Ausgabe 10/03 - meins magazin
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Interview<br />
Hüseyin Erdem ist 60 Jahre alt und unterrichtet Türkisch an Schulen<br />
und der Universität zu Köln. Aufgewachsen in Istanbul, musste<br />
der gelernte Jurist aufgrund seiner ethischen Grundsätze nach<br />
Deutschland “flüchten”. Er hatte ein sehr bewegtes Leben, war sowohl<br />
Pressesprecher der Gruppe 47 um Heinrich Böll, Günter Grass und<br />
Wolf Biermann, als auch Autor, Journalist und Radiosprecher.<br />
Meins hat ihn nach seinem Leben gefragt und Antworten bekommen.<br />
Wie lange unterrichten Sie eigentlich<br />
schon Türkisch, und vor allem: Wie lange<br />
unterrichten Sie an der Uni Köln?<br />
Wie sind Sie darauf gekommen, dass Sie<br />
gerne Lehrer werden wollten?<br />
In Ihrem Seminar hat man immer das<br />
Gefühl, dass Sie Ihre Arbeit lieben - stimmt<br />
das?<br />
Wie lange leben Sie jetzt schon in<br />
Deutschland?<br />
Warum sind Sie damals aus der Türkei<br />
hierher gekommen? Gab es besondere<br />
Gründe? Wollten Sie nur ein anderes Land<br />
sehen oder wurden Sie gezwungen?<br />
Eine dumme Frage: Wo gefällt es Ihnen<br />
besser? In Deutschland oder in der Türkei?<br />
Was wünschen Sie sich für die deutschtürkische<br />
Zukunft in Deutschland und auf<br />
internationaler Ebene?<br />
Interview geführt von: Simeon Buß<br />
26 FernSicht<br />
Schon seit ich Schüler war, habe ich den Kindern von Minderheiten (z.B.: Armeniern,<br />
Griechen, Juden) Nachhilfe in Türkisch gegeben. Als Student habe ich an Schulen als<br />
Vertretungslehrer gearbeitet. Seit 1980 lebe ich in Köln, seit 1983 unterrichte ich Türkisch und<br />
seit 1984 Kurdisch an der Universität zu Köln.<br />
Ich wollte eigentlich gar nicht Lehrer werden, aber die Lebensbedingungen zwingen einen<br />
manchmal in einer bestimmten Laufbahn zu arbeiten, obwohl man diese nicht als Ziel hat.<br />
Ich habe eine Stelle als Lehrer bekommen und mache seitdem meine Arbeit ordentlich<br />
und unterrichte gerne. Es ist manchmal eine schwere Aufgabe, aber mir gegenüber stehen<br />
Menschen, die etwas lernen möchten. Ich habe ihnen gegenüber Achtung und Respekt und<br />
bemühe mich deshalb gewissenhaft und liebevoll zu unterrichten. Eine weitere Schwierigkeit<br />
ist es, dass ich sowohl im Schuldienst als auch an der Universität arbeite was manchmal<br />
sehr viel Kraft kostet, da man sich Schülern und Studenten gegenüber fachgerecht verhalten<br />
muss.<br />
Obwohl ich oft so müde von der Schule in die Universität komme, finde ich in mir sofort eine<br />
Motivation und Energie mit meinen Studenten zu arbeiten. Dass Sie dies gemerkt haben ist<br />
ein Beweis dafür. Ich mag meinen Beruf, sonst hätte ich schon längst eine kleine Farm an der<br />
Mittelmeerküste.<br />
Ich bin seit 1980 in Deutschland und habe hier direkt wieder mit dem Studium angefangen.<br />
An der Universität habe ich Studiengänge in Germanistik, Slawistik, Völkerrecht und<br />
Allgemeiner Sprachwissenschaft abgeschlossen. Parallel habe ich als Lehrer gearbeitet und<br />
für den WDR Radiosendungen gemacht. Des Weiteren habe ich meine Tätigkeit als Journalist<br />
und Schriftsteller fortgeführt und zahlreiche Artikel veröffentlicht.<br />
Wegen meines Engagements für Menschenrechte und meiner politisch-kulturellen Arbeit<br />
habe ich große Veranstaltungen organisiert und durchgeführt. In Zeitschriften und Zeitungen<br />
habe ich viele Artikel veröffentlicht. Als 68er war ich in diesen schweren Zeiten der Regierung<br />
ein Dorn im Auge. Ich bin verhört und von mir unbekannten Kreisen überfallen und<br />
geschlagen worden. Wie einige andere meiner Freunde bin ich ins Ausland gegangen. Ich<br />
habe für mich in Köln ein Stück Heimat gefunden und viele Freundinnen und Freunde aus<br />
allen Kulturkreisen gewonnen.<br />
Auf die Frage „Welcher Ort gefällt Ihnen am besten?“ kann ich nur so antworten: Wo<br />
die Menschen, die ich liebe, sich befinden, gefällt es mir am besten. Ich habe sehr liebe<br />
Freundinnen und Freunde in der Türkei, also liebe ich die Türkei. Genauso habe ich aber<br />
auch sehr gute Freunde in Deutschland, also liebe ich Deutschland auch. Mittlerweile bin ich<br />
deutscher Staatsbürger, was heißt, dass ich hier zu Hause bin und versuche auch hier meine<br />
Wurzeln zu schlagen. Genauso kann ich in Griechenland, in Frankreich oder irgendwo in der<br />
Welt wo meine Freunde sind, ein Stück Heimat finden.<br />
Ich habe mich schon lange als ein Weltbürger gefühlt. Ich wünsche allen Menschen der Welt<br />
– egal welcher Religion sie angehören, welche Sprache sie sprechen oder welche Farbe sie<br />
haben – ein menschenwürdiges Leben, in dem sie gleichberechtigt und frei sein können.<br />
Ich wünsche mir eine gerechte Welt, in der jeder für seine Arbeit gewürdigt wird. Davon<br />
ausgehend wünsche ich mir nicht nur für die deutsch-türkische, sondern auch für Beziehung<br />
von Deutschland und der Welt eine Entwicklung in diese Richtung.<br />
Als Doktorand zu Hause bleiben oder die<br />
Welt erforschen?<br />
Interview mit Vesna Müller über ihre Doktorarbeit in Australien.<br />
Die 28-jährige Vesna hat in Bonn Volkskunde, Englisch und Kunstgeschichte studiert und promoviert<br />
zurzeit an der La Trope University in Melbourne im Fachbereich Anthropologie. Ihre Arbeit schreibt sie -<br />
kurz gesagt- über die deutschen Einwanderer in Australien.<br />
Was war dein Grund, die Doktorarbeit in<br />
Melbourne zu schreiben?<br />
Wie sind die Forschungsbedingungen für<br />
Doktoranden an deiner Uni?<br />
Gibt es auch Nachteile?<br />
Wieso wolltest du nicht sicher gehen,<br />
dass dein Doktortitel auch in Deutschland<br />
anerkannt wird?<br />
Was würdest du Uniabsolventen raten, die<br />
auch ihre Dissertation im Ausland schreiben<br />
möchten?<br />
Interview geführt von: Kathrin Mohr<br />
Meine ursprüngliche Idee war es, einen „Binationalen“ zu absolvieren, also einen Teil der<br />
Arbeit an der Uni Bonn zu verfassen und einen an der La Trope University. Allerdings wäre<br />
das Pionierarbeit gewesen, denn es ist noch nie ein derartiger Vertrag zwischen einer<br />
deutschen und australischen Uni zustande gekommen. Im Rahmen dieses Vorhabens bin ich<br />
an die Uni in Melbourne gekommen und habe dort Feldforschung betrieben. Ich hatte das<br />
Glück, dass sich ein Professor an der La Trope für mein Forschungsgebiet interessierte und<br />
die Uni mir daraufhin ein Stipendium anbot.<br />
Die Arbeitsbedingungen in Melbourne sind toll. Jeder Doktorand hat einen eigenen<br />
Arbeitsplatz und Computer im Institut und zwei Betreuer, die einen bei der Arbeit<br />
unterstützen. Außerdem gebe ich Tutorien und kann dadurch Lehrerfahrung sammeln. Mein<br />
Stipendium ist natürlich auch wichtig, um mein Leben in „down under“ finanzieren zu können.<br />
Es ist natürlich ganz schon weit weg zu Hause. Klar vermisse ich Freunde und Familie, aber<br />
ich lebe gerne in Melbourne. Schon in der Schulzeit habe ich einen Schüleraustausch nach<br />
Australien gemacht. Ein weiterer Nachteil, außer der großen Distanz zu Deutschland, könnte<br />
sein, dass ich jetzt nur den australischen Doktor mache und der in Deutschland eventuell<br />
nicht anerkannt wird.<br />
Ich mache den Doktor für mich und weil mich das Thema „Der deutschen Einwanderer<br />
zweiter Generation in Melbourne“ so sehr interessiert. Abgesehen von meinem<br />
Schüleraustausch in der elften Klasse habe ich mich während meines Studiums in Bonn mit<br />
Australien befasst und auch meine Magisterarbeit dort geschrieben. Vor meinem Namen<br />
muss später nicht der Doktor stehen, denn ich will später im Museumsbereich arbeiten und<br />
nicht an der Uni bleiben.<br />
Wichtig sind vor allem die sehr guten Kenntnisse der jeweiligen Landessprache, wie in<br />
meinem Fall Englisch. Ich habe mein Schulenglisch vor allem durch mein Auslandstudium<br />
in England erweitert, wo ich ein Jahr als Erasmusstudentin in Sheffield verbracht habe.<br />
Außerdem sollte man frühzeitig mit seinen Professoren in Deutschland sprechen, die einen<br />
bei dem Projekt unterstützen und auch Kontakte zu Universitäten im Ausland vermitteln<br />
können. Ich habe diesbezüglich viele positive Erfahrungen gemacht, auch in Australien bin<br />
ich an aufgeschlossene, interessierte Lehrstühle geraten, die mich, wenn sie selbst nichts für<br />
mich tun konnten, weitergeleitet haben. So habe ich mich Schritt für Schritt immer näher an<br />
mein Thema und dessen Verwirklichung in Form einer Dissertation herangetastet.<br />
FernSicht 27