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Erste Schritte in die Physik für Gehörlose - sonderpaedagoge.de!

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Ausgabe 04|08<br />

Die Fachzeitschrift im Internet<br />

Rezensionen<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

ISSN 1610­613X / Jg. 7<br />

4/ 08<br />

Georg Theunissen<br />

Außenseiter-Kunst - unter beson<strong>de</strong>rer Beachtung <strong>de</strong>r<br />

Bil<strong>de</strong>rwelt <strong>de</strong>s Georg Brand<br />

Achim Kirschall<br />

Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen.<br />

Die Präventionsprogramme „KES“ und „PEP“<br />

im Vergleich<br />

Madness and Disabilities:<br />

Interview with Geoffrey Reaume<br />

Milen Zamphirov, Svetoslava Saeva<br />

„<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“ – neues<br />

computerisiertes Lernprogramm <strong>in</strong> Bulgarien


Inhalt<br />

Editorial...................................................................2<br />

Georg Theunissen<br />

Außenseiter-Kunst - unter beson<strong>de</strong>rer Beachtung <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>rwelt<br />

<strong>de</strong>s Georg Brand............................................3<br />

Achim Kirschall<br />

Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen.<br />

Die Präventionsprogramme „KES“ und „PEP“<br />

im Vergleich...........................................................32<br />

Madness and Disabilities:<br />

Interview with Geoffrey Reaume................................58<br />

Milen Zamphirov, Svetoslava Saeva<br />

„<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“ – neues computerisiertes<br />

Lernprogramm <strong>in</strong> Bulgarien....................66<br />

Rezensionen...........................................................81<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise............................................83<br />

H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> Autoren...............................................93<br />

Leserbriefe und Forum.............................................94<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08<br />

ISSN 1610-613X<br />

Herausgeber und V.i.S.d.P.:<br />

Dr. Sebastian Barsch Tim Bendokat<br />

L<strong>in</strong><strong>de</strong>nthalgürtel 94 Südstraße 79<br />

50935 Köln<br />

48153 Münster<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsweise: 4 mal jährlich<br />

http://www.heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com<br />

- 1 -<br />

Markus Brück<br />

Simmererstraße 12<br />

50935 Köln<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Editorial<br />

Liebe Leser<strong>in</strong>nen und Leser,<br />

Editorial<br />

mit <strong>die</strong>ser Zeitschrift können wir Ihnen jetzt <strong>die</strong> letzte Ausgabe von<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e im Jahr 2008 präsentieren. Es erwartet Sie<br />

e<strong>in</strong>e thematisch abwechslungsreiche Mischung.<br />

Georg Theunissen widmet sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag <strong>de</strong>m Thema Außenseiter-Kunst.<br />

Se<strong>in</strong> beson<strong>de</strong>res Augenmerk gilt <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn von<br />

Georg Brand, e<strong>in</strong>em Künstler mit geistiger Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung. Abgerun<strong>de</strong>t<br />

wird <strong>de</strong>r Beitrag durch e<strong>in</strong>e Auswahl e<strong>in</strong>drucksvoller Gemäl<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Künstlers.<br />

Achim Kirschall hat zwei Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramme <strong>für</strong> Eltern von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn<br />

mit AD(H)S <strong>in</strong>tensiv untersucht und ihre Vor- und Nachteile<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r Zielgruppe und ihrer Zielsetzung herausgearbeitet.<br />

Se<strong>in</strong>e Ergebnisse stellt er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag vor und diskutiert dabei<br />

mögliche Konsequenzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> praktische Arbeit.<br />

Nach langer Pause können wir Ihnen <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Ausgabe wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong><br />

Interview präsentieren. Geoffrey Reaume lehrt und forscht an <strong>de</strong>r<br />

York University Toronto. Se<strong>in</strong> beson<strong>de</strong>res Forschungs<strong>in</strong>teresse gilt<br />

<strong>de</strong>r Psychiatriegeschichte und <strong>de</strong>r Geschichte von Menschen mit<br />

psychischen Erkrankungen, wobei er e<strong>in</strong>en patientenzentrierten<br />

Standpunkt e<strong>in</strong>nimmt. Im Interview spricht er über se<strong>in</strong>e Arbeit.<br />

Im letzten Beitrag werfen wir e<strong>in</strong>en weiteren Blick über <strong>die</strong> Grenzen<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachigen Heil- und Son<strong>de</strong>rpädagogik. Milen Zamphirov<br />

und Svetoslava Saeva stellen e<strong>in</strong> Lernprogramm vor, welches<br />

gehörlosen und schwerhörigen Schülern <strong>in</strong> Bulgarien das Lernen im<br />

Fach <strong>Physik</strong> erleichtern soll. E<strong>in</strong> Beispiel da<strong>für</strong>, wie auf <strong>die</strong> spezifischen<br />

fachdidaktischen Anfor<strong>de</strong>rungen e<strong>in</strong>es Unterrichtsfachs son<strong>de</strong>rpädagogisch<br />

reagiert wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Ausgabe f<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie <strong>die</strong> üblichen Buchbesprechungen<br />

und Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise. Wir wünschen Ihnen wie immer e<strong>in</strong>e<br />

aufschlussreiche und anregen<strong>de</strong> Lektüre. Reaktionen Ihrerseits s<strong>in</strong>d<br />

uns und unseren Autoren wie immer willkommen.<br />

Sebastian Barsch Tim Bendokat Markus Brück<br />

- 2 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

Georg Theunissen<br />

Außenseiter-Kunst - unter beson<strong>de</strong>rer<br />

Beachtung <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>rwelt <strong>de</strong>s Georg<br />

Brand<br />

Kunst von so genannten Außenseitern f<strong>in</strong><strong>de</strong>t <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten<br />

Jahren immer mehr Zuspruch. Was aber be<strong>de</strong>utet Außenseiter-Kunst?<br />

Ausgehend von <strong>die</strong>ser Frage versucht <strong>de</strong>r Artikel<br />

e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie zur Kunst von Menschen mit <strong>in</strong>tellektueller<br />

Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung herzustellen. Herausgestellt wird dabei<br />

e<strong>in</strong>e authentische Kunst – präsentiert am Beispiel <strong>de</strong>r außergewöhnlichen<br />

Bil<strong>de</strong>rwelt <strong>de</strong>s Außenseiter-Künstlers Georg<br />

Brand.<br />

Schlüsselwörter: Outsi<strong>de</strong>r Art, Art Brut, self-taught artists, geistige Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung,<br />

<strong>in</strong>tellektuelle Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung, seelische Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung<br />

In the last years outsi<strong>de</strong>r-art has become more and more<br />

popular. But what’s the mean<strong>in</strong>g of outsi<strong>de</strong>r art? Start<strong>in</strong>g<br />

from this question the article is attempt<strong>in</strong>g to build a bridge<br />

to the arts of people with <strong>in</strong>tellectual disabilities. Emphasiz<strong>in</strong>g<br />

self-taught arts it presents the extraord<strong>in</strong>ary draw<strong>in</strong>gs<br />

of the outsi<strong>de</strong>r-artist Georg Brand.<br />

Keywords: outsi<strong>de</strong>r art, Art Brut, self-taught artists, mental retardation,<br />

<strong>in</strong>tellectual disabilities, <strong>de</strong>velopmental disabilities, cognitive disabilitiy<br />

E<strong>in</strong>leiten<strong>de</strong> Bemerkungen<br />

Sowohl <strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>e Kunstbetrieb, repräsentiert durch staatliche<br />

Kunsthallen, Museen, Galerien, Kunstmessen, Kunsthan<strong>de</strong>l und<br />

Kunstauktionen, als auch <strong>die</strong> Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe, repräsentiert durch<br />

Kreative o<strong>de</strong>r Kunst-Werkstätten, Kunst- und Kulturprojekte sowie<br />

Wan<strong>de</strong>rausstellungen jenseits <strong>de</strong>s etablierten Kunstgeschäfts, ver-<br />

wen<strong>de</strong>n <strong>in</strong> jüngster Zeit gerne <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst,<br />

um <strong>die</strong> Öffentlichkeit <strong>für</strong> Kunstwerke zu sensibilisieren, <strong>die</strong> am Ran-<br />

<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r außerhalb <strong>de</strong>s Kunst-Ma<strong>in</strong>streams entstan<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d.<br />

Während <strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>e Kunstbetrieb <strong>de</strong>n Facettenreichtum von<br />

Kunst im Lichte <strong>de</strong>s Außergewöhnlichen o<strong>de</strong>r Unkonventionellen<br />

- 3 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

durch Werke nicht- o<strong>de</strong>r semi-professioneller Künstler zu fokussie-<br />

ren und dabei neue Kunstliebhaber und Kun<strong>de</strong>n zu gew<strong>in</strong>nen ver-<br />

sucht, geht es <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re um gesellschaftli-<br />

che Integration und um e<strong>in</strong>e „<strong>in</strong>klusive Kultur“, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Menschen<br />

mit Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen durch Teilhabe als Künstler Anerkennung und<br />

Wertschätzung erfahren.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst ist <strong>die</strong> Übersetzung von Outsi<strong>de</strong>r<br />

Art – e<strong>in</strong> Oberbegriff, <strong>de</strong>r seit <strong>de</strong>n 1970er Jahren im angloamerika-<br />

nischen Sprachraum geläufig ist und mit unterschiedlichsten Be-<br />

zeichnungen, Stilrichtungen o<strong>de</strong>r Stichwörtern wie zum Beispiel Art<br />

Brut, raw art, uncooked art (unverbil<strong>de</strong>te Kunst), self-taught art,<br />

Naive Kunst, primitive Malerei, native art, Laien- o<strong>de</strong>r Hobby-Male-<br />

rei, Kunst <strong>de</strong>r Geisteskranken, psychopathologische Kunst, Kunst<br />

<strong>de</strong>r geistig Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten, disability art, abble art, folk art, visionary<br />

art, <strong>in</strong>tuitive art o<strong>de</strong>r grassroots art entwe<strong>de</strong>r synonym gesetzt<br />

o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht wird (vgl. THEUNISSEN 2008).<br />

Oberbegriffe, <strong>die</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>rart weiten S<strong>in</strong>ne benutzt wer<strong>de</strong>n,<br />

stehen bekanntlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gefahr, unverb<strong>in</strong>dlich zu wer<strong>de</strong>n und zu<br />

e<strong>in</strong>er Leerformel zu ger<strong>in</strong>nen. Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n allzu leicht Irritatio-<br />

nen, Missverständnisse o<strong>de</strong>r gar Fehl<strong>in</strong>terpretationen beför<strong>de</strong>rt,<br />

wenn e<strong>in</strong>e Präzisierung und Begriffsklärung ausbleibt. Soll Außen-<br />

seiter-Kunst mehr se<strong>in</strong> als e<strong>in</strong> vollmundiger Mo<strong>de</strong>begriff, ist es un-<br />

abd<strong>in</strong>gbar, e<strong>in</strong>e Begriffsreflexion vorzunehmen, term<strong>in</strong>ologische<br />

Geme<strong>in</strong>samkeiten sowie Abgrenzungen anzuskizzieren und zu spe-<br />

zifischen Aussagen zu gelangen, <strong>die</strong> zum Verständnis e<strong>in</strong>er Kunst<br />

von so genannten Außenseitern beitragen können.<br />

- 4 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst – als Oberbegriff buchstabiert<br />

Außenseiter-Kunst<br />

Der Oberbegriff <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst, <strong>de</strong>r we<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en bestimm-<br />

ten Kunststil bezeichnet, noch <strong>für</strong> e<strong>in</strong> festes Kunstprogramm steht,<br />

tritt quasi als e<strong>in</strong>e kunstbegriffliche Klammer zutage, <strong>die</strong> verschie-<br />

<strong>de</strong>ne Ersche<strong>in</strong>ungen und Ausrichtungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vernetzten Struk-<br />

tur zu b<strong>in</strong><strong>de</strong>n sucht: Da haben wir es zunächst e<strong>in</strong>mal mit <strong>de</strong>r self-<br />

taught art (nicht-aka<strong>de</strong>mischen Kunst) zu tun. Darunter wer<strong>de</strong>n Ar-<br />

beiten gefasst, <strong>die</strong> von bildnerisch o<strong>de</strong>r werkhaft tätigen Personen<br />

stammen, <strong>die</strong> sich autodidaktisch (jenseits e<strong>in</strong>es schulischen Kunst-<br />

unterrichts) Malweisen o<strong>de</strong>r Gestaltungstechniken angeeignet ha-<br />

ben, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>e aka<strong>de</strong>misch-künstlerische Ausbildung durchlaufen<br />

haben und sich ebenso wenig mit Kunst o<strong>de</strong>r Kunstgeschichte aus-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgesetzt haben (vgl. REXER 2005, 35f.). Solange self-<br />

taught artists nicht wie zum Beispiel Frida Kahlo (1907–1954) o<strong>de</strong>r<br />

Niki <strong>de</strong> Sa<strong>in</strong>t Phalle (1930-2002) als professionelle Künstler<strong>in</strong>nen<br />

aktiv wer<strong>de</strong>n, zählen sie zum weiten Kreis <strong>de</strong>r Außenseiter-Künst-<br />

ler.<br />

Der self-taught art kommt <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> Schlüsselfunktion<br />

im Bereich <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst zu: So stoßen wir erstens bei <strong>de</strong>r<br />

so genannten Laien-, Sonntags- o<strong>de</strong>r Hobbymalerei auf „namenlo-<br />

se“ Autodidakten, <strong>die</strong> vor allem im Renten- o<strong>de</strong>r Seniorenalter zum<br />

ersten Mal bildnerisch-produktive Betätigungen <strong>für</strong> sich ent<strong>de</strong>ckt<br />

und eigene Gestaltungsweisen entwickelt haben. An<strong>de</strong>rerseits gibt<br />

es Laien- o<strong>de</strong>r Hobbymaler, <strong>die</strong> im fortgeschrittenen Alter noch e<strong>in</strong>-<br />

mal ihre künstlerischen Begabungen o<strong>de</strong>r Interessen unter Rück-<br />

griff auf ehemals schulisch erlernte Fertigkeiten und bestimmte<br />

Stilformen (z. B. dilettierend klassizistische, naturalistische, gegen-<br />

ständliche, impressionistische, naive Malerei) unter Beweis stellen.<br />

Ihre Artefakte zählen jedoch nicht zur Außenseiter-Kunst, son<strong>de</strong>rn<br />

wer<strong>de</strong>n re<strong>in</strong> <strong>de</strong>r privaten Kulturbetätigung zugeordnet. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus gibt es Straßenkünstler, <strong>die</strong> sich als „Namenlose“ künstle-<br />

- 5 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

risch geschult haben und mit Bildwerken, <strong>die</strong> nicht selten als<br />

„Kitsch“ wahrgenommen und bezeichnet wer<strong>de</strong>n, als semi-profes-<br />

sionelle Maler (Gelegenheitskünstler) <strong>de</strong>r Öffentlichkeit präsentie-<br />

ren.<br />

Zweitens war bis vor wenigen Jahren <strong>die</strong> Kunst außerhalb <strong>de</strong>r west-<br />

lichen Welt bzw. jenseits <strong>de</strong>r entwickelten Län<strong>de</strong>r - <strong>die</strong> so genannte<br />

Kunst <strong>de</strong>r Primitiven o<strong>de</strong>r native art - weith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e self-taught art,<br />

welche zugleich e<strong>in</strong>e starke Aff<strong>in</strong>ität zur Art Brut (dazu später) er-<br />

kennen ließ. Heute begegnen wir nur noch selten <strong>die</strong>ser Re<strong>in</strong>kultur,<br />

eher stoßen wir bei <strong>de</strong>r Kunst aus Entwicklungslän<strong>de</strong>rn, von Be-<br />

wohnern <strong>de</strong>r Südsee<strong>in</strong>seln, afrikanischen Volksstämmen o<strong>de</strong>r<br />

Ure<strong>in</strong>wohnern, zum Beispiel <strong>die</strong> <strong>de</strong>r australischen Aborig<strong>in</strong>als, im-<br />

mer häufiger auf (semi-)professionell tätige Autodidakten, <strong>die</strong><br />

durch e<strong>in</strong>e Verknüpfung traditioneller, ursprünglicher Ausdrucksfor-<br />

men und e<strong>in</strong>em volkstümlichen Kunsthandwerk (folk art) mit west-<br />

lichen (mo<strong>de</strong>rnen) Kunststilarten <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Tourismus aus hoch ent-<br />

wickelten Län<strong>de</strong>rn sowie <strong>de</strong>n Kunstmarkt <strong>in</strong> führen<strong>de</strong>n Industriena-<br />

tionen produzieren.<br />

E<strong>in</strong> dritter Strang, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r self-taught art ausgeht, reicht <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

eben genannte folk art, <strong>die</strong> sich auf traditionsreiche Techniken ei-<br />

ner volkstümlichen Kunst o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>es zumeist regional be<strong>de</strong>utsamen<br />

Kunsthandwerks (z. B. Töpferei, Glasmalerei, Sei<strong>de</strong>nstickerei) be-<br />

zieht und sowohl nicht-professionell als auch professionell gepflegt<br />

wird.<br />

Als viertes stellt <strong>die</strong> Naive Malerei e<strong>in</strong>e bemerkenswerte Stilart dar,<br />

<strong>die</strong> durch Autodidakten (self-taught artists) wie zum Beispiel Henri<br />

Rousseau (1845-1910) <strong>in</strong> Europa o<strong>de</strong>r Grandma Moses<br />

(1860-1961) <strong>in</strong> <strong>de</strong>n USA bekannt gemacht wur<strong>de</strong>. Wie alle an<strong>de</strong>ren<br />

Varianten <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst ist gleichfalls <strong>die</strong> Naive Malerei<br />

ke<strong>in</strong>e historische Kunstkategorie. Inzwischen wird sie auch profes-<br />

sionell betrieben, wobei sie sich e<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Kunst<br />

- 6 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

erkämpft hat und <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Falle freilich nicht mehr zur Außenseiter-<br />

Kunst gezählt wer<strong>de</strong>n darf.<br />

Die fünfte und wohl be<strong>de</strong>utsamste Ersche<strong>in</strong>ung unter <strong>de</strong>m Label<br />

<strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst und self-taught art ist <strong>die</strong> Art Brut. Dieser<br />

Begriff wur<strong>de</strong> um 1945 vom französischen Künstler Jean Dubuffet<br />

(1901-1985) kreiert und mit subversiver Intention <strong>de</strong>r offiziellen<br />

bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst <strong>de</strong>r entwickelten (westlichen) Welt gegenüberge-<br />

stellt. Da Dubuffet Urheberschaft <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Ausdruck Art Brut rekla-<br />

mierte, wur<strong>de</strong>n zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r 1970er Jahre im angloamerikani-<br />

schen Sprachraum Begriffe wie outsi<strong>de</strong>r art, raw art, raw visions,<br />

visionary art, grassroots art, <strong>in</strong>tuitive art o<strong>de</strong>r uncooked art als<br />

äquivalente bzw. Parallelbezeichnungen e<strong>in</strong>geführt.<br />

Heute hat sich im Zuge <strong>die</strong>ser Entwicklung <strong>die</strong> Ten<strong>de</strong>nz durchge-<br />

setzt, Außenseiter-Kunst sowohl als zentralen Orientierungsbegriff<br />

als auch als Synonym <strong>für</strong> Art Brut zu verwen<strong>de</strong>n (vgl. THEUNISSEN<br />

2008). Geme<strong>in</strong>t ist damit e<strong>in</strong>e rohe, unverfälschte, unverbil<strong>de</strong>te,<br />

authentische Kunst von Personen, <strong>die</strong> ihre Themen, Materialien,<br />

künstlerischen Mittel und Motivation aus ihrem eigenen Inneren be-<br />

ziehen, <strong>die</strong> we<strong>de</strong>r als professionelle Künstler schaffen, noch sich<br />

nach künstlerischen Vorbil<strong>de</strong>rn, Stilarten o<strong>de</strong>r Strömungen richten,<br />

<strong>die</strong> ke<strong>in</strong> Interesse an e<strong>in</strong>er Veröffentlichung, kulturellen Würdigung<br />

o<strong>de</strong>r Vermarktung ihrer Bil<strong>de</strong>r bekun<strong>de</strong>n und somit um ihrer<br />

Selbstwillen, quasi „aus <strong>de</strong>m Bauch heraus“ (Dubuffet) bildnerisch<br />

o<strong>de</strong>r werkhaft tätig s<strong>in</strong>d.<br />

Die größte Gruppe <strong>de</strong>r Art Brut-Künstler bil<strong>de</strong>n <strong>in</strong>stitutionalisierte<br />

Personen: Menschen mit schizophrenen o<strong>de</strong>r psychotischen Störun-<br />

gen, Menschen mit <strong>in</strong>tellektuellen und seelischen Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen,<br />

Gefängnis<strong>in</strong>sassen sowie Bewohner/<strong>in</strong>nen aus Alten- o<strong>de</strong>r Pflege-<br />

heimen. H<strong>in</strong>zu kommen e<strong>in</strong>fache Bauern, Tierpfleger, Holzfäller,<br />

Knechte o<strong>de</strong>r Feldarbeiter aus abseits gelegenen Dörfern, Hirten,<br />

Trö<strong>de</strong>lhändler, Hausierer, Son<strong>de</strong>rl<strong>in</strong>ge, Vagabun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Hilfsarbei-<br />

- 7 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

ter mit mangeln<strong>de</strong>r Schulbildung (Analphabeten) sowie Anhänger<br />

spiritistischer Lehren, Holocaust-Überleben<strong>de</strong>, Kriegsflüchtl<strong>in</strong>ge und<br />

ethnische Randgruppen.<br />

Diskutiert wird heute <strong>die</strong> Frage, ob es e<strong>in</strong>e „unverbil<strong>de</strong>te“ Art Brut,<br />

wie sie von Dubuffet zum Markenzeichen erklärt wur<strong>de</strong>, überhaupt<br />

noch gibt. So begegnen wir <strong>in</strong> entwickelten Län<strong>de</strong>rn kaum mehr ei-<br />

nem Art Brut-Künstler, <strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>e Schule besucht hat und <strong>in</strong> völliger<br />

E<strong>in</strong>samkeit und Verborgenheit tätig ist. Manche Experten behaup-<br />

ten daher, dass <strong>die</strong> Art Brut am Aussterben sei. Auf je<strong>de</strong>n Fall hat<br />

sich <strong>de</strong>r soziale, kulturelle und ökonomische Kontext verän<strong>de</strong>rt, so<br />

dass <strong>die</strong> von Dubuffet angelegten Kriterien wie „fehlen<strong>de</strong> künstleri-<br />

sche Ausbildung, ke<strong>in</strong>e gesellschaftliche Anpassung, Gleichgültig-<br />

keit gegenüber jeglicher Anerkennung und Kommerzialisierung, Tä-<br />

tigkeit <strong>in</strong> E<strong>in</strong>samkeit und Verborgenheit, Verwendung beschei<strong>de</strong>ner<br />

technischer Mittel, ‚glühen<strong>de</strong> geistige Anspannung, ungebremster<br />

Erf<strong>in</strong>dungsgeist, Rausch und totale Freiheit’“ (PEIRY 2005, 120f.)<br />

nicht (mehr) absolut gesetzt wer<strong>de</strong>n dürfen, son<strong>de</strong>rn gegenwarts-<br />

bezogen relativiert wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Grundsätzlich ist es unzulässig, Art Brut auf e<strong>in</strong>e „psychopathologi-<br />

sche Kunst“ zu reduzieren o<strong>de</strong>r als e<strong>in</strong>e bestimmte Stilrichtung<br />

auszuweisen; im Gegenteil: So unterschiedlich <strong>die</strong> Provenienz und<br />

Lebenslagen <strong>de</strong>r Art Brut-Künstler s<strong>in</strong>d, so verschie<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d ihre<br />

Bildwerke, <strong>die</strong> mit selbsterarbeiteten Techniken, selbstgewählten<br />

Motiven, kreativen bildnerischen Lösungen sowie „unkonventionel-<br />

len“ Ausdrucks- und Mischformen aus frühen Kritzeleien o<strong>de</strong>r Sche-<br />

madarstellungen e<strong>in</strong>en zumeist unverwechselbaren, persönlichen<br />

Stil repräsentieren, eng mit <strong>de</strong>m <strong>in</strong>dividuellen Lebensgeschehen<br />

verbun<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d und ohne Kenntnisse <strong>de</strong>r Biographie und Lebenssi-<br />

tuation häufig schwer zu verstehen bzw. zugänglich s<strong>in</strong>d.<br />

Nun könnte an <strong>die</strong>ser Stelle <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>druck entstehen, dass sich unter<br />

Art Brut e<strong>in</strong>e Flut an Bildwerken von nicht-professionell tätigen E<strong>in</strong>-<br />

- 8 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

zelgängern fassen lässt. So e<strong>in</strong>fach hat es sich Dubuffet aber nicht<br />

gemacht. Ihm war es immer um Exklusivität durch außergewöhnli-<br />

che künstlerische Arbeiten und um <strong>die</strong> „Re<strong>in</strong>haltung“ <strong>de</strong>r Art Brut<br />

gemäß <strong>de</strong>r oben genannten Begriffsauslegung zu tun. Daher gibt es<br />

neben <strong>de</strong>r von ihm <strong>in</strong>itiierten Collection <strong>de</strong> l’Art Brut, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Lausan-<br />

ne (Schweiz) zu besichtigen ist, unter <strong>de</strong>r Bezeichnung Neuve In-<br />

vention e<strong>in</strong>e spezielle Abteilung, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r sich Werke von ehemaligen<br />

Art Brut o<strong>de</strong>r Außenseiter-Künstlern bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>die</strong> entwe<strong>de</strong>r vor ih-<br />

rer Ent<strong>de</strong>ckung e<strong>in</strong> künstlerisches Studium aufgenommen hatten,<br />

o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> nach ihrer Ent<strong>de</strong>ckung sich künstlerisch ausbil<strong>de</strong>n ließen,<br />

Kontakt zur offiziellen Kunstszene aufnahmen, professionell tätig<br />

wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r großes Interesse an <strong>de</strong>r Veröffentlichung und Ver-<br />

marktung ihrer Bil<strong>de</strong>r zeigten. E<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r prom<strong>in</strong>entesten Künstler<br />

<strong>de</strong>r Neuve Invention ist Louis Soutter (1871-1942). Mit <strong>de</strong>m Güte-<br />

siegel <strong>de</strong>s Außergewöhnlichen, das mit Akzentverschiebungen, un-<br />

gewöhnlichen o<strong>de</strong>r orig<strong>in</strong>ellen E<strong>in</strong>fällen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Motivauswahl und<br />

Symbolik, im Bildaufbau, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dynamik, Rhythmisierung, Farb-<br />

Formgestaltung, Materialisierung o<strong>de</strong>r Technik <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung ge-<br />

bracht wird (THEUNISSEN 2008, 8ff.), gel<strong>in</strong>gt es ganz im S<strong>in</strong>ne Du-<br />

buffets Abgrenzungen zwischen <strong>de</strong>r Art Brut, <strong>de</strong>r konventionellen<br />

Laienmalerei (naturalistisch, gegenständlich, impressionistisch…),<br />

<strong>de</strong>r Naiven (Stil-)Kunst sowie e<strong>in</strong>er schlichten, „netten“ k<strong>in</strong>dlich-<br />

naiven Bildnerei vorzunehmen.<br />

Von hieraus ist <strong>de</strong>r Schritt nicht weit zu Bildwerken von kl<strong>in</strong>isch <strong>de</strong>-<br />

f<strong>in</strong>ierten Personengruppen, namentlich zu <strong>de</strong>r Kunst von psychisch<br />

Kranken (früher als Irrenkunst bezeichnet), von Menschen mit geis-<br />

tiger Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung, autistischen Störungen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>-<br />

rungsformen. Um es gleich vorweg zu sagen: Unter <strong>de</strong>m Label <strong>de</strong>r<br />

Außenseiter-Kunst wer<strong>de</strong>n unabhängig <strong>de</strong>r Frage nach Art Brut<br />

o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>er self-taught art nicht selten alle Bildwerke von Menschen<br />

gefasst, <strong>die</strong> als beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt, schizophren o<strong>de</strong>r psychotisch gelten. Ge-<br />

- 9 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

ra<strong>de</strong> <strong>die</strong>ses weite Verständnis von Außenseiter-Kunst muss aus<br />

mehreren Grün<strong>de</strong>n kritisch gesehen wer<strong>de</strong>n. Unsere Reflexion fo-<br />

kussiert hierbei <strong>de</strong>n Umgang mit <strong>in</strong>tellektuell (geistig) beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten<br />

Menschen.<br />

Außenseiter-Kunst als Kunst von beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten Menschen<br />

Beg<strong>in</strong>nen möchte ich mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Außenseiters. Berufs-<br />

künstler dürfen sich bekanntlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Rolle e<strong>in</strong>es Außenseiters<br />

präsentieren, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel gesellschaftlich gedul<strong>de</strong>t, ja akzep-<br />

tiert und auch positiv konnotiert sowie von <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zelnen Künstlern<br />

freiwillig gelebt wird. Ihr Außerseitertum führt nicht etwa zur Au-<br />

ßenseiter-Kunst, im Gegenteil: Das Verständnis vom professionel-<br />

len Künstler als Außenseiter muss vom Begriff und Be<strong>de</strong>utungsge-<br />

halt <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst scharf abgegrenzt wer<strong>de</strong>n. Dieser hat <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie künstlerische Aktivitäten und Arbeiten gesellschaftlicher<br />

Randgruppen jenseits <strong>de</strong>r offiziellen Kunst im Blick, <strong>de</strong>ren Außen-<br />

seiterrolle ambivalente Zuschreibungen erfährt. So ist zum Beispiel<br />

e<strong>in</strong>e positive Konnotation <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s Außenseiters bei Men-<br />

schen mit Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen ke<strong>in</strong>eswegs gesichert. Die nichtbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>r-<br />

te Gesellschaft respektiert sie vielleicht als Maler o<strong>de</strong>r gar Künstler,<br />

nicht o<strong>de</strong>r seltener aber als beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte Menschen. Nach wie vor be-<br />

gegnen wir eher e<strong>in</strong>er Diskrim<strong>in</strong>ierung, gegen <strong>die</strong> sich e<strong>in</strong>ige Künst-<br />

ler mit Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen offensiv zur Wehr setzen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie ihre Au-<br />

ßenseiterrolle bewusst provokant herausstellen. Ihr Programm ist<br />

<strong>die</strong> disability art, <strong>die</strong> durch e<strong>in</strong> „policy mak<strong>in</strong>g“ (politische E<strong>in</strong>mi-<br />

schung) und e<strong>in</strong> politisches Empowerment zum Ausdruck gebracht<br />

wird (MASEFIELD 2006). Disability arts o<strong>de</strong>r auch abble arts reprä-<br />

sentieren als Empowerment-Zeugnis von Autodidakten <strong>die</strong> Stimme<br />

beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rter Menschen und stehen ganz unter <strong>de</strong>r Regie <strong>de</strong>r Betrof-<br />

fenen.<br />

- 10 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

E<strong>in</strong> völlig an<strong>de</strong>res Bild ergibt sich h<strong>in</strong>gegen bei Menschen mit Be-<br />

h<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen, <strong>die</strong> nicht als „empowered persons“ (THEUNISSEN<br />

2007) imponieren können und von Verbän<strong>de</strong>n, Organisationen o<strong>de</strong>r<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe als Außenseiter-Künstler im<br />

Rahmen kultureller (Son<strong>de</strong>r-)Veranstaltungen öffentlich vorgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n. Wenngleich <strong>die</strong> damit verknüpfte und propagierte Absicht,<br />

e<strong>in</strong>en Beitrag zur Integration, Inklusion und Partizipation zu leisten,<br />

nicht unredlich ist, lassen sich Eigen<strong>in</strong>teressen wie beispielsweise<br />

Prestigegew<strong>in</strong>n <strong>für</strong> <strong>die</strong> E<strong>in</strong>richtungsträger o<strong>de</strong>r politische E<strong>in</strong>fluss-<br />

nahme durch kulturelles Engagement nicht verleugnen. Des Weite-<br />

ren stoßen wir auf e<strong>in</strong> Problem, das Irritationen und Missverständ-<br />

nisse beför<strong>de</strong>rt, wenn nahezu alles, was <strong>in</strong> Kreativ-Werkstätten,<br />

heilpädagogisch-therapeutischen Kunstateliers o<strong>de</strong>r Beschäfti-<br />

gungsstätten produziert wird, vonseiten <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtene<strong>in</strong>richtun-<br />

gen o<strong>de</strong>r ihrer Träger zur Kunst erklärt und öffentlich <strong>in</strong> Ausstellun-<br />

gen präsentiert wird. Dies ist <strong>in</strong>zwischen ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall mehr, was<br />

zur Folge hat, dass uns e<strong>in</strong> Mix an angeleiteten, fremdbestimmten<br />

und authentischen, persönlichen Bildwerken, an künstlerisch be-<br />

langlosen und außergewöhnlichen Arbeiten begegnet, <strong>de</strong>n wir als<br />

Außenseiter-Kunst genießen und schätzen lernen sollen. Angeleite-<br />

te, heil- o<strong>de</strong>r kunstpädagogisch bee<strong>in</strong>flusste Bildnereien s<strong>in</strong>d aber<br />

nicht mit authentischen Arbeiten vergleichbar, häufig unter an<strong>de</strong>ren<br />

Vorzeichen, e<strong>in</strong>er kunsttherapeutischen Intention o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>em öko-<br />

nomischen Verwertungs<strong>in</strong>teresse und auferlegten Bed<strong>in</strong>gungen<br />

entstan<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> „je<strong>de</strong> freche und erf<strong>in</strong>dungsreiche Ausdrucksweise“<br />

(PEIRY 2005, 198), je<strong>de</strong> Orig<strong>in</strong>alität, Kreativität und schöpferische<br />

Kraft, welche vom Künstler ausgeht, unterdrücken und <strong>de</strong>r ur-<br />

sprünglichen Gestaltungsabsicht und Arbeit ihre Be<strong>de</strong>utung neh-<br />

men. „Angelernte, antra<strong>in</strong>ierte Fähigkeiten… verbergen eher und<br />

verhüllen, als dass sie etwas offenbaren... Der wirkliche Charakter<br />

wird verfälscht… Kunstfertigkeiten kann je<strong>de</strong>rmann erlernen. Sie<br />

- 11 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

beruhen auf Abmachungen und Übere<strong>in</strong>künften, sie s<strong>in</strong>d Ergebnis<br />

von Übung, Fleiß und schließlich Rout<strong>in</strong>e… Technische Fertigkeiten<br />

können e<strong>in</strong> Bild gefällig machen…, aber… was bleibt dann noch?“<br />

(HASSBECKER 1987, 58).<br />

An <strong>die</strong>ser Stelle ist wohl kaum zu übersehen, dass das, was aus<br />

<strong>de</strong>m Lager <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe als Kunst von Außenseitern propa-<br />

giert wird, <strong>die</strong> Philosophie und Botschaft e<strong>in</strong>er Außenseiter-Kunst<br />

als self-taught art allzu leicht verfehlt und letztlich <strong>de</strong>m Begriff wie<br />

auch <strong>de</strong>n Künstlern eher scha<strong>de</strong>t als nutzt. Denn je mehr belanglo-<br />

se, kunstpädagogisch zurechtgestutzte Bildnereien publikumswirk-<br />

sam zur Schau gestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>sto eher kommt es zur Verfla-<br />

chung <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie an psychologischer Tiefe,<br />

Attraktivität, Anziehungskraft und Exklusivität verliert und zur Be-<br />

<strong>de</strong>utungs- und Belanglosigkeit <strong>de</strong>generiert. Darunter haben zu-<br />

gleich <strong>die</strong> Inklusions- und Partizipationsbemühungen zu lei<strong>de</strong>n, <strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>m das öffentliche Interesse an e<strong>in</strong>er „Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenkunst“ und ih-<br />

ren Produzenten erlischt. Im En<strong>de</strong>ffekt wird damit <strong>de</strong>r Außenseiter-<br />

Kunst e<strong>in</strong> Grab geschaufelt und zu<strong>de</strong>m e<strong>in</strong> Beitrag zur Stabilisie-<br />

rung und Rethronisierung <strong>de</strong>r offiziellen Kunst als „wahre Kunst“<br />

geleistet. Dabei sollte doch gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Außensei-<br />

ter-Kunst im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>r Art Brut e<strong>in</strong>e Entthronisierung, Entmystifi-<br />

zierung, Entherorisierung und Entgrenzung <strong>de</strong>r offiziellen, bil<strong>de</strong>n-<br />

<strong>de</strong>n Kunst erfolgen. Und es gab vor nicht langer Zeit prom<strong>in</strong>ente<br />

Stimmen aus <strong>de</strong>m Lager <strong>de</strong>r professionellen Künstler-Avantgar<strong>de</strong>,<br />

<strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Programm Partei ergriffen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie <strong>die</strong> Quellen<br />

schöpferischer Kräfte und menschlicher Kunstäußerungen, e<strong>in</strong>e „ur-<br />

sprüngliche schöpferische Gestaltungskraft“, <strong>die</strong> „Urformen <strong>de</strong>r<br />

Kunst“, das „eigentlich Menschliche“ und „Wahre <strong>de</strong>r Kunst und<br />

Menschheit“ <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Art Brut und primitiven Malerei jenseits <strong>de</strong>r<br />

westlichen Welt zu ent<strong>de</strong>cken glaubten. Die Fasz<strong>in</strong>ation <strong>für</strong> das Au-<br />

ßergewöhnliche und Unvertraute war groß, weshalb <strong>die</strong>se bei<strong>de</strong>n<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

Formen <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst zur „wahren Kunst“ <strong>de</strong>klariert wur-<br />

<strong>de</strong>n; und bis heute s<strong>in</strong>d sie <strong>für</strong> nicht wenige Berufskünstler e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Inspirationsquelle.<br />

Alles <strong>in</strong> allem sollten wir daher <strong>die</strong> Chancen, <strong>die</strong> uns <strong>die</strong> Außensei-<br />

ter-Kunst bietet, nicht, wie im Umfeld <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe beob-<br />

achtbar, leichtfertig verspielen. Zu<strong>de</strong>m betreiben Verbän<strong>de</strong>, E<strong>in</strong>-<br />

richtungen und Träger <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe mit ihrem unreflektier-<br />

ten Gebrauch <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>flationär<br />

wirksame Scharlatanerie und leisten wohl kaum e<strong>in</strong>en hilfreichen<br />

Beitrag zur Inklusion und Partizipation beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rter Menschen, wenn<br />

sie alle Personen, <strong>die</strong> unter ihrer Obhut und Anleitung künstlerisch<br />

tätig s<strong>in</strong>d, als Künstler hochstilisieren und dabei im Rahmen ihrer<br />

Unterstützung und För<strong>de</strong>rung Differenzierungen zwischen begab-<br />

ten, orig<strong>in</strong>ell-kreativen o<strong>de</strong>r hoch talentierten Malern und wenig ta-<br />

lentierten, e<strong>in</strong>fachen o<strong>de</strong>r konventionell schaffen<strong>de</strong>n Bildnern weit-<br />

h<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zuebnen versuchen. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tellektuelle Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>in</strong><br />

Form e<strong>in</strong>er geistigen Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung setzt nämlich nicht automatisch<br />

„ursprüngliche schöpferische Gestaltungskräfte“ frei, und ebenso<br />

wenig verwan<strong>de</strong>lt e<strong>in</strong>e autistische Entwicklungsstörung e<strong>in</strong>en unbe-<br />

gabten Bildner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en talentierten Künstler o<strong>de</strong>r Savant-Maler.<br />

Der Prozentsatz künstlerisch begabter Maler mit e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tellektuel-<br />

len (geistigen) Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung ist ke<strong>in</strong>esfalls höher als bei Nichtbeh<strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>rten, und <strong>die</strong> Anzahl <strong>de</strong>rer, <strong>die</strong> zum Kreis <strong>de</strong>r Außenseiter-Künst-<br />

ler im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>r Art Brut gezählt wer<strong>de</strong>n können, ist eher rar<br />

(MACGREGOR 1992, 15). Ähnliche Beobachtungen s<strong>in</strong>d übrigens<br />

auch im Bereich <strong>de</strong>r Psychiatrie gemacht wor<strong>de</strong>n. Wenngleich sich<br />

e<strong>in</strong> recht hoher Prozentsatz an Psychiatriepatienten zu ästhetischen<br />

Aktivitäten anstiften lässt, erweisen sich <strong>de</strong>nnoch nur wenige als<br />

Künstler, <strong>die</strong> mit außergewöhnlichen Arbeiten imponieren.<br />

Vor <strong>die</strong>sem H<strong>in</strong>tergrund schlage ich zusammenfassend vor, zwi-<br />

schen e<strong>in</strong>er Außenseiter-Kunst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiten und engen S<strong>in</strong>ne zu<br />

- 13 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

unterschei<strong>de</strong>n. Im weiten S<strong>in</strong>ne han<strong>de</strong>lt es sich um self-taught art,<br />

<strong>de</strong>r „wenig Exklusivität“ anhaftet (REXER 2005, 32).<br />

Die Außenseiter-Kunst im engeren S<strong>in</strong>ne steht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r<br />

Art Brut und sollte <strong>de</strong>mentsprechend als Paradigma <strong>für</strong> publikums-<br />

wirksame Veröffentlichungen und Projekte aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Be-<br />

h<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe genutzt wer<strong>de</strong>n. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: Von Außensei-<br />

ter-Kunst sollte nur dann gesprochen wer<strong>de</strong>n, wenn es sich um au-<br />

thentische und außergewöhnliche Arbeiten han<strong>de</strong>lt. Außenseiter-<br />

Kunst <strong>in</strong> ihrer engeren Variante <strong>de</strong>f<strong>in</strong>iert sich folgerichtig als e<strong>in</strong><br />

Zeugnis authentischer Kunst, <strong>die</strong> von e<strong>in</strong>er spontanen, schöpferi-<br />

schen Gestaltungskraft, Inspiration, Intuition und e<strong>in</strong>em Gestal-<br />

tungsdrang lebt, <strong>de</strong>r <strong>in</strong>dividuelle Stärken, kreative Potenziale, Ori-<br />

g<strong>in</strong>alität und nicht selten künstlerische Begabungen sowie außerge-<br />

wöhnliche, e<strong>in</strong>malige Fähigkeiten und Fertigkeiten (savant skills)<br />

zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt. Daher braucht sie e<strong>in</strong>en Vergleich mit <strong>de</strong>r<br />

professionellen bzw. etablierten, bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst nicht zu scheuen<br />

– wohl wissend, dass sie ihr als Inspirationsquelle <strong>die</strong>nt und dass<br />

Entscheidungen darüber, was Kunst ist, Personen treffen, <strong>die</strong> offizi-<br />

ell mit Def<strong>in</strong>itionsmacht ausgestattet s<strong>in</strong>d (z. B. im Kunsthochschul-<br />

betrieb), darüber h<strong>in</strong>aus nicht selten <strong>in</strong> Abhängigkeit von an<strong>de</strong>ren<br />

(Wirtschaft, Me<strong>die</strong>n, Politik) an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s Kunst- und Kulturbe-<br />

triebs stehen o<strong>de</strong>r auch direkt als Mäzen auf <strong>de</strong>n Fortbestand von<br />

Kunst mit Geld und Macht E<strong>in</strong>fluss nehmen.<br />

Orientiert sich <strong>die</strong> Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe an <strong>die</strong>sem engen Verständnis<br />

e<strong>in</strong>er Außenseiter-Kunst, so bedarf es e<strong>in</strong>er Konzeption <strong>für</strong> ihre<br />

therapeutischen Kunstateliers, heilpädagogischen Kreativ- o<strong>de</strong>r<br />

Kunst-Werkstätten, <strong>die</strong> nicht nur e<strong>in</strong> kunsttherapeutisches Angebot,<br />

welches <strong>de</strong>n (selbst-)heilen<strong>de</strong>n Charakter von Kunst <strong>in</strong> Anspruch<br />

nimmt, sowie e<strong>in</strong>en angeleiteten Kunstproduktionsbereich, aus <strong>de</strong>m<br />

Bildwerke o<strong>de</strong>r künstlerische (Auftrags-)Arbeiten hervorgehen, <strong>die</strong><br />

zumeist <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Kunstmarkt bzw. Verkauf bestimmt s<strong>in</strong>d, vorsieht,<br />

- 14 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

son<strong>de</strong>rn darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> „offenes Betätigungsfeld“ sicherstellt,<br />

welches <strong>die</strong> Chance bietet, zu e<strong>in</strong>er „Brutstätte“ von Außenseiter-<br />

Kunst zu avancieren. Hierzu macht es S<strong>in</strong>n, auf Talentsuche zu ge-<br />

hen und sowohl <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Institutionen als auch <strong>in</strong> ihrem Um-<br />

feld beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte Personen mit künstlerischen Begabungen o<strong>de</strong>r Po-<br />

tenzialen, orig<strong>in</strong>ellen, kreativen Ausdrucksformen o<strong>de</strong>r so genann-<br />

ten savant skills aufzuspüren. Damit <strong>die</strong> Betroffenen authentisch<br />

arbeiten und ihre Begabungen o<strong>de</strong>r Potenziale entfalten und wei-<br />

terentwickeln können, empfiehlt I. W. Brydon, ehemals Direktor<strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>s Creative Growth Art Center aus Oakland, <strong>de</strong>r prom<strong>in</strong>entesten<br />

Kreativ-Werkstätte <strong>für</strong> Menschen mit <strong>in</strong>tellektueller Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>n USA, e<strong>in</strong> Höchstmaß an Behutsamkeit im Rahmen ihrer Unter-<br />

stützung und För<strong>de</strong>rung: „Es bedarf e<strong>in</strong> hohes Maß an Vertrauen,<br />

Zutrauen und Sensibilität auf Seiten <strong>de</strong>r Lehren<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Assisten-<br />

ten, ihre Hän<strong>de</strong> wegzulassen und nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Gestaltungsprozess<br />

e<strong>in</strong>zugreifen“ (zit. n. THEUNISSEN 2008, 49). Und ähnlich äußert<br />

sich R. Laute, <strong>de</strong>r künstlerische Leiter und Initiator <strong>de</strong>r „Schlumper“<br />

aus Hamburg: „Bildnerisch spannend ist doch das, was aus norma-<br />

ler Sicht falsch ist! Künstlerische Assistenz sollte sich also zurück-<br />

halten. Es ist wichtig, dass man <strong>die</strong> Künstler <strong>in</strong> Ruhe arbeiten lässt<br />

und ihnen ke<strong>in</strong>e Tipps gibt, wie sie etwas verme<strong>in</strong>tlich richtig malen<br />

sollen, das scha<strong>de</strong>t nur. Im Mittelpunkt steht <strong>die</strong> Selbstent<strong>de</strong>ckung,<br />

auch wenn <strong>die</strong> <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en <strong>Schritte</strong>n geschieht“ (zit. n. MÜRNER<br />

2008, 144).<br />

Die außergewöhnliche Bil<strong>de</strong>rwelt <strong>de</strong>s Georg Brand – e<strong>in</strong><br />

Resümee<br />

Diese Erfahrung hat wohl <strong>de</strong>r „Maler und E<strong>in</strong>packer“ Georg Brand<br />

zu schätzen gelernt, <strong>de</strong>ssen bildnerische Begabung und künstleri-<br />

schen Fähigkeiten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kreativen Werkstatt <strong>de</strong>s St. Josefs-Stifts <strong>in</strong><br />

Eis<strong>in</strong>gen ent<strong>de</strong>ckt und unterstützt wur<strong>de</strong>n. Georg Brand (geb.<br />

- 15 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

1960) gilt als <strong>de</strong>r populärste unter <strong>de</strong>n Künstlern <strong>de</strong>s St. Josefs-<br />

Stifts. Er lebt seit 1972 im St. Josefs-Stift und wird vermutlich noch<br />

im Jahre 2008 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Außenwohngruppe <strong>de</strong>s Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenheims<br />

umziehen. An se<strong>in</strong>e Mutter und frühe K<strong>in</strong>dheit kann er sich nicht er-<br />

<strong>in</strong>nern, wohl aber weiß er, dass er aus Würzburg stammt und schon<br />

se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> Heimen verbr<strong>in</strong>gen musste. Georg Brand hat e<strong>in</strong>e<br />

Son<strong>de</strong>rschule besucht, er kann lesen, schreiben und rechnen, was<br />

ihm jedoch schwer fällt. In se<strong>in</strong>er <strong>de</strong>rzeitigen Wohngruppe wird er<br />

als „Boss und Außenseiter“ erlebt, <strong>de</strong>r nach Aussage se<strong>in</strong>er Unter-<br />

stützer aber ke<strong>in</strong>e Führungsrolle beanspruchen wür<strong>de</strong> und alles <strong>in</strong><br />

allem e<strong>in</strong> „liebenswerter Mensch“ sei. Bis vor wenigen Jahren war<br />

er <strong>in</strong> <strong>de</strong>r heim<strong>in</strong>ternen Werkstatt <strong>für</strong> beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte Menschen tätig,<br />

<strong>de</strong>rzeit arbeitet er im Regiebetrieb (Fahr<strong>die</strong>nst) <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>richtung.<br />

Nutzte er früher häufig - wenn er Lust darauf hatte – das Angebot<br />

<strong>de</strong>s „offenen Ateliers“ <strong>de</strong>r Kreativen Werkstatt, so malt er heute<br />

nur noch gelegentlich (u. a. wenn er Geld da<strong>für</strong> bekommt). Se<strong>in</strong>e<br />

Liebl<strong>in</strong>gs- und Freizeitbeschäftigung ist neben <strong>de</strong>r Bildnerei, <strong>die</strong> bis<br />

zu se<strong>in</strong>er Schulzeit zurückreicht, das Schlagzeug spielen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Heimband.<br />

Für se<strong>in</strong>e Malerei benötigte er <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kreativen Werkstatt ke<strong>in</strong>e be-<br />

son<strong>de</strong>ren Anleitungen, „es genügte e<strong>in</strong> Wort, e<strong>in</strong> Bild o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e<br />

Sendung im Radio o<strong>de</strong>r Fernsehen, <strong>die</strong> ihn beson<strong>de</strong>rs ansprach, so-<br />

fort musste er das Thema bildnerisch umsetzen. Mit viel Phantasie<br />

und großem I<strong>de</strong>enreichtum konnten an e<strong>in</strong>em Vormittag bis zu<br />

zwanzig Bil<strong>de</strong>r entstehen“ (zit. n. BV Lebenshilfe <strong>in</strong> THEUNISSEN<br />

2004, 149). Dieser Produktionseifer hat <strong>de</strong>utlich nachgelassen.<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n nun e<strong>in</strong>ige charakteristische Bildwerke von<br />

Georg Brand vorgestellt. Lei<strong>de</strong>r fehlen Angaben über <strong>de</strong>n genauen<br />

Entstehungszeitpunkt <strong>de</strong>r Arbeiten sowie Informationen, ob <strong>die</strong> Bil-<br />

<strong>de</strong>r und Motive aufgrund e<strong>in</strong>er Eigenentscheidung o<strong>de</strong>r Fremdmoti-<br />

vierung entstan<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d bzw. was <strong>die</strong> konkreten Auslöser waren.<br />

- 16 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

Bei <strong>de</strong>n Bildwerken von Georg Brand han<strong>de</strong>lt es sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel<br />

um Arbeiten mit Faserstiften und Tusche. Wie e<strong>in</strong>em Dokumentar-<br />

film (SDR 1996) zu entnehmen, sche<strong>in</strong>t <strong>für</strong> Georg Brands Malerei<br />

ist e<strong>in</strong>e „geprimte“, spontane, sicher wirken<strong>de</strong> L<strong>in</strong>ien- und Hand-<br />

führung typisch zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er mit Stiften zuerst vorzeichnet<br />

und dann <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Flächen <strong>in</strong> leuchten<strong>de</strong>r, kontrastreicher Far-<br />

bigkeit ausmalt. E<strong>in</strong> großer Teil se<strong>in</strong>er Bildmotive bezieht sich auf<br />

Häuser o<strong>de</strong>r Kirchen, wobei persönliche Ansichten und E<strong>in</strong>drücke<br />

aus se<strong>in</strong>er Heimatstadt Würzburg dom<strong>in</strong>ieren. Die Abbildungen 1-3<br />

zeigen uns viele Merkmale, <strong>de</strong>nen wir immer wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bil-<br />

<strong>de</strong>rn von Städten, Gebäu<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Kirchen begegnen, welche als<br />

Er<strong>in</strong>nerungsstätten und Traumhäuser <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten. Bevor-<br />

zugt wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Farben Rot, Blau und Gelb, <strong>die</strong> zum Teil <strong>in</strong> Hell-<br />

Dunkel-Kontrasten auftreten, so dass sich zum Beispiel gelb leuch-<br />

ten<strong>de</strong> Fenster von roten o<strong>de</strong>r dunklen Hauswän<strong>de</strong>n, rote Turm-<br />

o<strong>de</strong>r Dachspitzen von e<strong>in</strong>em blauen o<strong>de</strong>r gelben H<strong>in</strong>tergrund abhe-<br />

ben. Des Weiteren ist e<strong>in</strong>e zumeist gegenständlich adäquate farbli-<br />

che (Zu-)Ordnung erkennbar, zum Beispiel gelbe Fenster, rote Dä-<br />

cher, blauer Himmel, dunkle Wolken, wobei das Panorama bzw. <strong>die</strong><br />

Ornamentik e<strong>in</strong>iger Stadt- o<strong>de</strong>r Kirchenbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er<br />

künstlerisch ausdrucksstarken Kirchenfenstermalerei (z. B. Abb. 3)<br />

h<strong>in</strong>terlässt.<br />

Was <strong>die</strong> Raumorganisation betrifft, so wer<strong>de</strong>n nicht nur bei <strong>die</strong>ser<br />

Gruppe an Gemäl<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Figurationen zumeist von e<strong>in</strong>er Bo<strong>de</strong>n-<br />

o<strong>de</strong>r Standl<strong>in</strong>ie aus mit e<strong>in</strong>er gefühlsmäßigen Neigung zur Symme-<br />

trie (auch farblich ausgerichtet wie z. B. durch das Violett <strong>in</strong> Abb.<br />

2), flächenhaft, ohne Tiefenwirkung und ohne Überschneidungen<br />

angeordnet. Dabei fällt auf, dass <strong>die</strong> Gebäu<strong>de</strong> zum Teil lang ge-<br />

streckt, turmartig und mit lang gezogenen Spitzen (Abb. 1), zum<br />

Teil auch breit und wuchtig angelegt (Abb. 3) das jeweilige Bild<br />

nicht selten zusammen mit e<strong>in</strong>er häufig <strong>in</strong>s obere Zentrum gesetz-<br />

- 17 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

ten physiognomisierten, maskenhaft-leblos wirken<strong>de</strong>n Sonne (Abb.<br />

2 mit e<strong>in</strong>em Bogen aus Rauch (?)) beherrschen. Was <strong>die</strong> „beseel-<br />

ten“ Sonnen betrifft, so stoßen wir hier auf e<strong>in</strong>e <strong>für</strong> Herrn Brand ty-<br />

pische emotionale Ambivalenz, wenn e<strong>in</strong>erseits durch <strong>die</strong> Physio-<br />

gnomisierung e<strong>in</strong> gefühlsmäßiger Kontakt zur Außenwelt signali-<br />

siert wird und an<strong>de</strong>rerseits durch das Maskenhafte (<strong>die</strong> erstarrten<br />

Gesichter) Emotionen ver<strong>de</strong>ckt und e<strong>in</strong> Schutzwall aufgebaut wer-<br />

<strong>de</strong>n.<br />

Mitunter s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Bildwerke nicht nur mit <strong>de</strong>r Signatur Georg Brand,<br />

son<strong>de</strong>rn auch mit mehrzeiligen Schriftzügen verziert, ohne dabei<br />

<strong>die</strong> symmetrisch orientierte Raumorganisation und das ausbalan-<br />

cierte Farb-Formgefüge zu gefähr<strong>de</strong>n, wie es zum Beispiel <strong>die</strong> Ab-<br />

bildung 1 <strong>de</strong>utlich sichtbar macht. Ferner ist anzumerken, dass <strong>die</strong><br />

Umrissl<strong>in</strong>ien sowohl zur Affektkontrolle als auch zur besseren Er-<br />

kennung bzw. zur Abgrenzung von Formen benutzt wer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong><br />

zum Teil kontrastreich farblich unterlegt sehr prägnant und <strong>de</strong>tail-<br />

liert (wie z. B. Kreuzfenster; Gesicht) herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n,<br />

zum Teil aber auch <strong>in</strong>s Arabeske-Abstrakte bzw. <strong>in</strong> Verschnörkelun-<br />

gen (z. B. bei <strong>de</strong>n Kreuzen, Abb. 2) übergehen. Auf e<strong>in</strong>en weiteren<br />

spannungsgela<strong>de</strong>nen Kunstgriff stoßen wir, wenn e<strong>in</strong>erseits realisti-<br />

sche Merkmale zu Tage treten, beispielsweise gera<strong>de</strong> L<strong>in</strong>ien <strong>die</strong> Ge-<br />

bäu<strong>de</strong>, Türme o<strong>de</strong>r quadratischen Fenster umreißen, und wenn an-<br />

<strong>de</strong>rerseits <strong>die</strong>se <strong>de</strong>m Ansatz nach geometrisierte Leblosigkeit durch<br />

abwechslungsreich, ja lebendig und <strong>de</strong>korativ angelegte Wie<strong>de</strong>rho-<br />

lungsmuster und Reihungen sowie durch geschnörkelte, ornamen-<br />

talisierte, gebogene, krumme o<strong>de</strong>r im Ansatz leicht gezackte L<strong>in</strong>ien<br />

gebrochen wird, so dass Bewegung und Unruhe entstehen sowie<br />

e<strong>in</strong>e Wirkung erzeugt wird, <strong>die</strong> <strong>in</strong>s Geheimnisvolle o<strong>de</strong>r Rätselhafte<br />

reicht. Greifen wir hierzu zum Beispiel das Bild „Sonne über <strong>de</strong>r<br />

Stadt“ (Abb. 3) heraus, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m durch e<strong>in</strong>en schwungvollen, mit<br />

zwei L<strong>in</strong>ien <strong>de</strong>utlich hervorgehobenen Bogen, <strong>de</strong>r sowohl e<strong>in</strong>e<br />

- 18 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

künstlerisch gelungene Dach-Himmelmarkierung als auch e<strong>in</strong>e ab-<br />

grenzen<strong>de</strong> Haar-Dach-Himmelverschmelzung se<strong>in</strong> kann, drei Ge-<br />

sichter geschickt <strong>in</strong> Szene gesetzt wer<strong>de</strong>n. Da ke<strong>in</strong>e Künstler-Aus-<br />

sagen vorliegen, können wir nur rätseln o<strong>de</strong>r mutmaßen: das Ge-<br />

sicht im Zentrum könnte mit Blick auf weitere Hauptmotive (Abb. 4<br />

u. 5) und biografisch dokumentierte Informationen (SDR 1996) das<br />

Gesicht e<strong>in</strong>er „schönen Frau“ o<strong>de</strong>r „Sonnengött<strong>in</strong>“ se<strong>in</strong> (wenn wir z.<br />

B. aus <strong>de</strong>r Betrachterperspektive rechts unten am Gesicht <strong>die</strong> Za-<br />

cken als [aggressiv getönte] Sonnenstrahlen auslegen); im rechten<br />

Eck oberhalb <strong>die</strong>ses Zentrums bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> vom Bo-<br />

gen getragenes, <strong>für</strong> Georg Brand typisches, eher ausdrucksloses<br />

„Sonnengesicht“ (breite, lange Nase; große, geöffnete Augen, be-<br />

tont große Augenbraun, breiter Mund) und im l<strong>in</strong>ken oberen Eck<br />

gleichfalls vom Bogen getragen taucht vielleicht e<strong>in</strong> Gesicht e<strong>in</strong>es<br />

katzenartigen Wesens o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> maskenhaftes Gesicht mit zwei Hör-<br />

nern (Teufel ?) und e<strong>in</strong>er Art Pfeife (?) auf. Ob es sich dabei wo-<br />

möglich um <strong>de</strong>n Pfeifenraucher Georg Brand han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r maskiert-<br />

symbolhaft se<strong>in</strong>e gefühlsmäßige Ambivalenz zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt,<br />

ist e<strong>in</strong>e Mutmaßung, re<strong>in</strong>e Spekulation. An<strong>de</strong>rs s<strong>in</strong>d dagegen <strong>die</strong><br />

Personifizierungen <strong>de</strong>r Sonnen bzw. <strong>die</strong> Darstellung von Gesichtern<br />

zu beurteilen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Wirklichkeit nicht vorhan<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d: hierbei han-<br />

<strong>de</strong>lt es sich um e<strong>in</strong>e affektiv getönte Darstellungsweise von Georg<br />

Brand, <strong>die</strong> genauso wie <strong>die</strong> Ten<strong>de</strong>nz zu e<strong>in</strong>er aufgelockerten Wie-<br />

<strong>de</strong>rholung o<strong>de</strong>r Reihung von figurativen Mustern e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er stilis-<br />

tischen Mittel ist. In<strong>de</strong>m durch <strong>die</strong> Physiognomisierung und Orna-<br />

mentik Gefühlsmäßiges zum Ausdruck gebracht wird, welches je-<br />

doch durch <strong>die</strong> Formalisierung als Ordnungspr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> Schranken<br />

gehalten wird, tritt e<strong>in</strong>e künstlerisch gelungene „Affektbeherr-<br />

schung“ zu Tage.<br />

Insgesamt er<strong>in</strong>nern Georg Brands Stadtansichten an <strong>die</strong> Werke von<br />

Friedrich Hun<strong>de</strong>rtwasser, von <strong>de</strong>m er sich jedoch <strong>de</strong>m Ansche<strong>in</strong><br />

- 19 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

nach nicht bee<strong>in</strong>flussen ließ. In e<strong>in</strong>er uns zur Verfügung gestellten<br />

biographischen Notiz heißt es, dass Georg Brand „beim e<strong>in</strong>maligen<br />

Stu<strong>die</strong>ren e<strong>in</strong>es Bildban<strong>de</strong>s <strong>die</strong> Arbeiten <strong>de</strong>s berühmten Österrei-<br />

chers <strong>für</strong> weniger gelungen als se<strong>in</strong>e eigenen betrachtete und das<br />

Thema damit ad acta legte.“<br />

Georg Brands beliebtesten Motive s<strong>in</strong>d Frauen, „weil sie schön aus-<br />

sehen ... und e<strong>in</strong>e schöne Figur haben“ (Georg Brand). E<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r<br />

Frauenbil<strong>de</strong>r gehen wohl aus se<strong>in</strong>er Sympathie gegenüber „gut<br />

aussehen<strong>de</strong>n“ Mitarbeiter<strong>in</strong>nen hervor. Beson<strong>de</strong>rs <strong>in</strong>teressieren ihn<br />

<strong>die</strong> weiblichen Geschlechtsteile, <strong>die</strong> er gerne <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en symmetrisch<br />

aufgebauten, farbenprächtigen und kontrastreichen Frauenbil<strong>de</strong>rn<br />

hervorhebt (vgl. Abb. 4 u. 5). Wir haben es hier mit Hervorhebun-<br />

gen zu tun, bei <strong>de</strong>nen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er „Be<strong>de</strong>utungsgröße“ (RICHTER<br />

1997, 42) anstelle analoger (empirisch-gegenstandsadäquater)<br />

Formen übergroße Figurationen treten, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Bildner beson-<br />

<strong>de</strong>rs be<strong>de</strong>utsam s<strong>in</strong>d. Georg Brands Institutionsbiographie lässt<br />

vermuten, dass sich h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>en Vorlieben <strong>für</strong> „schöne Frauen“<br />

und weibliche Geschlechtsteile (schöne Brüste) unbefriedigte Be-<br />

dürfnisse o<strong>de</strong>r Sehnsüchte nach Liebe und Partnerschaft sowie Ge-<br />

fühlskonflikte (z. B. Begehren und Distanz) verbergen, <strong>die</strong> symbol-<br />

haft („belebt“ durch <strong>die</strong> Schrägstellung <strong>de</strong>s Kopfes und das Zeigen<br />

auf <strong>die</strong> Brust, Abb. 5) zum Ausdruck gebracht wer<strong>de</strong>n. Möglicher-<br />

weise bietet ihm das bildnerische Arbeiten psychische Entlastung<br />

o<strong>de</strong>r Kompensation. Neben <strong>die</strong>ser „Affekt-Perspektive“ (Kläger) und<br />

<strong>de</strong>n „exemplarischen Details“ (RICHTER), <strong>de</strong>nen wir unter an<strong>de</strong>rem<br />

auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em (nicht abgebil<strong>de</strong>ten) Selbstbildnis begegnen (über-<br />

große Pfeife <strong>de</strong>s „Pfeifenrauchers“ Georg Brand), weisen se<strong>in</strong>e<br />

Frauenbil<strong>de</strong>r wie auch e<strong>in</strong>ige an<strong>de</strong>re Bildmotive (Abb. 6 u. 7) Ten-<br />

<strong>de</strong>nzen zu e<strong>in</strong>er „kanonischen Form“ (Kläger) auf, <strong>in</strong><strong>de</strong>m Vorstel-<br />

lungen recht e<strong>in</strong>fach und e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig durch e<strong>in</strong>en geometrisierten Stil<br />

zum Ausdruck gebracht wer<strong>de</strong>n. Interessant ist <strong>die</strong> Frage, ob sich<br />

- 20 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

Georg Brand hierbei <strong>de</strong>m Pr<strong>in</strong>zip <strong>de</strong>r so genannten „Regression im<br />

Dienste <strong>de</strong>s Themas“ (Mühle zit. n. THEUNISSEN 2008, 53) be-<br />

<strong>die</strong>nt. Dieses Pr<strong>in</strong>zip ist e<strong>in</strong>e Art „Notlösung“, auf <strong>die</strong> e<strong>in</strong> Zeichner<br />

o<strong>de</strong>r Maler zurückgreift, wenn ihm <strong>die</strong> Visualisierung <strong>de</strong>s Themas<br />

bzw. <strong>de</strong>r Motive o<strong>de</strong>r Bildfigurationen zu schwierig ersche<strong>in</strong>t. Er<br />

nutzt dann e<strong>in</strong>fache bildnerische Lösungen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er auf frühe<br />

(k<strong>in</strong>dliche) Darstellungsweisen wie Kritzelformen und bestimmte<br />

Schemata o<strong>de</strong>r piktogrammartige, abstrakte Spielarten aus se<strong>in</strong>er<br />

Jugendzeit zurückgreift o<strong>de</strong>r sich an<strong>de</strong>re Ausdrucksformen erarbei-<br />

tet, so dass letztlich durch „vielfältige Mischformen“ (RICHTER) e<strong>in</strong><br />

Thema künstlerisch bewältigt wird. Genau hier haben <strong>die</strong> Frauen-<br />

o<strong>de</strong>r auch Tierbil<strong>de</strong>r (Abb. 4, 5, 7) von Georg Brand ihren Platz, <strong>die</strong><br />

e<strong>in</strong>erseits k<strong>in</strong>dliche Darstellungsschemata und Lösungen aufweisen<br />

(z. B. Ohren <strong>de</strong>r Bär<strong>in</strong>, Kr<strong>in</strong>gelhän<strong>de</strong>, Röntgenpr<strong>in</strong>zip, immer wie-<br />

<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>, z. T. kastenförmig geometrisierte, marionettenhafte<br />

Menschdarstellungen mit breitem Hals und großen Kopf) und an<strong>de</strong>-<br />

rerseits mit selbsterfun<strong>de</strong>nen bildnerischen Regeln imponieren, <strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>m zum Beispiel <strong>die</strong> Haarpracht <strong>de</strong>r jeweiligen Frauen bzw. ihr<br />

welliges, aufgelockertes, langes Haar als Bildh<strong>in</strong>tergrund künstle-<br />

risch gestaltet wird. Durch das bewegte Haar wird zugleich e<strong>in</strong>e Un-<br />

ruhe erzeugt, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Körperhaltung (leicht angew<strong>in</strong>kelter<br />

Kopf, ungleiche Armhaltung, Be<strong>in</strong>- und Fußstellung) und abstrakte,<br />

unruhig l<strong>in</strong>ierte Ausfüllung <strong>de</strong>r Körperteile noch verstärkt wird. Al-<br />

lerd<strong>in</strong>gs fällt <strong>die</strong>se Unruhe nicht unangenehm auf, eher strahlt sie<br />

e<strong>in</strong> Stück Lebendigkeit aus, mit <strong>de</strong>r sie <strong>de</strong>n Betrachter zu fesseln<br />

weiß und ihn zur Konzentration <strong>die</strong>ser e<strong>in</strong>drucksvollen Bildwerke<br />

herausfor<strong>de</strong>rt. So wie sich Georg Brand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Frauenbil<strong>de</strong>rn mit<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuell erarbeiteten und selbstbestimmten Darstellungs-<br />

strategie präsentiert, so imponiert er gleichfalls <strong>in</strong> an<strong>de</strong>ren Bildne-<br />

reien mit Stilelementen und Kunstgriffen, <strong>die</strong> zwar auf e<strong>in</strong> bildneri-<br />

sches System aus <strong>de</strong>r K<strong>in</strong>dheit und Jugendzeit aufbauen, aber <strong>für</strong><br />

- 21 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Außenseiter-Kunst<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzeichnungen untypisch und daher außergewöhnlich, orig<strong>in</strong>ell<br />

und e<strong>in</strong>malig s<strong>in</strong>d. Das gilt zum Beispiel auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> oberen Zacken<br />

auf <strong>de</strong>m „rauchen<strong>de</strong>n Fisch“ (Abb. 6), <strong>die</strong> zugleich differenziert<br />

ausgearbeitete Türme, Häuser o<strong>de</strong>r Turmspitzen darstellen und<br />

künstlerische Kreativität signalisieren.<br />

Alles <strong>in</strong> allem führt uns somit <strong>die</strong> anskizzierte Bil<strong>de</strong>rwelt e<strong>in</strong>en un-<br />

verwechselbaren, persönlichen Stil vor Augen, durch <strong>de</strong>n sich Ge-<br />

org Brand als Außenseiter-Künstler auszeichnet. Se<strong>in</strong>e künstleri-<br />

schen Außenseiter-Aktivitäten wer<strong>de</strong>n aber ebenso an an<strong>de</strong>rer Stel-<br />

le unter Beweis gestellt, wo er e<strong>in</strong>st aus Abfallprodukten, mit alten<br />

Rä<strong>de</strong>rn, Holzplatten, Rollen, Metallteilen, Büchsen, Schnüren,<br />

Schubla<strong>de</strong>n, Besenstilen, Stoffen und Fahnen, e<strong>in</strong>en raupenähnli-<br />

chen „Objekt-Wagen“ montiert hatte, <strong>de</strong>r mit e<strong>in</strong>em alten Staub-<br />

saugerschlitten en<strong>de</strong>te, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er persönliche D<strong>in</strong>ge verstaut hatte.<br />

Georg Brands Bil<strong>de</strong>r lassen sich weith<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Außenseiter-Kunst im<br />

engeren S<strong>in</strong>ne zuordnen. So s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> hohem Maße orig<strong>in</strong>är, an<br />

ke<strong>in</strong>en Kunststil gebun<strong>de</strong>n, ohne Zugeständnis an künstlerische<br />

Normen, Traditionen o<strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>strömungen <strong>für</strong> sich geschaffen, ab-<br />

seits vom Kunstbetrieb, von Galerien o<strong>de</strong>r Museen. Allerd<strong>in</strong>gs ist er<br />

daran <strong>in</strong>teressiert, dass se<strong>in</strong>e Bil<strong>de</strong>r ausgestellt wer<strong>de</strong>n, weshalb er<br />

sie wohl auch mitunter signiert o<strong>de</strong>r mit Titeln unterlegt; und zu-<br />

<strong>de</strong>m freut er sich, wenn sie als „schön“ empfun<strong>de</strong>n und wertge-<br />

schätzt wer<strong>de</strong>n. An <strong>die</strong>ser Stelle könnte e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>nahmung durch<br />

e<strong>in</strong>en Kunstmarkt vonseiten <strong>de</strong>s St. Josefs-Stifts und somit e<strong>in</strong><br />

Bruch mit <strong>de</strong>r Art Brut vermutet wer<strong>de</strong>n, ließe sich nicht beweisen,<br />

dass <strong>de</strong>r „Outsi<strong>de</strong>r“ Georg Brand bis heute se<strong>in</strong>er (selbstbestimm-<br />

ten) L<strong>in</strong>ie als „empowered person“ treu geblieben ist: „Wann i mag,<br />

mal i“ (SDR 1996).<br />

- 22 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Literatur<br />

Außenseiter-Kunst<br />

HASSBECKER, E.: Chichorro o<strong>de</strong>r Art Brut, Hei<strong>de</strong>lberg 1987<br />

KLÄGER, M.: Gestalten aus <strong>de</strong>m Unbewussten, <strong>in</strong>: BV<br />

LEBENSHILFE E. V. (Hrsg.): Wir haben Euch was zu sagen.<br />

Bildnerisches Gestalten mit geistig Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten, Marburg 1987,<br />

17-32<br />

MACGREGOR, J.: Dwight Mack<strong>in</strong>tosh: the boy who times forgot.<br />

Creative Growth Art Center, Oakland, CA 1992<br />

MÜRNER, Ch.: An <strong>de</strong>r Quelle <strong>de</strong>r Kunst – Die Hamburger<br />

Ateliergeme<strong>in</strong>schaft „Die Schlumper“, <strong>in</strong>: THEUNISSEN, G.<br />

(Hrsg.): Außenseiter-Kunst, Bad Heilbrunn 2008, 143-156<br />

PEIRY, L.: Art Brut. Jean Dubuffet und <strong>die</strong> Kunst <strong>de</strong>r Außenseiter,<br />

Paris 2005<br />

REXER, L.: How to look at Outsi<strong>de</strong>r Art, New York 2005<br />

RICHTER, H.-G.: Zur Bildnerei von Menschen mit geistiger<br />

Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung, <strong>in</strong>: THEUNISSEN, G. (Hrsg.): Kunst, ästhetische<br />

Praxis und geistige Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung, Bad Heilbrunn 1997, 18-61<br />

SDR: „Wann i mag, mal i“ - Georg Brand Künstler und E<strong>in</strong>packer,<br />

e<strong>in</strong> Film von Michael Koechl<strong>in</strong>, Stuttgart 1996<br />

THEUNISSEN, G.: Kunst und geistige Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung. Bildnerische<br />

Entwicklung, Kunstunterricht, ästhetische Erziehung,<br />

Kulturarbeit, Bad Heilbrunn 2004<br />

THEUNISSEN, G. (Hrsg.): Außenseiter-Kunst. Außergewöhnliche<br />

Bildnereien von Menschen mit <strong>in</strong>tellektuellen und psychischen<br />

Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen, Bad Heilbrunn 2008<br />

- 23 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Abbildungen<br />

Bild 1: Würzburg<br />

- 24 -<br />

Außenseiter-Kunst<br />

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Bild 2: St. Stephankirche<br />

- 25 -<br />

Außenseiter-Kunst<br />

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Bild 3: Sonne über <strong>de</strong>r Stadt<br />

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Außenseiter-Kunst<br />

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Bild 4: E<strong>in</strong>e Frau<br />

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Außenseiter-Kunst<br />

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Bild 5: Die Schöne<br />

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Außenseiter-Kunst<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Bild 6: Der Fisch raucht<br />

- 29 -<br />

Außenseiter-Kunst<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Bild 7: Die Bär<strong>in</strong><br />

- 30 -<br />

Außenseiter-Kunst<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Über <strong>de</strong>n Autor:<br />

Univ.-Prof. Dr. Georg Theunissen<br />

Institut <strong>für</strong> Rehabilitationspädagogik<br />

Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

Kontakt:<br />

E-Mail: theunissen@paedagogik.uni-halle.<strong>de</strong><br />

Außenseiter-Kunst<br />

Der Verfasser dankt Herrn Stefan Le<strong>in</strong>s, Eis<strong>in</strong>ger Werkstätte <strong>de</strong>s St.<br />

Josefs-Stift Eis<strong>in</strong>gen, <strong>für</strong> <strong>die</strong> freundliche Unterstützung durch Zu-<br />

stellung <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r von Georg Brand.<br />

Copyright <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bil<strong>de</strong>r: Kunstwerkstatt <strong>de</strong>s St. Josefs-Stift Eis<strong>in</strong>-<br />

gen gGmbH.<br />

Zu zitieren als:<br />

THEUNISSEN, Georg: Außenseiter-Kunst - unter beson<strong>de</strong>rer Beachtung <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>rwelt <strong>de</strong>s<br />

Georg Brand. In: Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08, 3-31<br />

http://www.heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com/2008/heilpaedagogik_onl<strong>in</strong>e_0408.pdf,<br />

Stand: 12.10.2008<br />

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- 31 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Achim Kirschall<br />

Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven<br />

Verhaltensstörungen. Die Präventionsprogramme<br />

„KES“ und „PEP“ im<br />

Vergleich<br />

Der Vergleich <strong>de</strong>r Präventionsprogramme „Kompetenztra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

<strong>für</strong> Eltern sozial auffälliger K<strong>in</strong><strong>de</strong>r (KES)“ (LAUTH &<br />

HEUBECK 2006) und „Präventionsprogramm <strong>für</strong> Expansives<br />

Problemverhalten (PEP)“ (PLÜCK, WIECZORREK, WOLFF<br />

METTERNICH & DÖPFNER 2006) ergab im H<strong>in</strong>blick auf aktive<br />

Mitarbeit und Aktivierung elterlicher Ressourcen e<strong>in</strong>e Überlegenheit<br />

<strong>de</strong>s Programms KES, welches sich <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>für</strong> Eltern eignet, <strong>die</strong> zur aktiven Mitarbeit und zur Reflexion<br />

<strong>de</strong>s eigenen Erziehungsverhaltens bereit s<strong>in</strong>d. Die Untersuchung<br />

zeigt auf, wie stark sich <strong>die</strong> Programme - trotz teilweise<br />

i<strong>de</strong>ntischer therapeutischer Metho<strong>de</strong>n – h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>mokratisch-partizipativer Erziehungsmetho<strong>de</strong>n<br />

unterschei<strong>de</strong>n und welche Möglichkeiten <strong>die</strong> Ressourcenorientierung<br />

hier bietet.<br />

Schlüsselwörter: AD(H)S, expansives Problemverhalten, Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, KES, PEP<br />

A comparison of the prevention programs „Kompetenztra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

<strong>für</strong> Eltern sozial auffälliger K<strong>in</strong><strong>de</strong>r (KES)“ (LAUTH &<br />

HEUBECK 2006) and „Präventionsprogramm <strong>für</strong> Expansives<br />

Problemverhalten (PEP)“ (PLÜCK, WIECZORREK, WOLFF<br />

METTERNICH & DÖPFNER 2006) revealed the superiority of<br />

the program KES with a view to active participation and <strong>in</strong>itiation<br />

of parental resources, s<strong>in</strong>ce it is particularly a<strong>de</strong>quate<br />

for parents who are will<strong>in</strong>g to contribute actively and to<br />

reflect upon their educational behaviour. The study analyzes<br />

the multitu<strong>de</strong> of differences between the programs concern<strong>in</strong>g<br />

the implementation of <strong>de</strong>mocratic and cooperative educational<br />

methods - <strong>de</strong>spite their partly i<strong>de</strong>ntical therapeutic<br />

methods. Moreover, it po<strong>in</strong>ts out the chances of resource<br />

orientation.<br />

Keywords: AD(H)S, expansive behavioural problems, parental tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, KES, PEP<br />

- 32 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


E<strong>in</strong>leitung<br />

Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Aufmerksamkeitsstörungen, hyperk<strong>in</strong>etische Störungen und Stö-<br />

rungen <strong>de</strong>s Sozialverhaltens sowie oppositionelle Störungen gehö-<br />

ren zu <strong>de</strong>n häufigsten k<strong>in</strong><strong>de</strong>r- und jugendpsychiatrischen Störungs-<br />

bil<strong>de</strong>rn, <strong>die</strong> zusammengefasst auch als expansive Verhaltensweisen<br />

bezeichnet wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Behandlung <strong>die</strong>ser Störungsbil<strong>de</strong>r wer-<br />

<strong>de</strong>n multimodale Interventionen empfohlen (LEHMKUHL & DÖPF-<br />

NER 2006), wobei <strong>de</strong>r Elternarbeit zunehmend mehr Beachtung ge-<br />

schenkt wird. Untersucht wur<strong>de</strong>n daher <strong>die</strong> zwei bekanntesten wis-<br />

senschaftlich fun<strong>die</strong>rten <strong>de</strong>utschsprachigen Programme, nämlich<br />

das „Kompetenztra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>für</strong> Eltern sozial auffälliger K<strong>in</strong><strong>de</strong>r (KES)“<br />

(LAUTH & HEUBECK 2006) und das „Präventionsprogramm <strong>für</strong> Ex-<br />

pansives Problemverhalten (PEP)“ (PLÜCK, WIECZORREK, WOLFF<br />

METTERNICH & DÖPFNER 2006).<br />

Indizierte Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs verfolgen das Ziel, langfristige Verän<strong>de</strong>-<br />

rungen <strong>de</strong>s Erziehungsverhaltens <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Familie zu etablieren, um<br />

expansive Verhaltensstörungen <strong>de</strong>r K<strong>in</strong><strong>de</strong>r zu reduzieren. E<strong>in</strong>e<br />

Grundannahme <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Konzeption solcher Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmaßnahmen<br />

muss daher se<strong>in</strong>, dass Eltern über ausreichen<strong>de</strong> Ressourcen verfü-<br />

gen, ihr Erziehungsverhalten entsprechend zu verän<strong>de</strong>rn, wenn sie<br />

dazu angeleitet wer<strong>de</strong>n. In e<strong>in</strong>em Vergleich <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs<br />

wird e<strong>in</strong>e nach unterschiedlichen Kriterien differenzierte Betrach-<br />

tung möglich. Dabei wird <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re auf <strong>die</strong> Ressourcenorientie-<br />

rung <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramme e<strong>in</strong>gegangen. In <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>r<br />

Untersuchungsergebnisse wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Ergebnisse <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

reflektiert und H<strong>in</strong>weise auf <strong>die</strong> Anwendungsmöglichkeiten <strong>de</strong>r Pro-<br />

gramme gegeben.<br />

Methodik<br />

Ausgehend von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven Literaturrecherche zu <strong>de</strong>n gängi-<br />

gen Therapiemetho<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Behandlung von expansiven Störun-<br />

- 33 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

gen und basierend auf aktuellen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Didaktik wur<strong>de</strong> un-<br />

tersucht, wie <strong>in</strong>tensiv <strong>die</strong> Autoren <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Präventionsprogram-<br />

me <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Anleitung <strong>de</strong>r Eltern <strong>de</strong>ren Ressourcen nutzen und wie<br />

sie dabei methodisch vorgehen. Zum e<strong>in</strong>en wird so dargestellt, wel-<br />

che pädagogische und therapeutische Metho<strong>de</strong>n <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Pro-<br />

gramme genutzt wer<strong>de</strong>n, zum an<strong>de</strong>ren zeigt sich, welche didakti-<br />

schen Metho<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vermittlung an <strong>die</strong> Eltern zur Anwendung<br />

kommen. In <strong>die</strong>ser Untersuchung erfolgte so e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung <strong>de</strong>r<br />

Wirksamkeit und Anwendbarkeit <strong>die</strong>ser Programme auf theoreti-<br />

scher Basis, als auch durch <strong>die</strong> Auswertung empirischer Daten <strong>de</strong>r<br />

bisher veröffentlichten Evaluationsergebnisse. Detaillierte Informa-<br />

tionen zu <strong>de</strong>n Evaluationsergebnissen können beim Autor angefor-<br />

<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Übersicht über <strong>die</strong> Programme<br />

Als Ursache <strong>für</strong> expansives Problemverhalten wird e<strong>in</strong>e komplexe<br />

Interaktion von Umweltvariablen, genetischen Prädispositionen und<br />

Entwicklungsfaktoren angenommen, wobei vielfach davon ausge-<br />

gangen wird, dass <strong>die</strong> genetischen Faktoren <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re bei hy-<br />

perk<strong>in</strong>etischen Störungen e<strong>in</strong>e Rolle spielen. Ungünstige Tempera-<br />

mentsmerkmale, frühe Regulationsstörungen sowie frühe hyperki-<br />

netische und unruhige Verhaltensweisen wer<strong>de</strong>n als be<strong>de</strong>utsame<br />

Risikofaktoren angesehen. Weiterh<strong>in</strong> gelten neben <strong>die</strong>sen Disposi-<br />

tionen und <strong>de</strong>n im Entwicklungsmo<strong>de</strong>ll beschriebenen psychosozia-<br />

len Faktoren bestimmte Familienmerkmale wie ger<strong>in</strong>ges E<strong>in</strong>kom-<br />

men, ger<strong>in</strong>ger Bildungsstand, fehlen<strong>de</strong> soziale Unterstützung und<br />

belasten<strong>de</strong> Ereignisse (Trennung, Arbeitslosigkeit etc.) als Risiko-<br />

faktoren <strong>für</strong> gestörtes Erziehungsverhalten.<br />

Bei<strong>de</strong> Programme beziehen sich <strong>in</strong> ihrer theoretischen Fun<strong>die</strong>rung<br />

weitgehend auf e<strong>in</strong> biopsychosoziales Erklärungsmo<strong>de</strong>ll. Beim Be-<br />

zug auf <strong>die</strong>ses Mo<strong>de</strong>ll wird hier <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>fluss <strong>de</strong>r Erzie-<br />

- 34 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

hung hervorgehoben, <strong>de</strong>r <strong>für</strong> <strong>die</strong> weitere Entwicklung und Manifes-<br />

tation sozialer Auffälligkeiten als be<strong>de</strong>utsam angesehen wird. Hier<br />

orientieren sich <strong>die</strong> Autoren <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re an <strong>die</strong> Theorien von PAT-<br />

TERSON (1982) sowie weitere empirische Befun<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r For-<br />

schung.<br />

E<strong>in</strong>e umfassen<strong>de</strong> Beschreibung und Beurteilung <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelnen Sit-<br />

zungen f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Diplomarbeit, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sem Artikel als<br />

Grundlage <strong>die</strong>nte. Die Arbeit steht als Download zur Verfügung<br />

(siehe Literatur).<br />

Überblick über <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten von<br />

KES<br />

1. Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit: „Was soll sich än<strong>de</strong>rn? Was kann so<br />

bleiben?“<br />

2. Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit : „E<strong>in</strong>e emotionale Basis haben – Positive<br />

Spielzeit“<br />

3. Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit: „Eigene Gefühle und Gedanken wahrneh-<br />

men“<br />

4. Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit: „Abläufe än<strong>de</strong>rn“<br />

5. Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit: „Durch Konsequenzen anleiten“<br />

6. Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit: „Effektive Auffor<strong>de</strong>rungen stellen“<br />

7. Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit: „Auffrischungssitzung: E<strong>in</strong> Blick zurück – auf<br />

<strong>de</strong>m Weg nach vorn“<br />

Überblick über <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Sitzungen bei PEP<br />

Standardsitzungen (Eltern und Erzieher<strong>in</strong>nen)<br />

Sitzung 0: Konstituieren<strong>de</strong> Sitzung<br />

Sitzung 1: Das K<strong>in</strong>d – Freud und Leid<br />

Sitzung 2: Teufelskreis/Geme<strong>in</strong>same Spielzeit bzw. Wertvolle Zeit<br />

Sitzung 3: Energie sparen & Auftanken<br />

- 35 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Sitzung 4: Regeln und wirkungsvolle Auffor<strong>de</strong>rungen<br />

Sitzung 5: Positive Konsequenzen<br />

Sitzung 6: Negative Konsequenzen<br />

Optionale Sitzungen (Eltern)<br />

Sitzung A: Problemverhalten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />

Sitzung B: Ständiger Streit<br />

Sitzung C: Ausdauern<strong>de</strong>s Spiel<br />

Sitzung D: Hausaufgaben<br />

Sitzung E: Zusammenfassung<br />

Sitzungen ausschließlich <strong>für</strong> Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

Sitzung 7: Kontakte aufbauen – Freun<strong>de</strong> f<strong>in</strong><strong>de</strong>n<br />

Sitzung 8: Ausdauern<strong>de</strong>s Spiel<br />

Sitzung 9: Elternarbeit & Elterngespräche<br />

Vergleich <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramme/Präventionspro-<br />

gramme<br />

Die vorliegen<strong>de</strong>n Programme wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Autoren bei<strong>de</strong> als<br />

Präventionsprogramme bezeichnet. PEP als <strong>in</strong>dizierte Präventions-<br />

maßnahme, KES als sekundär-präventives Programm. Die Zielgrup-<br />

pen s<strong>in</strong>d bis auf leichte Altersabweichungen ähnlich formuliert. Bei-<br />

<strong>de</strong> Programme s<strong>in</strong>d verhaltenstherapeutisch konzipiert und als<br />

Gruppentra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs entworfen wor<strong>de</strong>n, wobei <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

<strong>de</strong>utliche Unterschie<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r methodischen Herangehensweise so-<br />

wie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r methodisch-didaktischen Vermittlung <strong>de</strong>r theoretischen<br />

H<strong>in</strong>tergrün<strong>de</strong> ersichtlich wur<strong>de</strong>n.<br />

- 36 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Zielgruppe<br />

Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Während sich KES an Eltern „sozial auffälliger K<strong>in</strong><strong>de</strong>r“ richtet, posi-<br />

tioniert sich PEP als Präventionsprogramm <strong>für</strong> „expansives Pro-<br />

blemverhalten“. Bei<strong>de</strong> Bezeichnungen verweisen auf e<strong>in</strong>e Reihe un-<br />

terschiedlicher Krankheitsbil<strong>de</strong>r, wenn man sich auf <strong>die</strong> Klassifika-<br />

tionen nach ICD-10 o<strong>de</strong>r DSM-IV bezieht. Expansive und sozial auf-<br />

fällige K<strong>in</strong><strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n hier mit <strong>de</strong>n Krankheitsbil<strong>de</strong>rn Hyperk<strong>in</strong>eti-<br />

sche Störung, Oppositionelle Störung und Störung <strong>de</strong>s Sozialver-<br />

haltens, <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Subtypen sowie <strong>de</strong>n jeweils subkl<strong>in</strong>i-<br />

schen Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>die</strong>ser Auffälligkeiten zusammengebracht. Aus<br />

<strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Programme ergeben sich zum<br />

e<strong>in</strong>en Zielgruppen, <strong>die</strong> als solche <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Manualen beschrieben s<strong>in</strong>d,<br />

als auch Zielgruppen, <strong>die</strong> sich aus e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung <strong>de</strong>r Program-<br />

me ergeben. Bei<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n im Folgen<strong>de</strong>n dargestellt.<br />

Die Zielgruppe von KES<br />

Die K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, an <strong>die</strong> sich <strong>die</strong>ses Programm richtet, s<strong>in</strong>d sozial auffälli-<br />

ge K<strong>in</strong><strong>de</strong>r im Alter von fünf bis elf Jahren. Hier wer<strong>de</strong>n sowohl kl<strong>in</strong>i-<br />

sche als auch subkl<strong>in</strong>ische Formen angesprochen. Zur Eignung liegt<br />

e<strong>in</strong>e umfassen<strong>de</strong> Diagnostik vor, nach <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Zielgruppe ermittelt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Aus <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelnen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten<br />

wird <strong>de</strong>utlich, dass recht hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Eltern gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. So ist zum e<strong>in</strong>en <strong>die</strong> Dauer von jeweils drei Stun<strong>de</strong>n zu<br />

nennen, zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r hohe Anteil an Eigentätigkeit (Rollenspie-<br />

le, E<strong>in</strong>zelarbeit, Zweierarbeit, Gruppendiskussionen) und auch an<br />

Eigenreflexion. Daher steht im Manual auch e<strong>in</strong> Fragebogen zur<br />

Complience zur Verfügung, <strong>de</strong>r im Vorfeld ermitteln soll, ob und <strong>in</strong><br />

wie weit <strong>die</strong> Eltern zur Mitarbeit bereit s<strong>in</strong>d. Da sich das Programm<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen an aka<strong>de</strong>misch gebil<strong>de</strong>te Personen-<br />

gruppen aus <strong>de</strong>r Pädagogik und Psychologie richtet, sche<strong>in</strong>t sich <strong>die</strong><br />

Zielgruppe vor allem aus bereits vorstelligen Eltern (Erziehungsbe-<br />

- 37 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

ratung, Jugendamt etc.) zu rekrutieren, bzw. muss <strong>die</strong> Zielgruppe<br />

anhand <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n und zeitaufwendigen Diagnostik rekrutiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Tra<strong>in</strong>erqualifikation, <strong>die</strong> gefor<strong>de</strong>rt ist, verweist auch<br />

auf <strong>die</strong> Freiräume, <strong>die</strong> das Programm bietet. Erfahrene Therapeu-<br />

t<strong>in</strong>nen und Pädagog<strong>in</strong>nen haben hier <strong>die</strong> Möglichkeit, das Pro-<br />

gramm entsprechend zu gestalten und auf <strong>die</strong> jeweilige Situation <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Gruppe zu reagieren. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Gruppendynamik, <strong>die</strong><br />

sich durch Rollenspiele und Paararbeiten komplex gestalten kann,<br />

stellt hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Mo<strong>de</strong>ration dar. Dabei bietet ge-<br />

ra<strong>de</strong> <strong>die</strong>se Konstellation und Methodik e<strong>in</strong>e Vielzahl von Möglichkei-<br />

ten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gestaltung und Vermittlung <strong>de</strong>r Inhalte.<br />

Die Zielgruppe von PEP<br />

Im Manual wird e<strong>in</strong>e Zielgruppe von drei- bis sechsjährigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn<br />

genannt, wobei <strong>die</strong> Autoren e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz auch bei Schulk<strong>in</strong><strong>de</strong>rn bis<br />

zum Alter von zehn Jahren angeben. Die Zielgruppe rekrutiert sich<br />

aus K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn mit expansivem Problemverhalten, wobei e<strong>in</strong>e Wirk-<br />

samkeit <strong>de</strong>s Programms auch bei „normalen Erziehungsproblemen“<br />

vorausgesetzt wird (PLÜCK ET. AL. 2006, 14). Inwieweit sich das<br />

Programm <strong>für</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r mit kl<strong>in</strong>ischen Diagnosen eignet, wird anhand<br />

<strong>de</strong>s Manuals nicht erkennbar. So f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich hier nur <strong>die</strong> Aussage,<br />

dass sich das Programm an K<strong>in</strong><strong>de</strong>r mit „<strong>de</strong>utlichen Merkmalen ex-<br />

pansiven Verhaltens richtet (…), ohne dass jedoch <strong>die</strong> Kriterien ei-<br />

ner kl<strong>in</strong>ischen Diagnose erfüllt se<strong>in</strong> müssen“ (ebd., 15). Auf <strong>de</strong>m<br />

Buchrücken f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich <strong>die</strong> Angabe: „frühe Zeichen ausgeprägten<br />

expansiven Verhaltens (…), ohne dass <strong>die</strong> Kriterien e<strong>in</strong>er kl<strong>in</strong>ischen<br />

Diagnose erfüllt se<strong>in</strong> müssen“ (ebd.). Ob <strong>die</strong> Kriterien erfüllt se<strong>in</strong><br />

dürfen bleibt unklar. An<strong>de</strong>rerseits bezeichnen <strong>die</strong> Autor<strong>in</strong>nen das<br />

Programm auch als wirksam bei erheblichen Auffälligkeiten, hier je-<br />

doch als überbrücken<strong>de</strong> Maßnahme.<br />

- 38 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

H<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r Rekrutierung f<strong>in</strong><strong>de</strong>t e<strong>in</strong> Screen<strong>in</strong>g über e<strong>in</strong>en Fra-<br />

gebogen (PEP-Screen) statt, <strong>de</strong>r expansive Verhaltensprobleme er-<br />

fassen soll. Hier<strong>in</strong> liegt e<strong>in</strong> be<strong>de</strong>utsamer Unterschied zu <strong>de</strong>r Rekru-<br />

tierung von Zielgruppen bei KES. Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er guten Erreichbar-<br />

keit von Präventionsmaßnahmen entspricht <strong>die</strong>se Vorgehensweise<br />

<strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an Präventionsmaßnahmen.<br />

Der Fragebogen selbst differenziert jedoch nicht nach unterschiedli-<br />

chen Störungsbil<strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn lediglich nach Symptomen expansi-<br />

ven Verhaltens. Damit kann über e<strong>in</strong>e Verwendung <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>rgärten<br />

und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rtagesstätten e<strong>in</strong>e Vielzahl von Personen erreicht wer<strong>de</strong>n,<br />

<strong>die</strong> nicht <strong>in</strong> an<strong>de</strong>ren Institutionen <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten. E<strong>in</strong>e spezi-<br />

elle Diagnostik erfolgt jedoch nicht, was <strong>die</strong> Gefahr mit sich br<strong>in</strong>gt,<br />

expansive Verhaltensweisen zu reduzieren auf Hyperk<strong>in</strong>etische Stö-<br />

rungen und Störungen <strong>de</strong>s Sozialverhaltens. Ähnliche Verhaltens-<br />

weisen können jedoch auch mit an<strong>de</strong>ren Störungsbil<strong>de</strong>rn <strong>in</strong> Zusam-<br />

menhang gebracht wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re psychoanalytisch orien-<br />

tierte Autoren br<strong>in</strong>gen expansive und hyperk<strong>in</strong>etische Auffälligkei-<br />

ten <strong>in</strong> Zusammenhang mit emotionalen Störungen, B<strong>in</strong>dungsstö-<br />

rungen und an<strong>de</strong>ren Ursachen (STREECK-FISCHER & FRICKE<br />

2007).<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Eltern<br />

KES<br />

Das Kompetenztra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>für</strong> Eltern sozial auffälliger K<strong>in</strong><strong>de</strong>r (KES)<br />

stellt hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Eltern. So ist zunächst <strong>die</strong> Dauer<br />

<strong>de</strong>r Sitzungen mit drei Stun<strong>de</strong>n wöchentlich zu nennen, <strong>die</strong> bereits<br />

e<strong>in</strong>ige Eltern vor organisatorische Probleme stellen kann. In <strong>de</strong>n<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten selbst wird mit unterschiedlichsten Metho<strong>de</strong>n<br />

gearbeitet, wobei vor allem das Rollenspiel hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />

<strong>die</strong> Eltern stellt. Hier gilt es <strong>für</strong> <strong>die</strong> Teilnehmen<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Schwelle zu überw<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Neben <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zelarbeit wird auch <strong>in</strong> Zwei-<br />

- 39 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

ergruppen gearbeitet, womit <strong>die</strong> Eltern sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e weitere Position<br />

<strong>de</strong>r Fremdbeobachtung begeben müssen. In Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit 3<br />

wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Eltern aufgefor<strong>de</strong>rt, sich mit eigenen Gedanken und Ge-<br />

fühlen ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu setzen und <strong>die</strong>se teilweise auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Grup-<br />

pe vorzustellen. Innerhalb <strong>de</strong>r Arbeitsphasen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zelnen Trai-<br />

n<strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten müssen <strong>die</strong> Eltern selbständig Ziele formulieren,<br />

Verhaltensweisen analysieren und eigene Anteile reflektieren. An<br />

e<strong>in</strong>igen Stellen erfolgt e<strong>in</strong>e gegenseitige Unterstützung durch <strong>die</strong><br />

an<strong>de</strong>ren Teilnehmer<strong>in</strong>nen. Diese Lernform kann <strong>für</strong> viele Eltern<br />

sehr ungewohnt se<strong>in</strong>, wobei jedoch durch <strong>die</strong> Gruppensituation und<br />

durch <strong>die</strong> Betreuung <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong> <strong>die</strong>se Vorgehensweise unter-<br />

stützt und erleichtert wird.<br />

Die Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsteilnehmer<strong>in</strong>nen erhalten <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r Sitzung Wochenauf-<br />

gaben, <strong>die</strong> sie bis zur nächsten Sitzung bearbeiten müssen; dabei<br />

ist vor allem <strong>die</strong> Beobachtung <strong>de</strong>s eigenen Verhaltens maßgeblich.<br />

Die Aufgaben wer<strong>de</strong>n protokolliert, wobei <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r zu proto-<br />

kollieren<strong>de</strong>n Verhaltensweisen zunimmt. Insgesamt s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Anfor-<br />

<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Eltern vor allem h<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r aktiven Mitarbeit<br />

und <strong>de</strong>r Eigenreflexion <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten recht hoch,<br />

sie erfor<strong>de</strong>rn dabei jedoch ke<strong>in</strong>e beson<strong>de</strong>ren <strong>in</strong>tellektuellen Fähig-<br />

keiten, son<strong>de</strong>rn orientieren sich vornehmlich an <strong>de</strong>r Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r-<br />

setzung mit eigenen Verhaltensweisen und Gefühlen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Erzie-<br />

hung <strong>de</strong>r K<strong>in</strong><strong>de</strong>r.<br />

PEP<br />

Im Vergleich zu KES s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Eltern <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>de</strong>r Sitzungen <strong>de</strong>utlich niedriger. Die Eigentätigkeit beschränkt sich<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel auf e<strong>in</strong> bis zwei E<strong>in</strong>zelarbeitsphasen von jeweils fünf<br />

bis maximal fünfzehn M<strong>in</strong>uten pro Sitzung. In e<strong>in</strong>er Sitzung wird<br />

e<strong>in</strong> kurzes Rollenspiel durchgeführt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er weiteren Sitzung soll <strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong>gruppen gearbeitet wer<strong>de</strong>n. Die Protokollierungen zu Hause<br />

- 40 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

s<strong>in</strong>d ähnlich wie bei KES, <strong>in</strong>sgesamt jedoch etwas umfangreicher<br />

und steigern sich über <strong>de</strong>n gesamten Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsverlauf. An<strong>de</strong>rs als<br />

beim KES, wo bereits <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> <strong>die</strong> praktische Umsetzung er-<br />

probt wird, wird hier vor allem mit <strong>de</strong>n Kopiervorlagen zu Hause<br />

gearbeitet. Mit <strong>de</strong>m umfangreichen Begleitmaterial stehen <strong>de</strong>n El-<br />

tern viele theoretische Anleitungen zur Verfügung. Insgesamt s<strong>in</strong>d<br />

<strong>die</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Eltern eher kognitiver Natur, so müssen<br />

<strong>die</strong> Eltern 90 bis 120 M<strong>in</strong>uten <strong>de</strong>n Vorträgen <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong>er folgen, <strong>die</strong><br />

nur wenige Male von konstruktiver Eigentätigkeit unterbrochen<br />

wer<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e hohe Zahl von präsentierten Folien erfor<strong>de</strong>rt zu<strong>de</strong>m<br />

e<strong>in</strong>e ausreichen<strong>de</strong> Aufmerksamkeit. Dies ist beson<strong>de</strong>rs da zu be-<br />

rücksichtigen, wo solche Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs am Abend durchgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die praktische Umsetzung erfolgt bis auf e<strong>in</strong> kurzes Rollenspiel aus-<br />

schließlich zu Hause. Dies kommt sicherlich unsicheren und ge-<br />

hemmten Eltern entgegen. Durch <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>de</strong>s wöchentlichen<br />

Telefonkontakts können Schwierigkeiten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Umsetzung o<strong>de</strong>r<br />

Protokollierung mit <strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong>ern besprochen wer<strong>de</strong>n. Mit PEP kön-<br />

nen so auch Eltern erreicht wer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs sehr kritisch<br />

gegenüber stehen. Insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>in</strong>tensiveren Arbeitsweisen<br />

wie bei KES ist <strong>die</strong> Gefahr größer, dass Eltern das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g vorzeitig<br />

been<strong>de</strong>n. PEP ist <strong>die</strong>sbezüglich e<strong>in</strong> niedrigschwelligeres Angebot<br />

und kann so auch Eltern erreichen, <strong>die</strong> nicht an <strong>in</strong>tensiveren Maß-<br />

nahmen teilnehmen wür<strong>de</strong>n.<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Tra<strong>in</strong>er<br />

KES<br />

Neben <strong>de</strong>n vorausgesetzten beruflichen Qualifikationen, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n<br />

Tra<strong>in</strong>erkreis bereits e<strong>in</strong>schränken, s<strong>in</strong>d vor allem Kompetenzen <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>ration von Gruppen erfor<strong>de</strong>rlich. Durch <strong>die</strong> umfangreiche<br />

Diagnostik, <strong>die</strong> vielfältige Methodik, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>geplanten Diskussionen<br />

und e<strong>in</strong>e gewisse Offenheit <strong>de</strong>s Programms <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Durchfüh-<br />

- 41 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

rung wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen hier stark gefor<strong>de</strong>rt. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>die</strong> Rollenspiele, <strong>die</strong> Paararbeit als auch <strong>die</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit eigenen Gefühlen und Gedanken können problematische Grup-<br />

pendynamiken entstehen lassen, <strong>die</strong> entsprechend mo<strong>de</strong>riert wer-<br />

<strong>de</strong>n müssen. Die hierzu notwendige ansprechen<strong>de</strong> und vertrauens-<br />

volle Atmosphäre <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Gruppen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen sehr persönliche Inhal-<br />

te und vor allem persönliche Problematiken thematisiert wer<strong>de</strong>n,<br />

muss von <strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong>ern angemessen hergestellt wer<strong>de</strong>n können.<br />

Daher ist es sicherlich s<strong>in</strong>nvoll <strong>für</strong> Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen, <strong>die</strong> mit solchen<br />

Gruppen wenig Erfahrung haben, sich entsprechend zu schulen,<br />

was durch e<strong>in</strong>e angebotene Fortbildung möglich ist. Die Autoren<br />

bieten zur Diagnostik und zur praktischen Umsetzung zusätzlich<br />

zwei Schulungs-DVDs an, <strong>die</strong> jedoch geson<strong>de</strong>rt erworben wer<strong>de</strong>n<br />

müssen.<br />

PEP<br />

In <strong>die</strong>sem Präventionsprogramm ersche<strong>in</strong>en <strong>die</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />

<strong>die</strong> Tra<strong>in</strong>er zunächst niedriger als bei KES. Dies zeigt sich zum<br />

e<strong>in</strong>en durch <strong>die</strong> gefor<strong>de</strong>rte Qualifikation, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong> Studium o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e<br />

entsprechen<strong>de</strong> Fortbildung voraussetzt, zum an<strong>de</strong>ren ergibt sie sich<br />

aus <strong>de</strong>r Konzeption <strong>de</strong>s Programms. Als Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen kommen An-<br />

gehörige aller Berufsgruppen <strong>in</strong> Frage, <strong>die</strong> im weitesten S<strong>in</strong>ne im<br />

pädagogischen o<strong>de</strong>r therapeutischen Rahmen mit K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Fa-<br />

milien arbeiten (PLÜCK ET. AL. 2006). Der e<strong>in</strong>heitliche Aufbau <strong>de</strong>r<br />

Sitzungen orientiert sich an e<strong>in</strong>em festen Schema, das <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r Sit-<br />

zung wie<strong>de</strong>rholt wird, aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r aufbaut und leicht verständlich<br />

über Folien vermittelt wird. Die Aufgabe <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen be-<br />

schränkt sich weitgehend auf <strong>die</strong> Präsentation <strong>de</strong>r Folien, <strong>die</strong> be-<br />

reits alle geplanten Inhalte vermitteln. Zur weiteren Vertiefung <strong>de</strong>r<br />

Inhalte stehen im Programm neben klaren Regieanweisungen ent-<br />

sprechen<strong>de</strong> Texte zur Verfügung, <strong>die</strong> wörtlich übernommen wer<strong>de</strong>n<br />

- 42 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

können. Auch „Standardfragen“ <strong>de</strong>r Eltern können anhand solcher<br />

vorformulierter Texte beantwortet wer<strong>de</strong>n. Da es sich zum Großteil<br />

um Frontalunterricht han<strong>de</strong>lt, entstehen <strong>in</strong> solchen Gruppen erfah-<br />

rungsgemäß weniger problematische Gruppendynamiken, als <strong>die</strong>s<br />

bei KES <strong>de</strong>r Fall se<strong>in</strong> könnte. Die hohe Anzahl von OHP-Folien setzt<br />

e<strong>in</strong>e strukturierte Vorbereitung voraus und e<strong>in</strong>en schnellen Umgang<br />

mit <strong>die</strong>sen Me<strong>die</strong>n, da sie <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Sitzungen häufig gewech-<br />

selt wer<strong>de</strong>n müssen (teilweise alle drei M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong>e neue Folie).<br />

Wenngleich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Sitzungen <strong>die</strong> Tra<strong>in</strong>er weniger <strong>die</strong> Position <strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>ratoren, son<strong>de</strong>rn eher <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Referenten <strong>in</strong>nehaben, erfor<strong>de</strong>rt<br />

das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g me<strong>in</strong>er Ansicht nach <strong>de</strong>nnoch e<strong>in</strong>e umfassen<strong>de</strong> Ausbil-<br />

dung, um adäquat auf Fragen <strong>de</strong>r Eltern reagieren zu können. Da<br />

<strong>die</strong> Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>s Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs als kom-<br />

petente Ansprechpartner<strong>in</strong>nen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Eltern gelten, kann man da-<br />

von ausgehen, dass <strong>die</strong>se sich mit ihren Fragen auch an <strong>die</strong> Tra<strong>in</strong>er<br />

wen<strong>de</strong>n. So können sich <strong>die</strong> Fragen <strong>de</strong>r Eltern nicht nur auf das<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g selbst beziehen, son<strong>de</strong>rn möglicherweise auch auf Konflik-<br />

te <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Familie (z.B. mangeln<strong>de</strong> Unterstützung durch <strong>die</strong> Partner),<br />

auf Unsicherheiten h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er anstehen<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>schulung <strong>de</strong>s<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>s, auf Fragen nach <strong>de</strong>r Medikation o<strong>de</strong>r weiteren Behand-<br />

lungsmöglichkeiten bei AD(H)S und Vieles mehr. Der wöchentliche<br />

Telefonkontakt muss von <strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong>ern ebenfalls entsprechend pro-<br />

fessionell gestaltet wer<strong>de</strong>n können. So ist nicht auszuschließen,<br />

dass durch <strong>die</strong> kognitiv orientierte Vermittlung <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Sitzungen <strong>die</strong><br />

Umsetzung zu Hause problematisch wer<strong>de</strong>n kann und dann viele<br />

Fragen aufwirft, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n Eltern im Telefonat angesprochen wer-<br />

<strong>de</strong>n könnten. So ersche<strong>in</strong>en zunächst <strong>die</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong><br />

Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen niedriger zu se<strong>in</strong> als bei KES, wodurch viele Personen<br />

als Tra<strong>in</strong>er gewonnen wer<strong>de</strong>n könnten. Die genauere Analyse <strong>de</strong>s<br />

Programms offenbart jedoch <strong>die</strong> beson<strong>de</strong>re Position <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>-<br />

nen als Ansprechpartner<strong>in</strong> und „Expert<strong>in</strong>“ <strong>für</strong> <strong>die</strong> Eltern, so dass<br />

- 43 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

e<strong>in</strong>e umfassen<strong>de</strong> pädagogisch-psychologische Ausbildung, wie bei<br />

KES gefor<strong>de</strong>rt eher ratsam und me<strong>in</strong>es Erachtens auch notwendig<br />

ist. Die Autoren haben sich <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e breite Anwendung entschie<strong>de</strong>n<br />

und <strong>die</strong> offiziellen Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>die</strong> Tra<strong>in</strong>er niedrig gehalten,<br />

was als kritisch gewertet wer<strong>de</strong>n muss. Mir ist ke<strong>in</strong> Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

bekannt, was ohne e<strong>in</strong>e Schulung <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>ratoren durchgeführt<br />

wird. Bei universellen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs wie „Starke K<strong>in</strong><strong>de</strong>r - starke Eltern“<br />

o<strong>de</strong>r „Triple P“ wer<strong>de</strong>n mehrtägige Fortbildungen vorausgesetzt.<br />

Therapeutische Metho<strong>de</strong>n<br />

Bei<strong>de</strong> Programme basieren auf e<strong>in</strong>er Vielzahl von Untersuchungen<br />

zu <strong>de</strong>n Interaktionsprozessen <strong>in</strong> Familien mit expansiv auffälligen<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn und beziehen sich vorrangig auf <strong>die</strong> von PATTERSON<br />

(1982) formulierten „coersiven Prozesse“ und <strong>de</strong>n von DÖPFNER<br />

ET. AL. (1998) beschriebenen „Teufelskreis“ <strong>in</strong> solchen Interakti-<br />

onsgeschehen. Sie haben e<strong>in</strong>e lerntheoretische Grundlage und s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> ihren Interventionen verhaltenstherapeutisch ausgelegt. So nut-<br />

zen bei<strong>de</strong> Programme das Problemlösetra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, das operante Kon-<br />

ditionieren, Verhaltensprotokollierungen und <strong>die</strong> kognitive Umstruk-<br />

turierung. Weiterh<strong>in</strong> f<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich Bezüge zu <strong>de</strong>n neurophysiologi-<br />

schen Grundlagen von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn mit AD(H)S, speziell <strong>de</strong>n Schwierig-<br />

keiten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Inhibitionskontrolle und <strong>de</strong>r Strukturierung von Hand-<br />

lungsabläufen. Ferner berücksichtigen <strong>die</strong> Autoren bei<strong>de</strong>r Program-<br />

me <strong>die</strong> so genannten „daily hassels“, also das alltägliche Stresserle-<br />

ben <strong>de</strong>r Eltern <strong>in</strong> Standardsituationen und versuchen <strong>in</strong> ihrem Trai-<br />

n<strong>in</strong>g <strong>die</strong>s entsprechend zu berücksichtigen. E<strong>in</strong>en weiteren Bezugs-<br />

punkt stellen <strong>die</strong> sozioökonomischen Faktoren <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Entstehung<br />

und Aufrechterhaltung expansiver Verhaltensprobleme dar. Um<br />

auch hier <strong>die</strong> stressauslösen<strong>de</strong>n Bed<strong>in</strong>gungen verän<strong>de</strong>rn bzw. kom-<br />

pensieren zu können, versuchen bei<strong>de</strong> Programme Möglichkeiten<br />

zur (Stress-) Entlastung zu etablieren. In <strong>de</strong>n theoretischen Bezü-<br />

- 44 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

gen f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich bei KES zusätzlich e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>r El-<br />

tern mit ihrem eigenen Erleben <strong>in</strong> bestimmten Erziehungssituatio-<br />

nen (angelehnt an <strong>die</strong> rational-emotive Verhaltenstherapie). Hier<br />

ist nicht nur e<strong>in</strong> didaktisch-methodischer Unterschied <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ver-<br />

mittlung <strong>de</strong>r Inhalte festzustellen, son<strong>de</strong>rn darüber h<strong>in</strong>aus auch e<strong>in</strong><br />

Unterschied <strong>in</strong> <strong>de</strong>r theoretischen Fun<strong>die</strong>rung <strong>de</strong>s Programms. Die<br />

Sichtweise, dass Interaktionsprozesse auch systemisch zu verste-<br />

hen s<strong>in</strong>d (vgl. REICH 1997; SCHLIPPE & SCHWEITZER 2000;<br />

WATZLAWICK 1996), wird durch <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>s ABC-Mo<strong>de</strong>lls von<br />

ELLIS (1993) <strong>de</strong>utlich. Hier zeigt sich neben e<strong>in</strong>er humanistischen<br />

e<strong>in</strong>e systemische Perspektive von KES, <strong>die</strong> das <strong>in</strong>nere Erleben <strong>de</strong>r<br />

beteiligten Kommunikationspartner mit e<strong>in</strong>bezieht. Auch <strong>die</strong> Res-<br />

sourcenorientierung kann als e<strong>in</strong> theoretischer H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>s<br />

Programms erfasst wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r bei KES handlungsleitend und me-<br />

thodisch e<strong>in</strong>geplant ist, teilweise aber auch bei PEP durch Nutzung<br />

e<strong>in</strong>iger Ressourcen <strong>de</strong>r Eltern vorhan<strong>de</strong>n ist - hier jedoch weniger<br />

<strong>in</strong>tensiv als bei KES. Zusammenfassend kann man feststellen, dass<br />

<strong>die</strong> theoretischen H<strong>in</strong>tergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramme <strong>in</strong><br />

weiten Teilen ähnlich s<strong>in</strong>d und sich auf empirisch gut belegte Studi-<br />

en beziehen, wobei KES e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>sgesamt vielschichtigere theoreti-<br />

sche Fun<strong>die</strong>rung aufweist.<br />

Didaktisch-methodische Vermittlung<br />

KES<br />

Das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g zeichnet sich durch e<strong>in</strong>e beträchtliche Metho<strong>de</strong>nvielfalt<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vermittlung <strong>de</strong>r Inhalte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsgruppe aus. In <strong>de</strong>n<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten wird e<strong>in</strong> hoher Anteil an Mitarbeit durch <strong>die</strong> El-<br />

tern gefor<strong>de</strong>rt. Alle Eltern müssen <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zel- und Paararbeit <strong>die</strong><br />

theoretisch vermittelten Ansätze <strong>in</strong>dividuell umsetzen. Dabei haben<br />

sie <strong>die</strong> Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen. Durch <strong>die</strong>se<br />

Metho<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Ressourcen <strong>de</strong>r Eltern s<strong>in</strong>nvoll genutzt, da so<br />

- 45 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

eigene I<strong>de</strong>en erweitert, h<strong>in</strong>terfragt und ausgebaut wer<strong>de</strong>n können<br />

und <strong>die</strong> Erfahrungen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Eltern <strong>in</strong> <strong>die</strong> Arbeit mit e<strong>in</strong>fließen<br />

können. Durch <strong>die</strong>sen Erfahrungsaustausch können <strong>die</strong> Eltern zu-<br />

sätzlich unterstützt und motiviert wer<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e Erprobung geplan-<br />

ter Verän<strong>de</strong>rungen f<strong>in</strong><strong>de</strong>t im Rollenspiel statt, das <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel so<br />

weit durchgespielt wird, bis <strong>die</strong> optimale Lösung gefun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>.<br />

Es ermöglicht <strong>de</strong>n Transfer und bereitet sehr gut auf <strong>die</strong> häusliche<br />

Situation vor. Darüber h<strong>in</strong>aus ermöglicht das Rollenspiel e<strong>in</strong>en Per-<br />

spektivenwechsel dadurch, dass sich Eltern auch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Rolle <strong>de</strong>r<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r begeben und aus <strong>die</strong>ser Erfahrung heraus ihre Sichtweisen<br />

erweitern können. So können zuvor theoretisch erarbeitete Verän-<br />

<strong>de</strong>rungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Verhaltensübung erlebbar gemacht wer<strong>de</strong>n, was<br />

zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiveren Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r Thematik und<br />

damit zu tieferen Lernprozessen führt (vgl. REICH 2006). Mit <strong>de</strong>m<br />

E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>s Rollenspiels orientieren sich <strong>die</strong> Autoren an <strong>de</strong>n Abläu-<br />

fen im Problemlösetra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, wo das „Probehan<strong>de</strong>ln“ von zuvor for-<br />

mulierten Zielen vorgesehen ist (LIEBECK 1993). Durch <strong>die</strong> Kon-<br />

trolle im Plenum, bzw. <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Zweierarbeit können mögliche<br />

Schwachstellen aufge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n. Die Arbeitsaufträge s<strong>in</strong>d so be-<br />

schaffen, dass e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Umsetzung ermöglicht wird und e<strong>in</strong><br />

direkter Bezug zum vorher <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ierten Problemverhalten möglich<br />

ist. Zur Wie<strong>de</strong>rholung und Auffrischung sowie zur Protokollierung<br />

stehen begleiten<strong>de</strong> Kopiervorlagen zur Verfügung, <strong>die</strong> nicht ganz so<br />

umfangreich s<strong>in</strong>d wie bei PEP, jedoch <strong>die</strong> wichtigsten Handlungsan-<br />

leitungen und Verhaltensregeln be<strong>in</strong>halten. In <strong>de</strong>r letzten Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs-<br />

e<strong>in</strong>heit wer<strong>de</strong>n Verhaltensverträge genutzt, um soziale Ressourcen<br />

zu nutzen und Stressoren zu reduzieren. Durch <strong>in</strong>teraktive Referate<br />

können <strong>die</strong> Eltern eigene Vorschläge <strong>in</strong> <strong>die</strong> Diskussion e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong> herausgefor<strong>de</strong>rt, eigene Lösungen zu<br />

suchen, ihnen bereits bekannte Metho<strong>de</strong>n zu benennen bzw. auf<br />

<strong>die</strong> bereits positiven verlaufen<strong>de</strong>n Interaktionen zurückzublicken.<br />

- 46 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Die letzten 15 M<strong>in</strong>uten <strong>de</strong>r Sitzungen s<strong>in</strong>d explizit <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e ressour-<br />

cenorientierte Betrachtung bereits vorhan<strong>de</strong>ner Erziehungskompe-<br />

tenzen vorgesehen. Hier wird ermittelt, was bereits gut funktioniert<br />

und wo <strong>die</strong> Stärken <strong>de</strong>r Eltern liegen. Diese Metho<strong>de</strong> ist als sehr<br />

positiv zu werten, da Eltern sozial auffälliger K<strong>in</strong><strong>de</strong>r häufig nur noch<br />

das Problemverhalten wahrnehmen und e<strong>in</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Defizit-<br />

orientierung entwickeln.<br />

Zusammenfassend kann festgestellt wer<strong>de</strong>n, dass <strong>die</strong> Eltern als<br />

kompetente Teilnehmer<strong>in</strong>nen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Sie s<strong>in</strong>d aufge-<br />

for<strong>de</strong>rt, eigene Vorschläge zu machen, <strong>die</strong> Sitzungen mitzugestal-<br />

ten und wer<strong>de</strong>n dadurch auch <strong>in</strong> ihrer Verantwortung und Kompe-<br />

tenz als Eltern ernst genommen. Das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g bietet <strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong>ern<br />

entsprechen<strong>de</strong> Freiräume, bestimmte Inhalte zu bevorzugen o<strong>de</strong>r<br />

<strong>in</strong> ihrer Intensität anzupassen. Der methodisch be<strong>de</strong>utsamste Un-<br />

terschied zu PEP liegt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Verhaltensübungen (Rollenspiel) und<br />

<strong>de</strong>m hohen Anteil an konstruktiver und erfahrungsorientierter Ei-<br />

gentätigkeit.<br />

PEP<br />

In <strong>de</strong>r didaktisch-methodischen Gestaltung von PEP haben sich <strong>die</strong><br />

Autor<strong>in</strong>nen vor allem an <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Problemlösetra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs<br />

orientiert und e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>m Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> gleich bleiben-<br />

<strong>de</strong> klare Struktur gewählt, <strong>die</strong> <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r Sitzung nach e<strong>in</strong>em festge-<br />

legten Ablauf <strong>die</strong> Inhalte darstellt. Die Struktur erlaubt aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r<br />

aufbauen<strong>de</strong> Sitzungs<strong>in</strong>halte e<strong>in</strong>fach und verständlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Ge-<br />

samtzusammenhang zu setzen. In je<strong>de</strong>r Sitzung wer<strong>de</strong>n über OHP-<br />

Folien dargestellte Handlungsschritte nache<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r bearbeitet, <strong>die</strong><br />

auch als Kopiervorlage <strong>in</strong> <strong>de</strong>n beiliegen<strong>de</strong>n Elternmaterialien zur<br />

Verfügung stehen. Dabei fällt <strong>die</strong> Orientierung durch bestimmte<br />

gleich bleiben<strong>de</strong> Kennzeichnungen (Icons) leicht, was es <strong>de</strong>n Eltern<br />

ermöglicht, zu Hause an <strong>de</strong>n besprochenen Themen weiter zu ar-<br />

- 47 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

beiten bzw. <strong>die</strong> Sitzungs<strong>in</strong>halte erneut nachzulesen. Die Planung<br />

be<strong>in</strong>haltet jeweils e<strong>in</strong>e Vorbereitung <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Sitzung und im<br />

Anschluss daran e<strong>in</strong>e Protokollierung <strong>de</strong>r geplanten Verän<strong>de</strong>rungen<br />

zu Hause. Die Darstellung f<strong>in</strong><strong>de</strong>t über e<strong>in</strong>e hohe Anzahl an Folien<br />

(bis zu 28 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung) statt, <strong>die</strong> <strong>in</strong> immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>r<br />

gleicher Reihenfolge präsentiert wer<strong>de</strong>n. So sollen sich <strong>die</strong> Abläufe<br />

e<strong>in</strong>prägen. Die Eigentätigkeit <strong>de</strong>r Eltern ist jedoch sehr begrenzt<br />

und beläuft sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel auf e<strong>in</strong> bis zwei E<strong>in</strong>zelarbeiten mit ei-<br />

ner durchschnittlichen Dauer von jeweils fünf bis max. fünfzehn Mi-<br />

nuten <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r Sitzung. In e<strong>in</strong>er Sitzung wird e<strong>in</strong> kurzes Rollenspiel<br />

durchgeführt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er weiteren Sitzung f<strong>in</strong><strong>de</strong>t e<strong>in</strong>e Kle<strong>in</strong>gruppenar-<br />

beit statt. Hier wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Ressourcen <strong>de</strong>r Eltern genutzt und es<br />

besteht <strong>die</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es Probehan<strong>de</strong>lns. Während im KES <strong>in</strong>s-<br />

beson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Verhaltensübungen im Vor<strong>de</strong>rgrund stehen, nimmt<br />

bei PEP <strong>die</strong> theoretische Vermittlung <strong>de</strong>r Inhalte <strong>de</strong>n meisten Raum<br />

e<strong>in</strong>. Die Autoren wählten e<strong>in</strong>e hoch strukturierte stets gleich blei-<br />

ben<strong>de</strong> Form. Die klare und e<strong>in</strong>fache Struktur <strong>de</strong>r Inhalte kann El-<br />

tern zugute kommen, <strong>die</strong> selbst <strong>de</strong>utliche Probleme mit <strong>de</strong>r Hand-<br />

lungsregulation und Strukturierung von Abläufen haben. Die regel-<br />

mäßigen Wie<strong>de</strong>rholungen <strong>de</strong>r Handlungsschritte müssen metho-<br />

disch jedoch h<strong>in</strong>terfragt wer<strong>de</strong>n, da dadurch nicht gewährleistet ist,<br />

dass sich <strong>die</strong> Inhalte automatisch besser e<strong>in</strong>prägen. Stetige Wie-<br />

<strong>de</strong>rholungen können ebenso ermü<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r<br />

Zuhörer herabsetzen. Die Gestaltung <strong>de</strong>r Sitzungen f<strong>in</strong><strong>de</strong>t zum<br />

Großteil <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Referatform statt, unterbrochen von <strong>de</strong>n kurzen<br />

Phasen <strong>de</strong>r konstruktiven Eigentätigkeit <strong>de</strong>r Eltern. Methodisch<br />

überwiegt somit <strong>de</strong>r Frontalunterricht. E<strong>in</strong> be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Unterschied<br />

zeigt sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Angebot e<strong>in</strong>es wöchentlichen Telefonkontakts.<br />

Hier haben <strong>die</strong> Eltern <strong>die</strong> Gelegenheit weitere Fragen zu klären und<br />

müssen so nicht auf <strong>die</strong> nächste Sitzung warten. Dies ist metho-<br />

disch sehr s<strong>in</strong>nvoll, da <strong>de</strong>n Eltern hier e<strong>in</strong>e weitere Sicherheit zur<br />

- 48 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Verfügung steht und erste Probleme <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Umsetzung bereits früh-<br />

zeitig geklärt wer<strong>de</strong>n können.<br />

Zusammenfassend kann festgestellt wer<strong>de</strong>n, dass sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r didak-<br />

tisch-methodischen Umsetzung <strong>de</strong>r Programme e<strong>in</strong> erheblicher Un-<br />

terschied zeigt. Während bei KES vor allem e<strong>in</strong>e Reflexion und<br />

tiefer gehen<strong>de</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>r Eltern mit <strong>de</strong>n Inhalten an-<br />

gestrebt wird, was durch Diskussionen und Rollenspiele geför<strong>de</strong>rt<br />

wird, setzt PEP auf <strong>in</strong>haltliche Wie<strong>de</strong>rholungen und klare aufe<strong>in</strong>an-<br />

<strong>de</strong>r aufbauen<strong>de</strong> Glie<strong>de</strong>rungsstrukturen, <strong>die</strong> eher e<strong>in</strong>en Lehrcharak-<br />

ter als e<strong>in</strong>en Erfahrungscharakter haben. Dies ermöglicht jedoch<br />

<strong>de</strong>n Eltern, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven Eigentätigkeit und <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>satz vie-<br />

ler Rollenspiele kritisch gegenüber stehen, an e<strong>in</strong>em Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

teilzunehmen.<br />

Zeitliche Gestaltung<br />

In <strong>die</strong>sem Vergleich wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Sitzungen 1-6 sowie <strong>die</strong> Sitzung D<br />

von PEP <strong>de</strong>n sieben Sitzungen von KES gegenüber gestellt. So wur-<br />

<strong>de</strong>n weitgehen<strong>de</strong> Übere<strong>in</strong>stimmungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Themenauswahl <strong>de</strong>r<br />

e<strong>in</strong>zelnen Sitzungen ermöglicht, was <strong>die</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs vergleichbarer<br />

macht.<br />

In <strong>de</strong>r zeitlichen Gestaltung von KES fällt zunächst <strong>die</strong> Intensität<br />

auf: Drei Stun<strong>de</strong>n gegenüber e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb bis zwei Stun<strong>de</strong>n bei PEP.<br />

Bezieht man jedoch <strong>de</strong>n optionalen Telefonkontakt, <strong>de</strong>r bei PEP al-<br />

len Eltern e<strong>in</strong>mal wöchentlich angeboten wird mit e<strong>in</strong>, so ergibt sich<br />

e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res Bild. Bei e<strong>in</strong>er Teilnehmerzahl von fünf Eltern ergeben<br />

bereits jeweils 20 M<strong>in</strong>uten Telefonkontakt wöchentlich, weitere 100<br />

M<strong>in</strong>uten Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gszeit und somit <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>en Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsumfang<br />

von drei bis dreie<strong>in</strong>halb Stun<strong>de</strong>n. Somit ist <strong>de</strong>r zeitliche Aufwand<br />

dann <strong>in</strong>sgesamt gleich hoch o<strong>de</strong>r möglicherweise, je nach Bera-<br />

tungsbedarf <strong>de</strong>r Eltern etwas höher.<br />

- 49 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Evaluation <strong>de</strong>r Programme<br />

E<strong>in</strong>e Stu<strong>die</strong> zur differenzierten Wirksamkeit im Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g KES<br />

wur<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Zeitschrift <strong>für</strong> Kl<strong>in</strong>ische Psychologie und Psychothera-<br />

pie (LAUTH, GRIMM & OTTE 2007) veröffentlicht. Kurzzeiteffekte<br />

von PEP wur<strong>de</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>de</strong>ren Ausgabe <strong>die</strong>ser Zeitschrift veröf-<br />

fentlicht (HANISCH, PLÜCK, MEYER, BRIX, FREUND-BRAIER, HAUT-<br />

MANN & DÖPFNER 2006). E<strong>in</strong>e umfassen<strong>de</strong> Untersuchung <strong>de</strong>r bei-<br />

<strong>de</strong>n Publikationen zeigte e<strong>in</strong>e Wirksamkeit bei<strong>de</strong>r Programme, wo-<br />

bei berücksichtigt wer<strong>de</strong>n muss, dass es <strong>de</strong>utliche Unterschie<strong>de</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>m Design <strong>de</strong>r Stu<strong>die</strong>n gibt. Während <strong>die</strong> KES Stu<strong>die</strong> als recht va-<br />

li<strong>de</strong> betrachtet wer<strong>de</strong>n muss, was <strong>in</strong> <strong>de</strong>r vorgenommenen Rando-<br />

misation und <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vergleich mit alternativ behan-<br />

<strong>de</strong>lten Kontrollgruppen begrün<strong>de</strong>t ist, wird <strong>die</strong> <strong>in</strong>terne Validität <strong>de</strong>r<br />

PEP-Stu<strong>die</strong> e<strong>in</strong>geschränkt durch <strong>die</strong> Wahl e<strong>in</strong>er Vergleichsgruppe<br />

ohne Behandlung, als auch durch e<strong>in</strong>e fragliche Äquivalenz <strong>de</strong>r<br />

Gruppen zu Untersuchungsbeg<strong>in</strong>n. Mit e<strong>in</strong>er Vergleichsgruppe ohne<br />

Behandlung können lediglich so genannte Bruttoeffekte gemessen<br />

wer<strong>de</strong>n. Das be<strong>de</strong>utet, dass e<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen <strong>de</strong>n<br />

Wirkungen <strong>de</strong>s eigentlichen Programms PEP und <strong>de</strong>n Wirkungen,<br />

<strong>die</strong> sich alle<strong>in</strong> aus <strong>de</strong>r Interventionssituation ergeben, nicht möglich<br />

ist (HAGER 2000).<br />

Dennoch verweisen bei<strong>de</strong> Stu<strong>die</strong>n darauf, dass e<strong>in</strong> (zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st<br />

kurzfristiger) Interventionseffekt bei bei<strong>de</strong>n Programmen zu erwar-<br />

ten ist. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> zu KES zeigte gute Effekte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Reduktion <strong>de</strong>r k<strong>in</strong>dlichen Verhaltensauffälligkeiten <strong>in</strong> familiären<br />

Standardsituationen als auch e<strong>in</strong>e Verbesserung <strong>de</strong>s elterlichen<br />

Stressniveaus. Die Ergebnisse <strong>de</strong>r PEP-Stu<strong>die</strong> legen nahe, dass es<br />

zu e<strong>in</strong>er Verbesserung <strong>de</strong>s positiven Erziehungsverhaltens bei <strong>de</strong>n<br />

Müttern kommt und damit e<strong>in</strong>hergehend zu e<strong>in</strong>er Reduzierung <strong>de</strong>s<br />

k<strong>in</strong>dlichen Problemverhaltens. Ausreichend sichere Daten zu e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>schätzung <strong>de</strong>r Wirksamkeit <strong>de</strong>s Programms h<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r<br />

- 50 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Schulung von Erzieher<strong>in</strong>nen liegen <strong>de</strong>rzeit nicht vor. E<strong>in</strong> Vorteil <strong>die</strong>-<br />

ser multimodalen Metho<strong>de</strong> konnte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Stu<strong>die</strong> nicht<br />

nachgewiesen wer<strong>de</strong>n.<br />

E<strong>in</strong>e umfassen<strong>de</strong> Beurteilung <strong>de</strong>r Evaluation kann beim Autor ange-<br />

for<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Schlussfolgerungen<br />

In Bezug auf <strong>die</strong> didaktisch-methodische Vermittlung wird <strong>de</strong>utlich,<br />

dass das E<strong>in</strong>beziehen <strong>de</strong>r Eltern als kompetente, verantwortungs-<br />

volle und ihren Lernprozess mitgestalten<strong>de</strong> Eltern bei PEP <strong>de</strong>utlich<br />

weniger gegeben ist, während KES <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Konzeption <strong>de</strong>r Sitzungen<br />

grundsätzlich von <strong>die</strong>sen Prämissen ausgeht. Die Intensität mit <strong>de</strong>r<br />

<strong>die</strong> Eltern an ihren Erziehungsmetho<strong>de</strong>n arbeiten ist <strong>de</strong>mentspre-<br />

chend höher, was sich bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r zeitlichen Gestaltung <strong>de</strong>r Sit-<br />

zungen zeigt. Möchte man nun auf <strong>die</strong>ser Basis Zielgruppen <strong>für</strong> bei-<br />

<strong>de</strong> Programme <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ieren so ergäbe sich folgen<strong>de</strong>s Bild:<br />

Die Eltern, <strong>die</strong> <strong>in</strong> möglichst kurzer Zeit Hilfestellungen <strong>in</strong> Form kla-<br />

rer Handlungsanweisungen benötigen und weniger bereit s<strong>in</strong>d, sich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe mit an<strong>de</strong>ren Eltern <strong>in</strong>tensiver mit ihrem Erzie-<br />

hungsverhalten ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu setzen, wären bei PEP besser auf-<br />

gehoben. Die geplanten Verän<strong>de</strong>rungen im Erziehungsverhalten<br />

wer<strong>de</strong>n hier kognitiv vermittelt und können <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Umsetzung zu<br />

Hause dann noch telefonisch mit <strong>de</strong>m Tra<strong>in</strong>er weiter besprochen<br />

wer<strong>de</strong>n. Ferner stehen viele Unterlagen <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Elternbuchs<br />

zur Verfügung, um <strong>die</strong> vermittelten Erziehungsmetho<strong>de</strong>n erneut<br />

nachzulesen. Dabei wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramm jedoch<br />

<strong>die</strong> Ressourcen <strong>de</strong>r Eltern <strong>de</strong>utlich weniger berücksichtigt, wie be-<br />

reits dargestellt wur<strong>de</strong>.<br />

Die Eltern, <strong>die</strong> bereit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe von an<strong>de</strong>ren Eltern <strong>in</strong>ten-<br />

siv auch an persönlichen Themen und <strong>in</strong> ungewohnten Situationen<br />

(Rollenspiel, Paararbeit) zu arbeiten und <strong>die</strong> dabei auf <strong>de</strong>r Basis ih-<br />

- 51 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

rer Ressourcen an <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r Interventionen beteiligt wer-<br />

<strong>de</strong>n möchten, könnten KES bevorzugen. Die Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e<br />

kognitive Lehrform favorisieren und daran <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d <strong>de</strong>n El-<br />

tern e<strong>in</strong>fache, klare und strukturierte Handlungsanweisungen zu<br />

vermitteln, könnten PEP <strong>de</strong>n Vorzug geben. Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen, <strong>die</strong> an ei-<br />

ner anregen<strong>de</strong>n Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>r Eltern mit ihren Ressour-<br />

cen, ihren Erziehungsvorstellungen, ihren Perspektiven und „Wirk-<br />

lichkeiten“ <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d wür<strong>de</strong>n vermutlich eher KES durchfüh-<br />

ren. Dabei müssen sie über entsprechen<strong>de</strong> Kompetenzen verfügen.<br />

Es zeigt sich, dass mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogrammen zwei fun-<br />

<strong>die</strong>rte Präventionsmaßnahmen zur Verfügung stehen, <strong>die</strong> je nach<br />

Zielgruppe und je nach persönlicher therapeutischer und pädagogi-<br />

scher Grundhaltung differenziert e<strong>in</strong>gesetzt wer<strong>de</strong>n können. Legt<br />

man jedoch beson<strong>de</strong>ren Wert auf <strong>die</strong> Ressourcenorientierung und<br />

geht man dabei von e<strong>in</strong>em humanistischen Menschenbild aus, <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>m Kooperation, Wertschätzung <strong>de</strong>r Person und se<strong>in</strong>er Ressour-<br />

cen sowie Partizipation an eigenen Lernprozessen Grundpr<strong>in</strong>zipien<br />

darstellen (vgl. REICH 2006; SCHMID 1995), so muss unter <strong>die</strong>ser<br />

Perspektive KES als das geeignetere Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramm angese-<br />

hen wer<strong>de</strong>n. Weiterh<strong>in</strong> sprechen <strong>die</strong> Vermittlungsstrategien von<br />

KES da<strong>für</strong>, dass durch <strong>die</strong> tiefe Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung und <strong>die</strong> erfah-<br />

rungsorientierte Eigentätigkeit e<strong>in</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Anschlussfähig-<br />

keit an <strong>die</strong> vorhan<strong>de</strong>nen Ressourcen gegeben ist. So ist davon aus-<br />

zugehen, dass es hier zu tieferen und nachhaltigeren Lerneffekten<br />

kommt. Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n durch <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong>nvielfalt verschie<strong>de</strong>ne<br />

Lerntypen (vgl. GARDNER 2002) angesprochen.<br />

Für <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Elterngruppen stehen mit bei<strong>de</strong>n Programmen<br />

zwei geeignete Manuale zur Verfügung, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n erfahrenen Prakti-<br />

kern ausreichend gute und fun<strong>die</strong>rte Mittel zur Verfügung stellen,<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuell nach <strong>de</strong>n eigenen therapeutischen Vorlieben ge-<br />

staltbare Elternarbeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gruppe zu ermöglichen.<br />

- 52 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Wenn man nun e<strong>in</strong>en Schritt weiter geht und neben <strong>de</strong>r kl<strong>in</strong>ischen<br />

Anwendung und <strong>de</strong>r Berücksichtigung empirischer Daten, <strong>die</strong><br />

Durchführung solcher Programme auch als E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> familiäre und<br />

damit auch <strong>in</strong> gesellschaftliche Wirklichkeiten betrachtet, muss e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>schätzung auch auf <strong>de</strong>r Basis von allgeme<strong>in</strong>en pädagogischen<br />

Grundhaltungen erfolgen, wie sie <strong>de</strong>rzeit bezüglich universeller El-<br />

terntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs diskutiert wer<strong>de</strong>n (vgl. DEEGENER & HURRELMANN<br />

2002; TSCHÖPE-SCHEFFLER 2003). Unter Berücksichtigung e<strong>in</strong>er<br />

solchen Herangehensweise muss vor allem <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz von PEP,<br />

was von <strong>de</strong>n Autoren auch als wirksames Programm bei „normalen<br />

Erziehungsschwierigkeiten“ angesehen wird, kritisch h<strong>in</strong>terfragt<br />

wer<strong>de</strong>n. Dabei ist <strong>in</strong> beson<strong>de</strong>rem Maße zu berücksichtigen, dass<br />

<strong>die</strong>ses Programm von e<strong>in</strong>er hohen Zahl „im weitesten S<strong>in</strong>n pädago-<br />

gisch Tätiger“ durchgeführt wer<strong>de</strong>n kann, was ebenfalls kritisch zu<br />

werten ist. Zu<strong>de</strong>m sollte e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n thera-<br />

peutischen Metho<strong>de</strong>n (z.B. <strong>de</strong>r „Auszeit“) solcher „kl<strong>in</strong>ischer Eltern-<br />

tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs“ erfolgen. Wenngleich <strong>die</strong> Anwendung <strong>die</strong>ser Programme<br />

auf Eltern so genannter Risikok<strong>in</strong><strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Unterschied zu univer-<br />

sellen Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs darstellt, muss <strong>de</strong>nnoch <strong>die</strong>ses methodische<br />

Vorgehen diskutiert wer<strong>de</strong>n. So gehen zwar e<strong>in</strong>ige Autoren davon<br />

aus, dass <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz autoritärer Erziehungsmetho<strong>de</strong>n bei bereits<br />

auffälligen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m autoritativem Erziehungsstil gegenüber ef-<br />

fektiver se<strong>in</strong> kann, doch rechtfertigt <strong>die</strong>s me<strong>in</strong>er Ansicht nach nicht<br />

pr<strong>in</strong>zipiell <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>satz von Bestrafung („negative Konsequenzen“).<br />

Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Auszeit“ ist hier als problematisch<br />

e<strong>in</strong>zustufen. Wenn erzw<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> Verhaltensweisen, wie PATTERSON<br />

ET. AL. (1989) sie beschreiben, zum Standardrepertoire von Eltern<br />

<strong>in</strong> Familien betroffener K<strong>in</strong><strong>de</strong>r gehören, stellt sich <strong>die</strong> Frage, ob <strong>de</strong>r<br />

E<strong>in</strong>satz <strong>die</strong>ser Metho<strong>de</strong> nicht ebenfalls zu <strong>de</strong>n erzw<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n Ver-<br />

haltensweisen gezählt wer<strong>de</strong>n kann und man zu<strong>de</strong>m nicht Gefahr<br />

läuft, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>flationäre Anwendung <strong>die</strong>ser Metho<strong>de</strong> zu unterstützen.<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Sollten K<strong>in</strong><strong>de</strong>r aufgrund starker Emotionen unangemessen reagie-<br />

ren und sie wegen <strong>die</strong>ser Verhaltensweisen mit <strong>de</strong>r „Auszeit“ be-<br />

straft wer<strong>de</strong>n, kann zwar e<strong>in</strong>e Eskalation möglicherweise verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n, doch müssen <strong>die</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Moment ihre Gefühle<br />

abspalten und unterdrücken, was ihnen nicht ermöglicht e<strong>in</strong>en an-<br />

gemesseneren Ausdruck <strong>für</strong> <strong>die</strong>se zu erlernen. Wenn das Ziel e<strong>in</strong>er<br />

autoritativen Erziehung das ist, <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn auch Möglichkeiten zu<br />

vermitteln, wie sie mit starken Emotionen adäquat umgehen kön-<br />

nen, dann sche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> Auszeit aus <strong>die</strong>sem Blickw<strong>in</strong>kel heraus dazu<br />

nicht geeignet. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Anwendung solcher Maßnahmen<br />

bei jüngeren K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, <strong>die</strong> nur subkl<strong>in</strong>ische Merkmale von expansi-<br />

ven Störungen zeigen o<strong>de</strong>r „normale Erziehungsschwierigkeiten“<br />

aufweisen ist beson<strong>de</strong>rs kritisch zu bewerten. So lernen <strong>die</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r<br />

hier nicht e<strong>in</strong>en angemessenen Umgang mit ihren Impulsen und<br />

Emotionen, son<strong>de</strong>rn sie lernen bereits frühzeitig, dass Interessen<br />

(<strong>de</strong>r Eltern) mit Macht umgesetzt wer<strong>de</strong>n können und dass <strong>de</strong>r<br />

Ausdruck ihrer eigenen Emotionen bestraft wird.<br />

Ausblick<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Fragestellung weiterer Untersuchungen von <strong>in</strong>dizier-<br />

ten Präventionsmaßnahmen, <strong>die</strong> sich an Eltern richten, wäre mei-<br />

ner Ansicht nach, wie verän<strong>de</strong>rtes Erziehungsverhalten <strong>in</strong> unter-<br />

schiedlichen Familien (-typen) etabliert wer<strong>de</strong>n kann und <strong>die</strong> dabei<br />

vielfach gefor<strong>de</strong>rten <strong>de</strong>mokratisch-partizipativen Pr<strong>in</strong>zipien von au-<br />

toritativer Erziehung gewährleistet wer<strong>de</strong>n können. So sollten <strong>de</strong>n<br />

Eltern nicht nur „Metho<strong>de</strong>n“ vermittelt wer<strong>de</strong>n, wie sich k<strong>in</strong>dliches<br />

Verhalten durch Erziehungsmaßnahmen verän<strong>de</strong>rn lässt, son<strong>de</strong>rn<br />

sollten vor allem übergeordnete Erziehungsziele geme<strong>in</strong>sam mit El-<br />

tern formuliert wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Tatsache, dass durch e<strong>in</strong>e<br />

nur oberflächliche Diagnostik von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn mit expansiven Verhal-<br />

tensweisen, <strong>die</strong> Ursache e<strong>in</strong>er solchen Störung nicht erfasst wer<strong>de</strong>n<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

kann, ist im H<strong>in</strong>blick auf <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>satz verhaltenstherapeutischer Me-<br />

tho<strong>de</strong>n kritisch zu bewerten. Hier wäre e<strong>in</strong>e differenziertere Dia-<br />

gnostik notwendig um <strong>die</strong> Verhaltensweisen <strong>de</strong>r K<strong>in</strong><strong>de</strong>r zu verste-<br />

hen und e<strong>in</strong>en entsprechen<strong>de</strong>n therapeutischen Ansatzpunkt zu for-<br />

mulieren. Elternprogramme können dann e<strong>in</strong>e unterstützen<strong>de</strong> Maß-<br />

nahme darstellen, wenn es <strong>de</strong>n Tra<strong>in</strong>ern/Beratern gel<strong>in</strong>gt, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>-<br />

dividuelle <strong>für</strong> <strong>die</strong> jeweilige Familie passen<strong>de</strong> Unterstützung zu erar-<br />

beiten.<br />

Literatur<br />

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GARDNER, H. (2002). Intelligenzen. Stuttgart: Klett Cotta.<br />

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Diplomarbeit Universität Köln. Humanwissenschaftliche<br />

Fakultät. Internet: http://www.gr<strong>in</strong>.com/e-book/<br />

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LAUTH, G. W., GRIMM, K. & OTTE, T. A. (2007). Verhaltensübungen<br />

im Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g. E<strong>in</strong>e Stu<strong>die</strong> zur differenzierten Wirksamkeit<br />

im Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g. Zeitschrift <strong>für</strong> Kl<strong>in</strong>ische Psychologie und<br />

Psychotherapie, 36 (1), 26-35.<br />

- 55 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

LEHMKUHL, G. & DÖPFNER, M. (2006). Die Be<strong>de</strong>utung multimodaler<br />

Therapieansätze bei K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn mit Aufmerksamkeits<strong>de</strong>fizit-/Hyperaktivitätsstörungen.<br />

In: M. LEUTZINGER-BOHLEBER,<br />

Y. BRANDL, G. HÜTHER (HRSG.): ADHS-Frühprävention statt<br />

Medikalisierung. Theorie, Forschung, Kontroversen<br />

(118-133).Gött<strong>in</strong>gen: Van<strong>de</strong>nhoeck & Ruprecht.<br />

LIEBECK, H. (1993). Problemlösetra<strong>in</strong><strong>in</strong>g. In: M. L<strong>in</strong><strong>de</strong>n & M.<br />

Hautz<strong>in</strong>ger (Hrsg.), Verhaltenstherapie (237-244). Berl<strong>in</strong>:<br />

Spr<strong>in</strong>ger-Verlag<br />

PATTERSON, G. R. (1982). Coercive family process. Oregon: Eugen<br />

Castalia.<br />

PATTERSON, G. R., DEBARSHEY, B. D. & RAMSEY, E. (1989). A<br />

<strong>de</strong>velopmental perspective on antisocial behaviour. American<br />

Psychologist, 44, 329-335.<br />

PLÜCK, J., WIECZORREK, E., WOLFF METTERNICH T. & DÖPFNER,<br />

M. (2006). Präventions-programm <strong>für</strong> Expansives Problemverhalten<br />

(PEP). E<strong>in</strong> Manual <strong>für</strong> Eltern- und Erziehergruppen. Gött<strong>in</strong>gen:<br />

Hogrefe.<br />

REICH, K. (2006). Konstruktivistische Didaktik. Lehr und Stu<strong>die</strong>nbuch<br />

mit Metho<strong>de</strong>npool. We<strong>in</strong>heim: Beltz Verlag.<br />

SCHLIPPE, VON, A. & SCHWEITZER, J. (2000). Lehrbuch <strong>de</strong>r systemischen<br />

Therapie und Beratung. Gött<strong>in</strong>gen: Van<strong>de</strong>nhoeck &<br />

Ruprecht.<br />

SCHMID, P. F. (1995). Personale Begegnung. Der personzentrierte<br />

Ansatz <strong>in</strong> Psychotherapie, Beratung, Gruppenarbeit und<br />

Seelsorge. Würzburg: Echter Verlag<br />

STREECK-FISCHER, A. & FRICKE, B. (2007). „Lieber unruhig se<strong>in</strong><br />

als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em tiefen dunklen Loch e<strong>in</strong>gesperrt.“ Zum Verständnis<br />

und zur Therapie <strong>de</strong>r Aufmerksamkeits<strong>de</strong>fizit- und Hyperaktivitätsstörung<br />

aus psychodynamischer Sicht“. Praxis <strong>de</strong>r K<strong>in</strong><strong>de</strong>rpsychologie<br />

und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rpsychiatrie, 56, S. 277-299<br />

TSCHÖPE-SCHEFFLER, S. (2003). Elternkurse auf <strong>de</strong>m Prüfstand.<br />

Wie Erziehung wie<strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> macht. Opla<strong>de</strong>n: Leske & Budrich.<br />

WATZLAWICK, P., BEAVIN, J. H. & JACKSON, D. D. (1996).<br />

Menschliche Kommunikation. Bern: Verlag Hans Huber.<br />

- 56 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Über <strong>de</strong>n Autor:<br />

Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen<br />

Achim Kirschall, Dipl. Pädagoge, Heilpraktiker <strong>für</strong> Psychotherapie,<br />

Ergotherapeut. Weiterbildung <strong>in</strong> klientenzentrierter K<strong>in</strong><strong>de</strong>r- und<br />

Jugendlichenpsychotherapie, <strong>in</strong> Ausbildung zum psychoanalytischsystemischen<br />

Therapeuten (APF). Mitarbeiter <strong>de</strong>r Familien- und<br />

Erziehungsberatungsstelle <strong>für</strong> Wessel<strong>in</strong>g und Brühl.<br />

Kontakt: akirschall@wessel<strong>in</strong>g.<strong>de</strong><br />

Zu zitieren als:<br />

KIRSCHALL, Achim: Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bei AD(H)S und expansiven Verhaltensstörungen. Die<br />

Präventionsprogramme „KES“ und „PEP“ im Vergleich. In: Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08,<br />

32-57<br />

http://www.heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com/2008/heilpaedagogik_onl<strong>in</strong>e_0408.pdf,<br />

Stand: 12.10.2008<br />

Kommentieren Sie <strong>die</strong>sen Artikel!<br />

- 57 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

Madness and Disabilities:<br />

Interview with Geoffrey Reaume<br />

Graeme Bacque, PSAT,<br />

2004<br />

About:<br />

Geoffrey Reaume is Associate Professor<br />

<strong>in</strong> the Critical Disability Stu<strong>die</strong>s Graduate<br />

Program at York University, Toronto. He<br />

earned his PhD <strong>in</strong> History <strong>in</strong> 1997 at the<br />

University of Toronto. His doctoral dissertation<br />

was published as "Remembrance<br />

of Patients Past: Patient Life at<br />

the Toronto Hospital for the Insane,<br />

1870-1940" (Oxford University Press<br />

Canada, 2000). He is a co-foun<strong>de</strong>r of<br />

Psychiatric Survivor Archives, Toronto.<br />

Geoffrey’s second book is called: “Lyndhurst:<br />

Canada's First Rehabilitation Centre<br />

for People with Sp<strong>in</strong>al Cord Injuries,<br />

1945-1998” (Montreal: McGill-Queen's<br />

University Press, 2007).<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e: Professor Reaume, you offer tours to the<br />

wall surround<strong>in</strong>g the Queen Street Mental Health Centre <strong>in</strong> Toronto.<br />

What's the story beh<strong>in</strong>d this wall?<br />

Geoffrey Reaume: The history of the wall at the former Toronto<br />

Insane Asylum, now the Centre for Addiction and Mental Health, is<br />

about a past where patients worked without pay to build the very<br />

boundary walls that conf<strong>in</strong>ed them, which average sixteen feet <strong>in</strong><br />

height around parts of a 26 acre property. The first brick boundary<br />

walls were built <strong>in</strong> 1860 of which only two long sections of the<br />

southern portion rema<strong>in</strong>. Other walls were re-built <strong>in</strong> 1888-89 on<br />

the eastern and western si<strong>de</strong>s of the property, a large portion of<br />

which rema<strong>in</strong> stand<strong>in</strong>g today. Together, these three walls represent<br />

a previously ignored history of patients' labour and exploitation<br />

- 58 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

which needs to be acknowledged. Historically, psychiatric patients<br />

throughout the western world built, ma<strong>in</strong>ta<strong>in</strong>ed and cleaned asy-<br />

lums for no pay un<strong>de</strong>r the guise of moral therapy. The i<strong>de</strong>a was<br />

that light work and leisure activities could help to regulate and con-<br />

ciliate a troubled m<strong>in</strong>d. The reality was that this work was frequent-<br />

ly very heavy and anyth<strong>in</strong>g but light - build<strong>in</strong>g brick walls was not<br />

an easy task, after all. The history beh<strong>in</strong>d these walls reflect the<br />

immense toil that patients <strong>in</strong> the Toronto Asylum did, both men and<br />

women, for which they were never paid and have generally not<br />

been acknowledged, reflect<strong>in</strong>g the hid<strong>de</strong>n labour history of people<br />

with disabilities. This history has had immense impact on public<br />

policies down to today with very high unemployment rates among<br />

people with disabilities and people with a psychiatric history <strong>in</strong> par-<br />

ticular which has sought to justify <strong>de</strong>valu<strong>in</strong>g their work by claim<strong>in</strong>g<br />

it was not reliable or valuable work. Yet, my research on labour at<br />

this former asylum <strong>in</strong> 19th century Ontario shows just the opposite<br />

- after all, how much more reliable can you get than build<strong>in</strong>g brick<br />

walls <strong>in</strong> what is now a very busy part of Toronto that has lasted <strong>in</strong><br />

one case for 148 years and <strong>in</strong> another case for 120 years. These<br />

walls reflect immense prejudice towards the people who built them<br />

where their labour was never properly compensated, and it also re-<br />

flects much pri<strong>de</strong> <strong>in</strong> their abilities which many of us <strong>in</strong> the psychi-<br />

atric survivor community have sought to have recognized <strong>in</strong> recent<br />

years through wall tours, campaigns for plaques and various public<br />

education efforts. To see more about efforts to preserve this histo-<br />

ry, please see my article <strong>in</strong> the Disability History Association<br />

newsletter, fall 2006 at the follow<strong>in</strong>g l<strong>in</strong>k:<br />

http://dha.osu.edu/news/fall06/newsfall06.html<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e: If you look at the category "madness" as a<br />

historian, what can you say about psychiatric disabilities today?<br />

- 59 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

Geoffrey Reaume: I can say that madness and psychiatric disabil-<br />

ities are as tenuous and difficult to <strong>de</strong>f<strong>in</strong>e as they were when the<br />

walls were built over 100 years ago at the former Toronto Asylum.<br />

The 20th century, particularly the latter half of the 20th century,<br />

has seen the immense <strong>in</strong>fluence of the medical mo<strong>de</strong>l on <strong>in</strong>terpret-<br />

<strong>in</strong>g madness which is troubl<strong>in</strong>g as this leads to a reductionist ap-<br />

proach where a person's biology is said to <strong>de</strong>term<strong>in</strong>e their mental<br />

state. Yet, mental anguish and psychiatric disabilities are very<br />

much due to social and economic factors, far more than any physi-<br />

ological basis which has been touted especially s<strong>in</strong>ce the days of<br />

Kraepel<strong>in</strong> and Bleuler. The good th<strong>in</strong>g is that there is far more<br />

recognition of the material basis of madness today than when<br />

Kraepel<strong>in</strong> and Bleuler reigned supreme, which is largely the result<br />

of the large numbers of current and former psychiatric patients<br />

writ<strong>in</strong>g about their own experiences and organiz<strong>in</strong>g <strong>in</strong> ways that al-<br />

low for greater discussion of non-medical approaches to un<strong>de</strong>r-<br />

stand<strong>in</strong>g madness than <strong>in</strong> the past. While there certa<strong>in</strong>ly were peo-<br />

ple who wrote about madness and organized, <strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Ger-<br />

many, a century ago, <strong>in</strong> the last three <strong>de</strong>ca<strong>de</strong>s this organiz<strong>in</strong>g and<br />

outspokenness has helped to challenge the medical monopoly<br />

about what it means to be mad than was previously the case. How-<br />

ever, there is no po<strong>in</strong>t pretend<strong>in</strong>g that this means th<strong>in</strong>gs are f<strong>in</strong>e -<br />

because they aren't f<strong>in</strong>e. Discrim<strong>in</strong>ation is as alive as ever towards<br />

people with psychiatric disabilities and most people and organiza-<br />

tions who have alternative perspectives that are not medical mo<strong>de</strong>l<br />

don't get much fund<strong>in</strong>g or have the recognition that medical mo<strong>de</strong>l<br />

approaches have to madness to this day. So the struggle cont<strong>in</strong>ues<br />

to support and promote greater alternatives to the medical mo<strong>de</strong>l<br />

of madness.<br />

- 60 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e: Is this true only for subjects like Disability<br />

Stu<strong>die</strong>s? While there is a turn to social or economic mo<strong>de</strong>ls <strong>in</strong> many<br />

fields of the humanities, the "true" life is still massively <strong>in</strong>fluenced<br />

by medical mo<strong>de</strong>ls as can be seen <strong>in</strong> the <strong>in</strong>crease of ADHD dur<strong>in</strong>g<br />

the last years - after Rital<strong>in</strong> became popular on the market. Isn't a<br />

medical mo<strong>de</strong>l more attractive for many people because it offers<br />

clear causes and effects? Do you see a realistic chance of abandon-<br />

<strong>in</strong>g this mo<strong>de</strong>l?<br />

Geoffrey Reaume: No, it isn't only Disability Stu<strong>die</strong>s which is<br />

mov<strong>in</strong>g away from the medical mo<strong>de</strong>l. We can see this <strong>in</strong> other<br />

fields of study, <strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g more critical <strong>in</strong>terpretations <strong>in</strong> medical his-<br />

tory itself which is the field <strong>in</strong> which I was tra<strong>in</strong>ed. Social historians<br />

of medic<strong>in</strong>e have provi<strong>de</strong>d critiques of the way <strong>in</strong> which medic<strong>in</strong>e<br />

has been <strong>in</strong>terpreted over the ages to provi<strong>de</strong> more <strong>de</strong>pth to our<br />

un<strong>de</strong>rstand<strong>in</strong>g of the <strong>in</strong>ter-section of the medical mo<strong>de</strong>l with race,<br />

gen<strong>de</strong>r, class and disability <strong>in</strong> recent years. However, I would agree<br />

that "true" life is <strong>in</strong><strong>de</strong>ed still massively <strong>in</strong>fluenced by the medical<br />

mo<strong>de</strong>l as you note with ADHD and related "conditions" of everyday<br />

life <strong>in</strong> which natural, exuberant activity amongst children are<br />

pathologized, as one example among many. Yes, a medical mo<strong>de</strong>l<br />

is more attractive for many people due to its supposedly clear an-<br />

swers and <strong>in</strong> many cases the medical mo<strong>de</strong>l does <strong>in</strong><strong>de</strong>ed offer ap-<br />

propriate and life-sav<strong>in</strong>g answers for people with disabilities. For<br />

example, the treatment of sp<strong>in</strong>al cord <strong>in</strong>juries, which I wrote a<br />

book about ("Lyndhurst: Canada's First Rehabilitation Centre for<br />

People with Sp<strong>in</strong>al Cord Injuries, 1945-1998 [Montreal & K<strong>in</strong>gston,<br />

McGill-Queen's University Press, 2007]), clearly has benefited from<br />

medical <strong>in</strong>tervention both historically and <strong>in</strong> contemporary times as<br />

otherwise people <strong>in</strong> this situation would <strong>die</strong>. So I am not suggest<strong>in</strong>g<br />

that the medical mo<strong>de</strong>l be completely abandoned as it does <strong>in</strong><strong>de</strong>ed<br />

- 61 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

help people with disabilities as many people who live these experi-<br />

ences can attest from their own perspectives. I don't believe that<br />

there is a realistic chance of abandon<strong>in</strong>g this mo<strong>de</strong>l and I wouldn't<br />

recommend it either, s<strong>in</strong>ce this would have the potential of replac-<br />

<strong>in</strong>g one form of orthodoxy with another <strong>in</strong> a way that would dim<strong>in</strong>-<br />

ish, rather than improve, the ability of people to make <strong>in</strong>formed<br />

choices about what they need to live their (our) life. Rather than<br />

abandon the medical completely, I would argue that the use of al-<br />

ternative, non-medical treatments needs wi<strong>de</strong>r support from state<br />

health <strong>in</strong>surance plans, <strong>in</strong> Canada for example, such as <strong>in</strong> regard to<br />

treatment by chiropractors or acupuncture therapy. More holistic<br />

treatments which respects <strong>in</strong>fluences beyond the medico-biological<br />

<strong>in</strong>terpretation of disability, whether physical or mental, need to be<br />

supported and promoted to allow people greater choice <strong>in</strong> what<br />

they can access <strong>in</strong> their daily lives. For example, non-medical crisis<br />

<strong>in</strong>tervention <strong>in</strong> the mental health field is one such example with<br />

peer supports at Soteria House <strong>in</strong> the United States as a good ex-<br />

ample (see: http://www.moshersoteria.com/soteri.htm). Not ev-<br />

eryone who experiences mental health crises wants medical <strong>in</strong>ter-<br />

vention but there isn't much choice out there, <strong>in</strong> fact there is very<br />

little choice so more needs to be done to curtail the monopoly<br />

which the medical mo<strong>de</strong>l has enjoyed <strong>in</strong> disability history through-<br />

out the past century.<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e: We were talk<strong>in</strong>g about the medical and the<br />

social mo<strong>de</strong>l. Is there a religious mo<strong>de</strong>l as well?<br />

Geoffrey Reaume: Yes, there has been a religious mo<strong>de</strong>l of dis-<br />

ability, <strong>in</strong> various <strong>in</strong>carnations, s<strong>in</strong>ce ancient times which has vari-<br />

ously cast disability as an evil omen from the gods, all the way to<br />

received wisdom from on high and to an object for pity, charity and<br />

- 62 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

support. Of course, today, the evil omen is thankfully banished <strong>in</strong><br />

religions <strong>in</strong> most of the world of which I am aware but the charity<br />

mo<strong>de</strong>l rema<strong>in</strong>s though I also know that many people with disabili-<br />

ties who are religious would express agency <strong>in</strong> how they <strong>in</strong>terpret<br />

their lives <strong>in</strong> relation to religion. The important th<strong>in</strong>g is to <strong>in</strong>corpo-<br />

rate religious humanitarianism, which has a long history towards<br />

disability <strong>in</strong> various religions, with mo<strong>de</strong>rn notions of the rights and<br />

abilities of people with disabilities to be treated as equals, rather<br />

than as objects of pity <strong>in</strong> the world.<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e: When you th<strong>in</strong>k about concepts of psychi-<br />

atric disabilities dur<strong>in</strong>g the last <strong>de</strong>ca<strong>de</strong>s - do they differ <strong>in</strong> different<br />

cultures?<br />

Geoffrey Reaume: Yes, of course, there are huge differences<br />

across cultures. Transcultural psychiatry is an important area of<br />

study, as has been evi<strong>de</strong>nt <strong>in</strong> the work of Suman Fernando, for ex-<br />

ample, <strong>in</strong> which different experiences of mental health/madness<br />

are expressed and un<strong>de</strong>rstood <strong>in</strong> different cultures and parts of the<br />

world, past and present. Much of the racism <strong>in</strong> psychiatry, histori-<br />

cally, is due to an assumption of a western, white European or<br />

North American bio-medical mo<strong>de</strong>l of madness. This has led to <strong>in</strong>-<br />

credibly harmful and oppressive practices towards people who be-<br />

longed to different cultural traditions, such as aborig<strong>in</strong>al people <strong>in</strong><br />

North America whose religious and cultural practices were outlawed<br />

<strong>in</strong> many <strong>in</strong>stances and even pathologized lead<strong>in</strong>g to <strong>in</strong>carceration<br />

and brutalization. Similarly notions of hear<strong>in</strong>g voices has historically<br />

been labelled as schizophrenia when <strong>in</strong> fact people from southern<br />

African <strong>in</strong>digenous cultures value people who hear voices <strong>in</strong> their<br />

community. At the same time, the prejudice with<strong>in</strong> various cultures<br />

the world over cont<strong>in</strong>ues to affect people with psychiatric disabili-<br />

- 63 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

ties whether it is <strong>in</strong> the dom<strong>in</strong>ant western cultures <strong>in</strong> North America<br />

or <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>ese culture, for example, so discrim<strong>in</strong>ation towards peo-<br />

ple with psychiatric disabilities is wi<strong>de</strong>spread no matter where we<br />

look <strong>in</strong> the world today.<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e: F<strong>in</strong>ally: what's the worth of historical <strong>in</strong>-<br />

terpretation for Disability Stu<strong>die</strong>s?<br />

Geoffrey Reaume: The worth of historical <strong>in</strong>terpretation for Dis-<br />

ability Stu<strong>die</strong>s is to provi<strong>de</strong> more people with an awareness of a<br />

past that most people, <strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g people with disabilities, don't know<br />

exists largely because it hasn't been properly researched or stud-<br />

ied. By study<strong>in</strong>g all aspects of disability history from ancient times<br />

to the mo<strong>de</strong>rn era, we can show the patterns or discont<strong>in</strong>uities <strong>in</strong><br />

the way people with disabilities have been thought about and treat-<br />

ed <strong>in</strong> history, and also un<strong>de</strong>rstand how people with disabilities have<br />

acted as real people <strong>in</strong> the past, while also provid<strong>in</strong>g important<br />

lessons for the present. It is important for the field of Disability<br />

Stu<strong>die</strong>s to have a solid ground<strong>in</strong>g <strong>in</strong> our collective and diverse past<br />

to give everyone un<strong>de</strong>rtak<strong>in</strong>g this study a solid ground<strong>in</strong>g <strong>in</strong> a past<br />

which is still largely unknown, both for knowledge's sake on its own<br />

merits, and as a way of learn<strong>in</strong>g about how we arrived where we<br />

are today. It is also important for the field of History (which is<br />

where I earned all of my university <strong>de</strong>grees) to un<strong>de</strong>rtake serious<br />

stu<strong>die</strong>s <strong>in</strong> the History of Disability <strong>in</strong> the hope that one day histori-<br />

ans will <strong>in</strong>clu<strong>de</strong> disability as part of our regular <strong>in</strong>terpretations<br />

along with gen<strong>de</strong>r, class and race, <strong>in</strong> how human be<strong>in</strong>gs <strong>in</strong>teract<br />

with one another. This can only enrich Disability Stu<strong>die</strong>s and Histo-<br />

ry while provid<strong>in</strong>g a wi<strong>de</strong>r awareness of the past and relate it to the<br />

present. In so do<strong>in</strong>g this historical knowledge can help to challenge<br />

discrim<strong>in</strong>atory practices which have permeated history, <strong>in</strong> or<strong>de</strong>r to<br />

- 64 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume<br />

improve the lives of people with disabilities <strong>in</strong> the present and fu-<br />

ture by learn<strong>in</strong>g from what has gone before.<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e: Prof. Reaume, thank you very much!<br />

Das Interview führte S. Barsch<br />

Zu zitieren als:<br />

Madness and Disabilities: Interview with Geoffrey Reaume. In: Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e<br />

04/08, 58-65<br />

http://www.heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com/2008/heilpaedagogik_onl<strong>in</strong>e_0408.pdf,<br />

Stand: 12.10.2008<br />

- 65 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Milen Zamphirov, Svetoslava Saeva<br />

„<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“<br />

– neues computerisiertes Lernprogramm<br />

<strong>in</strong> Bulgarien<br />

Im Artikel wird das erste Lernprogramm <strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache <strong>in</strong><br />

Bulgarien - „<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“, das<br />

kostenlos zugänglich ist – vorgestellt. Das Programm <strong>die</strong>nt dazu,<br />

<strong>die</strong> Lücke <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Bereich zu füllen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m viele hören<strong>de</strong>,<br />

schwerhörige und taube Schüler, Lehrer und Eltern spezifische<br />

Gebär<strong>de</strong>n kennen müssen, damit sie im Unterricht effektiver<br />

lernen können. Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r hören<strong>de</strong>n Gesellschaft sollen<br />

mehr Kenntnisse über <strong>die</strong> Sprache <strong>de</strong>r Hörbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten erwerben,<br />

und <strong>die</strong> Hörbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten sollen ihrerseits <strong>de</strong>ren Unterstützung<br />

erfahren.<br />

Die Struktur und <strong>die</strong> I<strong>de</strong>e <strong>die</strong>ses Programms sowie technische<br />

Informationen s<strong>in</strong>d im Artikel beschrieben. Es wird von <strong>de</strong>n<br />

Hören<strong>de</strong>n und Schwerhörigen <strong>in</strong> Bulgarien positiv e<strong>in</strong>geschätzt.<br />

Schlüsselwörter: Schwerhörige, Schüler, <strong>Physik</strong>, Lernprogramm<br />

This article <strong>de</strong>scribes the first onl<strong>in</strong>e Sign Language<br />

teach<strong>in</strong>g programme <strong>in</strong> Bulgaria – First Steps <strong>in</strong> Physics –<br />

which is available for free. The programme is <strong>de</strong>signed to fill<br />

the gap <strong>in</strong> this sphere where many hear<strong>in</strong>g, hear<strong>in</strong>g<br />

impaired and <strong>de</strong>af stu<strong>de</strong>nts, teachers and parents need to<br />

know more specialized signs <strong>in</strong> or<strong>de</strong>r to communicate<br />

effectively <strong>in</strong> the classroom. The members of hear<strong>in</strong>g society<br />

should be more aware of the language of the Deaf and the<br />

Deaf should feel supported <strong>in</strong> their efforts to let hear<strong>in</strong>g<br />

people know more about their language, culture and life<br />

style.<br />

The structure and the i<strong>de</strong>a of this program are <strong>de</strong>scribed <strong>in</strong><br />

this article with some additional technical <strong>in</strong>formation. The<br />

program is very positively accepted by hear<strong>in</strong>g and <strong>de</strong>af<br />

people <strong>in</strong> Bulgaria.<br />

Keywords: <strong>de</strong>af stu<strong>de</strong>nts, physics, teach<strong>in</strong>g<br />

- 66 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


1. E<strong>in</strong>leitung<br />

<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Die beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten Schüler <strong>in</strong> Bulgarien – und konkret <strong>die</strong> Hörbeh<strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>rten - wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Son<strong>de</strong>rschulen gebil<strong>de</strong>t. Gleichzeitig entwickelt<br />

sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Jahren <strong>in</strong> Bulgarien e<strong>in</strong>e Ten<strong>de</strong>nz zur Integration<br />

<strong>de</strong>r schwerhörigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rschulen <strong>in</strong> <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>-<br />

bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Schulen. Als Resultat <strong>die</strong>ser Tätigkeit ist e<strong>in</strong>e große Men-<br />

ge normativer Urkun<strong>de</strong>n veröffentlicht wor<strong>de</strong>n (ZAMFIROV & SAE-<br />

VA 2005), woh<strong>in</strong>gegen <strong>die</strong>se Urkun<strong>de</strong>n aber von ke<strong>in</strong>en effektiven<br />

Bildungsmitteln begleitet wer<strong>de</strong>n. So wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong>tegrative Initiativen<br />

<strong>in</strong> hohem Maße erschwert und <strong>die</strong> Aufnahme <strong>de</strong>r beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten K<strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Regelschulen hängt vom guten Willen e<strong>in</strong>zelner Lehrer ab.<br />

Konkret <strong>die</strong> Bildung schwerhöriger K<strong>in</strong><strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>Physik</strong> war – sowohl <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rschulen als auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n allgeme<strong>in</strong>bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Schulen –<br />

immer von bestimmten Schwierigkeiten begleitet: e<strong>in</strong>em Mangel an<br />

guter Materialbasis, das Nichtwissen <strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>nsprache von <strong>de</strong>n<br />

<strong>Physik</strong>lehrern, <strong>die</strong> Unfähigkeit, Informationstechnologien im Unter-<br />

richt anzuwen<strong>de</strong>n usw. Diese H<strong>in</strong><strong>de</strong>rnisse erschweren <strong>die</strong> Darstel-<br />

lung <strong>de</strong>r physikalischen Begriffe auf e<strong>in</strong>er zugänglichen und ver-<br />

ständlichen Weise <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schüler. Das verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt effektiven <strong>Physik</strong>-<br />

unterricht, und man kann kaum e<strong>in</strong> Interesse an <strong>de</strong>r <strong>Physik</strong> als<br />

Wissenschaft erwecken.<br />

In <strong>de</strong>n entwickelten Län<strong>de</strong>rn gibt es e<strong>in</strong>e Reihe von Methodiken <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Fächern, <strong>die</strong> als Software bearbeitet s<strong>in</strong>d und im<br />

Unterricht verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. So stellt zum Beispiel e<strong>in</strong>es <strong>die</strong>ser<br />

Produkte <strong>für</strong> Bildung von Schülern mit Hörbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen e<strong>in</strong>e drei-<br />

dimensionale Animation e<strong>in</strong>er Person (Andi) mit natürlichem Ge-<br />

sichtsausdruck vor, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Personen mit Hörbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung bei <strong>de</strong>r<br />

Übersetzung von Phrasen und Wörtern durch <strong>de</strong>n Monitor unter-<br />

stützt. Andi dolmetscht <strong>die</strong> englische Sprache <strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache<br />

und hilft <strong>de</strong>n tauben und schwerhörigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, Sprach- und Lese-<br />

fähigkeiten aufzubauen und zu entwickeln. Das Softwareprodukt ist<br />

- 67 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

von <strong>Gehörlose</strong>npädagogen und von technischen Experten entwi-<br />

ckelt. Bei <strong>de</strong>r Computertechnologie ist dreidimensionale Technolo-<br />

gie verwen<strong>de</strong>t, <strong>die</strong> bei <strong>de</strong>n Computerspielen weit e<strong>in</strong>gesetzt wird.<br />

Hier aber hat sie <strong>die</strong> Ausbildung zum Ziel (ANDREWS 2004).<br />

E<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res System <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verbesserung <strong>de</strong>r Hör- und Aussprache-<br />

fähigkeiten von schwerhörigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn im Alter von 6 bis 12 Jahren<br />

ist Baldi – e<strong>in</strong> sprechen<strong>de</strong>r Hund mit kuppelförmigem Kopf und<br />

computergeneriertem Gesicht. Die Artikulation von Baldi, <strong>die</strong> Lip-<br />

pen und <strong>de</strong>r Gesichtsausdruck bestätigen hier das Gesagte und er-<br />

gänzen se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n (KENT 2003).<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass <strong>de</strong>r Computer <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Mehrheit <strong>de</strong>r Schüler e<strong>in</strong>e motivieren<strong>de</strong> Rolle spielt. Vor <strong>de</strong>m Com-<br />

puter arbeiten sie effektiver im Vergleich zu schriftlichen Aufgaben.<br />

Wenn <strong>de</strong>r Lern<strong>in</strong>halt mit Hilfe <strong>de</strong>s Monitors <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Spiels mit<br />

<strong>de</strong>m Gebrauch von Gebär<strong>de</strong>n- und Schriftsprache vorgestellt wird,<br />

wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r sich mehr merken und besser alles durch<strong>de</strong>n-<br />

ken. Das gilt <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>für</strong> <strong>die</strong> schwerhörigen Schüler, <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> grammatischen Strukturen (SAEVA 2006) <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Sprachen<br />

ane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r vorbeigehen.<br />

2. Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>ten Programmiersprache<br />

„<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“ stellt e<strong>in</strong> Lernprogramm<br />

dar, <strong>de</strong>ssen Ziel das Bekanntmachen mit physikalischen Begriffen<br />

<strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache nicht nur von schwerhörigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn<br />

auch von Hören<strong>de</strong>n, ist.<br />

Für <strong>die</strong> Adm<strong>in</strong>istrierung <strong>de</strong>s Systems wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> Programmierspra-<br />

che Action Script 2.0 verwen<strong>de</strong>t: das ist e<strong>in</strong>e objektorientierte<br />

Sprache. Für <strong>de</strong>n graphischen Teil <strong>de</strong>s Produkts wird Macromedia<br />

Flash 8 verwen<strong>de</strong>t. Es gibt zwei Versionen <strong>de</strong>s Programms: <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e<br />

ist .exe und arbeitet unter W<strong>in</strong>dows, und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>re ist SWF und<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

kann durch e<strong>in</strong>en Browser (Mozilla, IE) benutzt wer<strong>de</strong>n. Auf <strong>die</strong>se<br />

Weise wird das Produkt multiplattformfähig.<br />

Das Programm bietet <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>de</strong>s Ergänzens mit neuen<br />

Clips wie auch mit unterschiedlichen neuen Informationsmaterialien<br />

an. Auf <strong>die</strong>se Weise kann man mehrere neue Komb<strong>in</strong>ationen von<br />

Wörtern und Sätzen bil<strong>de</strong>n. „<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> Gehör-<br />

lose“ besteht aus 219 Clips, <strong>die</strong> überko<strong>die</strong>rt <strong>in</strong> ftv Format – flash vi-<br />

<strong>de</strong>o - s<strong>in</strong>d, damit sie sich streamen lassen können, das heißt, dass<br />

<strong>de</strong>r Film sich auch während <strong>de</strong>s Ansehens downloa<strong>de</strong>t. Es wird e<strong>in</strong>e<br />

Modulstruktur verwen<strong>de</strong>t – alle Tasten s<strong>in</strong>d gleich, wobei <strong>die</strong> Para-<br />

meter im Objekt angegeben s<strong>in</strong>d – <strong>für</strong> je<strong>de</strong> Taste ist es <strong>de</strong>f<strong>in</strong>iert,<br />

welche Wörter <strong>de</strong>r Sätze <strong>in</strong> das Feld zu la<strong>de</strong>n und ob das entspre-<br />

chen<strong>de</strong> Wort ausgewählt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Die m<strong>in</strong>imalen Systemanfor<strong>de</strong>rungen s<strong>in</strong>d: 233 MHz o<strong>de</strong>r schneller;<br />

Speicher - 200 MB o<strong>de</strong>r mehr; Operationssystem - W<strong>in</strong>dows<br />

98/ME/2000/XP.<br />

3. Möglichkeiten <strong>de</strong>s Lernprogramms „<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“<br />

Das l<strong>in</strong>guistische Material im Programm wird ohne Aussprache, nur<br />

mit Artikulation und Gebär<strong>de</strong>n vorgestellt.<br />

Das Programm ermöglicht <strong>die</strong> Auswahl von e<strong>in</strong>em Wort aus e<strong>in</strong>em<br />

Schritt l<strong>in</strong>ks am Bildschirm - Alphabet, Ziffer und Zahlen, Pronomi-<br />

na, Energie und Bewegung. Nach<strong>de</strong>m e<strong>in</strong> bestimmtes Wort gewählt<br />

wor<strong>de</strong>n ist, kommt es rechts <strong>in</strong> <strong>die</strong> erste Zeile. Im Beispiel wählen<br />

wir aus <strong>de</strong>m Schritt 4 Energie das Wort Leiter aus und setzen es<br />

rechts <strong>in</strong> <strong>die</strong> erste leere Zeile. Jetzt ist e<strong>in</strong>e Übersetzung <strong>in</strong> Gebär-<br />

<strong>de</strong>nsprache schon möglich, wenn wir <strong>die</strong> Taste „Sieh das Wort“<br />

drücken (Photo 1).<br />

- 69 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Photo 1. Gebär<strong>de</strong> <strong>für</strong> das Wort Leiter.<br />

Die Logik <strong>de</strong>s Programms for<strong>de</strong>rt vom Benutzer nicht e<strong>in</strong>fach das<br />

Ansehen e<strong>in</strong>es Wortes. Der Schüler soll e<strong>in</strong>e grammatisch korrekte<br />

physikalische Phrase konstruieren, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er <strong>die</strong> chaotisch gegebe-<br />

nen Worten umsichtig ordnet Bei grammatisch richtiger Stellung<br />

<strong>de</strong>r Wörter, e<strong>in</strong>schließlich <strong>de</strong>r Zeichensetzung, aktiviert sich <strong>die</strong><br />

Taste „Sieh <strong>de</strong>n Satz“. So bleibt bei <strong>de</strong>r Phrase „e<strong>in</strong>e gute Leitung<br />

von Wärme“ (Photo 2), falls <strong>de</strong>r Punkt o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Präposition „von“<br />

ausgelassen wird, <strong>die</strong> Taste „Sieh <strong>de</strong>n Satz“ <strong>in</strong>aktiv. Auf <strong>die</strong>se Wei-<br />

se können <strong>die</strong> schwerhörigen Schüler <strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache nicht nur<br />

verschie<strong>de</strong>ne physikalische Begriffe lernen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>die</strong> Wort-<br />

stellung üben. Das ist erfor<strong>de</strong>rlich, weil <strong>die</strong> bulgarische Gebär<strong>de</strong>n-<br />

sprache sich von <strong>de</strong>r bulgarischen Lautsprache durch viele Merkma-<br />

le unterschei<strong>de</strong>t. Zum Beispiel fehlen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>nsprache <strong>die</strong><br />

Präpositionen, <strong>die</strong> Konkordanz von Zahl und Geschlecht, <strong>die</strong> Kon-<br />

junktionen und auch an<strong>de</strong>re Re<strong>de</strong>teile. Häufig bezeichnet e<strong>in</strong>e Ge-<br />

- 70 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

bär<strong>de</strong> e<strong>in</strong> Substantiv, e<strong>in</strong> Adjektiv und e<strong>in</strong> Verb (z.B. wird <strong>in</strong> Bulga-<br />

rien e<strong>in</strong>e Gebär<strong>de</strong> <strong>für</strong> „Sonne“, „sche<strong>in</strong>en“ und „hell“ verwen<strong>de</strong>t).<br />

Photo 2. Vorstellung <strong>de</strong>r Phrase „e<strong>in</strong>e gute Leitung von Wärme.“<br />

<strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache<br />

Bei <strong>de</strong>n Wörtern, <strong>für</strong> <strong>die</strong> es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>nsprache mehr als e<strong>in</strong>e<br />

Gebär<strong>de</strong> gibt, wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Clips durch <strong>die</strong> Gebär<strong>de</strong> „<strong>Erste</strong> Varian-<br />

te“, wonach <strong>die</strong> erste Gebär<strong>de</strong> <strong>für</strong> das entsprechen<strong>de</strong> Wort folgt,<br />

und dann durch „Zweite Variante“ <strong>für</strong> <strong>die</strong> nächste Gebär<strong>de</strong>, <strong>die</strong> von<br />

<strong>de</strong>n Schwerhörigen verwen<strong>de</strong>t wird, dargestellt. Aus <strong>de</strong>n vorge-<br />

stellten Wörtern <strong>de</strong>r unterschiedlichen <strong>Schritte</strong> kann man e<strong>in</strong>e An-<br />

zahl von Sätzen bil<strong>de</strong>n.<br />

In vielen Fällen ist <strong>die</strong> Vielfalt <strong>de</strong>r lautsprachigen Variante von <strong>de</strong>n<br />

komb<strong>in</strong>ierten Wörtern und Zeichensetzungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>nspra-<br />

che nicht dargestellt. Wenn <strong>in</strong> bulgarischer Lautsprache e<strong>in</strong> und<br />

<strong>die</strong>selbe Be<strong>de</strong>utung mit Hilfe von verschie<strong>de</strong>nen Sätzen ausge-<br />

drückt wer<strong>de</strong>n kann, so s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> möglichen Komb<strong>in</strong>ationen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gebär<strong>de</strong>nsprache auf das M<strong>in</strong>imum reduziert.<br />

- 71 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

In „Wörter“ („Sieh das Wort“) wer<strong>de</strong>n das Wort und <strong>die</strong> Gebär<strong>de</strong> si-<br />

multan (<strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation) vorgestellt - das Artikulieren wird von Ge-<br />

bär<strong>de</strong>n begleitet. Das ist möglich, weil bei e<strong>in</strong>er l<strong>in</strong>guistischen E<strong>in</strong>-<br />

heit irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Nichtübere<strong>in</strong>stimmung zwischen <strong>de</strong>r Wortfolge und<br />

<strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>nfolge fehlt.<br />

In „Sätze“ („Sieh <strong>de</strong>n Satz“) wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Sätzen nur <strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>n-<br />

sprache vorgestellt, weil <strong>die</strong> simultane Verwendung <strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>n-<br />

und Lautsprache unmöglich ist: man betrachtet e<strong>in</strong>e Nichtübere<strong>in</strong>-<br />

stimmung zwischen <strong>de</strong>r Wortfolge und <strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>nfolge.<br />

Im Fall, dass <strong>die</strong> Gebär<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Lautsprachewörter sich <strong>de</strong>cken,<br />

betrachtet man <strong>die</strong> Lehnübersetzungsform <strong>de</strong>r Gebär<strong>de</strong>nsprache.<br />

4. Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Programmschritte<br />

Schritt 1. Alphabete<br />

In <strong>die</strong>sem Schritt bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich <strong>die</strong> drei Arten von Alphabeten, <strong>die</strong><br />

<strong>in</strong> Bulgarien verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, (Photo 3).<br />

Bulgarisches e<strong>in</strong>händiges Alphabet<br />

Dieses Alphabet ist durch <strong>die</strong> Praxis <strong>de</strong>r russischen Schule e<strong>in</strong>ge-<br />

führt und <strong>in</strong> ihrem größten Teil stellen <strong>die</strong> F<strong>in</strong>ger- und Handgelenk-<br />

konfigurationen symbolisch <strong>de</strong>n Referenz-Buchstaben (z.B. A, B, Ж<br />

u.a.) dar, und <strong>in</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Fällen kann man <strong>die</strong> Gestalt e<strong>in</strong>es<br />

Buchstaben <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Form, <strong>die</strong> <strong>die</strong> F<strong>in</strong>ger bil<strong>de</strong>n, f<strong>in</strong><strong>de</strong>n (z. B. Г, М, Л<br />

u.a.).<br />

Bulgarisches zweihändiges Alphabet<br />

Dieses Alphabet, im Unterschied zum e<strong>in</strong>händigen, ist auf e<strong>in</strong>er na-<br />

türlichen Weise von <strong>de</strong>n <strong>Gehörlose</strong>n <strong>in</strong> Bulgarien im Umgangspro-<br />

zess geschaffen. Davon zeugt <strong>die</strong> Logik <strong>de</strong>r Daktylenbildung: Б –<br />

буза [W - Wange]; В – въже [S - Seile]; Д – длан [H - Handflä-<br />

che] (obwohl es nicht <strong>die</strong> Handfläche, son<strong>de</strong>rn das Handgelenk ge-<br />

- 72 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

zeigt wird); З – зъб [Z - Zahn]; К – кука [H - Hacken]; У – ухо [O<br />

- Ohr]; Ч – чело [S - Stirn]; Я – ядосвам, яд [Ä - ärgern, Ärger].<br />

Der Rest <strong>de</strong>r Daktylen visualisiert <strong>die</strong> Form <strong>de</strong>r graphischen Gestalt<br />

<strong>de</strong>s Buchstaben (Г, Е usw.).<br />

Photo 3.<br />

Der Buchstabe A <strong>de</strong>s bulgarischen zweihändigen Alphabets<br />

Internationales Daktylalphabet<br />

Das <strong>in</strong>ternationale Daktylalphabet (International f<strong>in</strong>gerspell<strong>in</strong>g) ist<br />

das von <strong>de</strong>r World Fe<strong>de</strong>ration of the Deaf angenommene Alphabet.<br />

Dieses Alphabet wird bei <strong>de</strong>m so genannten International Sign ver-<br />

wen<strong>de</strong>t. Das Alphabet und <strong>die</strong> Internationale Gebär<strong>de</strong> selbst stüt-<br />

zen sich auf <strong>die</strong> amerikanische Gebär<strong>de</strong>nsprache. Zurzeit ist <strong>die</strong><br />

Beherrschung <strong>de</strong>r Internationalen Gebär<strong>de</strong> (International Sign) <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> <strong>Gehörlose</strong>n wichtig und aktuell. Diese Sprache wird bei <strong>in</strong>terna-<br />

tionalen Zusammenkünften, Sem<strong>in</strong>aren, Foren, Symposien, Kon-<br />

gressen, Konferenzen, bei Ausbildung, Austausch und an<strong>de</strong>ren Ver-<br />

anstaltungen, an <strong>de</strong>nen <strong>Gehörlose</strong> teilnehmen, verwen<strong>de</strong>t. Die<br />

- 73 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Wichtigkeit ihrer Beherrschung <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Gehörlose</strong>n ist mit <strong>de</strong>n Eng-<br />

lischkenntnissen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Hören<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r gegenwärtigen Gesell-<br />

schaft vergleichbar.<br />

Schritt 2. Ziffern und Zahlen<br />

In <strong>die</strong>sem Schritt wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Ziffern und <strong>die</strong> Zahlen <strong>in</strong> bulgarischer<br />

Gebär<strong>de</strong>nsprache vorgestellt. Die Logik <strong>de</strong>s Hören<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> ke<strong>in</strong>e<br />

Unterschie<strong>de</strong> <strong>in</strong> ihrer Visualisierung annehmen, aber <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Praxis<br />

besteht auch hier e<strong>in</strong>e Nichtübere<strong>in</strong>stimmung zwischen <strong>de</strong>n natio-<br />

nalen Gebär<strong>de</strong>nsprachen. So be<strong>de</strong>utet z.B „acht“ <strong>in</strong> Bulgarien<br />

„drei“ <strong>in</strong> <strong>de</strong>n USA (Photo 4). Die Ziffern und <strong>die</strong> Zahlen wer<strong>de</strong>n mit<br />

Hilfe <strong>de</strong>r F<strong>in</strong>ger, Handgelenke und <strong>de</strong>r ganzen Hän<strong>de</strong> dargestellt.<br />

Photo 4. Die Ziffer „acht“ <strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache<br />

- 74 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Schritt 3. Pronom<strong>in</strong>a<br />

<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

In <strong>die</strong>sem Schritt wer<strong>de</strong>n alle Wörter visuell dargestellt – es gibt<br />

ke<strong>in</strong>e symbolische Gebär<strong>de</strong>. Es wird das entsprechen<strong>de</strong> Objekt auf-<br />

gezeigt – ich, du, es usw.<br />

Photo 5. Gebär<strong>de</strong> <strong>für</strong> das Demonstrativpronomen „jener“<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Schritt 4. Energie<br />

<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Hier wer<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>ne Wörter und Phrasen vorgestellt, <strong>die</strong> mit<br />

<strong>de</strong>m Grundquantitätsmaß <strong>für</strong> unterschiedliche Arten von Bewegung<br />

und Wechselwirkung <strong>de</strong>r Materie verbun<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d. Der Schritt um-<br />

fasst <strong>die</strong> Wörter Energie, Körper, <strong>in</strong>tern, mechanisch, Sonnen-,<br />

von, alternativ, Quelle, Strahlungs-, Kern-, potentiell, Geothermal-,<br />

Gewicht u.a. Mit <strong>die</strong>sen Wörtern kann man mehrere Komb<strong>in</strong>ationen<br />

bil<strong>de</strong>n. Aus <strong>de</strong>n Komb<strong>in</strong>ationen kann man weitere Phrasen bil<strong>de</strong>n,<br />

<strong>die</strong> <strong>in</strong>teressante physikalische Begriffe wie<strong>de</strong>rgeben, wie z.B. alter-<br />

native Energiequelle.<br />

Photo 6. Gestalten <strong>de</strong>r Phrase alternative Energiequelle<br />

<strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache<br />

- 76 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Schritt 5. Bewegung<br />

<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

In <strong>die</strong>sem Schritt wer<strong>de</strong>n Wörter und Phrasen vorgestellt, <strong>die</strong> mit<br />

<strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r wechselseitigen Stellung <strong>de</strong>r Körper und ihrer<br />

Teile im Laufe <strong>de</strong>r Zeit verbun<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> Teil <strong>die</strong>ser Wörter s<strong>in</strong>d:<br />

gut, oben, schlecht, von, gleich verspätend, Unter-, gleich verän-<br />

<strong>de</strong>rlich, Schwelle, reaktiv, Hören, womit man z.B. <strong>de</strong>n Begriff „obe-<br />

re Schwelle vom Hören“ zusammensetzen kann (Photo 7).<br />

Photo 7. Darstellung <strong>de</strong>s Begriffs „obere Schwelle vom Hören“<br />

<strong>in</strong> Gebär<strong>de</strong>nsprache<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


5. Materialien<br />

<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Es s<strong>in</strong>d auch Materialien vorhan<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> Information über alle Wör-<br />

ter und Sätze <strong>in</strong> Schritt 4 Energie und Schritt 5 Bewegung enthal-<br />

ten.<br />

Die Materialien und <strong>die</strong> Gebrauchsanweisung <strong>für</strong> das Programm<br />

s<strong>in</strong>d als Außenfile angefertigt, damit man zusätzliche Anweisungen<br />

h<strong>in</strong>zufügen kann. Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> pdf umgearbeitet, damit man sie di-<br />

rekt im Browser öffnen kann (Photo 8).<br />

6. Schluss<br />

Photo 8. Zusätzliches Textmaterial <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Begriff<br />

Geothermalenergie<br />

Das Lernprogramm „<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“ bie-<br />

tet sowohl schwerhörigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn als auch Schülern ohne Hörbe-<br />

h<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen <strong>die</strong> Möglichkeit, sich mit <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r <strong>Physik</strong> vertraut<br />

zu machen. Das Programm ist so konzipiert, dass es zusätzliches<br />

Importieren von vielen Wörtern und Sätzen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n unterschiedli-<br />

chen <strong>Schritte</strong>n ermöglicht. Man könnte auch <strong>die</strong> wichtigeren Def<strong>in</strong>i-<br />

tionen und Bestimmungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Themen im <strong>Physik</strong>- und<br />

- 78 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Astronomieunterricht h<strong>in</strong>zufügen, wie auch neue Textmaterialien<br />

dazu ergänzen.<br />

Durch das Lernprogramm können <strong>die</strong> gehörlosen Schüler auch ihre<br />

bulgarische Schriftsprache <strong>in</strong> Form von e<strong>in</strong>em Computerspiel üben,<br />

weil sie beim Schreiben, wegen <strong>de</strong>r Spezifik ihrer Sensorbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>-<br />

rung, viele grammatische Fehler machen. In hohem Maße gilt das<br />

auch <strong>für</strong> ihre gesun<strong>de</strong>n Mitschüler. Die zusätzlichen Textmaterialien<br />

wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Arbeit <strong>de</strong>s <strong>Physik</strong>lehrers erleichtern. Jetzt kann <strong>de</strong>r Leh-<br />

rer <strong>de</strong>n <strong>Physik</strong>unterricht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Bildungsspiel verwan<strong>de</strong>ln.<br />

Literatur<br />

ANDREWS, J. (2004): Deaf People. Evolv<strong>in</strong>g Perspectives from<br />

Psychology, Education, and Sociology USA, Publisher: Allyn &<br />

Bacon.<br />

KENT, D.: (2003) American Sign Language USA Publisher:<br />

Frankl<strong>in</strong> Watts.<br />

ZAMFIROV, M. & SAEVA, S. (2005): Application of multimedia <strong>in</strong><br />

presentation of space phenomena to stu<strong>de</strong>nts with impaired<br />

hear<strong>in</strong>g Scientific conference with <strong>in</strong>ternational participation<br />

Space, Ecology, Safety (Varna, Bulgaria 10 – 13 June 2005)<br />

(Space Research Institute vol. 2 ) (Sofia: BAS) p. 485.<br />

SAEVA, S. (2006): Specifics of the process of perception and<br />

un<strong>de</strong>rstand<strong>in</strong>g of English language messages by persons with<br />

impaired hear<strong>in</strong>g. J. Spec. Ped. 1/154.<br />

- 79 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Über <strong>die</strong> Autoren:<br />

<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong><br />

Milen Zamphirov<br />

Assistent am Institut <strong>für</strong> Weltraumforschung <strong>de</strong>r Bulgarischen<br />

Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften (BAS). Diplom <strong>in</strong> Spezialpädagogik<br />

und <strong>Physik</strong>. Interesse an <strong>de</strong>r speziellen Methodik <strong>in</strong> <strong>Physik</strong> und<br />

Astronomie bei beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn.<br />

Svetoslava Saeva, PhD<br />

Oberassistent am Lehrstuhl „Bildungsverwaltung und<br />

Sozialpädagogik“ an <strong>de</strong>r Südwestlichen Universität „Neofit Rilski“,<br />

Bulgarien. Arbeitet im Gebiet <strong>de</strong>r Fremdsprachlichen Bildung bei<br />

Hörbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten.<br />

Kontakt:<br />

Bulgarische Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften (BAS)<br />

Institut <strong>für</strong> Weltraumforschung<br />

Moskovskastr. 6<br />

1000 Sofia<br />

Bulgarien<br />

E-Mail: milen_zamphirov@abv.bg<br />

Zu zitieren als:<br />

ZAMPHIROV, Milen; SAEVA, Svetoslava: „<strong>Erste</strong> <strong>Schritte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Physik</strong> <strong>für</strong> <strong>Gehörlose</strong>“ –<br />

neues computerisiertes Lernprogramm <strong>in</strong> Bulgarien. In: Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/08,<br />

66-80<br />

http://www.heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com/2008/heilpaedagogik_onl<strong>in</strong>e_0408.pdf,<br />

Stand: 12.10.2008<br />

Kommentieren Sie <strong>die</strong>sen Artikel!<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Rezensionen<br />

Rezensionen<br />

Ortland, Barbara: Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung und Sexualität –<br />

Grundlagen e<strong>in</strong>er beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungsspezifischenSexualpädagogik.<br />

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2008<br />

Preis: 24,00€<br />

ISBN: 978-3-17-020373-0<br />

Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen wur<strong>de</strong>n und wer<strong>de</strong>n immer noch,<br />

auch <strong>in</strong> unserer aufgeklärten Gesellschaft, <strong>für</strong> asexuelle Wesen ge-<br />

halten. Sexualität wird <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Buch als „Lebensenergie“ (17)<br />

aufgefasst, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n ganzen Menschen umgibt. Diese Lebensenergie<br />

ist je<strong>de</strong>m Menschen unabhängig von je<strong>de</strong>r Form von Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung<br />

<strong>in</strong>ne und darf ihm nicht entzogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Inhalt <strong>die</strong>ses Buches bezieht sich auf <strong>die</strong> Grundlegung e<strong>in</strong>er<br />

beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungsspezifischen Sexualpädagogik. Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung wird aus<br />

<strong>de</strong>r relationalen Sichtweise als „<strong>die</strong> Relation zwischen <strong>de</strong>r als beh<strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>rt bezeichneten Person und ihrer Umwelt“ (11) verstan<strong>de</strong>n, be-<br />

zogen wird sich schwerpunktmäßig auf Menschen, speziell Schüler<br />

und Schüler<strong>in</strong>nen, mit körperlichen und motorischen Bee<strong>in</strong>trächti-<br />

gungen mit und ohne kognitiven E<strong>in</strong>schränkungen.<br />

Nach e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>f<strong>in</strong>itorischen Grundlegung von Sexualität aus unter-<br />

schiedlichen Wissenschaftsdiszipl<strong>in</strong>en wer<strong>de</strong>n mögliche E<strong>in</strong>flüsse<br />

auf das sexuelle Erleben von Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung analysiert.<br />

Die prägnante Darstellung <strong>de</strong>r sexuellen Entwicklung von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn<br />

und Jugendlichen mit und ohne Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung stellt e<strong>in</strong>en weiteren<br />

wichtigen Bauste<strong>in</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sexualerziehung dar. Barbara ORTLAND<br />

- 81 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Rezensionen<br />

hat e<strong>in</strong> Gesamtkonzept <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungsspezifische schulische<br />

Sexualerziehung entwickelt: „Kompetente, <strong>in</strong>tegrieren<strong>de</strong> Sexual-<br />

pädagogik (KiS)“ Dieses sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Erprobung bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n<strong>de</strong> Konzept<br />

wird dargestellt, sowie <strong>in</strong> Beziehung gesetzt mit weiteren For-<br />

schungsergebnissen. Sexuelle Gewalt ist e<strong>in</strong> übergreifen<strong>de</strong>r Aspekt,<br />

<strong>de</strong>r im Weiteren analysiert wird. Ausgewählte Adressatengruppen<br />

<strong>de</strong>r Sexualerziehung wie z.B. homosexuelle Schüler wer<strong>de</strong>n im letz-<br />

ten Kapitel <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Fokus genommen. Im Anhang wer<strong>de</strong>n Materiali-<br />

en (Erhebungsfragebögen, Adressen von Beratungsstellen, etc.)<br />

bereitgestellt.<br />

Dieses Buch greift e<strong>in</strong>e Thematik auf, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r bisherigen Literatur<br />

kaum beachtet wird. Ebenso stellt sich <strong>die</strong>se Thematik <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Praxis<br />

als Desi<strong>de</strong>rat dar, wie Barbara ORTLAND <strong>in</strong> ihrer Forschungsstu<strong>die</strong><br />

feststellen musste. Die <strong>in</strong>haltliche Auswahl und Aufbereitung be-<br />

sticht sowohl durch ihre Perspektivenvielfalt als auch durch e<strong>in</strong>e<br />

Enttabuisierung <strong>de</strong>r Thematik <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Selbstverständlichkeit. Der<br />

Theorie-Praxis-Bezug ist immer gewährleistet, Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungsspezifi-<br />

sches wird gut <strong>in</strong>tegriert und hergeleitet, so dass es nicht als Be-<br />

son<strong>de</strong>rung auffällt.<br />

Dieses Buch sollte von all <strong>de</strong>njenigen gelesen wer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Praxis o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Theorie mit Sexualerziehung konfrontiert wer-<br />

<strong>de</strong>n. Es ist vor allem <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>ren<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m För<strong>de</strong>rschwerpunkt<br />

körperliche/motorische und geistige Entwicklung und <strong>für</strong> Lehrer<strong>in</strong>-<br />

nen und Lehrer an <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n För<strong>de</strong>rschulen unabd<strong>in</strong>gbar.<br />

Da jedoch je<strong>de</strong>r Mensch <strong>die</strong> Lebensenergie <strong>de</strong>r Sexualität <strong>in</strong> sich<br />

trägt, ist es <strong>für</strong> alle empfehlenswert, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Mut und <strong>de</strong>n Wunsch<br />

haben, sich <strong>die</strong>sem Thema bewusst zu stellen.<br />

- 82 -<br />

Mart<strong>in</strong>a Schlüter<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Call for Papers<br />

7. Bun<strong>de</strong>skongress Soziale Arbeit<br />

Gerechtigkeit - Verantwortung - Sicherheit<br />

Soziale Arbeit positioniert sich!<br />

Donnerstag, 24.09.2009, bis Samstag, 26.09.2009<br />

Ort: Dortmund<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Vorankündigung<br />

Gerechtigkeit, Verantwortung und Sicherheit markieren zentrale<br />

Säulen <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik als <strong>de</strong>mokratischen und sozialen Staat.<br />

Soziale Arbeit übernimmt Verantwortung da<strong>für</strong>, soziale Sicherheit<br />

zu garantieren und soziale Gerechtigkeit anzustreben.<br />

Angesichts gesellschaftlicher Verän<strong>de</strong>rungen, <strong>die</strong> Ten<strong>de</strong>nzen zunehmen<strong>de</strong>r<br />

Spaltung und sozialen Ausschlusses offenbaren, ist <strong>die</strong> Soziale<br />

Arbeit aufgefor<strong>de</strong>rt, ihren Beitrag zu Programmen, Strategien<br />

und Maßnahmen <strong>de</strong>r Bewältigung sozialer Risiken und Unsicherheiten<br />

zu benennen und weiterzuentwickeln. Die Leitbil<strong>de</strong>r und Pr<strong>in</strong>zipien<br />

<strong>de</strong>r Sozialstaatlichkeit gehören dabei ebenso auf <strong>de</strong>n Prüfstand<br />

wie <strong>die</strong> zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Ressourcen zur Sicherung <strong>de</strong>r <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lebensführung. Hier liegt <strong>die</strong> doppelte Verantwortung<br />

Sozialer Arbeit: <strong>die</strong> aktive Gestaltung <strong>de</strong>r Lebenslagen und lebensweltlichen<br />

Verhältnisse von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, Jugendlichen, Familien, Erwachsenen<br />

und älteren Menschen sowie <strong>die</strong> Beteiligung an <strong>de</strong>m<br />

Auf- und Umbau e<strong>in</strong>es solidarischen Geme<strong>in</strong>wesens, das <strong>die</strong> Menschenwür<strong>de</strong><br />

achtet und <strong>die</strong> Selbstbestimmung <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>zelnen stärkt.<br />

Übernimmt <strong>die</strong> Soziale Arbeit aber <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne <strong>die</strong> (Mit-)Verantwortung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Gestaltung <strong>de</strong>s Sozialen, begibt sie sich auf unsicheres<br />

Terra<strong>in</strong>. Die Zerreißproben <strong>in</strong>dividueller Lebensführung<br />

korrespon<strong>die</strong>ren mit Erosionen bislang anerkannter gesellschaftlicher<br />

Bezugspunkte, irritieren <strong>die</strong> Profession und provozieren e<strong>in</strong>e<br />

konzeptionelle, theoretische und empirisch fun<strong>die</strong>rte Weiterentwicklung<br />

<strong>de</strong>r Konzeptionen Sozialer Arbeit. Das R<strong>in</strong>gen um <strong>die</strong><br />

künftigen Ausprägungen von Gerechtigkeit (Verteilungs-, Leistung-,<br />

Chancengerechtigkeit) und Sicherheit (soziale Sicherung, Handlungs-<br />

und Verfahrenssicherheit, soziale Kontrolle) wird zum Ausweis<br />

mo<strong>de</strong>rner Fachlichkeit.<br />

Der 7. Bun<strong>de</strong>skongress Soziale Arbeit diskutiert im Rahmen se<strong>in</strong>er<br />

Symposien, Foren und Arbeitsgruppen <strong>die</strong> aktuellen wissenschaftlichen<br />

und professionellen Erkenntnisse zu <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen und ihren berufspraktischen Konsequenzen. Im Zentrum<br />

stehen dabei soziale (Aus-)Schließungsprozesse und <strong>die</strong> öf-<br />

- 83 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

fentlichen, professionellen und privaten Reaktionsformen auf <strong>die</strong> so<br />

entstehen<strong>de</strong>n Unsicherheiten. Die mit <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>skongress entwickelte<br />

Expertise <strong>für</strong> <strong>die</strong> Soziale Arbeit eröffnet <strong>die</strong> Möglichkeiten e<strong>in</strong>er<br />

kritischen Reflexion und Neujustierung <strong>in</strong> Verantwortung <strong>für</strong><br />

das Soziale.<br />

E<strong>in</strong>ladung zum Dialog<br />

Alle E<strong>in</strong>richtungen, Organisationen und Verbän<strong>de</strong>, <strong>die</strong> sich an e<strong>in</strong>er<br />

Positionierung <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit beteiligen möchten, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gela<strong>de</strong>n,<br />

<strong>in</strong> Arbeitsgruppen mitzuwirken. Hier<strong>für</strong> bitten <strong>die</strong> Veranstalter<br />

um e<strong>in</strong>en aussagekräftigen Arbeitstitel und e<strong>in</strong>en kurzen konzeptionellen<br />

Vorschlag. Um möglichst vielen Interessierten <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

zur Präsentation zu bieten, sollten <strong>die</strong> Arbeitsgruppen <strong>in</strong> Form<br />

von Kooperationen konzipiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Veranstalter bitten um <strong>die</strong> Übermittlung von Vorschlägen bis<br />

zum 01. Dezember 2008 über <strong>die</strong> unten genannte Website (ab Anfang<br />

Oktober 2008) unter Nennung <strong>de</strong>r Kooperationspartner und<br />

e<strong>in</strong>er verb<strong>in</strong>dlichen Ansprechpartner<strong>in</strong> bzw. e<strong>in</strong>es Ansprechpartners.<br />

Bitte ordnen sie ihrem Konzept verschie<strong>de</strong>ne aussagekräftige<br />

Schlagwörter zu, nutzen sie da<strong>für</strong> auch <strong>de</strong>n Titel <strong>de</strong>s Kongresses.<br />

Internet: www.bun<strong>de</strong>skongress-soziale-arbeit.<strong>de</strong><br />

Kontakt:<br />

Organisationsbüro Bun<strong>de</strong>skongress Soziale Arbeit, TU Dortmund,<br />

Fakultät Erziehungswissenschaft und Soziologie, ISEP, Emil-Figge-<br />

Str. 91, 44227 Dortmund;<br />

Telefon: 0231–755 6065<br />

Fax: 0231–755 6225<br />

E-Mail: buko09@fb12.uni-dortmund.<strong>de</strong><br />

- 84 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Oktober 2008<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Welche Bordmittel braucht <strong>die</strong> <strong>in</strong>lusive Schule?<br />

Donnerstag, 09.10.2008<br />

Ort: Kassel<br />

Am 9. Oktober 2008 veranstaltet <strong>die</strong> DVfR <strong>in</strong> Kassel e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>tägige<br />

Fachtagung mit <strong>de</strong>m Titel „Welche Bordmittel braucht <strong>die</strong> <strong>in</strong>klusive<br />

Schule?“.<br />

Der Weg h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n Öffnung allgeme<strong>in</strong>er Schulen<br />

<strong>für</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r und Jugendliche mit Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen, wie sie <strong>in</strong> Artikel<br />

24 <strong>de</strong>r UN-Konvention über <strong>die</strong> Rechte beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rter Menschen als<br />

<strong>in</strong>ternationales Ziel <strong>de</strong>f<strong>in</strong>iert ist, sche<strong>in</strong>t auch <strong>in</strong> Deutschland noch<br />

relativ weit. Wie kann das Recht auf <strong>in</strong>klusive Beschulung <strong>in</strong><br />

Deutschland verwirklicht wer<strong>de</strong>n? Welche Voraussetzungen müssen<br />

an Regelschulen geschaffen wer<strong>de</strong>n, um alle K<strong>in</strong><strong>de</strong>r entsprechend<br />

ihrem <strong>in</strong>dividuellen För<strong>de</strong>rbedarf zu unterstützen? Wie kann das<br />

Know-how <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rpädagogik an allen Schulen zum E<strong>in</strong>satz<br />

kommen? Diese und weitere Fragen wer<strong>de</strong>n Gegenstand <strong>de</strong>r Tagung<br />

se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> unter Mitwirkung <strong>de</strong>s DVfR-Ausschusses „Schule und<br />

Erziehung“ vorbereitet wird.<br />

Tagungsleitung: Frau Prof. Dr. Siegl<strong>in</strong>d Ellger-Rüttgardt Humboldt-<br />

Universität Berl<strong>in</strong>; Schirmherrschaft: Frau Kar<strong>in</strong> Evers-Meyer, MdB,<br />

Beauftragte <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Belange von Menschen mit<br />

Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen. 14 Mitwirken<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n vortragen und diskutieren,<br />

darunter auch <strong>die</strong> stellvertreten<strong>de</strong> Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>svere<strong>in</strong>igung<br />

Lebenshilfe, Frau Ingrid Körner, Hamburg.<br />

Weitere Informationen:<br />

Website: http://www.dvfr.<strong>de</strong>/pages/article/1677.aspx<br />

- 85 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Internationale Tagung „Individuelle För<strong>de</strong>rung <strong>in</strong><br />

heterogenen Lerngruppen“<br />

Freitag, 10.10.2008, bis Samstag, 11.10.2008<br />

Ort: Würzburg<br />

Freiburger Oberstufenschüler erregten <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Sommer öffentliche<br />

Aufmerksamkeit. Sie hatten sich vom Unterricht abgemel<strong>de</strong>t<br />

und nach selbstorganisierter Vorbereitung das Abitur bestan<strong>de</strong>n. In<br />

<strong>de</strong>r Schlussphase ihrer Schulzeit hatten <strong>die</strong>se jungen Erwachsenen<br />

das Heft <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand genommen und konkret gemacht, was seit jeher<br />

Ziel e<strong>in</strong>er fortschrittlichen Pädagogik ist: K<strong>in</strong><strong>de</strong>r und Jugendliche<br />

zum selbstständigen Lernen zu befähigen. Tatsächlich bedarf<br />

es großen pädagogischen Geschicks, Neugier und Lernbegeisterung<br />

stets aufs Neue zu wecken und zu kultivieren. Individuelle För<strong>de</strong>rung<br />

und unterschiedliche Lernvoraussetzungen von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn und<br />

Jugendlichen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> allen Schularten Thema. Lerngruppen setzen<br />

sich überall aus sehr verschie<strong>de</strong>n entwickelten und motivierten<br />

Schülern zusammen. Differenzierte För<strong>de</strong>rung ist angesagt. „Ten<strong>de</strong>nziell<br />

ist Unterricht jedoch häufig immer noch so organisiert,<br />

dass alle Schüler zur gleichen Zeit möglichst dasselbe lernen sollen“,<br />

me<strong>in</strong>t Prof. Dorit Bosse, Professor<strong>in</strong> <strong>für</strong> Gymnasialpädagogik<br />

an <strong>de</strong>r Universität Würzburg und Leiter<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Abteilung „Fortbildung“<br />

im Zentrum <strong>für</strong> Lehrerbildung und Bildungsforschung <strong>de</strong>r<br />

Universität Würzburg (ZfL).<br />

Lernen durch Engagement (Service Learn<strong>in</strong>g), Leseför<strong>de</strong>rung, Lerntagebücher<br />

s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige Aspekte auf <strong>de</strong>m Weg zu selbstständigem<br />

Lernen, <strong>die</strong> Lehrer und Lernbegleiter aller Schularten im<br />

Workshop-Programm <strong>de</strong>r <strong>in</strong>ternationalen Tagung „Individuelle För<strong>de</strong>rung<br />

<strong>in</strong> heterogenen Lerngruppen“ <strong>de</strong>s ZfL am 10. und 11. Oktober<br />

2008 ent<strong>de</strong>cken können. Dass <strong>die</strong>se Metho<strong>de</strong>n bereits <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Hochbegabtenför<strong>de</strong>rung E<strong>in</strong>gang gefun<strong>de</strong>n haben, wird Oberstu<strong>die</strong>ndirektor<br />

Arm<strong>in</strong> Hackl vom Deutschhaus-Gymnasium <strong>in</strong> Würzburg<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>führungsvortrag „För<strong>de</strong>rung von Begabungen <strong>in</strong> heterogenen<br />

Lerngruppen“ vorstellen wird. Prof. Olga Jaumann – Graumann,<br />

Universität Hil<strong>de</strong>sheim, und Prof. Urs Ruf, Universität Zürich,<br />

folgen am Samstag mit Vorträgen zu „Geme<strong>in</strong>samer Unterricht <strong>in</strong><br />

heterogenen Gruppen: von lernschwierig bis hochbegabt“ und „Das<br />

Dialogische Lernmo<strong>de</strong>ll – kompetenzorientierter Austausch unter<br />

Ungleichen“. Am Samstag um 15 Uhr wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nen<br />

Ansätze <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fachdiskussion <strong>de</strong>r Wissenschaftler mit Herrn<br />

Staatssekretär Bernd Sibler - mo<strong>de</strong>riert von Christ<strong>in</strong>e Burtscheidt<br />

(SZ) - schulpraktisch zugespitzt.<br />

- 86 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Weitere Informationen:<br />

Website: www.zfl.uni-wuerzburg.<strong>de</strong><br />

Ansprechpartner<strong>in</strong>:<br />

Dr. Birgit Hoyer<br />

Wittelsbacherplatz 1<br />

97074 Würzburg<br />

Email: zfl@uni-wuerzburg.<strong>de</strong><br />

Tel. 0931/ 888 4862<br />

Fax 0931/888 7055<br />

- 87 -<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


November 2008<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Sexuelle Übergriffe gegenüber Menschen mit<br />

geistiger Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung<br />

Montag, 03.11.2008, bis Dienstag, 04.11.2008<br />

Ort: Marburg<br />

Prävention durch sexualpädagogische Konzepte<br />

Es gibt <strong>die</strong> Vermutung, dass etwa 60 Prozent <strong>de</strong>r Menschen mit<br />

geistiger Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung sexuell missbraucht wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Aussage alle<strong>in</strong> macht <strong>de</strong>utlich, wie wichtig es ist, sich mit <strong>die</strong>ser<br />

Thematik zu befassen und sich <strong>die</strong> Frage zu stellen, warum <strong>die</strong>ser<br />

Personenkreis so häufig zum Opfer wird. Während <strong>de</strong>r Tagung<br />

wer<strong>de</strong>n Sie sich damit ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzen, was sexuelle Gewalterfahrungen<br />

<strong>für</strong> Menschen mit geistiger Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung be<strong>de</strong>uten. Sie<br />

wer<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>e Vorstellung davon bekommen, wie betroffene Menschen<br />

professionell unterstützt wer<strong>de</strong>n können, erfahren, wie man<br />

sexuelle Gewalt erkennen und wie <strong>die</strong> Methodik <strong>de</strong>s hermeneutischen<br />

Kreises hierbei helfen kann. Außer<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n wir uns damit<br />

beschäftigen, wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Team mit <strong>de</strong>m Thema umgegangen<br />

wer<strong>de</strong>n sollte und wie sexuelle Aufklärung <strong>für</strong> beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte Menschen,<br />

<strong>die</strong> sexuelle Gewalt erlebt haben, gestaltet wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Ganz wichtig ist auch, sich klar zu machen, was man <strong>in</strong> <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>richtungen<br />

tun kann, um sexueller Gewalt vorzubeugen.<br />

Weitere Informationen:<br />

http://lebenshilfe.<strong>de</strong>/wDeutsch/unsere_angebote/fort_weiterbildun<br />

gen/veranstaltungen/Sexuelle_Uebergriffe_gegenueber_Menschen_<br />

mit_geistiger_Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung.php<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Strategisches Management <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe<br />

Montag, 24.11.2008, bis Dienstag, 25.11.2008<br />

Ort: Marburg<br />

Die mannigfachen Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe machen<br />

<strong>de</strong>utlich, dass es <strong>für</strong> das Management zunehmend wichtig wird,<br />

sich mit Steuerungsmo<strong>de</strong>llen zu beschäftigen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e strategische<br />

und operative Steuerung <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>richtungen bei gleichzeitiger Verknüpfung<br />

wirtschaftlicher, f<strong>in</strong>anzieller und qualitativer Zieldimensionen<br />

ermöglichen. Dies ist mit <strong>de</strong>r Balanced Scorecard (BSC) möglich.<br />

Spätestens mit <strong>de</strong>r Etablierung <strong>de</strong>s "Persönlichen Budgets"<br />

wird aus <strong>de</strong>r <strong>in</strong>dividuellen Betreuungsleistung e<strong>in</strong> "Produkt" mit<br />

Kosten, Qualitätsstandards und Preisen. Das von vielen Kommunalverwaltungen<br />

und überörtlichen Kostenträgern angestrebte "Neue<br />

Steuerungsmo<strong>de</strong>ll" basiert auf e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Produktorientierung.<br />

Auf <strong>die</strong>se Anfor<strong>de</strong>rungen müssen <strong>die</strong> Leistungsanbieter e<strong>in</strong>e Antwort<br />

f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Auch das Dienstleistungsverständnis <strong>de</strong>s Personals gew<strong>in</strong>nt<br />

e<strong>in</strong>e neue Be<strong>de</strong>utung. Das bisher eher zentral gesteuerte<br />

Controll<strong>in</strong>g muss zu e<strong>in</strong>em Controll<strong>in</strong>gprozess mit <strong>de</strong>zentralen Verantwortungsbereichen<br />

weiterentwickelt wer<strong>de</strong>n. Ziel <strong>die</strong>ses Sem<strong>in</strong>ars<br />

ist es, Ihnen als Entschei<strong>de</strong>rInnen <strong>de</strong>n Nutzen <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>satzes<br />

<strong>de</strong>r BSC <strong>für</strong> <strong>die</strong> skizzierte Weiterentwicklung <strong>de</strong>r eigenen<br />

Organisation vorzustellen.<br />

Weitere Informationen:<br />

http://lebenshilfe.<strong>de</strong>/wDeutsch/unsere_angebote/fort_wei<br />

terbildungen/veranstaltungen/Strategisches_Management_<br />

<strong>in</strong>_<strong>de</strong>r_Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rtenhilfe.php<br />

- 89 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Dezember 2008<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Social Justice <strong>in</strong> the 21st Century: 33rd Annual<br />

TASH Conference<br />

Mitwoch, 03.12.2008, bis Samstag, 06.12.2008<br />

Ort: Nashville, Tennessee, USA<br />

The conference theme is Social Justice: achiev<strong>in</strong>g the full and equal<br />

participation of every member of society <strong>in</strong> a way that is shaped to<br />

meet each member’s unique needs, with all persons valued,<br />

physically and psychologically safe, and able to participate <strong>in</strong> all<br />

aspects of life <strong>in</strong> their community. This year’s TASH conference will<br />

focus on the issues and trends <strong>in</strong> today’s world as they relate to the<br />

br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g about social justice for people who have significant<br />

disabilities and their families.<br />

Weitere Informationen:<br />

E-Mail: THC@hous<strong>in</strong>gregistration.com<br />

Website: www.tash.org/2008tash<br />

- 90 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Tagungsprogramm <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>für</strong> unterstützte Beschäftigung<br />

Die Bun<strong>de</strong>sarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>für</strong> unterstützte Beschäftigung<br />

(BAG UB) bietet e<strong>in</strong>e Reihe von Sem<strong>in</strong>arangeboten zur Vermittlung<br />

und beruflichen Begleitung von Menschen mit erschwertem Zugang<br />

zur Arbeitswelt an; wie etwa:<br />

Arbeitsplatzakquisition professionell gestalten 17.- 18.09. 2008<br />

Persönliche Zukunftsplanung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Anwendung<br />

– Erweiterung methodischer und mo<strong>de</strong>- 20. – 22.10. 2008<br />

rieren<strong>de</strong>r Kompetenzen<br />

Arbeitsplatzakquisition <strong>für</strong> Fortgeschrittene 20. – 22. 11. 2008<br />

Wichtige Pr<strong>in</strong>zipien <strong>für</strong> <strong>die</strong> berufliche Unterstützung<br />

von Menschen mit psychischer Er- 03. – 05.12. 2008<br />

krankung<br />

För<strong>de</strong>rrecht und Rehabilitation <strong>in</strong> Deutschland<br />

– <strong>die</strong> Grundkenntnisse<br />

14. – 16.01. 2009<br />

Qualifizierung – Lernen am Arbeitsplatz 12. – 14.02. 2009<br />

Persönliches Budget und Arbeitsassistenz- Berufliche<br />

Teilhabe durch personale Unterstüt- 05.- 07.03. 2009<br />

zungsleistungen<br />

Weitere Informationen:<br />

Nähere Informationen über Inhalte, Tagungsorte und zur<br />

Anmeldung erhalten Sie bei <strong>de</strong>r BAG UB.<br />

Telefon: 040/ 432 53 123<br />

Fax: 040/ 432 53 125<br />

Internet: www.bag-ub.<strong>de</strong>/weiterbildung<br />

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Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Vorankündigung: März 2009<br />

Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

Frühe För<strong>de</strong>rung – Frühe Bildung<br />

Freitag, 20.03.2009, 14:00 Uhr bis Samstag, 21.03.2009,<br />

14:00 Uhr<br />

Ort: Erfurt<br />

Diese Fachtagung richtet sich an Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>in</strong> Grundschulen<br />

und För<strong>de</strong>rschulen und selbstverständlich an Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und Erzieher <strong>in</strong> vorschulischen E<strong>in</strong>richtungen sowie an alle Fachleute<br />

bzw. Berufsgruppen, <strong>die</strong> an e<strong>in</strong>er systematischen frühen Bildung<br />

und rechtzeitig e<strong>in</strong>setzen<strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d.<br />

Im Rahmen von Vorträgen und Workshops soll sowohl e<strong>in</strong> Überblick<br />

über <strong>de</strong>n Stand <strong>de</strong>r „Frühen Bildung“ vermittelt als auch Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>r frühzeitigen För<strong>de</strong>rung aufgezeigt wer<strong>de</strong>n. Der<br />

professionelle und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Erfahrungsaustausch aller Fachkräfte<br />

steht dabei im Mittelpunkt.<br />

Außer<strong>de</strong>m erhalten <strong>die</strong> Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmer <strong>de</strong>r Fachtagung<br />

Informationen über Ursachen und Ersche<strong>in</strong>ungsformen von<br />

Entwicklungsauffälligkeiten und beson<strong>de</strong>ren För<strong>de</strong>rbedürfnissen.<br />

Weitere Informationen:<br />

http://www.verband-son<strong>de</strong>rpaedagogik.<strong>de</strong><br />

- 92 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> Autoren<br />

H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> Autoren<br />

Falls Sie <strong>in</strong> „Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e“ veröffentlichen möchten, bitten<br />

wir Sie, ihre Artikel als Mailanhang an e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Adressen<br />

zu sen<strong>de</strong>n:<br />

sebastian.barsch@heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com<br />

tim.bendokat@heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com<br />

markus.brueck@heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com<br />

Texte sollten uns vorzugsweise als Word- o<strong>de</strong>r rtf-Dateien<br />

geschickt wer<strong>de</strong>n. Der Umfang e<strong>in</strong>es Beitrages sollte <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>es<br />

herkömmlichen Zeitschriften-Artikels nicht überschreiten, also nicht<br />

länger als 45.000 Zeichen se<strong>in</strong>.<br />

Je<strong>de</strong>r Beitrag soll <strong>de</strong>n Standard-Anfor<strong>de</strong>rungen wissenschaftlichen<br />

Arbeitens entsprechen. Zitate und Vergleiche s<strong>in</strong>d im Text zu kenn-<br />

zeichnen (AUTOR + Jahr, Seite). Dem Beitrag ist e<strong>in</strong> Verzeichnis<br />

<strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>ten Literatur anzufügen (Nachname, Vorname abge-<br />

kürzt: Titel. Ersche<strong>in</strong>ungsort + Jahr, ggf. Seitenzahlen). Zur In-<br />

formation <strong>de</strong>r Leser ist weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> kurzes Abstract auf Deutsch<br />

und Englisch mit Schlüsselwörtern zu je<strong>de</strong>m Beitrag erfor<strong>de</strong>rlich<br />

(Umfang max. 10 Zeilen).<br />

- 93 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08


Leserbriefe und Forum<br />

Leserbriefe<br />

Leserbriefe s<strong>in</strong>d erwünscht und wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Aus-<br />

gaben <strong>in</strong> Auswahl aufgenommen – soweit uns Leserbriefe errei-<br />

chen. Sie s<strong>in</strong>d an folgen<strong>de</strong> Adresse zu richten:<br />

leserbrief@heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com<br />

Alternativ können Sie ihre Me<strong>in</strong>ung auch direkt und ohne Zeitver-<br />

lust im Forum auf unserer Seite kundtun:<br />

http://heilpaedagogik-onl<strong>in</strong>e.com/netzbrett<br />

Wir wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> dort vorgenommenen E<strong>in</strong>tragungen – ob anonym<br />

o<strong>de</strong>r namentlich – nicht löschen o<strong>de</strong>r än<strong>de</strong>rn, sofern sie nicht<br />

gegen gelten<strong>de</strong>s Recht verstoßen o<strong>de</strong>r Personen und Institutionen<br />

beleidigen.<br />

- 94 -<br />

Heilpädagogik onl<strong>in</strong>e 04/ 08

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