br />

Paarinteraktionen produktiv gemacht werden?<br />

Im Rahmen des Beitrags sollen verschiedene Datentypen präsentiert und in Hinblick auf ihr methodologisches<br />

und erkenntnistheoretisches Potential diskutiert werden.


Boll, Tobias<br />

Die (auto)ethnografische Erforschung (auto)pornografischer Selbstbeforschung<br />

Tobias Boll, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, tobias.boll@uni-mainz.de<br />

Sektion Methoden der qualitativen Sozialforschung: Methodische Probleme der Erforschung privaten Lebens<br />

Sexualität als Alltagspraxis entzieht sich beharrlich der Öffentlichkeit. Damit wurde sie zum Fetisch der<br />

Sexualforschung, die ihr ebenso beharrlich nachstellt. Mit der Beobachtung sexueller Praktiken tut sich die<br />

Sexualforschung seit jeher schwer. Eine neuartige erotische Praxis erscheint hier als Glücksfall: Beim Camming<br />

übertragen Teilnehmer ihre sexuellen Handlungen über Webcams im Internet und stellen sich zur öffentlichen<br />

Beobachtung aus. Für die qualitative Forschung hat diese Praxis einigen Sex-Appeal, scheint der soziologische<br />

Beobachter die Medien der Teilnehmer doch ‚parasitär‘ zweitverwenden und so an ‚natürliche Daten‘ gelangen,<br />

private Sexualität in actu beobachten zu können. Als Beitrag zur methodologischen Einschätzung solcher neuen<br />

Zugänge stellt der Beitrag Erfahrungen aus einem Dissertationsprojekt zur Praxis der erotischen<br />

Selbstveröffentlichung vor.<br />

Dabei wird deutlich gemacht, dass sexuelle Praktiken über diese medialen Schlüssellöcher nicht einfach<br />

zugänglich sind: sie machen sich zugänglich. Zur Rahmenanalyse der Übertragungen als Datenmaterial (etwa ihr<br />

Verhältnis zur Pornografie) tritt eine Rahmungsanalyse: Wie machen sich Beteiligte zu (ver)öffentlich(t)en<br />

Körpern? Wie wird dabei mit der Kamera, die die Teilnehmer als (Repräsentantin der zuschauenden) Dritte(n)<br />

hinzubitten, umgegangen? Wie geht Sex für die und mit der Kamera? Der Beitrag illustriert dies anhand visuellen<br />

Datenmaterials aus eigenen Teilnahmen als Zuschauer, aber auch vor der Kamera: Im Sinne des<br />

Gegenstandsbezugs wurde der Ethnograf mit der Praxis selbst intim. Zur soziologischen Zweitverwertung der<br />

Live-Streams trat die autoethnografische Selbstbeobachtung des Forschers.<br />

Spätestens mit der eigenen Teilnahme wurde die untersuchte Praxis ‚übergriffig‘ - sie verlangte dem Forscher ab,<br />

seine eigene Privatheit zu investieren und zu riskieren. Dies wird an verschiedenen Spannungsfeldern reflektiert:<br />

zwischen ethnografischer und erotischer Beobachtung, beforschter Praxis und Forschungspraxis, zwischen<br />

Forschungsprozess und Privatem und der professionellen Öffentlichkeit. Die entstehende Formation<br />

verschachtelter Veröffentlichungen und Privatisierungen bei der Webcamerotik selbst, aber auch im Prozess ihrer<br />

Beforschung, zeichnet der Beitrag im Sinne einer „Schwellenanalyse“ (Wohlrab-Sahr) bis in die Vortragssituation<br />

nach und lotet so auch die Möglichkeiten und (Scham-)Grenzen der Autoethnografie als Methode zur<br />

Erschließung potenziell diskreditierender Praktiken aus.

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