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JAHRESHEFT 2012<br />

BERNER HEIMATSCHUTZ<br />

REGION THUN KANDERTAL SIMMENTAL SAANEN


Impressum<br />

<strong>Jahresheft</strong> 2012<br />

Herausgeber: <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong> Region Thun Kandertal Simmental Saanen, 3600 Thun<br />

Redaktion: Guntram Knauer<br />

Bildernachweis: Irene Bruneau (Seiten 5, 7), Burgergemeinde Thun (Seiten 19, 20, 21, 23,<br />

25), Ruedi Erb (Seiten 58, 59), Foto Club Thun (Anna Lehmann, Hans Fankhauser, Ruedi<br />

Gerber, Robert Huber, Seite 2), Christian Helmle (Seiten 46, 47), Guntram Knauer (Seiten<br />

9, 27, 31, 34, 46, 47, 49-53), K. Müller (Seite 24) , ViaStoria (Seiten 10, 11), Matthias<br />

Trachsel (Seiten 13, 14) , Matthias Walter (Seiten 30, 33, 34, Seite 35 aus Heimstätten-<br />

Genossenschaft Gartenfreund 1923, Seiten 36 und 37 aus Wangerin/Weiss 1976), Andrea<br />

Zellweger (Seiten 26, 27).<br />

Druck: Frei Print AG, Thun<br />

Auflage: 800


Inhalt<br />

Editorial 3<br />

Irene Bruneau Die Hauswege auf dem Internet –<br />

hauswege.ch<br />

Andrea Zellweger Die Überquerung der Zulg in Steffisburg:<br />

Von der Furt bis zur Brücke<br />

Matthias Trachsel Baukultur und Solarenergie 13<br />

Guntram Knauer Der Löwenbrunnen im Garten des Landsitzes<br />

Eichberg in Uetendorf<br />

Peter Küffer Das Burgerheim an der Bernstrasse<br />

Steffisburg: Von Siechenhaus zu Waisenhaus<br />

und Burgerspital<br />

Matthias Walter Die Genossenschaftshäuser am Fischerweg<br />

Thun von 1930 – Hintergründe zum<br />

Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit<br />

Guntram Knauer Auf den Spuren von Livio Colombi in<br />

Thun<br />

Andrea Zellweger Kontrast und Verbindung: Das<br />

Stadtmuseum Rapperswil-Jona<br />

4<br />

8<br />

16<br />

18<br />

24<br />

45<br />

57<br />

Die Autoren dieses Hefts 60


Editorial<br />

Liebe Freunde des <strong>Heimatschutz</strong>es<br />

Liebe Mitglieder<br />

Wenn ich in einem Gespräch erwähne, dass ich mich für den<br />

<strong>Heimatschutz</strong> engagiere, höre ich oft: „So, so, Du gehörst also auch zu<br />

denen, die alles verhindern möchten!“ „Ich sehe das anders: Wir<br />

verhindern nicht, wir zwingen nur zu denken!“ Wird ein Haus von der<br />

Kantonalen Denkmalpflege als erhaltenswert oder sogar schützenswert<br />

eingestuft, so ist das zuerst einmal ein grosses Lob, eine Auszeichnung.<br />

Damit wird ausgedrückt, dass es sich um einen Bau handelt, der wegen<br />

seiner gestalterischen und handwerklichen Qualitäten hervorsticht. Alte<br />

Häuser sind Individuen. In ihnen steckt viel Massarbeit. Sie schmücken<br />

sich oft mit Verzierungen, Ornamenten und Malereien. Würde man den<br />

Wiederbeschaffungswert berechnen, käme man schnell auf ein<br />

Mehrfaches eines industriell gefertigten Neubaus. Eine zeitgemässe<br />

Nutzung stellt jedoch neue Ansprüche. Das Bestehende muss weiter<br />

entwickelt werden, das Wesentliche des Hauses, sein Charakter soll<br />

weiter erkennbar sein. Erhalten heisst nicht Neues verhindern, sondern<br />

sich mit dem Bestehenden auseinander setzen, die vorhandenen<br />

Qualitäten erkennen, Lösungen suchen, welche die neuen Ansprüche<br />

mit dem bewährten Bestehenden verbinden.<br />

3


Irene Bruneau<br />

Die Hauswege im Internet – hauswege.ch<br />

Das reiche Erbe der Zimmermeisterkunst und Holzbautradition (siehe die<br />

Abbildungen auf Seite 2) geht online. Als erster der fünf Hauswege des<br />

<strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es ist der Simmentaler Hausweg im Internet unter<br />

www.hauswege.ch verfügbar. Die Informationen können direkt auf der<br />

Wanderung über ein Smartphone aufgerufen, aber auch zum Vorbereiten<br />

eines Ausflugs herunter geladen und bei Bedarf ausgedruckt<br />

werden.<br />

Im Zeitalter der mobilen Kommunikation bietet sich die Nutzung dieser<br />

neuen Technologien an: Immer mehr Menschen besitzen ein<br />

Smartphone, man trägt es meistens bei sich, die mobilen Computer sind<br />

vernetzt und dank GPS stets verortet. Aus dem Internet können nicht nur<br />

die aktuellsten Informationen abgerufen werden, vielmehr können diese<br />

in einen örtlichen und zeitlichen Kontext gebracht und entsprechend<br />

aufbereitet werden. Kern der Webapplikation (WebApp) ist eine<br />

Datenbank, in der die Informationen über die Häuser gesammelt werden<br />

und die kontinuierlich erweitert werden soll. Neben den Ortsangaben und<br />

kurzen Beschreibungen werden auch die Bilder und GPS-Koordinaten<br />

der Objekte in der Datenbank geführt. Wanderwege, Sehenswürdigkeiten<br />

und touristische Informationen bereichern das Angebot.<br />

Desktop- und Mobilebrowser greifen auf dieselben Daten zu. Pro<br />

Ausgabekanal werden zudem spezifische Informationen und Funktionen<br />

zur Verfügung gestellt: So können die auf der Webseite ausgegebenen<br />

Daten ausgedruckt werden. Die WebApp dagegen nutzt die Möglichkeit,<br />

den Standort des Benutzers anzuzeigen und die nächstgelegenen<br />

Sehenswürdigkeiten auszugeben. Der Simmentaler Hausweg ist online.<br />

Weitere Hauswege im Obersimmental, Diemtigtal und Stockental werden<br />

folgen. Bis zur Überarbeitung und elektronischen Erfassung können die<br />

bestehenden Prospekte aus den neunziger Jahren als pdf herunter<br />

geladen werden.<br />

Abbbildung rechts: Das WebApp „Simmentaler Hausweg“ auf i-phone<br />

4


Alle verwendeten Programmkomponenten, die für den Betrieb von<br />

www.hauswege.ch eingesetzt werden, sind Open Source: Linux,<br />

Apache, MySQL und PHP bilden die Infrastruktur der<br />

Internetapplikation,TYPO3, ein browserbasiertes, leistungsstarkes und<br />

populäres Content Management System, dient zur Verwaltung der<br />

Inhalte. Eine WebApp ist eine mobile Internetanwendung, die mit den<br />

Internet-Technologien HTML, CSS und JavaScript erstellt wurde.<br />

WebApps können über einen Internetbrowser von jedem mobilen<br />

Endgerät aufgerufen werden. Streng genommen sind WebApps<br />

Webseiten, die für mobile Endgeräte entwickelt wurden und einen<br />

erweiterten Funktionsumfang bieten können, zum Beispiel die Nutzung<br />

von GPS. In ihrer Erscheinung und Handhabung lehnen sie sich an die<br />

sogenannten native Apps an. Das sind Programme, die den<br />

Funktionsumfang eines mobilen Endgerätes erweitern, indem sie die<br />

offene Programmierschnittstelle des Betriebssystems nutzen können. Da<br />

aber jedes Gerät über ein eigenes Betriebssystem verfügt – zum<br />

Beispiel iOS für das iPhone von Apple, Android für Smartphones von<br />

HTC, Symbian für Nokia usw. – , ist eine native App immer plattformabhängig<br />

und muss in der für die jeweilige Plattform eigenen<br />

Programmiersprache entwickelt werden. Mit dem Entscheid, die<br />

Hauswege in Form einer WebApp zur Verfügung zu stellen, wird unter<br />

anderem der Grundsatz der Universalität verfolgt, das heisst, dass die<br />

Informationen frei zugänglich sind, egal welche Hardware oder Software<br />

verwendet wird. Die WebApp der Hauswege kann daher nicht in den<br />

diversen Stores gefunden und geladen werden, sondern nur über<br />

www.hauswege.ch aufgerufen werden.<br />

Abbildung rechts:<br />

So präsentiert sich die Homepage „hauswege.ch“:<br />

Konzept und Realisierung: Irene Bruneau, kunstgeschichten.ch.<br />

Design: Reto Kernen, Thun, magmagraphics.ch<br />

Inhalt: Arbeitsgruppe Hauswege des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es Region Thun Kandertal<br />

Simmental Saanen (Hansueli Eggen, Klaus Klopfenstein, Guntram Knauer, Peter Kratzer,<br />

Ernst Roth)<br />

Bilder: Foto-Club Thun (Anna Lehmann, Hans Fankhauser, Ruedi Gerber, Robert Huber)<br />

6


Andrea Zellweger<br />

Die Überquerung der Zulg Steffisburg: von der Furt bis zur Brücke<br />

Die Zulgbrücke ist aus zwei Gründen interessant: Erstens auf Grund des<br />

Brückenstandorts, zweitens wegen der Entstehungsgeschichte der<br />

aktuellen Brücke. 1937 wurde die Brücke in Ständerfachwerk im alten<br />

<strong>Berner</strong>stil gebaut. Ein halb abgewalmtes Ziegeldach überdeckt diese.<br />

Der damaligen Weisung für die Nutzung von bernischem Holz folgend<br />

stammten die 210m 3 Holz, grösstenteils Tannenholz, für Geländer<br />

Lärchenholz und die Hauptträger aus luftgetrockneter Eiche,<br />

mehrheitlich aus den Wäldern von Steffisburg, der Rest aus Langenthal.<br />

Die Brücke ist 31,60m lang; die Spannweite beträgt 28m, jene der<br />

Fahrbahn 7,50m, dazu kommen zwei Trottoirs von je 1,50m.<br />

Die Brücke trägt die Inschriften:<br />

Nume keis G’chär / Aber geng „Holz här“ (Stirnseite Nord)<br />

Brügg us Holz / Bärner Stolz / 1937 (Stirnseite Süd)<br />

Standort<br />

Auf einem Plan von 1717 ist zu sehen, dass es in Steffisburg eine<br />

gedeckte Holzbrücke gab. Westlich davon an der Stelle der heutigen<br />

Zulgbrücke ist der so genannte Siechensteg für Fussgänger und eine<br />

Furt für Karren eingezeichnet. In Dokumenten aus dem 14. / 15.<br />

Jahrhundert findet sich die Bezeichnung „bei der Furt“ und „bei dem<br />

alten Furt“, diese war bei der Dorfbrücke. Bei Hochwasser war die Furt<br />

nicht passierbar. Ein grosser Umweg musste gemacht werden über<br />

Steffisburg und die dortige Zollstelle. Eine Brücke an diesem Standort<br />

wird erstmals um 1410 erwähnt. Zwischen dem Waisenhaus und der<br />

Zulgbrücke befand sich die Zollstelle. Der Zoll wurde bei jeder Passage<br />

entrichtet oder konnte auch als Pauschale bezahlt werden, so genannter<br />

Brüggsommer.1714 wurde die Kander in den Thunersee abgeleitet. Die<br />

Zollhausbrücke bestand aus Eichenholz und wurde bis 1729 benutzt.<br />

8


Danach wurde sie durch Regierungsbeschluss beim Bauamt am Graben<br />

zwischengelagert. Im Zusammenhang mit der Verbesserung des<br />

Karrwegs beim Siechenhaus wurde die alte Zollhausbrücke 1738 an die<br />

Zulg verlegt. Bern und Thun teilten sich die Kosten von 600 Kronen.<br />

Diese Brücke über die Zulg war bis 1851 in Betrieb, also insgesamt an<br />

Kander und Zulg rund 300 Jahre.1851 riss man die alte Brücke ab und<br />

ersetzte sie durch eine neue gedeckte Holzbrücke mit 4 m Fahrbahnbreite<br />

und zwei Trottoirs von je 0.70 m. Bereits 80 Jahre später war sie<br />

so geschädigt durch Wurmfrass, dass ein Ersatz geplant werden<br />

musste.<br />

Entstehungsgeschichte der heutigen Brücke über die Zulg<br />

In den 1930er Jahren wurden ein halbes Dutzend Neubauprojekte<br />

erstellt, darunter zwei offene Holzprojekte und drei Eisenbetonprojekte<br />

des renommierten Ingenieurs Robert Maillart. Der bernische Baudirektor,<br />

Regierungsrat Bösiger, entschied sich für eine gedeckte Holzbrücke der<br />

Firma Locher und Cie aus Zürich. Bösiger wird für die Einheimischen<br />

zum bösen Mann, weil er die konservative, gedeckte Holzbrücke einer<br />

Längsschnitt, östlicher Teil<br />

10


Querschnitt<br />

modernen Lösung in Beton vorzog. Am 15. Juli 1936 schreibt der<br />

Steffisburger Gemeinderat nachfolgende Protestnote im Oberländer<br />

Tagblatt: „Dem beängstigenden modernen Verkehr ist unsere<br />

„Veteranin“ nicht mehr gewachsen. Die romantischen Zeiten der gelben<br />

Postkutsche und des singenden Wanderburschen mit dem Ränzel am<br />

Rücken sind eben vorbei. Stattdessen rollen Benzinwagen mit hoch auf-<br />

getürmten, tonnenschweren Lasten über ihren geduldigen Rücken,<br />

dessen alte Knochen aber auch einmal ihren Dienst versagen können.<br />

Was tun? Die Brücke gehört dem Staate Bern. Wer ist der Staat? „L’Etat<br />

c’est moi!“ so sprach der Sonnenkönig Ludwig XIV. Ähnlich dachte auch<br />

der bernische Baudirektor, indem er von der Baufirma Locher und Cie in<br />

11


Zürich, eine bernische Firma war ja nicht im Stande, Pläne ausarbeiten<br />

liess für eine – neue gedeckte Holzbrücke! Wie es scheint, gibt es da<br />

nichts mehr zu rütteln, man ist vor eine fertige Tatsache gestellt. Wir<br />

konstatieren, dass die Gemeindebehörde von Steffisburg in dieser<br />

Angelegenheit nie begrüsst wurde! (…) Die Gemeinde Steffisburg wurde<br />

also vollständig ignoriert. Gegen ein solches Vorgehen erheben wir nun<br />

schärfsten Protest! (…) Unser Holz in Ehren! <strong>Heimatschutz</strong> in Ehren!<br />

Doch dorthin gehört keine gedeckte Holzbrücke mehr, sondern ein<br />

offener, weiter, steinerner Bau! (…) Mitten im abgelegenen, schönen<br />

Waldland Eriz drinnen baut man Betonbrücken und hier an einer der<br />

verkehrsreichsten Strassen der Schweiz muss eine gedeckte Holzbrücke<br />

her. Wo bleibt da die Logik? Der Gemeinderat von Steffisburg wird<br />

gegen den Bau Einsprache erheben und legt gegen diese<br />

unverständliche (milde gesagt) Behandlung des Herrn Baudirektors<br />

Verwahrung ein! (…) Ein Leser schreibt in einem Leserbrief (Oberländer<br />

Tagblatt in Thun vom 24. Juli 1936): „Nach unserer Auffassung wurde in<br />

den vorgebrachten Argumenten ein recht wichtiger Punkt noch gar nicht<br />

berührt. Hat wohl der Herr Baudirektor auch schon etwas gehört von<br />

Luftschutz? Wäre diese geplante Holzbrücke nicht ein gefundenes Fr…..<br />

für einen Flieger mit seinen Brandbomben! (…) Ein Mitbürger äusserte<br />

sich mit Recht: „Eine Holzbrücke bedeutet eine Verschleuderung<br />

bernischer Steuergelder! Wo bleibt der Grosse Rat?“<br />

Bis Ende Juli 1936 waren 14 Einsprachen gegen die geplante<br />

Holzbrücke eingegangen. Trotz alledem wurde die Brücke gebaut. Am<br />

17. November 1937 fand die Belastungsprobe statt mit einer Last von<br />

acht Lastwagen von 12-13 t und zwei Dampfwalzen von je 15 t. Bei<br />

sechs Belastungstesten wurde die Durchbiegung der Hauptträger<br />

abgelesen und die Vibration gemessen. Bei 57 – 105 t Belastung war die<br />

Durchbiegung zwischen 14 – 23 mm! Am 20. November 1937 wurde die<br />

Brücke an den Verkehr übergeben. Die Abrechnung der Baukosten für<br />

die Brücke 1938 ergab einen Betrag von Fr. 82‘026.25. Noch heute<br />

flankieren die damals gepflanzten zwei Pappeln die Brückeneinfahrt (*).<br />

Anmerkung *:<br />

Dieser Vortrag basiert auf den Unterlagen von Guy Schneider, ViaStoria, der an der<br />

öffentlichen Abendführung des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es Region Thun Kandertal Simmental<br />

Saanen am 1. Juni 2012 in Steffisburg referierte.<br />

12


Matthias Trachsel<br />

Baukultur und Solarenergie<br />

Im Zeichen der Energiewende werden auch traditionelle Bauten stärker<br />

energietechnisch saniert, was sich auf das Erscheinungsbild auswirken<br />

kann. Wird vermehrt Sonnenergie genutzt, führt dies zum Anbringen von<br />

Solarzellen und Solarkollektoren, allenfalls verbunden mit einer<br />

Vergrösserung der Fensterfläche, um die Nutzung der passiven<br />

Sonnenenergie zu erhöhen.<br />

Eine Arbeitsgruppe des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es (1) befasste sich im<br />

Zusammenhang mit dem Erstellen von kantonalen Richtlinien zu<br />

bewilligungsfreien Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien (2)<br />

mit dem Verhältnis von Baukultur und Energie. An einer Veranstaltung<br />

der parlamentarischen Gruppe Energie und Umwelt des Grossen Rates<br />

wurden die Überlegungen des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es gemeinsam mit<br />

dem kantonalen Denkmalpfleger präsentiert (3).<br />

Abbildungen Seite 13 und 14: Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung (Bauherrschaft:<br />

Familie Franziska und Mike Schletti, Zweisimmen, Architektur: atelier werkidee trachsel)<br />

13


Was ist beim architektonischen Entwurf von Um-, An- und Aufbauten zu<br />

beachten:<br />

- Die Umgebung und das Umfeld stets einbeziehen<br />

- Die geeigneten Orte am Bau auswählen (thermische Kollektoren sind<br />

standortgebunden, Photovoltaikanlagen sind dezentral möglich wie auf<br />

Nebenbauten oder auf Nachbargebäuden)<br />

- Anpassungsfähige Solarsysteme anwenden (Farbe, keine Aluprofile)<br />

- Flächenbündige Anwendungen bevorzugen<br />

- Kollektoren harmonisch einfügen<br />

Was ist bei der Auswahl und Montage zu beachten:<br />

- Gesamtes Erscheinungsbild beachten<br />

- Zusammenwirken mit der bestehenden Eindeckung (Farbe, aufgesetzt<br />

oder integriert, Detailgestaltung des Dachrandes und der Übergänge)<br />

- Reversibilität<br />

________________________________________________________________________<br />

(1) Arbeitsgruppe Solarenergie des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es, gebildet aus Herrmann<br />

Haeberli, Kantonaler Bauberater-Obmann (Vorsitz), Rolf Lemberg und Matthias Trachsel<br />

(Bauberater Region TKSS), Peter Olf (Vize-Präsident der Region TKSS), Urs Gysin<br />

(Bauberater Region Interlaken Oberhasli), Daniel Mani ( Bauberater Region Bern<br />

Mittelland), Regina Luginbühl (BHS), Annette Löffel (Häberli-Architekten AG)<br />

(2) Richtlinien Bewilligungsfreie Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien,<br />

genehmigt vom Regierungsrat am 27. Juni 2012<br />

(3) Vortrag von Matthias Trachsel, Bauberater Region Thun Kandertal Simmental Saanen<br />

(TKSS), vor der parlamentarischen Gruppe Energie und Umwelt am 28. März 2012<br />

15


Guntram Knauer<br />

Der Löwenbrunnen im Garten des Landsitzes Eichberg in Uetendorf<br />

Zu den Aufgaben des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es gehört auch die finanzielle<br />

Unterstützung von vorbildlichen Renovationen und Restaurierungen.<br />

Obwohl die Mittel der Regionalgruppe TKSS sehr beschränkt sind,<br />

werden fast jedes Jahr einzelne Vorhaben gezielt unterstützt. In jüngster<br />

Zeit wurden die „Scherzliger Verkehrsgeschichten“, präsentiert am neu<br />

eröffneten Uferweg Bahnhof Schadau, finanziell unterstützt (2011) sowie<br />

die Herausgabe des Architekturführers „Ernst E. Anderegg“ (2010). Vor<br />

einigen Jahren wurde die Wiederherstellung des Löwenbrunnens im<br />

Eichberg mit 2000 Franken unterstützt. Gross ist die Freude, dass nun<br />

dieses Objekt die 85-Rappen-Marke der diesjährigen PRO PATRIA<br />

Ausgabe ziert (siehe Abbildung rechts).<br />

Der Landsitz Eichberg liegt am gegen Osten abfallenden Hang nördlich<br />

des Dorfes und überblickt das Aaretal. Die Anlage liess Carolus von<br />

Fischer 1792/93 nach Plänen des Pariser Architekten Cyr Jean-Marie<br />

Vivenel bauen. Der Herrenstock ist ein schlicht gegliedertes zweigeschossiges<br />

frühklassizistisches Landhaus unter einem Vollwalmdach.<br />

Die Ostfassade weist einen Mittelrisalit aus Haustein unter einem<br />

Dreieck-Giebel auf. Das Haus steht auf einem Hausteinsockel mit<br />

Eckverzahnungen und kräftig profiliertem Kranzgesims. Der halbrunde<br />

Löwenbrunnen befindet sich gegenüber dem Landhaus im grossen<br />

seitlichen Garten mit von Buchs eingefassten Beeten und toskanischem<br />

Peristyl, Ofen-, Schlacht- und Treibhaus. 1932 erwarb das<br />

Diakonissenhaus Bern das Herrenhaus und betrieb darin ein<br />

Kinderheim. 1984 kauften die heutigen Bewohner das Anwesen (1,2).<br />

________________________________________________________________________<br />

(1) Bauinventar Uetendorf, aufgenommen von Elisabeth Schneeberger und Anne-Marie<br />

Biland, Kantonale Denkmalpflege 2005<br />

(2) Beschreibung des Eichberges auf der homepage der Gemeinde Uetendorf, 2012.<br />

16


Peter Küffer<br />

Das Burgerheim an der Bernstrasse Steffisburg - Vom Siechenhaus<br />

zum Waisenhaus und Burgerspital<br />

Das Siechenhaus<br />

An Stelle des heutigen Burgerheims befand sich einst das Siechenhaus<br />

der Stadt Thun. Hier wurden Aussätzige, deren Krankheiten damals<br />

noch nicht behandelt werden konnten, untergebracht. Die Siechenhäuser<br />

wurden allgemein möglichst weit weg von den Städten an guten<br />

Verkehrslagen erstellt, da die Kranken auch auf das Betteln angewiesen<br />

waren. Hier führte ein Weg von Thun über die Zulg nach Bern, über den<br />

so genannten Siechensteg. 1335 erfolgten verschiedene Schenkungen<br />

zu Gunsten der Aussätzigen und 1340 werden die "Siechen an der Zull"<br />

urkundlich erwähnt. Ausgrabungen im Jahr 1989 zeigten, dass im 14.<br />

Jahrhundert bereits ein Steinbau vorhanden war, der im 15. Jahrhundert<br />

erweitert wurde. 1518 erfolgte ein weiterer Neubau wie ein Stein mit<br />

dieser Jahrzahl im Gewölbekeller belegt. Damals wird auch eine<br />

Badstube erwähnt. Nachdem im 17. und 18. Jahrhundert die Zahl der<br />

Aussätzigen zurück ging wurden ab 1603 ebenfalls Arme und Waisen<br />

als so genannte Pfründer aufgenommen. Der letzte Aussätzige wird<br />

1746 erwähnt.<br />

Die Siechenkapelle<br />

1447 wurde eine Kaplanei für die neu erbaute Kapelle beim<br />

Siechenhaus gestiftet. Bei der Reformation wurde 1528 die Kaplanei<br />

aufgehoben und 1537 die Kapelle zu einer Siechenkirche umgebaut. Die<br />

Kirche musste 1769 im Zusammenhang mit dem Waisenhausneubau<br />

und der Geradelegung der Bernstrasse abgebrochen und der<br />

dazugehörige Friedhof aufgehoben werden.<br />

18


Abbildung 1: Wappentafel der Siechenvögte 1682 bis 1759<br />

Die Siechenhaus-Pferdescheune<br />

1720 wurde an Stelle der alten, baufälligen Rossscheune die heute noch<br />

bestehende Scheune erbaut. Später kamen ein Schopf und eine Knechtenstube<br />

als Erweiterung dazu. Eine grosse Scheune mit Stallungen<br />

brauchte das Siechenhaus, da es Wagen für Schwertransporte für die<br />

Stadt und die dazu nötigen Pferde bereithalten musste, den so<br />

genannten Siechenhauszug. 2006 wurde die Pferdescheune zum Café<br />

Restaurant Schüür und zum Dienstleistungszentrum des Burgerheims<br />

und der Seniorenwohnungen umgebaut.<br />

Das Waisenhaus<br />

1764 beschloss der Thuner Rat das Siechen/Armenhaus in ein<br />

Waisenhaus umzuwandeln und einen Neubau zu erstellen. Die<br />

Bauarbeiten wurden 1769/70 ausgeführt. Das Waisenhaus ist ein<br />

typischer Bau bernischer Barockarchitektur für öffentliche Gebäude:<br />

dreigeschossig mit neun Fensterachsen, die Fenster mit Stichbogen aus<br />

Sandstein und Fensterläden, stirnseitigen Holzlauben und einem<br />

mächtigen Walmdach. Der Haupteingang befindet sich in der Mitte der<br />

19


Abbildung 2: Becken mit Wappen Siechenhaus mit Siechenklapper<br />

Abbildung 3: Speicher Siechenhaus, Bauinschrift 1681<br />

20


Längsseite zur Bernstrasse. Über der Türe ist ein Thuner Wappen mit<br />

Krone und dem Baujahr 1770 angebracht. Das neue Waisenhaus konnte<br />

1771 mit 12 Waisenknaben eröffnet werden. Waiseneltern und ein<br />

Lehrer führten das Haus. Die Aufsicht wurde einer Waisenkommission<br />

übertragen. 1799 beschloss der Stadtrat die Pfründer anstatt in das<br />

1792-97 neu erbaute Spital am Rathausplatz im Waisenhaus an der<br />

Bernstrasse unterzubringen und der Neubau in der Stadt als Schul- und<br />

Waisenhaus zu verwenden. So konnten die Waisen die Stadtschule<br />

besuchen und es brauchte keine eigenen Lehrer mehr.<br />

Abbildung 4: Jahrzeitenbuch der Siechen an der Zull 1406, Ausschnitt<br />

Das Burgerspital<br />

1806 erfolgte die Umbenennung des Waisenhauses in Burgerspital. Es<br />

bot Platz für 30 Insassen.1846 organisierte die Burgergemeinde die<br />

Armenpflege neu und baute den Spitalbetrieb aus. Dabei wurde auch<br />

das Amt eines Armenpflegers geschaffen. Durch die Güterausscheidung<br />

zwischen der Einwohner- und der Burgergemeinde kamen 1862 das<br />

Spitalgut, das Waisengut und das Spendgut an die Burgergemeinde.<br />

Entsprechend der Nutzung verkaufte 1865 das Waisenamt das Haus<br />

dem Spitalamt. Am Burgerspital wurden bauliche Veränderungen<br />

vorgenommen um den Betrieb zweckmässiger zu gestalten. So<br />

entstanden zusätzliche Zimmer, die alte Speisekammer wurde in eine<br />

Gitterstube (Chefi) umgebaut, neu erstellt wurden eine Kranken-, eine<br />

Leichen- und eine Webstube sowie eine Arbeitsstube im Ofenhaus. Eine<br />

Reorganisation brachte 1874 die Trennung zwischen den Pfründern und<br />

21


den arbeitsfähigen Aufenthaltern. 1915 erwarb die Burgergemeinde das<br />

beim Burgerspital gelegene Sägeetablissement Mürner. Dadurch kam<br />

sie in Besitz des ganzen Areals auf der Westseite der Bernstrasse vom<br />

Schulhaus bis zur Zulgbrücke.<br />

Das Burgerheim<br />

Da die Bezeichnungen Burgerspital und Bezirksspital oft verwechselt<br />

wurden, beschloss der Burgerrat 1931 den Namen in Burgerheim<br />

abzuändern. Der Betrieb wurde laufend angepasst und erneuert. Ab<br />

1935 gab es, einem langjährigen Wunsch entsprechend, nur noch<br />

Einzelzimmer. Um der grossen Nachfrage nach Heimplätzen entsprechen<br />

zu können wurde das sogenannte Mürnerhaus renoviert und<br />

umgebaut. Das Burgerheim konnte nun rund 50 Personen beherbergen.<br />

1941/42 wurde das Hauptgebäude renoviert und umgebaut. Zur<br />

Erweiterung des Bettenangebots wurde 1956 der 1681 erbaute<br />

Siechenhaus-Speicher und das alte Ökonomiegebäude mit der<br />

Wäscherei und Schweinestallungen abgebrochen. An ihrer Stelle<br />

entstand ein Neubau als Ökonomiegebäude mit Fernheizung,<br />

Luftschutzraum, Wäscherei, Glätterei, Rüstraum und einem grossen<br />

Aufenthaltsraum sowie 10 Pensionärzimmern. Seit 1995 wird der<br />

"Neubau" Laubenhaus genannt. In den 50er und 60er Jahren wandelte<br />

sich das Burgerheim vom reinen Altersheim zum Alters- und Pflegeheim.<br />

So wurde 1966 eine Krankenabteilung im 1. Stock eröffnet, die bereits<br />

1970 auf 18 Betten erweitert werden musste. Ende der 80er Jahre<br />

standen grosse Bauaufgaben an: 1988 konnte eine Holzschnitzelheizung<br />

für die Beheizung aller Gebäude auf dem Burgerheimareal in<br />

Betrieb genommen werden. Anschliessend wurden während 18 Monaten<br />

das Hauptgebäude umgebaut und der Dachstock ausgebaut. Die Kosten<br />

betrugen über 5 Millionen Franken. Im Altbau befanden sicht nun im<br />

Erdgeschoss die Empfangs-, Aufenthalts- und Büroräume, sowie Küche<br />

und Essraum. Der 1. und 2. Stock sowie das Dachgeschoss dienten nun<br />

ausschliesslich als Pflegeabteilung mit 36 Betten. Das Altersheim hat in<br />

den vier Häusern „Villa“, „Mürnerhaus“, „Laubenhaus“ und „Dépendance“<br />

25 Betten.<br />

22


Abbildung 5 oben: Plan des Waisenhauses von N.F. Anneler<br />

Abbildung 6 unten: Federzeichnung des Burgerspitals, um 1800<br />

23


Abbildung 7: Seniorenwohnungen Burgergut<br />

Seniorenwohnungen Burgergut<br />

Das Angebot des Burgerheims wird durch Seniorenwohnungen ergänzt<br />

und erweitert. Der 2005/06 erstellte Neubau westlich vom Burgerheim<br />

enthält 28 rollstuhlgängige Seniorenwohnungen auf vier Etagen. Alle<br />

verfügen über eine Küche, Dusche/WC sowie einen grossen Balkon.<br />

________________________________________________________________________<br />

Anmerkung: Dieser Artikel basiert auf dem Manuskript des Vortrags an der öffentlichen<br />

Abendführung des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es Region Thun Kandertal Simmental Saanen am<br />

1. Juni 2012 in Steffisburg<br />

24


Matthias Walter<br />

Die Genossenschaftshäuser am Fischerweg von 1930 –<br />

Hintergründe zum Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit<br />

Als der bekannte deutsche Maler Hans Thoma (1839–1924) in seiner<br />

Jugend einmal zum grossstädtischen Wohnungselend meinte, man hätte<br />

die Städte eben aufs Land bauen sollen, war er ausgelacht worden. In<br />

der Zwischenkriegszeit aber wurde, wie sich Thoma danach stolz einreden<br />

durfte, genau dieser Gedanke Wirklichkeit. 1 Bedingt durch das<br />

Wachstum der Bevölkerung und die Verknappung der Finanzmittel<br />

wuchsen die Städte in umfassenderen Planungsschritten auf freien<br />

Landflächen weiter, und – das war der entscheidende Unterschied zur<br />

Siedlungsexpansion im 19. Jahrhundert – das „Land“ wurde nicht durch<br />

Bauten und Asphaltierung zugedeckt, sondern blieb abgesehen von den<br />

Wohnungsbauten in Gärten und Freiräumen erhalten.<br />

In der Ebene des Westquartiers dehnte sich seit der Zwischenkriegszeit<br />

auch das Siedlungsgebiet der Gemeinde Thun aus. Unter den<br />

Siedlungen der 1920er- und 1930er Jahren fällt eine Wohnhauszeile<br />

aufgrund ihrer Architektur besonders auf, nämlich die Bebauung am<br />

Fischerweg Nr. 27 – 49. Sie zeichnet sich durch die regelmässige<br />

Staffelung ihrer sechs mächtigen, Strasse und Garten zugewandten<br />

Giebel aus und enthält 12 Wohneinheiten, die paarweise in den<br />

Satteldachhäusern untergebracht sind. Unser Artikel untersucht, welche<br />

Strömungen zu dieser reizvollen Architektur führten und vor welchem<br />

historischen und theoretischen Hintergrund die Absichten für diese<br />

Siedlungsbauweise zu erklären sind.<br />

Wohnungsnot und Baugenossenschaften<br />

Der Erste Weltkrieg hatte eine riesige Bresche in die Entwicklung der<br />

Wohnbauten geschlagen. Noch im frühen 20. Jahrhundert breitete sich<br />

das Bürgertum in grossen und individuell gestalteten Einfamilienhäusern<br />

aus, während Handwerker und Arbeiter meist unter misslichen<br />

hygienischen Bedingungen und fernab von Grünraum in engen<br />

Mietwohnungen hausten. Zwar treffen wir gerade in Thun einen bereits<br />

25


Abbildung 1: Der rötliche Verputz ist aktuell nur noch an 4 Wohnungsfassaden sichtbar.<br />

Die von den Strassenseiten möglichen Betrachtungen bieten ein eindrucksvolles und<br />

überschaubares Bild der ruhig gestaffelten Giebelfronten. Auf diese Weise gelang dem<br />

Architekten ein Ausgleich zwischen repetitiver Uniformität einerseits und Eigenwert der<br />

individuellen Häuser andererseits. Mit der Wahl der Architektur erzeugte er einen Ausdruck<br />

von Gleichheit, Demokratie und Zusammenleben, schuf eine formschöne Einheit und<br />

entging gleichzeitig der Gefahr, durch die Wiederholung der Architekturmotive monoton<br />

und langweilig zu wirken.<br />

1895 vom Baugeschäft Fritz Senn erstellten fünfteiligen Zeilenbau an,<br />

der – untypisch für das 19. Jahrhundert – durch einen grosszügigen<br />

Gartenraum zur Strasse Abstand nahm und den damaligen Klein-<br />

26


verdienern ein überraschend gutes Heim bot (Abb. 2). Gerade diese<br />

soziale Schicht vermehrte sich aber stark und benötigte bezahlbaren<br />

Wohnraum. Doch der durch Unternehmer und Spekulanten betriebene<br />

Wohnhausbau wurde im Krieg durch die Schwächung des Liberalismus<br />

lahmgelegt, so dass die grosse Wohnungsnot nur durch Bundessubventionen<br />

und Mieterschutzbestimmungen aufgefangen werden<br />

konnte. 2 Mitte der 1920er Jahre blühte die Bauwirtschaft wieder auf,<br />

basierte dabei aber verstärkt auf nationaler Autarkie und auf der<br />

Selbstversorgung der Städte durch kollektiv verantwortete Wohn- und<br />

Pflanzlandkolonien. 3 Das entsprach dem sozialdemokratischen Verständnis<br />

der neuen Wirtschaft, die hauptsächlich nicht mehr von<br />

Renditeerwartungen, sondern von den Lebensbedürfnissen der<br />

Menschen gesteuert werden sollte. Dazu gehörte auch die kollektiv<br />

mitgetragene Förderung von billigen und doch einwandfreien<br />

Wohnungen für die breiten Bevölkerungsschichten mittels Kleinhäusern<br />

und Wohnkolonien. 4<br />

Abbildung 2: Die Mehrfamilienhauszeile an der Mittleren Strasse 42 – 50 im Thuner<br />

Westquartier, erbaut 1895 von Fritz Senn, lag zur Zeit ihrer Erbauung am Rand des<br />

Siedlungsgebietes und ist ein frühes Beispiel einer gesamthaft konzipierten<br />

Mehrfamilienhausanlage mit Garten.<br />

27


Weil kommunaler Wohnungsbau teuer war, bot sich für<br />

gemeinschaftlichen Wohnungsbau die Gründung von Baugenossenschaften<br />

an, bei denen Kapital und Risiko auf mehrere Schultern verteilt<br />

waren. Je mehr Genossenschafter sich anmeldeten, desto mehr Land<br />

konnte verbilligt gekauft werden. 5 Der genossenschaftliche Zusammenschluss<br />

zu vereintem Erwerb und einheitlicher Bewirt-schaftung konnte<br />

den Familien dauerhaft dasjenige bescheren, „was der Grossstädter auf<br />

dem Land mit Sommerfrische und wochenweiser Ferienkolonie besitzt“. 6<br />

Von solchen Ideologien geleitet, entstanden auch in Thun Siedlungen<br />

und Wohnhauszeilen. Der Bau der Häuser am Fischerweg wurde von<br />

der Baugenossenschaft „Sans-Souci“ in Bern lanciert. Vertreten durch<br />

den ursprünglich aus Caslano (Tessin) stammenden und in Kerzers<br />

wohnhaften Bauunternehmer Battista Vicari-Benteli (*1877) 7 und Johann<br />

Eduard Kleiner erwarb sie von Johann Baumann ein Terrain und erhielt<br />

am 5. Mai 1930 die Bewilligung vom Stadtbauamt, sechs Doppeleinfamilienhäuser<br />

mit seitlichen Verbindungshallen zu erstellen. 8 Als<br />

Architekt zeichnete Vicari verantwortlich, der als Immobiliengesellschaftsteilhaber<br />

bereits 1909 in Olten die Wohnkolonie Waldheim erstellt<br />

hatte und in solchen Baufragen erfahren war. 9<br />

Am 26. Juni 1930 wurden die Rechte an die „Baugenossenschaft<br />

Länggasse“ überschrieben, welche ebenfalls durch Vicari und Kleiner<br />

vertreten wurde. Während der Erstellung der Häuser handelte sich die<br />

Baugenossenschaft mit der Stadt einen heftigen Streit ein: 1931 stellte<br />

sie ein nachträgliches Gesuch für so genannte Schwarzzeugkammern<br />

(für Materiallagerungen etc.) im strassenseitigen Dachgeschoss. Die<br />

Räume waren bei der Bewilligung dieses Vorhabens bereits erstellt. Weil<br />

sie aber lediglich 2m statt (zu mindestens 50% der Grundfläche)<br />

mindestens 2,4m hoch waren, durften sie aufgrund der kurz zuvor<br />

erneuerten Bestimmungen für Wohnungshygiene hinsichtlich<br />

Tuberkuloseverhinderung keinesfalls als Wohn-, Arbeits- oder<br />

Schlafräume dienen. Aus Inspektionen seitens der Stadt ging jedoch<br />

hervor, dass diese Kammern mit Tapeten und Gipsdecken sowie ihrer<br />

Einrichtung unleugbar als Schlafräume für Kinder oder Dienstboten<br />

genutzt wurden. Der Gemeinderat verlangte deshalb eine Erhöhung der<br />

28


Räume oder den sofortigen Verzicht auf die unerlaubte Nutzung und<br />

drohte mit Kontrollen seiner Verfügung.<br />

Mittlerweile wurden die Bestimmungen geändert und die Häuser sind<br />

grösstenteils bis in die Dachschrägen zu Wohnzwecken ausgebaut.<br />

Bereits 1933 gehörten alle zwölf Häuser neuen Besitzern. Die<br />

Baugenossenschaft, die auf den Umbau der Dachkammern verzichtet<br />

hatte, bestand weiterhin und errichtete in den frühen Nachkriegsjahren -<br />

ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmer Vicari – auch die<br />

Siedlung Freistatt, welcher allerdings nach der Zustimmung des Thuner<br />

Gemeinderats zugunsten verdichteten Bauens der Abriss droht. 10<br />

Beschreibung der Anlage<br />

In Mehrfamilien- und Reihenhäuser verschmolzen gegenüber dem<br />

Einfamilienhaus die Vorteile der Kostengünstigkeit und städtebaulicher<br />

Einheit. Architekt Vicari entwarf 1930 sechs gleichartige Doppelhäuser<br />

von 13m Länge und 9,5m Breite. Die Kellerräume wurden in Beton, die<br />

Stockwerkmauern in Backstein erstellt und mit einem hellen ziegelroten<br />

Verputz versehen. Unter jedem Giebeldach befinden sich zwei<br />

Wohneinheiten in jeweils spiegelverkehrter Raumordnung, so dass ein<br />

symmetrisches Fassadenbild erzeugt wird. Zwischen den Häusern<br />

liegen, ebenfalls paarweise nebeneinander, ursprünglich unbeheizte<br />

Verbindungshallen, die als überdachte Raumeinheit Zugang zu<br />

Wohnung und Garten boten und vielfältig genutzt werden konnten. An<br />

den beiden äussersten Häusern sind diese Vorhallen nicht vorhanden,<br />

dafür steht diesen etwas mehr begrünter Aussenraum zur Verfügung.<br />

Die Strassenseite der Häuser fällt durch dicht an die Wohnraumgrenze<br />

aneinandergeschobene Erker auf, die mit Holzschindeln verrandet und<br />

mit Kupferblechdächlein gedeckt sind. Sie bilden ein wichtiges<br />

Kennzeichen der Wohnhauszeile, strahlen zusammen mit den<br />

Fensterläden und den hohen Dächern eine gewisse Heimeligkeit aus<br />

und sollten den Bewohnern auch als innere Raumausweitung besonders<br />

lieb sein. Nachdem Erker im 19. Jahrhundert häufig nur als Bereicherung<br />

der dekorativen Aussenarchitektur angebracht worden und für den Auf-<br />

29


Abbildung 3: Die Perspektivzeichnungen des Architekten Battista Vicari zeigen die<br />

Absichten der einheitlichen Wohnhauszeile mit gleichartigen Wohnungen, einer<br />

weitgehend verkehrsfreien Strasse und Gärten davor. Die Verbindungshallen sollten<br />

ursprünglich rechteckige Tore erhalten, wurden dann aber mit grossen Rundbogentoren<br />

und darin inkorporierten Holz-Glas-Türen versehen. Auch die Einfriedung wurde<br />

gegenüber dem Plan noch verändert und bestand schliesslich aus gerundeten<br />

Zementmauern, die dem Automobilgebrauch besser angepasst waren.<br />

enthalt viel zu eng waren, wurden sie seit dem 20. Jahrhundert im<br />

Einfluss englischer Wohnhausstile wieder wesentlich sinnvoller<br />

eingesetzt. Ein Schindelrand bedeckt auch die Dachbalkenverschalungen<br />

der Dachansätze. Diese Verschalungen, aus der<br />

französischen Architektur übernommen und auch von den gewohnten<br />

„Ründen“ der <strong>Berner</strong> Bauernhäuser bekannt, sollten traditionell die<br />

Holzkonstruktion kaschieren, einen ruhigeren solideren Eindruck<br />

schaffen und gleichzeitig einen Feuerschutz bieten.<br />

30


Abbildung 4: Strassenfassade am Fischerweg 2012, im Hintergrund die Siedlung Freistatt<br />

Die vorgelagerten Gärten liegen südlich der Bauzeile und waren von<br />

Zäunen mit Zementpfosten und Holzlatten umfriedet. Durch Kieselwege<br />

erschlossen, enthielten sie Obstbäume, Rasen, Gemüsebeete und<br />

Wäscheleinen. Gleichzeitig dienten sie dem Heimaufenthalt an Licht und<br />

Luft und boten an den Wochenenden (damals noch ein junges<br />

Phänomen!) willkommene Freizeitbetätigungen. Die Strassenfassaden<br />

lassen erahnen, wie das Innere aufgebaut ist Die Erker sind von<br />

Fenstern umgeben, die innerhalb der Geschosse zwei Niveaus<br />

markieren, also in den Höhen zueinander leicht versetzt sind.<br />

Tatsächlich ist die Geschossüberbrückung im inneren Organismus auf je<br />

zwei gegenläufige Treppen aufgeteilt, wobei eine lediglich vierstufige<br />

Treppe zu den höher gelegenen Räumen führt und eine grössere Treppe<br />

ins nächste Stockwerk. Die gartenseitigen Zimmer befinden sich jeweils<br />

auf dem unteren Geschossniveau. Die Begründung für diese<br />

„Halbgeschosse“ liegt in der Sparsamkeit: Die kleinere Treppe ist<br />

gleichzeitig Korridor, und die längere Treppe kann den Hauptteil des<br />

Geschosses überbrücken und lässt trotz der geringen Gebäudebreite<br />

einen weiteren Raum in ihrer Laufrichtung zu. Das System erlaubt<br />

ausserdem eine effizientere Einpassung der von der ansteigenden<br />

Dachform begrenzten Raumeinheiten, und nicht zuletzt gewährt die<br />

31


Anordnung auch interessante Raumerlebnisse, indem von den<br />

besonders wohnlichen Geschossen in der Mitte (etwa in den<br />

Erkerzimmern) das leicht tiefere und das nächst höhere Geschoss<br />

überblick- oder einsehbar sind, was den an sich kleinen,<br />

strassenseitigen Zimmern eine überraschende Weiträumigkeit verleiht.<br />

Manche weitere Qualitäten des freistehenden bürgerlichen Einfamilienhauses<br />

sind noch vorhanden, wenn auch in eingeschränktem Mass: Der<br />

Vorraum mit seinem Klinkerboden und die Küche, die auf einen Holzherd<br />

verzichten konnte, wurden wesentlich kleiner bemessen, an den<br />

Wänden traten dunkle Samttapeten oder Jutengewebe mit Ölfarbe an<br />

die Stelle des Täfers. Hingegen leistete man sich am Fischerweg den<br />

Fischgeräte-Parkett und verzichtete auf modernere Linoleumböden. Die<br />

Küchen sind mit Terrazzoböden ausgelegt.<br />

Architektur um 1930<br />

Ordnen wir die Fischerweghäuser in die Architekturgeschichte ein, so<br />

stellen wir zunächst fest, dass die Architekturmerkmale für die 1930er<br />

Jahre etwas konservativ erscheinen: Ende der 1920er Jahre entstanden<br />

bereits Betongebäude mit Flachdächern; Pioniere der<br />

Architekturmoderne wie Mies van der Rohe, Le Corbusier, Walter<br />

Gropius, Bruno Taut, Jacobus J. P. Oud und andere hatten 1927 mit der<br />

Stuttgarter Weissenhofsiedlung auch bereits Wohnbauten errichtet, die<br />

mit ihren Reihenfenstern, Dachterrassen und offenen Erdgeschossen<br />

wesentlich fortschrittlichere Themen anschlugen als die traditionellen<br />

Satteldachhäuser am Fischerweg. Tatsächlich waren Vicaris Konzepte<br />

bereits seit gut zehn und noch mehr Jahren bekannt, seitdem<br />

Verbilligungen und Vereinfachungen der Kleinwohnungsbauten<br />

angestrengt wurden.<br />

Wir wollen die Fischerweghäuser aber auch gar nicht als besondere<br />

Fortschrittsleistung, sondern vielmehr als gute und interessante<br />

architektonische Lösung eines sozialen Problems betrachten und sie in<br />

diesem Sinne würdigen. Typisch für ihre Zeit ist die Wohnhauszeile<br />

allemal. Neben der progressiven Strömung der internationalen<br />

Architekturmoderne, dem Neuen Bauen, verlief auch eine Bewegung,<br />

welche die Hauptziele einer zeitgemässen Architektur nicht in der<br />

32


Flachdachform und neuen Beton-Glas-Konzepten erblickte, sondern den<br />

seit der Wende zum 20. Jahrhundert eingeschlagenen Weg ohne<br />

revolutionäre Schritte fortsetzen wollte und an traditionellen, wohnlichen<br />

Werten festhielt. Die auf Neuerungen ausgerichtete<br />

Architekturgeschichte belächelte diese konservativere Gruppe; heute<br />

aber betrachtet man sie differenzierter und erkennt, dass ihre<br />

Argumentationen nicht schlechter waren. Sie fielen bereits ihren<br />

damaligen Verfechtern nicht schwer, denn die Zielsetzungen lagen<br />

keineswegs in Formsentimentalitäten und liessen sich vorbehaltlos dem<br />

Primat der Sachlichkeit unterordnen: Den modernen Flachdachsiedlungen<br />

konnten schon nach wenigen Monaten technische Mängel<br />

aller Art angelastet werden; Steildächer hingegen konnten sogar billiger<br />

erstellt werden, waren für Estrichräume ideal, versorgten diese erst noch<br />

mit Sonnenlicht und ersparten insgesamt weitere Landnahme. 11<br />

Abbildung 5: Die Grundrisse und Aufrisse im Überblick, Planung von 1930.<br />

33


Abbildung 6 links: Der Querschnitt veranschaulicht<br />

das System der Niveauunterschiede innerhalb der<br />

Geschosse, Planung von 1930.<br />

Gartenstadtbewegung und das dezentrale Wohnen<br />

34<br />

Abbildung 7 rechts: Detail des<br />

2012 renovierten Hauses Fischerweg<br />

49<br />

Der konservativeren Architekturbewegung schwebte ein Ideal vor, das<br />

weniger einer modernen Gesellschaft und ihrer ‚stylische’<br />

Wohnlebensweise diente, sondern durch adäquaten Wohnungsbau vor<br />

allem dem ganzheitlichen Menschen seinen Platz in der Gesellschaft<br />

ermöglichen wollte. Das wirklich Neue der Architektur und des<br />

Städtebaus des 20. Jahrhunderts liegt denn auch in der sozialen<br />

Komponente. 12 Der vielleicht wichtigste Exponent, der in der deutschen<br />

Architekturgeschichte in diesem Sinne argumentierte, war Heinrich<br />

Tessenow (1876–1950). Der gebürtige Rostocker war Architekt, seit<br />

1926 Professor an der Technischen Hochschule Berlin und auch den<br />

Schweizer Architekten ein Begriff. Seine Schriften und Bauten liefern<br />

einen umfassenden theoretischen Hintergrund für die Häuser am<br />

Fischerweg: Auch Tessenow suchte nicht neue Architekturformen,<br />

sondern sah die Aufgabe des Wohnhausbaus im Fundament für eine<br />

bessere Zukunft hinsichtlich neuer menschlicher Formen des


Zusammenlebens in „kleinstädtischer“ Organisation. Als Vertreter einer<br />

rational-sachlichen Reformarchitektur (so lässt sich die Architekturbewegung<br />

der frühen 1920er Jahre bezeichnen) gehörte er nicht zur<br />

„Pioniergarde des Neuen Bauens“, hat aber auch diese mit seinen<br />

Bauten und Schriften beeinflusst und wurde von ihr als Vorreiter der<br />

Wohnhausbaureform respektiert. 13<br />

Abbildung 8: Das Projekt für die Heimstätten-Genossenschaft „Gartenfreund“ in Riehen<br />

nach den Plänen der Architekten Bercher und Tamm in Basel, um 1922. Die gestaffelten,<br />

paarweise gekoppelten Einfamilienhäuser mit ihren weit herunter gezogenen Satteldächern<br />

sind auch Kennzeichen der Fischerwegsiedlung.<br />

Tessenows Architekturwerk ist eng mit der deutschen Gartenstadtbewegung<br />

und ihren genossenschaftlichen Zielen verknüpft.<br />

Angestachelt durch soziale Städtebautheorien des Engländers Ebenezer<br />

Howard, wurde die deutsche Bewegung seit 1902 durch die Gartenstadt-<br />

Gesellschaft erfolgreich vorangetrieben. Diese ging zur Verhinderung<br />

der Bodenspekulation vom gemeinnützigen Bodenbesitz aus, denn<br />

davon versprach man sich gesundere Wohnverhältnisse, bessere<br />

Entwicklungsbedingungen für Handel und Industrie sowie höhere Löhne.<br />

Gleichzeitig wurde auch an der städtebaulichen Ästhetik gefeilt, die sich<br />

durch volumetrische Grundformen und Ablehnung des Bauornaments<br />

auszeichnete.<br />

35<br />

14 In der Grundhaltung übereinstimmend, verfochten


damals zahlreiche Köpfe neue städtebauliche Ideen, der Berliner Martin<br />

Wagner etwa lieferte 1915 Theorien zur besseren Abstimmung von<br />

Stadterweiterungen und nutzbarer Grünfläche. 15 Die deutsche Strömung<br />

fand auch in der Schweiz ihren Niederschlag: Seitdem 1909/10 für Berlin<br />

und 1915/18 auch für Zürich Wettbewerbe für die komplexe Gestaltung<br />

grosser wachsender Stadtgebiete im Gang waren, erkannte man die<br />

Notwendigkeit des dezentralen Wohnens immer stärker. In<br />

Randquartieren sollten neue Gartenvorstädte mit Kleinhausbebauungen<br />

von geschlossenem Charakter entstehen. An Wohnstrassen, die durch<br />

ihre geringe Breite den Durchgangsverkehr wie von selbst abhielten,<br />

entstanden neue Wohnkolonien und konnten unabhängig von ihrer<br />

Ausdehnung den Eindruck eines alten Landstädtchens erwecken. Hierin<br />

überlappten sich die ästhetische Idee und das praktische Erfordernis der<br />

typenhaft gestalteten Kleinwohnhäuser: Die Bewohner konnten sich<br />

wieder als dauernd Ortsansässige und als Besitzer eines eigenen<br />

Hauses in einem überschaubaren Stadtgebilde fühlen. 16<br />

Abbildung 9: Heinrich Tessenow baute bereits vor 1910 einfache Satteldachhäuser in<br />

Reihen, darunter auch in der berühmten beispielhaften deutschen Gartenstadt Hellerau bei<br />

Dresden. Im Bild der Entwurf für die Wohnhäuser entlang der Bildungsanstalt für<br />

rhythmische Gymnastik von 1910/11<br />

36


Abbildung 10: Heinrich Tessenows 1920/21 für Pössneck in Thüringen gebaute<br />

Kleinhaussiedlung zeigt ebenfalls gestaffelte Satteldachhäuser, vor allem aber auch die<br />

charakteristischen Verbindungshallen, die hier für Stall und Holzlager dienten und durch<br />

einen Küchenflur direkt mit den Wohnräumen in Verbindung kamen.<br />

Der Hintergrund der sozialen Vision war, die Masse der Bevölkerung,<br />

also Arbeiter und Angestellte, in „gesunden frohmütigen Kleinhäusern<br />

mit Gärten“ unterzubringen und in ihnen durch die explizite Verbindung<br />

37


mit dem Grund und Boden ein Heimatgefühl zu vermitteln, das damals<br />

als wichtige Basis für das Kulturleben galt und oft den Höhepunkt der<br />

Argumentationsketten bildete. 17 Die Zürcher Architekten Karl Kündig und<br />

Heinrich Oetiker berechneten 1926/28 auch, dass man im Kleinhaus –<br />

den Gartenertrag miteinberechnet – nicht teurer wohnt als in einer<br />

zentrumsnahen Mietshauswohnung. So verlagerte sich in der<br />

Gartenstadtbewegung auch die Prämisse vom kollektiven Landbesitz hin<br />

zum privaten Kleineigentum an Grund und Boden. 18<br />

Kleinstadtideal für ganzheitliches Leben<br />

Mit den Reformbewegungen um 1900 wurde die pädagogische Funktion<br />

von Kunst und Architektur wieder entdeckt. Auch Heinrich Tessenow war<br />

überzeugt, dass er als Architekt eine sozialpädagogische Verantwortung<br />

übernehmen konnte. Um einer solchen vorzuspuren basierte er seine<br />

möglichst „zeitlosen“ Architekturwerke auf dem bekannten Formenschatz<br />

und liess für die erstrebte Nützlichkeit aller Elemente primär<br />

geometrische Klarheit, Ordnung, Schlichtheit und harmonische<br />

Proportion walten. Bereits 1909, als die grossbürgerliche Architektur<br />

noch stärker den allgemeinen Ton angab als nach dem Krieg,<br />

thematisierte Heinrich Tessenow gute Lösungen für Arbeiter- und<br />

Kleinbürgerwohnungen und wertete die Erfüllung „niedrig-praktischer<br />

Bedürfnisse“ höher als die baukünstlerischen „Empfindungsausdrücke“. 19<br />

Vor allem aber waren für ihn die Fragen der Siedlungspraxis untrennbar<br />

mit allgemeinen Lebens- und Kulturfragen verbunden und liessen sich<br />

gar nicht auf das Architektonische beschränkt beantworten. Analog zur<br />

Vaterfigur der Reformarchitektur, dem Engländer John Ruskin,<br />

postulierte Tessenow die menschliche Wohnung als Massstab für das<br />

Kulturbildende überhaupt. 20 An die Stelle der Stilfrage trat die Sachlichkeit,<br />

eine Rückbesinnung auf das Essentielle, eine Beschränkung<br />

aufs Notwendige, die von der wirtschaftlichen Notsituation nach dem<br />

Krieg geradezu gegeben war und die architektonische Qualität durch die<br />

klare Vorbedingung eher heben statt hemmen sollte: „Kargheit zwingt zu<br />

Sparsamkeit und führt wie von selbst zum Kunstwerk mit Masshalten<br />

und Ausschalten des Überflüssigen“. 21 Romantisierende ‚äusserliche’<br />

Architekturformen und Sentimentalitäten galt es nach Tessenow zu<br />

überwinden: Er verabscheute das Ornament nicht, doch dessen Prinzip<br />

38


war für ihn ein Beweis dafür, dass es im Arbeiten an der nötigen<br />

geistigen Kraft fehlt, das eigentlich Wesentliche verbessern zu können.<br />

Für ihn enthielt jede normale Wohnung „sehr viel unwichtiges, wenn<br />

auch Liebenswürdiges“, und je mehr es gelinge, dies wegzulassen,<br />

„umso mehr Lust bekommt das eigentlich Wichtige oder das<br />

Notwendige“. 22<br />

Diese aufs Notwendige beschränkte Architektur war bei Heinrich<br />

Tessenow Voraussetzung eines den gesellschaftlichen Bedürfnissen<br />

angepassten Wohnungsbaus: In seinen Schriften Wohnungsbau und<br />

dergleichen (1916) oder Handwerk und Kleinstadt (1919) ist er von der<br />

übergeordneten Vision geleitet, dass Bauwerk, Mensch und dessen<br />

Tätigkeit in ein neues Gleichgewicht zu bringen sind, das seit der<br />

Industrialisierung und Verstädterung aus dem Ruder gelaufen war.<br />

Dabei warb er entschieden für das Modell einer Kleinstadt mit 20'000–<br />

60'000 Einwohnern, in der es für den allgemeinen, einfach-bürgerlichen<br />

Alltag an nichts fehlt, das wirklich am Herzen liege. 23 Die Kleinstadt war<br />

für Heinrich Tessenow in jeder Hinsicht des menschlichen Lebens und<br />

Tuns und für friedvolle Zukunftshoffnungen die gesunde Mitte zwischen<br />

den Polen von Grossstadt einerseits und Bauerndorf andererseits. Die<br />

zu grosse Kluft zwischen Grossstadt und Dorf war aus Heinrich<br />

Tessenows Sicht mitschuldig an den Krisenzuständen vor dem Krieg:<br />

Beide Extreme waren von der Überproduktion befallen, Einfuhr und<br />

Ausfuhr galten als essentiell, aber niemand trachte danach, „dass alles<br />

in sich organisch allein lebensfähig sei“. Sowohl Grossstadt wie Dorf<br />

förderten also nicht die Würde und das „Vollmenschliche“, sondern<br />

entweder anonyme, unselbständige Gleichgültigkeit auf der einen oder<br />

das einseitige, „Nackt-Intime“ auf der anderen Seite. Die Kleinstadt war<br />

demzufolge als soziales Modell und mit seinem „guten Verhältnis<br />

zwischen Wollen und Tun“ vorbildlich und förderte den in Verstandes-<br />

und Gefühlswelt ausgeglichenen Menschen. 24<br />

Die Gegensätze hatten – wie bei Frau und Mann – nur dann „Sinn“,<br />

wenn sie sich verbinden, und sie verbanden sich in der Realität nicht:<br />

Die Wirtschaftswelt konnte den ganzheitlichen Menschen mit seinem<br />

Verstand und den fünf Sinnen kaum gebrauchen, seine vom Fabrikleben<br />

erforderte Tätigkeit war (sowohl für Arbeiter als auch für die Direktoren)<br />

39


nur noch auf Einzelheiten ausgerichtet. 25 Das „Handwerk“ dagegen<br />

verband alles Gegensätzliche und Feindliche und wurde deshalb auch<br />

als pädagogisches Modell propagiert: Schulte man nämlich die Kinder in<br />

der Annahme, dass sie Handwerker und nicht zensurierte „Grossstädter“<br />

und Spezialisten werden, würden sie interessiert, lernten fragen und in<br />

gesundem Mass wetteifern – denn „Spezialisten sind nur so weit gut, als<br />

sie auch das Allgemeine stärken“. Hier erblickte Tessenow auch einen<br />

Mangel in der geistigen Einseitigkeit der Politik, die zwar weltweit<br />

planmässig vernetzt war, aber damals besonders daran krankte, dass<br />

sich die Nationen der Industriegesellschaften höchstens in Klischees und<br />

Extremen kannten, während die Auslandjahre der Handwerker viel<br />

differenziertere Gesellschaftsbilder liefern konnten. Für ihn fehlte in den<br />

Weltfriedenstheorien die Voraussetzung der persönlichen Lebens- und<br />

Arbeitsform, durch welche die weltlichen Gegensätze ausgeglichen<br />

würden und damit einem höheren Frieden Vorschub leisten würden, und<br />

dieses Ideal sah er in den Mass haltenden, Extreme vermeidenden<br />

Kleinstädten und ihren Bewohnern, wobei der Handwerker diese<br />

Tugenden am besten verstehe und in sich vereinige. 26<br />

Letztlich ging es Tessenow nicht darum, möglichst viele<br />

Berufshandwerker heranzuziehen, sondern in der Praxis sollte<br />

insbesondere jeder Bewohner zugunsten des Siedlerlebens – und<br />

letztlich zugunsten des erstrebten „künstlerischen Zeitalters“ –<br />

handwerkliche Fähigkeiten erwerben. Dies schien besonders wichtig,<br />

nachdem im 19. Jahrhundert durch „mechanische, zerstückelte,<br />

unselbständige Arbeit [...] und Konkurrenzhetze“ so viel „Massen- und<br />

Schundfabrikation“ entstanden war, dass die menschlichen Fähigkeiten<br />

gar nicht mehr in Übung kamen und ihr Potenzial verschüttet blieb. 27<br />

Tessenows Ideen wurden auch in der Schweiz aufgenommen: Bereits<br />

1920 veröffentlichte er in der Architekturzeitschrift Das Werk einen<br />

Artikel über seine Publikation mit gleichem Titel, 28 gleichzeitig wurde sein<br />

Buch besprochen und dabei angemerkt, dass er schon vor zehn Jahren<br />

vorausgenommen habe, „was wir heute notgedrungen im Bauen<br />

erstreben. [...] Er hat den Krieg als Ausbruch des Grössenwahns<br />

kommen sehen [...] und steht heute als Warner da. [...] Das Schriftchen<br />

sollte in grossen Auflagen und Übersetzungen Verbreitungen finden. Es<br />

40


enthält bittere, aber wahre Sachen, Tatsachen“. 29 Auch Tessenows<br />

Argumentation, dass die grossen Leistungen der Menschheitsgeschichte<br />

von Künstlern und Leuten aus solchen kleinstädtischen Verhältnissen<br />

stammten, wurde von der Rezeption ernst genommen. 30 Die Ersetzung<br />

der kapitalistischen Privatwirtschaft durch genossenschaftliche Wirtschaftsgemeinden<br />

mit Selbstversorgung und Arbeitsgemeinschaften an<br />

Stelle von Arbeitszersplitterung war demzufolge eine neue wirtschaftliche<br />

– und architektonische – Maxime.<br />

Wiederholung und Symmetrie<br />

Tessenows Ideal der Kleinstadt, die aus genossenschaftlich<br />

organisierten Verbänden besteht, passte zur in den 1920er Jahren<br />

virulenten Gleichzeitigkeit von Stadt- und Landflucht und erhält auch in<br />

seinen eigenen Bauwerken seinen symbolischen Ausdruck. Tessenow<br />

bekannte sich – wie die Vertreter des Neuen Bauens – zur Uniform und<br />

Wiederholung, die zwar eher ein Mittel des Einfachen statt des Reichen<br />

sind, aber gerade der Ausdruck der Wiederholung galt ihm, analog zur<br />

Sprache und Dichtung, als der stärkste: „Das Einfache ist nicht immer<br />

das Beste, aber das Beste ist immer einfach [...] Angenommen, es<br />

gelänge uns, unsere verschiedenen Wohnarten auf das hin bestimmen,<br />

das als Wesentliches immer wiederkehrt, und wir verzichteten dann auf<br />

einzelne Sonderheiten der verschiedenen möglichen Hausanlagen, um<br />

nur wenige Häuser immer zu wiederholen, so würden damit für unsere<br />

Lebenshaltung materielle Werte gebildet, die [...] unerhört gross sein<br />

müssten“. Im Vergleich zu den meisten Reformarchitekten des frühen<br />

20. Jahrhunderts und dem Neuen Bauen trat Tessenow auch für die<br />

Symmetrie als Gestaltungsmittel ein und proklamierte die ästhetische<br />

Vorstellung, dass die Symmetrieachse für alles Einfache und<br />

Gesetzmässige besonders wichtig sei und unser Interesse auf sich lenke<br />

– die Achse selbst jedoch sollte (wie im menschlichen Gesicht) nicht<br />

eigens betont, sondern vom Betrachter nur gedacht werden, weil sonst<br />

im Widerspruch zur ästhetischen Absicht zwei asymmetrische Körper<br />

entstünden. 31<br />

Zahlreiche ähnlich gestaltete Genossenschaftssiedlungen in der<br />

Schweiz gingen der Bebauung am Fischerweg voran, etwa die „Cité<br />

41


d’Aire“ in Genf (1920–23 von Architekt Arnold Hoechel mit Paul<br />

Aubert) 32 . oder die Siedlung der Heimstätten-Genossenschaft „Gartenfreund“<br />

in Riehen bei Basel (1923 von den Architekten Bercher &<br />

Tamm). 33 Ein eindeutiges Vorbild für Vicaris Fischerwegbauten konnte<br />

nicht ausfindig gemacht werden. Wir wissen auch nicht, wie genau er die<br />

Bauten seines Generationsgenossen Heinrich Tessenows gekannt hat.<br />

Sicher ist, dass Vicari als Bauunternehmer für mehrere Wohnkolonien<br />

die entsprechenden Strömungen verfolgt hat und aus den zahlreichen<br />

aktuellen Ideen eine eigenständige ‚kleinstädtische’ Gesamtanlage<br />

komponiert hat. Tessenow war in der Zwischenkriegszeit sehr bekannt,<br />

sein Hausbau und dergleichen war kurz nach der Publikation an vielen<br />

Universitäten bekannt und wurde viel gelesen. 34 Fast alle Merkmale der<br />

Fischerwegsiedlung finden auch in Tessenows Bauten ihre Vorläufer.<br />

Dabei ist eindeutig, dass aus dem Konzept und seiner architektonischen<br />

Formulierung am Fischerweg dieselbe Geisteshaltung wie aus Heinrich<br />

Tessenows ‚gebauten Theorien’ spricht, und das gilt für zahlreiche<br />

weitere Beispiele des damaligen Kleinwohnungsbaus in der Schweiz. 35<br />

Wir dürfen daher annehmen, dass mit dem Bau der Fischerweg-Häuser<br />

und deren funktionalen Vorzügen noch grössere Hoffnungen impliziert<br />

wurden als nur die Absicht, den Bewohnern ein bezahlbares Dach über<br />

dem Kopf zu geben: Hier sollte der Berufshandwerker und Arbeiter eine<br />

Heimstätte besitzen, in welcher er samt seiner Familie dank Garten,<br />

Keller und der geräumigen Verbindungshalle verschiedenen Tätigkeiten<br />

nachgehen und zum zufriedenen Menschen werden konnte, was in<br />

einem städtischen Mietshaus noch gar nicht zur Diskussion gestanden<br />

hatte. Auch am Fischerweg wohnten zu Beginn mehrere Handwerker<br />

(Schlosser, Elektriker, Mitarbeiter der Selve-Werke und der<br />

Eidgenössischen Konstruktionswerkstätte). 36 Der Garten warf einen<br />

Ertrag ab, die Gelegenheit für die Haltung von Kleintieren in den<br />

Verbindungshallen versorgte die Familien mit Nahrungsmitteln und trug<br />

zur ganzheitlich wirtschaftenden Familie und ihrer weitgehenden<br />

Selbstversorgung bei – ein Lebensentwurf, der nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg allmählich wieder an Notwendigkeit verlieren sollte, was sich<br />

auch in den verstärkt massenorientierten Siedlungskonzepten<br />

niederschlägt.<br />

42


Denkmalpflegerische Anliegen<br />

Die einzelnen Doppelhäuser der längst auf mehrere Eigentümer<br />

aufgeteilten Wohnhauszeile am Fischerweg sind mit den Jahren mehr<br />

oder weniger stark verändert worden. Bei Neuanstrichen wurde weisser<br />

Verputz bevorzugt, die Verbindungshallen boten sich schon kurze Zeit<br />

nach der Erbauung für Wohnungserweiterungen an, Fenster und<br />

insbesondere Eingänge wurden nach unterschiedlichsten Farb- und<br />

Materialvorlieben modisch verändert.<br />

Die harmonische Einheit der Zeilenbebauung wäre für die beabsichtigte<br />

städtebauliche Wirkung eminent wichtig, und es ist als kollektives<br />

Anliegen zu werten, dass die ursprüngliche Einheitlichkeit der Zeile zur<br />

Geltung kommt und bei Gelegenheit wieder hergestellt wird. In der<br />

Farbgebung der Fassaden oder den Fenstersprossungen wären die<br />

Angleichungen relativ einfach zu bewerkstelligen, und bei tatkräftiger<br />

Mithilfe aller Beteiligten wird es dereinst gelingen, dass auch die<br />

Toreingänge und die Aufbauten der Verbindungshallen in einer<br />

einheitlichen und homogenen Gestalt ausgeführt sind, ohne dass die<br />

Wohnbedürfnisse eingeschränkt werden.<br />

Herzlicher Dank für die freundliche Mitwirkung an Hans Kelterborn,<br />

Herrn Gilgen vom Grundbuchamt Thun und Herrn Kurt Schmocker vom<br />

Bauinspektorat Thun.<br />

1Hans Thoma in: Die Siedlung der Heimstätten-Genossenschaft „Gartenfreund“ in Riehen nach den Plänen der<br />

Architekten Bercher & Tamm in Basel, Basel 1923, S. 34.<br />

2 1921 stellte der Bundesrat dem Schweizerischen Verband für Wohnungswesen und Wohnungsreform 200'000 Franken<br />

zur Verfügung, um die Erstellung von Versuchswohnhäusern fördern zu helfen. Vgl. Eberlé, H., Kleinhäuser. Musterhaus-<br />

Aktion, Zürich 1927. – Vgl. auch Schnell, Dieter, Bleiben wir sachlich! Deutschschweizer Architekturdiskurs 1919–1939 im<br />

Spiegel der Fachzeitschriften, Basel 2005, S. 77.<br />

3 Nationalrat Dr. Rudolf Gelpke im Geleitwort zu Heimstätten-Genossenschaft Gartenfreund 1923 (wie Anm. 1), S. 4.<br />

4 Kurz, Daniel, Die Disziplinierung der Stadt: Moderner Städtebau in Zürich 1900–1940, Zürich 2008, S. 231. – Eberlé,<br />

Kleinhäuser (wie Anm. 2), S. 9.<br />

5 Heimstätten-Genossenschaft Gartenfreund 1923 (wie Anm. 1), S. 16.<br />

6 Breymann, Hans, Die Kleinansiedlung auf genossenschaftlicher Grundlage, Leipzig 1919, S. 18/19.<br />

7 Nicht „P. Viani“, wie im Bauinventar der Gemeinde Thun (Bern 1995) aufgrund der schwer zu entziffernden<br />

Architektensignatur vermutet wurde.<br />

8 Grundbuchamt Thun, Archiv des Bauinspektorats der Gemeinde Thun.<br />

9 Zu Olten vgl. Inventar der Neueren Schweizer Architektur INSA, Bd. 7, Bern 2000, S. 380.<br />

43


10 Thuner Tagblatt, 4. Januar 2012.<br />

11 Schnell 2005 (wie Anm. 2), S. 108.<br />

12 Wangerin, Gerda u. Weiss, Gerhard, Heinrich Tessenow. Ein Baumeister 1876–1950. Leben, Lehre, Werk, Essen<br />

1976, Vorwort von Wilhelm Hofmann, S. 8.<br />

13 Schnell 2005 (wie Anm. 2), S. 28.<br />

14 Posener, Julius, Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur, München 1979, S. 272–273. – Kurz 2008 (wie Anm.<br />

4), S. 97, 124.<br />

15 Posener 1979 (wie Anm. 14), S. 289–297.<br />

16 Kurz 2008 (wie Anm. 4), S. 200/202.<br />

17 Heimstätten-Genossenschaft Gartenfreund 1923 (wie Anm. 1), S. 7: „Von der Jugend im Mietskasernen-Elend ist<br />

nichts Gutes zu erwarten, ohne Garten kein Familienleben, kein Heimatgefühl und keine Heimatliebe“.<br />

18 Kurz 2008 (wie Anm. 4), S. 207.<br />

19 Heinrich Tessenow, Der Wohnhausbau, München 1909, S. 1/2.<br />

20 Wangerin/Weiss 1976 (wie Anm. 12), S. 90.<br />

21 So der bekannte Schweizer Architekturkritiker Albert Baur in: Heimstätten-Genossenschaft Gartenfreund 1923 (wie<br />

Anm. 1), S. 21. – S. auch Schnell 2005 (wie Anm. 2), S. 33.<br />

22 Tessenow, Heinrich, Hausbau und dergleichen, Berlin 1916, S. 10/11, 58.<br />

23 Tessenow, Heinrich, Vom Reichtum der kleinen Stadt, in: Das Werk IX (1922), S. 148.<br />

24 Tessenow, Heinrich, Handwerk und Kleinstadt, Berlin 1919, S. 18/19, 24, 44/45, 72–75.<br />

25 Ebenda, S. 5/6.<br />

26 Ebenda, S. 79, 84/85.<br />

27 Bietenholz-Gerhard, A., Die Siedlung. Siedlungsbewegung und Siedlungspflege, Erlenbach 1923, S. 32.<br />

28 Tessenow, Heinrich, Handwerk und Kleinstadt, in: Das Werk VII (1920), S. 93–94.<br />

29 Literatur und Umschau, in: Das Werk VII (1920), S. 94.<br />

30 Bietenholz-Gerhard 1923 (wie Anm. 27), S. 29, 37. – Tessenow 1919 (wie Anm. 24), S. 15, nennt die aus (zu ihrer<br />

jeweiligen Geburtszeit) kleinstädtischen Verhältnissen stammenden Dante, Dürer, Michelangelo, Rembrandt und Goethe.<br />

31 Tessenow 1916 (wie Anm. 22), S. 28, 30, 33 – 37.<br />

32 Architektenlexikon der Schweiz (Hg. von Isabelle Rucki und Dorothee Huber), Basel 1998, S. 270/271.<br />

33 Heimstätten-Genossenschaft Gartenfreund 1923 (wie Anm. 1).<br />

34 Wangerin/Weiss 1976 (wie Anm. 12), S. 9.<br />

35 Vgl. Kleinhäuser 1927 (wie Anm. 2). – Frei von Tessenows Vorbild sind am Fischerweg nur die<br />

Geschossversetzungen und die Fassadenfarbe. Tessenow wertete Farbfassaden als oberflächlich und unnötig. Sie<br />

benötigten ausserdem in Deutschland eine behördliche Zulassung. Vgl. Tessenow 1916 (wie Anm. 22), S. 6. – Das<br />

farbige Zürich, in: Das Werk XIV (1927), S. 186.<br />

36 Freundliche Mitteilung Hansruedi Staub, Thun, 7.2.2012.<br />

Anmerkung: Dieser Artikel ist ein weitgehend unveränderter Nachdruck der Publikation im<br />

Jahrbuch des Schlossmuseums Thun 2011, mit freundlicher Genehmigung von Hans<br />

Kelterborn, Präsident des Stiftungsrates.<br />

44


Guntram Knauer<br />

Auf den Spuren von Livio Colombi in Thun<br />

Die Familie Colombi stammt ursprünglich aus Ravenna. Livios Vater war<br />

Kunstmaler, Zeitgenosse von Cuno Amiet, Adolf Tièche und Albert<br />

Anker. Livio Colombi wurde 1910 in Kirchdorf geboren, wuchs in<br />

Spiezmoos auf, entwickelte schon früh eine Beziehung zum See. Nach<br />

dem Willen seiner Mutter absolvierte er eine Lehre als Schnitzler in<br />

Brienz, schnupperte bei Architekt Arnold Itten in Thun, studierte<br />

Architektur am Technikum Burgdorf. 1937 heiratete er Hedwig Lydia<br />

Körber aus Meiringen. Das Paar hatte zwei Söhne und eine Tochter.<br />

Livio Colombi machte sich Ende der vierziger Jahre selbständig,<br />

nachdem er im Wettbewerb für die Kirche Goldiwil den ersten Preis<br />

gewann. In jungen Jahren entwarf er noch selber, später zog er seine<br />

Mitarbeiter heran. Er ging stark auf sie ein, half ihnen auch beim<br />

Bewältigen privater Sorgen. Er bezog Junge voll ein, bot ihnen das Du<br />

an, was zu dieser Zeit nicht selbstverständlich war, wie Andrea Roost,<br />

einer seiner ehemaligen Mitarbeiter, erzählt. Livio Colombi war vielseitig<br />

begabt, nicht doktrinär. So erzählte sein Sohn, Uli Colombi, dass er<br />

einmal eine Villa in Anlehnung an F. L. Wright entwarf, die aber der<br />

Bauherrin nicht gefiel, so dass er schliesslich ein <strong>Berner</strong> Landhaus<br />

entwarf. Colombi war aufgeschlossen, probierte immer wieder Neues<br />

aus. Er scheute sich nicht, Bestehendes durch Neues zu ersetzen.<br />

Livio Colombi engagierte sich für die Öfffentlichkeit. So war er u. a. von<br />

1964 bis 1974 Präsident des Thunersee Yachtclubs, war Gründungsmitglied<br />

der Lions Thun, Präsident und Governor der Lions Schweiz<br />

1962/63. Er wirkte als Präsident der Freunde der Thuner Kunstsammlung,<br />

sass im Stadtrat als Mitglied der Freisinnigen Paretei.<br />

Ausserhalb von Thun baute er vor allem in Grindelwald, wo die Familie<br />

ein Feriendomizil hatte.<br />

Sein erster öffentlicher Bau war die Kirche Goldiwil, die 1950 eingeweiht<br />

wurde. Sie ist ein schlichter, klar strukturierter Saalbau unter einem<br />

steilen Satteldach. Der Abschluss des Chores ist sanft geschwungen.<br />

Der schlanke Glockenturm ist mit einem Spitzhelm versehen.<br />

45


Abbildung 1: von links nach rechts: West-, Nord, Süd- und Ostfassade<br />

Eines seiner bekanntesten Bauten war das 2012 abgebrochene „Kino<br />

Rex“. Livio Colombi entwarf dieses Bürohaus mit Restaurant und Kino,<br />

das 1952 an Stelle des Löwen trat, in dem sich bereits ein Kino befand.<br />

Der hohe Betonskelettbau unter einem auskragenden Flachdach mit der<br />

markanten Rasterfassade und dem Kinoeingang prägte während<br />

sechzig Jahren diese städtebaulich wichtige Lage und gab diesem Ort<br />

ein grosstädtisches Flair. Inszeniert als Kino- und Traumwelt aus<br />

Architektur, Licht und Reklamen wird man an Stimmungen in Gemälden<br />

von Edward Hopper erinnert (Abbildungen 2 bis 6).<br />

Die Versuche, diesen Bau zu retten, schlugen fehl. Zwar sollte gemäss<br />

Wettbewerbsprogramm das Kino Rex „wenn möglich erhalten und<br />

umgenutzt werden. (…) Ein allfälliger Abbruch muss mit einem<br />

Ersatzneubau begründet werden, welcher der Präsenz des heutigen<br />

Gebäudes entspricht und auf die Ecksituation reagiert. Der Ersatzbau<br />

soll durch seine speziellen städtebaulichen und gestalterischen<br />

Qualitäten einen Gewinn darstellen“. In der zweiten Wettbewerbsphase<br />

blieben jedoch nur die denkmalpflegerisch schützenswerten Bauten<br />

erhalten. Nun folgt auf das Kino Rex die Bebauung „pulsrex“ von Holzer<br />

Kobler Architekturen Zürich. Die Wettbewerbsjury urteilte in ihrem<br />

Bericht: „Der Rückbau der beiden erhaltenswerten Gebäude Gerber und<br />

Kino Rex wird durch eine eindeutig verbesserte Gesamtgestalt und<br />

Nutzungsmöglichkeit mehr als nur wettgemacht.“ , Mit einem Mulitplexkino<br />

wird die Familie Marti an diesem Ort die Kinotradition weiterführen.<br />

46


Abbildung 2 oben: Das Kino Rex und die Gewerbestrasse vor dem 2012 erfolgten Abbruch<br />

Abbildung 3 unten: Baueingabe mit Stempel und Unterschrift Livio Colombi.<br />

47


Abbildungen 4, 5 und 6: Das Kino Rex am Abend und im Inneren<br />

Das Geschäftshaus Bälliz 67 baute Colombi 1954 für Kleider Frey. Es ist<br />

ein blockhafter Baukörper mit klar gegliederten Fassaden. Der Eckrisalit<br />

ist mit Travertin verkleidet. Das sehr elegante Treppenhaus gehört zu<br />

den geschicktesten Lösungen der fünfziger Jahre in Thun. Das<br />

Treppenauge erhält Licht von oben, die Geländer aus Messing sind<br />

geschwungen, der Antritt ist ausgeprägt (siehe Abbildungen 7 und 8).<br />

48


Abbildung 7 oben: Der Grundriss des Erdgeschosses in der Baueingabe Kleider Frey<br />

Abbildung 8 unten: Das Treppenhaus<br />

49


Zusammen mit Peter Lanzrein entwarf er das Geschäftshaus<br />

Marktgasse 17. Dort entstand 1959 an Stelle der Bärenscheune und des<br />

Waaghauses von 1663 (Kaufhaus und Waaghaus, in der alle in Thun<br />

gehandelten Waren gewogen und verzollt werden mussten) eine<br />

kubische Eisenbetonkonstruktion unter flach geneigtem Walmdach.<br />

Charakteristisch ist die rhythmisierte Rasterfassade am Hauptbau und<br />

die Umsetzung des Motivs der offenen Gadenlaube am Trakt<br />

Gerberngasse.<br />

Abbildung 9: Das Waaghaus,<br />

Seite Gerberngasse<br />

50<br />

Abbildung 10: Die Bankfiliale der UBS<br />

Bemerkenswert ist das Bürohaus Aarestrasse 38B, erbaut 1960,<br />

aufgestockt 1968 mit der konkaven Stahlfassade, welche der Krümmung<br />

der Aarestrasse folgt. Bei diesem Bau arbeitete Livio Colombi mit Prof.<br />

Dunkel von der ETH Zürich zusammen. Die heutige UBS-Filiale,<br />

ehemals Bankverein, an der Adresse Bälliz 1, wurde nach den Plänen<br />

von Livio Colombi 1973/74 erbaut. Während die Zeitgenossen in ihrem<br />

Urteil geteilt waren, und diesen Bau futuristisch und aufdringlich<br />

inszeniert empfanden, gehört der Bau mit seinem offenen Grundriss in<br />

einem Stützenraster von 4,80 m und der seinerzeit brandneuen, aus<br />

Amerika importierten, Leichtmetallfassade schon zu den erhaltenswerten<br />

Bauten. Die Fassade stammt von Uli Colombi, der zu dieser Zeit im Büro<br />

seines Vaters arbeitete (siehe Abbildung 10). Zum Vergleich: zeitgleich


aute Justus Dahinden im Zürcher Seefeld die Büro-Pyramide aus<br />

rostendem Cortenstahl mit „stopray“-Fenstern.<br />

Livio Colombi entwarf viele Läden. Stellvertretend erwähnt seien das<br />

Juweliergeschäft Frieden an der Oberen Hauptgasse 39 und das Haus<br />

Obere Hauptgasse 50, wo Livio Colombi beim Umbau eine Arkade schuf<br />

(Abbildung 11), die bis zur Einmündung der Freienhofgasse weitergezogen<br />

wurde. Beim Warenhaus Kyburg (heute Coop City) arbeitete er<br />

mit Hans und Gret Reinhard zusammen. Dieser Ladenbau bezieht Teile<br />

der mittelalterlichen Stadtbefestigung ein, versucht sich mit der Vertikalgliederung<br />

der Fassaden und mit dem aareseitigen Satteldach der<br />

Altstadt anzupassen. Gerade die Ladenumbauten im historischen<br />

Bestand wurden von seinen Zeitgenossen eher negativ beurteilt.<br />

Abbildung 11: Obere Hauptgasse 57, Arkade<br />

51


Die Stadt beauftragte Anfang der vierziger Jahre Edgar Schweizer und<br />

Livio Colombi, ein Gutachten zur Sanierung der Altstadt zu erstellen (2).<br />

Colombi bearbeitete den westlichen Teil. In seinem Bericht vom 12.<br />

Januar 1945 („Altstadtsanierung Zone 3“) forderte er bereits eine<br />

Entlastung der Innenstadt vom Durchgangsverkehr, indem „eine<br />

einwandfreie Umfahrungsstrasse (…) etwa bei der Station Steffisburg<br />

(abzweigen), über eine Brücke im Lerchenfeld in der Gegend der<br />

heutigen Fähre die Aare überqueren und erst beim Bahnhof Gwatt<br />

wieder in die Überlandstrasse einmünden (würde)“. „Der Touristen- und<br />

Lokalverkehr soll die Altstadt berühren.“ Unter anderem schlug er für den<br />

Bereich der Einmündung der Marktgasse in die Untere Hauptgasse vor:<br />

„die Fassaden der Gebäude 22, 24 und 26 um ca. 3,50 m auf ihren alten<br />

Standort zurückzuversetzen,. das Gebäude Untere Hauptgasse 2 (Rest.<br />

Hirschen) abzubrechen, (...) die Strassenbahn auf Trolleybus umzustellen.“<br />

Abbildung 12: Plan aus dem Gutachten von Livio Colombi, dat. 12. Januar 1945. Gelb<br />

markiert sind die Vorschläge für Interventionen.<br />

52


Im weiteren wollte er die Ecke Kuhbrücke / Schwäbisgasse sanieren,<br />

indem er die Fassade des Sternen zurücksetzen, den Sternen durch<br />

einen Neubau ersetzen wollte, was knapp eine Generation später mit<br />

dem Neubau des Warenhauses Kyburg verwirklicht wurde.<br />

Abbildung 13 oben links: Vierfamilienhaus an der Ecke Mönchstrasse/Mittlere Ringstrasse<br />

Abbildung 14 unten: Fensterdetail des Mehrfamilienhauses Steffisburgstrasse 27<br />

53


Livio Colombi baute auch viele Wohnhäuser. Stellvertretend seien<br />

erwähnt: Das Vierfamilienhaus an der Ecke Mönchstrasse / Mittlere<br />

Ringstrasse in der Grösse einer typischen Seefeldvilla (Abbildung 14)<br />

und die Mehrfamilienhäuser an der Steffisburgstrasse auf der<br />

ehemaligen Wermuthmatte. Eines der Häuser ist noch im Originalzustand<br />

mit der eleganten Lösung, die Storenkästen zwischen Fenster<br />

und Oberlicht anzuordnen, was allerdings bewirkte, dass die Räume<br />

nicht ganz verdunkelt werden konnten. Eine Mitarbeiterin von Colombi,<br />

die in eine dieser Wohnungen einzog, beschwerte sich deswegen bei<br />

ihrem Chef (Abbildung 14).<br />

Die folgende Aufstellung enthält eine Auswahl aus den Thuner Bauten<br />

Livio Colombis. Die mit einem * gekennzeichneten Objekte sind im<br />

städtischen Bauinventar von 1989 erwähnt.<br />

Adresse Objekt Baujahr<br />

(b Baubewilligung)<br />

Aarestrasse 2* Kino Rex<br />

(Beschreibung siehe oben)<br />

Aare-<br />

strasse 38B*<br />

Geschäftshaus<br />

(Beschreibung siehe oben)<br />

Bälliz 1* Geschäftshaus UBS<br />

(Beschreibung siehe oben)<br />

Bälliz 14* Ladeneinbau, gut gestaltete<br />

Schaufenster<br />

54<br />

1952<br />

2012 abgebrochen<br />

1960/1968<br />

1974<br />

1951<br />

Bälliz 34* Ladenumbau 1973<br />

Bälliz 36* Wohn- und Geschäftshaus 1963<br />

Bälliz 39* Neue Fassade und Umbau des<br />

Warenhauses von 1953<br />

1967, seither<br />

verändert<br />

Bälliz 44* Wohn- und Geschäftshaus 1964, neue Fassade<br />

1991<br />

Bälliz 46A* Wohn- und Geschäftshaus , Um- und<br />

Neubau<br />

1980


Bälliz 47/49* Geschäftshaus mit Attikawohnungen 1971<br />

Bälliz 59* Ladeneinbau in ehem.<br />

Simmenthalerhof ,<br />

erbaut 1927<br />

Bälliz 67* Wohn- und Geschäftshaus<br />

(Beschreibung siehe oben)<br />

Buchholz-<br />

strasse 7<br />

Bürglen- und<br />

Nünenenstrasse<br />

Dohlenweg 2 – 16,<br />

Talackerstrasse 65/65A<br />

Wohn- und Geschäftshaus,<br />

eingezogenes Sockelgeschoss mit<br />

Betonunterzügen<br />

Wohnbebauung „Gantrischstrasse“<br />

schlichte Kuben, heute verschindelt<br />

55<br />

1962, seither mehrfach<br />

umgebaut<br />

1954<br />

1978 (b)<br />

1971 (b)<br />

Wohnbebauung, inzwischen renoviert 1959 (b)<br />

Dorfstrasse 63* Kirche Goldiwil 1950<br />

Ferdinand-<br />

Hodlerweg 3, 5<br />

Zwei Mehrfamilienhäuser<br />

eines mit Satteldach, eines mit<br />

flachem Dach<br />

Gwattegg 2 Villa im „kalifornischen Stil“ 1962 (b)<br />

Hofstetten-<br />

strasse 54*<br />

Hofstetten-<br />

strasse 71 – 73<br />

Krankenhaus-<br />

strasse 12 L<br />

Um- und Anbau an das bestehende<br />

Wohnhaus von 1945<br />

Lachen Eingeschossiger Pavillon<br />

„Kinderparadies“<br />

1954 und 1955 (b)<br />

1991<br />

Zwei zusammengebaute Wohnblöcke 1961 (b)<br />

Schwesternschule beim Spital 1956 (b)<br />

Marktgasse 17* Wohn- und Geschäftshaus,<br />

zusammen mit Peter Lanzrein<br />

(Beschreibung siehe oben)<br />

Mittlere<br />

Ringstrasse 24<br />

Niesen-<br />

strasse 15 B<br />

Vierfamilienhaus in der Grösse einer<br />

Seefeldvilla<br />

Temporär für die<br />

KABA 1949<br />

1959<br />

1946 (b)<br />

Wohn- und Geschäftshaus 1961 (b)<br />

Obere Ladenumbau des Hauses von 1880 1958


Hauptgasse 19*<br />

Obere<br />

Hauptgasse 37*<br />

Obere<br />

Hauptgasse 57<br />

Schwäbis-<br />

gasse 1*<br />

Seefeld-<br />

strasse 8<br />

Umbau Juweliergeschäft 1967<br />

Einbau Arkade und Laden<br />

(Beschreibung siehe oben)<br />

56<br />

1957 (b)<br />

Coop City Warenhaus Kyburg. 1968 bis 1971<br />

Geschäftshaus 1976 (b)<br />

Seestrasse 2 Bahnhofbuffet 1 . Klasse, Aufbau in<br />

Chromstahl<br />

Steffisburg-<br />

strasse 25 - 27<br />

Wohnbebauung Wermuthmatte<br />

(Beschreibung siehe oben)<br />

Tellstrasse 1 Quartierschulhaus im Horbergut<br />

(Schulhaus Hohmad)<br />

Untere<br />

Hauptgasse 27<br />

Neue Fassade und Laden des Wohn-<br />

und Geschäftshauses von 1949<br />

1968<br />

2003 abgebrochen<br />

1978 (b), verändert<br />

durch Renovation<br />

1948<br />

1972<br />

________________________________________________________________________<br />

(1) Auskünfte zu Person und Werk von Livio Colombi, für die ich herzlich danke, erhielt ich<br />

von seinem ältesten Sohn, Uli Colombi und von Andrea Roost<br />

(2) Altstadtsanierung Zone 3, Bericht, Livio Colombi, Architekt, Thun, datiert 12. Januar<br />

1945<br />

(3) „Die Spuren des Querkopfs schwinden“, Artikel von Markus Kestenholz im Thuner<br />

Tagblatt vom 28. 10. 2011 über die Stadtführung für das Architekturforum am 26. Oktober<br />

2011


Andrea Zellweger<br />

Kontrast und Verbindung: Das Stadtmuseum Rapperswil-Jona<br />

Die Bauaufgabe erscheint zunächst einfach: Man entwerfe einen<br />

zweckmässigen Bau als Verbindung von zwei Museumstrakten. Der<br />

Neubau soll in das historische Strassenbild zwischen der Stadtpfarrkirche<br />

und dem Engelplatz eingepasst werden und sowohl als<br />

Ausstellungsfläche als auch zur Erschliessung von Breny-Haus, einem<br />

Bürgerhaus von 1492, und Breny-Turm, einem Eckturm der Stadtbefestigung<br />

von 28 Metern Höhe, dienen. Dies ist eine anspruchsvolle<br />

Aufgabenstellung. Mit dem 2007 aus dem Wettbewerb als Sieger hervorgegangenen<br />

Projekt „Janus“ ist es den Architekten von :mlzd, Biel,<br />

gelungen, die Vorgaben der Auftraggeberschaft zu erfüllen: Zwischen<br />

das Breny-Haus und den Breny-Turm spannt sich der Museumsneubau,<br />

dessen gefalteter Blechmantel gleichzeitig Dach und gassenseitige<br />

Fassade bilden. Die Stadtansicht prägende Nordseite, ein Teil der<br />

Stadtmauer von Rapperswil, blieb unangetastet.<br />

Das Spiel mit den Oberflächen<br />

Von der Stadtpfarrkirche herkommend fällt der Blick auf die frisch<br />

renovierte, sauber verputzte Fassade des Breny-Hauses. Anschliessend<br />

sieht man das kräftige, rauhe Sichtmauerwerk des Breny-Turms. Erst im<br />

letzten Moment erscheint der Zwischenbau, welcher aus der Flucht der<br />

Altstadtgasse zurückspringt. Wie ein unregelmässig gefalteter Lochkartenstreifen<br />

einer Drehorgel erscheinen die glatten, golden glänzenden<br />

Flächen der Fassade aus Baubronze, einer Kupfer-Zink-Legierung. Der<br />

Glanz wird durch die Oxidation der Oberfläche zurückgehen, die Haut<br />

wird sich den dunkelbraunen Dachflächen der Umgebung angleichen.<br />

Das Spiel mit perforierten oder dreidimensionalen Oberflächen ist zum<br />

Thema der Architekten von :mlzd geworden. So spielen sie bei der<br />

Fassade von „Titan/Kubus“, der Erweiterung des Historischen Museums<br />

in Bern 2001-2009, mit Pixeln auf den Flächen, die in unterschiedlichen<br />

Winkeln zueinander angeordnet sind. Bei der neuen Mensa der<br />

Kantonsschule Wettingen (2002-2008 realisiert) stehen die ausgestanzten<br />

Ornamente in Form von Blüten- und Blattformen der<br />

57


Metallverkleidung, welche Bezüge zur historischen Klosteranlage und<br />

deren Umgebung aufnehmen, in Kontrast mit der Abstraktion des<br />

Volumens. Die Idee der Fassaden-Perforation wird 2012 weitergeführt<br />

beim Wettbewerb für den Erweiterungsbau des Sekundarschulhauses<br />

Sandgruben in Basel.<br />

58


Gut getroffen ist die Namenwahl des Projekts: Janus, der römische Gott<br />

des Anfangs und des Endes, ursprünglich ein Licht- und Sonnengott,<br />

wurde jeweils mit zwei Gesichtern dargestellt, eines welches nach vorne<br />

und eines welches zurück blickt. So hat auch der Rapperswiler „Janus“<br />

mehrere Gesichter: Strassenseitig das Überraschende, Glatte, nordseitig<br />

die mittelalterliche Stadtmauer. Von aussen ein kompaktes Volumen und<br />

nach einem engen Eingangsbereich ein hohes, luftiges Inneres. Neben<br />

zusätzlichem Ausstellungsraum ist die vertikale Erschliessung mit Lift<br />

und Treppe das zentrale Element. In verschiedenen Winkeln leicht<br />

versetzt zueinander angeordnete Treppenläufe führen in die Höhe bis<br />

zum Oberlicht und machen die Ausstellungsräume im Breny-Haus und –<br />

Turm zugänglich. Auch hier macht Janus seinem Namen alle Ehre: Das<br />

Innere ist durchflutet von Licht(*).<br />

________________________________________________________________________<br />

* Anmerkung: Der Text basiert auf Texten im Internet (rapperswil-jona.ch; mlzd ) und der<br />

öffentlichen Herbstexkursion des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es Region Thun Kandertal<br />

Simmental Saanen am 1. Oktober 2011.<br />

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Die Autoren des <strong>Jahresheft</strong>s 2012<br />

Irene Bruneau, Dipl. Informatik-Ingenieurin FH und Kunsthistorikerin MA. Seit November<br />

2011 wissenschaftliche Assistentin bei der Denkmalpflege des Kantons Bern. Mehrjährige<br />

Erfahrung in der Realisierung von Webapplikationen.<br />

Matthias Fischer, lic.phil., studierte Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und klassische<br />

Archäologie an der Universität Bern, Doktorand bei Prof. Akos Moravanszky ETH Zürich<br />

(Kirchenbau der Reformarchitektur in der Deutschschweiz 1900 bis 1914), Inventarisator<br />

bei der Denkmalpflege des Kantons Bern.<br />

Guntram Knauer, Dipl. Architekt ETH, leitete über zwanzig Jahre lang das<br />

Stadtplanungsamt Thun, unterrichtete während zehn Jahren nebenberuflich Städtebau an<br />

der <strong>Berner</strong> Fachhochschule, Präsident des <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong>es Region Thun Kandertal<br />

Simmental Saanen.<br />

Peter Küffer, Historiker, befasst sich vor allem mit der Geschichte der Stadt Thun.<br />

Matthias Trachsel, Dipl. Architekt FH, NDS Holzbau, seit 2003 eigenes Architekturbüro<br />

(atelier werkidee trachsel) in Zweisimmen, Bauberater <strong>Berner</strong> <strong>Heimatschutz</strong> Region Thun<br />

Kandertal Simmental Saanen.<br />

Andrea Zellweger, Architekturhistorikerin lic. phil, studierte Kunst- und Architekturgeschichte<br />

sowie Anglistik an der Universität Bern, bildete sich zu Gymnasiallehrerin für<br />

Englisch und Kunstgeschichte an der Universität Fribourg aus, arbeitet seit zehn Jahren<br />

als Inventarisatorin, ist stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Forschung und Dokumentation<br />

bei der Denkmalpflege des Kantons Bern, Vorstandsmitglied des <strong>Berner</strong><br />

<strong>Heimatschutz</strong>es Region Thun Kandertal Simmental Saanen.<br />

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Für Spenden ist der <strong>Heimatschutz</strong> Thun Kandertal Simmental Saanen<br />

jederzeit dankbar. Einzahlungen sind auf folgendes Konto möglich:<br />

PostFinance Konto Nr. 30-38118-3<br />

IBAN: CH30 0870 4016 0744 6000 4<br />

Der Druck dieses <strong>Jahresheft</strong>es wurde unterstützt von:<br />

Architektur I Forum I Thun

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