Ausgabe 10/03 - meins magazin
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Das Beste der Stadt:<br />
Als audiophiler Connoisseur popkultureller<br />
Artefakte, Maulwurf im feuchten,<br />
fruchtbaren Erdreich der Musikgeschichte<br />
- im Volksmund auch: Vinyljunkie - blieb<br />
mir in Köln ob mieser Ausbeute an wahren<br />
Perlen, unfreundlichem Service und völlig<br />
überteuerten Preisen bisher nur eines:<br />
Frustration. Resultat: skrupellose Ebay<br />
Verticker bereicherten sich an meiner Sucht,<br />
ich hatte oft genug den Ärger. Topzustand,<br />
keine Kratzer. Stimmt, die Tiefseegräben<br />
auf der B-Seite hier als Kratzer zu betiteln<br />
wäre auch echt ein Euphemismus. Aber<br />
vermutlich ist während der Auslieferung<br />
einer mit dem Pflug drübergefahren.<br />
Beim Einpacken war sie jedenfalls noch<br />
semijungfräulich...<br />
Doch all das hat nun ein Ende und das<br />
dem so ist, ist ein einziger glorreicher<br />
Beweis dafür, das es Wunder eben doch<br />
immer wieder gibt. Seit Jahren lauf ich an<br />
dem Laden vorbei, seh‘ das Banner "LP<br />
Ver- und Ankauf" und denke mir: "Nee,<br />
lass ma, das kann nix sein.". Unwissend,<br />
Infokasten<br />
Nunk-Musik<br />
Richard-Wagner-Str. 38<br />
50674 Köln<br />
ZeitGeist<br />
Nunk-Musik<br />
dass sich von allen Hinterhöfen Kölns<br />
ausgerechnet in diesem etwas befindet,<br />
das meiner Idealvorstellung von einem<br />
Plattenladen eigentlich schon fast<br />
unverschämt nahe kommt. Ein kleines<br />
Shangri- La inmitten der Wüste des<br />
schlechten Geschmacks, eine analoges<br />
Heiligtum inmitten digitaler Profanität. Zwei<br />
Räume, höhlenartig, Schummerlicht. Bis<br />
unter die Decke leicht chaotisch vollgestopft<br />
mit schwarzem Gold und ausrangiertem<br />
alten Abspielgerät. Vorne fachsimpeln die<br />
Kenner bei einem frisch gebrauten Kaffee,<br />
neben dem heilige Gral der Vinylpflege, der<br />
legendären - und sündhaft teuren - Keith<br />
Monk Plattenwaschmaschine. Hinten<br />
verrichten die Jünger ihren Opferdienst<br />
am Allerheiligsten. Und wenn das Säckel<br />
dann voll ist mit mindestens doppelt so<br />
vielen Schätzchen als es das Budget<br />
eigentlich hergibt und man selbst glaubte<br />
jemals auf einen Streich zu ergattern<br />
gilt's den schweren Weg an die Theke<br />
anzutreten. Herzrasen, Schweißperlen,<br />
das Grauen, das Grauen. Doch siehe da,<br />
der Chef ist nicht nur kompetent sondern<br />
in der Preisgestaltung auch noch fair und<br />
verhandlungsbereit. Kniefall, letzte Ölung,<br />
Hallelujah - Jahre lang machst Du mich<br />
glauben, der Weg zur Glückseligkeit führe<br />
nur durchs finstere Tal der elektronischen<br />
Bucht und nun ganz und gar unverhofft,<br />
das. Herr, Deine Wege sind wahrlich<br />
unergründlich!<br />
Doch liebe Leser, seid gewarnt. Zwar mag<br />
eine plötzliche Offenbarung selbst Ketzer<br />
bekehren. Geht es jedoch um territoriale<br />
Fragen, gewinnt schnell wieder das Tier<br />
im Manne die Überhand, ist es mit den<br />
religiösen Gefühlen respektive vorbei.<br />
Also lest diesen Text, auf dass die frohe<br />
Botschaft göttlicher Intervention Eurer<br />
Erbauung diene, aber kommt um Himmels<br />
Willen nicht auf die dumme Idee, in meinem<br />
Revier zu wildern - oder Ihr werdet Euch<br />
noch nach den Höllenqualen sehnen!<br />
Text: Felix Grosser<br />
Foto: Niels Walker<br />
Kanon<br />
Von der Nezessität<br />
des Exzesses - eine Verklärung<br />
Mein Gott, was macht so ein Semester eigentlich mit einem? Vier Monate erzwungene Anwesenheit in Veranstaltungen ohne Sinn und<br />
Verstand. Die ewige Scheinjagd im Modulendschungel zwingt zu Konzessionen allenthalben. Von den eigentlichen Interessen in den meisten<br />
Fällen nur abgehalten. Der ganz normale Wahnsinn in einem einstmaligen Land der Dichter und Denker in dem Bildung im Jahre 20<strong>10</strong> fast nur<br />
noch außerhalb der Universitäten stattfinden kann.<br />
Der Verschleiß setzt schleichend ein, doch eines Tages bemerkt man eine Last auf seinen Schultern, die mit jedem weitern Schritt zunimmt.<br />
Ausgelaugt, frustriert, wütend schleppt man sich in die Semesterferien, dass Grauen angesichts noch zu schreibender Hausarbeiten über<br />
an Irrelevanz nicht zu überbietende, professoriell verordnete Themen nur unzureichend verdrängt. Ein Traum: eine kleine Holzhütte mitten<br />
im Nirgendwo ein Bett, ein Schreibtisch, ein Schaukelstuhl. Vorräte und Brennholz für Monate, im Gepäck sämtliche Bücher, die man in<br />
den letzten fünf Jahren nicht lesen konnte. Der Weg dorthin führt über die Exmatrikulation. Doch die kommt nicht in Frage. Also zurück ins<br />
Hamsterrad und noch ein wenig kräftiger strampeln. Das bisschen ganz persönliche Weiterentwicklung auf das man nicht verzichten möchte<br />
ist nur auf dem Wege der Selbstausbeutung zu haben.<br />
Was hält einen in dieser Situation eigentlich noch davon ab verrückt, depressiv oder, am schlimmsten, feige zu werden - denn nichts anderes<br />
ist Gleichgültigkeit... All die Unerträglichkeiten künftig als Normalität hinzunehmen und sich in dieser armseligen Normalität einzurichten?<br />
Nicht viel möchte ich meinen, doch es gibt da so ein paar kleine Hausmittelchen, Gegengifte. Eines davon ist paradoxerweise jene uralte<br />
Menschheitsinstitution, die man doch gewöhnlich den frohen Tagen vorbehalten wähnte: das Feiern. Trotz allem. Wegen allem.<br />
Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich rede hier nicht von karnevalistisch verordnetem Frohsinn, der doch nur in kollektive Entmenschlichung<br />
mündet und auch nicht von rekreativen Zwangsneurosen ("Boah, du kommst nicht wie jede Woche mit ins ewig gleich ätzende, zum Platzen<br />
volle XY um dich an enthemmten Jugendlichen zu reiben? Man bist du langweilig!"). Ich rede von guten Freunden, günstigen Sternen, süßem<br />
Nektar, der Magie der Nacht. Klang, Bewegung, Rausch. Bacchantischer Ritus, das ewige Fest, heilsamer Exzess, gelebte Dekadenz. Selten<br />
genug gelingt es in einer Welt aus medialen Simulacren, bevölkert von deren verblendeten Jüngern zu deren Reihen wir uns alle, wie widerwillig<br />
auch immer, zählen müssen, noch in Sphären von solcher Wahrhaftigkeit vorzudringen.<br />
Nichtsdestotrotz, in gewissen Momenten scheint zumindest eine unmittelbare Annäherung möglich. Das mag illusorisch sein, doch es fühlt<br />
sich unvergleichlich gut an.<br />
Felix Grosser<br />
Sonderschule der Ästhetik<br />
Underground<br />
Oh du Dieb meiner Jugend! Wie konnte ich einst nur Wochenende für Wochenende in deinen qualmstinkenden, Emo verseuchten Betonhallen<br />
verbringen? War ich verblendet, von verkommenem Musik- und Menschengeschmack? War es die ungestüme Blüte - der Fluch? -<br />
jugendlicher Begierden, die mich immer wieder zwischen die schwitzenden Leiber trieben, um mich zu noch so untanzbaren Rhythmen zu<br />
winden, bis in die frühen Morgenstunden? (Nebelschwaden wallen, die sagenumwobene Zeit der Resteverwertung bricht an...) Oder war ich<br />
doch einfach nur jung und brauchte das Geld, du hingegen kostenlos und allzeit bereit?<br />
Wie dem auch sei. Es wohnt dem tatsächlich ein Zauber inne, an die Orte seiner Vergangenheit zurückzukehren. Ein seltsames Gefühl,<br />
zwischen Nostalgie und Abscheu. Ein schuldbeflecktes Vergnügen an der Grenze zum Masochismus. War das Ich? War ich ein anderer? Wer<br />
bin "Ich"?<br />
Die Ambiguität rührt wohl daher, dass man in solchen Momenten erkennt, wie prekär all unsere so fürsorglich zurechtpräparierten Identitäten<br />
sind. Es durchmengen sich Trauer, ob der Vergänglichkeit des für sicher gehaltenen, Unbehagen, ob vom Standpunkt aktueller Verfasstheiten<br />
in ihrer Logik nicht mehr nachvollziehbarer Denk- und Verhaltensweisen, in ihrer Unmittelbarkeit nicht mehr nachfühlbarer emotionaler<br />
Intensitäten. Aber da ist auch eine wundersame, befreiende Freude. Nichts bleibt ewig gleich, alles ist Veränderung. Ein einziger Reigen, ein<br />
endloses Spiel in dem man sich verliert. Denn "Ich", das sind ganz offensichtlich viele.<br />
Felix Grosser<br />
ZeitGeist