Download Jahresheft - Berner Heimatschutz
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nur noch auf Einzelheiten ausgerichtet. 25 Das „Handwerk“ dagegen<br />
verband alles Gegensätzliche und Feindliche und wurde deshalb auch<br />
als pädagogisches Modell propagiert: Schulte man nämlich die Kinder in<br />
der Annahme, dass sie Handwerker und nicht zensurierte „Grossstädter“<br />
und Spezialisten werden, würden sie interessiert, lernten fragen und in<br />
gesundem Mass wetteifern – denn „Spezialisten sind nur so weit gut, als<br />
sie auch das Allgemeine stärken“. Hier erblickte Tessenow auch einen<br />
Mangel in der geistigen Einseitigkeit der Politik, die zwar weltweit<br />
planmässig vernetzt war, aber damals besonders daran krankte, dass<br />
sich die Nationen der Industriegesellschaften höchstens in Klischees und<br />
Extremen kannten, während die Auslandjahre der Handwerker viel<br />
differenziertere Gesellschaftsbilder liefern konnten. Für ihn fehlte in den<br />
Weltfriedenstheorien die Voraussetzung der persönlichen Lebens- und<br />
Arbeitsform, durch welche die weltlichen Gegensätze ausgeglichen<br />
würden und damit einem höheren Frieden Vorschub leisten würden, und<br />
dieses Ideal sah er in den Mass haltenden, Extreme vermeidenden<br />
Kleinstädten und ihren Bewohnern, wobei der Handwerker diese<br />
Tugenden am besten verstehe und in sich vereinige. 26<br />
Letztlich ging es Tessenow nicht darum, möglichst viele<br />
Berufshandwerker heranzuziehen, sondern in der Praxis sollte<br />
insbesondere jeder Bewohner zugunsten des Siedlerlebens – und<br />
letztlich zugunsten des erstrebten „künstlerischen Zeitalters“ –<br />
handwerkliche Fähigkeiten erwerben. Dies schien besonders wichtig,<br />
nachdem im 19. Jahrhundert durch „mechanische, zerstückelte,<br />
unselbständige Arbeit [...] und Konkurrenzhetze“ so viel „Massen- und<br />
Schundfabrikation“ entstanden war, dass die menschlichen Fähigkeiten<br />
gar nicht mehr in Übung kamen und ihr Potenzial verschüttet blieb. 27<br />
Tessenows Ideen wurden auch in der Schweiz aufgenommen: Bereits<br />
1920 veröffentlichte er in der Architekturzeitschrift Das Werk einen<br />
Artikel über seine Publikation mit gleichem Titel, 28 gleichzeitig wurde sein<br />
Buch besprochen und dabei angemerkt, dass er schon vor zehn Jahren<br />
vorausgenommen habe, „was wir heute notgedrungen im Bauen<br />
erstreben. [...] Er hat den Krieg als Ausbruch des Grössenwahns<br />
kommen sehen [...] und steht heute als Warner da. [...] Das Schriftchen<br />
sollte in grossen Auflagen und Übersetzungen Verbreitungen finden. Es<br />
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