50 - Alexander von Humboldt-Stiftung
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Module – ein Name, aus dem der bürokratische Wahn spricht. Italienische<br />
Studenten müssen innerhalb <strong>von</strong> drei Jahren 30 so genannte<br />
Modul-Prüfungen bestehen, dazu eine kurze Hausarbeit. Wegen der<br />
schieren Masse der Veranstaltungen können sie in den einzelnen<br />
Modulen kaum etwas lernen. Die Studenten sind wider den eigenen<br />
Willen zu Kunden einer Angebotsvielfalt geworden, die sich an der<br />
bunten Warenwelt moderner Einkaufszentren orientiert.<br />
Das Gegenteil ist sinnvoll. Non multa sed multum – nicht vielerlei,<br />
sondern viel! Eine bessere Universität schafft man eben nicht, indem<br />
man Fächer aufsplittet und geistig entleert, sondern indem man Studierenden<br />
die Gelegenheit gibt, zu untersuchen, zu überlegen, zu<br />
beurteilen – in einem Wort: zu denken. Nur so entstehen Reife, Selbstvertrauen<br />
und der Wunsch weiterzugehen. Nur <strong>von</strong> solchen Studenten<br />
kann die Gesellschaft etwas erwarten.<br />
Dasselbe gilt für die Forschung. An einer Universität oder Forschungseinrichtung<br />
zu arbeiten, bedeutet heute allzu oft, Berichte zu<br />
schreiben und Zeit und Energie in einer bis vor kurzem Wissenschaftlern<br />
weitgehend unbekannten Tätigkeit zu verschwenden: das Erfinden<br />
glaubwürdiger Projekte. Der Autor kennt zahlreiche Kollegen, die<br />
Projekte erfinden mussten, die sie überhaupt nicht brauchten. Was sie<br />
aber brauchten, war Geld, um ihre Tätigkeit weiterführen zu können,<br />
und um junge Mitarbeiter zu bezahlen. Dass Projekte, um förderungswürdig<br />
zu sein, Partner brauchen, ist ein weiterer Irrtum, dem die<br />
Mehrheit der Geisteswissenschaften und nicht wenige Naturwissenschaften<br />
anhängen. Teamarbeit an gemeinsamen Projekten eignet sich<br />
nicht für alles und jeden. Vor allem die geisteswissenschaftliche Arbeit<br />
ist immer eine individuelle Tätigkeit gewesen, die aus geduldigem<br />
Überlegen und viel allein beim Studium in Bibliotheken verbrachter<br />
Zeit besteht. Doch nach der langwierigen Vorbereitung eines Projekts,<br />
der Antragstellung, der Fertigstellung der Berichte und des Kostenplans<br />
sowie nach zahlreichen Briefen an Kollegen bleibt für diese<br />
bedrohte Art unter den wissenschaftlichen Tätigkeiten, das individuelle<br />
Nachdenken und Forschen sowie die anstrengende Suche nach dem<br />
richtigen Weg, nicht mehr viel Zeit übrig.<br />
Sinnvolle Reformen liegen auf der Hand: Man muss mehr Personen<br />
fördern und weniger Projekte. Und man muss gerade jüngeren<br />
Wissenschaftlern mehr Vertrauen, Geld und Chancen geben, ohne<br />
dafür etwas anderes zu verlangen als Einsatz und Hingabe. Vertrauen<br />
kommt vor Evaluieren. Vertrauen zu gewähren, bedeutet verantwortlich<br />
zu machen. So können junge Menschen wissenschaftlich und kulturell<br />
weiterkommen, so werden sie, in späterer Zeit, anderen dasselbe<br />
Vertrauen und Wissen weitergeben, das sie bekommen und erworben<br />
haben. Ein junger Wissenschaftler, der Vertrauen in sich und seine<br />
Arbeit spürt und dem eine Perspektive gegeben wird, ist eine sichere<br />
Investition in die Zukunft nicht nur seines Fachs, sondern auch der<br />
Gesellschaft.<br />
49 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />
Bürokratischer Wahn:<br />
Vorlesungsreihen heißen jetzt Module<br />
Bureaucratic madness.<br />
Series of Lectures are now<br />
called modules.<br />
vidual activity consisting of patient thinking and spending long hours<br />
alone studying in libraries. But after the tedious preparations for a project,<br />
filing the proposal, compiling the reports and the cost plan, and writing<br />
countless letters to colleagues, only little time remains for what is now<br />
a threatened species among academic activities: thinking and researching,<br />
as well as the tedious quest for the right approach.<br />
Meaningful reforms are obvious. More people and fewer projects<br />
have to be funded. And younger scientists and scholars in particular have<br />
to be given more trust, money and opportunities without initially being<br />
demanded to show anything else but commitment. Trust must come<br />
before evaluation. Trusting people means making them responsible. This<br />
is how young people can make progress academically and culturally, and<br />
it paves the way for their passing on trust and knowledge they have<br />
received and acquired to others later on in their career. A young scientist<br />
who perceives trust in himself and his work and who has been offered a<br />
perspective is a safe investment in the future not only of his subject but of<br />
society as well.<br />
****************<br />
„Wissenschaftler verschwenden ihre Zeit mit dem<br />
Erfinden <strong>von</strong> Projekten, die sie in Wirklichkeit gar<br />
nicht brauchen.“<br />
****************<br />
“Scientists are wasting their time inventing projects<br />
they don’t really need.”