Werkzeuge des Friedens und der Gerechtigkeit - OFM
Werkzeuge des Friedens und der Gerechtigkeit - OFM
Werkzeuge des Friedens und der Gerechtigkeit - OFM
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Werkzeuge</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Ein Handbuch für<br />
die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />
<strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen (Hrsg.)
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />
<strong>der</strong> Mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen<br />
Gestaltung: kippconcept, Bonn<br />
Druck: Leppelt, Bonn<br />
Bestelladresse<br />
Bru<strong>der</strong> Jürgen Neitzert ofm<br />
Gemeinschaft <strong>der</strong> Franziskaner<br />
Burgstraße 61<br />
D-51103 Köln<br />
email: Koordination@franciscans.de<br />
Inhalt gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.
■ Inhalt<br />
Ein Wort zu Beginn … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
Die Entstehung <strong>des</strong> Handbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
Die franziskanische Sicht <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
GFBS in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />
Kontemplation, unsere Arbeit für GFBS <strong>und</strong> die Vereinigung mit Gott . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
Themen von beson<strong>der</strong>em Interesse<br />
Option für die Armen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />
Frieden stiften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83<br />
Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />
Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />
Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
Anregungen für die Praxis<br />
Die Bewegung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Kontext<br />
<strong>der</strong> nachkonziliaren Entwicklung <strong>des</strong> Ordens: Kapitel <strong>und</strong> Ordensräte . . . . . . . . . . . . . . 147<br />
Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden . . . . . . 153<br />
Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161<br />
Soziale Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
im Kontext einzelner Apostolate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171<br />
Anhang<br />
Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
in den Generalkapiteln <strong>und</strong> Ordensräten zwischen 1971–1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197<br />
Biblische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213<br />
Franziskanische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215<br />
Kirchliche Soziallehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217<br />
Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung in den Generalkonstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221<br />
Eine Textauswahl zu GFBS in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225<br />
Charakteristika <strong>der</strong> franziskanischen Arbeit für GFBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229<br />
Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233<br />
Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239<br />
Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ (MEFRA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254<br />
3
Wir möchten den folgenden Brü<strong>der</strong>n, Ordensleuten <strong>und</strong> Laien danken, die bei<br />
<strong>der</strong> Vorbereitung dieses Handbuches mitgeholfen haben. Beson<strong>der</strong>s möchten wir John Quigley <strong>OFM</strong><br />
<strong>und</strong> Vicente Felipe <strong>OFM</strong> danken, die dieses Projekt begonnen <strong>und</strong> fertiggestellt haben.<br />
Louis B. Antl (U.S.A.), Jose Arregui (Spanien), Yusuf Bagh (Pakistan), Claudio Baratto (Jerusalem),<br />
Pierre Beguin (Frankreich), Gilles Bourdeau (Kanada), Louis Brennan (Irland), Margaret Carney (U.S.A.),<br />
Rodrigo de Castro Amédée Péret (Brasilien), Roberto Cranchi (Italien), Vicente Felipe (Spanien),<br />
Rose Fernando (Sri Lanka), Fernando Figueredo (Kolumbien), Charles Finnegan (U.S.A.), Carmelo Galdos<br />
(Bolivien), Javier Garrido (Spanien), Oswald Gill (Irland), Philippa Hitchen (England), Ken Himes (U.S.A.),<br />
Pat Hudson (Irland), Thaddeus Jones (Italien), Eloi Leclerc (Frankreich), Bernardino Leers (Brasilien),<br />
Julie Lonneman (U.S.A.), Pat McCloskey (U.S.A.), Hugh McKenna (Irland), Francis Mathews (U.S.A.),<br />
David Moczulski (U.S.A.), Joe Nangle (U.S.A.), Dan Neylon (Australien), Gearóid Francisco O’Conaire<br />
(Mittelamerika), François Pacquette (Kanada), Daniela Persia (Italien), John Quigley (Kanada), Prasad Reddy<br />
(Indien), Alain Richard (Frankreich), Joseph G. Rozansky (U.S.A.), Hermann Schalück (Deutschland),<br />
Ruben Tierrablanca (Mexiko), Job Toda (Japan), Fernando Uribe (Kolumbien), Angel Valdez (Mexiko),<br />
Theo van den Broek (Indonesien), Ambrose Van Si (Vietnam), Robert Vitillo (U.S.A.), Boze Vuleta (Kroatien),<br />
Justus Wirth (U.S.A.), <strong>und</strong> Philippe Yates (Grossbritannien).<br />
Die Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ <strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen dankt<br />
für ihren Einsatz ganz herzlich folgenden Fre<strong>und</strong>en unserer Arbeit, ohne <strong>der</strong>en Mithilfe diese Veröffentlichung<br />
nicht möglich gewesen wäre.<br />
Georg Scheuermann <strong>und</strong> Schwester Catharine Lüthi<br />
für die deutsche Übersetzung<br />
Luise Schatz, kippconcept GmbH Bonn,<br />
für die graphische Gestaltung <strong>und</strong> Umsetzung dieses Buches<br />
Uwe Esperester, Hötzel RFS <strong>und</strong> Partner, Stadtlohn<br />
für die Gestaltung <strong>des</strong> Umschlages <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kapiteldeckblätter<br />
Die Grafiken erstellte Julie Lonneman, Cincinatti (USA)
Ein Wort zu Beginn …<br />
„ ... Die Brü<strong>der</strong> aber, die hinausziehen,<br />
können in zweifacher Weise unter ihnen geistlich wandeln.<br />
Eine Art besteht darin, dass sie we<strong>der</strong> Zank noch Streit beginnen,<br />
son<strong>der</strong>n ‚um Gottes Willen je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur‘ (1 Petr 2,13)<br />
untertan sind <strong>und</strong> bekennen, dass sie Christen sind.<br />
Die an<strong>der</strong>e Art ist die, dass sie, wenn sie sehen,<br />
dass es dem Herrn gefällt, das Wort Gottes verkünden ...“<br />
(NbReg 16,5-7)<br />
Es ist gr<strong>und</strong>legend für unser Leben als Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> „im Geist <strong>des</strong> Gebetes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hingabe<br />
<strong>und</strong> in brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft ein von <strong>der</strong> Wurzel her evangelisches Leben zu führen,<br />
Buße <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>sein zu bezeugen, in <strong>der</strong> Liebe zu allen Menschen die Botschaft <strong>des</strong> Evangeliums<br />
in die ganze Welt zu tragen <strong>und</strong> durch ihr Tun von Versöhnung, Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
zu künden“ (Generalkonstitutionen 1, 2).<br />
Die Gr<strong>und</strong>lage unseres Lebens in brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft gründet in <strong>der</strong> Verkündigung unseres<br />
Herrn Jesus Christus. Wir haben die Sendung, Christus durch unser Leben einer Welt bekannt<br />
zu machen, die weiterhin durch Gewalt, Krieg, Ausgrenzung <strong>und</strong> Zerstörung <strong>der</strong> Umwelt gekennzeichnet<br />
ist. Unser Grün<strong>der</strong>, <strong>der</strong> hl. Franziskus, <strong>der</strong> „Heilige <strong>der</strong> Inkarnation“ gab seinen Brü<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> seinen Zeitgenossen ein Beispiel ohnegleichen, wie ein Bote <strong>des</strong> Evangeliums in Wort <strong>und</strong> Tat<br />
sein sollte, durch seinen Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Harmonie mit <strong>der</strong> Schöpfung.<br />
Wir können keine Boten <strong>des</strong> Evangeliums sein, wenn wir nicht für Bekehrung offen sind <strong>und</strong><br />
versöhnt mit uns selbst, mit unseren Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> ganzen Schöpfung, die unserer Sorge<br />
anvertraut ist (vgl. Gen 2,15), leben. Ebenso müssen wir mit Gott durch Christus, unseren<br />
Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> Herrn, versöhnt sein.<br />
„Geistlich unter ihnen wandeln“, „Zank o<strong>der</strong> Streit vermeiden“, „je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur<br />
untertan sein“ <strong>und</strong> bekennen, dass Jesus <strong>der</strong> Christus ist, bedeutet, mit an<strong>der</strong>en Worten ausgedrückt,<br />
Boten <strong>und</strong> För<strong>der</strong>er <strong>des</strong> Lebens zu sein, das wir alle als Geschenk empfangen haben, das<br />
jedoch vielfachen Bedrohungen ausgesetzt ist. Die mo<strong>der</strong>nen Massenmedien wie Presse, Radio<br />
<strong>und</strong> Fernsehen machen uns jeden Tag anschaulich, wie Menschen <strong>und</strong> die gesamte Schöpfung<br />
5
■ Ein Wort zu Beginn …<br />
„im Schatten <strong>des</strong> To<strong>des</strong>“ (Lk 1,79) leben, <strong>und</strong> wie wir es <strong>des</strong>halb nötig haben, dass uns „das<br />
aufstrahlende Licht aus <strong>der</strong> Höhe“ (Lk 1,78) besucht. Zwischen <strong>der</strong> Zerstörung <strong>der</strong> Umwelt <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> wachsenden Verarmung vieler Menschen auf <strong>der</strong> Welt besteht ein enger Zusammenhang.<br />
Der Strom <strong>der</strong> Flüchtlinge, die zum einen um ihr Leben fürchten o<strong>der</strong> zum an<strong>der</strong>en auf <strong>der</strong> Suche<br />
nach einer ausreichenden Existenzsicherung sind, versiegt nicht, son<strong>der</strong>n wächst im Gegenteil<br />
beständig. Die Suche nach sofortiger Befriedigung subjektiver Bedürfnisse achtet nicht auf die<br />
Sehnsucht vieler, zukünftigen Generationen eine bessere Welt zu hinterlassen. Es ist schwierig, die<br />
Zügel <strong>und</strong> globalen Vernetzungen eines bedrohten Lebens durch ein Handeln zu kontrollieren,<br />
<strong>des</strong>sen leiten<strong>des</strong> Prinzip die ständig voranschreitende Entwicklung um jeden Preis ist.<br />
Daher sind wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> umso mehr aufgerufen, durch unsere Verwurzelung im Evangelium,<br />
unsere brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft <strong>und</strong> unser einfaches Leben in versöhnter Verschiedenheit<br />
Zeugnis zu geben für eine befreite Existenz in Christus <strong>und</strong> für Christus.<br />
Dieses Ziel möchte das vorliegende Buch unterstützen. Dieses Buch ist in <strong>der</strong> Tat kein „Handbuch“<br />
im strengen Sinn <strong>des</strong> Wortes. Es will eine Quelle, eine Hilfe für die Brü<strong>der</strong> darstellen:<br />
mit seinen Artikeln über unsere franziskanische Spiritualität, durch unsere Option für die<br />
Armen, die Ermutigung für unser Gebet <strong>und</strong> unsere Meditation, den gemeinsamen Dialog<br />
über Werte <strong>und</strong> F<strong>und</strong>amente unserer franziskanischen Berufung, menschgewordenes Handeln<br />
in konkreten Situationen im Licht von „<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden, Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung“.<br />
Es ist die Antwort auf die Auffor<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Internationalen Rates für GFBS, vorgetragen<br />
auf seiner Versammlung 1995 in Seoul, den Brü<strong>der</strong>n zu helfen, sich <strong>der</strong> Tatsache bewusst zu<br />
werden, dass unser franziskanischer Einsatz in diesem Bereich ein integraler Teil unserer<br />
Spiritualität ist.<br />
Das Generaldefinitorium hat nach dem Studium <strong>des</strong> Handbuches für GFBS zugestimmt,<br />
dieses allen Brü<strong>der</strong>n, vor allem den Provinz- wie Konferenzkoordinatoren für GFBS, zur Verfügung<br />
zu stellen. Das Buch mit seinen Artikeln <strong>und</strong> Beispielen wird denen nicht genügen,<br />
die einen tieferen Gedankengang <strong>und</strong> eine verhaltenere Sprache erwarten. Ein positiver Nebeneffekt<br />
wäre es, wenn es sie anspornen könnte, die Themen selbst zu vertiefen. Wir haben<br />
in wie<strong>der</strong>holten Arbeitsgängen versucht, Fehler zu korrigieren. Trotzdem wird es vorkommen,<br />
dass die Leser Ungenauigkeiten <strong>und</strong> Fehler entdecken werden. Wir bitten um Nachsicht.<br />
Wir behaupten nicht, vollkommen zu sein. Das Buch beabsichtigt, konkretes Handeln für<br />
GFBS zu begleiten.<br />
Die Gr<strong>und</strong>lage unseres Seins in <strong>der</strong> Welt ist Kontemplation, das innere Zuhören, die stille Aufmerksamkeit<br />
für die Zeichen <strong>der</strong> Zeit, die Erfahrung <strong>der</strong> Gegenwart <strong>und</strong> <strong>des</strong> Handelns Gottes.<br />
In-<strong>der</strong>-Welt-zu-sein bedeutet unterwegs zu sein, mit tiefer Verehrung <strong>und</strong> Ehrfurcht Leben,<br />
Schöpfung <strong>und</strong> Menschen, willkommen zu heißen, weil die Gegenwart Gottes alles umgibt<br />
<strong>und</strong> durchdringt. Wir hoffen, dass dieses Buch eine Ermutigung für alle Brü<strong>der</strong> werden möge,<br />
dies zu leben.<br />
Ich schließe mit dem Dank an all die, die in <strong>der</strong> Planung <strong>und</strong> Erarbeitung dieses Handbuches<br />
mitgearbeitet haben. Alle haben beispielhaft gearbeitet. Stellvertretend für alle nenne ich<br />
John Quigley <strong>OFM</strong>, Vicente Felipe <strong>OFM</strong> <strong>und</strong> Francisco O’Conaire <strong>OFM</strong>, meinen Mitarbeiter<br />
im Büro GFBS. Allen, die mitgearbeitet haben, möge Gott reichlich vergelten <strong>und</strong> sie segnen!<br />
6<br />
Rom, 25. März 1999<br />
Peter Schorr <strong>OFM</strong><br />
Generaldefinitor <strong>und</strong> Direktor für GFBS
■ Die Entstehung <strong>des</strong> Handbuches<br />
Die Entstehung<br />
<strong>des</strong> Handbuches<br />
Das Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung an <strong>der</strong> Generalkurie <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
internationale Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung, bestehend aus den<br />
15 Koordinatoren <strong>der</strong> Ordenskonferenzen <strong>und</strong> den<br />
Provinzdelegierten für GFBS, haben die wichtige<br />
Aufgabe, die Brü<strong>der</strong> zu motivieren <strong>und</strong> anzuregen,<br />
sich diese evangelischen <strong>und</strong> franziskanischen Werte<br />
zu eigen zu machen. Sie sollen Teil eines brü<strong>der</strong>lichen<br />
<strong>und</strong> friedfertigen Lebensstils werden, <strong>der</strong> sich<br />
konkreten <strong>und</strong> befreienden Engagements verpflichtet<br />
weiß.<br />
Auf seiner Sitzung in Seoul im August 1995 hat<br />
sich <strong>der</strong> internationale Rat für GFBS <strong>des</strong> Ordens<br />
mit <strong>der</strong> Frage beschäftigte, wie ein echter Dienst<br />
<strong>der</strong> Animation in diesem Bereich angeboten werden<br />
könnte. Es wurde beschlossen, dem Generaldefinitorium<br />
die Erstellung eines Handbuches zu GFBS<br />
vorzuschlagen. Auf seiner Sitzung vom Dezember<br />
1995 genehmigte das Generaldefinitorium diesen<br />
Vorschlag <strong>und</strong> betraute das Büro für GFBS an <strong>der</strong><br />
Generalkurie mit <strong>der</strong> Koordination dieses Projektes.<br />
Ziel<br />
Das Handbuch ist kein Kommentar zu den<br />
Kapiteln IV <strong>und</strong> V <strong>der</strong> Generalkonstitutionen,<br />
obwohl es sich davon inspirieren ließ <strong>und</strong> sogar<br />
eine Hilfe sein kann, sie tiefer zu verstehen <strong>und</strong> besser<br />
zu beobachten. Vielmehr ist es bemüht, Materia-<br />
lien <strong>und</strong> Quellen bereit zu stellen, die Provinzdelegierten<br />
<strong>und</strong> Kommissionen helfen können, in<br />
<strong>der</strong> Arbeit für GFBS voranzuschreiten. Darüber<br />
hinaus möchte es denen von Nutzen sein, die mit<br />
<strong>der</strong> Ordensausbildung betraut sind. Es will auch<br />
den Gemeinschaften vor Ort Anregungen für ihre<br />
Treffen <strong>der</strong> ständigen Fortbildung geben <strong>und</strong> den<br />
Brü<strong>der</strong>n in ihrem pastoralen Dienst Hilfestellung<br />
anbieten.<br />
Da es sich hier um ein Arbeitsinstrument handelt,<br />
dachten wir zu keiner Zeit an eine vollständige<br />
Behandlung dieser Themen. Wir sind uns <strong>der</strong><br />
Grenzen dieses Handbuches voll bewusst. Zum<br />
einen ist es in den Themen von Teil II fast unmöglich,<br />
einen Standpunkt einzubringen, <strong>der</strong> für alle<br />
Teile <strong>der</strong> Welt Gültigkeit hat. Die Fragen am Ende<br />
eines jeden Themas können vielleicht als Hilfe dienen,<br />
eine Diskussion über die örtlichen Gegebenheiten<br />
in Gang zu bringen. Die Tatsache, dass zahlreiche<br />
Brü<strong>der</strong> aus verschiedenen Teilen <strong>der</strong> Welt<br />
am Handbuch mitgearbeitet haben, könnte an<strong>der</strong>erseits<br />
bewirken, dass es einen Mangel an Einheit<br />
aufweist <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>holungen beinhaltet. Wenn<br />
die Themen im zweiten Teil ausführlicher entfaltet<br />
worden wären, wäre das Buch noch viel umfangreicher<br />
geworden. Doch im Großen <strong>und</strong> Ganzen<br />
glauben wir, dass das zusammengetragene Material<br />
hilfreich ist <strong>und</strong> dem angestrebten Ziel dient.<br />
Form <strong>und</strong> Inhalt<br />
Das Handbuch hat vier Teile. Im ersten Teil stellen<br />
wir die franziskanische Sicht <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
vor, als theoretische Gr<strong>und</strong>lage für das ganze Buch.<br />
Dabei beziehen wir uns auf unsere Spiritualität,<br />
wie sie in den franziskanischen Quellen, in den<br />
gegenwärtigen Generalkonstitutionen <strong>und</strong> in<br />
den Dokumenten <strong>der</strong> Kirche dargelegt ist. Für<br />
Franziskaner ist das Engagement für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung ein Erbe,<br />
das uns vom heiligen Franziskus überliefert ist; es<br />
ist Teil unserer Identität als Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />
gehört zu unserer Sendung, das Evangelium zu<br />
verkünden. Daher sollte es zum Inhalt <strong>der</strong> Ordensausbildung<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> ständigen Fortbildung<br />
gehören.<br />
7
■ Die Entstehung <strong>des</strong> Handbuches<br />
Der zweite Teil besteht aus sieben spezifischen Themen,<br />
die uns am passendsten <strong>und</strong> von beson<strong>der</strong>er<br />
Bedeutung für unser Charisma erscheinen. Diese<br />
Themen haben nur eine kurze theoretische Einführung,<br />
weil wir keine erschöpfende Darlegung zu<br />
jedem Thema geben wollten; vielmehr würden wir<br />
wünschen, dass diese Themen Fragen aufwerfen<br />
<strong>und</strong> Nachdenken wie Handeln anregen sollten.<br />
Diese kurze Einführung wird ergänzt durch Erfahrungsberichte<br />
<strong>und</strong> Zeugnisse von Brü<strong>der</strong>n aus<br />
aller Welt. Sie helfen uns sehen, dass die Ideale, die<br />
unsere Generalkonstitutionen uns vorlegen, keine<br />
<strong>und</strong>urchführbaren Utopien sind. Diese Zeugnisse<br />
verweisen uns auf vielfältige Möglichkeiten zum<br />
Handeln, entsprechend den lokalen Gegebenheiten.<br />
Je<strong>des</strong> Thema endet mit Fragen, die zum Überlegen<br />
anregen sollen, sei dies persönlich o<strong>der</strong> in Gruppen.<br />
Wir möchten auch Folgen<strong>des</strong> in Erinnerung rufen:<br />
Als dieses Handbuch geplant wurde, gab es den<br />
Vorschlag, dass jede Konferenz eine Bibliographie<br />
zu den einzelnen Themen zusammenstellen könnte.<br />
Diese sollte ein vertieftes Studium <strong>der</strong> einzelnen<br />
Themen erleichtern <strong>und</strong> wäre zudem den kulturellen<br />
Gegebenheiten <strong>und</strong> den Bedürfnissen je<strong>der</strong> einzelnen<br />
Konferenz besser angepasst.<br />
8<br />
Der dritte Teil mit dem Titel „ANREGUNGEN FÜR<br />
DIE PRAXIS“ hat mehrere Kapitel, die die Geschichte<br />
<strong>der</strong> Bewegung für GFBS innerhalb <strong>des</strong> Ordens in<br />
den letzten 25 Jahren nachzeichnen: vom Internationalen<br />
Rat für GFBS; wie die Provinzen <strong>und</strong> Konferenzen<br />
auf dem Gebiet von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden organisiert sind; von <strong>der</strong> interfranziskanischen<br />
Zusammenarbeit im Bereich GFBS; von <strong>der</strong><br />
Arbeit für GFBS im alltäglichen Leben <strong>und</strong> in den<br />
verschiedenen Diensten: Pfarrpastoral, neue Medien,<br />
Bildung <strong>und</strong> Erziehung, missionarischer Dienst,<br />
Ordensausbildung <strong>und</strong> ständige Fortbildung.<br />
Der vierte Teil gibt einige Ergänzungen <strong>und</strong> einen<br />
Anhang mit den Texten von den Generalkapiteln<br />
o<strong>der</strong> den Ordensräten <strong>des</strong> Ordens, Texten aus den<br />
Generalkonstitutionen, <strong>der</strong> Heiligen Schrift, den<br />
franziskanischen Quellen, <strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> RATIO FORMATIONIS. Dazu gibt es im<br />
Anhang Gebete <strong>und</strong> Adressen von internationalen<br />
Organisationen, mit denen wir Kontakt aufnehmen<br />
können.<br />
Büro für GFBS, Rom
■ Abkürzungen<br />
Abkürzungen<br />
1. Die biblischen Bücher<br />
Amos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am<br />
Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apg<br />
Baruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bar<br />
1 Chronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Chr<br />
2 Chronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Chr<br />
Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dan<br />
Deuteronomium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dtn<br />
Epheser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eph<br />
Esra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Esra<br />
Esther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Est<br />
Exodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ex<br />
Ezechiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ez<br />
Galater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gal<br />
Genesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gen<br />
Habakuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hab<br />
Haggai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hag<br />
Hebräer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hebr<br />
Hohelied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hld<br />
Hosea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hos<br />
Ijob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ijob<br />
Jakobus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jak<br />
Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jer<br />
Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jes<br />
Jesus Sirach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sir<br />
Joël . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joël<br />
Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joh<br />
1 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Joh<br />
2 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Joh<br />
3 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Joh<br />
Jona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jona<br />
Josua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jos<br />
Judas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jud<br />
Klagelie<strong>der</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klgl<br />
Kohelet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koh<br />
Kolosser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kol<br />
1 Könige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kön<br />
2 Könige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Kön<br />
1 Korinther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kor<br />
2 Korinther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Kor<br />
Levitikus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lev<br />
Lukas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lk<br />
1 Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Makk<br />
2 Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Makk<br />
Maleachi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mal<br />
Markus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mk<br />
Matthäus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mt<br />
Micha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mi<br />
Nahum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nah<br />
Nehemia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neh<br />
Numeri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Num<br />
Obadja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Obd<br />
Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offb<br />
1 Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Petr<br />
2 Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Petr<br />
Philemon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phlm<br />
Philipper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phil<br />
Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ps<br />
Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ri<br />
Römer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Röm<br />
Ruth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rut<br />
Sacharja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sach<br />
1 Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Sam<br />
2 Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Sam<br />
Sprichwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spr<br />
9
■ Abkürzungen<br />
1 Thessalonicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Thess<br />
2 Thessalonicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Thess<br />
1 Timotheus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Tim<br />
2 Timotheus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Tim<br />
Titus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tit<br />
Tobit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tob<br />
Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weish<br />
Zefanja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zef<br />
10<br />
2. Kirchliche Dokumente<br />
CA Enzyklika Centesiumus annus<br />
CP Apostolisches Schreiben<br />
Communio et progressio<br />
DH Erklärung Dignitatis humanae<br />
DM Enzyklika Dives in misericordia<br />
EN Apostolisches Schreiben<br />
Evangelii nuntiandi<br />
ES Enzyklika Ecclesiam suam<br />
GS Pastoralkonstitution<br />
Gaudium et spes<br />
LC Erklärung Libertatis conscientia<br />
(Christliche Gewissensfreiheit)<br />
LE Enzyklika Laborem exercens<br />
MM Enzyklika Mater et Magistra<br />
OA Apostolisches Schreiben<br />
Octogesima adveniens<br />
TMA Apostolisches Schreiben Tertio<br />
Millennio Adveniente<br />
PP Enzyklika Populorum Progressio<br />
PT Enzyklika Pacem in terris<br />
QA Enzyklika Quadragesimo anno<br />
RH Enzyklika Redemptor hominis<br />
RM Enzyklika Redemptoris missio<br />
RN Enzyklika Rerum novarum<br />
SRS Enzyklika Sollicitudo rei socialis<br />
VS Enzyklika Veritatis splendor
■ Abkürzungen<br />
3. Schriften <strong>des</strong> Hl. Franz<br />
Auff Auffor<strong>der</strong>ung zum Lobe Gottes<br />
BrAnt Brief an den heiligen Antonius<br />
BrKler Brief an die Kleriker<br />
BrKust I Brief an die Kustoden I<br />
BrKust II Brief an die Kustoden II<br />
BrGl I Brief an die Gläubigen I<br />
BrGl II Brief an die Gläubigen II<br />
BrLenk Brief an die Lenker <strong>der</strong> Völker<br />
BrLeo Brief an Bru<strong>der</strong> Leo<br />
BrMin Brief an einen Minister<br />
BrOrd Brief an den gesamten Orden<br />
ErklVat Erklärung zum Vaterunser<br />
Erm Ermahnungen<br />
GebKr Gebet vor dem Kreuzbild von<br />
San Damiano<br />
GrMar Gruss an die selige Jungfrau Maria<br />
GrTug Gruss an die Tugenden<br />
LebKlara Lebensform für die heilige Klara<br />
MahnKlara Mahnung für die Schwestern<br />
<strong>der</strong> heiligen Klara<br />
Off Offizium vom Leiden <strong>des</strong> Herrn<br />
PreisHor Preisgebet zu allen Horen<br />
BReg Bullierte Regel<br />
NbReg Nicht bullierte Regel<br />
RegEins Regel für Einsiedeleien<br />
SegLeo Segen für Bru<strong>der</strong> Leo<br />
SegBern Segen für Bru<strong>der</strong> Bernhard<br />
Sonn Sonnengesang<br />
Test Testament<br />
TestSien Testament von Siena<br />
VermKlara Vermächtnis für die heilige Klara<br />
VollFreud Die wahre <strong>und</strong> vollkommene Freude<br />
4. Frühe franziskanische Quellen<br />
1 Cel Thomas von Celano:<br />
Erste Lebensbeschreibung<br />
<strong>des</strong> hl. Franziskus<br />
2 Cel Thomas von Celano:<br />
Zweite Lebensbeschreibung<br />
<strong>des</strong> hl. Franziskus<br />
3 Cel Thomas von Celano:<br />
Leben <strong>und</strong> W<strong>und</strong>er <strong>des</strong><br />
heiligen Franziskus von Assisi<br />
AnonPer Anonymus Perusinus<br />
CSD Betrachtungen über die W<strong>und</strong>male<br />
Fior Fioretti<br />
LegMai Grosse Lebensbeschreibung<br />
<strong>des</strong> heiligen Franziskus von Bonaventura<br />
Legmin Kleine Lebensbeschreibung<br />
<strong>des</strong> heiligen Franziskus von Bonaventura<br />
LegPer Legenda Perusina<br />
DreiGef Dreigefährtenlegende<br />
SC Sacrum Commercium<br />
SP Spiegel <strong>der</strong> Vollkommenheit<br />
11
■ Abkürzungen<br />
5. An<strong>der</strong>e häufige Abkürzungen<br />
GG.CC. Generalkonstitutionen<br />
CFF Konferenz <strong>der</strong> franziskanischen Familie<br />
FI Franciscans International<br />
ICJPIC Internationaler Rat<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
GFBS <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
<strong>OFM</strong> Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />
NGO Nicht-Regierungs-Organisation<br />
RFF Ratio Formationis Franciscanae<br />
Medellin E Medellin: Erziehungsdokument<br />
CFI-TOR Internationale<br />
franziskanische Konferenz<br />
<strong>des</strong> Regulierten Dritten Ordens<br />
TOR Regulierter Dritter Orden<br />
12
KONKRETES ENGAGEMENT
Die franziskanische Sicht<br />
<strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Dieser erste Teil will eine Gr<strong>und</strong>lage für die franziskanische Sicht <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung legen. Er bildet den theoretischen Rahmen für<br />
das ganze Buch auf <strong>der</strong> Basis unserer Spiritualität. Er gründet auf den franziskanischen Quellen<br />
<strong>und</strong> schließt ebenso die gegenwärtige Realität mit ein, wie sie in den Generalkonstitutionen,<br />
<strong>der</strong> RFF <strong>und</strong> dem Lehramt <strong>der</strong> Kirche zum Ausdruck kommt.<br />
1. Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
2. Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />
3. GFBS in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />
4. Kontemplation, unsere Arbeit für GFBS <strong>und</strong> die Vereinigung mit Gott<br />
5. <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> RATIO FORMATIONIS FRANCISCANAE<br />
15
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
Franziskanische<br />
Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
Ein neuer Mensch<br />
Unter den vielen Heiligen, welche die Geschichte<br />
<strong>des</strong> Christentums schmücken, ist Franziskus von<br />
Assisi einer von jenen, die noch heute größte Anziehungskraft<br />
ausüben <strong>und</strong> denen größte Zustimmung<br />
begegnet. Sein Einfluss geht über das Christentum<br />
hinaus. Er gehört allen. Er erscheint wie „eine früh<br />
erblühte Blumenknospe“, die eine Menschlichkeit<br />
ahnen lässt, die in jedem von uns aufblühen<br />
möchte. „Er schien wirklich ein neuer Mensch zu<br />
sein <strong>und</strong> aus einer an<strong>der</strong>en Welt zu stammen“,<br />
schrieb sein erster Biograph, Thomas von Celano<br />
(1 Cel 82).<br />
So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass sich in unserer<br />
gegenwärtigen Orientierungslosigkeit viele an ihn<br />
wenden, um das Geheimnis jener Weisheit zu erfragen,<br />
die er neu zum Aufblühen bringen könnte. Sie<br />
war durch eine neue Qualität <strong>der</strong> Präsenz in <strong>der</strong><br />
Welt gekennzeichnet. Denn die kostbarste Gabe,<br />
die Franziskus <strong>der</strong> Welt schenkte, ist diese neue Art<br />
<strong>der</strong> Präsenz. Eine Präsenz, die zutiefst menschlich<br />
<strong>und</strong> zugleich evangelisch <strong>und</strong> kosmisch ist. Eine<br />
Präsenz, welche die Gabe besitzt „alle Feindseligkeit<br />
innerhalb <strong>der</strong> Schöpfung in eine geschwisterliche<br />
Spannung umzuwandeln“ (Paul Ricoeur). „Zweifellos<br />
gab es nie zuvor einen Menschen, <strong>der</strong> auf vollkommenere<br />
Weise jedem (Geschöpf) jene totale<br />
Präsenz <strong>und</strong> jene vollständige Selbsthingabe angeboten<br />
hätte, die nichts an<strong>der</strong>es sind als Ausdruck<br />
<strong>der</strong> Präsenz <strong>und</strong> <strong>des</strong> Geschenkes, die Gott als Gabe<br />
seiner selbst jeden Augenblick allen Wesen zukom-<br />
men lässt“ (L. Lavelle, Quattre Saints, Paris 1951,<br />
88).<br />
Was war also das Geheimnis <strong>des</strong> Franziskus von<br />
Assisi? Wie öffnete er sich für jene Präsenz in <strong>der</strong><br />
Welt, in <strong>der</strong> alle menschlichen Konflikte ihren Weg<br />
zum Frieden zu finden scheinen?<br />
Eine gr<strong>und</strong>legende Botschaft<br />
Die Frage ist für uns lebenswichtig. Unsere industrielle<br />
Zivilisation befindet sich in einer Sackgasse.<br />
Wir sind zu Recht stolz auf unseren wissenschaftlichen<br />
<strong>und</strong> technologischen Fortschritt. Er hat uns zu<br />
„Herren <strong>und</strong> Besitzern <strong>der</strong> Natur“ gemacht, wie<br />
Descartes sich das wünschte. Aber heute merken<br />
wir, dass <strong>der</strong> Preis, <strong>der</strong> dafür zu bezahlen ist, hoch<br />
ist, sehr hoch. Einerseits ist unsere Umwelt <strong>und</strong><br />
damit unsere Lebensqualität durch die wachsende<br />
Herrschaft <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen<br />
Technologie über die Natur bedroht. An<strong>der</strong>erseits<br />
schafft eine immer ausgeprägtere technologische<br />
Ausbeutung <strong>der</strong> natürlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />
unter dem alleinigen Gesetz <strong>des</strong> Profits große<br />
menschliche Probleme auf dem Gebiet <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit<br />
<strong>und</strong> sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong>. Situationen<br />
<strong>der</strong> Ausgrenzung mehren sich in <strong>der</strong> menschlichen<br />
Gesellschaft <strong>und</strong> bedrohen zutiefst den Frieden.<br />
Bisher haben die Männer <strong>und</strong> Frauen, die unsere<br />
industrialisierte Gesellschaft hervorgebracht hat,<br />
nur an das Besitzen gedacht. Nun müssen sie im<br />
Bemühen um <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden lernen,<br />
geschwisterlich mit <strong>der</strong> Natur, d.h. ihnen gleichwertig,<br />
umzugehen. In diesem Punkt hat Franziskus,<br />
<strong>der</strong> universale Bru<strong>der</strong>, uns allen etwas<br />
Gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> zu sagen.<br />
Um seine Botschaft richtig zu hören, müssen wir<br />
ein bestimmtes Bild <strong>des</strong> Armen von Assisi hinter<br />
uns lassen. Wir haben ihn zu einer Art Märchenprinzen<br />
<strong>der</strong> Schöpfung gemacht. Märchenhaft<br />
vielleicht, aber unerhört oberflächlich. Der wirkliche<br />
Franziskus ist von ganz an<strong>der</strong>er Statur <strong>und</strong><br />
Inspiration. Er war einer <strong>der</strong> kühnsten Erneuerer in<br />
<strong>der</strong> gesamten Geschichte <strong>der</strong> Christenheit. In seiner<br />
Treue zum Evangelium brach er mit dem politischreligiösen<br />
System seiner Zeit – einem System, in<br />
dem die Kirche oft ein feudaler Oberherr war,<br />
einem System heiliger Kriege <strong>und</strong> Kreuzzüge. Er<br />
17
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
weigerte sich auch, einen Pakt zu schließen mit dem<br />
neuen Götzen <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft, dem<br />
Geld. Seine brü<strong>der</strong>liche Haltung gegenüber den<br />
geringeren Geschöpfen war von Sentimentalität<br />
weit entfernt; sie war inspiriert von einem klaren<br />
<strong>und</strong> tiefen Verständnis für die Schöpfung.<br />
Der Ausgangspunkt:<br />
Seine Begegnung mit Christus<br />
Am Beginn <strong>der</strong> neuen Präsenz in <strong>der</strong> Welt, die <strong>der</strong><br />
Arme von Assisi eingeleitet hat, liegt eine geistliche<br />
Erfahrung, die mit <strong>der</strong> Bekehrung <strong>des</strong> jungen<br />
Bernardone beginnt. Wenn wir seine Inspiration<br />
verstehen wollen, müssen wir ihn zur Mitte dieser<br />
Erfahrung begleiten.<br />
Franziskus wurde nicht als „universaler Bru<strong>der</strong>“<br />
geboren. Er entwickelte sich dazu. Um den Preis<br />
einer tiefen Bekehrung. Als Heranwachsen<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />
als junger Mann war er nicht <strong>der</strong> Mann <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />
den wir bew<strong>und</strong>ern. Gewiss stellen ihn seine<br />
ersten Biographen als liebenswürdigen, höflichen<br />
18<br />
Menschen dar, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n gegenüber offen war.<br />
Doch unter diesem verführerischen Äußeren lagen<br />
verborgene Abgründe von Gewalt <strong>und</strong> Ehrgeiz,<br />
zusammen mit einem Wunsch nach Erobern <strong>und</strong><br />
Beherrschen.<br />
Als Sohn eines reichen Kaufmanns gehörte Franziskus<br />
einer aufstrebenden Klasse an, die gewinnsüchtig<br />
<strong>und</strong> machthungrig war. In den mittelalterlichen<br />
Gemeinden, die sich vom Joch <strong>der</strong> Feudalherrschaft<br />
befreit hatten, beabsichtigte die reiche Mittelklasse,<br />
angeführt von den Kaufleuten, ihre eigenen<br />
Interessen zu verfolgen <strong>und</strong> Macht auszuüben.<br />
Unter dem Zwang dieser sozialen Kräfte hegte <strong>der</strong><br />
junge Franziskus ebenfalls große Ambitionen. Er<br />
liebte es, zu prahlen, wie die Sonne zu scheinen,<br />
sich über an<strong>der</strong>e zu erheben <strong>und</strong> sich von <strong>der</strong> jungen<br />
sozialen Elite Assisis zu ihrem König ausrufen<br />
zu lassen.<br />
Seine Ambitionen wuchsen mit ihm. Er wollte<br />
nicht im Geschäft seines Vaters bleiben <strong>und</strong> ein<br />
gewöhnlicher Textilkaufmann sein. Er hatte große<br />
Träume. Er wollte hoch hinaus. Er wollte ein Ritter<br />
o<strong>der</strong> gar ein Prinz werden! Als er schlief <strong>und</strong> vom<br />
Laden seines Vaters träumte, sah er diesen in einen<br />
Palast verwandelt, <strong>des</strong>sen Räume vom Glanz verschiedenster<br />
Waffen strahlten. Und alle diese<br />
Waffen glänzten für ihn. Für ihn <strong>und</strong> seine Ritter.<br />
In seinen jugendlichen Träumen sah er sich selber<br />
als Eroberer <strong>der</strong> Welt.<br />
Der junge Franziskus war fasziniert vom Ruhm.<br />
Und Ruhm wurde zu jener Zeit im Krieg erworben.<br />
Genau zu dieser Zeit ergab sich für ihn eine solche<br />
Möglichkeit: gerade eben war ein Krieg zwischen<br />
Assisi <strong>und</strong> Perugia ausgebrochen, den beiden rivalisierenden<br />
Nachbarstädten. Franziskus schloss sich<br />
<strong>der</strong> Bürgermiliz von Assisi an.<br />
Er nahm an <strong>der</strong> Schlacht von Ponte San Giovanni<br />
teil. Doch <strong>der</strong> Kampf entschied sich zugunsten<br />
von Perugia. Franziskus kam in Gefangenschaft. Er<br />
verbrachte ein Jahr im feindlichen Gefängnis. Und<br />
als er nach Assisi zurückkehrte, war seine Ges<strong>und</strong>heit<br />
angeschlagen. Er wurde krank.<br />
Diese Krankheit, die lange dauerte <strong>und</strong> ihn zu<br />
Untätigkeit <strong>und</strong> Einsamkeit verurteilte, wurde zu<br />
einem Wendepunkt in seinem Leben. Franziskus<br />
überdachte sein Leben genau. Er spürte die Leere
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
seiner Jugendjahre. Er wurde sich ihrer Leichtfertigkeit<br />
bewusst.<br />
Als er wie<strong>der</strong> ges<strong>und</strong> geworden war, ließ er sich<br />
jedoch von seinen kriegerischen Ambitionen wie<strong>der</strong><br />
einholen <strong>und</strong> zusammen mit einem jungen Adligen<br />
von Assisi beschloss er, mit den päpstlichen Truppen<br />
gegen die kaiserliche Armee in Süditalien zu kämpfen.<br />
Doch <strong>der</strong> Plan währte nicht lange. Kaum war er<br />
in Spoleto angekommen, vernahm er eine innere<br />
Stimme, die ihn auffor<strong>der</strong>te, nach Assisi zurückzukehren.<br />
Franziskus gehorchte. Von jetzt an würde<br />
seine einzige Sorge darin bestehen, zu entdecken,<br />
was Gott von ihm wollte.<br />
Er zog sich freiwillig in die Einsamkeit <strong>der</strong> kleinen,<br />
verlassenen Kirchen in <strong>der</strong> Umgebung Assisis<br />
zurück. Vor allem nach San Damiano. Dort betete<br />
er st<strong>und</strong>enlang in <strong>der</strong> Betrachtung <strong>des</strong> byzantinischen<br />
Kreuzes. Dieser gekreuzigte Christus, <strong>der</strong> solchen<br />
Frieden ausstrahlte, brachte ihm die lebendige<br />
<strong>und</strong> überwältigende Offenbarung <strong>der</strong> Liebe Gottes<br />
für die Menschen. Und Franziskus ließ sich vollständig<br />
von <strong>der</strong> Tiefe <strong>und</strong> dem Glanz dieser Liebe<br />
ergreifen. Durch die Menschlichkeit Christi <strong>und</strong><br />
seine völlige Lebenshingabe entdeckte Franziskus<br />
die mitfühlende Art, mit <strong>der</strong> Gott die Menschen<br />
sieht. Und so sah auch er sie verän<strong>der</strong>t. Seine Welt<br />
hatte sich dem menschlichen Elend geöffnet.<br />
In seinem TESTAMENT erzählt Franziskus selbst von<br />
<strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden Umwandlung, die er erfuhr: „So<br />
hat <strong>der</strong> Herr mir, dem Bru<strong>der</strong> Franziskus, gegeben,<br />
das Leben <strong>der</strong> Buße zu beginnen: denn als ich in<br />
Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige<br />
zu sehen. Und <strong>der</strong> Herr selbst hat mich unter sie<br />
geführt, <strong>und</strong> ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen.<br />
Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das,<br />
was mir bitter vorkam, in Süßigkeit <strong>der</strong> Seele <strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> Leibes verwandelt“ (Test 1-3).<br />
Eine neue Qualität <strong>der</strong> Beziehung<br />
Verweilen wir einen Augenblick bei dieser Wandlung.<br />
Alles wuchs aus ihr heraus. Franziskus zögerte<br />
nicht, seine Bekehrung als eine neue Offenheit<br />
gegenüber den Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt zu bezeichnen.<br />
Sein Universum war aufgebrochen. Er wagte es<br />
nun, Männer <strong>und</strong> Frauen aufzusuchen, die er früher<br />
gemieden hätte, Menschen, die er nicht hatte sehen<br />
wollen <strong>und</strong> die er aus seiner Welt ausgeschlossen<br />
hatte.<br />
Es war nicht einfach ein Fall eines erweiterten<br />
Bekanntenkreises. Auch die Art, wie er seine Beziehungen<br />
pflegte, hatte sich verän<strong>der</strong>t. Von nun an<br />
sollten diese nicht mehr von Ehrgeiz, vom Wunsch<br />
nach Prestige <strong>und</strong> Eroberung veranlasst sein. Sie<br />
kamen aus einer an<strong>der</strong>en Quelle. Franziskus hatte<br />
die Barmherzigkeit entdeckt, mit <strong>der</strong> Gott auf die<br />
Menschen schaute. Und dieser barmherzige Blick<br />
stellte seine Welt auf den Kopf; seinen Wunsch nach<br />
Eroberung <strong>und</strong> Beherrschung verän<strong>der</strong>te Franziskus<br />
in eine Haltung <strong>des</strong> Mitfühlens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mitseins<br />
(<strong>der</strong> Communio). Seine Welt öffnete sich für die<br />
Ärmsten. Früher hatte er gelegentlich den Armen<br />
Almosen gegeben. Aber das geschah aus <strong>der</strong> Höhe<br />
seiner Position als reiches, junges Mitglied <strong>der</strong> sozialen<br />
Mittelklasse. Die Armen waren nicht Teil seiner<br />
vergoldeten Welt gewesen.<br />
Jetzt war eine Mauer gefallen. Franziskus sah die<br />
Welt an<strong>der</strong>s. Er entdeckte sie im Licht <strong>der</strong> übergroßen<br />
Liebe, die sich ihm gezeigt hatte: <strong>der</strong> Sohn<br />
Gottes hatte sich seiner Herrlichkeit entäußert,<br />
um einer von uns zu werden, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> aller, auch<br />
<strong>der</strong> Ausgegrenzten. Der Himmel hatte seinen Stolz<br />
verloren. Eine überwältigende Sicht, die in Franziskus<br />
eine neue Anwesenheit in <strong>der</strong> Welt wachrief.<br />
Er wollte sich nicht mehr über an<strong>der</strong>e erheben, über<br />
sie herrschen, son<strong>der</strong>n er wollte mit ihnen sein,<br />
geschwisterlich sein. Er wollte nicht mehr die Welt<br />
erobern, son<strong>der</strong>n alle Wesen willkommen heißen<br />
<strong>und</strong> mit ihnen in Kontakt treten. So wollte er in <strong>der</strong><br />
Nachfolge Christi <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> aller werden, beson<strong>der</strong>s<br />
<strong>der</strong> Geringsten <strong>und</strong> Ärmsten.<br />
Diese neue Präsenz in <strong>der</strong> Welt sollte dem ganzen<br />
Leben <strong>des</strong> Franziskus Inspiration <strong>und</strong> Orientierung<br />
sein. Im Augenblick aber machte sie ihn aufmerksam<br />
<strong>und</strong> bereit, das willkommen zu heißen, was<br />
Gott von ihm wollte.<br />
Eines Tages, als er in <strong>der</strong> Kapelle Unserer Lieben<br />
Frau von den Engeln in Portiunkula <strong>der</strong> Messe<br />
beiwohnte, hörte er den Text aus dem Evangelium,<br />
in dem <strong>der</strong> Meister seine Jünger zu ihrer Mission<br />
aussendet: „Nehmt we<strong>der</strong> Gold noch Silber mit …<br />
Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt: ‚Friede diesem<br />
Haus‘ …“ Das war <strong>der</strong> Moment <strong>der</strong> Erleuch-<br />
19
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
tung im Herzen <strong>des</strong> Franziskus. Er hatte seine Berufung,<br />
seine Sendung erkannt (1 Cel 22). Wie die<br />
Jünger sah er sich selbst als gesandt, den messianischen<br />
Frieden zu verkünden. Er würde zu den<br />
Menschen gehen „ohne Gold o<strong>der</strong> Silber o<strong>der</strong><br />
Geld“, ohne irgendein Zeichen von Macht o<strong>der</strong><br />
Reichtum, einzig mit <strong>der</strong> Sendung, den Frieden zu<br />
verkünden. „Der Herr hat mir geoffenbart“, schrieb<br />
er in seinem Testament, „dass wir als Gruß sagen<br />
sollten: ‚Der Herr gebe dir den Frieden‘“. Er trat<br />
nicht als Eroberer auf, son<strong>der</strong>n als Fre<strong>und</strong>, als Mann<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>. Und wo immer er hinging, bewirkte<br />
er „eine Umwandlung aller Feindschaft innerhalb<br />
<strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Schöpfung in eine geschwisterliche<br />
Spannung “. Er wollte ein Erbauer <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
sein, einer, <strong>der</strong> Gemeinschaft (Communio) zwischen<br />
den Wesen schafft, indem er mit allen „in<br />
großer Demut“ verkehrt.<br />
Botschafter <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
Nachdem er sich von heiligen Kriegen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Feudalherrschaft<br />
<strong>der</strong> Kirche abgewandt hatte, begann<br />
Franziskus umherzureisen <strong>und</strong> alle mit seinem<br />
Gruß zu grüßen „Friede <strong>und</strong> Heil“ (Pace e Bene). Er<br />
lud Männer <strong>und</strong> Frauen ein, sich zu versöhnen <strong>und</strong><br />
als Geschwister zu leben. Vor <strong>der</strong> ganzen Stadt, die<br />
sich auf dem Hauptplatz in Bologna versammelt<br />
hatte, stellte Franziskus in den Mittelpunkt seiner<br />
Rede die Pflicht, den Hass auszulöschen <strong>und</strong> einen<br />
neuen <strong>Friedens</strong>vertrag zu schließen. In Arezzo<br />
verjagte er die Dämonen <strong>der</strong> Zwietracht. Und als<br />
in seiner eigenen Stadt Assisi ein Konflikt zwischen<br />
dem Bischof <strong>und</strong> dem Bürgermeister ausbrach, ruhte<br />
er nicht, bis er die beiden Männer miteinan<strong>der</strong><br />
versöhnt hatte.<br />
„Jenen, die das Leben <strong>des</strong> Franziskus von Assisi,<br />
auch nur oberflächlich, charakterisieren wollen“,<br />
schrieb P. Lippert, „scheint es schon von Anfang an<br />
richtig, es als ein Leben <strong>der</strong> Liebe im heiligsten <strong>und</strong><br />
stärksten Sinn zu sehen.“ Tatsächlich war es aber<br />
nicht einfach die Liebe eines Menschen für seinesgleichen,<br />
son<strong>der</strong>n die Liebe Gottes für die Menschen,<br />
die von Franziskus Besitz ergriffen hatte <strong>und</strong><br />
die sich durch ihn in <strong>der</strong> ganzen Welt, wie die Sonne<br />
im Frühling, als eine Gemeinschaft <strong>und</strong> Frieden<br />
schaffende Kraft ausbreitete.<br />
20<br />
Und diese Kraft war ansteckend. Bald war Franziskus<br />
nicht mehr allein. Zehn, dann H<strong>und</strong>erte junger<br />
<strong>und</strong> weniger junger Menschen schlossen sich ihm<br />
an <strong>und</strong> wollten seinem Beispiel folgen. Wie zu<br />
einem Fest eilten sie zu ihm <strong>und</strong> seinem Ideal <strong>der</strong><br />
Armut. Denn am Ende dieses Weges stand die<br />
beglückende Erfahrung <strong>der</strong> Geschwisterlichkeit.<br />
Urheber von Geschwisterlichkeit<br />
Geschwisterlichkeit! Das war es, wonach sie Ausschau<br />
hielten. Sie war das Gesicht <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, den<br />
Franziskus verkündete. Eine große geschwisterliche<br />
Bewegung wuchs in seinem Gefolge. Diese Bewegung<br />
war die Antwort auf einen Wunsch <strong>und</strong> eine<br />
tiefe Sehnsucht jener Zeit. Die Idee <strong>des</strong> Zusammenschlusses<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Geschwisterlichkeit lag in <strong>der</strong> Luft.<br />
War es nicht diese Idee, zusammen mit dem<br />
Wunsch nach Freiheit, die den Aufstand <strong>des</strong> Bürgertums<br />
inspiriert hatte? Indem sie die Macht <strong>der</strong><br />
Feudalherren verwarfen <strong>und</strong> ihre Städte als freie<br />
Kommunen errichteten, strebten die Menschen in<br />
den Städten neue soziale Beziehungen an. Das Feudalregime<br />
kannte nur Beziehungen <strong>der</strong> Unterwerfung:<br />
Männer <strong>und</strong> Frauen waren immer Untergebene<br />
an<strong>der</strong>er Männer <strong>und</strong> Frauen. Die Kommune,<br />
wie <strong>der</strong> Name besagt, versprach soziale Beziehungen,<br />
die demokratischer, freier, geschwisterlicher<br />
sein würden. Jedenfalls war es das, was sich gewöhnliche<br />
Leute erhofften. Aber diese Hoffnung wurde<br />
bald enttäuscht.<br />
In den freien Kommunen ersetzte die Geldherrschaft<br />
<strong>der</strong> reichen Kaufleute die Herrschaft <strong>der</strong> Feudalherren.<br />
So entzündete die ursprüngliche franziskanische<br />
Bewegung in den Herzen <strong>der</strong> Armen von<br />
neuem die Hoffnung auf echte Geschwisterlichkeit.<br />
Was die Kommunen nicht zu verwirklichen vermochten,<br />
lebten Franziskus <strong>und</strong> seine Brü<strong>der</strong> im<br />
Licht <strong>des</strong> Evangeliums.<br />
Kleine Gemeinschaften, sowohl von Schwestern als<br />
auch von Brü<strong>der</strong>n, vermehrten sich rasch, zuerst in<br />
Italien <strong>und</strong> dann quer durch Westeuropa. Sie<br />
erschienen wie viele Zentren <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Versöhnung. Tatsächlich lebten die Brü<strong>der</strong> eine<br />
zweifache Geschwisterlichkeit: jene untereinan<strong>der</strong>
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
natürlich, aber auch jene mit an<strong>der</strong>en Männern <strong>und</strong><br />
Frauen, denen sie begegneten – <strong>und</strong> ganz beson<strong>der</strong>s<br />
mit den Ärmsten, den Geringsten. Keiner von<br />
ihnen durfte ein Herrscheramt ausüben (NbReg<br />
5,9). „Niemals dürfen wir uns danach sehnen, über<br />
an<strong>der</strong>en zu stehen“, sagte Franziskus, „son<strong>der</strong>n<br />
müssen vielmehr die Knechte <strong>und</strong> Untergebenen<br />
sein …“ (BrGl II, 47). Aus verschiedenen sozialen<br />
Schichten stammend, lernten die Brü<strong>der</strong>, mit<br />
gegenseitigem Respekt vor ihren Verschiedenheiten<br />
miteinan<strong>der</strong> zu leben. Eine solche Gemeinschaft<br />
hatte nichts mit Zwang zu tun. Für Franziskus war<br />
je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> ein individuelles Wesen, eine einzigartige<br />
Persönlichkeit. Geschwisterlichkeit konnte nur<br />
auf <strong>der</strong> Ehrfurcht vor Personen errichtet werden. Es<br />
war immer das Willkommen eines „Du“ in eine<br />
Atmosphäre <strong>des</strong> „Wir“.<br />
Wir können uns heute nicht vorstellen, wie revolutionär<br />
ein solches Projekt zu jener Zeit war. Wir<br />
müssen uns in Erinnerung rufen, dass die Kirche als<br />
ganze eine „Herrenkirche“ war: Der Bischof an <strong>der</strong><br />
Spitze einer Diözese <strong>und</strong> <strong>der</strong> Abt als Haupt eines<br />
Klosters waren wirkliche Feudalherren mit weltlicher<br />
Macht, die sich gelegentlich über ganze<br />
Regionen erstreckte. In diesem Kontext waren die<br />
zahlreichen franziskanischen Gemeinschaften, die<br />
überall in ganz Europa entstanden, wie ein frischer<br />
Wind. Sie waren eine neue Präsenz <strong>der</strong> Kirche in<br />
<strong>der</strong> Welt; eine Präsenz, die eine geschwisterliche<br />
Gemeinschaft schuf, in <strong>der</strong> die Unbedeutendsten<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft ihre Würde <strong>und</strong> ihren Platz wie<strong>der</strong><br />
entdeckten.<br />
Die universale Dimension<br />
<strong>der</strong> Menschheit<br />
Aber <strong>der</strong> Blick <strong>des</strong> Franziskus blieb nicht bei <strong>der</strong><br />
Christenheit stehen. Er sah viel weiter. Er wollte die<br />
ganze Menschheit zu einer weltweiten Gemeinschaft<br />
vereinigen. Zu jener Zeit war die Welt in zwei<br />
Blöcke geteilt: die westliche Christenheit auf <strong>der</strong><br />
einen Seite <strong>und</strong> <strong>der</strong> Islam auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n. Zwischen<br />
diesen beiden Blöcken herrschte Krieg, heiliger<br />
Krieg; es gab Kreuzzüge. Franziskus konnte diese<br />
Spaltung nicht zulassen. Er plante, zwischen den<br />
beiden Blöcken eine Brücke zu bauen. Die Zeit war<br />
nicht günstig für ein solches Unternehmen. Der<br />
fünfte Kreuzzug erreichte gerade seinen Höhepunkt.<br />
War das alles? Franziskus beschloss, zum<br />
Sultan von Ägypten zu reisen. Ein verrückter<br />
Traum. Und unglaublicherweise wurde Franziskus<br />
inmitten eines Kreuzzuges vom Sultan Al-Malik<br />
al-Kamil, dem Oberhaupt <strong>der</strong> Muslime, mit großer<br />
Höflichkeit empfangen. Die zwei Männer zeigten<br />
sich gegenseitig Respekt <strong>und</strong> Wertschätzung. Hätte<br />
man mehr erwarten können? Es war schon sehr viel.<br />
Sehr viel, aber zugleich nicht genug. Die <strong>Friedens</strong>mission<br />
<strong>des</strong> Armen von Assisi war an ihre Grenzen<br />
gestoßen.<br />
Die Erfahrung von Grenzen<br />
<strong>und</strong> von Abgründen<br />
Noch eine weitere Grenze sollte er zu spüren<br />
bekommen. Und diesmal innerhalb seines eigenen<br />
Ordens. Diese Grenze wird Franziskus schmerzlich<br />
<strong>und</strong> tief verw<strong>und</strong>en. Wir müssen ihm durch diese<br />
Prüfung hindurch folgen, durch die seine Gegenwart<br />
vor Gott <strong>und</strong> den Menschen zu einer neuen<br />
Tiefe gereinigt werden sollte. Daraus sollte ein neuer<br />
Mensch geboren werden, einer <strong>der</strong> stärksten <strong>und</strong><br />
wahrhaftigsten <strong>der</strong> menschlichen Geschichte.<br />
Tatsächlich war es nicht genug, Geschwisterlichkeit<br />
unter allen Wesen anzustreben, um die „Einheit <strong>der</strong><br />
Schöpfung“ zu finden. Franziskus musste lernen,<br />
diese Geschwisterlichkeit mit einem befriedeten<br />
Herzen zu ersehnen, einem Herzen, das sich durch<br />
nichts beunruhigen lässt. Kurz, mit dem Herzen<br />
eines Armen. Es war nicht genug zu lieben; er<br />
musste lernen arm zu sein, sogar in <strong>der</strong> Liebe.<br />
Das war die schwerste, aber auch die wichtigste<br />
Lernerfahrung. Der Wunsch, um jeden Preis Erfolg<br />
zu haben, ist selten mehr als Egoismus <strong>und</strong> Selbstliebe,<br />
auch wenn dies dem Zweck dient, Menschen<br />
zusammenzubringen. Dieser Wunsch erzeugt oft<br />
nur neue Ausgrenzung. Darum schwächt er das<br />
Leben eher als ihm zu dienen. An<strong>der</strong>erseits kann<br />
Leben hervorsprudeln, sich ausbreiten <strong>und</strong> in aller<br />
Freiheit schöpferisch sein, wo es frei ist von<br />
Selbstliebe.<br />
In den SCHRIFTEN <strong>des</strong> Franziskus sehen wir die<br />
Beharrlichkeit, mit <strong>der</strong> er gegen Erregung, Verärgerung<br />
<strong>und</strong> Zorn als den Haupthin<strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> Lie-<br />
21
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
be in sich selbst <strong>und</strong> in an<strong>der</strong>en angeht. Er sieht sie<br />
als untrügliche Zeichen einer besitzergreifenden<br />
Haltung, einer heimlichen <strong>und</strong> oft unbewussten<br />
Aneignung (Erm 4,2; 11,2.3; 13,2; 14,3; 27,2).<br />
Man mag sich rein, großzügig, selbstlos vorkommen.<br />
Bis zu dem Tag, an dem ein Wi<strong>der</strong>spruch o<strong>der</strong><br />
Disput aufkommt. Dann wird man aufgewühlt,<br />
verärgert <strong>und</strong> aggressiv. Die Maske fällt. Mit allen<br />
Waffen verteidigt man sein Gut, sein Territorium.<br />
Tatsächlich hat man sich dann das Gute angeeignet,<br />
das <strong>der</strong> Herr durch einen tun konnte: man hat es zu<br />
etwas Persönlichem gemacht.<br />
Wenn Franziskus sich so klar über Aufgewühltsein<br />
<strong>und</strong> Zorn äußerte, wenn er seinen Brü<strong>der</strong>n empfahl,<br />
den Frieden in ihren Herzen zu bewahren<br />
(Erm 15,13; 27,4; NbReg 11,4; 17,15; BReg 3,11;<br />
Sonn 10), so ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass<br />
er selbst durch Aufgewühltsein <strong>und</strong> Zorn versucht<br />
war. Und das auf die heimtückischste Weise: durch<br />
seine eigene Arbeit für Frieden <strong>und</strong> Geschwisterlichkeit.<br />
Durch seine eigene Anstrengung, unter den<br />
Menschen eine wahrhaft geschwisterliche Gemeinschaft<br />
„innerhalb <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Schöpfung“ zu<br />
schaffen.<br />
Erfolg schien ihm zuzulächeln. Die Zahl <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
nahm ständig zu. Päpste, einer nach dem an<strong>der</strong>en,<br />
zeigten gegenüber dem entstehenden Orden beson<strong>der</strong>es<br />
Wohlwollen. Franziskus hatte allen Gr<strong>und</strong>,<br />
dem Herrn zu danken für das Gute, das er überall<br />
bewirkte durch die heiligen Brü<strong>der</strong> seines Ordens.<br />
Aber dann verdunkelte sich <strong>der</strong> Himmel plötzlich.<br />
Es entstanden ernste Auseinan<strong>der</strong>setzungen innerhalb<br />
<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft. Wegen <strong>der</strong> wachsenden Zahl<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> wurde eine straffere Organisation<br />
notwendig. Ein gewisses Vagab<strong>und</strong>enleben musste<br />
beendet werden. Häuser <strong>und</strong> Zeiten für Ordensausbildung<br />
wurden notwendig. Nicht alle waren<br />
mit <strong>der</strong> neuen Richtung einverstanden. Franziskus<br />
erkannte wohl, dass fünftausend Brü<strong>der</strong> das Evangelium<br />
nicht in gleicher Weise leben konnten wie die<br />
ersten Zwölf. Aber er sah unter einigen einflussreichen<br />
Brü<strong>der</strong>n auch Anzeichen <strong>des</strong> Wunsches, die<br />
Bru<strong>der</strong>schaft den etablierteren monastischen Orden<br />
anzupassen. In den Augen <strong>des</strong> Franziskus war es<br />
jedoch vor allem notwendig, das Ideal <strong>der</strong> Einfachheit<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> evangelischen Freiheit zu erhalten,<br />
wie auch die neue Präsenz in <strong>der</strong> Welt unter dem<br />
Banner <strong>der</strong> geschwisterlichen Gemeinschaft mit den<br />
Geringsten.<br />
22<br />
Dann ergriff eine tiefe Angst Franziskus. Waren sie<br />
in dem Wunsch, die Bru<strong>der</strong>schaft anzupassen,<br />
nicht dabei, sie von ihrer ursprünglichen Berufung<br />
abzubringen? Er sah sein Werk gefährdet <strong>und</strong> von<br />
Leuten übernommen, die seinen Geist nicht<br />
wirklich teilten.<br />
Ein friedfertiger Mann<br />
Diese moralische Krise, die noch durch Krankheit<br />
verstärkt wurde, war für Franziskus <strong>der</strong> notwendige<br />
Weg zu einer radikalen Selbstentäußerung. „Er war<br />
innerlich <strong>und</strong> äußerlich bedrückt, in seiner Seele<br />
<strong>und</strong> in seinem Leib“ (LegPer 21; 1 Cel 104). Er zog<br />
sich in die Einsamkeit einer Einsiedelei zurück, um<br />
seinen Schmerz <strong>und</strong> sein Aufgewühltsein zu verbergen.<br />
Es bestand die Gefahr, dass er sich selbst in Isolation<br />
<strong>und</strong> Bitterkeit verschließen würde. Dort wartete<br />
Gott auf ihn. Franziskus war zu einer äußersten<br />
Läuterung aufgefor<strong>der</strong>t. Er musste sein Werk aufgeben,<br />
um selbst zum Werk Gottes zu werden. Er sollte<br />
den Orden nicht länger als seine Sache betrachten,<br />
son<strong>der</strong>n als die Sache Gottes. „Lass dich nicht<br />
erschüttern... Ich bin <strong>der</strong> Herr.“ Franziskus hörte<br />
den Ruf. Er warf seine Sorge auf den Herrn. Gott<br />
IST– das ist genug. Da wurde das Herz <strong>des</strong> Franziskus<br />
leicht.<br />
Von da an konnte er sich mit einem befriedeten<br />
Herzen seiner <strong>Friedens</strong>mission hingeben. Mit<br />
strahlen<strong>der</strong> Seele. Nicht die Gründung einer vorbildlichen<br />
Gemeinschaft war jetzt wichtig, son<strong>der</strong>n<br />
dass er selbst ein geschwisterlicher Mensch war,<br />
<strong>der</strong> die Güte Gottes ausstrahlte. Jetzt konnte Franziskus<br />
wirklich schreiben: „… Jene sind in Wahrheit<br />
friedfertig, die bei allem, was sie in dieser Welt<br />
erleiden, um <strong>der</strong> Liebe unseres Herrn Jesus Christus<br />
willen in Geist <strong>und</strong> Leib den Frieden bewahren“<br />
(Erm 15).<br />
Einem Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> für eine Gemeinschaft Verantwortung<br />
hatte <strong>und</strong> <strong>der</strong> Franziskus unter dem Vorwand,<br />
dass seine Mitbrü<strong>der</strong> ihm alle möglichen<br />
Unannehmlichkeiten verursachten <strong>und</strong> ihn so von<br />
<strong>der</strong> Liebe <strong>des</strong> Herrn abhielten, um Erlaubnis bat,<br />
sich in die Einsamkeit einer Einsiedelei zurückzuziehen,<br />
konnte Franziskus mit <strong>der</strong> Autorität antworten,<br />
die nur persönliche Erfahrung vermitteln
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
kann: „… Alles, was dich hin<strong>der</strong>t, Gott den Herrn<br />
zu lieben, <strong>und</strong> wer immer dir Schwierigkeiten<br />
machen mag, entwe<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, auch<br />
wenn sie dich schlagen sollten, alles musst du für<br />
Gnade halten … Und liebe jene, die dir solches<br />
antun. … Und darin liebe sie … Und dies soll dir<br />
mehr sein als eine Einsiedelei …“ (BrMin 2.7-8).<br />
Die Einheit <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Von da an konnte nichts den friedvollen Blick <strong>des</strong><br />
Franziskus begrenzen. Nichts konnte dem Wirken<br />
<strong>des</strong> Geistes in ihm entgegentreten. Er war frei wie<br />
<strong>der</strong> Wind. Er schrieb einen Brief „allen, die in <strong>der</strong><br />
ganzen Welt wohnen“ <strong>und</strong> wünschte ihnen „den<br />
wahren Frieden vom Himmel“ (BrGl II, 1). Nichts<br />
zeigt das Maß seines Horizonts besser. Aber er wollte<br />
nicht nur die Menschen im Frieden vereinen. Er<br />
wollte diesen Frieden auf die gesamte Schöpfung<br />
ausdehnen <strong>und</strong> die Menschen mit <strong>der</strong> Natur versöhnen.<br />
Dieser Wunsch nach einer geschwisterlichen<br />
Präsenz in <strong>der</strong> Welt findet seinen Ausdruck im<br />
SONNENGESANG o<strong>der</strong>, wie dieser auch genannt wird,<br />
im GESANG DER GESCHÖPFE.<br />
Dieser GESANG, den Franziskus im Abendlicht<br />
seines Lebens schuf, ist ein wahres geistliches Testament.<br />
Er ist Ausdruck einer großen Aufwallung <strong>des</strong><br />
Lobes. Der kleine Arme lobt Gott für alle seine<br />
Geschöpfe. Dieses Lob hat die Strahlkraft <strong>der</strong> Sonne,<br />
die milde Klarheit <strong>der</strong> Sterne, die Flügel <strong>des</strong><br />
Win<strong>des</strong>, die Demut <strong>des</strong> Wassers, die Kraft <strong>des</strong> Feuers<br />
<strong>und</strong> die Geduld <strong>der</strong> Erde. Es feiert die Schönheit<br />
<strong>der</strong> Welt. Dreimal wird das Adjektiv „schön“ in diesem<br />
Gesang wie<strong>der</strong>holt. Das kosmische Lob folgt<br />
<strong>der</strong> wahren Tradition <strong>der</strong> biblischen Gesänge <strong>und</strong><br />
Psalmen. Es beinhaltet jedoch auch etwas Neues:<br />
den Wunsch nach geschwisterlicher Gemeinschaft.<br />
Franziskus steht mit den Geschöpfen in einem<br />
geschwisterlichen Dialog. Er verwirft jeglichen<br />
Geist <strong>der</strong> Herrschaft <strong>und</strong> heißt alle Geschöpfe als<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern willkommen. Er sieht sie<br />
in ihrer höchsten Bestimmung. Mit ihnen erhebt<br />
er sich im Lobpreis zu Gott.<br />
Diese geschwisterliche Gemeinschaft mit den<br />
Geschöpfen ist we<strong>der</strong> Sentimentalität noch Träumerei.<br />
Sie wi<strong>der</strong>setzt sich nicht dem Gebrauch <strong>der</strong><br />
natürlichen Ressourcen <strong>und</strong> ihrer sinnvollen Ver-<br />
wendung durch Menschen. Man könnte sogar<br />
sagen, dass – gemäß dem Franziskus – materielle<br />
Elemente umso geschwisterlicher sind, je mehr sie<br />
für Menschen nützlich sind. Franziskus feiert die<br />
Nützlichkeit <strong>der</strong> Geschöpfe ebenso wie ihre Schönheit.<br />
Er begrüßt Schwester Wasser als „sehr nützlich“.<br />
Ähnlich Bru<strong>der</strong> Wind, <strong>des</strong>sen Atem Leben ist,<br />
o<strong>der</strong> unsere Schwester, Mutter Erde, die uns<br />
ernährt, indem sie viele Arten von Früchten hervorbringt.<br />
Aus dieser geschwisterlichen Gemeinschaft mit den<br />
Geschöpfen spricht eine große Liebe zum Leben,<br />
die mit <strong>der</strong> <strong>des</strong> Schöpfers zu seinem Werk verwandt<br />
ist <strong>und</strong> in sie einmündet. Von daher kam auch die<br />
religiöse Ehrfurcht <strong>des</strong> Franziskus vor allem, was<br />
lebt <strong>und</strong> existiert. Seinen Brü<strong>der</strong>n, die zum Holzhacken<br />
in den Wald gingen, empfahl er, keine<br />
Wüste zu hinterlassen, son<strong>der</strong>n dem Leben die<br />
Möglichkeit zu geben, von neuem in neuem Blätterwerk<br />
auszuschlagen. Er verurteilte alle menschliche<br />
Gier, welche die Erde plün<strong>der</strong>t <strong>und</strong> Leben<br />
quält. Wie oft schenkte er Tieren, die unnötig<br />
gefangen worden waren, ihre Freiheit zurück!<br />
23
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
Über jeden Konflikt erhaben<br />
Jene, die mit den Geschöpfen geschwisterlich umgehen,<br />
öffnen sich zugleich all dem, was diese<br />
Geschöpfe darstellen. Sie akzeptieren geschwisterlich<br />
jenen dunklen Teil in sich selbst, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Erde verwurzelt ist: mit ihrem Körper <strong>und</strong> mit all<br />
ihren Lebenskräften. Franziskus verwarf nichts,<br />
son<strong>der</strong>n bezog alles in seine Hinwendung zu Gott<br />
ein. Sein geistliches Leben spielte sich nicht in<br />
einem separaten Universum ab. Er ging zu Gott mit<br />
seinen kosmischen Wurzeln, mit seiner „Schwester,<br />
Mutter Erde, die uns ernährt <strong>und</strong> lenkt.“ Alle<br />
Dualität war überw<strong>und</strong>en. Die dunklen Kräfte<br />
<strong>des</strong> Lebens waren hier verwandelt. Sie wurden zu<br />
Kräften <strong>des</strong> Lichts. Sie hatten das Furchterregende<br />
verloren. Der Wolf war gezähmt. Nicht nur <strong>der</strong><br />
Wolf, <strong>der</strong> in den Wäl<strong>der</strong>n umherstreifte, son<strong>der</strong>n<br />
auch <strong>und</strong> vor allem jener, <strong>der</strong> in jedem von uns verborgen<br />
ist. Die Aggressivität <strong>des</strong> Lebens war umgewandelt<br />
in die Kraft zu lieben. Diese Kraft ist es, die<br />
in „Bru<strong>der</strong> Feuer“ singt, das die Nacht erleuchtet:<br />
„es ist schön <strong>und</strong> liebenswürdig <strong>und</strong> kraftvoll <strong>und</strong><br />
stark“ (Sonn 8).<br />
Wer mit sich selbst im Frieden ist, kann sich mit<br />
all seinen Artgenossen verschwistern. Franziskus<br />
wollte seinem Schöpfungsloblied auch das Lob <strong>der</strong><br />
Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong> anfügen. Diese preist er als die krönende<br />
Herrlichkeit <strong>des</strong> Schöpfungswerkes:<br />
„Gepriesen seist du, mein Herr,<br />
durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen<br />
<strong>und</strong> Schwachheit ertragen <strong>und</strong> Drangsal.<br />
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,<br />
denn von dir, Erhabenster, werden sie gekrönt.“<br />
24<br />
Der SONNENGESANG ist die Sprache eines Menschen,<br />
<strong>der</strong> offen ist gegenüber seinem ganzen Sein,<br />
neu geboren als eine vollendete Persönlichkeit, in<br />
<strong>der</strong> die Kräfte <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Begehrens integriert<br />
sind. Sie sind zu Kräften <strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
Lichtes geworden. Das gab dem geistlichen Leben<br />
<strong>des</strong> Franziskus zusätzlich zu seiner Fülle eine sonnengleiche<br />
Strahlkraft.<br />
Franziskus entdeckte den leuchtenden Sinn <strong>der</strong><br />
Schöpfung durch die innere Erfahrung eines neuen<br />
Werdens. „Er schien,“ schrieb Celano „wirklich ein<br />
neuer Mensch zu sein <strong>und</strong> aus einer an<strong>der</strong>en Welt<br />
zu stammen“ (1 Cel 82). Sein SONNENGESANG<br />
ist nicht nur eine volltönende Ehrbezeugung<br />
gegenüber dem Schöpfer, er ist auch die Feier <strong>des</strong><br />
Werdens. Er besingt die neue Schöpfung im Herzen<br />
<strong>des</strong> geschwisterlichen Menschen. Das Geheimnis<br />
dieser göttlichen Morgendämmerung ist die Armut,<br />
die Franziskus lebte, nicht nur hinsichtlich <strong>der</strong><br />
Güter dieser Welt, son<strong>der</strong>n noch tiefer im Herzen<br />
seiner Beziehung zu Gott. Indem er Gott Gott sein<br />
ließ <strong>und</strong> sich selbst ihm ganz übergab, identifizierte<br />
er sich mit <strong>der</strong> totalen <strong>und</strong> liebenden Präsenz<br />
<strong>des</strong> Schöpfers in seinem Werk.<br />
Eloi Leclerc <strong>OFM</strong>
■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />
Min<strong>der</strong>sein,<br />
Option für die Armen<br />
<strong>und</strong> unsere Arbeit<br />
für den Frieden<br />
1. Bewusstwerdung<br />
Armut war immer schon Teil <strong>des</strong> franziskanischen<br />
Charisma. Franziskus selbst ruft häufig diese unsere<br />
Berufung mit den Worten in Erinnerung: „dass wir<br />
die Armut <strong>und</strong> Demut <strong>und</strong> das heilige Evangelium<br />
unseres Herrn Jesus Christus beobachten, wie wir<br />
fest versprochen haben“ (BReg 12,4). Das Verständnis<br />
<strong>und</strong> die Praxis <strong>des</strong> franziskanischen Lebens<br />
nach dem Evangelium haben sich jedoch mit <strong>der</strong><br />
Zeit verän<strong>der</strong>t. Angefangen von <strong>der</strong> päpstlichen<br />
Erklärung über die Beobachtung <strong>der</strong> Regel<br />
(QUO ELONGATI, 1230, von Gregor IX.) bis zu<br />
unseren vorkonziliaren Generalkonstitutionen, lag<br />
<strong>der</strong> Hauptakzent auf <strong>der</strong> buchstabengetreuen Erfüllung<br />
<strong>der</strong> Regel nach einer juristisch-moralischen<br />
Interpretation. Gr<strong>und</strong>sätzlich bestand Armut darin,<br />
kein Eigentum zu besitzen <strong>und</strong> nur begrenzt von<br />
Dingen Gebrauch zu machen, d.h. immer mit<br />
Erlaubnis <strong>des</strong> Provinzials o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Guardians. Es<br />
gab eine Unterscheidung zwischen Gelübde <strong>und</strong><br />
Tugend, aber beide Aspekte hatten dieselbe Sichtweise:<br />
das Ordensleben als ein Weg <strong>der</strong> christlichen<br />
Vollkommenheit innerhalb eines objektiven,<br />
institutionellen Rahmens.<br />
Was geschah sogleich nach dem Zweiten Vatikanischen<br />
Konzil? Anfänglich glaubten wir, es sei nichts<br />
weiter zu tun, als einige Punkte <strong>der</strong> Regelbeobachtung<br />
neu anzupassen. Jetzt sind wir uns bewusst,<br />
dass <strong>der</strong> Orden einen schwierigen Prozess, eine radikale<br />
Neugeburt o<strong>der</strong> Neuschöpfung seiner eigenen<br />
Identität durchläuft.<br />
So wollen wir über MINDERSEIN reden:<br />
Es genügt nicht, die Vorschriften <strong>und</strong> Anregungen<br />
<strong>der</strong> Regel zu beobachten. Vielmehr geht es um die<br />
Frage <strong>der</strong> Option für die Armen.<br />
Strenge genügt nicht. Wir müssen einen Lebensstil<br />
entwickeln, <strong>der</strong> uns in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft<br />
zu „Min<strong>der</strong>en“ macht.<br />
Der Gebrauch von Dingen im Gehorsam gegenüber<br />
den Vorgesetzten genügt nicht. Vielmehr sind<br />
wir berufen, <strong>Gerechtigkeit</strong> zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Boten<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu sein.<br />
Es genügt nicht, nach <strong>der</strong> Vollkommenheit <strong>des</strong><br />
Armutsgelüb<strong>des</strong> Ausschau zu halten. Wir müssen<br />
einen Weg entdecken, die Seligpreisungen <strong>des</strong><br />
Gottesreiches heute in einer Welt <strong>der</strong> Konflikte, <strong>der</strong><br />
Ungerechtigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Säkularisierung zu leben.<br />
Zweifellos ist Min<strong>der</strong>sein eine geistliche Haltung,<br />
aber es ist auch eine Art, das Evangelium zu leben.<br />
Geschieht das wirklich?<br />
2. Analyse<br />
Es scheint, dass zwei Faktoren diese Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Sichtweise beeinflussen:<br />
A. Neues kirchliches Bewusstsein<br />
Wir können von einer neuen „Verschiebung“ <strong>der</strong><br />
evangelischen Akzente sprechen. Jede Epoche liest<br />
das Evangelium neu; heute setzt man folgende<br />
bedeutsamen Schwerpunkte:<br />
1. Die Heilsgeschichte ist Handeln Gottes zugunsten<br />
<strong>der</strong> Armen. Das Reich Gottes,<br />
die Gute Nachricht für die Verachteten.<br />
Messianische Bevorzugung <strong>und</strong> Optionen von<br />
seiten Jesu.<br />
2. Wenn dies Gottes Art <strong>des</strong> Handelns ist <strong>und</strong><br />
<strong>des</strong>halb auch die Sendung <strong>der</strong> Kirche in <strong>der</strong><br />
Nachfolge Jesu, was ist dann die Bedeutung<br />
<strong>des</strong> Ordenslebens heute? Besteht Nachfolge<br />
Christi, das Herzstück unserer Berufung – in<br />
einer persönlichen Beziehung; in <strong>der</strong> Übernahme<br />
<strong>der</strong> Haltungen Jesu <strong>und</strong> seiner Tugenden<br />
nach Art asketischer Übungen ohne Bezug zur<br />
Geschichte? – o<strong>der</strong> sind wir berufen, den Fußspuren<br />
Jesu, <strong>der</strong> Dynamik <strong>des</strong> Gottesreiches<br />
in den aktuellen Situationen unserer Welt zu<br />
folgen?<br />
25
■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />
3. Es gibt Anzeichen, die diese Verschiebung<br />
bestätigen:<br />
■ die Theologie <strong>des</strong> Gottesreiches als<br />
integrale, nicht ausschließlich spirituelle<br />
Befreiung;<br />
■ die Suche nach einem Kirchenmodell, das<br />
mehr auf Mitbestimmung <strong>und</strong> Gleichheit<br />
beruht;<br />
■ die Schaffung <strong>und</strong> Festigung von Basisgemeinschaften;<br />
■ das ständige Bemühen von Seiten <strong>der</strong><br />
Ordensgemeinschaften um eine Präsenz<br />
unter den ärmeren Schichten <strong>und</strong> in<br />
Randgebieten („Fraternitäten“);<br />
■ die Ausbreitung dieser sogenannten<br />
„Fraternitäten“;<br />
■ die Teilnahme am Kampf um die Wahrung<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte;<br />
■ die Annahme <strong>des</strong> Prinzips <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit<br />
als Methode für sozio-politische<br />
Verän<strong>der</strong>ung.<br />
B. Sozio-kultureller Kontext<br />
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nimmt die<br />
Kirche eine positive Haltung ein in Bezug auf die<br />
Welt <strong>und</strong> ihre Hoffnungen. Seit einiger Zeit hat die<br />
menschliche Geschichte einen Prozess <strong>der</strong> Selbstbefreiung<br />
eingeleitet, <strong>der</strong> gewisse bezeichnende<br />
Merkmale angenommen hat:<br />
1. Je<strong>der</strong> Mensch hat eine unveräußerliche Würde<br />
<strong>und</strong> Rechte, die von je<strong>der</strong> zivilen o<strong>der</strong> religiösen<br />
Autorität respektiert werden müssen. Das erste<br />
Recht ist jenes auf Freiheit, seine eigene<br />
Geschichte zu gestalten.<br />
2. Gleichheit <strong>und</strong> Solidarität sind unwi<strong>der</strong>rufliche<br />
Werte menschlichen Fortschritts. Es besteht ein<br />
Verdacht, dass in je<strong>der</strong> Ungleichheit eine Ungerechtigkeit<br />
wohnt. Eine Haltung <strong>der</strong> Teilnahme<br />
an sozialen <strong>und</strong> politischen Verän<strong>der</strong>ungen.<br />
3. Ein Gespür für Menschengruppen, welche<br />
die Freiheit nicht erlangen können: das „Proletariat”,<br />
Menschen aus ehemaligen Kolonien,<br />
Frauen, die Dritte Welt <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Gruppen.<br />
Diese weitverbreitete Bewegung, die zur westlichen<br />
Mo<strong>der</strong>ne gehört, war anfänglich charakterisiert<br />
durch einen überschwenglichen Optimismus, wurde<br />
aber bald zu einer Quelle von Wi<strong>der</strong>sprüchen,<br />
die Konflikte auslösten. (Zum Beispiel die Konfrontation<br />
zwischen dem liberalen Kapitalismus <strong>und</strong><br />
26<br />
dem Sozialismus). Später hat sie eine tiefe Ernüchterung<br />
hinsichtlich jeden Versuchs einer sozialen<br />
Utopie (Postmo<strong>der</strong>ne) hervorgerufen.<br />
Innerhalb <strong>des</strong> Ordenslebens heute stellen wir eine<br />
an<strong>der</strong>e Bewertung <strong>des</strong> sozialen Engagements fest.<br />
Aber es ist sicher, dass unser Orden in den gegenwärtigen<br />
GG.CC. viele Aspekte <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Humanismus integriert hat. Die Kapitel IV <strong>und</strong> V<br />
zeigen das sehr klar. Das bedeutet, dass wir Franziskaner<br />
eine Abklärung <strong>des</strong> sozio-kulturellen Kontextes,<br />
in dem wir heute leben, vorgenommen <strong>und</strong><br />
daraus gewisse Optionen abgeleitet haben, weil wir<br />
überzeugt sind, dass sie dem ursprünglichen „Evangeliums-Projekt“<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Bewegung<br />
entsprechen.<br />
Tatsächlich glauben wir, dass Min<strong>der</strong>sein, insoweit<br />
es einen neuen Weg nach vorn aufzeigt, wie ihn<br />
viele Brü<strong>der</strong> spüren <strong>und</strong> wie ihn die GG.CC. umschreiben,<br />
Franziskus <strong>und</strong> seinem Projekt treu<br />
entspricht, obwohl es vielleicht „Regel <strong>und</strong> Leben“<br />
nicht buchstäblich wie<strong>der</strong>gibt.<br />
3. Im Licht von Leben <strong>und</strong> Regel<br />
Die Regula Bullata 3,10-14 zeigt eine Synthese<br />
<strong>der</strong> Charakteristika <strong>der</strong> franziskanischen Sendung:<br />
„Ich rate aber meinen Brü<strong>der</strong>n, warne <strong>und</strong> ermahne<br />
sie im Herrn Jesus Christus, sie sollen, wenn sie<br />
durch die Welt gehen, nicht streiten, noch sich in<br />
Wortgezänk einlassen (vgl. 2 Tim 2,14), noch<br />
an<strong>der</strong>e richten. Vielmehr sollen sie milde, friedfertig<br />
<strong>und</strong> bescheiden, sanftmütig <strong>und</strong> demütig sein <strong>und</strong><br />
anständig reden mit allen, wie es sich gehört. Und<br />
sie dürfen nicht reiten, falls sie nicht durch offenbare<br />
Not o<strong>der</strong> Schwäche gezwungen werden.<br />
Kommen sie in ein Haus, sollen sie zuerst sagen:<br />
‚Friede diesem Hause‘ (vgl. Lk 10,5). Und nach<br />
dem heiligen Evangelium soll es erlaubt sein, von<br />
allen Speisen zu essen, die ihnen vorgesetzt werden<br />
(vgl. Lk 10,8).“<br />
Zusammengefasst heißt das also, dass die franziskanische<br />
Sendung in unserem Min<strong>der</strong>sein besteht,<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Text unterstreicht die großen Themen,<br />
die sich aus dieser Sendung <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins ableiten.
■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />
3.1. Sendung <strong>und</strong> Unterwegssein.<br />
Franziskanisches Leben ist keine „Mischung“, d.h.<br />
eine Art Gleichgewicht zwischen Kontemplation<br />
<strong>und</strong> Aktion im Stil <strong>der</strong> regulierten Kleriker jener<br />
Zeit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> späteren halb-monastischen Lebensformen.<br />
Unser Kloster ist die ganze weite Welt <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong> Gottes, unserer Geschwister (SC 63); unser<br />
Haus ist die Brü<strong>der</strong>gemeinschaft. Folglich hat unsere<br />
Sendung keine konkrete Funktion zu erfüllen,<br />
wie z.B. Predigt, Fürsorge, Erziehung, Werke <strong>der</strong><br />
Barmherzigkeit im Rahmen einer gut organisierten<br />
Institution. Wir sollen in einem ständigen Zustand<br />
<strong>des</strong> Gesandtseins leben. Dazu ist eine Lebensweise<br />
ohne festgelegtes Eigentum eine Hilfe.<br />
3.2. Sendung <strong>und</strong> Einglie<strong>der</strong>ung.<br />
Wir brauchen Beweglichkeit, wie Jesus, <strong>der</strong> nichts<br />
hatte, „wo er sein Haupt hinlegen“ konnte<br />
(Lk 9,58). Min<strong>der</strong>sein macht uns mit den Geringsten<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft solidarisch (vgl. NbReg 9).<br />
So geschah unsere Erlösung, „von innen her“, die<br />
menschliche Situation annehmend <strong>und</strong> das Verlorene<br />
suchend (BrGl II, 45; Erm 6; 9; 11).<br />
3.3. Sendung <strong>und</strong> Seligpreisungen.<br />
Die Wechselbeziehung zwischen den Evangelientexten,<br />
die sich auf Mission beziehen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bergpredigt<br />
ist nicht willkürlich. Warum hat Franziskus<br />
das franziskanische Apostolat als ein Leben bezeichnet,<br />
das sich auf die Selig-preisungen Jesu gründet?<br />
Die Antwort ist klar: Die Brü<strong>der</strong> sind zu den<br />
Menschen gesandt, um „Min<strong>der</strong>e“ zu sein. Das ist<br />
<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, warum das Beispiel Priorität vor dem<br />
kirchlichen Amt hat – nicht als Ausschluss, son<strong>der</strong>n<br />
als bewusster Vorzug. Das Dringlichste für das<br />
Reich Gottes ist, dass es unter den Völkern Wirklichkeit<br />
wird, dass die Brü<strong>der</strong> Jünger Jesu werden<br />
<strong>und</strong> ihn durch das Zeugnis ihres Lebens verkünden<br />
(BrOrd 9;Test 19; LegPer 58; 103).<br />
3.4. Sendung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />
Der ganze christliche Dienst kann im Begriff<br />
<strong>der</strong> Versöhnung zusammengefasst werden<br />
(2 Kor 5; Eph 2); aber die Option <strong>des</strong> Franziskus<br />
liegt darin, dass er diese durch gewaltloses Verhalten<br />
verständlich machen will, das lieber Ungerechtigkeit<br />
erleidet als Spaltungen schafft <strong>und</strong> sich auf<br />
jene Liebe verlässt, die uneingeschränkt wartet<br />
<strong>und</strong> erträgt; mit an<strong>der</strong>n Worten, die den Fußspuren<br />
Jesu folgt, <strong>der</strong> unsere Sünden trug (Erm 5; 15;<br />
VollFreud; NbReg 16; 22,1-4; BReg 10,7-12;<br />
Test 23).<br />
In Wirklichkeit ist dieser Prozess in <strong>der</strong> Berufung<br />
<strong>des</strong> Franziskus untrennbar mit <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Armut<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> Leidens verb<strong>und</strong>en. Die Lebensbeschreibung<br />
seiner Gefährten stellt fest, dass sein Mitgefühl<br />
für die Notleidenden seiner Bekehrung vorausging.<br />
Die entscheidenden Schritte in jener Bekehrung<br />
waren geprägt von einem fortschreitenden<br />
Sicheinfügen in den Zustand <strong>der</strong> Unglücklichsten:<br />
<strong>der</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettler. Trotz <strong>der</strong> betont<br />
spirituellen Interpretation, welche die Biographen<br />
<strong>der</strong> Vision vor dem Kruzifix von San Damiano<br />
gaben, müssen wir diese ohne Zweifel in Zusammenhang<br />
sehen mit dem Bewusstsein, das<br />
Franziskus gewonnen hatte, dem Bewusstsein <strong>der</strong><br />
Identifikation in <strong>der</strong> Nachfolge <strong>des</strong> armen <strong>und</strong><br />
demütigen Jesus, <strong>der</strong> den Lebensstil <strong>der</strong> „Min<strong>der</strong>en“<br />
geteilt hatte (DreiGef 3; 11-14; 2 Cel 8-12;<br />
Test 1-5).<br />
Die franziskanische Bewegung war im Kontext<br />
sozialer Ausgrenzung <strong>und</strong> im Dienst an den Niedrigen<br />
geboren worden. Das ursprüngliche Projekt<br />
<strong>und</strong> Leben, nämlich die nichtbestätigte Regel, setzt<br />
das als wesensgemäße <strong>und</strong> entschiedene Option<br />
voraus (2,7; 7,1; 7,13-14; 8,8-11; 9,2; 11). Trotz<br />
Neuinterpretation einiger Anekdoten hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Armut, die uns Celano hinterlassen hat, ist<br />
dies offensichtlich doch die ursprüngliche Inspiration:<br />
die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> helfen den Armen<br />
nicht karitativ, sie identifizieren sich mit ihnen<br />
(2 Cel 84-85; 87; 92). Es ist klar, dass es Franziskus<br />
angesichts <strong>der</strong> Verantwortung, seinen Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
dem zahlenmäßigen <strong>und</strong> kirchlichen Aufblühen<br />
<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft zu dienen, kaum möglich war, sich<br />
seiner bevorzugten Sendung zu widmen. Aber er<br />
beharrt doch mit Nachdruck auf dem Prinzip <strong>des</strong><br />
Min<strong>der</strong>seins: dass die Brü<strong>der</strong> ohne die Erlaubnis <strong>des</strong><br />
Bischofs nicht predigen dürfen o<strong>der</strong> wenn es ihnen<br />
irgendein Priester verbot; dass sie niedrige Tätigkeiten<br />
im pastoralen Dienst o<strong>der</strong> körperliche Arbeit<br />
wählen sollen. Ihre Rolle ist es nicht, irgend etwas<br />
zu besitzen, son<strong>der</strong>n „Buße zu tun“ <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>e<br />
zu sein (BReg 9; Test 7-8; LegPer 20; 58; 2 Cel 146-<br />
147; Test 24-26).<br />
27
■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />
4. Im Licht <strong>der</strong> Generalkonstitutionen<br />
Obwohl es fremd anmuten mag, passt die Bedeutung,<br />
die das Thema Min<strong>der</strong>sein in unserer gegenwärtigen<br />
Lebensregel, den Generalkonstitutionen<br />
angenommen hat, direkter zur ursprünglichen<br />
franziskanischen Bewegung als zu einer Regelbeobachtung,<br />
bei <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>sein auf eine Askese<br />
<strong>der</strong> Armut reduziert ist.<br />
Da das Thema weitläufig ist <strong>und</strong> es später unter<br />
seinen spezifischen Aspekten behandelt werden<br />
wird, wollen wir uns hier darauf beschränken, skizzenhaft<br />
die Dynamik zu umschreiben, welche die<br />
GG.CC. zur gegenwärtigen Erneuerung <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Berufung zum Min<strong>der</strong>sein beitragen.<br />
1. Die Definition unseres Charismas (Art. 1,2)<br />
behandelt Min<strong>der</strong>sein als ein gestalten<strong>des</strong> Element<br />
in <strong>der</strong> Nachfolge Christi, das eng verb<strong>und</strong>en<br />
ist mit Evangelisierung durch Engagement<br />
für Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />
2. Das Gelübde <strong>der</strong> Armut wird nicht nur im juristisch-moralischen<br />
o<strong>der</strong> asketischen Sinn, son<strong>der</strong>n<br />
als Teilhabe am Los <strong>der</strong> Armen verstanden<br />
(Art. 8).<br />
3. Der Geist <strong>der</strong> Buße/Umkehr wurzelt nicht nur<br />
im inneren Sein, son<strong>der</strong>n auch im Dienst an<br />
den Geringsten <strong>der</strong> Menschen (Art. 32).<br />
4. Unsere Nachfolge Jesu ist eine Nachfolge <strong>des</strong><br />
Min<strong>der</strong>seins, als Jünger, welche die Seligpreisungen<br />
<strong>des</strong> Gottesreiches in <strong>der</strong> Welt leben:<br />
als Diener aller, sich unterordnend, friedlich<br />
<strong>und</strong> demütig (Art. 64). Wir wollen die Aussage<br />
in BReg 3 („sie sollen durch die Welt gehen“)<br />
beachten, die ein Leben voraussetzt, das nicht<br />
auf Klostergebäude festgelegt ist.<br />
28<br />
5. Art. 65 gibt die theologische Basis unseres<br />
Min<strong>der</strong>seins, ohne die je<strong>der</strong> Lebensentwurf <strong>und</strong><br />
je<strong>des</strong> Engagement für die Armen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
beeinträchtigt ist.<br />
6. Die Berufung zum Min<strong>der</strong>sein wird praktisch<br />
ausgestaltet, indem das Leben <strong>und</strong> die Bedingungen<br />
<strong>der</strong> Geringen in <strong>der</strong> Gesellschaft angenommen<br />
werden.<br />
7. Diese Dynamik <strong>der</strong> „Inkarnation“ darf nicht<br />
verwechselt werden mit unkritischer Annahme<br />
von weltlichen Werten (Art. 67).<br />
8. Die Option für Lebensformen, die als „Präsenz“<br />
bezeichnet werden (<strong>und</strong> die nicht eigens<br />
gerechtfertigt werden müssen durch spezifische<br />
Aufgaben: vgl. Art. 83-84), gehört zur Sendung<br />
für Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Das erste Zeichen<br />
franziskanischer Treue ist das Prinzip <strong>der</strong><br />
Gewaltlosigkeit (Art. 68-69). Dies setzt ein<br />
Herz voraus, das auf das Evangelium ausgerichtet<br />
ist <strong>und</strong> versöhnt mit allen Menschen <strong>und</strong><br />
mit <strong>der</strong> Schöpfung (Art. 70-71).<br />
So ist dies eine Dynamik <strong>des</strong> Zeugnisses <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
Handelns, getragen von <strong>der</strong> gleichen Evangeliums-<br />
Erfahrung <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins. Es gibt noch viele an<strong>der</strong>e<br />
Beispiele in den Kapiteln IV <strong>und</strong> V <strong>der</strong> GG.CC.,<br />
welche die Dynamik <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins ergänzen <strong>und</strong><br />
bestätigen. Die aufgezählten mögen jedoch genügen,<br />
um uns die Herausfor<strong>der</strong>ungen bewusst zu<br />
machen, welche die gegenwärtigen Generalkonstitutionen<br />
für das franziskanische Leben im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
darstellen.<br />
Javier Garrido <strong>OFM</strong>
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung in<br />
Evangelisierung <strong>und</strong><br />
Ordensausbildung<br />
Evangelisierung <strong>und</strong> GFBS<br />
Das Wort „Evangelisierung“ war in katholischen<br />
Kreisen bis zur Publikation von EVANGELII NUNTI-<br />
ANDI nicht gebräuchlich. Dieses Schreiben hatte<br />
Papst Paul VI. aus Anlass <strong>des</strong> 10. Jahrestages <strong>des</strong><br />
Abschlusses <strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils im<br />
Jahr 1975 veröffentlicht. Im Jahrzehnt vor dem<br />
Zweiten Vatikanischen Konzil <strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong><br />
Entchristlichung <strong>des</strong> Westens hatten einige europäische<br />
Theologen, darunter Karl Barth, eine kerygmatische<br />
Theologie gefor<strong>der</strong>t: eine überzeugte Verkündigung<br />
<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>botschaft <strong>der</strong> Erlösung durch<br />
den Glauben an Jesus Christus. Die Predigten von<br />
Petrus <strong>und</strong> Paulus, wie sie in <strong>der</strong> Apostelgeschichte<br />
nie<strong>der</strong>geschrieben sind, wurden für diese Basis-<br />
Evangelisierung als Musterbeispiele verwendet.<br />
Das Zweite Vatikanische Konzil, ein vorwiegend<br />
„pastorales“ Konzil, baute auf dieser Erfahrung<br />
europäischer, katholischer <strong>und</strong> protestantischer<br />
Pastoraltheologen auf <strong>und</strong> betonte eine am Evangelium<br />
orientierte Ausdrucksweise. Ein Vergleich mit<br />
dem Ersten Vatikanischen Konzil ist aufschlussreich;<br />
dieses verwendete das Wort „Evangelium“ nur<br />
ein einziges Mal <strong>und</strong> die Wörter „evangelisieren“<br />
o<strong>der</strong> „Evangelisierung“ überhaupt nicht.<br />
Demgegenüber verwendete das Zweite Vatikanische<br />
Konzil das Wort „Evangelium“ 157 mal, „evangelisieren“<br />
18 mal <strong>und</strong> „Evangelisierung“ 31 mal.<br />
Das Konzept Paul VI. zu „Evangelisierung“ ist<br />
breiter als das <strong>der</strong> kerygmatischen Theologen, die<br />
darunter die „erste Verkündigung“ verstanden, <strong>der</strong><br />
dann Katechese folgte. Für Paul VI. ist Evangelisierung<br />
die „Gnade <strong>und</strong> … tiefste Identität <strong>der</strong> Kirche;<br />
sie IST DA, UM ZU EVANGELISIEREN, d.h. um zu<br />
predigen <strong>und</strong> zu unterweisen, Mittlerin <strong>des</strong><br />
Geschenkes <strong>der</strong> Gnade zu sein, die Sün<strong>der</strong> mit Gott<br />
zu versöhnen, das Opfer Christi in <strong>der</strong> heiligen<br />
Messe immer gegenwärtig zu setzen“ (EN 14).<br />
Evangelisierung verkündet „Heil“, das – <strong>und</strong> das<br />
ist sehr wichtig für unser Thema – verstanden<br />
wird als „dieses große Gottesgeschenk, das in <strong>der</strong><br />
BEFREIUNG VON ALLEM, WAS MENSCHEN UNTER-<br />
DRÜCKT (im offiziellen lateinischen Text LIBERATIO<br />
AB IIS OMNIBUS QUIBUS HOMO OPPRIMITUR) <strong>und</strong><br />
beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Befreiung von <strong>der</strong> Sünde <strong>und</strong> vom<br />
Bösen, in <strong>der</strong> Freude, Gott zu erkennen <strong>und</strong> von<br />
ihm erkannt zu werden, ihn zu schauen <strong>und</strong> ihm<br />
anzugehören“ (EN 9). Während alle die letzten Sätze<br />
dieser Beschreibung von Heil akzeptieren, sind<br />
nicht alle davon begeistert, dass Heil als „Befreiung<br />
von allem, was Menschen unterdrückt“ gesehen<br />
wird. Trotzdem steht diese Auslegung in Einklang<br />
mit <strong>der</strong> biblischen <strong>und</strong> christlichen Tradition.<br />
Der Exodus war, zum Beispiel, kein „rein geistliches“<br />
Ereignis – er war auch, <strong>und</strong> das sehr stark,<br />
ökonomische, soziale, politische <strong>und</strong> kulturelle<br />
Befreiung. Auch wenn Heil nicht damit identisch<br />
ist, beinhaltet es dennoch die Befreiung von entmenschlichen<strong>der</strong><br />
Armut, die H<strong>und</strong>erte von Millionen<br />
Menschen in unserer heutigen Welt bedrückt.<br />
Sehr früh in <strong>der</strong> Geschichte Israels erklärt Gott seinen<br />
liebenden Plan: „Denn <strong>der</strong> Herr wird dich reich<br />
segnen in dem Land, das <strong>der</strong> Herr, dein Gott, dir als<br />
Erbbesitz gibt ... Du sollst deinem notleidenden<br />
<strong>und</strong> armen Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> in deinem Land lebt, deine<br />
Hand öffnen“ (Dtn 15,4.11), – etwas, das nur dann<br />
geschehen kann, wenn <strong>der</strong> Reichtum, den Gott<br />
geschaffen hat, gleichmäßig unter alle Söhne <strong>und</strong><br />
Töchter Gottes verteilt ist.<br />
Ähnlich schreibt Paulus an die Korinther: was<br />
Reichtum anbelangt, sollte ein gewisser Ausgleich<br />
unter euch geschehen (vgl. 2 Kor 8,13f). Trotzdem<br />
wächst die Kluft zwischen reich <strong>und</strong> arm, <strong>und</strong> wir<br />
müssen das als dem Plan Gottes entgegengesetzt<br />
ansehen. Tatsächlich bedroht diese wachsende Kluft<br />
„die Zukunft <strong>der</strong> Menschheit“ (OCTOGESIMA<br />
ADVENIENS, 7). Da die Anzahl <strong>der</strong> hoffnungslos<br />
29
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />
armen Menschen dramatisch ansteigt (denken wir<br />
zum Beispiel an die Millionen von Flüchtlingen),<br />
müssen wir uns daran erinnern, dass Evangelisierung<br />
„eine Botschaft über die Befreiung“ beinhaltet,<br />
„die in unseren Tagen beson<strong>der</strong>s eindringlich ist“<br />
(EN 29). Für das Gottesreich zu arbeiten „bedeutet<br />
arbeiten zur Befreiung vom Übel in allen seinen<br />
Formen“ (Redemptoris Missio, 15). Von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />
Wichtigkeit für den Dienst an GFBS ist die<br />
nachdrückliche Lehre <strong>der</strong> Bischofssynode von 1971:<br />
Tätigkeit für den Frieden <strong>und</strong> Teilnahme an <strong>der</strong><br />
Neugestaltung <strong>der</strong> Welt erscheinen uns als unverzichtbare<br />
Dimension <strong>der</strong> Verkündigung <strong>des</strong> Evangeliums<br />
o<strong>der</strong>, mit an<strong>der</strong>n Worten, <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong><br />
Kirche zum Heil <strong>des</strong> Menschengeschlechtes <strong>und</strong> zu<br />
seiner Befreiung von je<strong>der</strong> unterdrückenden Situation.<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Neugestaltung <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> Befreiung von Unterdrückung<br />
– all das gehört zur Sendung <strong>der</strong> Kirche.<br />
Eine Spiritualität, die so „überweltlich“ ist, dass<br />
sie sich nicht um <strong>Gerechtigkeit</strong>, Befreiung <strong>und</strong><br />
Umgestaltung <strong>der</strong> Welt kümmert, ist absolut<br />
ungenügend <strong>und</strong> unbiblisch. In einer überraschend<br />
offenen Aussage stellte die Bischofssynode von 1987<br />
fest: „Der Heilige Geist hilft uns, immer klarer zu<br />
verstehen, dass Heiligkeit heute nicht erreicht<br />
werden kann, ohne Engagement für <strong>Gerechtigkeit</strong>.“<br />
Sich nicht für <strong>Gerechtigkeit</strong> engagieren heisst, nicht<br />
in <strong>der</strong> Heiligkeit zu wachsen! Aus genau diesem<br />
Gr<strong>und</strong> gehört die christliche Soziallehre „wesentlich<br />
zum Sendungsauftrag <strong>der</strong> Glaubensverkündigung …<br />
<strong>und</strong> (ist) ein unverzichtbarer Bestandteil <strong>der</strong> Neu-<br />
Evangelisierung“ (CENTESIMUS ANNUS, 5).<br />
Der Kern <strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre ist die „vorrangige<br />
Option für die Armen“, eine Option<br />
„für welche die ganze kirchliche Tradition Zeugnis<br />
ablegt“ (SOLLICITUDO REI SOCIALIS, 42). Der<br />
hl. Franziskus fiel durch sein Eintreten für diese<br />
Option in seiner Predigt <strong>und</strong> in seinem Leben auf.<br />
In seinem TESTAMENT erklärt er, dass <strong>der</strong> Herr ihn<br />
zu den Ärmsten <strong>der</strong> Armen geführt habe – zu den<br />
Aussätzigen, die er so eifrig gemieden hatte. Damals<br />
erhielt Franziskus die Gnade, das, was bitter o<strong>der</strong><br />
süß ist, neu zu definieren – eine w<strong>und</strong>erbare<br />
Beschreibung für Bekehrung. Der gegenwärtigen<br />
päpstlichen Lehre ähnlich, betrachtete Franziskus<br />
die den Armen geleistete Hilfe als ein Anliegen<br />
30<br />
<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>: „Das Almosen ist das Erbe<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> gerechte Anteil, <strong>der</strong> den Armen zusteht,<br />
den unser Herr Jesus Christus uns erworben hat“<br />
(NbReg 9,8).<br />
Frieden<br />
Nachdem <strong>der</strong> junge Franziskus zunächst danach<br />
gestrebt hatte, ein Ritter für den Krieg zu werden,<br />
wurde er nach seiner Bekehrung <strong>der</strong> eifrigste För<strong>der</strong>er<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>und</strong> das zu einer Zeit, da nicht nur<br />
die „Welt“, son<strong>der</strong>n auch die Kirche sich in die<br />
Gewalt flüchtete – z.B. in den Kreuzzügen. Die<br />
früheste franziskanische Bewegung war bekannt als<br />
„eine Delegation <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (1 Cel 29). Franziskus<br />
behauptete, dass Gewalt die Herzen <strong>der</strong> Dämonen<br />
erfreute, <strong>und</strong> liess daher über <strong>der</strong> zerstrittenen<br />
Stadt Arezzo den Exorzismus beten, denn er sah<br />
Gewalt als ein Zeichen teuflischer Besessenheit an<br />
(vgl. 2 Cel 108). Franziskus war überzeugt, dass<br />
<strong>der</strong> Herr ihm den <strong>Friedens</strong>gruß geoffenbart hatte;<br />
in seinen Schriften sind die Laster, vor denen er am<br />
meisten warnt, jene, die den Frieden im eigenen<br />
Herzen <strong>und</strong> in an<strong>der</strong>en zerstören: Arroganz, Habsucht,<br />
Überheblichkeit, Eitelkeit, Eifersucht, üble<br />
Nachrede, Weigerung zu verzeihen. Auf seinem<br />
Sterbebett versöhnte Franziskus zwei bittere Feinde,<br />
den Bischof <strong>und</strong> den Bürgermeister <strong>der</strong> Stadt Assisi.<br />
Er war ein <strong>Friedens</strong>stifter bis zum Ende; sterbend<br />
stiftete er noch Frieden. Der „Geist von Assisi“ ist<br />
ein Geist <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>; darum lud Papst Johannes<br />
Paul II. die religiösen Führer <strong>der</strong> Welt zum gemeinsamen<br />
Gebet für den Frieden nach Assisi ein.<br />
Der hl. Franziskus spricht zu uns heute gerade so,<br />
wie er seine ersten Gefährten eindringlich mahnte:<br />
„Wie ihr mit dem M<strong>und</strong> den Frieden verkündet, so,<br />
<strong>und</strong> noch mehr, sollt ihr ihn in eurem Herzen festhalten.<br />
Niemand soll durch euch zu Zorn o<strong>der</strong><br />
Zank gereizt, vielmehr sollen alle durch eure Sanftmut<br />
zu Friede, Güte <strong>und</strong> Eintracht aufgefor<strong>der</strong>t<br />
werden. Denn dazu seid ihr berufen, Verw<strong>und</strong>ete zu<br />
heilen, Gebrochene zu verbinden <strong>und</strong> Verirrte<br />
zurückzurufen“ (DreiGef 58).<br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns daran,<br />
dass wir die „Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ lesen müssen, um<br />
unsere Sendung zu erfüllen. „Zeichen <strong>der</strong> Zeit“<br />
kann also „Zeichen <strong>des</strong> Geistes“ heißen, weil diese<br />
auf die vielen Weisen hindeuten, in denen Gottes
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />
Geist in Kirche <strong>und</strong> Welt gegenwärtig <strong>und</strong> tätig ist,<br />
<strong>und</strong> weil sie uns neue Ebenen <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />
erschließen. Die ökologische Bewegung ist eines <strong>der</strong><br />
Zeichen unserer Zeit. Immer mehr Menschen sehen<br />
die Sorge für die Umwelt als eine Sache <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> kommenden Generationen<br />
gegenüber <strong>und</strong> können dem Urteil von Papst Johannes<br />
Paul II. leicht zustimmen: „Die ökologische<br />
Krise ist ein moralisches Problem“ (Botschaft vom<br />
8. Dezember 1989).<br />
Ein bedeuten<strong>der</strong> Wissenschaftler, Mitglied <strong>der</strong><br />
Päpstlichen Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften, vertritt<br />
die Ansicht, dass „wir das Genesis-Vertrauen vergewaltigt<br />
haben. Wir haben uns durch das Konzept<br />
<strong>der</strong> Beherrschung <strong>und</strong> Unterwerfung fortreißen<br />
lassen <strong>und</strong> das Konzept <strong>des</strong> Sorgetragens verloren.<br />
Die Art <strong>und</strong> Weise, wie wir die Welt behandeln, ist<br />
nicht haltbar. Unsere klare Verpflichtung weiterhin<br />
durch ein Verhalten zu umgehen, das oft nichts<br />
an<strong>der</strong>es zu sein scheint als das unermüdliche Streben<br />
nach materiellem Wohlstand, muss allmählich<br />
für jeden moralisch empfindenden Menschen als<br />
unhaltbar erkannt werden“. Übertriebener Konsum<br />
<strong>und</strong> Verschwendung, beson<strong>der</strong>s in den reichen<br />
Län<strong>der</strong>n, sind die Hauptursachen <strong>der</strong> Umweltzerstörung.<br />
Das ist ein Aufruf zu ernsthafter Umkehr.<br />
Als Franziskaner haben wir nicht die wissenschaftliche<br />
Sachkompetenz, um die ökologische Krise zu<br />
lösen, aber wir haben die franziskanische Sicht <strong>der</strong><br />
Ehrfurcht vor allem Geschaffenen, <strong>und</strong> diese Haltung<br />
ist <strong>der</strong> Schlüssel zur Lösung <strong>der</strong> Umweltkrise.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> schlagen heute viele Wissenschaftler<br />
eine Partnerschaft zwischen Religion <strong>und</strong><br />
Wissenschaft vor, damit die ökologische Bewegung<br />
eine „Seele“ haben kann.<br />
Der heilige Bonaventura drückt die mystische<br />
Schöpfungssicht <strong>des</strong> Franziskus sehr schön aus:<br />
Durch alle Dinge zur Liebe Gottes hingelenkt, freute<br />
er sich an allem, was <strong>der</strong> Herr geschaffen hatte,<br />
<strong>und</strong> von diesen Freude bringenden Zeichen erhob<br />
er sich zu ihrem lebensspendenden Urgr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
Ursprung. In schönen Dingen sah er die Schönheit<br />
selbst, <strong>und</strong> durch seine Spuren in <strong>der</strong> Schöpfung<br />
folgte er seinem Geliebten überallhin <strong>und</strong> machte<br />
so alle Dinge zu einer Leiter, auf <strong>der</strong> er hinaufsteigen<br />
<strong>und</strong> Ihn umfangen konnte, <strong>der</strong> unendlich<br />
begehrenswert ist. (LegMai IX,1). In einem ein-<br />
fachen Satz drückt Bonaventura die Sicht <strong>des</strong><br />
Franziskus wie seine eigene aus: „Je<strong>des</strong> Geschöpf<br />
ist ein Wort Gottes, denn es spricht von Gott“<br />
(KOMMENTAR ZUM PREDIGER). Aus offensichtlichen<br />
Gründen erklärte Papst Johannes Paul II. in seinem<br />
Schreiben INTER SANCTOS PRAECLAROSQUE VIROS<br />
(29. November 1979) den hl. Franziskus zum<br />
Patron jener, die sich <strong>der</strong> Sorge um die Umwelt<br />
widmen. Die aufrüttelnde Herausfor<strong>der</strong>ung von<br />
Papst Johannes Paul II. kann diesen Abschnitt<br />
passend abschließen: „Wir rufen nochmals aus:<br />
Habt Ehrfurcht vor dem Menschen, <strong>der</strong> ein Abbild<br />
Gottes ist! Evangelisiert, damit dies Wirklichkeit<br />
wird, damit <strong>der</strong> Herr die Herzen verwandeln <strong>und</strong><br />
politische <strong>und</strong> ökonomische Systeme menschlich<br />
machen möge“ (Puebla 1979).<br />
Franziskanische Ausbildung<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden, <strong>und</strong> Ökologie<br />
Unsere Generalkonstitutionen (Art.126f) erinnern<br />
uns daran, dass ALLE Brü<strong>der</strong> in Ausbildung sind.<br />
Der Unterschied besteht nicht zwischen Brü<strong>der</strong>n<br />
„in Ausbildung“ <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>n „außerhalb <strong>der</strong><br />
Ausbildung“, son<strong>der</strong>n zwischen solchen in einführen<strong>der</strong><br />
Ausbildung (vom Tag an, da ein Mann<br />
als Kandidat aufgenommen wird, bis zum Tag <strong>der</strong><br />
feierlichen Profess) <strong>und</strong> solchen, die in ständiger<br />
Fortbildung sind (vom Tag <strong>der</strong> feierlichen Profess<br />
bis zum Tod). Ständige Fortbildung wird gesehen<br />
als „Weggeleit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> für ihr ganzes Leben“<br />
(ITINERARIUM TOTIUS VITAE) (Art. 135). So verstanden<br />
ist unsere ständige Fortbildung eng verwandt<br />
mit <strong>der</strong> ständigen Bekehrung unseres Lebens als<br />
„Männer <strong>der</strong> Buße“ (DreiGef 37). Wir werden<br />
ermuntert, wie Franziskus zu sein, wie ihn Thomas<br />
von Celano <strong>und</strong> <strong>der</strong> hl. Bonaventura, als „immer<br />
neu“, „immer am Neuanfang“, SEMPER NOVUS,<br />
SEMPER INCHOANS beschreiben (vgl. ANALECTA<br />
FRANCISCANA X, S. 80, 222, 366, 577, 621). Franziskus<br />
ermuntert uns weiterhin, wie er im Angesicht<br />
seines nahen To<strong>des</strong> seine ersten Gefährten ermunterte:<br />
„Brü<strong>der</strong>, nun wollen wir anfangen, Gott dem<br />
Herrn zu dienen; denn bis jetzt haben wir kaum,<br />
sogar wenig – nein, gar keinen Fortschritt gemacht“<br />
(1 Cel 103). Unsere franziskanische Vision kann<br />
immer mehr verblassen, gerade so, wie ein Feuer<br />
langsam erlöschen kann, wenn es nicht ständig neu<br />
31
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />
entzündet wird. So erinnerte <strong>der</strong> hl. Paulus seinen<br />
Schüler Timotheus: ENTFACHE die Gnade Gottes<br />
wie<strong>der</strong>“, die in dir ist (2 Tim 1,6). Wenn die Gabe –<br />
in unserem Fall die franziskanische Sicht radikalen<br />
Lebens nach dem Evangelium – nicht geschätzt <strong>und</strong><br />
genährt wird, kann sie verlorengehen. Wir haben<br />
zwei Optionen: Wachstum o<strong>der</strong> Rückgang;<br />
Fortschritt o<strong>der</strong> Stagnation. Ständige Fortbildung/<br />
Bekehrung ist <strong>der</strong> Pfad zu Fortschritt <strong>und</strong> Wachstum.<br />
Dieses Verständnis von ständiger Fortbildung als<br />
lebenslangem Prozess wird durch Johannes Paul II.<br />
bekräftigt: „Je<strong>des</strong> Leben ist ein unablässiger Weg auf<br />
weitere Reifung hin, <strong>und</strong> diese vollzieht sich durch<br />
beständige Ausbildung. ... Es gibt heutzutage keinen<br />
Beruf, kein Engagement, keine Arbeit, die nicht<br />
eine beständige Bemühung um ein Leben im Heute<br />
erfor<strong>der</strong>te, wenn man aktuell <strong>und</strong> wirkungsvoll<br />
sein möchte.“ Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist ständige Fortbildung<br />
„heute beson<strong>der</strong>s dringlich, nicht nur aufgr<strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> rasanten gesellschaftlichen <strong>und</strong> kulturellen<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Völker, …,<br />
son<strong>der</strong>n auch wegen <strong>der</strong> ,Neu-Evangelisierung’, die<br />
den wesentlichen <strong>und</strong> unaufschiebbaren Auftrag <strong>der</strong><br />
Kirche am Ende <strong>des</strong> zweiten Jahrtausends darstellt“<br />
(PASTORES DABO VOBIS, 70).<br />
„Neu-Evangelisierung braucht neue Verkün<strong>der</strong>“<br />
(Ebd. 82). Wie oben gesagt, diese Neu-Evangelisierung<br />
– die auch wir als unseren „wesentlichen <strong>und</strong><br />
unaufschiebbaren Auftrag“ ansehen müssen -–<br />
„muss zu ihren wesentliches Bestandteilen die<br />
Verkündigung <strong>der</strong> Soziallehre <strong>der</strong> Kirche zählen“<br />
(CENTESIMUS ANNUS, 5). Wir können diese Lehre<br />
nicht verkündigen, wenn wir sie nicht gut kennen;<br />
Studium <strong>und</strong> Vertiefung <strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre<br />
ist eine gr<strong>und</strong>legende For<strong>der</strong>ung für unsere ständige<br />
Fortbildung (Vgl. GG.CC. Art. 96). Diese Lehre,<br />
ein wirklicher Aufruf zur Umkehr, wurde vom<br />
Zweiten Vatikanischen Konzil für die ganze Kirche<br />
formuliert, beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Pastoralkonstitution<br />
GAUDIUM ET SPES <strong>und</strong> in zahlreichen päpstlichen<br />
Enzykliken. Bischofskonferenzen haben einen<br />
äußerst wertvollen Dienst geleistet, indem sie die<br />
universale Soziallehre in die Situationen ihrer je<br />
eigenen Kontinente <strong>und</strong> Län<strong>der</strong> übersetzt haben.<br />
Beson<strong>der</strong>s bemerkenswert unter diesen Anstrengungen<br />
waren die Vollversammlungen <strong>der</strong> Lateinamerikanischen<br />
Bischofskonferenz (CELAM), vor<br />
32<br />
allem die zweite, die in Medellin 1973 stattgef<strong>und</strong>en<br />
hat.<br />
Medellin brachte neue Lebenskraft in einen großen<br />
Teil <strong>der</strong> lateinamerikanischen Kirche <strong>und</strong> gab ihr<br />
eine neue Richtung: die „vorrangige Option für die<br />
Armen“. Ein fünf Jahrh<strong>und</strong>erte alter Weg in Lateinamerika<br />
„Kirche zu sein“ (in Verbindung mit<br />
den Oligarchien <strong>und</strong> herrschenden Klassen,<br />
während man Wohltätigkeit, „Caritas“ für die<br />
Armen predigte) fand in Medellin ein Ende <strong>und</strong> ein<br />
neuer, mehr dem Evangelium gemäßer Weg wurde<br />
geboren. Medellin ist ein glänzen<strong>des</strong> Beispiel von<br />
ständiger Fortbildung <strong>und</strong> Umkehr, für die Kirche<br />
eines ganzen Kontinents <strong>und</strong> stellt so eine Gnade<br />
nicht nur für Lateinamerika, son<strong>der</strong>n auch für die<br />
Gesamtkirche dar. (Interessanterweise prägte<br />
Medellin in seiner Botschaft an die Völker Lateinamerikas<br />
den Ausdruck „Neu-Evangelisierung“,<br />
<strong>der</strong> seither unzählige Male gebraucht wurde, vor<br />
allem von Johannes Paul II.). Eine wichtige Lektion,<br />
die wir von Medellin lernen können, vor allem<br />
für den Bereich <strong>der</strong> Fortbildung in Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Ökologie, ist die Bedeutung<br />
<strong>der</strong> Erfahrung. Auf jener Konferenz wendeten<br />
die lateinamerikanischen Bischöfe die induktive<br />
Methode an, d.h. sie begannen nicht mit dem<br />
Studium abstrakter Gr<strong>und</strong>sätze, son<strong>der</strong>n mit einer<br />
Analyse <strong>der</strong> gelebten Erfahrung von Millionen von<br />
Armen in Lateinamerika. Sie machten sich die<br />
Worte <strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils zu eigen:<br />
„Freude <strong>und</strong> Hoffnung, Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong><br />
Menschen von heute, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong><br />
Bedrängten aller Art, sind auch Freude <strong>und</strong><br />
Hoffnung, Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong> Jünger Christi“<br />
(GS 1).<br />
Auch <strong>der</strong> heilige Franziskus wurde nicht durch das<br />
Lesen von Büchern über den Aussatz bekehrt, son<strong>der</strong>n<br />
durch seine Erfahrung, als er unter die Aussätzigen<br />
ging <strong>und</strong> ihnen diente (vgl. Test. 2). Es war<br />
jene gelebte Erfahrung, die ihn dazu führte, das,<br />
was für ihn bitter o<strong>der</strong> süß war, neu zu definieren.<br />
Er wollte, dass seine Brü<strong>der</strong> eine ähnliche Erfahrung<br />
<strong>und</strong> eine ähnlich Bekehrung erlebten. Die Brü<strong>der</strong><br />
„müssen sich freuen, wenn sie mit gewöhnlichen<br />
<strong>und</strong> verachteten Leuten verkehren, mit Armen <strong>und</strong><br />
Schwachen <strong>und</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettlern am<br />
Wege“ (NbReg 9,2). Bücher <strong>und</strong> Artikel zu lesen<br />
<strong>und</strong> Vorlesungen über Armut, Hunger, Heimat-
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />
losigkeit, über die Übel von Gewalt <strong>und</strong> Umweltzerstörung<br />
anzuhören, mag hilfreich <strong>und</strong> sogar<br />
nötig sein. Wir müssen gut informiert sein, um diese<br />
Themen kompetent anzugehen. Aber die Erfahrung<br />
<strong>des</strong> Lebens mit den Armen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit mit<br />
an<strong>der</strong>en, die sich <strong>der</strong> Suche nach einer christlichen<br />
Lösung <strong>der</strong> entwürdigenden Armut, <strong>der</strong> Probleme<br />
<strong>der</strong> Gewalt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umweltzerstörung widmen, ist<br />
noch wichtiger für unsere ständige Bekehrung <strong>und</strong><br />
Weiterbildung. „Der Mensch unserer Zeit glaubt<br />
mehr den Zeugen als den Lehrern, mehr <strong>der</strong> Erfahrung<br />
als <strong>der</strong> Lehre, mehr dem Leben <strong>und</strong> den Taten<br />
als den Theorien“ (REDEMPTORIS MISSIO, 42).<br />
Alle Brü<strong>der</strong> sollten, zumin<strong>des</strong>t gelegentlich, die<br />
Erfahrung direkter Betroffenheit in Diensten<br />
machen, die sich mit <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung befassen. Ein glückliches<br />
Ergebnis einer solchen Erfahrung könnte sehr wohl<br />
sein, dass wir anfangen, diesen Aspekten in unserer<br />
Arbeit, worin immer diese bestehen mag, mehr<br />
Gewicht zu geben. So können wir diese Erfahrung<br />
auch ins Bewusstsein <strong>der</strong> Menschen bringen, denen<br />
wir dienen, <strong>und</strong> so auch ihre ständige Umkehr för<strong>der</strong>n,<br />
damit wir zusammen mit ihnen wirksamer<br />
das Kommen <strong>des</strong> Reiches Gottes auf Erden för<strong>der</strong>n.<br />
Das ist beson<strong>der</strong>s wichtig in unserer Jugendarbeit,<br />
denn mit ihrer Energie <strong>und</strong> ihrer Begeisterungsfähigkeit<br />
sind junge Menschen berufen, ihren eigenen,<br />
einzigartigen <strong>und</strong> notwendigen Beitrag zu<br />
leisten zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Werte <strong>des</strong> Gottesreiches.<br />
Junge Menschen, die in sozio-kultureller Analyse<br />
geschult sind, werden die Gr<strong>und</strong>übel <strong>der</strong> sozialen<br />
Probleme, die unsere Welt plagen, besser verstehen<br />
<strong>und</strong> ihre Energien zu <strong>der</strong>en Überwindung einsetzen.<br />
Obwohl Belehrung über friedliche Lösung von<br />
Konflikten für alle gut ist, so ist diese doch beson<strong>der</strong>s<br />
wichtig für junge Menschen, die so oft Opfer<br />
<strong>der</strong> Gewalt werden <strong>und</strong> leicht versucht sind, ebenfalls<br />
auf Gewalt zurückzugreifen. Zusammenfassend<br />
schlagen wir drei Schritte vor:<br />
Zusammenfassung<br />
Gebet<br />
Obwohl die Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Ökologie oft als „weltliche Belange“ angesehen<br />
werden (<strong>und</strong> viele ehrliche „weltliche“ Humanisten<br />
interessieren), nehmen wir sie als Männer <strong>des</strong><br />
Glaubens wahr. Betende Vertiefung in Schrifttexte,<br />
die von diesen Themen sprechen, ist von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />
Bedeutung, denn wir suchen vor allem,<br />
darin Gottes Plan für seine Schöpfung zu entdecken<br />
<strong>und</strong> auszuführen. Das Gebet zum Heiligen Geist ist<br />
beson<strong>der</strong>s notwendig, denn <strong>der</strong> Geist ist immer <strong>der</strong><br />
„Haupt-Handelnde“ im gesamten Werk <strong>der</strong> Evangelisierung.<br />
In <strong>der</strong> Liturgiekonstitution (35,4) empfiehlt<br />
das Zweite Vatikanische Konzil Wortgottesdienste,<br />
die auch Bibel-Vigilien genannt werden.<br />
Unsere Generalkonstitutionen (22,2) empfehlen<br />
das gleiche, sowohl in unseren Gemeinschaften als<br />
auch mit an<strong>der</strong>n Menschen. Solche Gottesdienste<br />
zu den Themen <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung könnten leicht zusammengestellt<br />
werden mit Hilfe <strong>der</strong> biblischen Texte im<br />
Lektionar für die Messe um <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden. Zusätzlich zu den Bibeltexten behandeln<br />
auch viele franziskanische Quellen, sowohl frühe<br />
als auch mo<strong>der</strong>ne, diese Themen. Obwohl keine<br />
entsprechenden Votivmesstexte für Ökologie<br />
existieren, können doch leicht viele biblische Texte<br />
gef<strong>und</strong>en werden, die sich mit „Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung“ befassen, z.B. Gen 1; 2,4-7.15; 9,8-17;<br />
Lev 25,23-24; Psalmen 8; 65; 104; 147; 148; Joh<br />
1,1-5; Röm 8,18-25; Kol 1,15-23; Offb 21,1-5.<br />
Unter den vielen franziskanischen Quellen ist <strong>der</strong><br />
Sonnengesang <strong>des</strong> hl. Franziskus beson<strong>der</strong>s<br />
erwähnenswert.<br />
Studium <strong>und</strong> Reflexion<br />
In seinem Schreiben TERTIO MILLENNIO ADVENI-<br />
ENTE (36) stellte <strong>der</strong> Papst eine herausfor<strong>der</strong>nde<br />
Frage: „Wie viele Christen kennen die Weisungen<br />
<strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre gründlich <strong>und</strong> praktizieren<br />
sie konsequent?“ Diese Worte laden uns, beson<strong>der</strong>s<br />
die Brü<strong>der</strong>, die mit dem Predigt- <strong>und</strong> Lehrdienst<br />
betraut sind, zu einer ernsten Gewissenserforschung<br />
ein. Wie gut kennen wir selber die katholische<br />
Tradition über die bedrängenden Fragen hinsichtlich<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung? Ist unser Denken wirklich katholisch:<br />
„denken wir global <strong>und</strong> handeln lokal“? Wie wichtig<br />
sind uns diese bedrängenden Fragen in unserem<br />
Dienst? Wenn die Menschen, denen wir dienen,<br />
großenteils die katholische Sozialehre nicht kennen,<br />
liegt <strong>der</strong> Fehler oft bei uns. Wir müssen uns daran<br />
erinnern, dass die „Neu-Evangelisierung“, die<br />
so dringend <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>holt von Papst Johannes<br />
Paul II. für das neue Jahrtausend gefor<strong>der</strong>t wurde,<br />
33
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />
„zu ihren wesentliches Bestandteilen die VERKÜNDI-<br />
GUNG DER SOZIALLEHRE DER KIRCHE zählen“ muss<br />
(CENTESIMUS ANNUS, 5). Diese Lehre, <strong>der</strong>en<br />
Prinzipien weltweite Gültigkeit haben, muss in den<br />
konkreten Gegebenheiten je<strong>des</strong> einzelnen Kontinents<br />
<strong>und</strong> Lan<strong>des</strong>, <strong>und</strong> je<strong>des</strong> einzelnen Ortes<br />
„Fleisch annehmen“. Solche konkrete Anwendungen<br />
setzen aber auch Fachwissen als Frucht von Studium,<br />
Reflexion <strong>und</strong> sozio-kultureller Analyse voraus.<br />
In diesem Zusammenhang müssen wir die<br />
Wichtigkeit <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Laien unterstreichen, weil<br />
die praktische Lösung <strong>der</strong> Probleme auf den Gebieten<br />
von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie beinahe<br />
ausschließlich in <strong>der</strong> Kompetenz <strong>und</strong> dem<br />
guten Willen <strong>der</strong> Laien liegen. Für uns stellt sich die<br />
Frage: Bilden wir ein christliches soziales Gewissen<br />
in den Laien, denen wir dienen? Der Weg <strong>der</strong> Laien<br />
zur Heiligkeit liegt nicht in einer monastischen<br />
FUGA MUNDI, son<strong>der</strong>n bedeutet Leben in <strong>der</strong> Welt,<br />
das <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong> diesseitigen Ordnung<br />
gewidmet ist, damit diese dem Plan Gottes entspricht.<br />
Papst Johannes XXIII. sagte: „Niemand soll<br />
sich <strong>des</strong>halb dem eitlen Wahn hingeben, die eigene<br />
geistliche Vervollkommnung <strong>und</strong> die irdische Alltagsarbeit<br />
wi<strong>der</strong>sprächen einan<strong>der</strong>. Und es soll niemand<br />
meinen, man müsse sich den Werken <strong>des</strong> zeitlichen<br />
Lebens notwendigerweise entziehen, um<br />
nach christlicher Vollkommenheit zu streben; …<br />
Es entspricht durchaus dem Plan <strong>der</strong> göttlichen<br />
Vorsehung, dass sich die Menschen bilden <strong>und</strong><br />
vervollkommnen (sic !) im Vollzug ihrer täglichen<br />
Arbeit. Fast alle müssen diese Arbeit zeitlichen Dingen<br />
widmen“ (MM 255-256). So ist also auch <strong>der</strong><br />
Laienstand ein „Stand <strong>der</strong> Vollkommenheit“, <strong>der</strong> in<br />
<strong>der</strong> Welt gelebt wird im Streben nach Erneuerung<br />
<strong>der</strong> zeitlichen Ordnung. Hören Laien diese Botschaft<br />
aus unserem M<strong>und</strong>e?<br />
Aktion<br />
Einige Vorschläge wurden bereits gemacht, wie<br />
zum Beispiel das entsprechende Studium <strong>und</strong> dass<br />
wir den Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in unseren Tätigkeiten<br />
mehr Gewicht geben. An<strong>der</strong>e Tätigkeiten hängen<br />
zum großen Teil von örtlichen Gegebenheiten ab<br />
<strong>und</strong> werden am besten den Konferenzen, sowie<br />
den Provinz- <strong>und</strong> Hauskapiteln überlassen. Kapitel<br />
haben eine wichtige Rolle, denn unsere ständige<br />
Fortbildung ist sowohl persönlich als auch gemeinschaftlich<br />
(GG.CC. 135). So sind wir sowohl als<br />
34<br />
Einzelne wie als Brü<strong>der</strong>gemeinschaft berufen, auf<br />
die dringenden Nöte unserer Zeit im Licht <strong>des</strong><br />
Evangeliums zu antworten. Wir stellen einfach fest,<br />
dass Studium <strong>und</strong> Reflexion ohne Tätigkeit<br />
unfruchtbar bleiben.<br />
Ausblick<br />
Da wir uns auf das vorbereiten, was Papst Johannes<br />
Paul II. „Das Große Jubiläum <strong>des</strong> Jahres 2000“<br />
nennt (TERTIO MILLENNIO ADVENIENTE, 17),<br />
erinnern wir Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> uns dankbar daran,<br />
dass das Beispiel <strong>des</strong> heiligen Franziskus uns so<br />
viel zu geben hat, um den dringendsten sozialen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen unserer Zeit zu begegnen;<br />
Franziskus war wirklich <strong>der</strong> „Vater <strong>der</strong> Armen“<br />
(1 Cel 76), <strong>des</strong>sen erste Bru<strong>der</strong>schaft als „Delegation<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (1 Cel 29) bekannt war, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
sich selbst als Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> ganzen Schöpfung verstand<br />
(SONNENGESANG). Als liebende Söhne <strong>des</strong><br />
Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kirche müssen wir auf den<br />
dringenden Appell <strong>des</strong> Papstes antworten: wenn<br />
wir uns in Erinnerung rufen, dass Jesus kam um<br />
„den Armen das Evangelium zu verkünden“<br />
(vgl. Mt 11,5; Lk 7,22). Wie können wir es versäumen,<br />
größeres Gewicht auf die vorrangige Option<br />
<strong>der</strong> Kirche für die Armen <strong>und</strong> Ausgestoßenen zu<br />
legen? In <strong>der</strong> Tat muss gesagt sein, dass in einer<br />
Welt wie <strong>der</strong> unseren, die von so vielen Konflikten<br />
<strong>und</strong> unerträglichen sozialen <strong>und</strong> ökonomischen<br />
Ungleichheiten gekennzeichnet ist, das Engagement<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden eine notwendige<br />
Bedingung für die Vorbereitung <strong>und</strong> die Feier<br />
<strong>des</strong> Jubiläumsjahres 2000 ist. So werden, im Geist<br />
<strong>des</strong> Buches Levitikus (25,8-12), Christen ihre<br />
Stimme erheben müssen für die Armen <strong>der</strong> Welt<br />
(TMA, 51).<br />
Charles Finnegan <strong>OFM</strong>
■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Kontemplation,<br />
unsere Arbeit für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung<br />
<strong>und</strong> die Vereinigung<br />
mit Gott<br />
Wenn wir über Kontemplation <strong>und</strong> die Arbeit für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
sprechen, sind wir oft verunsichert, weil diese<br />
wichtigen Aspekte unseres Lebens nach dem Evangelium<br />
auf unfaire Weise mit Vorurteilen gesehen<br />
werden. Gewisse Leute unterstellen, dass zwischen<br />
Kontemplation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> ein<br />
Wi<strong>der</strong>spruch besteht. Kontemplation, so denken<br />
sie, bedeute Rückzug von den Tätigkeiten <strong>und</strong><br />
Geschäften <strong>der</strong> Gesellschaft in eine ruhige, friedliche<br />
<strong>und</strong> abgehobene Existenz, die den Schmerz,<br />
die Verwirrung <strong>und</strong> die Fragen vermeidet, die das<br />
Leiden in unserer persönlichen Lebensgeschichte<br />
mit sich bringt. Die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden scheint mehr nach außen gerichtete Tätigkeit<br />
zu sein, in <strong>der</strong> die Menschen in <strong>der</strong> sozialen<br />
Ordnung mit ihren Problemen <strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
gefangen sind. Wenn wir diese Vorurteile<br />
noch ausweiten, könnten wir sagen, dass kontemplatives<br />
Gebet ein Rückzug ist auf eine private,<br />
isolierte Innerlichkeit, <strong>und</strong> dass das aktive Engagement<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung Sache von wenigen Brü<strong>der</strong>n ist, die<br />
oft durch einen engagierten Ärger motiviert sind,<br />
<strong>der</strong> die politische Ordnung herausfor<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
än<strong>der</strong>n will. Es ist eine Tätigkeit, die in drängende<br />
soziale Probleme verwickelt ist <strong>und</strong> die für Innerlichkeit<br />
<strong>und</strong> Zeit für stilles Nachdenken nicht<br />
viel übrig hat.<br />
Kontemplation wird oft mit Meditation verwechselt.<br />
Meditation ist eine Tätigkeit, die unsere<br />
Aufmerksamkeit <strong>und</strong> unser Bewusstsein auf einen<br />
bestimmten Punkt begrenzt, konzentriert o<strong>der</strong><br />
beschränkt. Als geistige Tätigkeit erfor<strong>der</strong>t sie intellektuelle<br />
Disziplin <strong>und</strong> gefühlsmäßigen Rückzug,<br />
um Konzentration zu ermöglichen. Kontemplation<br />
(con-templo, an einem heiligen Ort sein) hat einige<br />
ähnliche Eigenschaften: zum Beispiel kennt sie<br />
einen Brennpunkt für unsere Aufmerksamkeit. Aber<br />
das Ziel <strong>der</strong> Kontemplation ist verschieden. Nicht<br />
zufrieden mit bloßer Beobachtung, beansprucht<br />
Kontemplation die ganze Person: intellektuell,<br />
affektiv <strong>und</strong> physisch, um aktiv die Einung mit<br />
Gott zu suchen. Es handelt sich mehr um bewusste<br />
Einung als um Beobachtung. Es gibt verschiedene<br />
Schulen <strong>und</strong> Methoden sowohl für Meditation als<br />
auch für Kontemplation.<br />
Jesus lädt seine Jünger ein, sich um die Disziplin <strong>des</strong><br />
Wachseins zu bemühen, hellhörig zu sein auf das,<br />
was um sie herum geschieht <strong>und</strong> bereit, zu handeln.<br />
„Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem<br />
Kaufmann, <strong>der</strong> schöne Perlen suchte“ <strong>und</strong> wenn er<br />
sie findet, so handelt er mit Entschlossenheit, um<br />
sie in Besitz zu nehmen; das Reich Gottes wird verglichen<br />
mit zehn Brautjungfern, die, während sie auf<br />
den Bräutigam warten, wachbleiben, um ihre Lampen<br />
am Brennen zu halten. So können sie den Bräutigam<br />
sehen, wenn er sich nähert. „Das Reich Gottes<br />
ist gleich einem Knecht, <strong>der</strong> auf die Rückkehr<br />
seines Herrn wartet … (es) kommt wie ein Dieb in<br />
<strong>der</strong> Nacht, ihr kennt we<strong>der</strong> den Tag noch die St<strong>und</strong>e,<br />
darum seid wachsam <strong>und</strong> haltet euch bereit.“<br />
Der Jünger bleibt wach <strong>und</strong> hellhörig, nicht um<br />
den Sinn <strong>des</strong> Lebens verstan<strong>des</strong>mäßig zu erfassen,<br />
son<strong>der</strong>n um als erleuchtete Person, zum Dienst<br />
bereit, zum Leben zurückzukehren. Jesus sagt seinen<br />
Jüngern, dass er gekommen ist, damit wir „das<br />
Leben haben <strong>und</strong> es in Fülle haben“ (Joh 10,10).<br />
In den Gleichnissen Jesu lesen wir, dass Menschen<br />
aufgeweckt werden um mit an<strong>der</strong>en, zum Beispiel<br />
mit dem Bräutigam, zusammenzusein o<strong>der</strong> um zu<br />
dienen, wie in <strong>der</strong> Geschichte vom Diener, <strong>der</strong> auf<br />
seinen Herrn wartet. Kontemplation folgt dem Pfad<br />
<strong>des</strong> Mitfühlens: Erkennen, Handeln <strong>und</strong> Vereinigung.<br />
Diese Stufen werden durch Nachdenken<br />
miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en, das gemeinschaftlich o<strong>der</strong><br />
individuell-persönlich geschehen kann.<br />
Der Mensch, <strong>der</strong> dem Evangelium unseres Herrn<br />
Jesus Christus folgt, so beschreibt Franziskus das<br />
35
■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
franziskanische Leben, zieht sich nicht aus <strong>der</strong><br />
Gesellschaft zurück, um sein Leben zu bewahren,<br />
son<strong>der</strong>n er/sie gibt es hin, damit wir eine neue<br />
Schöpfung werden können. Jesus weist uns auf<br />
Engagement, Handeln, Verän<strong>der</strong>ung hin. Das<br />
Reich Gottes wird verglichen mit dem Sauerteig,<br />
<strong>der</strong> sein eigenes Leben im Mehl verliert <strong>und</strong> zu<br />
etwas Neuem <strong>und</strong> Nützlichem für an<strong>der</strong>e wird, zu<br />
Brot, das an<strong>der</strong>e nährt.<br />
Die Geschichte vom Barmherzigen Samariter ist<br />
eine <strong>der</strong> einfachsten <strong>und</strong> treffendsten Beschreibungen<br />
<strong>der</strong> Bewegungen innerhalb <strong>der</strong> christlichen<br />
Kontemplation: Der Samariter ist eins mit Gottes<br />
Willen, indem er hellhörig ist <strong>und</strong> aus Mitgefühl<br />
heraus handelt. In diesem Gleichnis ging <strong>der</strong><br />
Priester am schwerverletzten Mann vorüber, in<br />
Gedanken verloren o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Sorge, sich rituell<br />
rein zu halten <strong>und</strong> keine anscheinend tote Person<br />
zu berühren. Auch <strong>der</strong> Levit, <strong>der</strong> Gesetz <strong>und</strong><br />
Propheten ebenfalls kannte, ging am Verw<strong>und</strong>eten<br />
vorüber. Der Priester <strong>und</strong> <strong>der</strong> Levit, beide waren –<br />
wahrscheinlich in guter Absicht – in ihre eigene<br />
innere Welt versunken, die durch äußere Regeln,<br />
Vorschriften <strong>und</strong> Beurteilungen geschützt war.<br />
Auch wenn sie den leidenden Mann sahen, hatten<br />
sie praktische, religiöse <strong>und</strong> gesetzliche Gründe, an<br />
seinem Schmerz <strong>und</strong> seinem Elend vorbeizugehen.<br />
Der Mann, <strong>der</strong> wach <strong>und</strong> hellhörig war, <strong>der</strong> wahrnahm<br />
<strong>und</strong> reagierte, war <strong>der</strong> Samariter. Er verstand<br />
seinen Platz in <strong>der</strong> Schöpfung <strong>und</strong> handelte im<br />
Einklang damit.<br />
Als Brücke <strong>des</strong> Mitgefühls war die Sorge um das<br />
leibliche Wohl <strong>des</strong> geschlagenen Mannes durch den<br />
Samariter eine tätige Antwort <strong>der</strong> Liebe. Seine Antwort<br />
verband drei Willen zu einer Einheit, jenen <strong>des</strong><br />
Samariters, den <strong>des</strong> geschlagenen Mannes <strong>und</strong> den<br />
Willen Gottes. Oft ist eine Tat <strong>des</strong> Mitfühlens mit<br />
dem Vollzug <strong>des</strong> täglichen Auftrags o<strong>der</strong> einem<br />
Notfall verknüpft, <strong>und</strong> wir erkennen erst später,<br />
dass wir darin an Gottes Leben <strong>und</strong> seinem Wirken<br />
teilnehmen.<br />
Vergleichbar <strong>der</strong> Reaktion <strong>des</strong> Samariters, zeigt das<br />
Leben <strong>des</strong> hl. Franziskus Parallelen einer ähnlichen<br />
Bewegung von Wahrnehmung, Mitfühlen <strong>und</strong><br />
Handeln. Seine persönliche Bekehrung ist ein<br />
Schlüssel, <strong>der</strong> uns hilft, franziskanische Kontemplation<br />
zu verstehen. Es war eine Bewegung <strong>der</strong><br />
36<br />
affektiven Vereinigung mit Gott, die verschiedene<br />
Bewegungen <strong>und</strong> Ebenen beinhaltete: eine Erfahrung;<br />
sein Nachdenken darüber <strong>und</strong> das Verstehen<br />
dieser Erfahrung; das Identifizieren dieser Erfahrung<br />
als von Gott kommend <strong>und</strong> mit Gott vereinend.<br />
Die Gnade nahm ihren Anfang nicht in <strong>der</strong><br />
verlassenen Kapelle von San Damiano o<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Stille <strong>des</strong> Berges Subasio. Franziskus erfuhr seine<br />
freimachende Einung mit Gott eines Tages auf einer<br />
Straße außerhalb <strong>der</strong> Sicherheit von Assisi. Als er<br />
von einem Aussätzigen überrascht wurde, umarmte<br />
<strong>und</strong> küsste Franziskus den Mann spontan. Später<br />
erkannte er, dass er in seiner Umarmung <strong>des</strong> Aussätzigen<br />
irgendwie von Gott umarmt worden war <strong>und</strong><br />
dass sich sein ganzes Leben verän<strong>der</strong>t hatte. Die<br />
„Süßigkeit <strong>und</strong> das Licht“, die nach <strong>der</strong> Beschreibung<br />
<strong>des</strong> Franziskus aus dieser Tat <strong>des</strong> Mitfühlens<br />
flossen, waren nicht die paternalistische Belohnung<br />
Gottes an Franziskus für eine gute Tat an einem<br />
elenden Menschen. Sie waren das offensichtliche<br />
Ergebnis von zwei Willen zu lieben, die eins geworden<br />
waren. Das Ereignis auf <strong>der</strong> Straße, <strong>und</strong> nicht<br />
<strong>der</strong> Vorgang <strong>des</strong> Nachdenkens darüber, ist für<br />
Franziskus <strong>der</strong> Augenblick <strong>der</strong> Bekehrung, seine<br />
Begegnung mit Gott.<br />
Beide, Jesus <strong>und</strong> Franziskus, hatten Momente <strong>des</strong><br />
persönlichen, privaten Gebetes, wo sie „weg waren,<br />
an einem einsamen Ort.“ Wir wissen wenig von diesen<br />
privaten Momenten. Die heilige Schrift <strong>und</strong> die<br />
Biographien <strong>des</strong> hl. Franziskus enthalten viele<br />
Geschichten von Jesus <strong>und</strong> Franziskus, dass sie im<br />
direkten Kontakt mit Gott standen, während sie<br />
sich mit Menschen <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Schöpfung einließen.<br />
Jesus hatte seinen bedeutendsten <strong>und</strong> direktesten<br />
Kontakt mit Gott nicht in einem Traum,<br />
son<strong>der</strong>n im Jordan, während er in einer Menschenmenge<br />
vor Johannes dem Täufer stand. Er<br />
ging in die Wüste, um diese Erfahrung im Jordan<br />
besser zu verstehen. Er ging dorthin nicht, um seine<br />
Vision zu finden. Jesus erfuhr regelmäßig direkte<br />
Vereinigung mit Gott, wenn er mit einem an<strong>der</strong>n<br />
Menschen zusammen war, <strong>der</strong> in Not war <strong>und</strong> Vertrauen<br />
hatte. Er konnte die Kraft Gottes körperlich<br />
spüren, die ihn durchströmte, wenn Kranke geheilt<br />
wurden. Er konnte den Stürmen befehlen, still<br />
zu sein, <strong>und</strong> dem Feigenbaum zu verdorren. Diese<br />
Augenblicke bewusster Verbindung, Einung mit<br />
Gott, <strong>des</strong> Seins an heiligem Ort, waren „Kontemplation<br />
in <strong>der</strong> Aktion“. Es gibt viele Geschichten
■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
über Franziskus, die den Heiligen inmitten von<br />
Menschen <strong>und</strong> Schöpfung in verzückter Freude<br />
in Gott beschreiben (Greccio, SONNENGESANG,<br />
Vogelpredigt). Jesus zog sich zurück in die Wüste,<br />
Franziskus in die Berge, wo beide zu einem tiefen<br />
Verständnis <strong>des</strong>sen kamen, <strong>der</strong> in ihrem Leben mit<br />
ihnen zusammen wirkte.<br />
Die Liebe, die Franziskus für den menschgewordenen<br />
Gott im armen Jesus von Nazaret hatte, war <strong>der</strong><br />
Angelpunkt <strong>der</strong> Entwicklung <strong>des</strong> sozialen Bewusstseins<br />
innerhalb <strong>der</strong> westlichen Christenheit. Die<br />
Umarmung <strong>des</strong> Aussätzigen, <strong>des</strong> Ausgegrenzten <strong>der</strong><br />
damaligen Gesellschaft, durch Franziskus <strong>und</strong> sein<br />
Zusammengehen mit den Aussätzigen außerhalb<br />
von Assisi, öffnete einen neuen Weg <strong>der</strong> Kontemplation.<br />
Seine frohe, leidenschaftliche Umarmung<br />
<strong>der</strong> menschgewordenen Liebe Gottes begeisterte<br />
auch an<strong>der</strong>e, an Gott zu glauben <strong>und</strong> ihn zu lieben,<br />
<strong>der</strong> zutiefst in unsere Geschichte eingeb<strong>und</strong>en ist.<br />
Das ist zum Teil auch <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, warum <strong>der</strong> Orden<br />
uns aufruft: „Franziskus wurde vom Herrn unter die<br />
Aussätzigen geführt; wie er sollen die Brü<strong>der</strong> zusammen<br />
<strong>und</strong> einzeln die Option für die an den Rand<br />
Gedrängten leben, für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten,<br />
Entwürdigten <strong>und</strong> Kranken. … In brü<strong>der</strong>licher<br />
Gemeinschaft mit allen kleinen Leuten <strong>der</strong> Erde<br />
<strong>und</strong> mit Blick auf die heutigen Folgen <strong>der</strong> Armuts-<br />
situation sollen die Brü<strong>der</strong> daran arbeiten …“<br />
(GG.CC. Art. 97,1-2). Das wachsende Vertrauen<br />
in <strong>und</strong> das Verständnis für die Inkarnation <strong>und</strong> ihre<br />
Bedeutung eröffnete neue Wege für die westliche<br />
Kirche <strong>und</strong> Zivilisation. Dagegen blieben die<br />
heiligen Mysterien für die östliche Christenheit,<br />
die keinen Franz von Assisi hatte, hauptsächlich<br />
hinter <strong>der</strong> Ikonostase, innerhalb ihrer Ikonen,<br />
<strong>der</strong> Musik <strong>und</strong> dem Weihrauch, <strong>und</strong> nicht in den<br />
Spitälern, Waisenhäusern, Schulen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Soziallehre<br />
<strong>der</strong> Kirche.<br />
Für unsere Vorfahren im Glauben, die Juden, war<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> Rückerstattung, nicht Strafe.<br />
Ein Richter vollzog einen Akt <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
dadurch, dass er das zurückerstatten ließ, was<br />
gestohlen o<strong>der</strong> beschädigt worden war. Gelegentlich<br />
verhängte er eine Gefängnisstrafe für die schuldige<br />
Person, bis alles zurückerstattet sei. Die biblischen<br />
Bücher Genesis <strong>und</strong> Offenbarung (<strong>des</strong> Johannes)<br />
sehen Gottes ursprünglichen Plan für die Schöpfung,<br />
die Menschheit <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Erneuerung symbolisiert<br />
im Garten Eden <strong>und</strong> im neuen Jerusalem.<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> wirkt dahin, dass das Reich Gottes<br />
kommen möge „auf Erden wie im Himmel“, dass<br />
die Menschheit in Frieden <strong>und</strong> vollem Bewusstsein<br />
in <strong>der</strong> Gegenwart Gottes leben möge.<br />
In Treue zu Franziskus <strong>und</strong> unserer Tradition sollten<br />
wir aufhören, einen falschen Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<br />
Kontemplation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />
schaffen, <strong>der</strong> zu einer dualistischen Lebensauffassung<br />
führt. Je<strong>der</strong> von uns, <strong>der</strong> berufen ist ein<br />
geringerer Bru<strong>der</strong>, ein Min<strong>der</strong>er Bru<strong>der</strong> zu sein,<br />
hat die Verantwortung, hellhörig zu sein für das,<br />
was um uns herum geschieht, sich das aufmerksame<br />
Hinhören anzugewöhnen <strong>und</strong> je<strong>der</strong>zeit bereit<br />
zu sein, mit Gott zusammen sein lieben<strong>des</strong> Werk<br />
<strong>der</strong> Neuschöpfung zu wirken. „Da die Min<strong>der</strong>en<br />
Brü<strong>der</strong> mitten im Volk Gottes stehen, müssen sie<br />
auf neue Zeichen <strong>der</strong> Zeit achten, auf die Situationen<br />
einer sich wandelnden Welt reagieren“<br />
(GG.CC. Art. 4,1). Nachdenken im Gebet sichert,<br />
klärt <strong>und</strong> bestärkt die Erfahrung von Gottes Heilshandeln.<br />
Es erinnert uns daran, dass Gott nicht<br />
außerhalb unserer Geschichte lebt, son<strong>der</strong>n mitten<br />
in ihr. Wir brauchen Zeit, um Abstand von unserer<br />
Tätigkeit zu nehmen, damit wir verstehen, was sich<br />
ereignet hat <strong>und</strong> damit wir uns ganzheitlicher in<br />
Gottes Wirken um uns herum einbringen können.<br />
37
■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Aufmerksam unterscheiden<strong>des</strong> Wahrnehmen hilft<br />
uns zu verstehen, wohin <strong>der</strong> Geist unsere Gemeinschaft<br />
führt. Unsere Projekte, unsere Strukturen,<br />
die Zusammenschlüsse <strong>und</strong> die Zusammenarbeit,<br />
die wir mit an<strong>der</strong>n Menschen <strong>und</strong> Organisationen<br />
guten Willens haben, sollten uns dazu führen,<br />
immer wacher zu werden für das, was in unserer<br />
Gesellschaft geschieht, um dann die Wirklichkeit zu<br />
umarmen – gerade auf den Fel<strong>der</strong>n, die wir lieber<br />
meiden würden – <strong>und</strong> um Gott dort zu begegnen,<br />
wo er gerade lebt <strong>und</strong> wirkt. In unseren Strukturen,<br />
unseren Kapiteln, unserer Arbeit, unserem gemeinschaftlichen<br />
Leben müssen wir mit Gott vereint<br />
sein, damit sein „Reich komme auf Erden wie<br />
im Himmel."<br />
38<br />
John Quigley <strong>OFM</strong>
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden in<br />
<strong>der</strong> Ratio Formationis<br />
Franciscanae<br />
Ursprung, Ziel <strong>und</strong> Struktur <strong>der</strong> Ratio<br />
Die RATIO FORMATIONIS, die 1991 approbiert wurde,<br />
ist das wegweisende Dokument sowohl für die<br />
einführende Ordensausbildung als auch für die<br />
ständige Fortbildung <strong>des</strong> gesamten Ordens. Sie ist<br />
<strong>der</strong> Überzeugung, dass „die Bildung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong><br />
in Treue zu den Ursprüngen <strong>des</strong> eigenen Charismas<br />
<strong>und</strong> zu den Zeichen <strong>der</strong> Zeit die primäre Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
ist, die sich den Provinzen“ <strong>und</strong> dem<br />
gesamten Orden stellt (Vorwort). Um den Provinzen<br />
<strong>und</strong> den Brü<strong>der</strong>n zu helfen, auf diese Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
zu antworten, hat dieses Dokument<br />
sich bemüht, die Ergebnisse <strong>der</strong> Überlegungen zum<br />
Thema Erneuerung auf dem Gebiet <strong>der</strong> Ausbildung,<br />
in dem Zeitraum seit dem Generalkapitel<br />
von 1967, zu sammeln <strong>und</strong> anzuwenden. Jene<br />
Überlegungen nahmen vor allem in den Generalkonstitutionen<br />
von 1987 Gestalt <strong>und</strong> Form an,<br />
obwohl dieses Thema auch in den Kapiteln von<br />
Medellin 1971, von Madrid 1973 <strong>und</strong> im Ordensrat<br />
von 1981 behandelt wurde, auf denen die<br />
Ordensausbildung das Hauptthema war.<br />
In den Zusammenkünften <strong>der</strong> Novizenmeister<br />
1988 <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausbil<strong>der</strong> für <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> mit zeitlicher<br />
Profess stellte sich die Notwendigkeit eines<br />
Instrumentes für die Ordensausbildung heraus, das<br />
vereinbarte Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> gemeinsame Richtlinien<br />
für den gesamten Orden anbieten sollte.<br />
Die Frucht von all diesem ist die RATIO FORMATIO-<br />
NIS, die nicht so sehr ein juridisches Dokument ist,<br />
son<strong>der</strong>n vielmehr eines, das Orientierung gibt <strong>und</strong><br />
inspirieren will.<br />
Es glie<strong>der</strong>t sich in drei Teile:<br />
I. DIE EVANGELISIERUNG DES MINDERBRUDERS:<br />
Dieser erste Teil beginnt mit Art. 1 <strong>der</strong> GG.CC.<br />
<strong>und</strong> sammelt die gr<strong>und</strong>legenden Aspekte<br />
<strong>des</strong> franziskanischen Charismas, wie sie in den<br />
ersten fünf Kapiteln <strong>der</strong> GG.CC. dargelegt<br />
sind.<br />
II. FRANZISKANISCHE AUSBILDUNG: Dieser Teil<br />
entfaltet Kapitel VI <strong>der</strong> GG.CC. über Ausbildung<br />
<strong>und</strong> folgt <strong>der</strong> gleichen Struktur wie die<br />
Themen von Kapitel VI.<br />
III. ALLGEMEINBILDUNG, AUSBILDUNG IN THEOLO-<br />
GIE, BERUF UND KIRCHLICHEM DIENST IN<br />
FRANZISKANISCHEM GEIST: hier wird Kapitel VI,<br />
Titel VI <strong>der</strong> GG.CC. über „An<strong>der</strong>e Aspekte<br />
<strong>der</strong> Ausbildung“ behandelt.<br />
Die RATIO entspricht genau den GG.CC. Sie enthält<br />
achtzig ausdrückliche Zitate daraus, jene im<br />
Anhang nicht mitgezählt. Ihr Einfluss ist klar sichtbar<br />
in dem, was <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden betrifft.<br />
Sie enthält auch viele Hinweise auf das Dokument<br />
von Medellin über Erziehung <strong>und</strong> Ausbildung<br />
(neun Hinweise, jene im Anhang nicht mitgezählt).<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Dokument<br />
Ist das Thema von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden so<br />
offensichtlich in <strong>der</strong> Ratio enthalten, dass es sich<br />
lohnt, es zu einem Studiengegenstand zu machen?<br />
Zweifellos wird jemand die Frage bejahen, <strong>der</strong> dieses<br />
Dokument vom Standpunkt von GFBS aus<br />
betrachtet. Die gr<strong>und</strong>legenden Schlüsselelemente<br />
von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden sind dort nicht nur<br />
vorhanden, son<strong>der</strong>n sie stellen auch die zugr<strong>und</strong>e<br />
liegende Perspektive aller Hauptaspekte <strong>der</strong> Ausbildung<br />
dar.<br />
Offensichtlich ist es keine Frage eines Dokumentes<br />
über Ausbildung, dass es sich in den Begriffen von<br />
Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> ausdrückt. Nichts<strong>des</strong>toweniger<br />
finden sich alle gr<strong>und</strong>legenden Koordinaten<br />
von Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> darin ausdrücklich,<br />
oft als ausgesprochener Schwerpunkt, immer<br />
aber als realer Hintergr<strong>und</strong>.<br />
Einige Einschränkungen sind anzumerken:<br />
■ Es besteht ein bemerkenswertes Schweigen hinsichtlich<br />
<strong>des</strong> strukturellen Charakters <strong>der</strong> Unge-<br />
39
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
rechtigkeit <strong>und</strong> ihrer Auswirkungen auf die<br />
Ausbildung (es gibt nur einen Hinweis in<br />
diesem Sinn).<br />
■ Die kulturelle Dimension von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden scheint mehr vertreten als ihr<br />
sozio-politischer Ursprung.<br />
■ Es gibt keine Hinweise auf das Problem <strong>der</strong><br />
Ausgrenzung von Frauen.<br />
■ Und das Bemerkenswerteste: es finden sich<br />
keine konkreten <strong>und</strong> spezifisch pädagogischen<br />
Richtlinien zur Darlegung <strong>des</strong> Themas <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden in den verschiedenen<br />
Phasen <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong> Fortbildung.<br />
Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage muss aber auch anerkannt<br />
werden, dass es nicht realistisch wäre, viel mehr von<br />
einem Dokument wie diesem zu erwarten, das sich<br />
zum Ziel gesetzt hat, allgemeine Richtlinien für den<br />
gesamten Orden in seiner ganzen Komplexität <strong>und</strong><br />
Pluralität anzubieten. Mit an<strong>der</strong>n Worten, es ist<br />
nicht die Aufgabe eines solchen Dokumentes, konkrete<br />
pädagogische Anweisungen zu erteilen, son<strong>der</strong>n<br />
vielmehr inspirierende Prinzipien, erreichbare<br />
Horizonte <strong>und</strong> Kriterien zur Urteilsfindung anzubieten.<br />
Mein Ziel<br />
Ich werde die Ratio nicht vorlesen o<strong>der</strong> sie Zeile für<br />
Zeile behandeln. Ich werde auch nicht auf ihre<br />
pädagogischen Aspekte eingehen. Ich werde einfach<br />
versuchen, die Aussagen zu sammeln, die mir von<br />
gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Wichtigkeit erscheinen, werde einige<br />
Bemerkungen anfügen <strong>und</strong> einige tiefere Überlegungen<br />
andeuten.<br />
Ich werde diese Aussagen in drei Abschnitte aufteilen:<br />
einige Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> Spiritualität, einige<br />
Ziele für die Ausbildung <strong>und</strong> einige prägende Orte,<br />
Beispiele o<strong>der</strong> Mittel.<br />
Ich bin mir bewusst, dass ich mich so auf eine<br />
Ebene begebe, die zu abstrakt <strong>und</strong> zu vage ist, beinahe<br />
ein Klischee, <strong>und</strong> dafür möchte ich mich<br />
vorab entschuldigen.<br />
I. Einige Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> Spiritualität<br />
in „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />
Jede Ausbildung ist getragen von einer beson<strong>der</strong>en<br />
Spiritualität. Ausbildung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
40<br />
Frieden setzt beispielsweise eine Spiritualität voraus,<br />
d.h. eine Weise, sich die Begegnung zwischen dem<br />
Menschen <strong>und</strong> Gott vorzustellen, ein Wissen um<br />
den Weg <strong>der</strong> menschlichen Person Gott entgegen<br />
in <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> diese Person<br />
lebt. In Teil I, 1 werde ich drei Elemente hervorheben,<br />
die in <strong>der</strong> Ratio deutlich sichtbar sind <strong>und</strong> die<br />
auf die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Weise die Gestalt „einer<br />
Spiritualität von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ prägen:<br />
eine Spiritualität <strong>der</strong> Nachfolge Jesu, <strong>des</strong><br />
Gerechten <strong>und</strong> Friedfertigen; eine Spiritualität, die<br />
Gott in den Opfern betrachtet; eine Spiritualität<br />
<strong>der</strong> Menschwerdung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Praxis.<br />
1. Eine Spiritualität <strong>der</strong> Nachfolge Jesu<br />
Die Nachfolge Jesu ist eine <strong>der</strong> Dimensionen, auf<br />
die in <strong>der</strong> RATIO, vor allem im ersten Teil, am häufigsten<br />
hingewiesen wird. Der Ausdruck „Nachfolge<br />
Jesu Christi“ wird mehr als 20 mal verwendet<br />
(Nr. 1; 3; 5; 6; 8; 9; 10; 11; 12; 16; 17; 20; 30; 35;<br />
36; 41; 56,3a; 132; 141). Der Bru<strong>der</strong> in Ausbildung<br />
ist vor allem ein „Jünger“ (1; 5; 26), berufen<br />
„den Fußspuren Christi zu folgen“ (1; 17), genauer<br />
gesagt, „<strong>der</strong> Welt den armen <strong>und</strong> demütigen<br />
Christus zu bezeugen“ (24), den „armen <strong>und</strong><br />
gekreuzigten Christus“ (1; 15; 29; 36; 57), den<br />
„armen, demütigen <strong>und</strong> gekreuzigten Christus“<br />
(17). Dies ist die Identität <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s in Ausbildung.<br />
Dies ist die Perspektive <strong>und</strong> <strong>der</strong> Horizont<br />
für die Ausbildung.<br />
Ich glaube, dass wir hiermit den Schlüssel für eine<br />
Ausbildung in <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden erhalten.<br />
Die Nachfolge Jesu gibt dem Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Bedeutung, den<br />
Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> miteinschließend. Deshalb ist es das<br />
erste Anliegen <strong>der</strong> Ausbildung, Nachfolger, Jünger<br />
Jesu heranzubilden. Aus <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Perspektive ist Ausbildung in <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden das Gleiche wie das För<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ausbildung<br />
in <strong>und</strong> für die Nachfolge Jesu.<br />
Was erfor<strong>der</strong>t daher eine Ausbildung aus <strong>der</strong><br />
Perspektive <strong>des</strong> Jüngers? Sie for<strong>der</strong>t mehr als nur<br />
Gr<strong>und</strong>sätze, Ideen <strong>und</strong> Werte zu lernen, die mit<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden verb<strong>und</strong>en sind. Sie hat<br />
mit <strong>der</strong> aktiven <strong>und</strong> persönlichen Nachfolge <strong>des</strong><br />
Einen zu tun, <strong>der</strong> gerecht <strong>und</strong> friedfertig ist. Nur<br />
durch die Nachfolge wird <strong>der</strong> einzelne gebildet <strong>und</strong><br />
geformt, nicht durch eine rein ideologische Beleh-
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
rung, auch nicht durch eine vom Willen erzwungene<br />
Praxis o<strong>der</strong> durch oberflächliche Nachahmung.<br />
Ansonsten laufen <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
Gefahr, in Ideologie o<strong>der</strong> Voluntarismus abzugleiten.<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden sind keine von<br />
einem Bru<strong>der</strong> angestoßene Initiative, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />
die Fortsetzung <strong>der</strong> Sendung Jesu. Sie besteht<br />
nicht nur in einem Programm von Aktivitäten.<br />
Statt<strong>des</strong>sen ist sie vor allem die persönliche Identifizierung<br />
mit dem gekreuzigten Auferstandenen in<br />
Solidarität mit allen, die mit ihren Hoffnungen <strong>und</strong><br />
ihren Verzweiflungen gekreuzigt worden sind.<br />
2. Eine Spiritualität,<br />
Gott in den Opfern zu betrachten<br />
Ich will einige Aussagen <strong>der</strong> RATIO herausgreifen.<br />
Die Person in Ausbildung soll „eine kontemplative<br />
Haltung annehmen“, die in ihrem Alltag „auf Gott<br />
hören kann“ (60), einen „Sinn für die Gegenwart<br />
Gottes in <strong>der</strong> Welt“ entwickelt (56,2b) <strong>und</strong> „in<br />
<strong>der</strong> Welt das Gute entdeckt, das Gott darin verwirklicht“<br />
(32; vgl. Medellin E 52). Gültig für alle Ausbildung<br />
bleibt, was die Ratio über die ständige<br />
Fortbildung sagt: sie ist „ein Weg <strong>des</strong> ganzen<br />
Lebens, sowohl <strong>des</strong> persönlichen wie <strong>des</strong> gemeinschaftlichen,<br />
in <strong>der</strong> Entdeckung <strong>des</strong> armen, demütigen<br />
<strong>und</strong> gekreuzigten Christus in sich selbst, in den<br />
Brü<strong>der</strong>n, im Dienst, in <strong>der</strong> eigenen Kultur <strong>und</strong> in<br />
<strong>der</strong> ganzen zeitgenössischen Wirklichkeit“ (57). In<br />
Nr. 33 sagt sie: „Um <strong>der</strong> eigenen Berufung treu zu<br />
bleiben, inkarnieren sich die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> in den<br />
konkreten Situationen <strong>des</strong> Volkes, in dem sie leben,<br />
entdecken darin die verschiedenen Antlitze Christi<br />
<strong>und</strong> finden darin die entsprechende franziskanische<br />
Lebensform.“ Und wo werden die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
jene verschiedenen Züge <strong>des</strong> armen <strong>und</strong> gekreuzigten<br />
Christus entdecken? Einfach in den armen <strong>und</strong><br />
gekreuzigten Glie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Menschen, unter denen<br />
sie leben, in all den entstellten Antlitzen von heute,<br />
in denen die Ehre, das Leiden <strong>und</strong> die Hartnäckigkeit<br />
eines Gottes zugleich verborgen <strong>und</strong> geoffenbart<br />
wird, <strong>der</strong> ihnen nahe <strong>und</strong> für sie eingenommen<br />
ist.<br />
Der Bru<strong>der</strong> in Ausbildung muss sein Herz <strong>und</strong> seinen<br />
Blick mit dem Gesicht Christi, <strong>des</strong> Gekreuzigten,<br />
<strong>und</strong> seinen vielen Gesichtern vertraut machen.<br />
Das ist die evangelische <strong>und</strong> franziskanische Weise,<br />
die Gegenwart Gottes in <strong>der</strong> Welt zu erkennen.<br />
Dieser Blick ist ein tiefreichen<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong><br />
Spiritualität wie gleichzeitig ein Ziel <strong>und</strong> Mittel<br />
<strong>der</strong> Ausbildung: Das Ziel <strong>der</strong> Ausbildung besteht<br />
darin, diesen Blick entwickeln zu helfen, <strong>und</strong> es ist<br />
dieser Blick, <strong>der</strong> den Bru<strong>der</strong> gestaltet. Für den<br />
Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> ein Jünger Jesu <strong>und</strong> ein Glauben<strong>der</strong><br />
ist, handelt es sich nicht einfach darum,<br />
die Welt aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Armen zu sehen;<br />
son<strong>der</strong>n es geht auch darum, in <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> im<br />
Armen die Gegenwart Gottes zu erkennen. Das ist<br />
die Weise „authentisch zu sein“ (J. Sobrino), die<br />
Weise, treu zu sein zur Welt als <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
Gottes, weil Gott beschrieben wird als einer, <strong>der</strong> das<br />
Elend sieht, die Klageschreie hört <strong>und</strong> das Leiden<br />
<strong>der</strong> Opfer kennt (vgl. Ex 3,7).<br />
Der Mensch unserer Zeit fragt nicht, wer Gott ist<br />
o<strong>der</strong> ob er existiert, son<strong>der</strong>n: wo ist Gott? Wo ist<br />
Gott in Auschwitz, in El Salvador <strong>und</strong> in Ruanda?<br />
Nun ist Gott immer „außerhalb <strong>der</strong> Stadt“ mit<br />
denen, die draußen sind, gekreuzigt mit den<br />
Gekreuzigten. Der Gott, <strong>der</strong> die Opfer ansieht,<br />
schaut auf uns aus den Gesichtern <strong>der</strong> Opfer <strong>und</strong><br />
wünscht, in ihnen gesehen zu werden. Die Ungerechtigkeit,<br />
die Opfer verursacht, verhüllt Gott;<br />
aber in einer Welt, in <strong>der</strong> es Opfer gibt, will Gott<br />
nur in ihnen gesucht <strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en werden. Es ist<br />
nicht einfach eine Frage <strong>des</strong> Glaubens an Gott,<br />
son<strong>der</strong>n eines „Glaubens an Gott aus (<strong>der</strong> Wirklichkeit)<br />
<strong>der</strong> Opfer“ (J. Sobrino). Daraus folgt, dass<br />
die Nähe zu den Opfern <strong>und</strong> die Option zu ihren<br />
Gunsten, mit an<strong>der</strong>en Worten, die Option für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden, die „christliche Gelegenheit<br />
für die Erfahrung Gottes“ ist.<br />
Christliche Spiritualität besteht nicht darin, Gewissheit<br />
über die Existenz Gottes o<strong>der</strong> Wissen über<br />
Gottes Natur zu erwerben; vielmehr besteht sie in<br />
<strong>der</strong> aufrichtigen <strong>und</strong> existentiellen Erfahrung, dass<br />
Gott eine Vorliebe für die Armen hat. Deshalb<br />
besteht Ausbildung nicht darin, jemanden vorzubereiten,<br />
<strong>der</strong> Welt von heute zu beweisen, dass<br />
Gott existiert; vielmehr besteht sie in <strong>der</strong> mentalen,<br />
aufrichtigen <strong>und</strong> existentiellen Vorbereitung,<br />
sagen zu können, „dass Gott die Armen liebt“<br />
(G. Gutierrez).<br />
3. Eine inkarnierte<br />
<strong>und</strong> praktische Spiritualität<br />
Die Ratio bekräftigt, dass „die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> sich<br />
in den konkreten Situationen <strong>des</strong> Volkes, in dem sie<br />
41
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
leben, inkarnieren <strong>und</strong> darin die verschiedenen<br />
Antlitze Christi entdecken“ (33). Gemäß dem<br />
berühmten Ausspruch von D. Bonhoeffer, „ergreift<br />
Christus den Menschen mitten im Leben"; nicht an<br />
den Rän<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n im Herzen <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
Lebens, nicht in stillen, offenen Räumen, son<strong>der</strong>n<br />
im Kampf gegen Ungerechtigkeit <strong>und</strong> im Konflikt<br />
für den Frieden. Ausbildung im Geist von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden wird durch eine Spiritualität<br />
angeregt <strong>und</strong> unterstützt, die im Leben mit all<br />
seinen Ungerechtigkeiten <strong>und</strong> Konflikten, Hoffnungen<br />
<strong>und</strong> Projekten wurzelt.<br />
Wir besitzen hier ein entscheiden<strong>des</strong> Kriterium für<br />
menschliche <strong>und</strong> geistliche Ausbildung. Wenn Gott<br />
sich selbst in die Mitte unseres Lebens inkarniert,<br />
dann können wir nur aus <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> Lebens, <strong>der</strong><br />
Welt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschheit heraus die umwandelnde<br />
Erfahrung fortsetzen, Gott zu begegnen. Darum<br />
geht es in <strong>der</strong> Spiritualität. Eine inkarnierte Spiritualität,<br />
die aufmerksam ist für die Wirklichkeit,<br />
dort wo sie sich ereignet <strong>und</strong> Gott begegnet. Nicht<br />
eine intime Spiritualität, son<strong>der</strong>n eine, die offen ist<br />
für an<strong>der</strong>e; nicht eine nach innen blickende Spiritualität,<br />
son<strong>der</strong>n eine, die sich <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en bewusst<br />
ist. Nicht eine abgehobene Spiritualität, son<strong>der</strong>n<br />
eine <strong>des</strong> Engagements. Nicht eine beruhigende o<strong>der</strong><br />
auf sich selbst bezogene Spiritualität, son<strong>der</strong>n eine<br />
engagierte <strong>und</strong> aktive; nicht spiritualistisch, son<strong>der</strong>n<br />
spirituell <strong>und</strong> von dem Geist genährt, <strong>der</strong> lebendig<br />
macht <strong>und</strong> verwandelt; eine Spiritualität, die in<br />
dem Grad persönlicher ist, als sie in die Gesellschaft<br />
einbezogen ist. Sie ist in dem Grad tiefer <strong>und</strong> innerlicher,<br />
als sie offener nach außen <strong>und</strong> von außen ist.<br />
All dies erfor<strong>der</strong>t eine Verbindung zwischen Spiritualität<br />
<strong>und</strong> lebendiger Alltagspraxis. Ziel ist nicht,<br />
den Inhalt von Spiritualität in Aktivismus zu verlieren,<br />
son<strong>der</strong>n sie zu öffnen <strong>und</strong> zu einer Quelle <strong>der</strong><br />
Verwandlung zu machen. Was die RATIO allgemein<br />
über die Ausbildung sagt, ist in gleicher Weise für<br />
Spiritualität gültig: sie ist „erfahrungsorientiert, das<br />
heißt, sie achtet auf das Leben <strong>und</strong> die Gaben je<strong>der</strong><br />
einzelnen Person, för<strong>der</strong>t die konkrete Erfahrung<br />
<strong>des</strong> eigenen Lebensstils <strong>und</strong> <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Werte im Alltag“ (47); <strong>und</strong> sie ist „praxisbezogen,<br />
insofern sie darauf abzielt, das, was man lernt, auch<br />
in die Tat umzusetzen“ (48). Sie betont die Notwendigkeit<br />
einer Ausbildung, die vom Leben <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> konkreten Erfahrung herkommt, sowohl in<br />
42<br />
Bezug auf die Postulanten (128,3), wie auch in<br />
Bezug auf die Novizen (142), die Brü<strong>der</strong> mit zeitlicher<br />
Profess (153) <strong>und</strong> jenen, die sich auf jedweden<br />
kirchlichen Dienst vorbereiten (175; 177). Reine<br />
Lehren <strong>und</strong> eine bloße Identifizierung mit dem<br />
Ideal bilden nicht. Bildung entsteht aus dem Kontakt<br />
mit <strong>der</strong> Wirklichkeit, die durch den Glauben<br />
erleuchtet <strong>und</strong> im Glauben gelebt wird. Eine<br />
Spiritualität, die aus <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
entspringt, macht uns zu staunenden Dienern <strong>des</strong><br />
Lebens in all seinen Formen, vor allem <strong>der</strong> Lebensformen,<br />
die am stärksten bedroht sind.<br />
II. Einige Ziele <strong>der</strong> Ausbildung<br />
„für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />
Es ist wichtig, auf diese spirituellen Gr<strong>und</strong>sätze<br />
hinzuweisen, an denen sich Ausbildung orientiert.<br />
Doch ist es ebenso notwendig, genauer <strong>und</strong> konkreter<br />
zu sein. In diesem zweiten Teil schaue ich auf<br />
die Ziele, welche die RATIO <strong>der</strong> Ausbildung<br />
zuspricht <strong>und</strong> die mit <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in<br />
Verbindung stehen.<br />
In einer Welt, in <strong>der</strong> alle Revolutionen fehlgeschlagen<br />
zu sein scheinen <strong>und</strong> alle Utopien verflogen<br />
sind, in <strong>der</strong> Skeptizismus, das Gefühl von Verwirrung,<br />
die Empfindung von Ohnmacht <strong>und</strong> die<br />
„Ideologie <strong>des</strong> Unvermeidbaren“ wachsen, muss<br />
franziskanische Ausbildung bestrebt sein, Brü<strong>der</strong><br />
heranzubilden, die das Evangelium in <strong>der</strong> Welt<br />
von heute wirksam inkarnieren. Und dieses Ziel ist<br />
nicht nur ein weiteres unter den an<strong>der</strong>en Zielen<br />
<strong>der</strong> Ausbildung; statt<strong>des</strong>sen macht dieses Ziel die<br />
an<strong>der</strong>en authentisch <strong>und</strong> verleiht ihnen Bedeutung.<br />
Konkreter gesagt, franziskanische Ausbildung muss<br />
sich bemühen, unter den Brü<strong>der</strong>n eine dreifache<br />
Haltung <strong>und</strong> Aktivität zu entfachen: eine Weltsicht<br />
aus franziskanischer Perspektive, ein tatsächliches<br />
<strong>und</strong> wirksames Mitgefühl gegenüber den Ärmsten,<br />
<strong>und</strong> ein Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> in Frieden <strong>und</strong><br />
für Frieden in <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />
1. Die Sicht <strong>der</strong> Wirklichkeit aus<br />
<strong>der</strong> Perspektive <strong>des</strong> Armen<br />
Die RATIO drückt das gut in einem kurzen Artikel<br />
aus, <strong>der</strong> sich auf das Noviziat bezieht, aber auf<br />
alle Phasen <strong>der</strong> Ausbildung übertragbar ist: „Der<br />
Novize entwickle die Fähigkeit, die Wirklichkeit
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
kennenzulernen, sie kritisch zu beurteilen <strong>und</strong> aus<br />
franziskanischer Perspektive an ihr teilzunehmen“<br />
(143). Was ist die franziskanische Perspektive?<br />
Zweifellos jene, die von Jesus <strong>und</strong> Franziskus bevorzugt<br />
wurde, die jener, die in dieser Welt eines<br />
Anwalts o<strong>der</strong> eines Verbündeten beraubt sind. Wie<br />
alle Perspektiven ist sie parteiisch, doch es ist die<br />
Parteinahme Gottes, die Jesus als Gute Nachricht<br />
verkündete <strong>und</strong> Franziskus in eine Lebensform goss.<br />
„Die Wirklichkeit kennenlernen, sie kritisch beurteilen,<br />
an ihr teilnehmen“ aus jener Perspektive: das<br />
ist das Ziel franziskanischer Ausbildung.<br />
Die Weise ist wichtig, in <strong>der</strong> wir die Wirklichkeit<br />
betrachten, kennenlernen <strong>und</strong> beurteilen. Es ist<br />
zutreffend, dass wir in einer Zeit radikaler Unsicherheit<br />
<strong>und</strong> allgemeiner Orientierungslosigkeit leben,<br />
<strong>und</strong> instinktiv ziehen wir globale Urteile über die<br />
Wirklichkeit in Zweifel. Dies kann auch eine Versuchung<br />
werden; die Versuchung, auf jede Art von<br />
Kriterium zu verzichten. Es ist zutreffend, wir<br />
leben in einer „Galaxie von Komplexität“ (J. Garcia<br />
Roca). Wir müssen Vereinfachungen meiden <strong>und</strong><br />
wollen nicht zu dogmatischen Sicherheiten, ideologischen<br />
Lehren o<strong>der</strong> alles verstehenden Systemen<br />
zurückkehren. Gleichzeitig ist es ein Gebot <strong>des</strong><br />
Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s an sich selbst, „eine kritische Sicht<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt zu haben“ (162) <strong>und</strong>,<br />
wie in <strong>der</strong> RATIO entwickelt wird, eine „Sensibilität<br />
gegenüber <strong>der</strong> Wirklichkeit zu entwickeln, um die<br />
Probleme zu sehen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Ursachen zu verstehen“<br />
(180) <strong>und</strong>: „Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> macht sich die<br />
franziskanische Vision <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>des</strong> Menschen<br />
zu eigen <strong>und</strong> entwickelt ein ausgewogenes kritisches<br />
Urteil bezüglich den Ereignissen“ (32). Ein „ausgewogenes<br />
Urteil“ ist kein unparteiisches o<strong>der</strong> neutrales<br />
Urteil, das bewusst o<strong>der</strong> unbewusst Situationen<br />
von Ungerechtigkeit hinnimmt <strong>und</strong> unterstützt.<br />
Vielmehr ist es ein Urteil, das von <strong>der</strong> Klarheit <strong>und</strong><br />
Parteilichkeit <strong>des</strong> Evangeliums geprägt ist. Die<br />
RATIO sagt auch, dass die Ausbildung sich bemühen<br />
muss, den Brü<strong>der</strong>n die Fähigkeit zu vermitteln, die<br />
„Zeichen <strong>der</strong> Zeit zu verstehen“ (56,1c). Das große<br />
Zeichen <strong>der</strong> Zeit ist die wachsende Kluft zwischen<br />
dem Reichtum einer Min<strong>der</strong>heit <strong>und</strong> dem Elend<br />
<strong>der</strong> Mehrheit. Ausbildung versucht, dem Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong><br />
eine klare <strong>und</strong> kritische Sicht <strong>der</strong> Welt zu<br />
vermitteln <strong>und</strong> sie zu vertiefen; nicht eine neutrale,<br />
son<strong>der</strong>n eine parteiische Sicht aus <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Armen; eine Sicht, die in <strong>der</strong> Welt auf Gott<br />
schaut <strong>und</strong> die mit den Augen Gottes auf die Welt<br />
schaut.<br />
Wir müssen diese Ziele ähnlich verstehen wie das,<br />
was die RATIO zu den theologischen Studien <strong>des</strong><br />
Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s aussagt: „Seinen Glauben mit den<br />
Problemen <strong>der</strong> zeitgenössischen Welt zu konfrontieren“,<br />
„Licht in die persönliche <strong>und</strong> soziale ‚Praxis‘<br />
<strong>des</strong> Glaubens zu bringen <strong>und</strong> diese zu för<strong>der</strong>n“<br />
(165), „ein Verständnis <strong>der</strong> zeitgenössischen Welt<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen Person“ (151) zu ermöglichen.<br />
Wir wollen die mo<strong>der</strong>ne Welt <strong>und</strong> die<br />
menschliche Person in ihr nur in dem Grade verstehen,<br />
dass Elend <strong>und</strong> Hunger in dem Maße<br />
ungerechter sind, als sie vermeidbar wären. Angesichts<br />
<strong>der</strong> Ungerechtigkeit bleibt kein Raum für<br />
eine unparteiische Theologie.<br />
In diesem Sinn ist es wert, einige Züge <strong>der</strong> Theologie<br />
beson<strong>der</strong>s zu erwähnen, die sie gemäß den<br />
Nr. 166 <strong>und</strong> 167 <strong>der</strong> RATIO besitzen sollte: „Eine<br />
Theologie, die eng mit dem Gebet verb<strong>und</strong>en ist;<br />
eine Theologie, die lebensnah <strong>und</strong> auf das konkrete<br />
Handeln ausgerichtet ist“ (166); „eine Theologie<br />
<strong>der</strong> Schöpfung, die das Lob <strong>des</strong> Schöpfers bekräftigt,<br />
den Menschen die Achtung vor dem Geschaffenen<br />
lehrt, in die ökologischen Probleme unserer<br />
Zeit ein Licht <strong>des</strong> Glaubens bringt; eine Theologie<br />
<strong>und</strong> eine Christologie, die Gottes Heil <strong>und</strong> Befreiung<br />
als Antwort auf den Hilfeschrei <strong>und</strong> die Nöte<br />
<strong>der</strong> Armen von heute aktualisieren; eine Theologie,<br />
die anleitet zur Achtung vor dem Menschen <strong>und</strong><br />
seinen Rechten; eine Theologie, die abzielt auf die<br />
Errichtung einer brü<strong>der</strong>lichen Welt (<strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden, Ökumenismus) (vgl. Med E 59); eine<br />
Theologie, die in einer eschatologischen Vision<br />
verankert ist <strong>und</strong> in ihr die Kraft für den täglichen<br />
Einsatz findet“ (167).<br />
2. Ein tatsächliches Mitgefühl<br />
für die Ärmsten<br />
L. Feuerbach urteilte zutreffend, dass „Leiden dem<br />
Denken vorausgeht“. In <strong>der</strong> Tat ist nur das, was<br />
erlitten wurde, erkannt, o<strong>der</strong> exakter, das was<br />
gemeinschaftlich erlitten wurde. Unsere Welt<br />
benötigt mehr denn je einen „mitfühlenden<br />
Verstand“ (J. Sobrino). In diesem Sinn habe ich<br />
in einem vorausgehenden Punkt erklärt, dass wir<br />
die heutige Welt nur dann kennenlernen, wenn<br />
wir den Schmerz <strong>des</strong> Armen auf uns nehmen.<br />
43
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
Aber wir müssen auch das Gegenteil feststellen:<br />
Kenntnis muss ebenso Mitgefühl mitbringen, das<br />
Leiden jenes „Teils <strong>der</strong> Bevölkerung auf sich zu nehmen<br />
<strong>und</strong> zu tragen“ (I. Ellacuría), <strong>der</strong> jeden Tag<br />
wachsenden Mehrheit auf unseren Planeten.<br />
Im franziskanischen Wortschatz wird dieses Mitgefühl<br />
als MINDERSEIN bezeichnet. Die Ratio zitiert<br />
Franziskus <strong>und</strong> die Generalkonstitutionen <strong>und</strong> ruft<br />
uns in Erinnerung, dass die Brü<strong>der</strong> berufen sind,<br />
um „als Min<strong>der</strong>e unter den Armen <strong>und</strong> Schwachen<br />
zu leben“ (10; NbReg 9,2), „in Armut, Demut<br />
<strong>und</strong> Maßhalten, inmitten <strong>der</strong> Kleinsten, ohne<br />
Macht <strong>und</strong> Privileg“ zu leben, „als Pilger <strong>und</strong><br />
Fremdling … als Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Kreatur untertan“<br />
(22); dass die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> „dem Beispiel<br />
<strong>des</strong> hl. Franziskus folgen, … , indem sie das Leben<br />
<strong>und</strong> die Situation <strong>der</strong> Armen wählen, sich mit ihnen<br />
identifizieren, den Unterdrückten, den Bedrängten<br />
<strong>und</strong> den Kranken dienen <strong>und</strong> sich von ihnen evangelisieren<br />
lassen“ <strong>und</strong> dass sie „ausdrücklich Option<br />
für die Armen“ ergreifen, „indem sie zur Stimme<br />
<strong>der</strong>er werden, die keine Stimme haben, als Werkzeug<br />
<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (25).<br />
Insbeson<strong>der</strong>e erinnert die Ratio daran, dass Ausbildung<br />
sicherstellen muss, dass die Brü<strong>der</strong> „im<br />
Geist … <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins, <strong>der</strong> Einfachheit <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
Teilens, vor allem mit den Geringen <strong>und</strong> den<br />
Armen dieser Welt“ (159) ihre Arbeit wählen <strong>und</strong><br />
auf sich nehmen. Und wie Liebe nur wirklich ist,<br />
wenn sie konkret ist, <strong>und</strong> konkret ist, wenn sie bei<br />
dem wirklich Nächsten geübt wird, so muss das<br />
Mitgefühl für die Unbedeutenden <strong>und</strong> die Option<br />
für die Armen zuerst in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft selbst<br />
beginnen <strong>und</strong> sich ausdrücken, in Bezug auf die<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, die es am meisten benötigen.<br />
Unter diesem Blickwinkel erklärt die RATIO im<br />
Abschnitt über das Noviziat, dass „Achtung <strong>und</strong><br />
Sorge für die älteren, kranken <strong>und</strong> schwachen Brü<strong>der</strong>“<br />
(144) <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft ein Unterscheidungskriterium<br />
darstellt für die Eignung <strong>des</strong> Novizen zur<br />
ersten Profess.<br />
Da dieses Min<strong>der</strong>sein-Mitgefühl ein wesentliches<br />
Element <strong>der</strong> Identität <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s ist, stellt<br />
es auch ein gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> Ziel franziskanischer<br />
Ausbildung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden dar. Die<br />
Ausbildung muss in dem Bru<strong>der</strong> jene Identifizierung<br />
in Urteil <strong>und</strong> Gefühl, in Verstand <strong>und</strong> Herz<br />
mit den letzten von allen anregen: mit <strong>der</strong> Dritten<br />
44<br />
Welt, mit <strong>der</strong> Vierten Welt <strong>und</strong> mit jenem sozialen<br />
Rand, <strong>der</strong> jeden Tag größer wird, <strong>und</strong> identifiziert<br />
werden kann durch das, was J. Garcia Roca „Verw<strong>und</strong>barkeit“<br />
nennt, d.h. all jene, die we<strong>der</strong> völlig<br />
aus <strong>der</strong> Gesellschaft ausgegrenzt, noch völlig<br />
integriert sind, die vielmehr eine unsichere Existenz<br />
haben: unsichere Arbeit, unsichere emotionale<br />
Beziehungen, ein Gefühl von Unsicherheit in ihren<br />
Leben.<br />
Die Option für die Armen muss, um evangeliumsgemäß<br />
<strong>und</strong> franziskanisch zu sein, ihren Impuls<br />
nicht von Motivationen moralischer Art noch von<br />
ideologischen Überzeugungen herleiten, son<strong>der</strong>n<br />
von einem Mitgefühl, das aus dem Herzen kommt<br />
<strong>und</strong> die ganze Person erreicht <strong>und</strong> verwandelt.<br />
Dann wird diese Option eine Erfahrung von Gnade<br />
<strong>und</strong> kann authentisch gelebt werden als Ausdruck<br />
einer ungeschuldeten Liebe: „es wurde mir in Süße<br />
<strong>der</strong> Seele <strong>und</strong> <strong>des</strong> Leibes verwandelt“. In <strong>der</strong> Tat<br />
„gibt es eine Form <strong>der</strong> Liebe zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, die<br />
unter <strong>der</strong> Gefahr leidet, die Menschen nicht zu<br />
lieben“.<br />
Innerhalb <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins-Mitgefühls, das ein<br />
gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> Ziel <strong>der</strong> Ausbildung darstellt, können<br />
wir einen Kernaspekt <strong>des</strong> franziskanischen<br />
Charismas einschließen, die „Achtung vor <strong>der</strong><br />
Schöpfung“. Dieser Ausdruck wird oft in <strong>der</strong> RATIO<br />
wie<strong>der</strong>holt: 21; 56,3c; 156; 162. Was bedeutet<br />
„Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung“? Es bedeutet Staunen<br />
<strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung für alles, was existiert, weil es ein<br />
Geschöpf Gottes ist <strong>und</strong> die Würde eines Bru<strong>der</strong>s<br />
besitzt, <strong>und</strong> weil in ihm Christus gegenwärtig ist<br />
<strong>und</strong> angetroffen werden kann (vgl. 12). Die RATIO<br />
erklärt, dass „Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung“ ein Kriterium<br />
für die Eignung eines Bru<strong>der</strong>s zur feierlichen<br />
Profess darstellt (156). Ausbildung soll entdecken<br />
helfen, dass Ökologie we<strong>der</strong> eine Frage egoistischer<br />
Sorge einer reichen Gesellschaft ist, noch die oberflächliche<br />
Äußerung einer bürgerlichen Spiritualität,<br />
son<strong>der</strong>n vielmehr etwas, das in die Mitte<br />
franziskanischen Glaubens gehört: das Verständnis<br />
<strong>der</strong> Geschöpfe als Subjekte <strong>und</strong> nicht als bloße<br />
Objekte <strong>der</strong> Manipulation <strong>und</strong> <strong>des</strong> menschlichen<br />
Konsums, <strong>und</strong> das Gefühl <strong>der</strong> Achtung vor dem<br />
unverletzbaren Recht je<strong>der</strong> Kreatur. Ausbildung<br />
sollte entdecken helfen, dass es bei dem ökologischen<br />
Problem genau um das Recht auf Existenz<br />
einer jeden Kreatur <strong>und</strong> um das Recht auf Überle-
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
ben jener Generationen geht, die nach uns auf<br />
Mutter Erde kommen.<br />
Hierin liegen die existentiellen Vorlieben von<br />
Verstand <strong>und</strong> Herz, welche die Ausbildung in den<br />
Brü<strong>der</strong>n anregen <strong>und</strong> stärken sollte. Dafür ist es<br />
unerläßlich, eine Pädagogik festzulegen, die konkret,<br />
anwendbar, kohärent <strong>und</strong> Teil eines Prozesses<br />
ist, den die RATIO nicht leisten kann. Wie können<br />
wir sicherstellen, dass das Kriterium <strong>der</strong> Beurteilung<br />
<strong>und</strong> die praktischen Optionen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in Ausbildung<br />
geprägt von Min<strong>der</strong>sein-Mitgefühl sind? Wie<br />
können wir es umsetzen, die mehr als oberflächlichen<br />
Idealisierungen vieler Kandidaten zu reinigen<br />
<strong>und</strong> authentisch werden zu lassen?<br />
Wie können wir den Blick <strong>und</strong> die Gewohnheiten<br />
<strong>der</strong> in unserer Welt Privilegierten än<strong>der</strong>n <strong>und</strong> sie<br />
durch die Prioritäten Jesu <strong>und</strong> <strong>des</strong> Franziskus ersetzen?<br />
Wie können diese Prioritäten vom Noviziat an<br />
motiviert <strong>und</strong> spirituell gefestigt werden? Vermitteln<br />
wir während <strong>des</strong> Zeitraums <strong>der</strong> zeitlichen<br />
Gelübde Erfahrung <strong>und</strong> wirkliche Begegnung mit<br />
den Ärmsten, sodass diese Option im Alltagsleben<br />
Wurzel schlagen kann? Das sind Lebensfragen für<br />
die Ausbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> für die, die in Ausbildung stehen.<br />
An<strong>der</strong>enfalls laufen <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
Gefahr, zu einer vagen Sehnsucht o<strong>der</strong> zu einer<br />
leeren Formel reduziert zu werden, wie es oft<br />
geschieht.<br />
3. Handeln zugunsten von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
in Frieden <strong>und</strong><br />
zugunsten von Frieden in <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Handeln für Frieden<br />
sind untrennbar. Sie sind ein <strong>und</strong> dasselbe.<br />
Sie bilden ein einziges Ziel <strong>und</strong> können in <strong>der</strong> Ausbildung<br />
unmöglich getrennt werden. Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>,<br />
erklärt die RATIO, „arbeitet für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> achtet die Schöpfung“ (21); er<br />
muss sich zu einem „Werkzeug <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ bekehren (25; 32), zu einem<br />
„Boten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Versöhnung“ (180a). Darauf zielt franziskanische<br />
Ausbildung, daran wird sie gemessen. „Suche nach<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ (56,2b) findet sich<br />
unter den Aspekten christlichen Wachstums für den<br />
Bru<strong>der</strong> in Ausbildung; <strong>der</strong> „Sinn für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Achtung <strong>des</strong> Geschaffenen“ (156) wird<br />
als ein Kriterium für die Eignung zur feierlichen<br />
Profess aufgeführt. Das „Bemühen, die Gesellschaft<br />
im Sinne <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung umzugestalten“ (162),<br />
ist unter den Zielen <strong>der</strong> Allgemeinbildung eingeschlossen.<br />
Kurz gesagt, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden,<br />
gemeinsam mit <strong>der</strong> Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung,<br />
stellen ein Prinzip, ein Kriterium <strong>und</strong> ein Ziel <strong>der</strong><br />
Ausbildung dar. Auf <strong>der</strong> Linie <strong>der</strong> RATIO möchte<br />
ich das noch spezifischer ausführen.<br />
Einerseits: Handeln zugunsten von <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />
In dem Maße, in dem die Ausgegrenzten <strong>und</strong> das<br />
„Verw<strong>und</strong>bare“ in unserer Welt <strong>und</strong> unserer Gesellschaft<br />
Opfer von Ungerechtigkeit sind, muss sich<br />
das Mitgefühl mit ihnen in Handeln gegen Ungerechtigkeit<br />
<strong>und</strong> Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> wandeln.<br />
Die Ratio stellt klar, dass „<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong><br />
einfühlsam ist <strong>und</strong> arbeitet, um jede Form von<br />
Ungerechtigkeit <strong>und</strong> die entmenschlichenden<br />
Strukturen in <strong>der</strong> Welt zu beseitigen“ (25); <strong>und</strong> dass<br />
„<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> bereit ist, kraftvoll alles anzuklagen,<br />
was <strong>der</strong> Würde <strong>des</strong> Menschen wi<strong>der</strong>spricht“<br />
(34). Dieses Element gehört auch zu den wesentlichen<br />
Zielen <strong>der</strong> Ausbildung. Doch versäumt es die<br />
RATIO nicht, auch eine Linie <strong>des</strong> Handelns für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> aufzuzeigen, an die je<strong>der</strong>zeit zu erinnern<br />
ist <strong>und</strong> die umgesetzt werden sollte; es ist nämlich<br />
wichtig, „sich um die Empfänger <strong>der</strong> christlichen<br />
Nächstenliebe zu kümmern, damit sie Protagonisten<br />
ihres menschlichen Vorankommens <strong>und</strong><br />
ihrer Befreiung werden“ (180a).<br />
So ist die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht von <strong>der</strong><br />
Arbeit für Frieden zu trennen, genauso wie die<br />
Arbeit für Frieden untrennbar ist von <strong>der</strong> Arbeit<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>. Wenn „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>der</strong> Name<br />
für Friede“ ist (Paul VI.), dann ist Friede <strong>der</strong><br />
Name für eine voll verwirklichte <strong>Gerechtigkeit</strong>. Die<br />
RATIO betont in ihrem ersten Teil, dass <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong><br />
berufen ist, „ein Mann <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (28),<br />
ein „Bote <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (3) zu<br />
sein, „versöhnt <strong>und</strong> friedliebend“ (22) zu leben; er<br />
„trägt als Herold <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> diesen im Herzen <strong>und</strong><br />
bietet ihn den an<strong>der</strong>en an (34; vgl. GG.CC. 68,2).<br />
„Einsatz für Versöhnung <strong>und</strong> Vergebung“ (56,3c)<br />
sollte das Wachstums eines Bru<strong>der</strong>s in franziskanischer<br />
Ausbildung kennzeichnen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> „Geist<br />
<strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versöhnung“ (156) ist<br />
ein Kriterium für die Eignung zur feierlichen<br />
Profess.<br />
45
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
Natürlich ist ein „Geist <strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Versöhnung“ nicht gleichbedeutend damit, in<br />
Situationen von Konflikt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit<br />
kleinmütig zu sein. Ausbildung zum „Mann <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong>“ o<strong>der</strong> zum „Boten <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ meint<br />
nicht, jemanden zu lehren, Konflikte zu vermeiden,<br />
son<strong>der</strong>n im Gegenteil ihn vorzubereiten, Konflikten<br />
mutig zu begegnen. Die Ausbildung muss dafür<br />
Sorge tragen, dass einer in Ausbildung weiterhin<br />
die „Fähigkeit zur Kommunikation <strong>und</strong> Konfliktbewältigung“<br />
(56,1b) erwirbt, angefangen mit <strong>der</strong><br />
eigenen Bru<strong>der</strong>schaft. Die eigene Bru<strong>der</strong>schaft ist<br />
<strong>der</strong> erste Ort, in dem die Brü<strong>der</strong> diese Fähigkeit zur<br />
Kommunikation <strong>und</strong> zur „Konfliktlösung“ (64)<br />
för<strong>der</strong>n müssen.<br />
Schließlich ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass<br />
<strong>der</strong> Kampf für <strong>Gerechtigkeit</strong> in Frieden <strong>und</strong> für<br />
Frieden in <strong>Gerechtigkeit</strong> eine Aufgabe voller Risiken<br />
ist <strong>und</strong> anfällig dafür, Fehler zu machen. Wer<br />
immer ein Werkzeug <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong> sein will, muss lernen, Komplexität <strong>und</strong><br />
Unsicherheit, ebenso Zweideutigkeit <strong>und</strong> Fehler auf<br />
sich zu nehmen. Er muss lernen, in einen Konflikt<br />
einzusteigen, ohne ein Bündnis mit <strong>der</strong> Ungerechtigkeit<br />
einzugehen <strong>und</strong> ohne einem Gefühl von<br />
Hass <strong>und</strong> Rache nachzugeben. Dies erfor<strong>der</strong>t große<br />
innere Freiheit <strong>und</strong> Mut <strong>des</strong> Geistes. Aber diese<br />
Kraft ist nicht das Spezifikum von Helden, son<strong>der</strong>n<br />
von jenen, die anerkennen, dass sie arm sind <strong>und</strong><br />
Vergebung benötigen, bedürftig <strong>und</strong> mit Gnade<br />
beschenkt.<br />
III. Einige Räume <strong>und</strong> Ausbildungsinstanzen,<br />
die „sich aus <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden ergeben"<br />
Nachdem ich, <strong>der</strong> RATIO folgend, aufgezeigt habe,<br />
dass <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden eine spirituelle<br />
Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> ein Ziel <strong>der</strong> Ausbildung darstellen,<br />
möchte ich im dritten Teil unterstreichen, dass<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden einen Ort <strong>und</strong> ein Mittel<br />
<strong>der</strong> Ausbildung bezeichnen. Wenn jede Spiritualität,<br />
wie je<strong>des</strong> Wissen <strong>und</strong> Handeln, von dem Ort<br />
<strong>und</strong> dem Umfeld abhängt, muss das Gleiche auch<br />
von <strong>der</strong> Ausbildung gesagt werden. Ausbildung ist<br />
keine Übermittlung von Ideen, son<strong>der</strong>n von Leben.<br />
Auch ist Ausbildung kein Informationsprogramm,<br />
46<br />
son<strong>der</strong>n ein Weg zur Verwandlung. Im Letzten ist<br />
Ausbildung wie Spiritualität eine Weise zu leben.<br />
Und Leben wird vor allem durch Aneignung <strong>und</strong><br />
Kontakt, durch Intuition <strong>und</strong> Zuneigung gelehrt<br />
<strong>und</strong> gelernt. Letztendlich wird sie von einem<br />
Lebensstil her aufgebaut. In diesem dritten Teil<br />
will ich drei Züge von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
als einem Ort herausstellen, durch den <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong><br />
gebildet wird: Treue zur Welt, Einglie<strong>der</strong>ung-<br />
Inkulturation, Dialog.<br />
1. Treue zur Welt von heute<br />
In <strong>der</strong> RATIO begegnen wir oft Ausdrücken wie<br />
„Welt von heute“, „Menschen unserer Zeit“ (3; 15;<br />
35; 66; 132; 137; 144; ...), <strong>und</strong> „Treue zu den<br />
Erwartungen <strong>der</strong> Welt von heute“, „Treue zu den<br />
Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ (Vorwort), o<strong>der</strong> einfach „Treue<br />
zum Menschen <strong>und</strong> zu unserer Zeit“ (15).<br />
Was besagt diese Treue? An erster Stelle zeigt sie<br />
„Aufmerksamkeit“ an. In <strong>der</strong> Formulierung von<br />
POPULORUM PROGRESSIO, die von <strong>der</strong> RATIO<br />
übernommen wird, for<strong>der</strong>t sie von den Brü<strong>der</strong>n<br />
Achtsamkeit gegenüber „dem Menschen, dem<br />
ganzen Menschen <strong>und</strong> allen Menschen“ (157); diese<br />
Ausbildung sollte „auf die erneuerten Appelle <strong>der</strong><br />
Welt“ (50) achten, dass <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> in Ausbildung<br />
„aufmerksam auf die Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ ist (26; 32);<br />
dass das Ausbildungshaus „auf die Welt <strong>und</strong> ihre<br />
Geschichte, auf die bestimmte soziale Wirklichkeit“<br />
achtet (79). Treue zur Welt <strong>und</strong> zu den Menschen<br />
von heute ist selbstverständlich keine servile <strong>und</strong><br />
unkritische Anhänglichkeit, son<strong>der</strong>n eine wachsame<br />
<strong>und</strong> aufnahmebereite Haltung. Sie bedeutet nicht<br />
Konformismus o<strong>der</strong> schnelle Anpassung, son<strong>der</strong>n<br />
ein wachsames Hören auf die Stimmen, Schreie <strong>und</strong><br />
For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Menschen von heute.<br />
Treue meint ebenso eine Antwort auf die aktuellen<br />
Bedürfnisse <strong>der</strong> Welt. In <strong>der</strong> Beschreibung <strong>des</strong> Ausbildungsprogramms<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> mit zeitlichen<br />
Gelübden wird gesagt, dass wir auf „die Erwartungen<br />
<strong>und</strong> Bedürfnisse <strong>der</strong> zeitgenössischen Welt“ antworten<br />
müssen (150), <strong>und</strong> dies setzt ein „Verständnis<br />
<strong>der</strong> zeitgenössischen Welt“ voraus (151,3), ein<br />
Hinhören, eine verstehende Antwort. Und mehr<br />
noch: Gemeinschaft. Die Ausbildung muss eine in<br />
die Tiefe gehende Gemeinschaft mit <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong><br />
den Menschen von heute anstoßen. Im Abschnitt<br />
über das Noviziat spricht die RATIO davon, dass ein<br />
Novize sich vorbereitet, „theoretisch <strong>und</strong> praktisch
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
eine tiefere Gemeinschaft mit den Menschen von<br />
heute in ihrer geschichtlichen, sozialen, politischen,<br />
kulturellen <strong>und</strong> religiösen Wirklichkeit zu leben“<br />
(137; vgl. GG.CC. 127,3; 130). Ausbildung im<br />
Geist von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden for<strong>der</strong>t ein<br />
aufmerksames Hinhören, eine positive Antwort,<br />
eine herzliche Gemeinschaft mit <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong><br />
wir leben, entgegen jenen häufigen Versuchungen<br />
zu tadeln <strong>und</strong> zu missbilligen. Wir müssen uns in<br />
<strong>der</strong> Ausbildung eher um Harmonie mit den Menschen<br />
von heute bemühen als sie zu verurteilen,<br />
eher darum, mit ihnen zu gehen als uns aufzudrängen,<br />
ihnen eher Weggefährten zu sein als lehrhafte<br />
Warnungen zu erteilen.<br />
Treue zur wirklichen Welt erfor<strong>der</strong>t schließlich von<br />
den Ausbil<strong>der</strong>n wie von den Auszubildenden ein<br />
ständiges kreatives Bemühen. Die RATIO unterstreicht,<br />
dass die Brü<strong>der</strong> sich kreativ mühen, neue<br />
Wege zu entdecken, die Werte <strong>des</strong> Evangeliums zu<br />
för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> zu verbreiten (39). Dies ist, so die<br />
RATIO, <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> für die Notwendigkeit ständiger<br />
Fortbildung. Ausbildung bedeutet, sich zu öffnen<br />
„für neue Formen <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes“<br />
(50) <strong>und</strong> „sich ständig den Notwendigkeiten <strong>der</strong><br />
Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> geschichtlichen Augenblicks anzupassen“<br />
(180a).<br />
Das Evangelium ist immer neuartig, weil es immer<br />
unbekannte Neuigkeit ist <strong>und</strong> weil es Verkündigung<br />
<strong>und</strong> Hören auf eine menschliche Geschichte ist, die<br />
sich beständig än<strong>der</strong>t. Sie ist noch verän<strong>der</strong>licher in<br />
einer Zeit beschleunigter Wandlungen, wo die<br />
Schemata <strong>und</strong> Lösungen von gestern heute schon<br />
versagt haben, wo jede neue Wandlung auch neue<br />
Ungerechtigkeiten mit sich bringt <strong>und</strong> wo jede<br />
Ungerechtigkeit globale Dimensionen annimmt. In<br />
dieser Art von Welt muss Ausbildung helfen, unsere<br />
Augen offen zu halten <strong>und</strong> unsere ganze Existenz<br />
frei <strong>und</strong> kreativ zu bewahren, im Dienst an den<br />
an<strong>der</strong>en.<br />
2. Einglie<strong>der</strong>ung in das Leben <strong>und</strong><br />
die Kultur eines Volkes<br />
Die RATIO betont, dass das Leben in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />
<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> geeignete Ort <strong>und</strong> das<br />
beste Mittel <strong>der</strong> Ausbildung ist. „Die franziskanische<br />
Ausbildung erfolgt in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> in<br />
<strong>der</strong> realen Welt“ (43). Für eine evangeliumsgemäße<br />
<strong>und</strong> franziskanische Sicht ist die unmittelbarste<br />
Wirklichkeit <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> wir leben, <strong>der</strong> Kon-<br />
trast zwischen dem Reichtum <strong>der</strong> einen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Armut <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Franziskanische Ausbildung<br />
for<strong>der</strong>t daher ein Sichhineinbegeben – das sehr<br />
verschieden sein mag, das aber authentisch sein<br />
muss – in die Wirklichkeit <strong>der</strong> Ärmsten in <strong>der</strong> Welt,<br />
in ihre Umgebung <strong>und</strong> in die Bru<strong>der</strong>schaft selbst.<br />
Der Bru<strong>der</strong> in Ausbildung muss „sich aktiv in das<br />
soziale <strong>und</strong> gemeinschaftliche Leben“ einbringen<br />
(45).<br />
Dieses Merkmal gilt in allen Phasen <strong>der</strong> Ausbildung,<br />
aber beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> zeitlichen Profess:<br />
„Der Bru<strong>der</strong> mit zeitlichen Gelübden glie<strong>der</strong>e<br />
sich ein <strong>und</strong> sei solidarisch mit <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong><br />
Welt <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Problematik <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, in welchem<br />
er seine Berufung zu leben gerufen ist“ (155).<br />
„Die praktische Ausbildung zu jedwedem kirchlichen<br />
Dienst verwirklicht sich vor allem in <strong>der</strong> täglichen<br />
Erfahrung <strong>des</strong> Lebens in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft,<br />
in <strong>der</strong> kirchlichen Gemeinschaft, in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
<strong>und</strong> im beson<strong>der</strong>en unter den Armen“ (177). Die<br />
Worte „im beson<strong>der</strong>en unter den Armen“ bezeichnen<br />
immer das, was kennzeichnend ist für Jesus <strong>und</strong><br />
Franziskus, <strong>und</strong> das daher konsequenterweise auch<br />
einen beson<strong>der</strong>en Aspekt für den Ort franziskanischer<br />
Ausbildung darstellt. Franziskanische Ausbildung<br />
hat nicht nur ihren Ort im Geist <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins,<br />
son<strong>der</strong>n kommt auch aus <strong>der</strong> Erfahrung <strong>des</strong><br />
Min<strong>der</strong>seins.<br />
Natürlich mag die Weise <strong>des</strong> Sicheinfügens sehr<br />
unterschiedlich sein, aber eine wirksame Nähe zu<br />
<strong>und</strong> eine Erfahrung <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> Welt, in<br />
<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> in Ausbildung lebt, ist eine Bedingung<br />
<strong>und</strong> ein Mittel wie auch ein Ziel <strong>der</strong> Ausbildung,<br />
die für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden ist <strong>und</strong> von<br />
diesen herkommt. Dies hat seine beson<strong>der</strong>e Gültigkeit<br />
für die ständige Fortbildung: „Die ständige<br />
Fortbildung geschieht im Kontext <strong>des</strong> täglichen<br />
Lebens <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s, im Gebet <strong>und</strong> bei <strong>der</strong><br />
Arbeit, in seinen Beziehungen sowohl innerhalb als<br />
auch außerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, <strong>und</strong> in seiner<br />
Beziehung zur kulturellen, sozialen <strong>und</strong> politischen<br />
Welt, in <strong>der</strong> er sich bewegt“ (58). Die Erfahrung<br />
wirklichen Lebens in <strong>der</strong> realen Welt ist letzten<br />
En<strong>des</strong> das, was bildet.<br />
Wie können wir dieses Kriterium anwenden <strong>und</strong> in<br />
Praxis umsetzen? Die Ratio nennt verständlicherweise<br />
keine Einzelheiten. Auf jeden Fall ist es inter-<br />
47
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
essant zu betonen, dass sie die Möglichkeit „kleiner<br />
Ausbildungsbru<strong>der</strong>schaften unter den Armen“ (80)<br />
in Erwägung zieht.<br />
Eine <strong>der</strong> f<strong>und</strong>amentalen Erfor<strong>der</strong>nisse dieses<br />
Sicheinfügens ist die Inkulturation. Die Ratio formuliert<br />
den folgenden Gr<strong>und</strong>satz: „Franziskanische<br />
Ausbildung ist inkulturiert in die Lebensbedingungen,<br />
in die Bedingungen <strong>der</strong> Umgebung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Zeit, in denen sie sich vollzieht“ (49). Sie sagt weiterhin,<br />
dass die Ausbildung eines Bru<strong>der</strong>s mit zeitlicher<br />
Profess eine „Einführung in das Verständnis<br />
<strong>der</strong> eigenen Kultur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Religiosität <strong>des</strong> Volkes“<br />
(151,3) einschließen muss; <strong>und</strong> die Vorbereitung<br />
eines Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s auf den Dienst <strong>der</strong> Evangelisierung<br />
erfor<strong>der</strong>t eine „Bereitschaft zur Inkulturation<br />
<strong>und</strong> zur Wertschätzung <strong>der</strong> Volksfrömmigkeit,<br />
... Nähe zum Leben <strong>und</strong> zur Sprache <strong>des</strong> Volkes,<br />
die Kenntnis <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen <strong>und</strong> Kulturen<br />
<strong>und</strong> den Dialog mit ihnen“ (179). All dies stellt eine<br />
offensichtliche For<strong>der</strong>ung an die Ausbil<strong>der</strong>: „Die<br />
Ausbil<strong>der</strong> sollen versuchen, ihre Arbeit in den kulturellen<br />
Kontext, in welchem sie zu dienen berufen<br />
sind, zu integrieren“ (100).<br />
Kultur ist die Gesamtsumme aller Sinnbezüge,<br />
Verhaltenswerte <strong>und</strong> symbolischen Horizonte, die<br />
das Leben von Individuen <strong>und</strong> Völkern gestalten<br />
48<br />
<strong>und</strong> motivieren; Kultur ist <strong>der</strong> Boden, den wir mit<br />
den uns Nächsten teilen, aber gleichzeitig auch<br />
das, was es uns erlaubt, uns den Entferntesten<br />
anzunähern <strong>und</strong> sie zu verstehen, das, was es uns<br />
gestattet, in einen Dialog einzutreten <strong>und</strong> in eine<br />
Suche von Gemeinsamkeiten. Es ist möglich <strong>und</strong><br />
notwendig, sich selbst von seiner eigenen Kultur her<br />
für die <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu öffnen. Schließlich ist es die<br />
Kultur eines an<strong>der</strong>en Volkes, die es uns ermöglicht,<br />
uns selbst tiefer zu verstehen. Kultur ist <strong>des</strong>halb<br />
nicht eine bloße Aneignung, son<strong>der</strong>n ein Vordringen<br />
zu den lebendigen Wurzeln von Individuen <strong>und</strong><br />
Völkern, das uns fähig macht, nicht nur das Evangelium<br />
zu verkünden, son<strong>der</strong>n es auch von ihnen zu<br />
empfangen. Diese Begegnung ist <strong>der</strong> bevorzugte<br />
Ort für eine Ausbildung, die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden dienstbar sein möchte.<br />
3. Dialog <strong>und</strong> Achtung <strong>der</strong> Verschiedenheit<br />
Die RATIO besteht auf dem Dialog, innerhalb wie<br />
außerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft: ein Bru<strong>der</strong> lebt „im<br />
Hören <strong>und</strong> im Dialog“ (23), in <strong>der</strong> „Achtung <strong>der</strong><br />
Verschiedenheit“ (75) innerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />
<strong>und</strong> „im Dialog mit den Menschen <strong>der</strong> eigenen<br />
Zeit“ (33). Er „pflegt die Haltung <strong>des</strong> Wohlwollens<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> Dialoges gegenüber den verschiedenen Kulturen<br />
<strong>und</strong> Religionen“ (26). Im Ausbildungshaus<br />
sollte „eine Atmosphäre <strong>des</strong> Vertrauens, <strong>des</strong> Dialogs<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Höflichkeit“ vorherrschen (76). Der Ausbil<strong>der</strong><br />
soll „die Fähigkeit besitzen, mit den an<strong>der</strong>en<br />
Brü<strong>der</strong>n zusammenzuarbeiten, Gespräche zu führen<br />
<strong>und</strong> ihnen zuzuhören“ (84). „Training zum aktiven<br />
Hören“ (163) ist eines <strong>der</strong> wichtigen Ziele <strong>des</strong> Studiums<br />
<strong>der</strong> Humanwissenschaften. Eines <strong>der</strong> Ziele<br />
<strong>der</strong> theologischen Ausbildung besteht darin, „mit<br />
den an<strong>der</strong>en Christen, mit den an<strong>der</strong>en Religionen<br />
<strong>und</strong> mit den Agnostikern Gespräche zu führen“<br />
(165). „Kenntnis <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen <strong>und</strong><br />
Kulturen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dialog mit ihnen“ (179) ist eines<br />
<strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>nisse für den kirchlichen Dienst.<br />
Je<strong>der</strong> Ort in <strong>der</strong> Welt, an dem wir leben, ist zunehmend<br />
mehr eine Straßenkreuzung, wo wir uns<br />
in <strong>der</strong> unersetzbaren <strong>und</strong> nicht reduzierbaren<br />
Gegenwart von an<strong>der</strong>en vorfinden, an<strong>der</strong>er mit<br />
ihrer Sprache <strong>und</strong> Logik, Religion <strong>und</strong> Moral,<br />
Ethik <strong>und</strong> Politik. Wir leben in einer Welt, die<br />
täglich mehr zu einem Dorf wird, aber trotzdem<br />
immer pluralistischer ist. Die sogenannte Postmo<strong>der</strong>ne<br />
ist wesentlich das Ergebnis <strong>des</strong> radikalen
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />
Pluralismus unserer Gesellschaften. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
werden wir heute mit Religionen <strong>und</strong> Kulturen<br />
konfrontiert, die über Jahrh<strong>und</strong>erte unbekannt<br />
waren <strong>und</strong> die durch unseren christlichen Westen<br />
<strong>und</strong> durch unsere eurozentrische Kirche verbannt<br />
gewesen waren. Es sind Kulturen <strong>und</strong> Religionen,<br />
die keinesfalls auf das reduziert werden können,<br />
was wir bereits kannten o<strong>der</strong> annahmen, dass sie<br />
seien. Es sind Kulturen <strong>und</strong> Religionen, die unsere<br />
Sicherheiten stören <strong>und</strong> unseren Ansprüchen<br />
wi<strong>der</strong>sprechen; so bekehren sie uns <strong>und</strong> spornen<br />
uns an, auf eine menschlichere Weise an einen<br />
menschlicheren Gott zu glauben.<br />
Pluralismus ist eine <strong>der</strong> größten Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
für Ausbildung: zu helfen, diesen Pluralismus auf<br />
eine positive Weise anzunehmen; mehr noch, auf<br />
eine solche Weise zu helfen, dass dieser Pluralismus<br />
verwandelt wird zu einem Ansporn <strong>und</strong> einem Mittel<br />
<strong>der</strong> Ausbildung, zu einer Übung zum Wachstum<br />
<strong>und</strong> zur gemeinsamen Suche, ohne in Skeptizismus<br />
o<strong>der</strong> Dogmatismus zu verfallen, ohne Relativismus<br />
o<strong>der</strong> Intoleranz zu dulden. Der enge Weg, dem wir<br />
folgen müssen, besteht im Dialog, <strong>der</strong> uns gestattet,<br />
dass Kreuzungen zu Begegnungsstätten werden,<br />
dass Unterschied zum Dialog wird, dass Verschiedenheit<br />
zu einer gemeinsamen Straße wird, <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden entgegen.<br />
Abschließend sei gesagt: Ausbildung trägt zu<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Welt bei, indem sie<br />
die Brü<strong>der</strong> in eine Spiritualität einführt, die die<br />
Nachfolge Jesu <strong>und</strong> den Glauben an einen parteinehmenden<br />
Gott inkarniert. Sie führt die Brü<strong>der</strong><br />
dazu, die Welt mit den Augen Gottes zu sehen <strong>und</strong><br />
sich mit ihm zu verbinden, d.h. mit dem Mitgefühl<br />
<strong>des</strong> Gekreuzigten. Sie lehrt die Brü<strong>der</strong>, als Menschen<br />
wie als Gläubige ausgehend vom Standpunkt <strong>des</strong><br />
Sicheinfügens in die Welt <strong>und</strong> durch den Dialog mit<br />
den Menschen zu reifen.<br />
José Arregui <strong>OFM</strong><br />
49
FÜR GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN
Themen<br />
von beson<strong>der</strong>em Interesse<br />
Wie wir schon in <strong>der</strong> Einführung gesagt haben, werden in diesem zweiten Teil sieben beson<strong>der</strong>e<br />
Themen behandelt, die in unserer Zeit von großem sozialen <strong>und</strong> kirchlichen Interesse sind.<br />
Es hätten mehr Themen sein können, doch um das Handbuch nicht zu umfangreich werden<br />
zu lassen, haben wir die Themen ausgewählt, die uns am passendsten <strong>und</strong> interessantesten<br />
erscheinen für die Ausgestaltung unseres Charismas heute.<br />
Je<strong>des</strong> Thema hat eine kurze theoretische Einführung, die nicht beansprucht, erschöpfend zu sein,<br />
son<strong>der</strong>n vielmehr eine Vorstellung <strong>des</strong> Themas geben will, um Reflexion <strong>und</strong> Handeln anzuregen.<br />
Diese theoretische Einführung zu jedem Thema wird vervollständigt durch Erfahrungen <strong>und</strong><br />
Zeugnisse <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> ganzen Welt.<br />
Da die theoretische Einführung je<strong>des</strong> Themas von einem an<strong>der</strong>en Autor abgefasst worden ist,<br />
kann es zu Wie<strong>der</strong>holungen kommen. Wir wollten diese Überschneidungen belassen, weil dieser<br />
Abschnitt nicht in einem Zug gelesen werden soll; vielmehr sollte je<strong>des</strong> Kapitel für sich nachgeschlagen<br />
<strong>und</strong> eigenständig bearbeitet werden.<br />
Am Ende eines jeden Themas ist ein langer Fragebogen zu finden. Der Gr<strong>und</strong> dafür liegt im<br />
instrumentalen Charakter <strong>des</strong> Buches. Wenn diese Kapitel für Treffen <strong>der</strong> Ausbildung, sei es<br />
<strong>der</strong> anfänglichen wie <strong>der</strong> ständigen, o<strong>der</strong> in Reflexionsgruppen mit Laien benutzt werden,<br />
möchte die lange Liste <strong>der</strong> Fragen den Gruppen die Reflexion erleichtern.<br />
1. Option für die Armen<br />
2. Frieden stiften<br />
3. Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung – <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
4. Leben<br />
5. Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
6. Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
7. Der ökumenische, interreligöse <strong>und</strong> interkulturelle Dialog<br />
53
Option für die Armen
■ Option für die Armen<br />
Option für die Armen<br />
§ 1 Franziskus wurde vom Herrn unter die Aussätzigen<br />
geführt; wie er sollen die Brü<strong>der</strong> zusammen<br />
<strong>und</strong> einzeln die Option für die an den Rand<br />
Gedrängten leben, für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten,<br />
Entwürdigten <strong>und</strong> Kranken, in Freude<br />
unter ihnen leben <strong>und</strong> ihnen Barmherzigkeit<br />
erweisen.<br />
§ 2 In brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft mit allen kleinen<br />
Leuten <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> mit Blick auf die heutigen<br />
Folgen <strong>der</strong> Armutssituation sollen die Brü<strong>der</strong><br />
daran arbeiten, dass die Armen selbst sich ihrer<br />
eigenen menschlichen Würde voll bewusst werden,<br />
sie hüten <strong>und</strong> mehren.<br />
<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 97<br />
Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus ...<br />
Seine Umarmung <strong>des</strong> Aussätzigen, <strong>der</strong> ausgegrenzten<br />
Person schlechthin in <strong>der</strong> mittelalterlichen<br />
Gesellschaft, war für Franziskus <strong>der</strong> Augenblick<br />
seiner Bekehrung (Test). Nach dieser Erfahrung verließ<br />
Franziskus die Welt, um unter den Aussätzigen<br />
zu leben, <strong>und</strong>, was ihm zuvor bitter gewesen war,<br />
wurde ihm nun süß <strong>und</strong> leicht (Test). Seine Identifizierung<br />
mit den Aussätzigen war mehr als Mitleid<br />
o<strong>der</strong> sozialer Protest. Der Aussätzige half Franziskus,<br />
seinen Platz im Leben, seinen Platz vor Gott zu<br />
verstehen. Er erkannte sich als Armer, wie jede Person<br />
nackt geboren wird <strong>und</strong> nackt stirbt, sine proprio<br />
(ohne Eigenes) vor Gott. Die Brü<strong>der</strong> seiner<br />
Gemeinschaft sollten als Min<strong>der</strong>e bekannt werden,<br />
Männer, die lebten, ohne sich irgendetwas anzueignen.<br />
Tatsächlich entschied sich Franziskus, mit<br />
den Armen, als einer von ihnen, durch das Leben<br />
zu gehen. Er begleitete sie <strong>und</strong> all jene, die ihre<br />
Identität als völlig von Gott abhängig begreifen<br />
konnten. Keiner sollte über einen an<strong>der</strong>en<br />
herrschen.<br />
Das Bedauern, einen Bettler abgewiesen zu haben,<br />
während er im Geschäft seines Vaters arbeitete,<br />
brachte Franziskus zu dem Entschluss, „für einen<br />
so großen Herrn Gefor<strong>der</strong>tes künftig nicht mehr<br />
abzuschlagen“ (DreiGef 3). Franziskus hatte eine<br />
tiefe Liebe <strong>und</strong> Achtung vor den Armen <strong>und</strong> sah in<br />
ihnen das Bild Christi, den „Sohn <strong>der</strong> armen Herrin“<br />
(2 Cel 83). Als ein Bru<strong>der</strong> einen Armen barsch<br />
anfuhr, sagte Franziskus zu dem Bru<strong>der</strong>: „Wer einen<br />
Armen schmäht, beleidigt Christus, <strong>des</strong>sen edles<br />
Abzeichen jener trägt; denn er hat sich um unseretwillen<br />
arm gemacht in dieser Welt“ (1 Cel 76).<br />
Wenn er jemanden in Not sah, wurde er betrübt;<br />
in Zeiten großer Kälte erbat er einen Mantel von<br />
Reichen, um ihn an einen Armen weiterzugeben.<br />
Franziskus lud einen Armen ein, ihn zu segnen,<br />
sooft sein Vater ihn mit Verwünschungen überhäufte<br />
(2 Cel 12). Wenn Franziskus materiell nicht<br />
helfen konnte, „schenkte er seine Liebe“ <strong>und</strong><br />
bekräftigte, dass die Armen ein Anrecht auf Almosen<br />
besäßen (LegMai VIII,5). Franziskus bat die<br />
Reichen, die Armen <strong>und</strong> Hungrigen an Weihnachten<br />
zu speisen (2 Cel 200). Franziskus tadelte einen<br />
Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> lieblos zu einem Armen gesprochen<br />
hatte; <strong>der</strong> Poverello sagte, dass Armut <strong>und</strong> Krankheit<br />
eines Menschen „ein Spiegel sind, in dem wir<br />
die Armut <strong>und</strong> die Schwäche unseres Herrn Jesus<br />
Christus liebend betrachten sollten, die er in seinem<br />
Leib erlitten hat, um die Menschheit zu erlösen“<br />
(LegPer 89).<br />
Die Liebe <strong>des</strong> Franziskus zu den Armen bedeutete<br />
nicht, dass er die Reichen verachtete. Tatsächlich<br />
warnte Franziskus die Brü<strong>der</strong> davor, jene „nicht zu<br />
verachten, noch zu verurteilen, die sie weiche <strong>und</strong><br />
farbenfrohe Klei<strong>der</strong> tragen <strong>und</strong> sich auserlesener<br />
Speisen <strong>und</strong> Getränke bedienen sehen“ (BReg<br />
2,17). Alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft sind gleich,<br />
ungeachtet aus welcher sozialen o<strong>der</strong> ökonomischen<br />
Schicht sie kommen; keiner sollte innerhalb <strong>der</strong><br />
Bru<strong>der</strong>schaft an einem Amt kleben (LegPer 83). Er<br />
bezeichnete sie als „Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>“ –<br />
55
■ Option für die Armen<br />
<strong>der</strong> geringeren Brü<strong>der</strong> – auf dass sie jedem untertan<br />
sein sollten (1 Cel 38).<br />
Option für die Armen<br />
Durch die Jahrh<strong>und</strong>erte waren Franziskaner herausgefor<strong>der</strong>t,<br />
sich die Worte <strong>des</strong> Franziskus zu eigen<br />
zu machen: „Regel <strong>und</strong> Leben <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />
ist dieses, nämlich unseres Herrn Jesu Christi heiliges<br />
Evangelium zu beobachten durch ein Leben in<br />
Gehorsam, ohne Eigentum <strong>und</strong> in Keuschheit“<br />
(BReg 1,1). Während je<strong>des</strong> Gelübde seine beson<strong>der</strong>en<br />
Schwierigkeiten bereitete, ist es unzweifelhaft<br />
sicher, dass die Armut die größte Anzahl an Debatten<br />
<strong>und</strong> die schärfsten Polemiken hervorgerufen<br />
hat. Über die Jahre hat sich die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
auf die Frage konzentriert, ob es möglich ist o<strong>der</strong><br />
nicht, die radikale Armut Jesu Christi zu leben, wie<br />
sie Franziskus <strong>und</strong> seine ersten Jünger gelebt hatten.<br />
Die intellektuelle Diskussion schenkte <strong>der</strong> konkreten<br />
Situation <strong>der</strong> Armen wenig Aufmerksamkeit,<br />
weil dieses Problem nicht als wesentlich für die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
angesehen wurde.<br />
Gegenwärtige Entwicklungen haben es jedoch<br />
lebenswichtig gemacht, die Armen in die Reflexion<br />
über die Bedeutung <strong>des</strong> Gelüb<strong>des</strong> <strong>der</strong> Armut miteinzuschließen.<br />
Der beständige Schrei aus <strong>der</strong> Dritten<br />
Welt, <strong>der</strong> für verschiedene Dokumente <strong>des</strong><br />
Zweiten Vatikanischen Konzils <strong>und</strong> einige päpstliche<br />
Erklärungen als Katalysator diente, macht uns<br />
die entmenschlichende Armut bewusst, die für die<br />
Situation so vieler unserer Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern<br />
auf <strong>der</strong> Welt kennzeichnend ist. Der Orden <strong>der</strong><br />
Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> ist durch diesen Aufschrei bewegt<br />
worden <strong>und</strong> befindet sich gegenwärtig in einem<br />
Prozess, sein Leben <strong>und</strong> seine Sendung vom Standpunkt<br />
<strong>der</strong> Geringsten <strong>des</strong> Volkes Gottes aus neu<br />
zu bestimmen.<br />
In den 1987 promulgierten Generalkonstitutionen<br />
hebt <strong>der</strong> Orden die Notwendigkeit hervor, die<br />
Armen zu einem integralen Teil unseres Lebens <strong>und</strong><br />
unserer Arbeit zu machen. Artikel 66,1 sagt: „Um<br />
dem Erlöser in <strong>der</strong> Selbstentäußerung nachdrücklicher<br />
zu folgen <strong>und</strong> sie deutlicher vor Augen zu<br />
führen, sollen die Brü<strong>der</strong> das Leben <strong>und</strong> den Stand<br />
<strong>der</strong> kleinen Leute in <strong>der</strong> Gesellschaft teilen <strong>und</strong><br />
56<br />
stets als die Min<strong>der</strong>en unter ihnen sein; durch diese<br />
soziale Haltung arbeiten sie am Kommen <strong>des</strong> Gottesreiches<br />
mit.“ Artikel 78,1 stellt fest: „Die Brü<strong>der</strong><br />
haben von <strong>der</strong> Regel her die Freiheit, ihre Arbeiten<br />
zu wählen. Sie sollen jedoch nach Zeit, Gegend <strong>und</strong><br />
Dringlichkeit solche bevorzugen, bei denen das<br />
Zeugnis <strong>des</strong> franziskanischen Lebens stärker aufleuchtet;<br />
<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s sollen sie Arbeiten suchen,<br />
bei denen die Solidarität mit den Armen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Dienst an ihnen zutage treten.“ Artikel 97,1 u. 2<br />
bekräftigt: „Franziskus wurde vom Herrn unter die<br />
Aussätzigen geführt; wie er sollen die Brü<strong>der</strong> zusammen<br />
<strong>und</strong> einzeln die Option für die an den Rand<br />
Gedrängten leben, für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten,<br />
Entwürdigten <strong>und</strong> Kranken, in Freude unter<br />
ihnen leben <strong>und</strong> ihnen Barmherzigkeit erweisen. In<br />
brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft mit allen kleinen Leuten<br />
<strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> mit Blick auf die heutigen Folgen <strong>der</strong><br />
Armutssituation sollen die Brü<strong>der</strong> daran arbeiten,<br />
dass die Armen selbst sich ihrer eigenen menschlichen<br />
Würde voll bewusst werden, sie hüten <strong>und</strong><br />
mehren.“ An vielen an<strong>der</strong>en Stellen for<strong>der</strong>n die<br />
Konstitutionen die Brü<strong>der</strong> auf, sich <strong>der</strong> Armen<br />
bewusst zu sein <strong>und</strong> sie bei <strong>der</strong> Ausarbeitung unseres<br />
gemeinsamen Lebens miteinzuschließen. In <strong>der</strong><br />
zeitgenössischen Terminologie wird dieser Einschluss<br />
<strong>der</strong> Armen als „vorrangige Option für die<br />
Armen“ bezeichnet. Was bedeutet diese „Option“,<br />
die für die franziskanische Lebensform so zentral<br />
geworden ist?<br />
In THE NEW DICTIONARY OF CATHOLIC SOCIAL<br />
THOUGHT (Liturgical Press, 1994) behandelt<br />
Donal Dorr das Thema „vorrangige Option für<br />
die Armen“. Er erklärt, dass eine solche Option<br />
ein Engagement ist, das gegen „Ungerechtigkeit,<br />
Unterdrückung, Ausbeutung <strong>und</strong> Ausgrenzung von<br />
Menschen, die beinahe jeden Aspekt öffentlichen<br />
Lebens durchdringen, Wi<strong>der</strong>stand leistet. Es ist ein<br />
Engagement, das die Gesellschaft in einen Ort verwandeln<br />
will, an dem die Menschenrechte <strong>und</strong> die<br />
Würde aller geachtet werden.“ Sie wird im Allgemeinen<br />
von denen vollzogen, die nicht arm sind<br />
<strong>und</strong> die sich ihres relativen Wohlstands <strong>und</strong> Prestiges<br />
bewusst geworden sind. Sie entscheiden, letztlich<br />
einen Teil dieses Wohlstands o<strong>der</strong> Prestiges<br />
aufzugeben <strong>und</strong> sich mit den Unterprivilegierten<br />
zu identifizieren. Eine solche Wahl basiert oft auf<br />
einem tieferen Verständnis <strong>des</strong> christlichen Glaubens.<br />
Sie schließt eine politische Dimension mit
■ Option für die Armen<br />
ein, da Einzelne dazu kommen, die Ungleichheiten<br />
in <strong>der</strong> Gesellschaft zu sehen, <strong>und</strong> dafür optieren,<br />
sich auf die Seite <strong>der</strong> relativ Machtlosen zu stellen.<br />
Wenn die Brü<strong>der</strong> einmal sehen, dass diese Option<br />
für jene getroffen wurde, die relativ machtlos sind,<br />
dann ist es nur ein kleiner Schritt, diese Option<br />
auf jene auszuweiten, die im wörtlichen Sinn die<br />
„Armen“ sind, d.h. die ökonomisch Benachteiligten,<br />
bis zu all jenen hin, die f<strong>und</strong>amentaler politischer,<br />
kultureller o<strong>der</strong> religiöser Rechte beraubt<br />
sind. In diese Definition können wir Frauen, Opfer<br />
rassistischer Diskriminierung <strong>und</strong> all diejenigen,<br />
die unter struktureller Ungerechtigkeit leiden,<br />
einschließen.<br />
Dorr unterstreicht, dass Individuen, die diese Option<br />
für die Armen treffen, aus Mitgefühl heraus so<br />
handeln. Dies erfor<strong>der</strong>t vor allem die Haltung <strong>der</strong><br />
Solidarität mit den Armen in ihren Leiden. Praktisch<br />
hat es mit unserem Lebensstil zu tun: „Die Art<br />
<strong>der</strong> Nahrung, die wir essen, die Kleidung, die wir<br />
tragen, die Weise, wie unsere Häuser ausgestattet<br />
sind“. Aber noch bedeutsamer berührt es die Fragen<br />
<strong>des</strong> „Bereichs, in dem wir leben, <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>schaften,<br />
die wir pflegen, die Art <strong>der</strong> Arbeit, die wir ausüben,<br />
<strong>und</strong> die Haltungen <strong>und</strong> den Stil, den wir<br />
beim Tun all dieser Dinge an den Tag legen.“ Mitgefühl<br />
for<strong>der</strong>t aber auch das Engagement zu einem<br />
Handeln, das strukturelle Ungerechtigkeit zu überwinden<br />
versucht. Wirksames Handeln schließt die<br />
sorgfältige Analyse <strong>der</strong> Situation mit ein, ein bewusstes<br />
Abstandnehmen von denen, die für die Ungerechtigkeit<br />
verantwortlich sind, sowie ein geplantes<br />
<strong>und</strong> gemeinschaftliches Handeln auf politischer<br />
Ebene, um die Ungerechtigkeit zu überwinden <strong>und</strong><br />
dann realistische Alternativen zu erarbeiten.<br />
Schließlich muss beim Prozess <strong>der</strong> Option für die<br />
Armen große Sorgfalt darauf verwendet werden,<br />
dass die Armen nicht zu Objekten unseres Handelns<br />
werden, gleich mit welchen guten Absichten<br />
dies geschieht. Es ist <strong>der</strong> Kampf <strong>der</strong> Armen; sie<br />
müssen die Subjekte dieses Kampfes sein. Unsere<br />
Rolle wird immer in Bezug auf diese zentrale Wirklichkeit<br />
zu definieren sein.<br />
Franziskus als Modell<br />
Franziskaner sind immer zu Franziskus als Quelle<br />
<strong>der</strong> Inspiration <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erneuerung zurückgekehrt.<br />
Wenn wir versuchen, die „Option für die Armen“<br />
in unsere Auffassung von Leben <strong>und</strong> Dienst zu integrieren,<br />
dann stellt sich die Frage, ob Franziskus als<br />
Modell für unsere Suche dienen kann? Die Antwort<br />
lautet: Ja <strong>und</strong> Nein.<br />
Arnaldo Fortini stellt in seinem Buch FRANCIS OF<br />
ASSISI (Crossroad, 1992) sorgfältig bis ins Detail<br />
die soziale Struktur <strong>der</strong> Welt <strong>des</strong> Franziskus dar.<br />
Die Ära war von einem monumentalen Wandel<br />
betroffen. Die feudalen Strukturen wurden langsam<br />
von denen <strong>des</strong> beginnenden Kapitalismus verdrängt.<br />
Feudalismus war gekennzeichnet durch die<br />
maiores <strong>und</strong> die minores, die Größeren <strong>und</strong> die<br />
Kleineren. Diese lateinischen Ausdrücke wurden<br />
verwendet, um Macht, Kraft, Würde <strong>und</strong> die Autorität<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
zu messen <strong>und</strong> zu klassifizieren. Die Feudalherren<br />
herrschten durch Lan<strong>der</strong>werb, <strong>und</strong> die Bildung<br />
großen Gr<strong>und</strong>besitzes bedeutete, dass die meisten<br />
Menschen in sklavische Abhängigkeit vom Land<br />
gerieten. Doch mit <strong>der</strong> wachsenden Bedeutung <strong>der</strong><br />
Städte <strong>und</strong> <strong>des</strong> Handels wie auch <strong>des</strong> unerbittlichen<br />
Wachstums <strong>der</strong> Geldwirtschaft wurden die Feudalherren<br />
zunehmend beunruhigt über das Aufsteigen<br />
<strong>der</strong> MINORES, die Kaufleute, Handwerker <strong>und</strong> Feldarbeiter<br />
umfassten. Diese niedrigeren Klassen leisteten<br />
Wi<strong>der</strong>stand gegen die von den MAIORES erhobenen<br />
Zölle <strong>und</strong> gegen das verhasste System <strong>der</strong><br />
Zwangsarbeit. Franziskus gehörte zu einer wohlhabenden<br />
Mittelklassefamilie Assisis, die ihr Vermögen<br />
dem Klei<strong>der</strong>handel verdankte. In seiner Jugend<br />
beteiligte sich Franziskus an dem sozialen Aufstand<br />
seiner Zeit. 1198 erlebte Franziskus im Alter von<br />
sechzehn Jahren den Fall <strong>der</strong> Rocca Maggiore, <strong>der</strong><br />
Burg, die den Feudalismus in Assisi symbolisierte.<br />
Das folgende Jahrzehnt war von Blutvergießen <strong>und</strong><br />
Gewalt geprägt, als die MAIORES darum kämpften,<br />
ihre Herrschaft trotz wachsend schwieriger Umstände<br />
zu sichern.<br />
Zu jener Zeit vernahm Franziskus den Ruf Gottes,<br />
dem wahren Herrn zu folgen. Als er versuchte zu<br />
entdecken, was Gott von ihm wollte, zeigte Franziskus,<br />
<strong>und</strong> darin stimmen alle Biographen überein,<br />
eine beson<strong>der</strong>e Zärtlichkeit für die Armen, mit dem<br />
57
■ Option für die Armen<br />
Vorzug für die Ärmsten <strong>der</strong> Armen, die Aussätzigen.<br />
Leonardo Boff vertritt in seinem Buch ZÄRTLICH-<br />
KEIT UND KRAFT. FRANZ VON ASSISI, MIT DEN<br />
AUGEN DER ARMEN GESEHEN (Düsseldorf 1983) die<br />
Auffassung, dass die erste Bekehrung <strong>des</strong> Heiligen<br />
den Armen galt, den von <strong>der</strong> Gesellschaft Gekreuzigten,<br />
<strong>und</strong> dann später dem gekreuzigten Jesus<br />
Christus. An verschiedenen Stellen seiner Lebensbeschreibungen<br />
bezeugt Thomas von Celano das<br />
Mitgefühl <strong>des</strong> Franziskus für die Armen <strong>und</strong> seine<br />
zärtliche Sorge für die Aussätzigen; Celano fügt<br />
hinzu, dass die ersten Brü<strong>der</strong> in die Fußstapfen ihres<br />
Grün<strong>der</strong>s traten. Der Weg <strong>des</strong> Franziskus ließ ihn<br />
die feudalen Strukturen auf zweifache Weise herausfor<strong>der</strong>n.<br />
Zunächst lehnte er es ab, den Wohlstand<br />
<strong>und</strong> das Privileg anzunehmen, das verb<strong>und</strong>en war<br />
mit <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu den maiores. Statt<strong>des</strong>sen<br />
teilte er das Los <strong>der</strong> Armen, die gehasst <strong>und</strong> unterdrückt<br />
waren, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aussätzigen, die durch die<br />
Gesellschaft verabscheut, ausgegrenzt <strong>und</strong> dann<br />
übersehen wurden. Franziskus schaute auf den<br />
Armen nicht vom Standpunkt <strong>des</strong> Reichen aus,<br />
son<strong>der</strong>n durch die Augen <strong>des</strong> Armen selbst. Dies<br />
ermöglichte ihm, den Wert <strong>des</strong> Armen zu entdecken.<br />
In seiner Auffassung gemeinschaftlichen<br />
Lebens versuchte er die feudale Hierarchie dadurch<br />
zu brechen, dass er alle Mitglie<strong>der</strong> als „Brü<strong>der</strong>“<br />
behandelte. In 2 Cel 191 verdeutlichte Franziskus,<br />
dass er in seiner Gruppe MAIORES <strong>und</strong> MINORES,<br />
Weise <strong>und</strong> Einfache vereinen wollte. Sein Stil war<br />
nicht theoretisch, son<strong>der</strong>n einfühlend, <strong>und</strong> er<br />
drückte seinen Wi<strong>der</strong>stand gegen die Aufteilung<br />
in Klassen darin aus, dass er alle seine Jünger zu<br />
„Brü<strong>der</strong>n“ auf gleicher Ebene machte.<br />
Wie Fortini <strong>und</strong> Boff deutlich machen, war die<br />
Option <strong>des</strong> Franziskus für die „MINORES“ seiner<br />
Zeit nicht eine Option für die MINORES, die eine<br />
neue soziale Gruppe bildeten. Die MINORES umfassten,<br />
wie oben angemerkt, Kaufleute, Handwerker<br />
<strong>und</strong> Feldarbeiter. Als soziale Klasse waren sie<br />
genau so begierig wie die maiores darauf, Reichtum<br />
anzuhäufen <strong>und</strong> auf Macht, die <strong>der</strong> Reichtum mit<br />
sich bringt. Fortini rät im 8. Kapitel seines Buches<br />
zur Vorsicht bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Beziehung<br />
zwischen <strong>der</strong> franziskanischen Bewegung <strong>und</strong> dem<br />
wachsenden Interesse an <strong>der</strong> Gründung eines<br />
Gemeinwesens in Assisi. Bei <strong>der</strong> Kommentierung<br />
<strong>des</strong> Sozialpaktes von 1210, <strong>der</strong> Jahre <strong>der</strong> Feindschaft<br />
zwischen den unterschiedlichen Klassen<br />
58<br />
Assisi beendete, behauptet Fortini erstens, dass er<br />
nicht das Ergebnis <strong>des</strong> Geistes <strong>der</strong> Harmonie sei,<br />
den Franziskus <strong>und</strong> seine ersten Jünger inspiriert<br />
hätten, son<strong>der</strong>n dass er vielmehr davon bestimmt<br />
war, die Macht <strong>des</strong> Gemeinwesens anwachsen zu<br />
lassen. Zweitens stellt er fest, dass es falsch sei, die<br />
franziskanische Bewegung als Ergebnis <strong>des</strong> Aufstands<br />
<strong>der</strong> MINORES anzusehen. Vielmehr: „Die<br />
neue bürgerliche Gesellschaft entsprang ... dem<br />
Wunsch nach kommerzieller Expansion. Im Krieg<br />
sieht sie das Mittel, dies zu erreichen. Dabei stehen<br />
sich <strong>der</strong> Stolz <strong>der</strong> Kaufleute <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stolz <strong>der</strong> Feudalherren<br />
gegenüber. Sie gründet ihre hauptsächliche<br />
soziale Kraft auf Wohlstand <strong>und</strong> Gewerbe. Sie<br />
sanktioniert die Rache gegen die, die sie beleidigen.<br />
Sie war grausam im Verteilen von Strafen. Diese<br />
Gesellschaft von habgierigen, gewalttätigen,<br />
streitsüchtigen, ehrgeizigen <strong>und</strong> brutalen Menschen<br />
war die vollkommene Antithese zur franziskanischen<br />
Bewegung, wie Franziskus die Antithese <strong>des</strong><br />
Pietro Bernadone war.“ Die Verwendung <strong>des</strong> Ausdrucks<br />
MINORES zur Beschreibung seiner Brü<strong>der</strong><br />
durch Franziskus leitete sich nicht ab von dem<br />
Namen einer Klasse o<strong>der</strong> Fraktion, son<strong>der</strong>n kam<br />
vielmehr von dem Adjektiv her, das die „niedrigsten,<br />
die untersten, jene, die Befehle entgegennehmen<br />
anstatt sie zu geben“ bezeichnete. Boff fügt<br />
hinzu, dass Franziskus entschied, seine soziale<br />
Klasse zu wechseln, indem er aus <strong>der</strong> Position eines<br />
reichen Bürgers sich dahin bewegte, mit den Armen<br />
<strong>und</strong> wie ein Armer zu leben.<br />
Franziskaner <strong>und</strong> <strong>der</strong> erneute Ruf<br />
zur Option für die Armen<br />
Schon zu Lebzeiten <strong>des</strong> Franziskus war es in <strong>der</strong><br />
Frage <strong>der</strong> Armut zum Streit unter den Brü<strong>der</strong>n<br />
gekommen. Es überrascht daher nicht, dass nur<br />
dreißig Jahre nach dem Tod <strong>des</strong> Franziskus, als<br />
Bonaventura zum Generalminister <strong>des</strong> Ordens<br />
gewählt worden war, dieser bald in den Streit hineingezogen<br />
wurde <strong>und</strong> es für notwendig fand, die<br />
Tugend zu verteidigen, die seinem geistlichen Vater<br />
so sehr am Herzen gelegen hatte. In seinem ersten<br />
R<strong>und</strong>brief rief Bonaventura die Brü<strong>der</strong> zur Pflicht:<br />
„Brü<strong>der</strong> sind zu eifrig, das Feld <strong>der</strong> Bestattungen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Erbschaften zu betreten. Die Häuser <strong>der</strong><br />
Brü<strong>der</strong> sind häufig <strong>und</strong> mit großem Aufwand
■ Option für die Armen<br />
verän<strong>der</strong>t worden … (was) Launenhaftigkeit verrät<br />
<strong>und</strong> unsere Armut kompromittiert … So steigen<br />
die Ausgaben auf schwindelerregende Weise.“ In<br />
seinen INSTRUKTIONEN FÜR NOVIZEN ruft Bonaventura<br />
seinen Lesern in Erinnerung, dass Armut<br />
die „erste Gr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> ganzen geistlichen Gebäu<strong>des</strong>“<br />
ist. Er ermutigt die Brü<strong>der</strong> weiterhin, „die<br />
Armut zu umarmen mit all eurer Kraft, denn wie<br />
die Schrift bezeugt, ist sie <strong>der</strong> Lebensbaum für die,<br />
die nach ihr greifen <strong>und</strong> wer sie festhält, ist glücklich<br />
zu preisen (vgl. Spr 3,18). Wenn ihr so an <strong>der</strong><br />
Armut bis ans Ende festhaltet, werdet ihr in das<br />
Himmelreich eingehen, denn die Wahrheit selbst<br />
hat versprochen: Selig, die arm sind vor Gott; denn<br />
ihnen gehört das Himmelreich (Mt 5,3).“<br />
Doch bei all seiner Sorge unterschied sich Bonaventura<br />
in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Armutsfrage von Franziskus.<br />
Die Bekehrung <strong>des</strong> Franziskus war durch<br />
den Kontakt mit denen ausgelöst, die zu den Verachtetsten<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft gehörten. Seine Berufung<br />
wurde getragen durch die ständige Begegnung<br />
mit dem gekreuzigten <strong>und</strong> armen Jesus Christus in<br />
<strong>und</strong> durch die Armen <strong>der</strong> Welt, die ähnlich wie er<br />
gekreuzigt waren. Er hatte einen beziehungsmäßigen<br />
Zugang zur Armut, einen, bei dem diejenigen,<br />
die an den Auswirkungen konkreter Armut in ihrem<br />
Leben litten, eine wesentliche Rolle spielten. Im<br />
Gegensatz dazu war die von Bonaventura verteidigte<br />
Armut mehr eine Größe in sich, eine, die ohne<br />
Bezug zu den Armen <strong>der</strong> Welt gemessen werden<br />
konnte. Sie eignete sich für die gelehrte Diskussion.<br />
So wurde die Bühne vorbereitet für eine Jahrh<strong>und</strong>erte<br />
dauernde Debatte über das Konzept <strong>der</strong><br />
Armut, die wenig Aufmerksamkeit denen schenkte,<br />
die tatsächlich arm waren <strong>und</strong> Armut an ihrem<br />
Leib erfahren mussten.<br />
Heute besteht für Franziskaner eine neue Dringlichkeit,<br />
das Thema <strong>der</strong> Armut wie<strong>der</strong> zu betrachten,<br />
o<strong>der</strong> auf zeitgenössischere Weise ausgedrückt, eine<br />
„vorrangige Option für die Armen“ zu treffen.<br />
Angesichts <strong>der</strong> enormen Massenarmut unserer<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern auf <strong>der</strong> ganzen Welt sind<br />
wir Franziskaner herausgefor<strong>der</strong>t, den Geist <strong>des</strong><br />
Franziskus in unserer Mitte zu erneuern. Wir werden<br />
durch die Schreie aus Lateinamerika, Afrika<br />
<strong>und</strong> Asien, durch die Unterweisungen von Kirchenführern<br />
wie Johannes XXIII., Paul VI. <strong>und</strong> Johannes<br />
Paul II. <strong>und</strong> durch viele Dokumente unseres<br />
Ordens eingeladen, diesen Schritt zu tun. Franziskus<br />
antwortete auf die Bedingung <strong>der</strong> Armut seiner<br />
Zeit mit einer buchstäblichen <strong>und</strong> unmittelbaren<br />
Umarmung <strong>der</strong>er, die arm waren. Wir sind aufgerufen,<br />
nichts Geringeres zu tun.<br />
Wie können wir diese zeitgenössische „Option für<br />
die Armen“ gestalten? Ein mögliches Modell ist das<br />
<strong>der</strong> „Begleitung“. In dem Buch ST. FRANCIS AND<br />
THE FOOLISHNESS OF GOD (Dennis, Nangle,<br />
Moe-Lobeda and Taylor; Orbis 1993) bekräftigen<br />
die Autoren, dass unsere beste Antwort auf die<br />
Bedingungen <strong>der</strong> bestehenden Armut, auf den Zorn<br />
<strong>und</strong> die Trauer, die sie anstiften, auf die Gnade<br />
<strong>und</strong> Güte, die wir unter den Armen finden, auf<br />
die Notwendigkeit <strong>der</strong> Analyse <strong>und</strong> alternativer<br />
Strukturen am besten in dem Wort „Begleitung“<br />
zusammengefasst werden kann. In ihren Worten<br />
bedeutet dies: „von an<strong>der</strong>en Wegen für eine Weile<br />
(<strong>und</strong> dann für immer) abzuweichen, mit den Randexistenzen<br />
zu gehen, mit ihnen zu sein, sie gehen<br />
zu lassen. Durch diese Begegnung mit Christus an<br />
den Rän<strong>der</strong>n können wir, die wir mit Franziskus<br />
den Armen einst nur als den „an<strong>der</strong>en“, den<br />
Gefürchteten, als Objekt <strong>der</strong> Furcht, dann als<br />
Objekt <strong>des</strong> Mitleids <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe sahen, als einzelne<br />
wie als Gesellschaft eine tiefe, ständige, Geist<br />
geleitete Bekehrung <strong>des</strong> Herzens, <strong>der</strong> Seele <strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> Geistes erleben. Langsam bewegen sich unsere<br />
Schwerpunkte aus uns heraus <strong>und</strong> wir finden uns<br />
plötzlich tanzend mit dem Poverello <strong>und</strong> seinen<br />
verachteten Fre<strong>und</strong>en an unbekannten Plätzen <strong>und</strong><br />
mit großer Freude.“ Für Franziskus war die Entscheidung,<br />
von seinem Pferd herabzusteigen <strong>und</strong><br />
den Aussätzigen zu umarmen, jene zu begleiten, die<br />
am Rand <strong>der</strong> Gesellschaft lebten, schwierig <strong>und</strong><br />
langwierig. Einmal getroffen gab sie ihm für den<br />
Rest seines Lebens Orientierung <strong>und</strong> brachte ihn in<br />
Kontakt mit <strong>der</strong> Quelle <strong>des</strong> Lebens. Eine Entscheidung<br />
unsererseits, mit den Ausgeschlossenen <strong>der</strong><br />
Gesellschaft zu gehen, wird uns in Kontakt mit dem<br />
leidenden Jesus bringen, <strong>der</strong> durch seinen Tod am<br />
Kreuz Leben brachte, <strong>und</strong> wird in uns die Sehnsucht<br />
beleben, den Fußspuren <strong>des</strong> Poverello zu<br />
folgen.<br />
Joseph G. Rozansky <strong>OFM</strong><br />
59
■ Option für die Armen<br />
Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />
Für den Außenstehenden verkörpern die Gestalten<br />
<strong>des</strong> hl. Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> hl. Klara vielleicht deutlicher<br />
als alle an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Kirchengeschichte das<br />
Konzept, eins mit den Armen zu werden, indem sie<br />
<strong>der</strong>en Lebenserfahrung teilten. „Il Poverello“, als<br />
<strong>der</strong> Franziskus noch heute in Italien bekannt ist,<br />
<strong>und</strong> die Grün<strong>der</strong>in <strong>der</strong> armen Klarissen waren in<br />
ihrer Zeit umstrittene Charaktere wegen ihres<br />
Selbstverständnisses als minores <strong>und</strong> ihrer Offenheit<br />
für Menschen wie die Aussätzigen, die als die<br />
Geringsten <strong>der</strong> Gesellschaft angesehen wurden.<br />
Das Thema <strong>der</strong> Armut ist durchweg ein Punkt <strong>der</strong><br />
Erneuerung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Spaltung innerhalb <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie gewesen. Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
entdeckten die Freiheit, die ein Leben SINE PROPRIO<br />
begleitet. Ihre Armut war nicht ein Engagement<br />
für Genügsamkeit, son<strong>der</strong>n sie war eine Wahl, eine<br />
Leidenschaft <strong>der</strong> Seele, die sie freimachte, großzügig<br />
in Gottes Schöpfung zu leben, nicht jemanden o<strong>der</strong><br />
etwas als sein o<strong>der</strong> ihr Eigentum zu beanspruchen.<br />
Der Einsatz <strong>des</strong> Franziskus für diese Lebensweise<br />
war durch den armen Christus motiviert.<br />
Auch heute ist diese radikale Option für die Armen<br />
weiterhin eine umstrittene Wahl, sowohl im Umfeld<br />
einer zunehmend materialistischen <strong>und</strong> am Erfolg<br />
orientierten Gesellschaft als auch innerhalb <strong>der</strong><br />
franziskanischen Familie selbst. Wenn Brü<strong>der</strong>,<br />
Schwestern <strong>und</strong> Laien sich bemühen, den Fußspuren<br />
ihrer Grün<strong>der</strong> zu folgen, werden sie mit <strong>der</strong><br />
komplexen Frage konfrontiert, inwieweit sie sich<br />
mit den Armen <strong>der</strong> heutigen Welt identifizieren<br />
können o<strong>der</strong> sollen. Einige Brü<strong>der</strong> sehen ihre Sendung<br />
darin, innerhalb <strong>der</strong> traditionellen Gemeinschaftsstrukturen<br />
zu bleiben, in denen sie in geeigneter<br />
Weise für die Armen arbeiten können. An<strong>der</strong>e<br />
glauben, dass sie berufen sind, an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />
Armen zu wirken, um ihnen wichtige Dienste in<br />
Barackensiedlungen, Slums <strong>und</strong> abgelegenen ländlichen<br />
Gebieten zu leisten. Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e treten<br />
dafür ein, sich in je<strong>der</strong> möglichen Weise mit den<br />
Armen zu identifizieren, in dem man ihre Lebenssituation,<br />
ihre Unterdrückung – <strong>und</strong> sogar ihren<br />
Tod teilt.<br />
In einigen Län<strong>der</strong>n wurde die radikale Option für<br />
die Armen den Brü<strong>der</strong>n durch Regierungen o<strong>der</strong><br />
60<br />
Umstände, die außer ihrer Kontrolle lagen, aufgezwungen.<br />
In Vietnam zum Beispiel wurden alle<br />
Häuser durch die kommunistischen Herrscher<br />
konfisziert, die 1975 die Herrschaft im ganzen Land<br />
übernahmen. Viele Brü<strong>der</strong> sehen jetzt diese offensichtliche<br />
Härte als einen Akt <strong>der</strong> Vorsehung an, <strong>der</strong><br />
sie zwang, ihren „komfortablen“ Lebensstil aufzugeben<br />
<strong>und</strong> eine bewusste Entscheidung zu treffen, das<br />
Leben <strong>der</strong> Menschen dort zu teilen. Durch die<br />
Übergabe <strong>der</strong> größeren Häuser an die Regierung<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Teilnahme an Brigaden <strong>der</strong> Handarbeit<br />
wurden sich die Brü<strong>der</strong> gewisser franziskanischer<br />
Werte mehr bewusst <strong>und</strong> waren fähig, diese in einer<br />
neuen Weise zu bezeugen. Heute sieht sich die Kirche<br />
in Vietnam mit <strong>der</strong> erneuten Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
konfrontiert, wie sie den Menschen am besten<br />
dienen kann in einem Land, das radikale Schritte<br />
in Richtung Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>und</strong> freier Marktwirtschaft<br />
unternimmt. ALEXIS TRAN DUC HAI,<br />
Provinzialminister <strong>der</strong> Provinz <strong>des</strong> hl. Franziskus in<br />
Vietnam, <strong>der</strong> 1975, dem Jahr <strong>der</strong> kommunistischen<br />
„Revolution“ zum Priester geweiht worden war,<br />
beschäftigt sich zunehmend mit <strong>der</strong> Frage, welche<br />
Rolle Franziskaner in seiner sich schnell wandelnden<br />
Heimat spielen können. So wie das Land sich<br />
in Richtung Mo<strong>der</strong>nisierung bewegt, sagt er: „Ich<br />
bin überzeugt, dass die Kirche in Vietnam sich mit<br />
an<strong>der</strong>en Sektoren <strong>der</strong> Gesellschaft messen kann,<br />
nicht durch die Bereitstellung einer glücklichen<br />
Fassade, son<strong>der</strong>n indem sie die moralischen <strong>und</strong><br />
menschlichen Dimensionen unserer Volkes stärkt.“<br />
Unter den Brü<strong>der</strong>n, die sich für die radikalste Option<br />
entschieden hatten, finden wir DIEGO URIBE,<br />
<strong>der</strong> sich einer Guerillagruppe anschloss, die dafür<br />
kämpfte, ihr Land von Ungerechtigkeiten <strong>und</strong><br />
sozialer Ungleichheit zu befreien. Diego wirkte<br />
immer mit <strong>der</strong> Sehnsucht, seinem Volk zu dienen<br />
<strong>und</strong> treu seine Gelübde zu leben. Er nahm schließlich<br />
einen hohen Rang in seiner Guerillagruppe ein,<br />
bis er am 2. Dezember 1981 vom Militär in<br />
Kolumbien ermordet wurde. Schon vor <strong>der</strong> Ablegung<br />
seiner feierlichen Profess war er sehr aufgewühlt<br />
durch die extreme Armut <strong>und</strong> Ungerechtigkeit,<br />
die er um sich herum wahrnahm, während er<br />
in Bogotá Theologie studierte, <strong>und</strong> diese mit dem<br />
privilegierten Leben jener verglich, die innerhalb<br />
<strong>der</strong> Konventsmauern lebten. Inspiriert von dem<br />
tiefen Wandel in <strong>der</strong> Haltung, die das Zweite<br />
Vatikanische Konzil eingeleitet hatte, entschieden
■ Option für die Armen<br />
Uribe <strong>und</strong> einige an<strong>der</strong>e franziskanische Studenten,<br />
ihre komfortablen Quartiere in den Seminarien zu<br />
verlassen <strong>und</strong> sich in die ärmsten Zonen <strong>der</strong> Stadt<br />
zu begeben. Nach seiner Priesterweihe wurde er zur<br />
Arbeit in die westliche Küstenregion gesandt, einem<br />
<strong>der</strong> feuchtesten <strong>und</strong> unwirtlichsten Gegenden <strong>des</strong><br />
Lan<strong>des</strong>. Diese Region ist von Nachkommen afrikanischer<br />
Gruppen besiedelt, die vor zwei o<strong>der</strong> drei<br />
Jahrh<strong>und</strong>erten als Sklaven dorthin gebracht worden<br />
waren, um die alten Goldminen auszubeuten, die<br />
jetzt ausgeschöpft sind. Und viele leben <strong>und</strong> arbeiten<br />
heute noch als Sklaven. Im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />
begann Diego immer tiefer die existierenden Gesellschaftsstrukturen<br />
<strong>und</strong> die Bedeutung seiner eigenen<br />
Sendung zu hinterfragen. 1974 kehrte er zurück,<br />
um in einem <strong>der</strong> Randgebiete Bogotás zu arbeiten.<br />
Hier kam er zum ersten Mal mit Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Nationalen Befreiungsarmee in Kontakt. „Diego<br />
war eine bescheidene <strong>und</strong> liebenswürdige Person“,<br />
sagt sein Bru<strong>der</strong> Fernando Uribe, <strong>der</strong> heute am<br />
Antonianum in Rom unterrichtet. „Wir waren acht<br />
Geschwister, fünf Jungen <strong>und</strong> drei Mädchen, <strong>und</strong> er<br />
war <strong>der</strong> liebenswerteste von uns allen. Doch seine<br />
Fre<strong>und</strong>lichkeit erstickte nicht seine tiefe Sensibilität<br />
für die armen Menschen <strong>und</strong>, in seiner Sehnsucht<br />
etwas Wirksames für die Armen zu tun, meinte er,<br />
dass <strong>der</strong> bewaffnete Kampf <strong>der</strong> einzige Weg war, um<br />
sie aus Unterdrückung zu befreien.“ Fernando sagt,<br />
dass die Nationale Befreiungsarmee, <strong>der</strong> sich Diego<br />
Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre anschloss, in den letzten zehn<br />
o<strong>der</strong> fünfzehn Jahren eine heftige Entwicklung<br />
durchmachte, beson<strong>der</strong>s hinsichtlich <strong>der</strong> Methoden,<br />
sich zu finanzieren <strong>und</strong> ihr Anliegen voranzutreiben.<br />
Fernando war <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> um die<br />
Entscheidung seines Bru<strong>der</strong>s, sich dieser Gruppe<br />
anzuschließen, wusste – „immer respektiert, aber<br />
niemals geteilt“. Er war auch <strong>der</strong> Einzige, <strong>der</strong> Ende<br />
Dezember 1981 in die Berge ging, um den<br />
Leichnam seines Bru<strong>der</strong>s zu identifizieren. „Diego<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e seiner Gefährten waren ermordet worden,<br />
während sie ein Arbeitstreffen mit zwei an<strong>der</strong>en<br />
Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe auf einem Bauernhof in den<br />
Bergen abhielten. Die Überlebenden <strong>der</strong> Gruppe <strong>und</strong><br />
die Bewohner <strong>des</strong> Hauses, Kin<strong>der</strong> eingeschlossen,<br />
waren gefoltert worden. In jener Zeit war das Handeln<br />
Diegos eine Ursache von Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
unter den Franziskanern Kolumbiens, aber die<br />
Generalkurie in Rom respektierte angesichts <strong>der</strong><br />
beson<strong>der</strong>en Situation <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> seine persönlichen<br />
Optionen.“<br />
Die Brü<strong>der</strong> in Kolumbien setzen sich noch heute<br />
für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten ein, die weiterhin<br />
auch heute Opfer <strong>des</strong> Missbrauchs ihrer Menschenrechte<br />
sind, was aber nicht immer durch die<br />
Presse bekannt gemacht wird. Die von <strong>der</strong> interkongregationalen<br />
Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden Kolumbiens erstellten Statistiken<br />
zeigen, dass annährend 9.500 Personen Opfer von<br />
Gewalt wurden. Der Bericht <strong>des</strong> amerikanischen<br />
Außenministeriums über die Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
in Kolumbien von 1996 zeigt, dass<br />
<strong>der</strong> bewaffnete Konflikt <strong>und</strong> das wahllose Töten<br />
weiterhin die Gesellschaft zerstört; die Polizei <strong>und</strong><br />
die Armee sind zum großen Teil für diese Gewalt<br />
verantwortlich.<br />
In vielen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt bedeutet die Option für<br />
die Armen, sich auf die Seite <strong>der</strong> Verfolgten zu stellen.<br />
Im heutigen Heiligen Land bedeutet dies das<br />
Risiko, in das Kreuzfeuer <strong>des</strong> gewaltsamen Konflikts<br />
zu geraten, in dem Araber <strong>und</strong> Juden sich gegenüberstehen,<br />
seit <strong>der</strong> Staat Israel vor einem halben<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert gegründet wurde. Unter <strong>der</strong> israelischen<br />
Besatzung <strong>der</strong> Westbank <strong>und</strong> <strong>des</strong> Gazastreifens,<br />
mussten min<strong>des</strong>tens eine Million Palästinenser<br />
ihre ehemaligen Häuser verlassen <strong>und</strong> in verwahrloste<br />
<strong>und</strong> überfüllte Flüchtlingslager fliehen, wo<br />
viele von ihnen unter unmenschlichen Bedingungen<br />
überleben. Sie benötigen alles, vom frischen<br />
Wasser bis zu medizinischem Beistand, von Schulerziehung<br />
bis zu Beschäftigung. Vor allem benötigen<br />
sie eine dauerhafte politische Lösung für die<br />
ganze Region, die Hoffnung auf eine bessere <strong>und</strong><br />
friedlichere Zukunft bringt. Franziskaner sind seit<br />
den Zeiten <strong>des</strong> hl. Franziskus im Heiligen Land<br />
präsent, was sie zu <strong>der</strong> ältesten legal bestehenden<br />
Organisation in <strong>der</strong> Region macht. Im Laufe <strong>der</strong><br />
Jahrh<strong>und</strong>erte standen sie selbst im Zentrum vieler<br />
„heiliger Kriege“, welche die Region zerstörten. Traditionellerweise<br />
waren sie die Hüter <strong>der</strong> heiligen<br />
Stätten; sie gaben ein beständiges Zeugnis christlicher<br />
Nächstenliebe inmitten <strong>der</strong> Machtkämpfe, die<br />
um sie herum wüteten. „Das ist auch heute noch<br />
<strong>der</strong> sichtbarste Aspekt franziskanischer Präsenz“,<br />
sagt GUISEPPE NAZARRO, <strong>der</strong> ehemalige Kustos <strong>des</strong><br />
Heiligen Lan<strong>des</strong>. Hinter den Kulissen arbeiten<br />
mehr als 300 Brü<strong>der</strong> aus 32 verschiedenen Län<strong>der</strong>n<br />
auf unterschiedliche Weise, um das Leben <strong>der</strong><br />
Armen, Christen wie Nichtchristen, zu verbessern.<br />
Ihre Sendung erstreckt sich über die Gebiete, in<br />
61
■ Option für die Armen<br />
denen die Flüchtlinge sich nie<strong>der</strong>gelassen haben,<br />
Israel, Jordanien, Ägypten, Syrien, Libanon, Zypern<br />
<strong>und</strong> Rhodos. Sie unterhalten 16 Schulen <strong>und</strong> Institute<br />
für über 10.000 Schüler, genau so wie Waisenhäuser,<br />
Kliniken, Arbeitsstätten, Altersheime <strong>und</strong><br />
Pfarrzentren für Jugendliche. Sie geben ihnen eine<br />
Alternative zu <strong>der</strong> Gewalt, die sie seit ihrer Kindheit<br />
erlebt haben. In dem Bemühen, den ständigen<br />
Wegzug <strong>der</strong> Christen aus dem Heiligen Land einzudämmen,<br />
haben die Brü<strong>der</strong> freie Unterkünfte für<br />
H<strong>und</strong>erte von Familien geschaffen, ebenso wie Ausbildungsstipendien,<br />
um junge Menschen zu ermutigen,<br />
ihre Studien im Nahen Osten fortzusetzen.<br />
In Italien ist die Option für die Armen, <strong>der</strong> Franziskus<br />
<strong>und</strong> Klara den Weg gebahnt hatten, für die<br />
Arbeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> durch die Jahrh<strong>und</strong>erte kennzeichnend<br />
geblieben. In <strong>der</strong> Toskana sind die<br />
Franziskaner verantwortlich für die Errichtung <strong>des</strong><br />
ersten Geldverleihsystems zugunsten <strong>der</strong> Armen.<br />
Diese frühen Pfandhäuser, bekannt als MONS<br />
PIETATIS, wurden 1462 von zwei Brü<strong>der</strong>n begonnen,<br />
BERNARDINO von Feltre <strong>und</strong> BARNABA von<br />
Terni. Trotz <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>stands vieler Schichten <strong>der</strong><br />
Gesellschaft, an<strong>der</strong>e Orden eingeschlossen, entwickelten<br />
die Brü<strong>der</strong> einen sicheren Weg, Geld zu<br />
niedrigen Zinsraten zu verleihen, damit die Armen<br />
ihre Schulden bezahlen konnten <strong>und</strong> nicht in die<br />
Hände von Wucherern fielen. Im Jahr 1515 wurde<br />
diesen sich selbst tragenden Leihgeschäften durch<br />
Leo X. im Gefolge <strong>des</strong> fünften Laterankonzils die<br />
offizielle päpstliche Anerkennung gewährt. Ähnliche<br />
Kreditinstitute begannen zunächst in Norditalien<br />
zu entstehen, <strong>und</strong> dann im ganzen Land,<br />
Vorläufer unserer mo<strong>der</strong>nen Banken.<br />
Vor kurzem haben die Brü<strong>der</strong> in Italien das Thema<br />
<strong>der</strong> Armut auf internationaler Ebene aufgeworfen.<br />
Die Konferenz <strong>der</strong> Provinzialminister <strong>der</strong> italienischen<br />
Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> (COMPI) unternahm den<br />
innovativen Schritt, das Dokument GLOBALE<br />
HERAUSFORDERUNGEN DER ÖKONOMISCHEN ETHIK<br />
zu veröffentlichen. Dieses Dokument for<strong>der</strong>t eine<br />
größere Aufmerksamkeit für das internationale<br />
Schuldenproblem <strong>und</strong> für die Weise, wie es direkt<br />
das Leben <strong>der</strong> Armen berührt.<br />
Eine an<strong>der</strong>e Methode, die Probleme <strong>der</strong> Armen<br />
in verschiedenen Zonen <strong>der</strong> gegenwärtigen Welt<br />
vorzustellen, ist die gegenseitiger Besuche, wobei<br />
62<br />
Franziskaner in einem Land aus erster Hand an<br />
den Bemühungen <strong>und</strong> Erfahrungen von Gemeinschaften<br />
an<strong>der</strong>er Nationen teilnehmen können.<br />
Während einer solchen Reise besuchten sieben<br />
koreanische Brü<strong>der</strong> eine <strong>der</strong> ärmsten Zonen r<strong>und</strong><br />
um die philippinische Hauptstadt Manila. Als sie<br />
später ihre Erfahrung reflektierten, sagten die koreanischen<br />
Brü<strong>der</strong>, dass sie von ihren philippinischen<br />
Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schwestern ungewöhnlich beeindruckt<br />
waren, die in Armut mit den Menschen in<br />
solchen städtischen Randgebieten leben. H<strong>und</strong>erttausende<br />
von Familien kämpfen, um in den<br />
Barackensiedlungen r<strong>und</strong> um Manila zu überleben;<br />
sie leben mit <strong>der</strong> täglichen Bedrohung von Zwangsräumung<br />
<strong>und</strong> dem erzwungenen Abriss ihrer Notunterkünfte<br />
durch den Plan <strong>der</strong> Regierung, diese<br />
Zone zu restrukturieren. Ähnliches geschieht in den<br />
Vereinigten Staaten, wo das Fortbildungsprogramm<br />
<strong>der</strong> Provinz von Kalifornien eine Zeit in Guatemala<br />
einschließt, bei <strong>der</strong> die Brü<strong>der</strong> aus erster Hand das<br />
Leben <strong>und</strong> das Leiden einer <strong>der</strong> ärmsten Bevölkerung<br />
in Zentralamerika erfahren können.<br />
In Japan verursacht die radikale Option für die<br />
Armen durch PIO (Tetsuro) HONDA weiterhin eine<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung unter vielen seiner Mitbrü<strong>der</strong>.<br />
Während seiner Zeit als Provinzialminister hielt <strong>der</strong><br />
Orden 1985 seinen Ordensrat in Bahia ab; ein<br />
Ereignis, das einen tiefen <strong>und</strong> andauernden Eindruck<br />
auf Pio machte. Mit dem Eifer <strong>des</strong> Neubekehrten<br />
mühte er sich ab, sicherzustellen, dass die<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong> Provinz ein prophetisches Leben mit den<br />
Armen leben könnten. Sein Enthusiasmus steckte<br />
einige Brü<strong>der</strong> an, bereitete aber an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Provinz Schwierigkeiten. Nach einer stürmischen<br />
Amtsperiode als Provinzialminister ging<br />
Pio in ein Gebiet mit Namen Kamagasaki, in <strong>der</strong><br />
Stadt Osaka, um als Tagelöhner zu arbeiten. Sie<br />
stellen eine <strong>der</strong> am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen<br />
in dieser nach außen so blühenden<br />
<strong>und</strong> erfolgreichen Nation dar. Kamagasaki ist einer<br />
<strong>der</strong> vier größten Sammelpunkte für arbeitslose<br />
Arbeiter. Tausende von ihnen waren dorthin zugewan<strong>der</strong>t,<br />
als Japan sich aggressiv von einer landwirtschaftlichen<br />
zu einer industrie- <strong>und</strong> technologiebasierten<br />
Gesellschaft entwickelte. Die Tauglichen<br />
unter ihnen sammeln sich jeden Morgen um<br />
vier Uhr in <strong>der</strong> Hoffnung, einen Tageslohn in oft<br />
gefährlichen <strong>und</strong> schwierigen Jobs zu verdienen.<br />
Über Jahre wurden diese Arbeiter als die Arbeits-
■ Option für die Armen<br />
reserve <strong>der</strong> boomenden japanischen Wirtschaft<br />
angesehen, die eine beständige Quelle für Handarbeiter<br />
darstellte, ohne jede Verpflichtung für die<br />
Arbeitgeber. Als die Wirtschaft erlahmte, litten auch<br />
die Tagelöhner. Statistiken zeigen einen dramatischen<br />
Rückgang in <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> zur Verfügung stehenden<br />
Jobs. Immer mehr wurden die Männer aus<br />
ihren kleinen gemieteten Zimmern auf die Straßen<br />
getrieben <strong>und</strong> lebten von Almosen. Auch wenn sie<br />
die Kosten für das Zimmer noch zahlen konnten,<br />
mussten sie Schikanen von Seiten <strong>der</strong> Polizei <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> örtlichen Behörden ertragen, die „die Menschen<br />
oft wie Tiere behandelten“; so die Darstellung örtlicher<br />
Bewohner. Die medizinische Fürsorge für<br />
diese Arbeiter ist notorisch schlecht, trotz <strong>der</strong><br />
alarmierend hohen Zahl von arbeitsbedingten<br />
Erkrankungen. Auch heute lebt Pio noch zusammen<br />
mit an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n unter den Armen von<br />
Kamagasaki. Sie haben eine Tageseinrichtung<br />
eröffnet, in <strong>der</strong> arbeitslose Männer eine Mahlzeit,<br />
einen kostenlosen Haarschnitt erhalten o<strong>der</strong> einfach<br />
kommen können, um sich in einer einladenden<br />
Atmosphäre zu begegnen.<br />
Auch in den europäischen Län<strong>der</strong>n treffen Brü<strong>der</strong><br />
zunehmend die Option, an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Armen zu<br />
leben, denen sie zu dienen versuchen. Für viele Brü<strong>der</strong><br />
ist dieses Engagement auch durch die Ereignisse<br />
<strong>der</strong> Geschichte mitverursacht. Während <strong>des</strong> zweiten<br />
Weltkriegs waren die meisten Priester <strong>und</strong> Ordensleute<br />
zur Arbeit in Fabriken <strong>und</strong> Industrieanlagen<br />
gezwungen worden. Viele dieser Ordensleute fanden<br />
als Arbeiter den täglichen Kontakt mit ihren<br />
Arbeitskollegen – oft unzufriedene Christen, die die<br />
Kirche verlassen hatten, – sehr lohnend. Ein soziales<br />
Evangelium wurde lebendig <strong>und</strong> spiegelte sich im<br />
Wie<strong>der</strong>aufleben <strong>des</strong> Glaubens vieler Arbeiter. Am<br />
Ende <strong>des</strong> Krieges setzten viele dieser Ordensleute<br />
ihren Dienst fort, indem sie als „Arbeiterpriester“<br />
das Evangelium lebten <strong>und</strong> auf den Marktplätzen<br />
verkündeten. Bis zu seinem Tod 1997 lebte in<br />
Frankreich PIERRE ALLART vier Jahrzehnte als aktiver<br />
Arbeiterpriester unter den städtischen Armen.<br />
Er <strong>und</strong> zwei Brü<strong>der</strong> lebten in den Randbezirken<br />
von Paris, wo sie zunehmend mit den Problemen<br />
<strong>der</strong> neuen Immigranten aus Afrika konfrontiert<br />
wurden. In Deutschland leben KARL MÖHRING<br />
<strong>und</strong> JOACHIM STOBBE ebenfalls als Arbeiterpriester.<br />
Wie Pierre sehen sie in dem von ihnen gewählten<br />
Lebensstil ein Zeugnis für das Charisma <strong>des</strong> Fran-<br />
Gott hat die Schwachen auserwählt,<br />
um die Starken zu beschämen.<br />
ziskus <strong>und</strong> glauben, dass die Zusammenarbeit mit<br />
an<strong>der</strong>en franziskanischen Gemeinschaften <strong>und</strong><br />
ähnlich gesinnten Partnerorganisationen ein<br />
wesentlicher Bestandteil ihres Dienstes ist. Pierre<br />
verweist auf das Beispiel, dass seine Gemeinschaft<br />
sich an <strong>der</strong> Internationalen Kampagne zur Ächtung<br />
<strong>der</strong> Landminen beteiligt, <strong>und</strong> sagt, dass in Partnerschaft<br />
mit an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Stimme <strong>der</strong> Armen größerer<br />
Glaube geschenkt wird.<br />
In den USA haben viele ältere Pfarreien bestehende<br />
Strukturen umgestaltet, um sich dem Problem <strong>der</strong><br />
städtischen Armut zu stellen. Um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />
erblühten diese großen Pfarreien durch einwan<strong>der</strong>nde<br />
katholische Familien, wurden aber nach<br />
<strong>und</strong> nach verlassen, als diese Familien in wohlhaben<strong>der</strong>e<br />
Siedlungen zogen. In Städten von New<br />
York bis San Francisco, von New Orleans bis Detroit<br />
<strong>und</strong> Chicago bieten die Brü<strong>der</strong> in diesen Pfarreien<br />
nun eine breite Palette unterschiedlichster Dienste<br />
an, für Alkohol- <strong>und</strong> Drogenabhängige, für<br />
Obdachlose <strong>und</strong> an Aids Erkrankte.<br />
Als JOE NANGLE 1970 New York verließ, um nach<br />
Peru zu gehen, war dies <strong>der</strong> Anfang einer Bekehrungserfahrung,<br />
die sein Herz <strong>und</strong> seinen Lebensstil<br />
63
■ Option für die Armen<br />
verän<strong>der</strong>te. Während seiner Dienstjahre in einer<br />
Pfarrei <strong>der</strong> höheren Mittelklasse kam er dazu, den<br />
krassen Unterschied zwischen den Reichen – auf die<br />
die kirchliche Arbeit zum Großteil zielte – <strong>und</strong> den<br />
Armen, die unter unmenschlichen Bedingungen<br />
leben, zu sehen. Ein entscheiden<strong>der</strong> Moment für<br />
Joe kam, als sich die lateinamerikanischen Bischöfe<br />
in Medellin (Kolumbien) trafen <strong>und</strong> in ihrem<br />
Schlussdokument die radikale Option <strong>der</strong> Kirche<br />
zugunsten <strong>der</strong> Armen hervorhoben. Heute lebt Joe<br />
im Assisi-Haus inmitten eines ökonomisch notleidenden<br />
Gebietes von Washington DC. Er setzte<br />
sich dafür ein, dass eine kleine franziskanische<br />
Gemeinschaft von Männern <strong>und</strong> Frauen, Ordensleuten<br />
<strong>und</strong> Laien gebildet wurde, die sich aktiv um<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden mühen, – ein Zeugnis<br />
für Armut <strong>und</strong> geteiltes Leben. Joe ist <strong>der</strong> Direktor<br />
<strong>des</strong> Franciscan Mission Service (FMS), einer Organisation,<br />
die eine beson<strong>der</strong>e Betonung auf die Rolle<br />
<strong>der</strong> „umgekehrten Mission“ legt, die stattfindet,<br />
wenn ihre Freiwilligen in die USA zurückkehren.<br />
Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gegend <strong>der</strong> großen Seen in Afrika setzen<br />
ihre lebenswichtige Unterstützung für diejenigen<br />
fort, die alles in den ethnischen Konflikten verloren<br />
haben, die Bur<strong>und</strong>i, Ruanda <strong>und</strong> Zaire heimsuchten.<br />
Ihre Präsenz unter den Flüchtlingen ist ein<br />
sprechen<strong>des</strong> Zeugnis ihres Einsatzes, unter den<br />
Ärmsten <strong>der</strong> Armen zu leben. VJEKO CURIC erzählt<br />
ein bewegen<strong>des</strong> Beispiel von Solidarität, das sich an<br />
einem Weihnachtstag in Ruanda zutrug. „Über<br />
Weihnachten hatten wir Tausende von Flüchtlingen,<br />
die aus Tansania zurückkehrten. Die Diözese<br />
setzte alle ihre Fahrzeuge ein, um die Erschöpftesten<br />
unter ihnen nach Hause transportieren zu helfen.<br />
Ein medizinisches Team unseres Krankenhauses<br />
war ständig im Einsatz, <strong>und</strong> eine Reihe von Frauen<br />
gebaren ihre Kin<strong>der</strong> auf den Lastwagen bzw. am<br />
Straßenrand. Wir sahen außerordentliche Akte <strong>der</strong><br />
Solidarität, als Menschen die letzte Nahrung <strong>und</strong><br />
Kleidung, die sie besaßen, hergaben. Einige unserer<br />
Arbeiter spendeten ihr Weihnachtsgeld. Der Bischof<br />
selbst ging häufig auf die Straße, um mit den Menschen<br />
zu sprechen, ihre Situation einzuschätzen <strong>und</strong><br />
jede ihm mögliche Hilfe anzubieten. Die wichtigsten<br />
internationalen Organisationen wie die UNO,<br />
das Rote Kreuz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hochkommissar <strong>der</strong> UN<br />
für Flüchtlinge waren in dieser Situation tiefsten<br />
Elends nicht vor Ort. Die ganze Straße von Kigali<br />
nach Kabgayi <strong>und</strong> Butare war vollgestopft von<br />
64<br />
Menschen in Bewegung. Doch die Christen dort<br />
hatten das Gespür, dass Jesus entlang <strong>der</strong> Straße<br />
ging; je<strong>der</strong> gab Nahrung, Kleidung o<strong>der</strong> Geld nach<br />
dem Weihnachtsgottesdienst. Anschließend gingen<br />
die Verantwortlichen hinaus, um die Gaben zu<br />
verteilen. Die schönsten Geschenke kamen wie<br />
immer von den Kin<strong>der</strong>n: sie hatten so viele Dinge<br />
gesammelt (Süßigkeiten, Avocados, Süßkartoffeln,<br />
Bohnen, Erbsen <strong>und</strong> Feuerholz zum Kochen <strong>und</strong><br />
Heizen), um es weniger begünstigten Kin<strong>der</strong>n als<br />
sie selbst zu geben.“ Vjeko wurde 1998 in Ruanda<br />
erschossen.<br />
ANASTASIO RIBEIRO ist einer von vielen Brü<strong>der</strong>n, die<br />
mit den landlosen Menschen in Brasilien arbeiten.<br />
Er lebte die letzten beiden Jahrzehnte in ländlichen<br />
Gebieten. Während <strong>der</strong> letzten sieben Jahre arbeitete<br />
er in verschiedenen Staaten im Nordosten Brasiliens<br />
<strong>und</strong> begleitete über zweitausend Familien bei<br />
<strong>der</strong> Landbesetzung, um möglicherweise das brachliegende<br />
Land legal in Besitz zu nehmen. Dieser<br />
Prozess ist lang, schwierig <strong>und</strong> oft gefährlich, aber<br />
er ist in Brasilien zu einem Schlüssel im Kampf <strong>der</strong><br />
Armen um die Befreiung geworden. Wie die Juden<br />
<strong>des</strong> Alten Testaments in ein neues Land geführt<br />
wurden, in dem sie Rettung finden sollten, so versuchen<br />
die Brü<strong>der</strong> die landlosen Menschen in eine<br />
neue Heimat zu führen, wo sie eine Familie aufbauen<br />
<strong>und</strong> erziehen können <strong>und</strong> lernen an den<br />
demokratischen Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft teilzunehmen.<br />
Regelmäßig werden diese Gruppen<br />
bedroht, die sich auf einem Stück ungenutzten<br />
Lan<strong>des</strong> nie<strong>der</strong>lassen, oft werden sie vertrieben <strong>und</strong><br />
manchmal getötet. Sie begeben sich dann auf ein<br />
an<strong>der</strong>es Stück Land <strong>und</strong> besetzen dies. Unter<br />
Umständen bewirtschaften sie das Land mit Feldfrüchten<br />
<strong>und</strong> beginnen einen langen <strong>und</strong> heftig<br />
umkämpften Rechtsstreit, damit die Regierung das<br />
Land konfisziert <strong>und</strong> an die Landlosen verteilt.<br />
Anastácio wurde regelmäßig von den brasilianischen<br />
Behörden belästigt, verhaftet <strong>und</strong> mit langen<br />
Haftstrafen bedroht. Internationale Kampagnen<br />
zu seiner Unterstützung haben geholfen, dass<br />
Anastásio unbehelligt blieb.<br />
JUSTUS WIRTH, <strong>der</strong> in Texas, USA, nahe an <strong>der</strong><br />
mexikanischen Grenze lebt, liefert ein an<strong>der</strong>es Beispiel,<br />
wie Brü<strong>der</strong> die Armen in ihrem Kampf um<br />
einen angemessenen Lebensstandard unterstützen<br />
können. Er hat unzählige Artikel für verschiedene
■ Option für die Armen<br />
Publikationen geschrieben, <strong>der</strong>en Ziel es ist, auf die<br />
Notlage <strong>der</strong> Menschen in Mexiko <strong>und</strong> den umliegenden<br />
Gebieten Nord- <strong>und</strong> Südamerikas hinzuweisen.<br />
Jüngst arbeitete er intensiv daran, auf die<br />
schädlichen Auswirkungen <strong>des</strong> nordamerikanischen<br />
Freihandelsabkommens (NAFTA) auf die Menschen<br />
in Norden Mexikos aufmerksam zu machen.<br />
Justus besorgte auch die gr<strong>und</strong>legende Dokumentation<br />
für die interfranziskanische Delegation beim<br />
Welternährungsgipfel <strong>der</strong> UNO, <strong>der</strong> im November<br />
1996 in Rom stattfand. Er verwies auf die Notlage<br />
von ungefähr 15 Millionen Mexikanern, die von<br />
ihrem traditionellen Ackerland verdrängt wurden<br />
(was sich wie<strong>der</strong>um in dem Problem <strong>der</strong> Urbanisierung<br />
in ganz Lateinamerika wi<strong>der</strong>spiegelt), um die<br />
Organisation für Ernährung <strong>und</strong> Landwirtschaft<br />
(FAO) <strong>der</strong> UNO zu ermutigen, ihre Politik fortzusetzen,<br />
das Selbstvertrauen <strong>der</strong> sich entwickelnden<br />
Nationen zu unterstützen, ihre gr<strong>und</strong>legenden Nahrungsmittel<br />
selbst zu produzieren. Die Erstellung<br />
zuverlässigen Dokumentationsmaterials von den<br />
Menschen, mit denen wir leben, ist ein Hauptbestandteil<br />
<strong>der</strong> Lobbyarbeit auf internationaler Ebene,<br />
die Zusammenstellung gut dokumentierter Information,<br />
die Regierungen oft nicht zu liefern bereit<br />
sind.<br />
Hinweise auf die Generalkonstitutionen<br />
Artikel 8,1-3; 32,3; 34,2; 66,1-2; 72,1-3; 78,1-2;<br />
87,1+3; 93,1; 132.<br />
65
■ Option für die Armen<br />
Fragen für die Diskussion<br />
1. Wer war <strong>der</strong> letzte arme Mensch, <strong>der</strong> dein<br />
Leben merklich beeinflusst hat? Was war die<br />
Wirkung?<br />
2. Hast du jemals Ausgrenzung erlebt? Was lehrte<br />
dich diese Erfahrung über dich selbst, über<br />
die Bru<strong>der</strong>schaft, über deine Gesellschaft?<br />
3. Hat unsere örtliche Gemeinschaft einen direkten<br />
Kontakt o<strong>der</strong> Bezug zu armen Menschen?<br />
Wenn nicht, wie könnte sie ihn bekommen?<br />
4. Wie gehen wir mit den Armen um, die an<br />
unsere Tür klopfen o<strong>der</strong> uns per Telefon anrufen?<br />
5. Unterstützt unsere Gemeinschaft Provinzinitiativen<br />
hinsichtlich unserer Option für<br />
die Armen? Gibt es ökonomische <strong>und</strong>/o<strong>der</strong><br />
moralische Unterstützung?<br />
6. Hat die Arbeit mit den Armen die Identität<br />
unserer Ordensprovinz geprägt? In welcher<br />
Weise?<br />
7. Hast du jemals gegen die Misshandlung von<br />
Armen in Zeitungen protestiert, indem du<br />
deine Sichtweise in Zeitschriften o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Medien zum Ausdruck gebracht hast?<br />
Durch deine Stimmabgabe?<br />
8. Hat die Option für die Armen dich jemals in<br />
Konflikt mit Mitglie<strong>der</strong>n deiner eigenen<br />
Familie gebracht? Wie bist du mit dieser<br />
Schwierigkeit umgegangen?<br />
9. In welcher Phase befinden wir uns selbst,<br />
persönlich wie gemeinschaftlich, in unserer<br />
Beziehung zu den Armen? Welche konkreten<br />
Maßnahmen würden uns helfen, diese<br />
Beziehung zu vertiefen <strong>und</strong> zu entwickeln?<br />
66<br />
10. Welches reale Gewicht hat in unserem brü<strong>der</strong>lichen<br />
Leben (Gebet, Sendung, Gespräch,<br />
Lebensstil) unsere Option für die Armen?<br />
11. Was können wir in unserer Bru<strong>der</strong>schaft vor<br />
Ort bereits tun, um das Prinzip <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ung<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorliebe für die Armen <strong>und</strong><br />
Ausgegrenzten umzusetzen?<br />
12. Wie ist, auf persönlicher <strong>und</strong> gemeinschaftlicher<br />
Ebene, unsere Haltung gegenüber dem<br />
Konsum?<br />
13. Ist es vernünftig zu bitten, dass sich Brü<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> politischen <strong>und</strong> sozialen Strukturen<br />
bewusst werden, die Situationen <strong>der</strong> Ungerechtigkeit<br />
auf dieser Welt verursachen? O<strong>der</strong><br />
ist es ausreichend, sich direkt für die Armen<br />
einzusetzen?<br />
14. War es für Franziskus leichter, seine radikale<br />
Option für die Armen im dreizehnten Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
zu fällen, als für uns heute am<br />
Beginn <strong>des</strong> 21. Jahrh<strong>und</strong>erts?<br />
15. Kennst du zeitgenössische Brü<strong>der</strong>, die eine<br />
vorrangige Option für die Armen getroffen<br />
haben? Was stützt ihr Werk? Was denkst du<br />
über sie <strong>und</strong> ihren Dienst?
Frieden stiften
■ Frieden stiften<br />
Frieden stiften<br />
§ 1 Die Brü<strong>der</strong> sollen in dieser Welt als Anwälte<br />
<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> als Herolde <strong>und</strong> Bauleute<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> leben, die das Böse durch das Gute<br />
besiegen.<br />
§ 2 Mit dem M<strong>und</strong>e sollen sie den Frieden verkünden,<br />
mehr noch ihn tief im Herzen tragen, so dass<br />
niemand zu Zorn <strong>und</strong> Ärgernis provoziert wird,<br />
son<strong>der</strong>n alle durch die Brü<strong>der</strong> zu Frieden,<br />
Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Wohlwollen aufgerufen<br />
werden.<br />
<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 68<br />
Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus ...<br />
Aus dem Gruß, von dem Franziskus sagt, dass er<br />
ihm von Gott offenbart worden sei, wird offensichtlich,<br />
dass er ein <strong>Friedens</strong>stifter war: „Der Herr gebe<br />
dir den Frieden“ (Test 23). Das Gespür <strong>der</strong> Solidarität<br />
<strong>des</strong> Franziskus mit allem von Gott Geschaffenen<br />
umgibt all seine Bemühungen um Frieden.<br />
Die Demut <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> dafür,<br />
dass sie Frieden innerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft pflegten<br />
(1 Cel 38) <strong>und</strong> sich um Frieden <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>lichkeit<br />
mit allen bemühten (1 Cel 41). Franziskus ermahnte<br />
seine Brü<strong>der</strong> auf Reisen „nicht zu streiten, noch<br />
sich in Wortgezänk einzulassen, noch an<strong>der</strong>e zu<br />
richten. Vielmehr sollen sie milde, friedfertig <strong>und</strong><br />
bescheiden, sanftmütig <strong>und</strong> demütig sein <strong>und</strong><br />
anständig reden mit allen, wie es sich gehört“ (BReg<br />
3,11). Seine eigene Predigt verkündete Frieden <strong>und</strong><br />
Erlösung, so dass er „viele zum wahren Frieden<br />
führte, die vorher von Christus getrennt <strong>und</strong> darum<br />
dem Heile fern waren“ (LegMai III,2). Franziskus<br />
sagte, dass die „in Wahrheit friedfertig sind, die bei<br />
allem, was sie in dieser Welt erleiden, um <strong>der</strong> Liebe<br />
unseres Herrn Jesus Christus willen in Geist <strong>und</strong><br />
Leib den Frieden bewahren“ (Erm 15). Franziskus<br />
war ein <strong>Friedens</strong>stifter auf Gr<strong>und</strong> seiner Rechtschaffenheit,<br />
seines Glaubens, nach dem Gr<strong>und</strong>satz:<br />
„Was <strong>der</strong> Mensch vor Gott ist, das ist er <strong>und</strong> nicht<br />
mehr“ (Erm 19). Denn „wo Ruhe ist <strong>und</strong> Betrachtung,<br />
da ist nicht Aufregung <strong>und</strong> unsteter Geist“<br />
(Erm 27). Franziskus erbat für jeden den wahren<br />
Frieden vom Himmel. Er drängte seine Brü<strong>der</strong>, ihre<br />
Nächsten wie sich selbst zu lieben. Wenn sie dies<br />
nicht tun könnten, sollten sie zumin<strong>des</strong>t ihren<br />
Nächsten Gutes tun <strong>und</strong> ihnen nicht schaden (BrGl<br />
II,26-27).<br />
Franziskus war in verschiedenen italienischen Städten<br />
ein <strong>Friedens</strong>stifter. In Arezzo ließ er Bru<strong>der</strong> Sylvester<br />
beten, damit die Dämonen, die zivilen Streit<br />
verursacht hatten, die Stadt verließen (LegPer 81).<br />
Mit <strong>der</strong> Hilfe <strong>des</strong> Franziskus schlossen die Bürger<br />
von Gubbio einen <strong>Friedens</strong>vertrag mit dem Wolf,<br />
<strong>der</strong> sie zuvor terrorisiert hatte (Fior XXI). Sicherlich<br />
behandelte <strong>der</strong> Sultan Franziskus mit Hochachtung,<br />
weil er in Franziskus einen <strong>Friedens</strong>boten erkannte<br />
(1 Cel 57). Als Antwort auf den Streit zwischen<br />
dem Bischof <strong>und</strong> dem Bürgermeister von Assisi fügte<br />
Franziskus seinem SONNENGESANG zwei Strophen<br />
an:<br />
Gepriesen seist du, mein Herr,<br />
durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen<br />
<strong>und</strong> Schwachheit ertragen <strong>und</strong> Drangsal.<br />
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,<br />
denn von dir, Erhabenster, werden sie gekrönt.<br />
Auf einer an<strong>der</strong>en Ebene sind <strong>der</strong> Ablass von Assisi,<br />
den er vom Papst erhielt für die Menschen, die in<br />
Portiunkula beteten, <strong>und</strong> die sehr bekannte<br />
Geschichte vom Wolf von Gubbio zwei <strong>der</strong> sprechendsten<br />
Beispiele für den Einsatz <strong>des</strong> Franziskus<br />
um Frieden. Die Geschichte vom Wolf von Gubbio<br />
enthält für uns viele Lehren – auch wenn wir anerkennen<br />
sollten, dass sie nur in späteren Quellen<br />
überliefert wird, die historisch zweifelhaft sind (vgl.<br />
Fioretti, Kapitel 21).<br />
69
■ Frieden stiften<br />
Wir wollen die Abfolge <strong>der</strong> Ereignisse <strong>der</strong> Geschichte<br />
<strong>des</strong> Wolfes von Gubbio prüfen:<br />
■ Ein grimmiger Wolf terrorisiert die Bewohner<br />
von Gubbio. Er greift Tiere <strong>und</strong> Menschen an.<br />
Sie wagen es nicht, die Stadt zu verlassen.<br />
■ Franziskus befindet sich in <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong> hat<br />
Mitleid mit den Menschen.<br />
■ Er geht mit einem Gefährten hinaus, um den<br />
Wolf zu treffen; einige Bauern gehen mit ihnen,<br />
ziehen sich aber schnell zurück.<br />
■ Der Wolf nähert sich grimmig.<br />
■ Franziskus macht über dem Wolf das Zeichen<br />
<strong>des</strong> Kreuzes; worauf dieser sich beruhigt.<br />
■ Franziskus spricht den Wolf als „Bru<strong>der</strong>“ an,<br />
schilt ihn wegen seiner Grausamkeit <strong>und</strong> macht<br />
einen Vertrag mit ihm.<br />
■ Sie gehen gemeinsam zur Stadt.<br />
■ Franziskus for<strong>der</strong>t die Menschen zur Bekehrung<br />
auf; <strong>der</strong> Vertrag wird öffentlich erneuert <strong>und</strong><br />
die Stadtbewohner versprechen, den Wolf zu<br />
ernähren.<br />
■ Der Pakt wird eingehalten <strong>und</strong> beide Seiten<br />
sind glücklich.<br />
An <strong>der</strong> Geschichte können wir aufzeigen:<br />
■ den Mut <strong>des</strong> Franziskus, <strong>der</strong> anerkennt: „Christus<br />
ist <strong>der</strong> Herr aller Geschöpfe“, <strong>und</strong> <strong>der</strong> all<br />
sein Vertrauen auf die Macht Christi setzt;<br />
■ die nicht bedrohende Annäherung durch Franziskus,<br />
<strong>der</strong> ohne Waffen kommt, statt<strong>des</strong>sen im<br />
Zeichen <strong>des</strong> Kreuzes;<br />
■ sein Mut, den Wolf klar mit seinen Verbrechen<br />
zu konfrontieren, <strong>und</strong> gleichzeitig sein Verständnis<br />
dafür, warum <strong>der</strong> Wolf diese begangen<br />
hat;<br />
■ sein Freimut, auch die Stadtbewohner auf ihre<br />
Sünden hinzuweisen, doch auch Verständnis zu<br />
zeigen für ihr Bedürfnis nach Sicherheit <strong>und</strong> für<br />
das Bedürfnis <strong>des</strong> Wolfes nach Nahrung.<br />
■ seine Beharren, einen Vertrag öffentlich abzuschließen.<br />
70<br />
Franziskus als <strong>Friedens</strong>stifter<br />
In einigen Kulturen galt für Jahrh<strong>und</strong>erte: wenn ein<br />
Besucher kommt <strong>und</strong> „Frieden“ (Schalom, Salam)<br />
sagt, dann bedeutet dieses Wort, dass er keine Waffen<br />
mit sich trägt <strong>und</strong> als Fre<strong>und</strong> kommt.<br />
Dem Franziskus wurde geoffenbart zu sagen: Der<br />
Herr gebe dir Frieden, <strong>und</strong> er begann seine Predigten<br />
mit diesen Worten. Seit über acht Jahrh<strong>und</strong>erten<br />
wird in <strong>der</strong> franziskanischen Familie <strong>der</strong> Gruß<br />
Friede <strong>und</strong> alles Gute/Friede <strong>und</strong> Heil verwendet.<br />
Je<strong>der</strong> Gruß kann eine leere Formel werden, ohne<br />
innere Teilnahme <strong>des</strong> Menschen, <strong>der</strong> ihn verwendet.<br />
Der Friede, den Franziskus wünschte, kam aus seinem<br />
inneren Frieden <strong>und</strong> seiner tiefen Ehrfurcht<br />
vor jedem Geschöpf, das aus <strong>der</strong> Hand Gottes<br />
kommt. Derjenige, <strong>der</strong> Frieden wünscht, aber nicht<br />
Samen dieses <strong>Friedens</strong> in sich trägt, ist ein <strong>Friedens</strong>wünscher,<br />
nicht ein <strong>Friedens</strong>stifter. Ein solcher<br />
Mensch übermittelt nicht ein von Gott empfangenes<br />
Geschenk. Das Geheimnis <strong>des</strong> Franziskus<br />
als <strong>Friedens</strong>stifter besteht darin, dass er Gott in sich<br />
jenen, die ihm begegneten, Frieden bringen ließ.<br />
Als <strong>der</strong> Wolf von Gubbio ihm grimmig entgegenrannte,<br />
machte Franziskus das Zeichen <strong>des</strong> Kreuzes<br />
über das wilde Tier <strong>und</strong> nannte ihn „Bru<strong>der</strong>“. Diese<br />
zwei Handlungen bringen den Wolf zurück an seinen<br />
Platz innerhalb <strong>der</strong> Familie <strong>der</strong> Geschöpfe<br />
Gottes, versöhnt durch die Liebe Christi, die sich<br />
im Kreuz manifestiert. Durch seine grausamen<br />
Aktionen hatte sich <strong>der</strong> Wolf von <strong>der</strong> Familie Gottes<br />
getrennt. Nachdem er die Gabe <strong>der</strong> Erlösung<br />
empfangen hatte, beruhigte er sich <strong>und</strong> war bereit,<br />
den Tadel <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong> seine For<strong>der</strong>ung nach<br />
einem Vertrag mit den Bewohnern von Gubbio<br />
anzuhören.<br />
Franziskus stellt sich den Konflikten<br />
Irrtümlicherweise bezeichnen manche Menschen<br />
diejenigen als <strong>Friedens</strong>stifter, die nette <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>liche<br />
Menschen sind, die sich mit allen vertragen.<br />
Psychologen sagen uns, dass einige dieser umgänglichen<br />
Menschen nur <strong>des</strong>halb mit allen übereinstimmen,<br />
weil sie Konflikte fürchten, <strong>und</strong> nicht, weil ihr<br />
Friede mit Gott überströmt. Franziskus lud seine<br />
Brü<strong>der</strong> ein, in ihren Predigten nicht in Dispute zu
■ Frieden stiften<br />
verfallen, son<strong>der</strong>n fre<strong>und</strong>lich, friedfertig, bescheiden,<br />
höflich <strong>und</strong> demütig zu sein; das sind f<strong>und</strong>amentale<br />
Charakteristika <strong>und</strong> müssen integraler Teil<br />
<strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>seins sein. Jedoch bedeutet dies<br />
nicht Furcht vor <strong>der</strong> Wahrheit, wie Franziskus sich<br />
auch nicht scheut, herausfor<strong>der</strong>nd zu sein. Voller<br />
Hochachtung, aber unbeugsam wi<strong>der</strong>steht er dem<br />
Papst <strong>und</strong> seinen Beratern, die die Regel abmil<strong>der</strong>n<br />
wollen; er wi<strong>der</strong>setzt sich den Kreuzfahrern <strong>und</strong><br />
ihrem sündigen Handeln; er sagt dem Sultan, dass<br />
er den wahren Gott nicht kenne; er wi<strong>der</strong>setzt sich<br />
den eigenen Brü<strong>der</strong>n, die sich ein weniger rauhes<br />
Leben wünschen; er wirft die Dachziegel eines Klosters<br />
weg, das er ablehnt; <strong>und</strong> dem Wolf von Gubbio<br />
zählt er seine Verbrechen auf, ohne jede Zweideutigkeit.<br />
Franziskus ist kein mit Zuckerguss überzogener<br />
Mensch. Er gibt sich bestimmt <strong>und</strong> spricht<br />
die Wahrheit aus, auch wenn sie hart anzuhören ist.<br />
Seine Herausfor<strong>der</strong>ung ist jedoch nicht bedrohend.<br />
Er ist entwaffnend durch das Fehlen je<strong>der</strong> Zweideutigkeit<br />
<strong>und</strong> durch seine höfliche Stärke. Er achtet<br />
nicht nur die Heiligkeit seiner Gegner, son<strong>der</strong>n er<br />
versucht sogar, ihnen ihre eigene göttliche Würde<br />
bewusst zu machen, die sie oft vergessen o<strong>der</strong> verachtet<br />
haben. Franziskus kann so sein, weil er es<br />
nicht nötig hat, sein Eigentum, seinen Ruf o<strong>der</strong> sein<br />
Ego zu verteidigen. Er hat nichts zu schützen, außer<br />
die Ehre <strong>und</strong> Liebe Gottes, die sich danach sehnt,<br />
die Gewalttätigen zu verwandeln <strong>und</strong> sie wie<strong>der</strong> in<br />
die Gemeinschaft aller Geschöpfe, „seiner“<br />
Geschöpfe zu integrieren. Franziskus läßt sich durch<br />
den Mantel <strong>der</strong> Sünde <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bosheit nicht verleiten;<br />
durch das Finstere dieser Hülle sieht Franziskus<br />
die heilige Gegenwart Gottes in den Menschen.<br />
Sein geistliches Auge gestattet es ihm, die göttliche<br />
Gegenwart im an<strong>der</strong>en zu sehen <strong>und</strong> zu erreichen,<br />
während viele sie nur töten würden: „Lasst uns diesen<br />
grausamen Wolf töten! Lasst uns diesen ungläubigen<br />
Sultan töten!“, schreien sie überzeugt.<br />
Ist das Beispiel <strong>des</strong> Franziskus<br />
für die heutige, komplexe Welt<br />
von Bedeutung?<br />
Ist das Beispiel <strong>des</strong> Franziskus für uns von Bedeutung?<br />
Wie können wir in die Konflikte <strong>der</strong> Welt<br />
Frieden bringen, <strong>und</strong> wird unsere eigener Friede<br />
irgendeinen Einfluss auf anonyme Kräfte haben?<br />
Viele unserer zeitgenössischen Konflikte entstehen<br />
aus einer Kultur, die sich Menschen einer an<strong>der</strong>en<br />
Kultur aufdrängt. Stolz, Ethnizismus, Nationalismus<br />
<strong>und</strong> ökonomische Interessen spielen eine dramatische<br />
Rolle in vielen <strong>der</strong> gegenwärtigen Auseinan<strong>der</strong>setzungen.<br />
Aber auf beson<strong>der</strong>s subtile Weise<br />
sind die meisten Kulturen unseres Planeten von <strong>der</strong><br />
westlichen Kultur angegriffen <strong>und</strong> beherrscht,<br />
beson<strong>der</strong>s von <strong>der</strong> Nordamerikanischen. Das Eindringen<br />
geschieht heimlich. Es beginnt mit <strong>der</strong><br />
Werbung für bestimmte Getränke o<strong>der</strong> Speisen, für<br />
Filme, die zur Information o<strong>der</strong> Unterhaltung<br />
gekauft werden, die aber eine Lebensweise för<strong>der</strong>n.<br />
Eine neue Weise <strong>des</strong> Denkens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Verhaltens<br />
gewinnt Boden. Die Gr<strong>und</strong>lage dieser neuen,<br />
erobernden Kultur ist die Vorstellung, ein fast schon<br />
religiöser Glaube, alles mit Hilfe von Zahlen darstellen<br />
<strong>und</strong> beurteilen zu müssen. Mathematische<br />
Modelle regieren. Ja weiter noch: die neue Kultur<br />
stellt die Mechanismen <strong>des</strong> freien Marktes als universales<br />
<strong>und</strong> quasi-göttliches Gesetz hin.<br />
Gewalt, die uns herausfor<strong>der</strong>t<br />
Jünger Christi <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> Franziskus sind<br />
beson<strong>der</strong>s von folgen<strong>der</strong> durchdringen<strong>der</strong> Gewalt<br />
herausgefor<strong>der</strong>t: dem Wandel <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong><br />
Kulturen. Es ist gewalttätig <strong>und</strong> ungerecht, Menschen<br />
<strong>des</strong>sen zu berauben, was ihnen ihre eigene<br />
Kultur gibt: die Bezugspunkte für ihren Lebensweg.<br />
Um menschlich zu bleiben <strong>und</strong> inmitten <strong>der</strong> Kämpfe<br />
gegen Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Gewalt ein <strong>Friedens</strong>stifter<br />
zu werden, ist es unerlässlich, dass wir unsere<br />
eigene Heiligkeit anerkennen <strong>und</strong> die Heiligkeit<br />
<strong>der</strong>er, denen wir begegnen. Im Gegensatz dazu<br />
bewertet das, was wir Kultur <strong>des</strong> Marktes nennen,<br />
jede Wirklichkeit unter <strong>der</strong> Sonne nach <strong>der</strong> Quantität,<br />
beson<strong>der</strong>s nach <strong>der</strong> Quantität <strong>des</strong> Wohlstands.<br />
Die Gesetze <strong>des</strong> freien Marktes, die eine dynamische<br />
Wirtschaft entstehen lassen, werden uns als<br />
moralische Basis einer neuen Kultur aufgedrängt:<br />
<strong>der</strong> Kultur <strong>des</strong> Marktes. Beliebigkeit durchdringt in<br />
einer solchen Kultur alles, <strong>und</strong> die Heiligkeit droht<br />
zu verschwinden. Wenn eine Kultur vorrangig von<br />
<strong>der</strong> Frage nach monetärem Gewinn bewegt wird,<br />
wenn Ressourcen <strong>der</strong> Menschheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schöpfung<br />
als Mittel angesehen werden, um Reichtümer<br />
anzuhäufen, dann ist das Ergebnis <strong>der</strong> Verlust <strong>des</strong><br />
71
■ Frieden stiften<br />
Gespürs für das Heilige. Leben ist entwertet. Die<br />
politischen Strukturen mögen verschieden sein,<br />
doch das Übel haust im Herzen <strong>der</strong> Kultur.<br />
Ehrfurcht vor <strong>der</strong> Heiligkeit je<strong>der</strong> Person<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> gesamten Schöpfung<br />
Es ist eine furchteinflößende Herausfor<strong>der</strong>ung an<br />
uns, die Heiligkeit in jedem Menschen zu verehren:<br />
in einem Banditen, einem Kriegsverbrecher, einem<br />
Folterer, einem Diktator, einem erbarmungslosen<br />
Landbesitzer o<strong>der</strong> einem Spekulanten, <strong>der</strong> durch<br />
sein gewinnbringen<strong>des</strong> Spiel H<strong>und</strong>erten von Millionen<br />
Menschen den Hunger bringt. Es ist schwierig,<br />
weil viele Gegner Vertreter unpersönlicher Strukturen<br />
<strong>und</strong> anonymer Interessen sind. Diese Interessen<br />
sind manchmal eindeutig zu verachten, die beteiligten<br />
Menschen aber nicht. Es ist ebenso eine ungeheure<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung, die Heiligkeit jeden<br />
Geschöpfs zu achten inmitten <strong>der</strong> ökologischen<br />
Krise, welche die Erde in die Zerstörung führt. Das<br />
Problem besteht nicht nur darin, gegenüber einem<br />
grimmigen Wolf, den Pflanzen in unserem Garten,<br />
dem fließenden Wasser entlang unseres Weges ehrfürchtig<br />
<strong>und</strong> brü<strong>der</strong>lich zu sein. Es ist die Heiligkeit<br />
<strong>der</strong> Luft, <strong>des</strong> Wassers, <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arten auf<br />
<strong>der</strong> Ebene unseres Planeten, die uns anfragt. Die<br />
Schätze <strong>der</strong> Erde gehören <strong>der</strong> gesamten Menschheit,<br />
<strong>und</strong> wir sind auf dramatische Weise daran beteiligt,<br />
sie zu verschmutzen <strong>und</strong> zu zerstören. Es ist eine<br />
ungeheuer große Herausfor<strong>der</strong>ung, sich <strong>der</strong> nuklearen<br />
Bedrohung zu stellen <strong>und</strong> all denen, die mit<br />
einer Macht Reichtümer anhäufen, <strong>der</strong>en unkalkulierbare<br />
Konsequenzen heute nicht zu beherrschen<br />
sind <strong>und</strong> vermutlich nie beherrschbar sein werden .<br />
Es ist eine unglaubliche Herausfor<strong>der</strong>ung zuzuschauen,<br />
wie die Habgier alle Schätze <strong>der</strong> Erde zerstört:<br />
Pflanzen, Tiere, Mineralien, das bebaubare<br />
Land <strong>und</strong> sogar die Schönheit <strong>der</strong> Erde, die für die<br />
menschliche Entwicklung so nötig ist. Alle diese<br />
Geschöpfe haben ihre Aufgabe in <strong>der</strong> Auferbauung<br />
<strong>des</strong> kosmischen Christus, einer Gemeinschaft <strong>der</strong><br />
freien Wesen, die zu überleben vermögen, um<br />
gemeinsam die Güte Gottes zu bezeugen. Wie<br />
können wir die Verantwortlichen supranationaler<br />
Unternehmen o<strong>der</strong> von Regierungen wachrütteln,<br />
wenn sie in unverantwortlicher Weise gegenüber <strong>der</strong><br />
Menschheit handeln, indem sie ihre Zukunft<br />
72<br />
gefährden <strong>und</strong> bereits in <strong>der</strong> Gegenwart über viele<br />
Leid bringen? Wie können sie ihr Herz öffnen <strong>und</strong><br />
je<strong>des</strong> Geschöpf achten? Unsere Herzen sind von<br />
Gott geöffnet worden, <strong>und</strong> Gott wird die ihrigen<br />
öffnen, wenn wir sie nicht verurteilen <strong>und</strong> durch<br />
unseren vornehmen <strong>und</strong> unerschütterlichen Kampf<br />
zur Bekehrung aufrufen. Gott wird ihnen letztlich<br />
zeigen, wo die Weisheit ist <strong>und</strong> dass ein tiefer Wandel<br />
in ihrem eigenen Interesse liegt.<br />
Wenn wir unsere eigene Würde nicht anerkennen,<br />
wenn wir nicht in einem engen Kontakt mit dem<br />
dreieinen Gott stehen, <strong>der</strong> in uns wohnt, wenn wir<br />
von <strong>der</strong> Weise angesteckt sind, alles als Objekt<br />
anzusehen, d.h. als Objekt, das wir zählen können,<br />
dann hört selbst Liebe auf, ein wertvolles Geheimnis<br />
zu sein, <strong>und</strong> wird zu einer Sache. Die Gegenwart<br />
<strong>des</strong> Einen, <strong>der</strong> Liebe ist, <strong>der</strong> uns heilige Würde verleiht,<br />
wird dann schwer anzuerkennen sein.<br />
Die Dreifaltigkeit als Modell <strong>und</strong><br />
Quelle <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit<br />
Die Gewaltlosigkeit <strong>der</strong> Dreifaltigkeit zeigt sich in<br />
<strong>der</strong> tiefen Achtung Gottes vor dem Geheimnis <strong>des</strong><br />
Menschen, mit dem Gott selbst seine eigene Heiligkeit<br />
geteilt hat. Gott anerkennt nicht nur seine göttliche<br />
Gegenwart in uns, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Achtung vor<br />
unserem Weg versucht Gott geduldig, in uns die<br />
Erkenntnis wachzurufen, dass wir einzigartig <strong>und</strong><br />
wertvoll sind <strong>und</strong> jene göttliche Natur in uns tragen!<br />
In seinem Leben <strong>und</strong> Tod hat uns Jesus dieses<br />
machtvolle Zeugnis <strong>der</strong> gewaltfreien Beziehung zu<br />
den Menschen gegeben.<br />
Aktive Gewaltlosigkeit bildet ihre Methodik nach<br />
<strong>der</strong> Gewaltlosigkeit Gottes aus. Ihre erste Gr<strong>und</strong>lage<br />
ist <strong>der</strong> Dialog zweier Heiligkeiten: einzelne o<strong>der</strong><br />
eine Gruppe von Menschen, die die Sklaverei <strong>der</strong><br />
Gewalt verworfen haben <strong>und</strong> in Berührung sind<br />
mit <strong>der</strong> Mitte ihrer Existenz (dem Wahren an sich),<br />
for<strong>der</strong>n ihre Gegner auf, das Göttliche in sich selbst<br />
wie<strong>der</strong> zu entdecken, <strong>und</strong> nutzen diese Wie<strong>der</strong>entdeckung,<br />
um die Konflikte zu lösen, in denen sie<br />
stehen. Nicht alle Gewalttätigen unternehmen jene<br />
innere Reise, welche die Freiheit <strong>des</strong> Willens erfor<strong>der</strong>t.<br />
Sie müssen erst durch die Gewaltlosen<br />
gedrängt werden, anzuerkennen, dass die innere
■ Frieden stiften<br />
Stärke eine Macht ist, die ihrer Macht zu wi<strong>der</strong>stehen<br />
vermag, <strong>und</strong> dass es in ihrem eigenen Interesse<br />
liegt, einige <strong>der</strong> Bedingungen ihrer Gegner anzunehmen.<br />
Sonst werden sie durch die Fortsetzung<br />
<strong>der</strong> Gewalt mehr verlieren. Sie werden mit Mut,<br />
Liebe <strong>und</strong> Standfestigkeit konfrontiert, die ihre<br />
Kraft von einer nicht materiellen Quelle erhalten.<br />
Die Klugheit <strong>der</strong> gewaltfreien Methode wird, gut<br />
eingesetzt, ihnen oft ihren Schutz wegnehmen <strong>und</strong><br />
sie aus ihrer sicheren Logik herausreißen.<br />
Wir möchten darauf bestehen: die gewaltfreie Kraft<br />
kommt von Gott, aber Gott wird keine W<strong>und</strong>er<br />
wirken, wenn wir nicht aktiv werden. Viele von uns<br />
Franziskanern erkennen noch nicht, dass <strong>der</strong> größte<br />
Teil von Gewalt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit Elemente<br />
eines komplexen Netzwerkes von Ursachen sind,<br />
die in hohem Maße miteinan<strong>der</strong> verknüpft sind.<br />
Die meisten offenen Konflikte, militärischer o<strong>der</strong><br />
ökonomischer Art, sind von einer solchen Größenordnung<br />
<strong>und</strong> so weit entwickelt, dass es naiv <strong>und</strong><br />
unverantwortlich wäre, nur auf die Liebe weniger<br />
Individualisten mit reinem Herzen zu vertrauen,<br />
die ihre Heiligkeit bezeugen <strong>und</strong> jene herausfor<strong>der</strong>n,<br />
die für den Augenblick das Göttliche in einem<br />
verborgenen Teil ihrer selbst vergessen o<strong>der</strong><br />
begraben haben.<br />
Mit <strong>der</strong> Methodik aktiver Gewaltlosigkeit<br />
vertraut werden<br />
Wenn wir <strong>Friedens</strong>stifter sein wollen, müssen wir<br />
wissen, wie die Methode aktiver Gewaltlosigkeit<br />
eingesetzt wird, müssen wissen, ob es an einer<br />
ungenügenden Analyse <strong>der</strong> Situation lag, wenn<br />
gewaltfreie Aktionen fehlschlagen, o<strong>der</strong> daran, dass<br />
einzelne Phasen <strong>des</strong> gewaltlosen Prozesses abgekürzt<br />
wurden. Wo Gewaltlosigkeit Erfolg hatte, ging<br />
meist eine lange Vorbereitung dem Ergebnis voran:<br />
technische wie spirituelle Vorbereitung. Nur eine<br />
oberflächliche Sicht macht glauben, dass es ein reines<br />
Eingreifen Gottes gewesen ist! Gott wird nicht<br />
die Herzen <strong>der</strong> Entscheidungsträger än<strong>der</strong>n, wenn<br />
wir nicht unsere Aufgaben wahrnehmen, d.h. Gott<br />
ein deutliches Signal geben, dass wir wirklich einen<br />
solchen Wandel wünschen. Wir müssen weise handeln.<br />
Wir müssen Gottes Handeln vorbereiten,<br />
sogar Gottes Überraschungen. Durch unseren Mut<br />
in <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> gewaltfreien Methode werden<br />
wir zu Kanälen <strong>der</strong> Heiligkeit Gottes, von<br />
Gottes unbeugsamer Geduld, von Gottes Wunsch<br />
an die Übeltäter, ihr Tun zu stoppen. Unser lieben<strong>der</strong><br />
Gott sorgt für den, <strong>der</strong> Gutes tut, wie für den<br />
<strong>der</strong> Schlechtes tut: beide sind seine Kin<strong>der</strong>. Er weiß,<br />
dass seine Heiligkeit in beiden wohnt, <strong>und</strong> er will,<br />
dass beide Früchte <strong>der</strong> Gemeinschaft tragen <strong>und</strong><br />
nicht bittere Früchte <strong>der</strong> Zerstörung ihrer selbst<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> neuen Schöpfung. Sein Leib wächst seiner<br />
Vollendung entgegen. In vielen Kämpfen dämonisieren<br />
unsere Verbündeten das an<strong>der</strong>e Lager, um die<br />
Energien ihrer eigenen Anhänger zu mobilisieren.<br />
Es ist allgemeine Praxis, die Gegenseite zu verleumden,<br />
sie als böse, pervers, unfähig zur Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>und</strong> unwürdig je<strong>der</strong> Achtung hinzustellen. Diese<br />
Aufteilung in „gute Menschen“ <strong>und</strong> „schlechte<br />
Menschen“ ist für einen Jünger Christi nicht hinnehmbar.<br />
Je<strong>der</strong> von uns ist eine gespaltene Person,<br />
teils gut <strong>und</strong> teils schlecht; unsere Gegner sind in<br />
gleicher Weise teils schlecht <strong>und</strong> teils gut. Wenn wir<br />
Gottes Mitgefühl teilen wollen, dann benötigen wir<br />
ein Mitgefühl für beide, für die Opfer <strong>der</strong> Gewalt<br />
<strong>und</strong> für jene, die durch ihre eigene Gewalt <strong>und</strong><br />
Ungerechtigkeit versklavt sind. Wir müssen darum<br />
beten, dass unsere augenblickliche, relative Befreiung<br />
von solcher Gewalt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit morgen<br />
nicht aufhört; wenn nämlich Gott seine Hilfe<br />
zurückzieht, können wir so schlecht sein wie die<br />
Schlechtesten unserer Gegner.<br />
Die Notwendigkeit von Armut,<br />
um authentische <strong>Friedens</strong>stifter zu sein<br />
Oben haben wir ausgeführt, dass Franziskus for<strong>der</strong>te<br />
ohne zu bedrohen, weil er keine Angst hatte,<br />
etwas zu verlieren. Er besaß nichts, was er sein Eigenes<br />
nannte. <strong>Friedens</strong>stifter zu werden steht in direkter<br />
Beziehung dazu, Furcht zu überwinden, die<br />
Furcht vor dem tatsächlichen Tod, <strong>des</strong> Verlustes<br />
unseres physischen Lebens, o<strong>der</strong> eines Quasi-To<strong>des</strong><br />
(den man als teilweisen Tod bezeichnen kann)<br />
durch Verlust <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit, <strong>des</strong> guten Rufes, von<br />
Fre<strong>und</strong>en, von materiellen Gütern, Privilegien o<strong>der</strong><br />
auch <strong>der</strong> Furcht, dass die Liebe, die uns Stärke gibt,<br />
verschwinden könnte <strong>und</strong> uns versagen ließe …<br />
<strong>und</strong> zu hassen. Wir wissen, dass wir, wenn wir nur<br />
wenige Habseligkeiten <strong>und</strong> Privilegien haben, nicht<br />
73
■ Frieden stiften<br />
zu fürchten brauchen, sie zu verlieren. Wenn wir<br />
nicht an ein Selbstbild geb<strong>und</strong>en sind, sind wir freier,<br />
die Verteidigung <strong>der</strong>er zu übernehmen, <strong>der</strong>en<br />
Würde o<strong>der</strong> Leben gefährdet ist. Einige unserer<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern haben uns im Laufe <strong>der</strong><br />
Jahrh<strong>und</strong>erte gezeigt, dass ihre Furchtlosigkeit mit<br />
ihrer Armut, ihrem Leben mit den Armen wuchs.<br />
Ihr wahrer Reichtum ist die Kraft <strong>der</strong> Liebe, die aus<br />
<strong>der</strong> Seitenw<strong>und</strong>e Jesu am Kreuz fließt.<br />
Der gewaltfreie Kampf ist die Waffe <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> liebenden Menschen. Er ist die Waffe <strong>der</strong>er, die<br />
es ablehnen, Einzelkämpfer zu sein; sie haben das<br />
Vertrauen in einen kollektiven <strong>und</strong> gemeinschaftlichen<br />
Kampf. Dies schließt nicht aus, „klug wie die<br />
Schlangen zu sein“.<br />
Je<strong>des</strong> Geschöpf, Mensch o<strong>der</strong> nicht Mensch, ist<br />
unser Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwester. Dies ist nicht metaphorisch<br />
gemeint. Dies ist nicht rührselig. Gott lädt<br />
uns <strong>und</strong> die gesamte Schöpfung ein, Teil dieser Fülle<br />
(PLEROMA) zu sein, <strong>der</strong>en Haupt Christus ist, in<br />
<strong>der</strong> die Achtung vor <strong>der</strong> göttlichen Gegenwart jede<br />
Beziehung verwandelt. Unsere Ehrfurcht vor <strong>der</strong><br />
Gegenwart Gottes in den an<strong>der</strong>en wird den wahren<br />
Frieden <strong>und</strong> die Achtung vor <strong>der</strong> Unversehrtheit <strong>der</strong><br />
Schöpfung verbreiten.<br />
Dann werden wir ansteckende <strong>Friedens</strong>stifter sein.<br />
74<br />
Alain Richard <strong>OFM</strong><br />
Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> ...<br />
Nirgendwo ist die Notwendigkeit authentischer<br />
<strong>Friedens</strong>arbeit heute dringlicher als in vielen vom<br />
Krieg zerrissenen Nationen Afrikas. Bezeichnen<strong>der</strong>weise<br />
ließen sich GIACOMO BINI, <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitige<br />
Generalminister, <strong>und</strong> zwei an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> in dem<br />
kleinen ostafrikanischen Staat Ruanda nie<strong>der</strong>, als<br />
sie in den frühen 80er Jahren die neue franziskanische<br />
Präsenz auf dem Kontinent eröffneten. Sie<br />
bauten ihr eigenes einfaches Haus im lokalen Stil<br />
<strong>und</strong> begannen ihren Dienst, <strong>der</strong> sich langsam auf<br />
acht Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Region ausbreitete (Ruanda,<br />
Bur<strong>und</strong>i, Kenia, Uganda, Sambia, Malawi, Tansania,<br />
Madagaskar). Das Ziel dieser ersten Gemeinschaft,<br />
die in Nairobi (Kenia) ihren Sitz hat, besteht<br />
heute darin, die vielen Berufungen unter den Afrikanern<br />
aus unterschiedlichen Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> verschiedenem<br />
ethnischen Hintergr<strong>und</strong> zu unterstützen<br />
<strong>und</strong> eine wirklich internationale <strong>und</strong> multikulturelle<br />
Gemeinschaft aufzubauen, ein tägliches Zeugnis<br />
für die Werte <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong> Brückenschlags,<br />
die in <strong>der</strong> Region so dringend benötigt werden.<br />
Einige Brü<strong>der</strong> haben teuer für diesen beständigen<br />
Einsatz für den Frieden bezahlt: 1986 wurde<br />
KEVIN LAWLOR, ein Mitbru<strong>der</strong> von 33 Jahren, in<br />
Uganda getötet. Als <strong>der</strong> Völkermord 1994 in Ruanda<br />
begann, wurde <strong>der</strong> Minister einer neuen Fraternität<br />
<strong>der</strong> Franziskanischen Gemeinschaft ermordet.<br />
Im April <strong>des</strong> gleichen Jahres wurde GEORGE<br />
GASHUGI, 32 Jahre alt <strong>und</strong> Tutsi, wenige Monate<br />
vor seiner feierlichen Profess brutal zu Tode geprügelt.<br />
Im April 1996 entging VJEKO CURIC nur<br />
knapp dem Tod, als er allein in das franziskanische<br />
Haus von Kivumu, 20 km außerhalb Kigalis,<br />
zurückkehrte. Drei mit einem Gewehr <strong>und</strong> langen<br />
Messern bewaffnete Männer for<strong>der</strong>ten von ihm<br />
Geld <strong>und</strong> befahlen ihm, sich an die Wand zu stellen.<br />
Curic behielt klaren Kopf <strong>und</strong> floh durch die<br />
offene Tür <strong>des</strong> Speiseraumes. Es war nicht das erste<br />
Mal, dass er von Extremisten bei<strong>der</strong> Seiten, Hutus<br />
wie Tutsis, bedroht worden war, weil er beiden ethnischen<br />
Gruppen ohne Voreingenommenheit half.<br />
Er versprach, seine Sendung fortzuführen, auch<br />
wenn dies bedeutete, „das Leben zu riskieren, wie<br />
die an<strong>der</strong>en Menschen hier auch“. Am 31. Januar<br />
1998 wurde Vjeko vor <strong>der</strong> Kirche <strong>der</strong> hl. Familie in<br />
Kigali (Ruanda) erschossen. Papst Johannes Paul II.<br />
erwies ihm seine Anerkennung, als er sagte: „Ein<br />
weiteres Opfer ist <strong>der</strong> langen Liste <strong>der</strong> Missionare
■ Frieden stiften<br />
hinzugefügt worden, die mit dem Opfer ihres<br />
Lebens ihre Liebe zu Christus <strong>und</strong> zu den Völkern<br />
Afrikas besiegelten.“<br />
An<strong>der</strong>swo auf dem Kontinent stehen die Brü<strong>der</strong> im<br />
Zentrum <strong>des</strong> komplexen Prozesses <strong>der</strong> Heilung <strong>und</strong><br />
Versöhnung, so im neuen, demokratischen Südafrika.<br />
Als Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> vielen Wahrheits- <strong>und</strong><br />
Versöhnungskommissionen im ganzen Land, welche<br />
die Opfer <strong>und</strong> die Täter anhören, die ihre<br />
Wahrheit über das Apartheid-Regime erzählen, helfen<br />
die Brü<strong>der</strong> Einzelpersonen <strong>und</strong> Gemeinschaften,<br />
sich von mehr als vier Jahrzehnten Unterdrückung<br />
<strong>und</strong> Brutalität zu erholen.<br />
„Es ist eine traumatisierte Nation, die in ihre Seele<br />
blickt, <strong>und</strong> langsam <strong>und</strong> unter Schmerzen wie<strong>der</strong>geboren<br />
wird.“ Das sind die Worte <strong>des</strong> irischen Bru<strong>der</strong>s<br />
PADDY NOONAN, <strong>der</strong> die letzten 25 Jahre in<br />
einer <strong>der</strong> am stärksten benachteiligten Townships<br />
südlich von Johannesburg tätig war, wo Gewalt <strong>und</strong><br />
Ungerechtigkeit zum täglichen Leben gehörten. Er<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Franziskaner lebten in einem Gebiet<br />
nahe bei Boipatong, das durch ein Massaker<br />
bekannt wurde, bei dem er <strong>der</strong> Erste war, <strong>der</strong> den<br />
Schauplatz erreichte <strong>und</strong> Zeuge <strong>des</strong> schrecklichen<br />
Blutba<strong>des</strong> wurde, das während <strong>der</strong> Nacht stattgef<strong>und</strong>en<br />
hatte. „<strong>Friedens</strong>arbeit stand in deinem Geist<br />
nicht gerade an <strong>der</strong> obersten Stelle, wenn Massaker<br />
wie dieses um dich herum geschehen“, erklärt er in<br />
seinem fre<strong>und</strong>lich klingenden irischen Akzent.<br />
(Den Großteil <strong>der</strong> Arbeit verrichtet er in dem lokalen<br />
Dialekt <strong>der</strong> Township, weil er glaubt, dass dies<br />
<strong>der</strong> einzige Weg wirklicher Kommunikation mit<br />
den Menschen ist). „Der erste Gedanke, <strong>der</strong> dir<br />
durch den Kopf geht, lautet: Wer steckt hinter all<br />
diesem? Es gab so viele unsichtbare Kräfte, die es<br />
erschwerten, das Apartheid-Regime zu Fall zu bringen<br />
<strong>und</strong> in diesem Land Frieden zu schaffen.“ Empfand<br />
er es nicht als schwierig, inmitten einer solchen<br />
Gewalt <strong>und</strong> Unterdrückung voller Hoffnung zu<br />
bleiben? Er schaut auf die Zeit zurück, als er nach<br />
dem Boipatong-Massaker von 1992 die Baracken<br />
besuchte: „Nachdem ich St<strong>und</strong>en verbracht hatte,<br />
alle diese gebrochenen <strong>und</strong> übel zugerichteten Körper<br />
anzuschauen <strong>und</strong> ihren Familien zuzuhören,<br />
kam ein Mann auf <strong>der</strong> Straße auf mich zu <strong>und</strong> flüsterte:<br />
‚Pater, wir wissen, dass <strong>der</strong> Herr hier ist.‘<br />
Welches Recht haben wir Kirchenleute zu zweifeln,<br />
wenn das einfache Volk eine solche Hoffnung<br />
lebendig halten konnte?“ Noonan war auch ein<br />
enger Fre<strong>und</strong> von einigen Führern <strong>des</strong> Anti-Apartheid-Kampfes,<br />
die jetzt verantwortliche Positionen<br />
in <strong>der</strong> neuen Regierung einnehmen. „Es war Teil<br />
unseres Dienstes, mit einigen dieser politischen<br />
Straßenkämpfer zu sprechen, aber wir wussten, dass<br />
sie anständige Menschen waren <strong>und</strong> nicht die kommunistischen<br />
Rebellen, die man aus ihnen machte.“<br />
Eine solche Innensicht <strong>der</strong> Situation in Südafrika<br />
brachte die Kirchen dazu, zunehmend eine aktive<br />
Rolle in <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Anti-Apartheid-<br />
Bewegung zu übernehmen. „Wir haben immer als<br />
eine geschlossene christliche Front gearbeitet“,<br />
betont Noonan. „Wenn politische o<strong>der</strong> zivile Gruppen<br />
gebannt o<strong>der</strong> ins Exil geschickt wurden, füllten<br />
die Kirchen das entstandene Vakuum.“ Er verweist<br />
auf das Beispiel <strong>des</strong> Miets- <strong>und</strong> Versorgungsboykotts,<br />
<strong>der</strong> sich über einige Jahre hinzog. „Alle franziskanischen<br />
Pfarreien nahmen daran teil <strong>und</strong> lehnten<br />
es ab, irgendwelche städtischen Gebühren zu<br />
zahlen, denn dies war eines <strong>der</strong> wirksamsten Mittel<br />
<strong>des</strong> gewaltfreien Protestes.“ Als die städtischen<br />
Behörden damit drohten, die Stadtbeleuchtung<br />
abzuschalten, gingen er <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Ordensobere,<br />
um zu versuchen, einen Ausweg aus dieser Situation<br />
auszuhandeln. Ihre Bemühungen hatten keinen<br />
Erfolg, <strong>und</strong> Polizei wurde gerufen, um die Gruppe<br />
festzunehmen. Eine solche persönliche Erfahrung<br />
<strong>des</strong> Kampfes für den Frieden machte die endgültige<br />
Befreiung Südafrikas zu einem Ereignis unbeschreibbarer<br />
Freude für Noonan. Er war in <strong>der</strong> gleichen<br />
Township dabei, um die ersten demokratischen<br />
Wahlen zu überwachen, die im April 1994<br />
stattfanden. Paddy <strong>und</strong> ULRICH ZANKANELLA aus<br />
Österreich hatten offizielle Positionen als Wahlbeobachter,<br />
Paddy als ein lokaler Beobachter <strong>und</strong><br />
Ulrich auf Einladung <strong>der</strong> südafrikanischen<br />
Bischofskonferenz als internationaler Wahlbeobachter.<br />
„In Bezug auf meine franziskanische Sendung<br />
empfand ich die Beobachtung dieser Wahlen wie<br />
das Gehen <strong>der</strong> letzten Kilometer an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />
Menschen. Es war eine Geste <strong>des</strong> mit ihnen Seins,<br />
als sie eine neue Ära <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Demokratie<br />
einleiteten nach <strong>der</strong> Hölle <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sünde <strong>der</strong><br />
Apartheid-Jahre.“<br />
DAVID BARNARD von <strong>der</strong> Provinz Unserer Frau<br />
Königin <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> (Südafrika) stellte sich einer<br />
machtvollen Erfahrung während seines Sabbatjahres<br />
75
■ Frieden stiften<br />
in England. Dort hatte er die Möglichkeit, über<br />
Rassen- <strong>und</strong> Stammesvorurteile zu reflektieren, die<br />
Südafrika immer noch quälen. Zum ersten Mal in<br />
seinem Leben konnte er über die Leidenszeit diskutieren,<br />
wie er sich als schwarzer afrikanischer Bru<strong>der</strong><br />
in einer überwiegend weißen Gemeinschaft gefühlt<br />
hatte. Durch diese wichtige internationale Erfahrung<br />
konnte er seinen Zorn mitteilen <strong>und</strong> die Kraft<br />
<strong>der</strong> Vergebung innerhalb <strong>der</strong> größeren franziskanischen<br />
Familie bei seiner Rückkehr in seine Heimat<br />
entdecken.<br />
Die Erfahrung <strong>der</strong> Versöhnung in Südafrika war für<br />
den Landpastor PETER WILSON ganz an<strong>der</strong>s. Im<br />
Gefängnis kam Peter dazu „weiße Menschen anzunehmen,<br />
ihnen zu vergeben“ <strong>und</strong> sich frei von Bitterkeit<br />
zu spüren. „Es war ein w<strong>und</strong>erbares Gefühl.<br />
Schließlich ist es Teil <strong>der</strong> afrikanischen Kultur,<br />
jeden anzunehmen. Ich wollte nicht weiter von<br />
Schwarzen <strong>und</strong> Weißen sprechen. Buren sind lange<br />
Zeit ein Teil Afrikas gewesen. Mein eigenes Volk<br />
wollte niemals Rache. Wir wollten <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />
Wir kämpften gegen ihre Politik, nicht gegen sie als<br />
Menschen.“<br />
Auch in Lateinamerika <strong>und</strong> Asien haben sich Brü<strong>der</strong><br />
in ihren Gemeinschaften für Frieden eingesetzt<br />
<strong>und</strong> haben beobachtet, wie unterdrückerische Regime<br />
überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zerbrechliche Demokratien<br />
begründet wurden. Auf den Philippinen standen<br />
sie an vor<strong>der</strong>ster Front im Kampf um <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden während <strong>der</strong> langen Diktatur von Ferdinand<br />
Marcos, <strong>der</strong> schließlich durch den Volksaufstand<br />
1986 gestürzt wurde. Während dieser Volkserhebung<br />
hatten die Brü<strong>der</strong> eine Schlüsselrolle<br />
dabei, dass die Proteste gewaltfrei abliefen, trotz <strong>der</strong><br />
außerordentlichen Unterdrückung, die <strong>der</strong> Großteil<br />
<strong>des</strong> Volkes lange Zeit erlitten hatte. Auch in dem<br />
Jahrzehnt, nachdem Marcos von <strong>der</strong> Macht vertrieben<br />
war, for<strong>der</strong>ten die Brü<strong>der</strong> größere soziale<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> für die Menschen. Auch wenn sich<br />
die Wirtschaft <strong>der</strong> bevölkerungsreichen Inselnation<br />
langsam von den Verwüstungen <strong>der</strong> Marcos-Jahre<br />
zu erholen beginnt, bedeutet die Hinterlassenschaft<br />
<strong>des</strong> Diktators in Verbindung mit <strong>der</strong> fortdauernden<br />
Korruption <strong>und</strong> einer Reihe von Naturkatastrophen,<br />
dass Armut <strong>und</strong> Gewalt auch heute noch viele<br />
Teile <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> plagen. Auf <strong>der</strong> südlichen Insel<br />
Mindanao hat sich die Regierung unfähig gezeigt,<br />
die Probleme <strong>der</strong> großen Gemeinschaft <strong>der</strong> Musli-<br />
76<br />
me zu lösen, <strong>der</strong>en Führer eine Art von Autonomie<br />
für die Region for<strong>der</strong>n. Manchmal werden Brü<strong>der</strong><br />
in den Strudel <strong>der</strong> Gewalt um sie herum hineingerissen.<br />
Im Oktober 1992 wurde zum Beispiel<br />
AUGUSTINE FRASZCZAK gekidnappt <strong>und</strong> für mehr<br />
als zwei Monate von muslimischen Extremisten<br />
gefangen gehalten. In <strong>der</strong> Stellungnahme, mit <strong>der</strong><br />
die Brü<strong>der</strong> die Freilassung ihres Bru<strong>der</strong>s mitteilten,<br />
sagten sie: „Der wichtigste Schritt um das Verbrechen<br />
<strong>des</strong> Kidnapping auszurotten besteht darin, die<br />
sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen von<br />
Basilan zu verbessern.“<br />
In Japan ergriffen die Brü<strong>der</strong> PHILIPP HAMADA <strong>und</strong><br />
JOB TODA die Initiative, eine tiefere Versöhnung<br />
<strong>und</strong> Verstehen unter den Völkern <strong>der</strong> asiatischen<br />
Pazifikregion voranzutreiben. Im August 1995, als<br />
man in Japan <strong>des</strong> 50. Jahrestages <strong>des</strong> En<strong>des</strong> <strong>des</strong><br />
zweiten Weltkrieges gedachte, verfassten sie eine<br />
Stellungnahme, in <strong>der</strong> sie die Menschen Koreas um<br />
Vergebung baten für die vielen aggressiven Akte, die<br />
mehr als 20 Millionen Menschenleben in <strong>der</strong> Region<br />
gekostet hatten. In dem Schreiben erkennen die<br />
Brü<strong>der</strong> die vielen Schwierigkeiten an, mit denen die<br />
katholische Kirche in Japan in <strong>der</strong> Zeit vor dem<br />
Krieg konfrontiert war. Aber sie bitten für das Versagen<br />
<strong>der</strong> Kirche um Verzeihung, die zur Regierung<br />
gehalten hatte, <strong>und</strong> nehmen jene in Schutz, die vor<br />
allem in China <strong>und</strong> Korea so brutal unterdrückt<br />
worden waren.<br />
In an<strong>der</strong>en Nachkonfliktsituationen, wie in Bosnien-Herzegowina<br />
<strong>und</strong> Kroatien, bemühen sich die<br />
Brü<strong>der</strong> um Versöhnung, als einer Vorbedingung für<br />
dauerhaften Frieden. Die Franziskaner sind in dieser<br />
Region seit mehr als 700 Jahren präsent; drei Brü<strong>der</strong><br />
wurden in den jüngsten Konflikten getötet,<br />
während an<strong>der</strong>e verw<strong>und</strong>et o<strong>der</strong> zur Flucht aus<br />
ihrer Heimat gezwungen wurden, als Konvente,<br />
Kirchen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e franziskanische Zentren in den<br />
Kämpfen zerstört wurden.<br />
Als Teil <strong>der</strong> Bemühungen, diese Narben zu heilen,<br />
haben BOZE VULETA <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
franziskanischen Familie das Franziskanische Institut<br />
für <strong>Friedens</strong>kultur gegründet. Es wurde im April<br />
1996 in Split eröffnet, mit Zentren für den interethnischen<br />
<strong>und</strong> interreligiösen Dialog in <strong>der</strong> bosnischen<br />
Hauptstadt Sarajewo. Seine Zielsetzung<br />
besteht darin, eine ausführliche Studie aller Themen
■ Frieden stiften<br />
zu erstellen, die mit dem Frieden in <strong>der</strong> Region zu<br />
tun haben, den Dialog zwischen den früheren Feinden<br />
zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> vor allem darin, Erziehungsprogramme<br />
zum Frieden für junge Menschen bereitzustellen.<br />
Boze ist optimistisch hinsichtlich <strong>des</strong> Erfolgs<br />
<strong>des</strong> Instituts. „Wenn die Menschen in Bosnien <strong>und</strong><br />
Kroatien bereit sind, heute auf jemanden zu hören,<br />
dann sind es die Franziskaner“, sagt er mit einem<br />
gequälten Lächeln. „Sie vertrauen uns, <strong>des</strong>halb müssen<br />
wir ihr Vertrauen effektvoll einsetzen bei <strong>der</strong><br />
Suche nach Frieden <strong>und</strong> Versöhnung. Unser Ziel<br />
besteht auch darin, zukünftige Konflikte zu verhin<strong>der</strong>n<br />
durch den Aufbau gegenseitigen Verständnisses<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Achtung <strong>der</strong> unterschiedlichen Kulturen<br />
<strong>und</strong> Religionen – etwas, was unter <strong>der</strong> kommunistischen<br />
Herrschaft völlig zerstört worden war.“<br />
Die Brü<strong>der</strong> organisierten auch eine breit publizierte<br />
Konferenz über Vergebung, zu <strong>der</strong> sie Wissenschaftler,<br />
Psychologen, Sozialarbeiter, Katecheten <strong>und</strong><br />
Experten <strong>des</strong> interreligiösen Dialogs zusammenbrachten.<br />
Die Tagung war so erfolgreich, dass die<br />
Brü<strong>der</strong> nun ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht<br />
haben, das bei denen breite Verwendung findet,<br />
die sich mit den Problemen <strong>der</strong> Nachkriegstraumata<br />
befassen.<br />
Eine an<strong>der</strong>e Anstrengung zur För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>:<br />
die Brü<strong>der</strong> von Herzegowina, die während <strong>des</strong><br />
Krieges Verw<strong>und</strong>ete versorgten, haben ein Projekt<br />
entwickelt, jenen beizustehen, die als Folge von<br />
Landminen Gliedmaßen verloren haben. Die Brü<strong>der</strong><br />
stellten die Verbindung zu einer orthopädischen<br />
Fabrik in Deutschland her <strong>und</strong> konnten so allein im<br />
Jahr 1996 204 Menschen mit Prothesen versorgen.<br />
Im gleichen Jahr leistete eine ähnlich strukturierte<br />
Zahnarztpraxis die notwendige Zahnbehandlung<br />
für 1.286 Menschen.<br />
Franziskanische Missionare aus Irland standen<br />
regelmäßig an vor<strong>der</strong>ster Front bei den Bemühungen<br />
um Frieden in Asien, Afrika <strong>und</strong> Lateinamerika.<br />
Unsere Brü<strong>der</strong> kehrten jedoch paradoxerweise erst<br />
kürzlich nach Nordirland zurück, nach Jahrh<strong>und</strong>erten<br />
<strong>der</strong> Abwesenheit, die auf die protestantische<br />
Reformation zurückgeht. 1984 schloss sich LIAM<br />
MCCARTHY drei weiteren irischen Franziskanern an,<br />
die auf die Anfrage nach Begleitung durch eine<br />
Gruppe von Klarissen geantwortet hatten, <strong>und</strong><br />
gründeten die erste „neue“ Gemeinschaft an <strong>der</strong> St.<br />
Josefs-Kirche im industriellen Hafenviertel von Bel-<br />
fast. Für Liam stellte dies ein lange überfälliges<br />
Ereignis in <strong>der</strong> irischen franziskanischen Geschichte<br />
dar <strong>und</strong> eine w<strong>und</strong>erbare Gelegenheit, den Prozess<br />
<strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> Vergebung unter den Konfessionsgemeinschaften<br />
Nordirlands zu konsolidieren.<br />
<strong>Friedens</strong>- <strong>und</strong> Versöhnungsgruppen entstanden<br />
überall, einschließlich <strong>der</strong> interreligiösen Shalom<br />
Prayer Group. 1993 eröffneten die Brü<strong>der</strong> ein zweites<br />
Haus, eine „Fraternität“ in Ballymurphy, die den<br />
Menschen in West-Belfast ein weitreichen<strong>des</strong> Programm<br />
anbietet, eine überwiegend republikanische<br />
<strong>und</strong> katholische Gemeinschaft. Ihre Offenheit<br />
ermutigt den Dialog zwischen den Franziskanischen<br />
Gemeinschaften (FG) <strong>der</strong> protestantischen wie <strong>der</strong><br />
römisch-katholischen Tradition. Ihre Anwesenheit<br />
half die ökumenischen Initiativen für Frieden in<br />
Nordirland zu stärken.<br />
In einem leerstehenden Kloster in Cori, Italien, hat<br />
die römische <strong>OFM</strong>-Provinz ein Ausbildungsprogramm<br />
für junge Menschen mit dem Titel „Junge<br />
Erzieher für den Frieden“ begonnen. Nach PAOLO<br />
MAIELLO sind viele junge Menschen von den<br />
Lebenswegen <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Klara <strong>und</strong><br />
vom Zeugnis <strong>der</strong> Franziskaner heute berührt <strong>und</strong><br />
suchen nach neuen Wegen, um in ihrer eigenen<br />
Gesellschaft aktive <strong>Friedens</strong>stifter zu werden.<br />
Franziskanische Zusammenarbeit für Frieden<br />
schließt oft Anstrengungen ein, die zwischen den<br />
Provinzen <strong>und</strong> den Konferenzen auf internationaler<br />
Ebene unternommen wurden. Im Sommer 1995<br />
sammelten zwei Brü<strong>der</strong> aus Toledo (Spanien),<br />
EMILIO ROCHA <strong>und</strong> JULIÁN MARTIN ARAGON, zwei<br />
Lastwagen mit medizinischen Hilfsmitteln aus spanischen<br />
Chemieunternehmen, die sie an Flüchtlinge<br />
in Bosnien verteilten. In Solidarität <strong>und</strong> zur<br />
Unterstützung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Region lebten<br />
Emilio <strong>und</strong> Julián auch einige Wochen in dem<br />
Konvent von Fojnica in Bosnien, in dem die<br />
Brü<strong>der</strong> LEON MATE MIGIC <strong>und</strong> NIKOLA (NIKICA)<br />
MILICEVIC am 13. November 1993 von Mitglie<strong>der</strong>n<br />
einer muslimischen Miliz umgebracht worden<br />
waren.<br />
In Nordamerika ist die Antiatom-Bewegung, <strong>und</strong><br />
im Beson<strong>der</strong>en die Nevada-Wüsten-Erfahrung, ein<br />
Beispiel, wie Brü<strong>der</strong> gemeinsam mit an<strong>der</strong>en<br />
Ordensleuten <strong>und</strong> Laien von unterschiedlichstem<br />
Hintergr<strong>und</strong>, die sich für Frieden engagieren,<br />
77
■ Frieden stiften<br />
zusammenarbeiten. Ausbildung in <strong>der</strong> U.S. Airforce<br />
ist nicht <strong>der</strong> typische Hintergr<strong>und</strong> für einen Antiatom-Aktivisten,<br />
doch für LOUIS VITALE bilden seine<br />
Erfahrung im amerikanischen Militär <strong>und</strong> seine<br />
Betroffenheit durch die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Zweiten<br />
Vatikanischen Konzils den Hintergr<strong>und</strong> für sein<br />
Engagement bei den Franziskanern wie <strong>der</strong> <strong>Friedens</strong>bewegung<br />
insgesamt. Nach einem akademischen<br />
Abschluss in Soziologie wurde Louis gebeten,<br />
nach Las Vegas zu gehen <strong>und</strong> dort das diözesane<br />
Büro für soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> aufzubauen. Allmählich<br />
wurde er auf den Stützpunkt für atomare Tests<br />
in Nevada aufmerksam, auf dem die U.S.– wie die<br />
britische Regierung unterirdische Atomexplosionen<br />
durchführten. Er begann sich zu fragen, warum so<br />
wenig Interesse für das bestand, was er später als<br />
„die vielleicht größte Umweltkatastrophe aller Zeiten“<br />
beschreiben sollte.<br />
„Es war uns klar“, sagt Louis, „dass <strong>der</strong> Wettlauf <strong>der</strong><br />
Aufrüstung weitergehen würde, solange die Regierung<br />
neue Waffensysteme testen <strong>und</strong> entwickeln<br />
würde. Wir engagierten uns, um auf die Tests in<br />
Nevada aufmerksam zu machen, Proteste <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Veranstaltungen zu organisieren, um das begrenzte<br />
Ziel eines umfassenden Testverbots zu erreichen.“<br />
Durch eine Reihe von jährlichen Gebetswachen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> wachsenden Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en<br />
christlichen Gruppen <strong>und</strong> Gruppen von indigenen<br />
Amerikanern, begannen die Teilnehmer schrittweise<br />
zu begreifen, dass je<strong>der</strong> Test die lokale Umwelt <strong>und</strong><br />
den Lebensraum <strong>des</strong> indigenen Shoshone-Stammes<br />
schädigte. Trotz <strong>des</strong> wissenschaftlichen Nachweises<br />
<strong>der</strong> Schäden, welche die Tests verursachten, trafen<br />
die jährlichen Wachen auf schroffen Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong><br />
lokalen <strong>und</strong> <strong>der</strong> nationalen Behörden. Die Zahl <strong>der</strong><br />
beteiligten Menschen, die an dem Schauplatz festgenommen<br />
wurden, wuchs in den 80er Jahren ständig.<br />
Doch die Bewegung wurde gestärkt durch die<br />
Unterstützung, die sie von Menschen aus aller Welt<br />
empfing. Nach seiner Wahl zum Generalminister<br />
1991 begab sich HERMANN SCHALÜCK an den Testplatz<br />
in <strong>der</strong> Wüste von Nevada, um dort auf seinem<br />
ersten Pilgerweg als Generalminister zu beten. Besuche<br />
von Regierungsvertretern, Bischöfen <strong>und</strong> Vertretern<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Religionen bilden den<br />
Höhepunkt <strong>des</strong> gleichbleibenden Drucks, den<br />
Zeugnis auf das öffentliche Bewusstsein ausübt.<br />
Langsam lernten Arbeiter <strong>des</strong> Testgelän<strong>des</strong> einige<br />
78<br />
<strong>Friedens</strong>aktivisten auf persönlicher Ebene kennen,<br />
<strong>und</strong> die Spannungen <strong>der</strong> ersten Jahre klangen ab.<br />
Nach dem Ende <strong>der</strong> Sowjetunion wurde ein umfassen<strong>der</strong><br />
Atomtest-Sperrvertrag möglich. Doch die<br />
<strong>Friedens</strong>bewegung setzt ihren Einsatz fort, um<br />
einen Teststopp für alle Waffensysteme zu erreichen.<br />
ALOYSIUS FLORIO von <strong>der</strong> Kustodie <strong>des</strong> Heiligen<br />
Lan<strong>des</strong> erinnert an den praktischen Einsatz <strong>der</strong><br />
Brü<strong>der</strong> während <strong>des</strong> Golfkriegs 1991, als die franziskanische<br />
Gemeinschaft auf Seiten <strong>der</strong> lokalen<br />
Bevölkerung stand, als viele an<strong>der</strong>e flohen. „Unsere<br />
friedfertige Präsenz unter den Menschen aller Glaubensgruppen,<br />
sie zu verköstigen, ihre Geschichten<br />
anzuhören <strong>und</strong> die Toten zu begraben, war ein<br />
greifbares Zeichen unseres seit 800 Jahren dauernden<br />
Einsatzes für die Bewohner <strong>des</strong> Heiligen Lan<strong>des</strong>.“<br />
Dieser Einsatz wurde ein weiteres Mal deutlich,<br />
als das Massaker an über 20 betenden Palästinensern<br />
1994 in <strong>der</strong> Moschee von Hebron verübt<br />
wurde. Die Kustodie veröffentlichte eine Verurteilung<br />
<strong>des</strong>sen, was sie als einen „kriminellen Akt“,<br />
verübt von einem jüdischen Siedler, bezeichnete.<br />
CLAUDIO BARATTO, <strong>der</strong> Vertreter <strong>des</strong> Kustos,<br />
ALBERT ROCK, PAOLO MASTRANGELI, HALIM NOU-<br />
JAIM, GEORGE ABU KHAZEN besuchten sofort den<br />
Stadtrat von Hebron <strong>und</strong> die H<strong>und</strong>erte von Verw<strong>und</strong>eten.<br />
Sie verstanden diesen Besuch als Teil<br />
ihrer fortdauernden <strong>Friedens</strong>sendung unter den<br />
Palästinensern, die sich von Christen <strong>des</strong> Westens<br />
oft „vergessen <strong>und</strong> unbeachtet“ erleben.<br />
Generalkonstitutionen<br />
Artikel 1,2: Sie müssen „Buße <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>sein<br />
bezeugen, in <strong>der</strong> Liebe zu allen Menschen die Botschaft<br />
<strong>des</strong> Evangeliums in die ganze Welt tragen<br />
<strong>und</strong> durch ihr Tun von Versöhnung, Frieden <strong>und</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> künden“.<br />
Weitere Hinweise: Artikel 33,1; 39; 69,1-2; 70;<br />
95,1-3; 96,2; 98,1-2.
■ Frieden stiften<br />
Fragen für die Diskussion<br />
1. Wie hast du erfahren, ein <strong>Friedens</strong>stifter<br />
zu sein? In deinem apostolischen Wirken, in<br />
deiner Gemeinschaft, deiner Familie, deiner<br />
Provinzgemeinschaft?<br />
2. Was sind die größten Hin<strong>der</strong>nisse für Frieden<br />
in <strong>der</strong> Stadt, in dem Land, in dem du lebst?<br />
3. Welchen Beitrag zum Frieden kannst du in<br />
<strong>der</strong> Stadt leisten, in <strong>der</strong> du lebst? Welchen<br />
Beitrag könnte eure örtliche Gemeinschaft<br />
leisten?<br />
4. Haben die Bischöfe eures Lan<strong>des</strong> o<strong>der</strong> eurer<br />
Region Prioritäten <strong>der</strong> <strong>Friedens</strong>arbeit festgelegt?<br />
Wie kannst du persönlich diese<br />
Bemühungen unterstützen? Wie könnte sich<br />
eure örtliche Gemeinschaft, eure Provinzgemeinschaft<br />
beteiligen?<br />
5. Was sind die wichtigsten persönlichen<br />
Merkmale eines <strong>Friedens</strong>stifters? Nehmen<br />
diese Merkmale in deinem Leben zu?<br />
6. Hast du eine bevorzugte Geschichte über<br />
den hl. Franziskus als <strong>Friedens</strong>stifter? Hat dir<br />
diese Geschichte in deinen Bemühungen<br />
um Frieden geholfen?<br />
7. Haben wir nicht nur für die Opfer von Gewalt<br />
<strong>und</strong> Ungerechtigkeit Mitgefühl, son<strong>der</strong>n<br />
auch für jene, die aus Leidenschaft o<strong>der</strong><br />
Blindheit, an<strong>der</strong>en Leid durch Gewalt <strong>und</strong><br />
Ungerechtigkeit zufügen? Beten wir für sie?<br />
Wollen wir sie ohne Anmaßung befreien,<br />
indem wir das Risiko auf uns nehmen, sie zu<br />
konfrontieren <strong>und</strong> uns än<strong>der</strong>n zu müssen?<br />
8. Erkennen wir den „Wolf“ in uns, bereit zu<br />
verschlingen? Ist <strong>der</strong> Wolf dabei gezähmt<br />
zu werden?<br />
9. Ist es möglich, dass die Furcht, arm mit den<br />
Armen zu sein, unser größtes Hin<strong>der</strong>nis darstellt,<br />
am gewaltfreien Kampf teilzunehmen?<br />
10. Besteht in unserem persönlichen <strong>und</strong><br />
gemeinschaftlichen Lebensstil ein Gespür für<br />
die Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Menschlichkeit, Befreiung <strong>und</strong> Frieden?<br />
11. Meinst du, dass deine Gemeinschaft irgendwelche<br />
Aktionen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
veranlassen o<strong>der</strong> an einer von an<strong>der</strong>en<br />
initiierten Aktion teilnehmen könnte? Denkst<br />
du, dass dies das Leben unserer Bru<strong>der</strong>schaft<br />
o<strong>der</strong> das unserer Gruppen o<strong>der</strong> christlichen<br />
Gemeinschaften „verkomplizieren“ könnte<br />
<strong>und</strong> es daher besser wäre, sich herauszuhalten?<br />
12. Welchen Platz nehmen die Dimensionen von<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschlichkeit/ <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Friede im Projekt <strong>der</strong> Evangelisierung in<br />
eurer Bru<strong>der</strong>schaft/ eurer Provinz ein? Was<br />
sollte getan werden durch Planung o<strong>der</strong> Ausbau<br />
bestehen<strong>der</strong> Strukturen?<br />
13. Was weißt du über Gewaltlosigkeit? Meinst<br />
du, dass sie ein wirksames Instrument für<br />
unseren Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
darstellt, wie die Generalkonstitutionen uns<br />
vorschlagen?<br />
14. Werte die Wahrnehmung aus <strong>und</strong> die Antwort,<br />
die du in Konfliktsituationen gegeben<br />
hast. Wie haben deine Berufung <strong>und</strong> die Art<br />
deiner Erziehung dich auf diesem Gebiet<br />
beeinflusst?<br />
15. Beobachte deine Umgebung als Fraternität<br />
<strong>und</strong> bezeichne die Samen von Gewalt, die du<br />
wahrnimmst. Analysiere die verschiedenen<br />
Arten von Antworten, die auftauchen.<br />
79
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung /<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
für die Umwelt<br />
In den Fußstapfen <strong>des</strong> heiligen Franziskus sollen die<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong> heute von allen Seiten bedrohten Natur<br />
gegenüber Sinn für Ehrfurcht an den Tag legen <strong>und</strong> so<br />
die Natur wie<strong>der</strong> ganz als ihre Schwester sehen, allen<br />
Menschen zum Wohl <strong>und</strong> zur Verherrlichung <strong>des</strong><br />
Schöpfers.<br />
<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 71<br />
Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />
Die tiefe Liebe <strong>des</strong> Franziskus gegenüber Gott <strong>und</strong><br />
gegenüber <strong>der</strong> gesamten Schöpfung Gottes hat im<br />
SONNENGESANG einen machtvollen Ausdruck<br />
gef<strong>und</strong>en. Celano erzählt: „In jedem Kunstwerk<br />
lobte er den Künstler; was er in <strong>der</strong> geschaffenen<br />
Welt fand, führte er zurück auf den Schöpfer. Er<br />
frohlockte in allen Werken <strong>der</strong> Hände <strong>des</strong> Herrn,<br />
<strong>und</strong> durch das, was sich seinem Auge an Lieblichem<br />
bot, schaute er hindurch auf den lebensspendenden<br />
Urgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Dinge. Er erkannte im Schönen den<br />
Schönsten selbst; alles Gute rief ihm zu: Der uns<br />
erschaffen hat, ist <strong>der</strong> Beste!“ (2 Cel 165). Bonaventura<br />
fügt hinzu: „Er benützte alle Dinge als Leiter,<br />
auf <strong>der</strong> er emporsteigen <strong>und</strong> den umfassen konnte,<br />
<strong>der</strong> ganz liebenswert ist“ (LegMai IX,1).<br />
Franziskus befahl seinen Brü<strong>der</strong>n, einen Baum<br />
nicht völlig abzuhauen; er wies die Gärtner an,<br />
einen Rasenstreifen um den Garten zu lassen; er ließ<br />
im Winter den Bienen Honig <strong>und</strong> Wein hinstellen<br />
<strong>und</strong> er nannte die Tiere Brü<strong>der</strong>. „Jene Urgüte, die<br />
einst alles in allem sein wird, verklärte ja in diesem<br />
Heiligen schon hienieden alles in allem“ (2 Cel 165;<br />
in kursiv Zitate aus 1 Kor 12,6). Ein Vogel blieb in<br />
den Händen <strong>des</strong> Franziskus sitzen (2 Cel 167), ein<br />
Falke kündigte ihm die Gebetszeiten an (2 Cel<br />
168), ein Fasan ließ sich bei Franziskus nie<strong>der</strong> (2<br />
Cel 170) <strong>und</strong> die Grille sang Loblie<strong>der</strong> auf ihren<br />
Schöpfer (2 Cel 171). Er wünschte, dass man an<br />
Weihnachten Ochs <strong>und</strong> Esel mehr Korn <strong>und</strong> Heu<br />
gebe als sonst, dass man Weizen <strong>und</strong> Korn auf die<br />
Wege streue, um den Vögeln, vor allem den Lerchen<br />
Nahrung zu geben (2 Cel 200). Die Gefährten<br />
<strong>des</strong> Franziskus sahen, „wie er großen Gr<strong>und</strong> zu<br />
innerer <strong>und</strong> äußerer Freude in allen Geschöpfen<br />
fand; er liebkoste <strong>und</strong> betrachtete sie mit Wonne, so<br />
sehr, dass sein Geist im Himmel <strong>und</strong> nicht auf<br />
Erden zu leben schien“ (LegPer 51).<br />
Ökologische <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Reflexion über Ökologie hat eine neue Phase<br />
erreicht <strong>und</strong> endgültig das Stadium von einfachem<br />
Bewahren <strong>und</strong> Schutz <strong>der</strong> Natur hinter sich gelassen.<br />
Jetzt wird die Umwelt in ihren vielfältigen<br />
Beziehungen betrachtet, was sowohl die natürliche<br />
Umwelt wie auch die menschliche Kultur <strong>und</strong><br />
Gesellschaft umfasst. In ihrer umfassenden Betrachtungsweise<br />
hebt die soziale Ökologie die möglichen<br />
Interaktionen zwischen allen Wesen hervor, seien sie<br />
lebend o<strong>der</strong> nichtlebend, natürlich o<strong>der</strong> kulturell.<br />
Sie gibt uns die notwendigen Gr<strong>und</strong>lagen, um ein<br />
dynamisches Gleichgewicht im gesamten Ökosystem<br />
wie<strong>der</strong> herzustellen. Innerhalb dieser Suche<br />
nach einem Gleichgewicht im gesamten Ökosystem<br />
muss die Frage <strong>der</strong> ökologischen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
angesiedelt werden. Ferner muss die Frage gestellt<br />
werden, ob die Achtung <strong>der</strong> Menschenrechte auch<br />
die Rechte <strong>der</strong> Erde miteinschließt <strong>und</strong> umgekehrt?<br />
Mit an<strong>der</strong>en Worten, wie sind soziale <strong>und</strong> ökologische<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en? Und<br />
wie schließt in unserer franziskanischen Perspektive<br />
unser Engagement für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
auch die Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung mit ein?<br />
83
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
A. Einige Prinzipien franziskanischer<br />
„Öko-<strong>Gerechtigkeit</strong>“<br />
Die franziskanische Sicht <strong>des</strong> Lebens ist gleichzeitig<br />
theozentrisch <strong>und</strong> global. Je<strong>des</strong> lebende <strong>und</strong> nicht<br />
lebende Wesen ist Teil von Subjektivität (<strong>und</strong> ist<br />
nicht einfach ein Objekt) <strong>und</strong> besitzt einen inneren<br />
Wert, eine Sendung. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist es ein<br />
Beziehungswesen: es ist in ständiger Beziehung mit<br />
seinem Schöpfer <strong>und</strong> mit den an<strong>der</strong>en Wesen.<br />
Das Sakrament <strong>der</strong> Welt<br />
Eines <strong>der</strong> bedeutendsten Kennzeichen <strong>der</strong> Spiritualität<br />
<strong>des</strong> hl. Franziskus liegt in seinem feinen Gespür<br />
für die Gegenwart Gottes in <strong>der</strong> Schöpfung <strong>und</strong> in<br />
<strong>der</strong> menschlichen Geschichte. Je<strong>des</strong> Wesen, jede<br />
Sache ist ein Geschenk Gottes. Franziskus ermahnte<br />
seine Brü<strong>der</strong>, nichts sich selber zuzuschreiben,<br />
nichts für sich zu behalten, <strong>und</strong> zu je<strong>der</strong> Zeit <strong>und</strong><br />
an jedem Ort Gott die Ehre zu geben für die<br />
„W<strong>und</strong>er, die Gott tut“, in uns <strong>und</strong> im Universum.<br />
„Und alles Gute wollen wir dem Herrn, dem erhabensten<br />
<strong>und</strong> höchsten Gott, zurückerstatten <strong>und</strong><br />
alles Gute als sein Eigentum anerkennen <strong>und</strong> ihm<br />
für alles Dank sagen, von dem alles Gute herkommt“<br />
(NbReg 17,17).<br />
Je<strong>des</strong> Ding spricht zu uns von Gott <strong>und</strong> verweist<br />
uns an Gott zurück. Das Universum in seiner Einheit<br />
wie in seiner Verschiedenheit ist ein Sakrament<br />
Gottes, eine „Leiter“, die uns zum Schöpfer führt<br />
(vgl. 2 Cel 165; LegMai IX,1). „Hinsichtlich <strong>des</strong><br />
ersten ist die ganze Welt ein Schatten, ein Weg <strong>und</strong><br />
eine Spur, ist sie ein Buch, das draußen geschrieben<br />
ist“, schreibt Bonaventura (HEXAEM. 12, Nr. 14).<br />
Für Franziskus wie für Bonaventura ist Gott überall<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig ist er nirgendwo. Gott steht am<br />
Ende <strong>des</strong> Weges <strong>der</strong> Gleichförmigkeit mit Christus<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> ekstatischen Schau. Aber er ist auch hier<br />
auf dem Weg, dem nahe, <strong>der</strong> ihn sucht, auch in <strong>der</strong><br />
Tiefe eines jeden Geschöpfes <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s in<br />
unserer eigenen Tiefe. In jedem Ding <strong>und</strong> in jedem<br />
Ereignis ist Gott gegenwärtig. „Gott aber ist einem<br />
jeden geschaffenen Ding zuinnerst vertraut“<br />
(Bonaventura, DE SCIENTIA CHRISTI, q. 2, ad. 11).<br />
Die Erde ist heilig.<br />
Jene außerordentliche Liebe, die Franziskus Wesen<br />
<strong>und</strong> Dingen entgegenbrachte, kommt von daher. Er<br />
84<br />
trat in eine geschwisterliche <strong>und</strong> ehrfurchtsvolle<br />
Gemeinschaft mit allem, was lebt, <strong>und</strong> allem, was<br />
ist. Für diese in höchstem Maße christliche Seele<br />
war die Liebe zu den Werken Gottes <strong>und</strong> die Liebe<br />
zu Gott das Gleiche.<br />
Von daher kommt, oft in Lob- <strong>und</strong> Danklie<strong>der</strong>n<br />
ausgedrückt, jene Verw<strong>und</strong>erung vor <strong>der</strong> Verschiedenheit<br />
<strong>und</strong> dem Geschenk <strong>der</strong> Schöpfung, die<br />
ihren Ursprung in <strong>der</strong> Überfülle <strong>der</strong> dreifaltigen<br />
Liebe findet. Thomas von Celano schrieb: „Jene<br />
Urgüte, die einst alles in allem sein wird, verklärte ja<br />
in diesem Heiligen schon hienieden alles in allem“<br />
(2 Cel 165). Diese ästhetische <strong>und</strong> religiöse Sicht<br />
steht im Gegensatz zu rein wissenschaftlichen <strong>und</strong><br />
materialistischen Vorstellungen <strong>der</strong> Welt, in all<br />
ihren verschiedenen Formen.<br />
Das Universum ist ein Ganzes<br />
Franziskus hat eine umfassende Sicht <strong>des</strong> Lebens.<br />
Das Universum, das in Harmonie <strong>und</strong> für Harmonie<br />
geschaffen wurde, ist wie eine große Familie,<br />
<strong>der</strong>en Elemente in ihrer Verschiedenheit voneinan<strong>der</strong><br />
abhängen <strong>und</strong> eine einzigartige universale<br />
Bru<strong>der</strong>schaft bilden. Diese Vorstellung <strong>der</strong> Einheit<br />
<strong>der</strong> Welt ist tief verwurzelt in <strong>der</strong> biblischen Sicht<br />
<strong>der</strong> Schöpfung.<br />
Auf <strong>der</strong> einen Seite umfasst die Heilsgeschichte<br />
die menschliche Geschichte, aber auch den gesamten<br />
Kosmos in seiner Offenheit für die göttlichen<br />
Verheißungen: „Denn wir wissen, dass die gesamte<br />
Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt <strong>und</strong> in<br />
Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22). Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite ist <strong>der</strong> Mensch selbst aus Erde geschaffen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Name „Adam“ (ADAMAH) erinnert sie an<br />
ihre irdische Herkunft. Und durch „unsern Bru<strong>der</strong>,<br />
den leiblichen Tod, dem kein Mensch lebend<br />
entrinnen kann“ werden sie eines Tages zur Mutter<br />
Erde zurückkehren, die sie ans Licht kommen<br />
sah, gemäß dem ewigen Gesetz <strong>des</strong> Lebens aller<br />
Geschöpfe. Die Menschheit hat im Leben wie im<br />
Tod mit <strong>der</strong> Natur Gemeinschaft (vgl. Gen 1-3;<br />
SONNENGESANG).<br />
Diese Konzeption wi<strong>der</strong>setzt sich den verschiedenen<br />
metaphysischen Philosophien <strong>und</strong> religiösen F<strong>und</strong>amentalismen,<br />
die zum Nachteil <strong>des</strong> Natürlichen<br />
zuviel Nachdruck auf das Übernatürliche legen.
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
Konsequenterweise sollte die Menschheit Ethik <strong>und</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> auf die Natur ausdehnen, auf alle<br />
Völker, die auf <strong>der</strong> Erde leben, denn in <strong>der</strong> Zerstörung<br />
<strong>der</strong> Umwelt zerstören sie ihre eigene<br />
Lebensgr<strong>und</strong>lage. Die Güter <strong>der</strong> Schöpfung dürfen<br />
nicht allein auf die ökonomischen Interessen <strong>der</strong><br />
Menschheit reduziert werden; sie sind für die universale<br />
Harmonie aller Wesen bestimmt. „Gott sah<br />
alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“<br />
(Gen 1,31). Das Adjektiv „gut“ muss hier in seinem<br />
umfassenden Sinn verstanden werden, alles umfassend,<br />
d.h. ontologisch, moralisch, vital, ästhetisch<br />
<strong>und</strong> nicht einfach in dem ausschließlichen Sinn<br />
eines ökonomischen Gutes.<br />
Ehrfurcht vor <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit<br />
Für Franziskus hatte je<strong>des</strong> Ding <strong>und</strong> je<strong>des</strong> menschliche<br />
Wesen einen Wert in sich, eine „Individualität“,<br />
die es zu achten <strong>und</strong> zu lieben gilt. Steine,<br />
Pflanzen, Vögel <strong>des</strong> Himmels, Würmer <strong>der</strong> Erde,<br />
Aussätzige <strong>und</strong> Bettler am Wege … alle Geschöpfe<br />
Gottes hatten ein Recht auf Existenz <strong>und</strong> keines<br />
von ihnen gehörte vollständig uns: sie waren „verschieden“,<br />
„an<strong>der</strong>s“, gegenüber <strong>und</strong> in Konsequenz<br />
dazu nicht Objekte unserer Beherrschung. Bonaventura<br />
<strong>und</strong> Duns Scotus werden dieses Konzept<br />
<strong>der</strong> Einzigartigkeit jeden Dinges in ihrer Lehre<br />
<strong>der</strong> Individuation entwickeln. Dem Beispiel ihres<br />
Ordensvaters folgend werden sie je<strong>des</strong> Ding auf dieser<br />
Welt in seiner reichen <strong>und</strong> inneren Subjektivität,<br />
in seiner HAECCEITAS betrachten, d.h. in dem, was<br />
das Wesen zu dem macht, was es ist, <strong>und</strong> zu nichts<br />
an<strong>der</strong>em. Der letzte Gr<strong>und</strong> für diese Einzigartigkeit,<br />
die jedem Ding eingeschrieben ist, liegt „im Willen<br />
Gottes“, sagte Duns Scotus. Die An<strong>der</strong>sartigkeit <strong>der</strong><br />
Geschöpfe verweist uns zurück auf den unendlich<br />
An<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> Gott ist.<br />
Eine franziskanische, ökologische Spiritualität stellt<br />
uns vor die Herausfor<strong>der</strong>ung, uns selbst zu überschreiten,<br />
um in die universale Gemeinschaft allen<br />
Seins einzutreten. In seinen komplexen Beziehungen<br />
mit dem Universum weitet unser Leben unseren<br />
Sinn <strong>der</strong> Verantwortlichkeit gegenüber uns<br />
selbst <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en. Dies erfor<strong>der</strong>t eine einbeziehende<br />
Haltung gegenüber allem, dem wir auf<br />
unserem Weg begegnen, die natürliche Welt eingeschlossen<br />
<strong>und</strong> zur gleichen Zeit den betrachtenden<br />
Blick <strong>des</strong> Staunens, wenn wir <strong>der</strong> Verschiedenheit<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> geheimnisvollen Einzigartigkeit eines jeden<br />
von ihnen betrachtend gegenüberstehen. Ein Einbeziehen<br />
ohne jede Aneignung, eine Solidarität,<br />
die eine tiefe Achtung vor <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit einschließt.<br />
Franziskanische Spiritualität stellt eine umfassende<br />
Sicht von Leben, die Würde <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> den<br />
inneren Wert je<strong>des</strong> Wesens im Universum in die<br />
Mitte <strong>und</strong> lehnt es ab, die natürliche Welt <strong>und</strong> den<br />
Menschen nur als Kapital zu betrachten, das auszubeuten<br />
ist. Wir müssen uns distanzieren sowohl<br />
von einem unverantwortlichen Sakramentalismus,<br />
<strong>der</strong>, nicht im konkreten Leben verankert, je<strong>der</strong><br />
sozialen Wirkung beraubt ist, als auch von <strong>der</strong> Idee<br />
<strong>des</strong> grenzenlosen Fortschritts, den die Erde <strong>und</strong> ihre<br />
Lebenssysteme nicht verkraften können.<br />
B. Ökologische <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
auf praktischer Ebene<br />
Drei praktische Optionen entsprechen ungefähr<br />
den drei Prinzipien:<br />
Option für das Leben <strong>und</strong><br />
die gegenseitige Abhängigkeit <strong>des</strong> Lebens<br />
a) „Herr, sei gepriesen, weil du mich erschaffen<br />
hast“ (Thomas von Celano, LEBEN DER HEILIGEN<br />
KLARA, 46). Vor ihrem Tod dankte Klara ihrem<br />
Gott für das Geschenk <strong>des</strong> Lebens. Der SONNEN-<br />
GESANG <strong>des</strong> Franziskus war ebenfalls ein Konzert<br />
<strong>des</strong> Lobes <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dankes <strong>des</strong> gesamten Universums<br />
für die Berufung zum Leben: „Gepriesen seist<br />
du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen.“<br />
Je<strong>des</strong> Sein hat ein Recht auf Leben. Eine wilde<br />
Turteltaube, eine kleine unbedeutende Blume, eine<br />
arme leidende Frau, ein alter blin<strong>der</strong> Mann, usw.,<br />
alles ist ins Sein gerufen worden, um an dem gleichen<br />
Abenteuer <strong>der</strong> Liebe teilzunehmen. Franziskus<br />
hatte eine Vorliebe für die kleinsten <strong>und</strong> demütigsten<br />
unter den Geschöpfen. „Vom Wege las er die<br />
Würmchen auf, dass sie nicht mit den Füßen zertreten<br />
würden“ (2 Cel 165). Auf den von <strong>der</strong> Menschheit<br />
geschaffenen Pfaden gibt es keinen Mangel<br />
an Passanten, die Leben zerstören.<br />
Die Erde, wie die Menschen <strong>und</strong> die Tiere, die<br />
auf ihr leben, haben ein Recht auf Regeneration.<br />
85
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
Es ist Gegenstand <strong>des</strong> Sabbatgesetzes, dass eine Zeit<br />
<strong>der</strong> Ruhe für die Erneuerung <strong>des</strong> Lebens notwendig<br />
ist (vgl. Lev 25,1-7; 19,9-10). Gottes Schöpfung<br />
endete nicht am sechsten Tag mit <strong>der</strong> Erschaffung<br />
<strong>der</strong> Menschheit. Menschheit ist nicht das Ende <strong>der</strong><br />
Schöpfung; diese wird vielmehr durch den siebten<br />
Tag, den Sabbat, gekrönt, an dem Gott ruht <strong>und</strong><br />
betrachtet (vgl. Gen 1-2). Er ist <strong>der</strong> Schöpfer, d.h.<br />
Anfang <strong>und</strong> Ende aller Dinge. Je<strong>der</strong> Franziskaner ist<br />
ein Prophet <strong>des</strong> Lebens. Im Namen <strong>des</strong> lebendigen<br />
Gottes prangern sie die Kultur <strong>des</strong> To<strong>des</strong> an,<br />
suchen, die Qualität <strong>des</strong> Lebens, allen Lebens zu<br />
schützen, <strong>und</strong> werden in <strong>der</strong> Wüste <strong>der</strong> Welt überall<br />
<strong>und</strong> immer Zeichen <strong>der</strong> Erneuerung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Hoffnung.<br />
b) Sie sind gleicherweise aufmerksam auf die<br />
gegenseitige Abhängigkeit <strong>der</strong> Lebewesen. Kein<br />
Wesen lebt nur aus sich <strong>und</strong> für sich. Das Überleben<br />
<strong>der</strong> Menschen, <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Armen,<br />
hängt auch vom Überleben <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> von <strong>der</strong><br />
Qualität <strong>des</strong> Lebens <strong>des</strong> gesamten Universums ab,<br />
<strong>und</strong> umgekehrt. Franziskus war sich <strong>der</strong> Geschenke<br />
<strong>der</strong> Erde, durch welche die Menschen ernährt<br />
werden, bewusst. „Gepriesen seist du, mein Herr,<br />
durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns<br />
ernährt <strong>und</strong> lenkt, <strong>und</strong> mannigfaltige Frucht<br />
hervorbringt <strong>und</strong> bunte Blumen <strong>und</strong> Kräuter“<br />
(SONNENGESANG). Für ihren Teil sollten die Menschen<br />
sich um die Erde sorgen <strong>und</strong> die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Früchte, Blumen <strong>und</strong> Kräuter bewahren. Die<br />
Monokultur für die Bedürfnisse <strong>der</strong> industrialisierten<br />
Welt wie die grenzenlose Ausbeutung <strong>der</strong> Erde<br />
bringen <strong>der</strong> Erde selbst den Tod <strong>und</strong> auch den<br />
Armen, die sich systematisch ihrer Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />
beraubt sehen. Tausende von „Landlosen“,<br />
die an Hunger sterben, <strong>und</strong> Tausende von Hektar<br />
Wald, die in Brasilien <strong>und</strong> an<strong>der</strong>swo auf unserem<br />
Planeten zerstört werden, sind die verhängnisvollen<br />
Konsequenzen dieser einseitigen ökonomischen<br />
Politik.<br />
Option für ein Leben sine proprio (NbReg 1,1)<br />
In seiner prägnanten Weise ermahnte Franziskus<br />
seine Brü<strong>der</strong>, ein einfaches, armes Leben im Geist<br />
<strong>der</strong> Selbsthingabe zu führen: „Behaltet darum<br />
nichts von euch für euch zurück“ (BrOrd 29)<br />
<strong>und</strong> im alltäglichen Leben auf alles Überflüssige<br />
zu verzichten <strong>und</strong> mit dem bloßen Notwendigen<br />
86<br />
glücklich zu sein: „Und wenn irgendeinmal Not<br />
über sie kommt, soll es allen Brü<strong>der</strong>n, wo auch<br />
immer sie sein mögen, erlaubt sein, sich aller Speisen<br />
zu bedienen, die Menschen essen können …<br />
Ebenso dürfen auch alle Brü<strong>der</strong> mit dem für sie<br />
Notwendigen in Zeit offenk<strong>und</strong>iger Not verfahren,<br />
gleichwie ihnen <strong>der</strong> Herr die Gnade schenkt“<br />
(NbReg 9,13.16; vgl. NbReg 15).<br />
Diese franziskanische Armut ist nicht nur individuell,<br />
son<strong>der</strong>n sie ist auch sozial <strong>und</strong> birgt in sich eine<br />
prophetische Dimension. Im Verzicht auf Eigentum<br />
<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> Option, arm unter<br />
den Armen zu leben, verwarf Franziskus das ökonomische<br />
<strong>und</strong> politische System seiner Zeit. Seine<br />
Option, in Armut zu leben, übersetzt die Option<br />
für die Armen auf eine praktische Ebene. Er steht<br />
im Gegensatz sowohl zur feudalen Mentalität,<br />
die auf Landbesitz <strong>und</strong> Ausbeutung <strong>der</strong> Bauern<br />
beruht, als auch zur Konsumgesellschaft, die durch<br />
die neue soziale Klasse, die bürgerliche, eingeführt<br />
wird.<br />
Als er eines Tages von Siena zurückkehrte, traf Franziskus<br />
einen armen Mann. Wegen seiner Krankheit<br />
trug er selbst über dem Habit noch einen kleinen<br />
Mantel. Er sah das Elend <strong>des</strong> armen Mannes <strong>und</strong><br />
konnte sich nicht zurückhalten. Er sagte zu seinem<br />
Gefährten: „Wir müssen den Mantel diesem Armen<br />
zurückgeben, denn er gehört ihm“ (LegMai VIII,5).<br />
Die Option für ein Leben sine proprio muss mit<br />
<strong>der</strong> Liebe verb<strong>und</strong>en sein, denn ohne sie hat Armut<br />
keinen Sinn. Für Franziskus ist Aneignung ein<br />
wirkliches Hin<strong>der</strong>nis für brü<strong>der</strong>liche Liebe. Sie<br />
weckt in uns den Willen, über an<strong>der</strong>e zu herrschen.<br />
Die Geschichte <strong>des</strong> Novizen, dem es angetrieben<br />
von Besitzgier an Achtung vor an<strong>der</strong>en mangelte,<br />
ist ein Beispiel für diesen inneren Zusammenhang<br />
zwischen Armut <strong>und</strong> Bru<strong>der</strong>schaft (vgl. LegPer 70;<br />
72-73). Die Versuchung, die Erde zu beherrschen,<br />
bringt uns dazu, an<strong>der</strong>e zu beherrschen, beson<strong>der</strong>s<br />
die Armen <strong>und</strong> Hilflosen. Die Anhäufung <strong>des</strong><br />
Reichtums bei einigen wenigen bringt als Folge<br />
mit sich, dass an<strong>der</strong>e verarmen <strong>und</strong> sogar zerstört<br />
werden. Franziskus ermahnt seine Brü<strong>der</strong>, vor dieser<br />
Gefahr auf <strong>der</strong> Hut zu sein: „Hüten sollen sich die<br />
Brü<strong>der</strong>, wo auch immer sie in Einsiedeleien o<strong>der</strong><br />
an an<strong>der</strong>en Orten sind, dass sie sich einen<br />
Ort aneignen <strong>und</strong> einem an<strong>der</strong>en streitig machen“<br />
(NbReg 7,13).
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
Er hat das F<strong>und</strong>ament <strong>der</strong> Erde fest begründet.<br />
Marx stellte einen Verbindung her zwischen <strong>der</strong><br />
Ausbeutung <strong>der</strong> Arbeiter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausbeutung <strong>der</strong><br />
Erde in dem System <strong>der</strong> kapitalistischen Produktion,<br />
wenn er in DAS KAPITAL schrieb: „Und je<strong>der</strong><br />
Fortschritt <strong>der</strong> kapitalistischen Agrikultur ist nicht<br />
nur ein Fortschritt in <strong>der</strong> Kunst, den Arbeiter, son<strong>der</strong>n<br />
zugleich in <strong>der</strong> Kunst den Boden zu berauben,<br />
je<strong>der</strong> Fortschritt in <strong>der</strong> Steigerung seiner Fruchtbarkeit<br />
für eine gegebene Zeitfrist ist zugleich ein<br />
Fortschritt im Ruin <strong>der</strong> dauernden Quellen dieser<br />
Fruchtbarkeit. … Die kapitalistische Produktion<br />
entwickelt daher nur die Technik <strong>und</strong> Kombination<br />
<strong>des</strong> gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem<br />
sie zugleich die Springquellen allen Reichtums<br />
untergräbt: die Erde <strong>und</strong> den Arbeiter“ (K. Marx,<br />
Das Kapital, Bd. 1, Buch 1, Sektion 4, Kap. 13,<br />
§ 10, in: Marx/Engels, Werke, Bd. 23, Berlin 1962,<br />
529-530). Ökologische <strong>und</strong> soziale <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
sind untrennbar.<br />
Handwerker <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> sein<br />
Achtung vor dem Leben <strong>und</strong> <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit<br />
allen Seins bedeutet auch eine Verantwortlichkeit<br />
für Frieden. Nicht nur friedfertig zu sein, d.h. friedlich<br />
in seinem eigenen Haus zu leben, son<strong>der</strong>n auch<br />
den Frieden inmitten einer Gesellschaft zu bauen,<br />
die von Gewalt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit gekennzeichnet<br />
ist. Als Franziskus <strong>und</strong> Klara die Stadtmauern<br />
Assisis, ein Symbol für Macht <strong>und</strong> Ruhm, hinter<br />
sich ließen, wollten sie die Ketten zerbrechen, die<br />
die Herzen <strong>der</strong> Menschen innerhalb ihrer Gesellschaft<br />
in einem Teufelskreis von Selbstsucht <strong>und</strong><br />
Misstrauen festhielten. Sie kamen von ihren Höhen<br />
herunter, um mit den Niedrigsten <strong>und</strong> Geringsten<br />
zu sein, den Aussätzigen <strong>und</strong> den Bettlern am Wege.<br />
Sie wollten mit <strong>der</strong> Welt Frieden schließen <strong>und</strong> mit<br />
dem gesamten Universum. Das Kloster <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
ist die ganze Welt, in <strong>der</strong> je<strong>des</strong> Geschöpf Gottes seine<br />
Wohnstätte hat (vgl. SC 63); es gibt keine hohen<br />
Mauern, denn die Brü<strong>der</strong> haben nichts zu verteidigen,<br />
außer die Würde <strong>und</strong> die Bru<strong>der</strong>schaft allen<br />
Seins. „Und mag zu ihnen kommen, wer da will,<br />
Fre<strong>und</strong> o<strong>der</strong> Feind, Dieb o<strong>der</strong> Räuber, so soll er<br />
gütig aufgenommen werden“ (NbReg 7,14).<br />
Franziskus vergaß nicht, dass <strong>der</strong> Friede unter<br />
den Menschen nur ein Aspekt <strong>der</strong> universalen<br />
Versöhnung zwischen Menschen <strong>und</strong> Erde ist <strong>und</strong><br />
zwischen diesen <strong>und</strong> ihrem Schöpfer. Er fügte<br />
seinem SONNENGESANG eine Strophe über Vergebung<br />
zwischen den Menschen an: „Gepriesen seist<br />
du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner<br />
Liebe willen.“ Liebe ist noch möglich trotz aller<br />
To<strong>des</strong>schatten, die uns bedrücken. Wenn alle<br />
Vernunftgründe nicht ausreichen, um Frieden zu<br />
bringen, dann gibt es keine an<strong>der</strong>en Pfade mehr,<br />
denen man folgen könnte, außer dem <strong>der</strong> Vergebung.<br />
Es ist die Vergebung, die <strong>der</strong> Liebe ihre Klarheit<br />
zurückgibt <strong>und</strong> die Würde <strong>der</strong> Person wie<strong>der</strong>bringt.<br />
Im Bewusstsein, dass Waffen den Frieden<br />
nicht wie<strong>der</strong> herstellen können <strong>und</strong> dass sie nicht<br />
nur den Tod <strong>der</strong> Menschen, son<strong>der</strong>n auch die<br />
radikale Zerstörung <strong>der</strong> Umwelt verursachen,<br />
ziehen die Brü<strong>der</strong> durch die Welt, prangern jeden<br />
Angriff auf die Unversehrtheit <strong>der</strong> Schöpfung an,<br />
bezeugen durch Gewaltlosigkeit das Erbarmen<br />
Gottes <strong>und</strong> wirken mit an <strong>der</strong> universalen Versöhnung.<br />
Ambrose Van Si <strong>OFM</strong><br />
87
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />
Der Schutz <strong>der</strong> Unversehrtheit <strong>der</strong> Schöpfung<br />
gehörte immer in die Mitte franziskanischer Spiritualität.<br />
Doch haben in den letzten Jahren die<br />
Themen <strong>der</strong> Umweltgerechtigkeit die romantische<br />
Vorstellung, für Pflanzen <strong>und</strong> Tiere zu sorgen,<br />
hinter sich gelassen <strong>und</strong> haben sich zu einem drängenden<br />
Anliegen für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> weiterentwickelt.<br />
Beson<strong>der</strong>s in Lateinamerika wird das<br />
Recht, sich nie<strong>der</strong>zulassen <strong>und</strong> sich um das Land<br />
zu sorgen, zunehmend als ein erster gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />
Schritt angesehen, den Armen Gewicht zu geben<br />
<strong>und</strong> die unterdrückenden Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
zu überwinden. Über den Kontinent verteilt<br />
leben Brü<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Armen, entwickeln<br />
kreative Wege, die Umwelt zu schützen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n<br />
die Selbstversorgung <strong>der</strong> indigenen Gemeinschaften.<br />
Lei<strong>der</strong> finden sich noch zu selten Brü<strong>der</strong>, die sich<br />
vollständig dieser Art von Arbeit widmen können.<br />
Eine Ausnahme stellt JIM LOCKMANN (USA) dar,<br />
<strong>der</strong> in Ökologie promoviert ist <strong>und</strong> daran arbeitet,<br />
Methoden nachhaltiger Entwicklung in <strong>der</strong> Nähe<br />
<strong>der</strong> Stadt Belem im Amazonasbecken zu för<strong>der</strong>n.<br />
Seine Spezialität ist die Biologie <strong>der</strong> lokalen Baumarten,<br />
<strong>und</strong> er versucht, mehr über die Bäume<br />
zu erfahren, die am besten zu einem nachhaltigen<br />
Schutz <strong>der</strong> Umwelt beitragen. Die Gegend im<br />
Nordosten Brasiliens ist extrem arm, bewohnt<br />
von verschleppten Familien, die durch die Militärs<br />
zwangsweise in diese Gegend gebracht worden<br />
waren. Daher wissen sie nichts über ihre neue<br />
Heimat <strong>und</strong> erhalten we<strong>der</strong> finanziellen Hilfe noch<br />
erzieherische Unterstützung von <strong>der</strong> Regierung,<br />
für ihre neue Umwelt Sorge zu tragen. Normalerweise<br />
dauert es nur etwa fünf Jahre, bis eine kleine<br />
Gemeinschaft alle Bäume gefällt <strong>und</strong> das Stück<br />
Land völlig ausgebeutet hat, sodass sie gezwungen<br />
sind, an einen an<strong>der</strong>en Ort weiterzuziehen. Lockmann<br />
lebt mit einer Gemeinschaft von Arbeitern<br />
<strong>und</strong> hilft ihnen, eine längere Sicht ihrer Umwelt<br />
zu entwickeln. „Leben ist für diese Menschen sehr<br />
schwer“, sagt er, „<strong>und</strong> es verlangt Zeit, ihr Vertrauen<br />
zu gewinnen. Doch nach einer Weile kommen sie<br />
zur Einsicht, dass sie für ihre Kin<strong>der</strong> eine bessere<br />
Zukunft bauen können.“<br />
88<br />
Lockmann führt eine Tradition fort, die von JOSI<br />
MARIANO DA CONCEIÇAO VELOSO, einem Bru<strong>der</strong><br />
<strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, begonnen wurde, <strong>der</strong> heutzutage<br />
weithin als „Vater <strong>der</strong> brasilianischen Botanik“<br />
verehrt wird. Er war 1741 in Vila Sao José (Brasilien)<br />
als Sohn portugiesischer <strong>und</strong> brasilianischer<br />
Eltern geboren worden <strong>und</strong> am 11. April 1761 in<br />
den Orden eingetreten. Er arbeitete eng mit den<br />
Mitglie<strong>der</strong>n lokaler, indigener Stämme zusammen<br />
<strong>und</strong> verbrachte fast ein gesamtes Jahrzehnt damit,<br />
mehr als 2000 Pflanzenarten zu untersuchen <strong>und</strong><br />
zu katalogisieren. Seine Forschung dehnte sich auch<br />
auf Landwirtschaft <strong>und</strong> ländliche Ökonomie,<br />
Erhaltung <strong>des</strong> Wal<strong>des</strong>, Zoologie, Mineralogie <strong>und</strong><br />
lokale Dialekte aus; sein Erbe dient zahllosen<br />
brasilianischen Brü<strong>der</strong>n als Inspiration, die seitdem<br />
für Umweltgerechtigkeit in dieser Region gearbeitet<br />
haben.<br />
Heute entwickelt RODRIGO DE CASTRO AMÉDÉE<br />
PÉRET einen neuen <strong>und</strong> kreativen Weg, diese Arbeit<br />
fortzuführen, in dem er arme Bauern befähigt, ihre<br />
Rechte zu verteidigen <strong>und</strong> die lokalen Arten an<br />
Pflanzen <strong>und</strong> Feldfrüchten zu schützen. Eine beson<strong>der</strong>e<br />
Initiative, die er im Staat Minas Gerais, Brasilien,<br />
angeregt hat, ist die Errichtung von Samenbanken.<br />
Freiwillige sammeln, kultivieren <strong>und</strong> verteilen<br />
Saaten von vielen verschiedenen lokalen Bäumen<br />
<strong>und</strong> Pflanzen <strong>und</strong> verringern auf diese Weise<br />
die Abhängigkeit <strong>der</strong> Bauern von fremden Mischsamen.<br />
Sie versuchen den Trend umzukehren, große<br />
Landflächen in Monokulturen für die Produktion<br />
von Kaffee, Weizen, Sojabohnen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e für<br />
den Verkauf bestimmte Feldfrüchte zu verwandeln.<br />
Durch seine Arbeit in <strong>der</strong> Agro-ökologischen<br />
Pflanzschule <strong>des</strong> Hl. Franziskus von Assisi befähigen<br />
Rodrigo <strong>und</strong> seine Mitarbeiter Kleinbauern, ihre<br />
Familien zu versorgen <strong>und</strong> gleichzeitig eine nachhaltige<br />
Stabilität <strong>der</strong> Umwelt zu bewahren. Hohe<br />
Priorität in <strong>der</strong> Pflanzschule genießt die Forschung<br />
zur Bewirtschaftung von Boden <strong>und</strong> Wasserreserven<br />
<strong>und</strong> die Umkehr <strong>der</strong> Bodenerosion. Freiwillige<br />
katalogisieren auch sorgfältig die pharmazeutischen<br />
Eigenschaften <strong>der</strong> lokalen Bäume, Früchte <strong>und</strong><br />
Naturkräuter, damit sie einmal wirksam zur<br />
Behandlung vieler Arten von Krankheiten verwendet<br />
werden können, <strong>und</strong> stellen auf diese Weise<br />
sicher, sie in das regionale Ökosystem wie<strong>der</strong> einzuführen.
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
Auf ähnliche Weise widmete in El Salvador<br />
GEARÓID FRANCISCO Ó CONAIRE viel Zeit <strong>und</strong><br />
Energie, die einheimischen Menschen zu ermutigen,<br />
alte bio-energetische Techniken <strong>und</strong> Heilkräuter<br />
bei Krankheiten <strong>und</strong> Leiden anzuwenden. Warum?<br />
Weil sie zu unterrichten, die natürlichen Mittel,<br />
die ihnen zur Verfügung stehen, besser zu verwenden,<br />
bedeutet, sie zu befähigen, mehr über die<br />
sie befallenden Krankheiten zu verstehen <strong>und</strong> so<br />
ihre Abhängigkeit von Ärzten <strong>und</strong> großen pharmazeutischen<br />
Unternehmen zu verringern. Es bedeutet<br />
auch, einen Teil <strong>der</strong> lokalen Kultur zu schützen, die<br />
Menschen mit preisgünstigen <strong>und</strong> leicht erhältlichen<br />
Arzneien zu versorgen, die sie zu Hause produzieren<br />
<strong>und</strong> anwenden können. Doch Franciscos<br />
Einsatz für Umweltgerechtigkeit endet nicht damit.<br />
Er hat seine Kampagne für Versorgung mit sauberem<br />
Wasser für seine Pfarrei San Bartolo direkt<br />
neben <strong>der</strong> Nationalversammlung El Salvadors<br />
gestartet. Ein Unterstützungskomitee von Brü<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> Gemeindeleitern reichte bei den Abgeordneten<br />
Bittschriften ein <strong>und</strong> kämpfte in lokalen Radiostationen<br />
solange, bis etwas unternommen wurde, um<br />
die Wasserversorgung in <strong>der</strong> Barackensiedlung an<br />
<strong>der</strong> Peripherie von San Salvador zu verbessern. Francisco<br />
schloss sich auch den United Ecological<br />
Groups von El Salvador (UNES) an, um die Zerstörung<br />
<strong>des</strong> Naturwal<strong>des</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> Naturschutzgebietes<br />
El Espino zu stoppen, <strong>der</strong> „letzten Lunge von<br />
El Salvador“, wie sie auch genannt wird. Der Schutz<br />
von El Espino ist eine Gelegenheit, nicht nur mehr<br />
als eine Million Bäume zu retten, son<strong>der</strong>n auch eine<br />
klare Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte zu unterbinden.<br />
Denn 500 Familien sind von Zwangsräumung<br />
bedroht, wenn das Urbanisierungsprojekt vorangetrieben<br />
wird. Die Brü<strong>der</strong> sind häufig kritisiert<br />
worden, sich in das politische Leben einzumischen.<br />
Sie haben To<strong>des</strong>drohungen erhalten von früheren<br />
militärischen To<strong>des</strong>schwadronen, die sich jetzt<br />
unter dem Befehl <strong>der</strong> reichen Landbesitzer <strong>der</strong><br />
Region in Wachgruppen neu organisiert haben.<br />
Einige <strong>der</strong> zentralamerikanischen Brü<strong>der</strong> sind<br />
entschlossen, ihre Lobby- <strong>und</strong> Anwaltstätigkeit<br />
fortzusetzen. Sie meinen, dass die Umweltgerechtigkeit<br />
ein Schlüssel für die Ermächtigung armer<br />
Menschen überall auf <strong>der</strong> Welt ist.<br />
Als ein Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koalition SAVE M.E.<br />
(Samar Alliance of Vigilant Endeavors for Mother<br />
Earth) hat JOSI CALVIN BUGHO sein Leben aufs<br />
Spiel gesetzt, als er sich den Brü<strong>der</strong>n PASTOR ALTA<br />
<strong>und</strong> ALBERTO BALDO <strong>und</strong> den Pfarrmitglie<strong>der</strong>n von<br />
Tinambacan, Nord-Samar, Philippinen, anschloss.<br />
Ihr Kampf richtete sich darauf, den Abbruch einer<br />
mit Bäumen bedeckten Kalksteinformation zu verhin<strong>der</strong>n,<br />
um auf dem Gebiet <strong>der</strong> Pfarrgemeinschaft<br />
eine nachhaltige ökologische Vielfalt zu erhalten.<br />
Eine jüngste interfranziskanische Kampagne gegen<br />
den APEC-Gipfel 1996 auf den Philippinen betonte<br />
die beständige Notwendigkeit, die Verschlechterung<br />
<strong>der</strong> Umweltsituation aus einer mehr die soziale<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> einschließenden Perspektive zu sehen.<br />
In einer hoch industrialiserten Region Polens hat<br />
die franziskanische Gemeinschaft das Musikfestival<br />
ECOSONG etabliert, das einer Gegend Hoffnung<br />
bringen möchte, die voll ist von Spuren einer 50<br />
Jahre dauernden, unfähigen staatlichen Herrschaft.<br />
In Makarska, Kroatien, hat JURE RADIC (1920-<br />
1990) von <strong>der</strong> Franziskanerprovinz von Split nach<br />
Jahren <strong>der</strong> wissenschaftlichen Erforschung <strong>der</strong> Flora<br />
<strong>und</strong> Fauna Südkroatiens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Adriatischen Meeres<br />
1963 ein Seemuseum gegründet. Er sammelte<br />
auch zahlreiche Meeresmuscheln aus <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt <strong>und</strong> begann ein beeindrucken<strong>des</strong> Herbarium<br />
<strong>und</strong> eine paläontologische Sammlung. Als Professor<br />
für Liturgie, als Wissenschaftler <strong>und</strong> Franziskanerbru<strong>der</strong><br />
glaubte er fest an die Notwendigkeit, Gottes<br />
Schöpfung zu bewahren. Um das Bewusstsein für<br />
diese Themen zu wecken, gründete er auch das<br />
sogenannte Berg- <strong>und</strong> Seeinstitut, das viele wissenschaftlichen<br />
Konferenzen organisiert <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en<br />
internationalen wissenschaftlichen Instituten<br />
zusammenarbeitet.<br />
An <strong>der</strong> Grenze zwischen Mexiko <strong>und</strong> den USA<br />
haben JOE BAUR, LUIS BALDONADO, LIZ CUMMINS<br />
gemeinsam mit an<strong>der</strong>en Laien ein Projekt erarbeitet,<br />
das als SWEEP o<strong>der</strong> Southwest Environmental<br />
Equity Projekt bekannt ist, um eine Gesetzgebung<br />
zu verhin<strong>der</strong>n, die Unternehmen erlaubt, giftige<br />
Abfälle abzulagern, ohne die Orte gründlich vorzubereiten.<br />
Viele dieser giftigen Müllablagerungen<br />
befinden sich neben afro-amerikanischen <strong>und</strong><br />
hispanischen Ansiedlungen entlang <strong>der</strong> Grenze<br />
zwischen Mexiko <strong>und</strong> den USA. Die Bewohner<br />
werden nicht auf die bestehenden Gefahren hingewiesen<br />
<strong>und</strong> es fehlt ihnen die politische Macht, die<br />
Auswahl <strong>der</strong> Orte zu beeinflussen. Die Verbreitung<br />
89
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
von Krebs <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Krankheiten ist in diesen<br />
Gegenden höher als im Bevölkerungsdurchschnitt.<br />
SWEEP bringt weiterhin Kirchenleute aus Phoenix<br />
dazu, Familien in Nogales, Arizona, zu besuchen,<br />
wo die Verbreitung von Krebs <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Krankheiten<br />
beständig dokumentiert worden ist. Die<br />
Einglie<strong>der</strong>ung von Themen sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
in die mehr traditionelle „grüne Bewegung“ ist<br />
ein bemerkenswertes Beispiel von SWEEP’s franziskanischem<br />
Kern.<br />
In Appalachien, Kentucky, USA, war MAYNARD<br />
TETREAULT ein führen<strong>der</strong> Anwalt für die lokale<br />
Bevölkerung in ihrem Kampf um Umweltgerechtigkeit.<br />
Von dem Rest <strong>der</strong> Vereinigten Staaten durch<br />
die Bergkette <strong>der</strong> Appalachen getrennt, war die<br />
Bevölkerung von Appalachien oft alleingelassen<br />
worden, sich gegen starke Bergbauinteressen zu<br />
wehren. Der Tagebau führte zu einer Verschlechterung<br />
eines Großteils <strong>des</strong> einst unverdorbenen Ökosystems<br />
von Appalachien. Die Abhängigkeit eines<br />
hohen Prozentsatzes <strong>der</strong> einheimischen Bevölkerung<br />
von <strong>der</strong> Kohleindustrie führte ebenso zu sozialen<br />
<strong>und</strong> ökonomischen Problemen. Maynard <strong>und</strong><br />
an<strong>der</strong>e arbeiten daran, die Gegend mit umweltverträglicher<br />
Industrie zu versorgen <strong>und</strong> die so zahlreichen<br />
natürlichen Resourcen <strong>der</strong> Gegend zu<br />
schützen.<br />
In einer verarmten hispanischen Gemeinde in<br />
Oakland, Kalifornien, USA, hat KEITH WARNER<br />
sich bemüht, das Bewusstsein für die wechselseitige<br />
Abhängigkeit zwischen Umweltverschmutzung <strong>und</strong><br />
Armut auf <strong>der</strong> Welt zu wecken. „Menschen werden<br />
sich nicht um die tropischen Regenwäl<strong>der</strong> in Brasilien<br />
o<strong>der</strong> Mikronesien sorgen“, sagt Keith, „solange<br />
sie kein Gespür für einen Zusammenhang mit ihrer<br />
lokalen Situation haben.“ Leute vom Land hatten<br />
ein größeres Verständnis für die Bewirtschaftung<br />
<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>. Mit <strong>der</strong> erschreckenden Umsiedlung<br />
von Menschen von ländliche in städtische Gebiete<br />
heute, haben die Menschen jene Beziehung zur<br />
Natur verloren. Keith glaubt, dass man den städtischen<br />
Menschen ein Gespür für die Gaben <strong>der</strong><br />
Natur vermitteln kann durch kleine Schritte, wie<br />
Gemeinschaftsgärten, Recycling, das Pflanzen von<br />
Bäumen. So kann eine mehr praktische <strong>und</strong> ganzheitliche<br />
Umweltethik erreicht werden. Kürzlich hat<br />
die Stadt Oakland eine Kampagne begonnen, um<br />
die Entsorgung verbrauchten Motorenöls in das<br />
90<br />
städtische Abwassersystem, eine sehr gebräuchliche<br />
Praxis in <strong>der</strong> Nachbarschaft <strong>des</strong> St. Elisabeth-<br />
Klosters, zu bekämpfen. In seinem Bemühen, das<br />
Motoröl-Recycling zu för<strong>der</strong>n, hat Keith eine<br />
Modellstraße hinter <strong>der</strong> Kirche St. Elisabeth aufgebaut,<br />
wo die Kin<strong>der</strong> <strong>des</strong> Ortes Zeugen werden,<br />
welchen Einfluss die Entsorgung <strong>des</strong> Motorenöls<br />
auf die gesamte Gegend <strong>der</strong> San Francisco Bucht<br />
hat. „In einem armen Stadtteil wie diesem, <strong>der</strong> sich<br />
zusammensetzt aus Menschen von El Salvador,<br />
Mexiko <strong>und</strong> vielen Fremden ohne Pass, hat die<br />
Stadtverwaltung einfach nicht den Respekt, die<br />
strukturellen Möglichkeiten <strong>und</strong> die sprachlichen<br />
Fähigkeiten, das Problem anzupacken“, sagt<br />
Keith. „Die Menschen <strong>der</strong> Nachbarschaft fürchten<br />
die Regierung, vor allen den Einwan<strong>der</strong>ungs- <strong>und</strong><br />
Immigrationsdienst, <strong>und</strong> haben wenig Zeit für die<br />
Belange <strong>der</strong> Umwelt, mit denen sich die reichen<br />
Nordkalifornier beschäftigen.“<br />
Allzu oft haben politische <strong>und</strong> ökonomische Angelegenheiten<br />
Vorrang vor den Belangen <strong>der</strong> Umwelt<br />
<strong>und</strong> den Rechten <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung. Inmitten<br />
<strong>des</strong> politischen Aufruhrs in Israel hat <strong>der</strong><br />
vormalige Kustos <strong>des</strong> Heiligen Lan<strong>des</strong>, GIUSEPPE<br />
NAZZARO, versucht, Pläne zu bekämpfen, welche<br />
die Konfiszierung großer Landflächen in <strong>der</strong> Nähe<br />
von Betlehem vorsahen, um ein großangelegtes,<br />
luxuriöses Touristenzentrum zu bauen. Seit 1967 ist<br />
mehr als 60% <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>der</strong> Region von <strong>der</strong> israelischen<br />
Regierung konfisziert <strong>und</strong> zur Militärzone<br />
erklärt worden. Betlehem ist inzwischen fast völlig<br />
von jüdischen Siedlungen <strong>und</strong> Umgehungsstraßen<br />
umgeben. Touristenbusse bewegen sich rasch in<br />
die Stadt <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> heraus <strong>und</strong> verhin<strong>der</strong>n einen<br />
Kontakt mit den ortsansässigen Christen. In einem<br />
bereits explosiven politischen Umfeld bedeutet die<br />
weitere Konfiszierung von Land den Verlust <strong>des</strong><br />
Lebensunterhaltes für einige tausend Familien,<br />
die Zerstörung von sehr altem Siedlungsgebiet <strong>des</strong><br />
palästinensischen Volkes <strong>und</strong> größeren Wi<strong>der</strong>stand<br />
gegenüber dem zerbrechlichen <strong>Friedens</strong>prozess.<br />
In an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, in denen ein politischer Wandel<br />
stattgef<strong>und</strong>en hat, findet sich ein wachsen<strong>des</strong><br />
Gespür für Umweltgerechtigkeit. In Südafrika<br />
bedeutete das Apartheidsystem, dass große Landstriche<br />
für profitable Naturparks <strong>und</strong> Siedlungen<br />
<strong>der</strong> Weißen reserviert wurden, während die Homelands<br />
<strong>der</strong> Stämme <strong>und</strong> die Barackensiedlungen <strong>der</strong>
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
schwarzen Mehrheit in einem Zustand völliger<br />
Verwahrlosung gelassen wurden. Ein Projekt mit<br />
dem Ziel, den schwarzen Kommunen bei <strong>der</strong><br />
Bekämpfung <strong>der</strong> Abforstung durch die Pflanzung<br />
schnell wachsen<strong>der</strong> Gehölze wie Eukalyptusbäume<br />
zu helfen, zeigt jetzt seine schlimmen Auswirkungen<br />
auf die lokale Umwelt. In einem Land, das für seinen<br />
Wassermangel bekannt ist, kann ein Hain von<br />
100 Eukalyptusbäumen täglich über 50.000 Liter<br />
Wasser absorbieren <strong>und</strong> so die umliegenden Gebiete<br />
in eine tatsächliche Wüste verwandeln. CRISPIN<br />
CLOSE war bis zu seinem Tod Wegbereiter in dem<br />
Bemühen, die Haine <strong>der</strong> Eukalyptusbäume zu fällen<br />
<strong>und</strong> sie durch verschiedene, einheimische Bäume<br />
zu ersetzen, die aus Samen wachsen.<br />
In an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n quer über den Globus för<strong>der</strong>n<br />
Brü<strong>der</strong> die Erhaltung einheimischer Pflanzen <strong>und</strong><br />
alter Bebauungstechniken als den besten Weg, um<br />
Kleinbauern in ihrem Kampf gegen Regierungen<br />
zu unterstützen, die weite Flächen Land in Anbaugebiete<br />
für Monokulturen verwandeln wollen.<br />
In Papua-Neuguinea haben die Brü<strong>der</strong> gegen die<br />
Zunahme <strong>der</strong> Monokultur durch Palmölplantagen<br />
protestiert. Die Bäume werden wegen ihrer Frucht<br />
angebaut, <strong>der</strong>en Fleisch <strong>und</strong> Samen Öl liefern, das<br />
auf ausländische Märkte verkauft wird. Wie<strong>der</strong> einmal<br />
ist die ökologische Vielfalt <strong>der</strong> Gegend <strong>und</strong> die<br />
Lebensgr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> einheimischen Bevölkerung<br />
durch diese Art nicht umweltverträglicher Entwicklung<br />
bedroht.<br />
Das Atrisco Environmental Learning Projekt<br />
(AELP) ist ein gemeinnütziges Nachschul- <strong>und</strong><br />
Sommerprogramm, das bei <strong>der</strong> Pfarrei <strong>der</strong> Heiligen<br />
Familie in Albuquerque, New Mexico, USA, angesiedelt<br />
ist. JACK CLARK ROBINSON, Pfarrer <strong>der</strong><br />
Pfarrei Heilige Familie, half, das AELP aufzubauen,<br />
als eine praktische Weise, den sich rasch verän<strong>der</strong>nden<br />
Familienleben <strong>und</strong> -strukturen in <strong>der</strong> umgebenden<br />
hispanischen Gemeinde zu begegnen. Kin<strong>der</strong>,<br />
Jugendliche <strong>und</strong> Großeltern kommen zusammen,<br />
um einen schattigen Garten <strong>und</strong> ein Gewächshaus<br />
zu bauen <strong>und</strong> zu unterhalten. Projektleiterin BER-<br />
NADETTE ORTEGA stellt fest: „Indem sie an <strong>der</strong> Sorge<br />
für unseren Garten <strong>und</strong> seiner Erhaltung teilhaben,<br />
lernen junge <strong>und</strong> alte Menschen mehr darüber,<br />
wie die Freigebigkeit <strong>der</strong> Natur uns versorgt, <strong>und</strong><br />
über die Notwendigkeit, die heimischen Überlieferungen<br />
zu erhalten, die vor <strong>der</strong> Industrialiserung<br />
das South Valley von Albuquerque zu einem fruchtbaren<br />
Ort gemacht hatten. AELP ermöglicht es<br />
ökonomisch <strong>und</strong> sozial benachteiligten Jugendlichen,<br />
in ein positives, Selbstachtung aufbauen<strong>des</strong><br />
Erziehungsprogramm einbezogen zu werden, wobei<br />
es sich an einige <strong>der</strong> sozialen <strong>und</strong> kulturellen Belange<br />
<strong>der</strong> Nachbarschaft wendet. Das letztliche Ziel<br />
unseres Programms“, sagt Bernadette, „liegt darin,<br />
Kin<strong>der</strong>n die gr<strong>und</strong>legenden Philosophien <strong>der</strong> Achtung,<br />
<strong>der</strong> Sorge <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mitgefühls zu vermitteln.<br />
In <strong>der</strong> Entwicklung dieser gr<strong>und</strong>legenden menschlichen<br />
Werte, meinen wir, werden die Kin<strong>der</strong> lernen,<br />
Achtung vor sich, vor ihrer Umwelt <strong>und</strong> vor<br />
jeden an<strong>der</strong>en zu haben.“<br />
Generalkonstitutionen<br />
Artikel 9,1 u. 4: Die ehelose Keuschheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
schließt ein „ungeteiltes Herz“ mit ein, das „auf die<br />
Sache <strong>des</strong> Herrn bedacht“ ist (1). Die Brü<strong>der</strong> sollen<br />
„die Geschöpfe in Demut <strong>und</strong> Ehrfurcht anschauen,<br />
im Bewusstsein, dass sie zur Verherrlichung<br />
Gottes geschaffen sind“ (4).<br />
Weitere Hinweise: Artikel 20,1-2; 127,3; 131,1.<br />
91
■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />
Fragen für die Diskussion<br />
1. Was sind die größten Gefährdungen <strong>der</strong><br />
Umwelt in deiner Stadt, in deinem Land,<br />
auf <strong>der</strong> Welt?<br />
2. Was hast du persönlich, was deine örtliche<br />
Gemeinschaft <strong>und</strong> was deine Provinzgemeinschaft<br />
im Hinblick auf Frage 1 getan?<br />
3. Nutzt deine örtliche Gemeinschaft das<br />
Recycling, wann immer es möglich ist?<br />
4. Sind Fragen <strong>der</strong> Umweltgerechtigkeit in<br />
deiner apostolischen Tätigkeit (täglichen<br />
Aufgaben, Gesprächen, Predigten usw.)<br />
berücksichtigt?<br />
5. Viele Menschen betrachten den hl. Franziskus<br />
als einen prominenten Verbündeten in ihren<br />
Bemühungen um Umweltgerechtigkeit.<br />
Unterstützt du dies? Auf welche Weise?<br />
6. Verwen<strong>des</strong>t du in deiner apostolischen Tätigkeit<br />
ökologische Beispiele, um die Tatsache<br />
zu unterstreichen, dass alle Menschen auf<br />
diesem Planeten miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en<br />
sind? Hast du jemals den SONNENGESANG<br />
in einem öffentlichen Gebet verwendet, um<br />
diese Tatsache zu unterstreichen?<br />
7. Hast du das Gefühl, dass ihr, du persönlich<br />
<strong>und</strong> deine Gemeinschaft, genügend Gespür<br />
für <strong>und</strong> Wissen um ökologische Probleme<br />
habt? Erachtest du die Teilnahme von Franziskanern<br />
an Aktionen <strong>und</strong> Bewegungen auf<br />
dem Gebiet <strong>der</strong> Ökologie für angemessen?<br />
92<br />
8. Was wür<strong>des</strong>t du in deinem Leben <strong>und</strong> in<br />
dem Leben deiner Gemeinschaft hinsichtlich<br />
<strong>des</strong> Gespürs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verantwortlichkeit für<br />
Ökologie kritisieren: den übertriebenen<br />
Verbrauch von Energie, die Zerstörung von<br />
Materialien, die recycelt werden könnten?<br />
Denkst du, dass ein je<strong>der</strong> von uns in gleicher<br />
Weise schuldig ist an Konsumismus <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
so genannten Entwicklung?<br />
9. Vom Standpunkt <strong>der</strong> Option für die Armen<br />
aus gesehen, welche Schritte könnten wir<br />
unternehmen zu einer wirksameren Verantwortlichkeit<br />
auf dem Gebiet <strong>der</strong> Ökologie?<br />
10. Glaubst du, dass das heutige Bewusstsein<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> Ökologie eine neue Lektüre<br />
<strong>des</strong> SONNENGESANGS verlangt? Deine Gemeinschaft<br />
könnte dieses Gebet mit einem Kommentar<br />
aus <strong>der</strong> Sicht eines <strong>der</strong> Themen dieses<br />
Kapitels gemeinsam lesen.
Leben
■ Leben<br />
Leben<br />
Ein großer Teil <strong>der</strong> Menschen lebt noch in Not,<br />
Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Unterdrückung; darum sollen<br />
die Brü<strong>der</strong> sich mit allen Menschen guten Willens<br />
für die Erneuerung <strong>der</strong> Gesellschaft zu <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Befreiung <strong>und</strong> Frieden im auferstandenen Christus<br />
einsetzen, die Ursachen <strong>der</strong> einzelnen Situationen<br />
durchdenken <strong>und</strong> sich entsprechend an Unternehmungen<br />
<strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> internationalen<br />
Solidarität beteiligen.<br />
<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Art. 96,2<br />
Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus ...<br />
Weil Franziskus die ganze Schöpfung auf den<br />
Schöpfer zurückführte (2 Cel 165), war <strong>der</strong> Arme<br />
aus Assisi ein gr<strong>und</strong>legend froher Mensch. Nur<br />
Sünde sollte ihn betrüben, aber auch dann sollten<br />
die Brü<strong>der</strong> nicht über die Sünde <strong>des</strong> an<strong>der</strong>en zornig<br />
werden (BReg 7). Im Gegensatz zu den Albigensern,<br />
die den Geist als gut, die Materie als schlecht<br />
ansahen, betrachtete Franziskus die gesamte Schöpfung<br />
als von Gott gesegnet. Daher drängte Franziskus<br />
die Menschen, die Sakramente zu empfangen,<br />
sichtbare Zeichen <strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> Gnade Gottes<br />
(BrGl II,22). Der Poverello sang manchmal auf<br />
Französisch <strong>und</strong> verwendete einmal zwei Holzstücke,<br />
um Geige <strong>und</strong> Bogen zu imitieren<br />
(2 Cel 127).<br />
Da Franziskus zuerst lebte, was er predigte, konnte<br />
er vertrauensvoll predigen, die zuvor verhärteten<br />
Herzen zur Buße bewegen <strong>und</strong> ihnen Ges<strong>und</strong>heit<br />
für Seele <strong>und</strong> Leib verleihen (LegMai XII,8).<br />
Celanos MIRAKELBUCH (3 Cel) erinnert nur an<br />
wenige W<strong>und</strong>er, die Franziskus gewirkt hat o<strong>der</strong> die<br />
seiner Fürbitte zugeschrieben werden. Franziskus<br />
behandelte kranke Menschen immer mit großem<br />
Mitgefühl.<br />
Und Franziskus bedrängte die Brü<strong>der</strong>, „sie mögen<br />
sich hüten, sich nach außen hin traurig <strong>und</strong> wie<br />
düstere Heuchler zu zeigen; sie sollen sich vielmehr<br />
als solche zeigen, die sich im Herrn freuen <strong>und</strong><br />
heiter <strong>und</strong> liebenswürdig sind, wie es sich geziemt“<br />
(NbReg 7,16). Gegen Ende seines Lebens sagte<br />
Franziskus: „Brü<strong>der</strong>, nun wollen wir anfangen,<br />
Gott dem Herrn zu dienen; denn bis jetzt haben<br />
wir kaum, sogar wenig – nein, gar keinen Fortschritt<br />
gemacht“ (1 Cel 103). Franziskus schrieb<br />
einem Minister, <strong>der</strong> Schwierigkeiten mit gewissen<br />
Brü<strong>der</strong>n hatte: „Es darf keinen Bru<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Welt<br />
geben, mag er auch gesündigt haben, soviel er nur<br />
sündigen konnte, <strong>der</strong> deine Augen gesehen hat <strong>und</strong><br />
dann von dir fortgehen müsste ohne dein Erbarmen,<br />
wenn er Erbarmen sucht. Und sollte er nicht<br />
Erbarmen suchen, dann frage du ihn, ob er Erbarmen<br />
will“ (BrMin 9-10). Erbarmen, Buße <strong>und</strong><br />
Werke <strong>des</strong> Mitgefühls hielten die Liebe <strong>des</strong> Franziskus<br />
zum Leben sehr lebendig.<br />
Franziskanische Perspektiven<br />
Der britische Autor G.K. Chesterton hat beobachtet,<br />
dass ein Teil <strong>des</strong> Genius <strong>des</strong> Franziskus von<br />
Assisi in <strong>der</strong> Art <strong>und</strong> Weise bestand, wie er sich<br />
auf die konkrete Person vor sich konzentrierte.<br />
Es war ein Zeichen seiner Höflichkeit, dass<br />
Franziskus niemals eine Person wegen einer an<strong>der</strong>en<br />
ignorierte, son<strong>der</strong>n einer jeden seine Aufmerksamkeit<br />
schenkte <strong>und</strong> ihre Bedeutung würdigte – vom<br />
Aussätzigen bis zum Sultan, von Frau Jacoba bis<br />
zum Bettler. In seinem bekannten SONNENGESANG<br />
zeigte Franziskus, dass seine Aufmerksamkeit <strong>und</strong><br />
Achtung nicht nur den Menschen galt, son<strong>der</strong>n<br />
allen Aspekten <strong>der</strong> Schöpfung. Und <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><br />
für die Haltung <strong>des</strong> Franziskus gegenüber an<strong>der</strong>en<br />
liegt genau darin, dass Gott sie geschaffen hat<br />
<strong>und</strong> dass Gott durch sie gepriesen werden<br />
konnte.<br />
95
■ Leben<br />
Die poetische Intuition <strong>und</strong> die kreative Einsicht<br />
<strong>des</strong> Franziskus wurden von einem an<strong>der</strong>en Genius<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Tradition aufgegriffen.<br />
Bonaventura baut in <strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong> philosophischen<br />
<strong>und</strong> theologischen Gr<strong>und</strong>lagen seines<br />
Denkens auf <strong>der</strong> spirituellen Erfahrung <strong>des</strong> Franziskus<br />
auf. Ein Bild <strong>der</strong> Schöpfung , das Bonaventura<br />
während seines Lebens durchgängig verwendete,<br />
war dem Buch Kohelet (1,7) entnommen: eine<br />
kleine Quelle lässt einen Fluss entspringen, <strong>der</strong> das<br />
Land durchfließt <strong>und</strong> dann zu seinem Ausgangspunkt<br />
zurückkehrt. Für Bonaventura kommt alles<br />
Leben aus einer göttlichen Quelle, geht von Gott<br />
aus, um Frucht zu bringen, <strong>und</strong> kehrt dann zu Gott<br />
zurück. In Bonaventuras System wird den vielen<br />
Geschaffenen durch den Einen Ungeschaffenen<br />
Existenz verliehen (Emanation, Hervorgang);<br />
die Geschöpfe geben für ihren Schöpfer Zeugnis<br />
(Abbildhaftigkeit) <strong>und</strong> werden zu ihrem Schöpfer<br />
zurückgeführt (Vollendung). Als solche ist die<br />
gesamte Schöpfung, beson<strong>der</strong>s die belebte Schöpfung,<br />
als wertvoll zu verstehen, weil alle Schöpfung<br />
aus Gott, dem höchsten Wert, stammt, o<strong>der</strong> wie<br />
Franziskus im Gebet formuliert, dem „Erhabensten“<br />
<strong>und</strong> „höchstem Gut“.<br />
Duns Scotus, <strong>der</strong> sich in Methode <strong>und</strong> Inhalt<br />
deutlich von Bonaventura unterscheidet, hat mit<br />
dem Doctor Seraphicus nichts<strong>des</strong>totrotz die<br />
Inspiration <strong>des</strong> Franziskus gemeinsam. Wie<br />
bekannt, prägt <strong>und</strong> dominiert bei Scotus nicht die<br />
Sünde, son<strong>der</strong>n die Güte die Sicht <strong>der</strong> Schöpfung.<br />
Weil Gott frei ist, hat die Schöpfung keinen an<strong>der</strong>en<br />
Gr<strong>und</strong> zu sein, außer in <strong>der</strong> göttlichen Gnade.<br />
Gottes Liebe zeigt sich in <strong>der</strong> Schöpfung <strong>und</strong><br />
am deutlichsten in <strong>der</strong> Menschwerdung. All dies<br />
braucht nicht zu sein, son<strong>der</strong>n, dass etwas existiert,<br />
verdankt es allein <strong>der</strong> Liebe Gottes, die es in Existenz<br />
bringt. Sie gibt dem Existierenden eine<br />
Bedeutung <strong>und</strong> Würde, <strong>und</strong> daher ist die Heilsgeschichte<br />
die Geschichte, wie Gott in Freiheit mit<br />
beson<strong>der</strong>en Personen an konkreten Orten <strong>und</strong><br />
Zeiten ins Gespräch tritt. Das individuelle<br />
Geschöpf in <strong>der</strong> Einzigartigkeit seiner historischen<br />
Situation ist Teil <strong>der</strong> Geschichte von Gottes aktiver<br />
Gegenwart. Während natürlich die Inkarnation<br />
den Höhepunkt <strong>der</strong> Schöpfung darstellt, dient sie<br />
auch dazu, den Wert <strong>der</strong> geschaffenen Welt zu<br />
bekräftigen. Fleisch, Körperlichkeit, die historisch<br />
zufällige Materialität – dies ist nicht zu meiden,<br />
96<br />
son<strong>der</strong>n anzunehmen, wie Gott es annimmt.<br />
Scotus drückt seine Betonung mit dem Terminus<br />
HAECCEITAS aus, dem „unaustauschbaren So-Sein“<br />
einer Sache. HAECCEITAS, die etwas einzigartig <strong>und</strong><br />
verschieden von an<strong>der</strong>en macht, die seine Natur<br />
teilen, unterstreicht den Wert <strong>der</strong> kontingenten,<br />
speziellen Wirklichkeit, weil je<strong>des</strong> Wesen etwas<br />
besitzt, das es allein offenbaren kann.<br />
Bedrohungen <strong>und</strong> Ablehnungen<br />
<strong>des</strong> Wertes erschaffenen Lebens<br />
Mit seiner Betonung auf innere Würde <strong>und</strong> Wert<br />
je<strong>des</strong> Geschöpfes steht die franziskanische Sicht<br />
<strong>des</strong> Lebens in scharfen Kontrast zu vielen an<strong>der</strong>en<br />
Anschauungen in unserer mo<strong>der</strong>nen Welt. Einige<br />
dieser alternativen Sichtweisen stehen in direkten<br />
Gegensatz zur franziskanischen Sicht; an<strong>der</strong>e sind<br />
Verzerrungen <strong>und</strong> Übertreibungen von Anschauungen,<br />
die in sich betrachtet, dem Leben dienen.<br />
Jede Sicht stellt, implizit o<strong>der</strong> explizit, eine Hierarchie<br />
von Werten vor. Menschliches Handeln spiegelt<br />
normalerweise die praktischen Werte wi<strong>der</strong>,<br />
die eine Person o<strong>der</strong> eine Kultur anwendet. Wichtig<br />
für das Verständnis ist, dass man auf die praktizierten<br />
(nicht die bek<strong>und</strong>eten) Werte schaut, weil<br />
viele Menschen in <strong>der</strong> Theorie christliche, auch<br />
spezifisch franziskanische Werte gutheißen. Doch<br />
das moralische Handeln einer Person <strong>und</strong> <strong>der</strong> aktuell<br />
von einer Kultur bewahrte Wert unterscheiden<br />
sich beträchtlich von den bek<strong>und</strong>eten Werten. Das<br />
ist nicht nur eine Frage <strong>der</strong> Heuchelei (eine Sache<br />
zu sagen <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>e zu tun) o<strong>der</strong> moralischer<br />
Schwäche (nicht den eigenen Ansprüchen gerecht<br />
werden), son<strong>der</strong>n moralischer Blindheit (nicht<br />
selbstkritisch genug zu sein, um die Diskrepanz<br />
zwischen Glauben <strong>und</strong> Handeln wahrzunehmen).<br />
Das Heilmittel liegt nicht darin, die Menschen zu<br />
schelten <strong>und</strong> zu verurteilen, son<strong>der</strong>n ihnen beizustehen,<br />
in ihrem eigenen Leben <strong>und</strong> in ihren Gesellschaften<br />
die Kräfte aufzudecken, die wirklich Verhalten<br />
lenken <strong>und</strong> motivieren. Es folgt ein Kommentar<br />
auf einige <strong>der</strong> problematischsten Anschauungen,<br />
die in unserer Welt wirksam sind.
■ Leben<br />
Perfektionismus<br />
Diese Sicht <strong>des</strong> Lebens legt großes Gewicht auf den<br />
Wert <strong>des</strong> Lebens, insofern es keine Hin<strong>der</strong>nisse <strong>und</strong><br />
Rückschläge für Erfolg, Popularität <strong>und</strong> Autonomie<br />
hat. Konfrontiert mit den Unvollkommenheiten<br />
<strong>der</strong> menschlichen Existenz kann diese Weltsicht<br />
nicht mehr die gr<strong>und</strong>legende Güte <strong>und</strong> Würde <strong>der</strong><br />
geschaffenen Ordnung akzeptieren. So werden<br />
Schwäche <strong>und</strong> Krankheit angesehen, als würden sie<br />
Menschen ihrer Würde berauben, ihre Rolle im<br />
sozialen Leben an den Rand drängen, sie unserer<br />
Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Bedeutung unwürdig machen.<br />
Die Behandlung eines Kranken, beson<strong>der</strong>s eines<br />
Sterbenden, spiegelt oft das Unbehagen wi<strong>der</strong>, das<br />
Menschen spüren, wenn sie mit dem Schwinden<br />
von Kraft <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit konfrontiert sind. Bewegungen<br />
in vielen Gesellschaften für einen vom Arzt<br />
begleiteten Suizid o<strong>der</strong> für eine Gesetzgebung <strong>des</strong><br />
Rechts auf den eigenen Tod können ein Spiegelbild<br />
<strong>der</strong> Unfähigkeit sein, ein Leben zu unterstützen, das<br />
es trotz Schmerz <strong>und</strong> Leid wert ist, gelebt zu werden.<br />
Im Bewusstsein mancher Menschen ist Leben<br />
nur dann lebenswert, wenn eine(r) die Kontrolle<br />
über ihren (seinen) Körper hat <strong>und</strong> keine physischen<br />
Begrenzungen erfährt.<br />
Die Bedeutung <strong>des</strong> Ansehens führt in mo<strong>der</strong>nen<br />
Kulturen oft zu übertriebenen Ausgaben <strong>und</strong><br />
Anstrengungen, um physische Schönheit zu erreichen<br />
<strong>und</strong> zu erhalten. Wir verbannen jene, die<br />
beeinträchtigt <strong>und</strong> nicht ansprechend sind, an die<br />
Rän<strong>der</strong> unseres Lebens; es kann viel leichter sein,<br />
Menschen behilflich zu sein, die dem kulturellen<br />
Standard von Schönheit <strong>und</strong> Attraktivität entsprechen.<br />
Oft sind junge Menschen vom Traum gefangen,<br />
zeitlose Schönheit erreichen zu können, <strong>und</strong><br />
tendieren dazu, an<strong>der</strong>e (vor allem <strong>der</strong> gleichen<br />
Gruppe) allein auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> physischen<br />
Aussehens zu bewerten. Hinsichtlich <strong>der</strong> Natur<br />
besteht die Versuchung einer „Disney-fikation“ <strong>der</strong><br />
Umwelt. Diese besteht in dem hartnäckigen Drang,<br />
die Natur „nett“ zu machen, indem man sie von<br />
allem befreit, was für einen urbanen Touristen nicht<br />
harmonisch, gefällig <strong>und</strong> bequem ist. Viele arme<br />
Nationen versuchen, ausländischen Besuchern zu<br />
gefallen, indem sie Elemente ihrer natürlichen<br />
Umwelt entfernen o<strong>der</strong> umgestalten, die Außenstehende<br />
nicht anziehen. Insekten, wilde Tiere,<br />
steile Hügel <strong>und</strong> Berge, wechselnde Küstenverläufe,<br />
einheimisches Brauchtum <strong>und</strong> ebensolche Ernährungsweise<br />
kann alles dem Ziel einer vom Menschen<br />
auferlegten Homogenität geopfert werden,<br />
die Erholung suchenden Reisenden vertraut <strong>und</strong><br />
bequem ist.<br />
Ein moralischer Perfektionismus kann uns davon<br />
abhalten, jene zu achten <strong>und</strong> zu lieben, die Süchten<br />
verfallen sind, einen problematischen Lebensstil<br />
angenommen o<strong>der</strong> schlimme Taten vollbracht<br />
haben. Es ist leicht, Beurteilung von Verhalten in<br />
Verurteilung von Personen zu verwandeln. Solche<br />
Verurteilungen können dann dahingehend ausgedehnt<br />
werden, Verurteilten die Rechte abzusprechen,<br />
z.B. durch ungerechte Verhaftung, Unterdrückung<br />
<strong>und</strong> Ausgrenzung, Folter <strong>und</strong> To<strong>des</strong>strafe.<br />
In all unserem Umgang mit Personen, selbst mit<br />
denen, die nicht bereit sind, Umkehr zu suchen,<br />
müssen wir die Maxime beherzigen, die Sünde zu<br />
hassen, aber niemals den Sün<strong>der</strong>.<br />
Franziskaner, die sich ihrer eigenen Gebrechlichkeit<br />
<strong>und</strong> Schwäche bewusst sind <strong>und</strong> dennoch wissen,<br />
dass sie von Gott geliebt sind, müssen bereit sein,<br />
ihre Liebe auf alles Leben auszudehnen, auch wenn<br />
es ihnen in solchen Formen begegnet, die die unerfüllte<br />
Verheißung <strong>und</strong> Hoffnung darstellen, die<br />
Gott erst in Zukunft zur Vollendung zu bringen<br />
verspricht.<br />
Rationales Nutzendenken<br />
In einer Zeit außerordentlicher, wissenschaftlicher<br />
Leistungen, in <strong>der</strong> W<strong>und</strong>erwerke <strong>der</strong> Technik auf<br />
den verschiedensten Fel<strong>der</strong>n vollbracht wurden,<br />
besteht das Risiko, dass eine Denkweise, die für eine<br />
Dimension <strong>des</strong> Lebens angemessen war, auf an<strong>der</strong>e<br />
Fel<strong>der</strong> ausgedehnt wird, für die sie weniger geeignet<br />
ist. Es gibt einen legitimen Sinn, in dem Elemente<br />
<strong>der</strong> geschaffenen Ordnung als Mittel verwendet<br />
werden, um ein höheres Gut zu erreichen. Aber<br />
wenn wir an<strong>der</strong>es nur aus <strong>der</strong> Perspektive betrachten,<br />
wie es unseren Zwecken dienlich ist, dann können<br />
wir Reichtum <strong>und</strong> Schönheit <strong>der</strong> Menschen<br />
<strong>und</strong> Dinge in sich selbst nicht begreifen.<br />
Eine beständige Gefahr im moralischen Leben liegt<br />
darin, dass wir uns selbst in die Mitte <strong>der</strong> Existenz<br />
97
■ Leben<br />
stellen. Unser menschliches Ego mag uns überraschen<br />
durch seinen Einfallsreichtum, sich selbst<br />
unter verschiedenen Gestalten im Laufe unseres<br />
Lebens zu behaupten. Genau <strong>des</strong>wegen, weil<br />
Franziskus eine christozentrische Sicht <strong>der</strong> Welt<br />
annahm, sollten wir fähig sein, wirksamer dem<br />
ständigen Drängen <strong>des</strong> Ego zu wi<strong>der</strong>stehen, uns<br />
selbst in die Mitte aller Dinge zu stellen. Dies<br />
meint, dass ein rationales Nutzendenken, das alle<br />
Dinge nach dem Vorteil, zu dem sie mir nützlich<br />
sind, beurteilt, nicht die vorherrschende Denkweise<br />
sein sollte. Doch rationales Nutzendenken<br />
beherrscht das Denken von Einzelnen <strong>und</strong> von<br />
Gruppen.<br />
Echte Fre<strong>und</strong>schaft ist eine Beziehung, die in<br />
einem Leben, das von rationalen Nutzendenken beherrscht<br />
wird, in Gefahr geraten kann. In vielen<br />
heutigen Gesellschaften sind jene erfolgreiche<br />
Individuen, die sich gut mit an<strong>der</strong>en zu „vernetzen“<br />
vermögen. Ob in Geschäft, im Verwaltungsdienst,<br />
den Künsten o<strong>der</strong> den Berufen, es wird großes<br />
Gewicht auf die Schaffung einer Reihe von Kontakten<br />
o<strong>der</strong> Verbündeten gelegt, die um Hilfe gebeten<br />
werden können. Fre<strong>und</strong>schaft hat Freude an <strong>der</strong><br />
Existenz <strong>des</strong> an<strong>der</strong>en als einer Präsenz im Leben<br />
eines Menschen. Rationales Nutzendenken sieht<br />
den an<strong>der</strong>en als ein Mittel, um bestimmte Zwecke<br />
zu erreichen; wenn <strong>der</strong> Zweck einmal erreicht ist,<br />
verän<strong>der</strong>t sich die Beziehung, weil die Basis <strong>der</strong><br />
Beziehung niemals die gegenseitige Sorge <strong>und</strong><br />
Freude war, die Fre<strong>und</strong>schaft begleitet. Es ist nicht<br />
zutreffend, dass rationales Nutzendenken einfach<br />
schlecht ist. Wenn es zur dominanten Denkweise<br />
wird, dann kann es gr<strong>und</strong>legende Beziehungen<br />
verzerren, die auf einer an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>lage laufen<br />
sollten.<br />
Auf Gesellschaft bezogen ist rationales Nutzendenken<br />
eindeutig eine anthropozentrische Haltung,<br />
welche den Menschen als den einzigen Wertmaßstab<br />
in <strong>der</strong> Schöpfung ansieht. Alles an<strong>der</strong>e muss<br />
dem Menschen dienen, ohne Rücksicht auf seinen<br />
je inneren Wert als Geschöpf, den es – abgesehen<br />
vom menschlichen Nutzen – besitzt. Eine Ökologie<br />
<strong>des</strong> Verwaltens kann durch Anthropozentrismus<br />
verführt werden, wenn man sich um die Umwelt<br />
nicht sorgt, weil sie Gott gehört, son<strong>der</strong>n einfach<br />
weil es dem menschlichen Wohlergehen dient, einige<br />
natürliche Resourcen zu erhalten. Zu oft for<strong>der</strong>t<br />
98<br />
uns die Sprache <strong>des</strong> Verwaltens auf, wegen unserer<br />
eigenen Interessen auf lange Sicht zu handeln,<br />
die Güter <strong>der</strong> Erde klug zu verwenden, damit wir<br />
in Zukunft nicht in Probleme geraten, z.B. wegen<br />
Verschmutzung, Raubbau an den Ölresourcen o<strong>der</strong><br />
am Waldbestand. So betrachtet, ist es noch möglich,<br />
an die Umwelt nur unter dem Aspekt ihres<br />
Gebrauchs für den Menschen zu denken. Aber eine<br />
christozentrische Sicht ruft uns über das rationale<br />
Nutzendenken hinaus auf, in <strong>der</strong> geschaffenen Welt<br />
ihren inneren Wert zu erkennen, weil sie von Gott<br />
geschaffen, Teil <strong>des</strong> größeren Plans <strong>des</strong> Schöpfers ist<br />
<strong>und</strong> nicht einfach das Rohmaterial zur Verfügung<br />
<strong>der</strong> Verwalter, wie sie es wünschen.<br />
Logik <strong>des</strong> Marktes<br />
Keine Ideologie ist vielleicht so verallgemeinert,<br />
d.h. auf Bereiche ausgedehnt worden, für die sie<br />
nicht gedacht war, wie die <strong>des</strong> freien Marktes.<br />
Wie Johannes Paul II. angedeutet hat, kann ein<br />
richtig regulierter, aber freier Markt ein wirksames<br />
Mittel sein, um Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen zur<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Wohlergehens zu produzieren <strong>und</strong><br />
zu verteilen. Märkte können zu Kreativität, Unternehmertum,<br />
Vielfalt <strong>und</strong> Wohlstand ermutigen.<br />
Märkte ohne geeignete Beschränkungen können<br />
auch zu schädlichen Ungleichheiten, ökologischem<br />
Schaden, ruinösem Wettbewerb <strong>und</strong> zur Ausbeutung<br />
<strong>der</strong> Schwachen führen.<br />
Während man die Vorteile <strong>und</strong> die Risiken <strong>des</strong><br />
Marktes für das ökonomische Leben nicht leugnet,<br />
gibt es einen an<strong>der</strong>en Aspekt <strong>des</strong> Marktdenkens,<br />
den Franziskaner erkennen müssen: die Ausdehnung<br />
<strong>der</strong> Logik <strong>des</strong> Marktes auf an<strong>der</strong>e als den<br />
ökonomischen Bereich. Das Ergebnis ist ein Reduktionismus,<br />
die den Menschen nur als HOMO OECO-<br />
NOMICUS sieht <strong>und</strong> den Rest <strong>des</strong> Lebens als etwas,<br />
das nur als Ware einen Wert besitzt. Ein Kritiker<br />
hat es folgen<strong>der</strong>maßen ausgedrückt: „Der Markt<br />
kennt den Preis je<strong>der</strong> Sache, aber nicht den Wert<br />
einer einzigen.“ Eine Gefahr <strong>des</strong> Marktdenkens<br />
liegt darin, dass die Gesellschaft einen finanziellen<br />
Wert für Dinge festlegt, die nicht gekauft <strong>und</strong> verkauft<br />
werden sollten. Die politischen <strong>und</strong> bürgerlichen<br />
Freiheiten <strong>der</strong> Staatsbürger, die gr<strong>und</strong>legenden<br />
sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Güter, die für die
■ Leben<br />
menschliche Würde notwendig sind, Liebesbeziehungen<br />
in Familien <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaften, Ehre,<br />
Wahrhaftigkeit <strong>und</strong> Achtung unter den Menschen<br />
sollten nicht zum Kauf anstehen.<br />
Die Logik <strong>des</strong> Marktes kann das ästhetische Gespür<br />
auslöschen, das sich an Schönheit um ihrer selbst<br />
willen erfreut. Den Wert eines Gemäl<strong>des</strong>, die<br />
Gefälligkeit <strong>der</strong> Musik, die Ansicht eines Sonnenuntergangs<br />
über dem Wasser, den Rhythmus eines<br />
Gedichtes auf das zu reduzieren, wofür es auf dem<br />
Markt verkauft werden kann, verhin<strong>der</strong>t die Wertschätzung<br />
<strong>der</strong> Dinge auf Gr<strong>und</strong> ihres eigenen inneren<br />
Wertes. Eines <strong>der</strong> Geschenke dieser tieferen<br />
Betrachtungsweise besteht darin, dass sie im Subjekt<br />
die Fähigkeit för<strong>der</strong>t, Aspekte <strong>der</strong> Schöpfung in<br />
an<strong>der</strong>en Kategorien als <strong>der</strong> Marktnützlichkeit zu<br />
sehen. Gebet hat einen Wert in sich, unabhängig<br />
davon, was <strong>der</strong> Markt sagt. Es gibt viel mehr in <strong>der</strong><br />
franziskanischen Sicht, das geschätzt <strong>und</strong> geachtet<br />
wird, nicht weil es Geld wert ist, son<strong>der</strong>n weil es<br />
Gott die Ehre gibt <strong>und</strong> unsere Wertschätzung<br />
<strong>des</strong>sen steigert, was Gott getan hat, indem er allen<br />
Geschöpfen in ihrem verschiedenen Glanz Leben<br />
gab.<br />
Ken Himes <strong>OFM</strong><br />
Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />
Das Leben <strong>und</strong> die Würde eines jeden Individuums<br />
zu feiern ist fester Bestandteil <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Sicht seit <strong>der</strong> Zeit <strong>des</strong> hl. Franziskus. Zum einem<br />
besteht heute ein größeres Bewusstsein <strong>der</strong> individuellen<br />
Menschenrechte, wie man an den vielen<br />
Interessensgruppen, Nichtregierungsorganisationen<br />
<strong>und</strong> den Bewegungen-für-das-Leben sehen kann.<br />
Zum an<strong>der</strong>en ist aber unsere Konsumgesellschaft<br />
zunehmend von einem alternativen Wertesystem<br />
beherrscht, das Geld, Schönheit, Erfolg <strong>und</strong> Selbst-<br />
Belohnung über alles stellt. Es ist leicht, Beispiele<br />
von Brü<strong>der</strong>n zu finden, die in unterschiedlichen<br />
Län<strong>der</strong>n für eine För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> „Kultur <strong>des</strong><br />
Lebens“ unter den am meisten benachteiligten<br />
Schichten <strong>der</strong> Gesellschaft arbeiten. Es ist schwieriger,<br />
die geduldigen Anstrengungen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> ausfindig<br />
zu machen, die zu einer neuen Begeisterung<br />
für das Leben unter den mehr profaneren Ereignissen<br />
<strong>des</strong> Alltagslebens ermutigen. Schriftsteller,<br />
Künstler o<strong>der</strong> Musiker teilen diesen Lebenshunger<br />
durch ihr Werk mit, begnadete Prediger geben sie<br />
an die Teilnehmer ihrer Versammlungen weiter,<br />
Lehrer helfen jungen Menschen, einen ges<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> positiven Blick auf das Leben zu entwickeln.<br />
In Merchants Quay, einer benachteiligten Zone von<br />
Dublin, Irland, arbeitet SEAN CASSIN an <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />
einer „Kultur <strong>des</strong> Lebens“ unter HIV-Infizierten<br />
<strong>und</strong> AIDS-Kranken. Sean war zunächst als junger<br />
Student in Rom betroffen durch die Berührung<br />
mit Drogenabhängigkeit. Die täglichen Begegnungen<br />
mit den vielen Drogenabhängigen, die in Rom<br />
auf den Straßen übernachteten, bedrückten ihn so<br />
sehr, dass er Schwierigkeiten hatte, sein Studienprogramm<br />
durchzuhalten. Von den Worten <strong>des</strong> Matthäusevangeliums<br />
(25,35-36) inspiriert, begann er<br />
sich den „Straßenmenschen“ Roms zuzuwenden.<br />
Als er nach Irland zurückgekehrt war, konzentrierte<br />
er seine Bemühungen auf die Drogenabhängigen,<br />
die sich oft in den Nachbarvierteln r<strong>und</strong> um Merchants<br />
Quay versammelten. Sean war zunehmend<br />
überzeugt, dass die traditionellen Drogenbehandlungsprogramme<br />
nur einen begrenzten Erfolg<br />
haben konnten, weil sie sich nicht mit den wachsenden<br />
sozialen Schwierigkeiten befassen, mit denen<br />
heute viele junge Iren konfrontiert sind. Der Mitarbeiterstab<br />
von Merchants Quay begann, neue Wege<br />
zu prüfen, um auf diese Bedürfnisse zu antworten;<br />
99
■ Leben<br />
es war zum Beispiel nutzlos, über den „Schmerz <strong>der</strong><br />
Arbeitslosigkeit“ zu diskutieren, ohne Berufsprogramme<br />
zu starten, die Abhängige mit neuen<br />
marktfähigen Kenntnissen ausstattete. Dem vermin<strong>der</strong>ten<br />
Selbstwertgefühl von Drogenabhängigen<br />
musste durch Gruppentherapie <strong>und</strong> Beratung entgegengewirkt<br />
werden. HIV-Übertragung konnte<br />
eingedämmt werden durch die Versorgung mit sauberen<br />
Nadeln, eine Lösung, die bei außenstehenden<br />
Beobachtern oft auf Ablehnung stößt. Viele langjährige<br />
Fre<strong>und</strong>e von Merchants Quay sind noch<br />
entsetzt über das ausgedehnte Engagement <strong>des</strong> Zentrums<br />
für soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> unter den Armen.<br />
Für Sean gibt es keinen wichtigeren Dienst, seit er<br />
die Verän<strong>der</strong>ungen sieht, die das Zentrum im Leben<br />
so vieler Menschen bewirken konnte.<br />
In den Nie<strong>der</strong>landen geraten ebenfalls viele junge<br />
Menschen, die zum Studium nach Amsterdam<br />
kommen, in Drogenabhängigkeit; Prostitution wird<br />
oft als <strong>der</strong> einzige Weg angesehen, durch die sie diese<br />
Sucht finanzieren können. Die Verbindung von<br />
unreinen Nadeln <strong>und</strong> „unsafe sex“ führt unvermeidlich<br />
zu HIV-Infektionen <strong>und</strong> AIDS. Durch seine<br />
Arbeit unter den „vergessenen Jugendlichen“<br />
Amsterdams vermochte LOUIS BOHTE einigen dieser<br />
Menschen Unterstützung anzubieten <strong>und</strong> praktische<br />
Möglichkeiten zu vermitteln, dass sie es fertigbrachten,<br />
ihre Abhängigkeit zu überwinden <strong>und</strong> ein<br />
neues Leben zu beginnen.<br />
Bei seiner Arbeit in einem <strong>der</strong> ärmsten Slums von<br />
Karachi in Pakistan begegnet KEN VIEGAS vielen<br />
Menschen, die jede Hoffnung auf ein besseres<br />
Leben verloren haben. Etwa Dreiviertel <strong>der</strong> Menschen<br />
seiner Pfarrei haben kein fließen<strong>des</strong> Wasser,<br />
sehr wenige haben ein regelmäßiges Einkommen,<br />
viele haben wenig o<strong>der</strong> kein Gespür für ihren eigenen<br />
Wert. Krankheit, Arbeitslosigkeit, Wucherzinsen<br />
<strong>und</strong> Drogenmissbrauch sind die harten Lebensumstände<br />
<strong>der</strong> meisten Familien dort. Deswegen ist<br />
die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden so wichtig<br />
für Viegas. „Es ist nicht sosehr ein Hobby“, sagt er,<br />
„dies ist eine richtige Leidenschaft, die ich so stark<br />
fühle. Und wenn du nach <strong>Gerechtigkeit</strong> dürstest<br />
<strong>und</strong> hungerst, beginnst du die Leiden(schaft) Jesu<br />
klarer zu erkennen.“ Wenn er die bedürftigsten <strong>und</strong><br />
benachteiligsten Häuser besucht, versucht er die<br />
Menschen zu ermutigen, wie<strong>der</strong> ein Gespür für ihre<br />
eigene Würde <strong>und</strong> ihre Talente zu entdecken. „Ich<br />
100<br />
versuche fünf Häuser pro Tag zu besuchen <strong>und</strong> ich<br />
sage den Menschen, dass ich nicht komme, um mit<br />
ihnen zu essen o<strong>der</strong> zu trinken, damit sie keine<br />
Betriebsamkeit entwickeln, um Lebensmittel zu<br />
kaufen <strong>und</strong> sie für mich zuzubereiten. Wenn sie das<br />
verstehen, dass du zu ihnen kommst, um ihnen<br />
zuzuhören <strong>und</strong> nicht um zu sehen, was sie anzubieten<br />
haben, dann kannst du ihnen sehr nahe kommen.“<br />
Ein an<strong>der</strong>er Bru<strong>der</strong>, YOUNIS WALTER, arbeitet mit<br />
geistig behin<strong>der</strong>ten Kin<strong>der</strong>n in Karatschi. Er versucht<br />
die tiefsitzenden Vorurteile <strong>und</strong> den Aberglauben<br />
zu bekämpfen, welche die Probleme in diesem<br />
Teil <strong>der</strong> Welt noch verschlimmern. Viele Familien<br />
glauben, dass ein behin<strong>der</strong>tes Kind Zeichen <strong>der</strong><br />
Strafe Gottes ist. In dem Zentrum, das er aufzubauen<br />
geholfen hat, liegt <strong>der</strong> Schwerpunkt nicht nur<br />
auf einer qualitativ guten Sorge für die Kin<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
auch auf Erziehung <strong>und</strong> Vorsorge. Eltern werden<br />
über den Zusammenhang zwischen Behin<strong>der</strong>ung<br />
<strong>und</strong> Armut, schlechter Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> dem<br />
verbreiteten Brauch, innerhalb <strong>der</strong> gleichen Familie<br />
zu heiraten, unterrichtet. Das Zentrum ist gleichermaßen<br />
offen für Christen <strong>und</strong> Muslime, in einem<br />
Land, in dem die Bekehrung zum Christentum als<br />
Kapitalverbrechen angesehen wird. Viele Familien<br />
aus beiden Glaubenstraditionen kommen, um ein<br />
neues Verstehen zu teilen, indem sie gemeinsam<br />
kochen, essen <strong>und</strong> für ihre Kin<strong>der</strong> sorgen.<br />
In Indien hilft JESU IRUDAYAM ebenfalls Kin<strong>der</strong>n,<br />
sich an einem besseren Leben zu erfreuen. Er arbeitet<br />
speziell mit Straßenkin<strong>der</strong>n in Madras in verschiedenen<br />
Projekten, die er seit 1991 entwickelt<br />
hat. Im Januar jenes Jahres hat er die Nichtregierungsorganisation<br />
mit Namen SEEDS (Street Elfin<br />
Education and Development Society) gegründet.<br />
Vor Ort ist die Organisation besser unter dem<br />
Namen NESAKKARAM bekannt, einem tamilischen<br />
Ausdruck, <strong>der</strong> „fre<strong>und</strong>liche Hände“ bedeutet. Einigen<br />
Kin<strong>der</strong>n wird geholfen durch ein Programm<br />
mit Heimplätzen, an<strong>der</strong>e werden an bestehende<br />
Einrichtungen vermittelt, an<strong>der</strong>e erhalten Verpflegung,<br />
medizinische Hilfe <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Dienstleistungen<br />
durch Außenposten, die bei einer örtlichen<br />
Eisenbahnstation in Madras angesiedelt sind.<br />
In Brasilien haben Geschosse <strong>und</strong> To<strong>des</strong>drohungen<br />
nicht vermocht, MARIANO GIJSEN aus seiner Arbeit
■ Leben<br />
mit den Straßenkin<strong>der</strong>n von Belo Horizonte zu vertreiben.<br />
Als Mariano 1989 in den Straßen von Rio<br />
de Janeiro arbeitete, wurde er von einem Jungen<br />
angeschossen <strong>und</strong> schwer verw<strong>und</strong>et. Der Junge<br />
handelte auf Befehl seines „Eigentümers“ <strong>und</strong> hatte<br />
die „Wahl“, den Bru<strong>der</strong> zu töten o<strong>der</strong> selbst getötet<br />
zu werden. Marianos Arbeit wird als eine ernste<br />
Bedrohung angesehen für die Zuhälter <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Bosse, die Straßenkin<strong>der</strong> für ihre Sexgeschäfte <strong>und</strong><br />
als Drogenkuriere missbrauchen. Nach seiner Genesung<br />
begab sich Mariano 1990 von Rio nach Belo<br />
Horizonte, um seine Arbeit mit den Straßenkin<strong>der</strong>n<br />
dort fortzusetzen. In Brasilien gibt es Zehntausende<br />
von verlassenen o<strong>der</strong> weggelaufenen Kin<strong>der</strong>n, von<br />
denen einige schon wie<strong>der</strong> eigene Kin<strong>der</strong> haben. Sie<br />
überleben auf <strong>der</strong> Straße durch Diebstahl <strong>und</strong><br />
schnüffeln Klebstoff, um ihren Hunger zu unterdrücken.<br />
In seiner geduldigen Arbeit über Jahre hat<br />
sich Mariano mit H<strong>und</strong>erten dieser Straßenkin<strong>der</strong><br />
angefre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> vielen geholfen, den schwierigen<br />
Schritt in Heime zu wagen, wo sie bessere Überlebenschancen<br />
haben. Kein Kind wird gedrängt, die<br />
Straße zu verlassen <strong>und</strong> je<strong>des</strong> einzelne wird als Individuum<br />
geachtet.<br />
In vielen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt, von Korea über Vietnam<br />
bis Guinea Bissao, kümmern sich Brü<strong>der</strong> um<br />
Menschen, die an Aussatz leiden – <strong>und</strong> folgen darin,<br />
so eng sie können, den Fußspuren <strong>des</strong> Franziskus<br />
selbst nach. In den USA arbeiten Brü<strong>der</strong> in dem<br />
Aussätzigenheim von Louisiana, dem einzigen auf<br />
die Hansen-Krankheit, wie sie auch genannt wird,<br />
spezialisierten Krankenhaus im Land. In Vietnam<br />
sind es die Kin<strong>der</strong> von aussätzigen Eltern, denen die<br />
Arbeit von FIDELIS LE TRONG NHUNG zugute<br />
kommt, <strong>der</strong> in den Außenbezirken von Saigon, heute<br />
Ho-Chi-Minh-Stadt, tätig ist. Auch wenn die<br />
Aktivitäten <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in Vietnam durch die Regierung<br />
eingeengt sind, genießt <strong>der</strong> Orden eine hohe<br />
Achtung bei den Menschen, wegen seiner Entscheidung,<br />
während <strong>des</strong> Bürgerkriegs <strong>und</strong> auch nach <strong>der</strong><br />
Übernahme <strong>der</strong> Macht durch die Kommunisten in<br />
Südvietnam im Jahr 1975 nicht zu fliehen. Vor dem<br />
Krieg unterhielten die Brü<strong>der</strong> zwei Aussätzigenheime,<br />
eines in Nha Trang <strong>und</strong> das an<strong>der</strong>e im Mekongdelta.<br />
Da diese Zentren durch die neue Regierung<br />
beschlagnahmt wurden, begann Fidelis im Jahr<br />
1983 erneut mit einer kleinen medizinischen Station.<br />
Langsam wuchs sein Werk <strong>und</strong> schloss auch<br />
Katechismusunterricht, Lesen <strong>und</strong> Schreiben <strong>und</strong><br />
Nähen für mehr als 120 Kin<strong>der</strong> ein. Da den Brü<strong>der</strong>n<br />
offiziell nicht gestattet ist, Schulen zu unterhalten,<br />
läuft <strong>der</strong> Unterricht als „Son<strong>der</strong>unterricht“<br />
für Aussätzige <strong>und</strong> ihre Kin<strong>der</strong>, denen <strong>der</strong> Besuch<br />
<strong>der</strong> öffentlichen Schule nicht erlaubt ist o<strong>der</strong> die<br />
keinen Kontakt mit Menschen haben dürfen, die<br />
noch in Furcht vor dieser Krankheit leben.<br />
Ein ausgebildeter Akupunkturmeister <strong>und</strong> Befürworter<br />
<strong>der</strong> traditionellen Medizin, DIEGO KIM,<br />
begann seine Berufung zugunsten <strong>der</strong> Ausgegrenzten<br />
wahrzunehmen, während er Patienten im<br />
„Sacred Heart“-Aussätzigendorf behandelte, das von<br />
den koreanischen Brü<strong>der</strong>n unterhalten wurde. Wie<br />
bei Franziskus führte <strong>der</strong> Kontakt mit den Aussätzigen<br />
Diego zu einer Bekehrung <strong>des</strong> Herzens <strong>und</strong><br />
einem tieferen Verständnis für das Bedürfnis nach<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>. Als <strong>der</strong> Orden Freiwillige für den<br />
Dienst in einer früheren Sowjetrepublik in Zentralasien<br />
suchte, schloss sich Diego einer Franziskanerin<br />
aus <strong>der</strong> Slowakei an, um eine höchst notwendige<br />
Klinik im ländlichen Kasachstan aufzubauen.<br />
Dort konnte er seine Fähigkeiten in Akupunktur<br />
einsetzen, um eine alternative Medizin anzubieten,<br />
die beson<strong>der</strong>s die große koreanische Bevölkerungsgruppe<br />
in Kasachstan anspricht. Die Klinik behandelt<br />
jeden Hilfesuchenden unabhängig von Rasse,<br />
Glaube, ethnischer o<strong>der</strong> nationaler Herkunft. Eine<br />
kleine franziskanische Gemeinschaft (FG) ist ebenfalls<br />
entstanden, die an dem gleichen Engagement<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> menschliche Würde teilnimmt,<br />
das Diego als den wesentlichen Kern <strong>des</strong><br />
Franziskanerseins ansieht.<br />
In <strong>der</strong> Navajo-Siedlung von Tohatchi in New Mexico,<br />
USA, haben sich JOHN MITTLESTADT <strong>und</strong> MIKE<br />
HAIG mit Franziskanerinnen, einem Diakon <strong>der</strong><br />
Navajo <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Laien zusammengetan, um<br />
eine kreative <strong>und</strong> weitumfassende Seelsorge unter<br />
diesen indigenen Menschen zu entwickeln. Die<br />
Mission an St. Michael’s umfasst ein Gebiet von<br />
3000 Quadratmeilen <strong>und</strong> ist die Heimat von 8.000<br />
Navajos. Der Schwerpunkt <strong>des</strong> Zentrums liegt auf<br />
seinem Leben inmitten <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> Hoffnungslosigkeit<br />
so vieler Menschen mit ihren chronischen<br />
Alkoholproblemen. Im zentralen „Powerhouse“<br />
werden H<strong>und</strong>erte von Menschen wegen Alkoholismus<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Suchtprobleme behandelt. Sie<br />
treffen sich wöchentlich, um sich mit ihrem Gefühl<br />
<strong>der</strong> Isolation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hoffnungslosigkeit auseinan-<br />
101
■ Leben<br />
<strong>der</strong>zusetzen. Die Franziskanerinnen aus Oldenburg,<br />
Indiana, in <strong>der</strong> Nachbarschaft koordinieren ein<br />
Son<strong>der</strong>programm für Navajos, die an einem fötalen<br />
Alkoholsyndrom leiden.<br />
Mit Hilfe von ANDRIJA BILOKAPIC hat die Diözese<br />
von Zadar in Kroatien ein „Pro-Vita“-Büro eingerichtet,<br />
um Frauen zu beraten, die an Abtreibung<br />
denken. Den Frauen wird nicht nur vertrauliche<br />
Beratung <strong>und</strong> Unterstützung angeboten, wenn sie<br />
vor dieser schwierigen Entscheidung stehen. Sie<br />
erhalten auch praktische <strong>und</strong> finanzielle Hilfe durch<br />
die Caritas <strong>und</strong> durch Vereinigungen von Frauen<br />
<strong>und</strong> jungen Menschen in den örtlichen Pfarreien,<br />
wenn sie sich entscheiden, das Kind auszutragen.<br />
Seit das Büro von einer bedeutenden Erfolgsrate<br />
berichtete, hat sich diese Initiative auch auf an<strong>der</strong>e<br />
Städte Kroatiens ausgedehnt.<br />
Während <strong>des</strong> Krieges in Bosnien-Herzegowina<br />
<strong>und</strong> Kroatien arbeiteten FRANJO GREBENAR <strong>und</strong><br />
ZORAN LIVANEIC zusammen, um ein Hospital<br />
innerhalb <strong>des</strong> Kirchengebäu<strong>des</strong> <strong>der</strong> Heilig-Geist-<br />
Kirche in Nova Bila aufzubauen. Die bemerkenswerte<br />
Umwandlung fand Anfang 1993 über Nacht<br />
statt, als muslimische Milizen die ortsansässige<br />
kroatische Bevölkerung angriffen. Die Verletzten<br />
baten Zoran um Hilfe, weil <strong>der</strong> Konflikt es ihnen<br />
nicht erlaubte, durch feindliche Linien zum nächsten<br />
Hospital zu reisen. Innerhalb von St<strong>und</strong>en half<br />
medizinisches Personal den Brü<strong>der</strong>n, eine Notaufnahme<br />
einzurichten. Im Laufe <strong>des</strong> Krieges wurden<br />
mehrere h<strong>und</strong>ert Menschenleben durch das Team<br />
gerettet. Doch trotz ihrer lebenswichtigen Hilfe<br />
erinnert sich Zoran traurig: „Wir mussten soviele<br />
Beerdigungen halten, dass niemand Zeit zum Klagen<br />
hatte.“<br />
Die Option für das Leben bedeutet für DAVID<br />
SCHLATTER in den USA, täglich mit denen in Kontakt<br />
zu kommen, die einem sicheren Tod entgegengehen.<br />
Er ist Gefängnisseelsorger im Staat Delaware.<br />
Einige <strong>der</strong> Gefangenen sehen <strong>der</strong> To<strong>des</strong>strafe<br />
entgegen. Staatliche Stellen waren gerade dabei,<br />
die Anwendung <strong>der</strong> To<strong>des</strong>strafe wie<strong>der</strong> einzuführen,<br />
als er vor sechs Jahren diesen Dienst antrat. Zur<br />
Zeit finden min<strong>des</strong>tens ein o<strong>der</strong> zwei Hinrichtungen<br />
pro Jahr statt. Schlatter hat viele Jahre damit<br />
zugebracht, denen Seelsorge zu leisten, die dem<br />
Tod entgegensehen o<strong>der</strong> in Folge eines Suizids den<br />
102<br />
schmerzlichen Verlust eines geliebten Angehörigen<br />
o<strong>der</strong> Freun<strong>des</strong> zu tragen haben. „Viele von uns, die<br />
mit Menschen in Schmerzen dieser Art arbeiten,<br />
finden, dass wir am besten durch unsere eigenen<br />
W<strong>und</strong>en helfen können. Es ist, als ob wir Gott in<br />
Fülle wirken lassen, wenn eine W<strong>und</strong>e eine an<strong>der</strong>e<br />
W<strong>und</strong>e berührt“, erklärt Schlatter. „Es gibt ein heilsames<br />
Selbstbewusstsein unserer eigenen sündhaften<br />
Natur, die es Franziskanern gestattet, sich zu Frauen<br />
<strong>und</strong> Männern im Gefängnis zu setzen <strong>und</strong> zu sehen,<br />
dass nicht viel Abstand zu ihnen besteht. Die Tatsache,<br />
dass Franziskus selbst in Gefangenschaft war<br />
<strong>und</strong> eine Beziehung zu seinen Leidensgenossen hatte,<br />
hilft, uns mit ihnen zu identifizieren <strong>und</strong> dort<br />
Christus zu erfahren.“ Schlatter arbeitet seit kurzem<br />
mit zwei weiteren Brü<strong>der</strong>n in einem Zentrum in<br />
Wilmington, Delaware, wo sie Suchtabhängigen<br />
Unterkunft, Beratung <strong>und</strong> ein 12-Schritte-Programm<br />
anbieten, das den Menschen helfen kann,<br />
nach einem Sinn in ihrem Leben zu suchen.<br />
Ein generelles Problem für Kin<strong>der</strong> in Brasilien <strong>und</strong><br />
an<strong>der</strong>swo in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n ist die Diarrhöe,<br />
die gewöhnlich zu Dehydration <strong>und</strong> Tod<br />
führt. KLAUS FINKAM hat in Zusammenarbeit mit<br />
<strong>der</strong> brasilianischen Bischofskonferenz <strong>und</strong> dem<br />
Kin<strong>der</strong>hilfswerk <strong>der</strong> Vereinten Nationen, UNICEF,<br />
ein erfolgreiches Rehydrationsprogramm für die<br />
Kin<strong>der</strong> in Brasilien entworfen. Tausende von<br />
jungen Leben sind durch eine einfache Salz-Zucker-<br />
Wasserlösung gerettet worden. Das Rehydrationsprogramm<br />
schult Mütter, als „medizinische Teams“<br />
in Dörfern im ganzen Land zu arbeiten, indem sie<br />
an<strong>der</strong>e erziehen, erfolgreich eine Diagnose zu stellen<br />
<strong>und</strong> die Symptome zu behandeln, bevor es zu<br />
spät ist.<br />
In Gallup, New Mexico, USA, bemüht sich<br />
MAYNARD SHURLEY unter den zumeist afro-amerikanischen,<br />
hispanischen <strong>und</strong> indigenen Menschen,<br />
die mit einem Leben auf <strong>der</strong> Straße kämpfen, das<br />
Bewusstsein für HIV <strong>und</strong> AIDS zu wecken.<br />
Maynard ist <strong>der</strong> Enkel eines Medizinmannes <strong>des</strong><br />
Navajo-Stammes <strong>und</strong> <strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> einzige Franziskaner<br />
aus diesem Stamm. Er erklärt: „Für uns [die<br />
Navajo] ist alles Leben heilig, die Sonne, die Erde,<br />
das Wasser <strong>und</strong> <strong>der</strong> Himmel, so wie beim hl. Franziskus,<br />
je<strong>der</strong> ist Mitglied unserer großen Familie.“<br />
Als Ges<strong>und</strong>heitserzieher <strong>und</strong> Streetworker, zusammen<br />
mit dem Navajo AIDS Network mit Sitz in
■ Leben<br />
Chinle, Arizona, hat Maynard herausgef<strong>und</strong>en, dass<br />
„Spiritualität <strong>der</strong> Schlüssel ist, um sich zu heilen“.<br />
Seine Mitbrü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> St. Michael’s Mission unterstützten<br />
Maynard’s Entscheidung, eine Arbeitsmethode<br />
zu entwickeln, die unkonventionell <strong>und</strong><br />
oft auch gefährlich ist. Seine ständige Präsenz auf<br />
den Straßen <strong>und</strong> seine Bereitschaft, auf die emotionalen<br />
<strong>und</strong> physischen Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschen<br />
dort zu hören, haben Maynard befähigt, die Anziehungskraft<br />
<strong>und</strong> den Einfluss <strong>der</strong> Franziskaner<br />
unter den indigenen Völkern zu verbreiten.<br />
Ein erfolgreiches AIDS-Erziehungsprogramm zu<br />
entwickeln, ist die beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung für<br />
die Brü<strong>der</strong> in Pakistan, wo islamische Gesetze die<br />
Tabus verstärken, über Sexualität zu diskutieren.<br />
Kushi Lai, aus <strong>der</strong> Provinz vom hl. Johannes dem<br />
Täufer in Pakistan, organisiert eine Reihe von<br />
populären AIDS-Bewusstsein-Workshops in verschiedenen<br />
Teilen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>und</strong> hat einige kreative<br />
Wege aufgezeigt, um mit den Beschränkungen<br />
<strong>der</strong> Regierung zurechtzukommen. In Pakistan<br />
arbeiten die meisten Friseure nicht in Geschäften,<br />
son<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong> Straße <strong>und</strong> schneiden Haare <strong>und</strong><br />
rasieren Männer mit einem Rasiermesser, das selten<br />
sterilisiert ist. Unterstützt von christlichen <strong>und</strong><br />
muslimischen Freiwilligen, beginnt das HIV-<br />
Bewusstseinsprogramm von Kushi damit, die Aufmerksamkeit<br />
auf die Risiken einer Infektion durch<br />
Rasiermesser <strong>und</strong> Behandlungsinstrumente von<br />
Zahnärzten zu lenken, bevor es ganz vorsichtig auf<br />
den Punkt <strong>der</strong> durch sexuelle Betätigung übertragenen<br />
Krankheiten kommt.<br />
Viele Brü<strong>der</strong> über die ganze Welt haben eine beson<strong>der</strong>e<br />
Verpflichtung für das Leben übernommen<br />
durch ihre Arbeit mit jungen Menschen aller Rassen,<br />
Religionen <strong>und</strong> sozialen Milieus. Von Sizilien<br />
bis Kolumbien arbeiten Brü<strong>der</strong> in Schulen, Jugendgruppen<br />
o<strong>der</strong> einfach in Pfarreien, um junge Menschen<br />
zu ermutigen, einen mutigen Standpunkt<br />
gegen Drogen, die Kultur <strong>des</strong> To<strong>des</strong> einzunehmen.<br />
Mit jugendlichen Ausreißern auf den Straßen New<br />
Yorks, USA, zu arbeiten, ist die persönliche Sendung<br />
von PLACID STROIK geworden. In dem<br />
Covenant House, wo Placid als seelsorglicher Direktor<br />
arbeitet, wird Jugendlichen Herberge <strong>und</strong> Sorge<br />
angeboten, die sie benötigen, um vom Leben auf<br />
<strong>der</strong> Straße wegzukommen. Beratung <strong>und</strong> Unterstützung<br />
sind zwei Aspekte von Placid’s seelsorglichem<br />
Wirken unter den jungen Menschen, die den Weg<br />
nach New York gewählt haben <strong>und</strong> die dabei oft zu<br />
Prostitution <strong>und</strong> Drogenabhängigkeit gezwungen<br />
wurden. Ihr Zustand <strong>der</strong> Verarmung ist oft nur das<br />
äußere Zeichen eines Lebens von Missbrauch <strong>und</strong><br />
Vernachlässigung. Viele begegnen in Placid <strong>und</strong> seinen<br />
Mitarbeitern den ersten Erwachsenen, denen<br />
sie wirklich vertrauen können. Seine Stellung<br />
gestattet es Placid, auch für die Beratung <strong>des</strong> Mitarbeiterstabes<br />
von Covenant House, oft selbst „Veteranen“<br />
<strong>der</strong> Straße, zu sorgen. In Zusammenarbeit<br />
mit an<strong>der</strong>en Fachleuten aus dem Sozialbereich <strong>und</strong><br />
dem Ges<strong>und</strong>heitswesen engagiert sich Placid als<br />
Anwalt zugunsten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
Amerikas, die, wie er sagt, „durch Drogen, Armut,<br />
Pornographie <strong>und</strong> die kulturellen Modelle, die ständig<br />
in Reklame <strong>und</strong> TV begegnen, kulturell ausgebeutet<br />
sind“.<br />
Generalkonstitutionen<br />
Artikel 7,3: Die Brü<strong>der</strong> „sollen durch die Liebe <strong>des</strong><br />
Geistes einan<strong>der</strong> freiwillig dienen <strong>und</strong> gehorchen“<br />
<strong>und</strong> dabei auf Anzeichen <strong>des</strong> Willens unseres Herrn<br />
<strong>und</strong> Gottes achten.<br />
Artikel 89,1: „Durch ihr Leben als Min<strong>der</strong>e in<br />
<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft bekennen“ die Brü<strong>der</strong>, „Christen<br />
zu sein“, <strong>und</strong> in diesem Tun beginnen sie ihre<br />
gemeinsame Verkündigung <strong>des</strong> Gottesreiches.<br />
Weitere Hinweise: Artikel 66,1-2; 67; 69,2; 71;<br />
96,1-3; 97,1-2; 98,2; 132.<br />
103
■ Leben<br />
Fragen für die Diskussion<br />
1. Welches sind in deiner Stadt die größten<br />
Hin<strong>der</strong>nisse, um die Achtung vor dem Leben<br />
in allen Phasen (von <strong>der</strong> Empfängnis bis<br />
zum natürlichen Tod) zu för<strong>der</strong>n?<br />
2. Erfahren Menschen dich als Verteidiger <strong>des</strong><br />
menschlichen Lebens, beson<strong>der</strong>s <strong>des</strong> Lebens<br />
<strong>der</strong> am meisten verletzlichen Mitglie<strong>der</strong><br />
deiner Gesellschaft?<br />
3. Besuchst du Brü<strong>der</strong>, die im Krankenhaus<br />
liegen o<strong>der</strong> chronisch krank sind?<br />
4. Erachtest du den hemmungslosen Konsumismus<br />
als Bedrohung für die Achtung <strong>des</strong><br />
Lebens in allen Phasen? Wenn ja, nimmst<br />
du darauf in deiner apostolischen Tätigkeit<br />
Bezug?<br />
5. Wie zeigt deine örtliche Gemeinschaft o<strong>der</strong><br />
Provinzgemeinschaft ihre Achtung vor dem<br />
<strong>und</strong> ihre Freude über das Leben?<br />
104<br />
6. Nehmen Anfragen über begleiteten Suizid in<br />
deiner Gesellschaft zu? Wie antwortest du<br />
darauf als Einzelner, als lokale Gemeinschaft,<br />
als Provinz?<br />
7. Unterstützen wir die Verteidigung <strong>des</strong><br />
Lebens, vom Augenblick seiner Empfängnis<br />
im Mutterleib bis zu seinem natürlichen<br />
Ende?<br />
8. Arbeiten wir mit an <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong><br />
Lebensqualität, damit sie wächst <strong>und</strong> eine<br />
für die Würde <strong>der</strong> menschlichen Person<br />
angemessene Höhe erreicht?<br />
9. Was sind die Angriffe auf das Leben, die<br />
in deinem Lebensumfeld am häufigsten<br />
vorkommen?
Individuelle <strong>und</strong><br />
kollektive Menschenrechte
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
Individuelle <strong>und</strong><br />
kollektive<br />
Menschenrechte<br />
§ 1 Wenn sie die Rechte <strong>der</strong> Unterdrückten verteidigen,<br />
sollen die Brü<strong>der</strong> auf Gewalttätigkeit verzichten<br />
<strong>und</strong> auf Mittel zurückgreifen, die auch sonst den<br />
Schwächeren zur Verfügung stehen.<br />
<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 69<br />
§ 3 Auch innerhalb <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> im Orden sollen<br />
die Brü<strong>der</strong> demütig <strong>und</strong> unbeirrt darauf hinwirken,<br />
dass die Rechte <strong>und</strong> die Menschenwürde aller anerkannt<br />
<strong>und</strong> beachtet werden.<br />
Artikel 96<br />
Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />
Die bereits im ersten Kapitel (Option für die<br />
Armen) dieses Teils gegebenen Beispiele sind auch<br />
hier passend, weil die marginalisierten Mitglie<strong>der</strong><br />
einer jeden Gesellschaft am stärksten <strong>der</strong> Gefahr<br />
ausgesetzt sind, dass ihre individuellen <strong>und</strong> kollektiven<br />
Menschenrechte beiseite geschoben werden.<br />
Vor seiner Bekehrung behandelte Franziskus auf<br />
genau diese Weise jene, die an Aussatz litten. Dies<br />
alles än<strong>der</strong>te sich eines Tages, als Franziskus einen<br />
Aussätzigen auf <strong>der</strong> Straße traf, (vom Pferd) herabstieg,<br />
ihm etwas Geld gab <strong>und</strong> ihn dann küsste.<br />
Einige Tage später besuchte Franziskus die Wohnorte<br />
<strong>der</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> tat das Gleiche. „In dieser<br />
Weise zog er das Bittere dem Süßen vor“ (2 Cel 9).<br />
Franziskus bestimmte, dass die Brü<strong>der</strong> Minister<br />
nichts befehlen durften, was gegen das Gewissen <strong>der</strong><br />
Brü<strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Regel verstoße. Die Brü<strong>der</strong> sollten<br />
mit ihren Ministern so sprechen können, wie Herren<br />
mit Knechten sprechen (BReg 10,5). Brü<strong>der</strong><br />
können jede ehrbare Arbeit übernehmen, die Arbeiten<br />
ausgenommen, die sie in irgendeinem Haus in<br />
leitende Positionen bringen würden (NbReg 7,1).<br />
Und ohne Zögern sollen die Brü<strong>der</strong> einan<strong>der</strong> ihre<br />
Nöte offenbaren (BReg 6,8). Obere unter den Brü<strong>der</strong>n<br />
sollen nicht an ihrem Amt kleben (Erm 4). Als<br />
eines Nachts ein Bru<strong>der</strong> schrie, dass er vor Hunger<br />
sterbe, stand Franziskus auf <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te die an<strong>der</strong>en<br />
Brü<strong>der</strong> auf, mit ihm <strong>und</strong> dem Bru<strong>der</strong> zu essen,<br />
<strong>der</strong> geschrien hatte. Dann sprach er zu ihnen über<br />
die Tugend <strong>der</strong> Klugheit <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te sie auf, dem<br />
Leib nicht das Nötige zu entziehen (2 Cel 22).<br />
Die Regierenden sollen sich in Erinnerung rufen,<br />
dass sie eines Tages von Gott gerichtet werden <strong>und</strong><br />
dass sie <strong>des</strong>wegen nicht von den Geboten Gottes<br />
abweichen, son<strong>der</strong>n ihren Untergebenen helfen sollen,<br />
Gott in Ehren zu halten (BrLenk). Bru<strong>der</strong> Leo<br />
wird ermutigt, den Weg zu nehmen, <strong>der</strong> Gott am<br />
meisten gefällt <strong>und</strong> „seinen Fußspuren <strong>und</strong> seiner<br />
Armut zu folgen“ (BrLeo). Wenn ein erst vor einer<br />
St<strong>und</strong>e aufgenommener Novize sein Guardian<br />
würde, würde <strong>der</strong> Poverello diesem Novizen freudig<br />
gehorchen (LegMai VI,4). Die Achtung <strong>des</strong><br />
Franziskus vor je<strong>der</strong> Person erstreckte sich selbst<br />
auf Ungläubige <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ige Feinde <strong>des</strong><br />
Evangeliums Christi.<br />
Reflexion<br />
Vergangene <strong>und</strong> heutige<br />
Entwicklungen<br />
in den Menschenrechten<br />
Menschenrechte, ein gängiger Begriff in jüngster<br />
Zeit, sind Ausdruck einer kollektiven Bewusstwerdung<br />
<strong>und</strong> Symbol <strong>des</strong> Kampfes vieler sozialer Bewegungen<br />
<strong>und</strong> ganzer Völker. Obgleich ihre juristische<br />
<strong>und</strong> politische Formulierung jüngeren Ursprungs<br />
ist, finden sich ihre Wurzeln in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />
menschlichen Zivilisation. Auch primitive Völker<br />
organisieren ihr Zusammenleben um Werte wie<br />
Leben, Familie, Ehre, Arbeit <strong>und</strong> Besitz <strong>und</strong> schaffen<br />
ihre Bräuche, Normen <strong>und</strong> religiösen Riten.<br />
Offiziell anerkannt in weltweiten Deklarationen,<br />
107
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
Konventionen <strong>und</strong> nationalen Verfassungen sind<br />
die Menschenrechte wie <strong>der</strong> Zusammenfluss vieler<br />
Wasser, aus dem fortwährend neue Freiheiten,<br />
Rechte <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten für individuelle<br />
Personen <strong>und</strong> Völker in <strong>der</strong> gesamten Welt entspringen.<br />
Da juristisch bekräftigt, trotz <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit<br />
in Interpretationen, schützen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n<br />
Menschenrechte das Wohlergehen aller Bürger, ihre<br />
Freiheiten, Leben, Sicherheit, Erziehungsbedingungen,<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Arbeit. Sie organisieren <strong>und</strong><br />
regulieren die wechselseitigen Beziehungen zwischen<br />
Individuen <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> die Beziehungen<br />
zwischen Nationen. Als ein Prototyp, als<br />
Rahmen <strong>der</strong> Menschenrechte werden heute die<br />
Unabhängigkeitserklärung von Nordamerika 1776<br />
<strong>und</strong> die Erklärung <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> Bürger <strong>der</strong><br />
französischen Revolution von 1789 verwendet.<br />
Die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />
sind für unabsehbare Zeiten diesen<br />
Deklarationen eingeprägt. Erst nach den Schrecken,<br />
<strong>der</strong> Zerstörung <strong>und</strong> dem Opfer vieler Millionen<br />
Menschen im Zweiten Weltkrieg wurden die Menschenrechte<br />
weltweit anerkannt, von den Vereinten<br />
Nationen ratifiziert <strong>und</strong> von fast allen Regierungen<br />
unterzeichnet.<br />
In einem liberalen Geist übernimmt die „Universale<br />
Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte“ die Verteidigung<br />
<strong>und</strong> den Schutz aller Menschen, schützt ihre Freiheiten<br />
<strong>und</strong> Rechte gegenüber je<strong>der</strong> Diskriminierung,<br />
gemäß <strong>der</strong> Gleichheit vor dem Gesetz in<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> angewandt. Die Deklaration umfasst<br />
die Rechte auf Privatsphäre, Besitz <strong>und</strong> demokratische<br />
Teilhabe (1948). Unter dem starken Einfluss<br />
<strong>des</strong> Sozialismus <strong>und</strong> nach vielen Diskussionen hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> primären kollektiven Rechte, wurde<br />
<strong>der</strong> politische, ökonomische, soziale <strong>und</strong> kulturelle<br />
Pakt zwischen Nationen formuliert <strong>und</strong> bekräftigt<br />
(1966). Mit <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> Souveränität <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> inneren Selbstbestimmung eines jeden Lan<strong>des</strong>,<br />
verpflichteten sich die Beitrittslän<strong>der</strong> Gleichheit<br />
zwischen Frauen <strong>und</strong> Männern, das Recht auf<br />
Arbeit, ökonomische Entwicklung, sichere <strong>und</strong><br />
hygienische Bedingungen für die Arbeiter, Freiheit<br />
für Zusammenschlüsse, das Recht auf soziale<br />
Sicherheit, beson<strong>der</strong>s für arbeitende Mütter <strong>und</strong><br />
Frauen sowie Verbesserung <strong>des</strong> Wohlstands <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Erziehung auf je<strong>der</strong> Ebene sicherzustellen. An<strong>der</strong>e<br />
108<br />
internationale Konventionen vertieften diese<br />
Rechte, verdeutlichten sie <strong>und</strong> schlossen durchweg<br />
die Dringlichkeit hinsichtlich <strong>der</strong> Bedeutung eines<br />
besseren Umgangs mit <strong>der</strong> Schöpfung mit ein.<br />
Menschenrechte in südlichen Län<strong>der</strong>n<br />
Beim Blick auf die Welt aus <strong>der</strong> Perspektive Lateinamerikas,<br />
ist die erste Reaktion auf ein Gespräch<br />
über Menschenrechte eine Erschütterung über den<br />
abgr<strong>und</strong>tiefen Kontrast zwischen „Theorie <strong>und</strong><br />
Praxis“, zwischen dem leuchtendem Ideal <strong>und</strong> dem<br />
Leben von Millionen von Leidenden. Dieser Kontrast<br />
for<strong>der</strong>t weiterhin eine verantwortliche menschlicher<br />
Teilhabe heraus, die Kluft zu überbrücken.<br />
Die tatsächliche Welt ist nicht wie ein ordentlich<br />
hergerichtetes Vogelnest, von eifrigen Vögeln gut<br />
versorgt, mit Unterkunft, Verpflegung <strong>und</strong> Flugfreiheit<br />
für alle. Im Gegenteil ist sie eine Gesellschaft<br />
grausiger Gegensätze <strong>und</strong> Ungerechtigkeit,<br />
mangeln<strong>der</strong> Solidarität <strong>und</strong> blindem Egoismus,<br />
Reichtümern <strong>und</strong> Luxus neben Massen von Armen<br />
<strong>und</strong> armseligen Menschen; das Erwachen von Millionen<br />
Menschen <strong>und</strong> ihr Hunger nach Freiheit <strong>und</strong><br />
Leben inmitten von Sklaverei <strong>und</strong> unnatürlichem<br />
Tod. Millionen von Kin<strong>der</strong>n fallen dem gegenwärtig<br />
herrschenden System <strong>der</strong> Arbeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Konsums<br />
zum Opfer. Um wenige Gruppen reicher zu<br />
machen, wird die Natur erbarmungslos ausgebeutet<br />
zum Schaden <strong>der</strong> Armen, <strong>und</strong> es werden Land,<br />
Wasser <strong>und</strong> Luft verschmutzt, alles notwendige<br />
Dinge für das menschliche Überleben.<br />
Menschenrechte gelten für alle Menschen o<strong>der</strong> sie<br />
verlieren ihre Gültigkeit. Die alten Römer unterschieden<br />
zwischen IUS IN RE <strong>und</strong> IUS IN SPE, den<br />
aktuellen Rechten, die das Volk tatsächlich hatte,<br />
<strong>und</strong> den Rechten, die eine Hoffnung waren, ein<br />
noch nicht verwirklichtes Ideal. In Wirklichkeit<br />
besitzen Millionen in unserer Welt nur geringe<br />
Hoffnung, dass sie diese Rechte erhalten werden.<br />
Je mehr die Globalisierung in unserer Gesellschaft<br />
Platz greift <strong>und</strong> sich auf <strong>der</strong> ganzen Welt durchsetzt,<br />
umso offensichtlicher wird das schreiende Unrecht<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> deutliche Abstand zwischen den sozialen<br />
Klassen hinsichtlich Macht, Besitz, Freiheit, den<br />
Bedingungen <strong>des</strong> Wohlergehens <strong>und</strong> Überlebens,<br />
Erziehung, Sicherheit, sozialen Ges<strong>und</strong>heits-
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
diensten usw.. Friede ohne <strong>Gerechtigkeit</strong> zeigt sich<br />
vor allem als Verschleierung für eine ungerechte<br />
menschliche Wirklichkeit, in <strong>der</strong> Millionen von<br />
Personen, – Männer, Frauen, Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> ältere<br />
Menschen –, Opfer sind.<br />
Franziskus, franziskanische Tradition<br />
<strong>und</strong> Menschenrechte<br />
In <strong>der</strong> weiten Sphäre <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Menschenrechte<br />
scheint die Inspiration, die Franziskus von Assisi<br />
seinen Brü<strong>der</strong>n mitgeteilt hat, ein frem<strong>des</strong>, unübliches<br />
<strong>und</strong> nutzloses, um nicht zu sagen antiquiertes<br />
Werkzeug zu sein. Es ist ein schwieriges Unterfangen,<br />
eine Brücke über sieben Jahrh<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> zwischen<br />
zwei Welten zu schlagen, die so unterschiedlich<br />
sind wie die mittelalterliche <strong>und</strong> die mo<strong>der</strong>ne,<br />
post-mo<strong>der</strong>ne Welt. „Menschenrechte“ sind keine<br />
Theorie, son<strong>der</strong>n ein Programm persönlichen <strong>und</strong><br />
kollektiven Lebens, das einerseits zum Handeln<br />
motiviert <strong>und</strong> führt, das an<strong>der</strong>erseits mehr <strong>und</strong><br />
mehr Verletzungen erleidet, die schwer hinzunehmen<br />
sind.<br />
Die ersten Christen hatten niemals von Menschenrechten<br />
gehört. Der Begriff gehört nicht zum Wortschatz<br />
<strong>des</strong> Franziskus, dieses armen Mannes Jesu.<br />
Er war jedoch kein Mensch, <strong>der</strong> in einem Grab<br />
o<strong>der</strong> Reliquienschrein lebte. Die Bewegung, die er<br />
anstieß, setzt sich noch heute stark <strong>und</strong> lebendig<br />
in <strong>der</strong> Welt fort. Die Vitalität dieses Christen, <strong>der</strong><br />
treu zur Kirche stand, inspiriert weiterhin viele<br />
mo<strong>der</strong>ne Menschen, auch solche außerhalb <strong>des</strong><br />
Christentums.<br />
Der arme Mann aus Assisi strahlt mit den Stigmata,<br />
als ob sie ein Zeichen Christi wären, noch heute den<br />
Geist <strong>des</strong> Wortes in die Welt, das Fleisch annahm<br />
<strong>und</strong> unter uns wohnte, voller Liebe <strong>und</strong> Wahrheit.<br />
Sicherlich war Franziskus geprägt vom historischen,<br />
politischen <strong>und</strong> kirchlichen Umfeld seiner Zeit;<br />
doch er überwand diese Begrenzungen durch seine<br />
Lektüre <strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong> seinen Mut, es als seine<br />
persönliche Lebensweise <strong>und</strong> seinen Lebensstil in<br />
<strong>der</strong> Welt zu nehmen. Seine offene Kommunikation<br />
mit den Aussätzigen <strong>und</strong> Fürsten, Führern <strong>und</strong><br />
Bettlern, Eliten <strong>und</strong> Armen <strong>und</strong> die tiefe Achtung,<br />
mit <strong>der</strong> er alle Geschöpfe behandelte, waren eine<br />
ungewohnte menschliche Erfahrung. Dieser Mann<br />
ist fähig, neue Generationen zu motivieren, sich<br />
dem Leiden von Menschen ohne f<strong>und</strong>amentale<br />
Menschenrechte zu stellen: schöne Rechte, auf dem<br />
Papier angenommen <strong>und</strong> formuliert, geschmückt<br />
mit vielen bedeutenden Unterschriften, doch in<br />
Wirklichkeit nicht praktiziert.<br />
Der Narr genannt, wusste Franziskus von Assisi<br />
nichts von sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Indikatoren,<br />
Tabellen, Statistiken, die in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Welt zirkulieren. Doch er durchdrang tief die<br />
Wirklichkeit seiner Zeit <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>te sie. Der<br />
Ausdruck „Die Liebe wird nicht geliebt“ vermittelt<br />
gut <strong>und</strong> ohne jede Sentimentalität die Klarheit <strong>des</strong><br />
Glaubens, in <strong>der</strong> er seine Gesellschaft als eine von<br />
Großen <strong>und</strong> Kleinen, Reichen <strong>und</strong> Armen, Mächtigen<br />
<strong>und</strong> Ohnmächtigen, freien Bürgern <strong>und</strong> Ausgeschlossenen<br />
analysierte <strong>und</strong> bewertete. In dieser<br />
Klarheit deutete er auch die vielen Konflikte,<br />
Gewalthandlungen <strong>und</strong> Kriege seiner Zeit.<br />
Das Evangelium war für ihn jedenfalls nicht eine<br />
Frage <strong>des</strong> Wissens, son<strong>der</strong>n vielmehr ein Leben <strong>des</strong><br />
Handelns, das mit dem Dienst an den Aussätzigen<br />
<strong>und</strong> dem Schleppen <strong>der</strong> Steine <strong>und</strong> <strong>des</strong> Zements für<br />
die Restaurierung alter Kapellen begann. In Gottes<br />
Plan lief dies auf eine Bewegung von vielen Männern<br />
<strong>und</strong> Frauen hinaus, die im Gegensatz zur<br />
„Welt“ kleine, arme <strong>und</strong> besitzlose Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />
Schwestern wurden, frei, um allen in Demut zu<br />
dienen <strong>und</strong> durch das Zeugnis ihres Lebens das<br />
Evangelium bis an die Enden <strong>der</strong> Erde zu verkünden.<br />
Von <strong>der</strong> päpstlichen <strong>und</strong> <strong>der</strong> kaiserlichen Macht<br />
dominiert, stellte das Mittelalter kein günstiges<br />
Klima dar für die Formulierung von Rechten einer<br />
jeden menschlichen Person. Die Sprache, die in<br />
Philosophie <strong>und</strong> Theologie vorherrschte, war allgemein<br />
<strong>und</strong> universal, mit geringem Interesse am<br />
Konkreten, am zufällig Vorhandenen o<strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />
Vielfalt <strong>der</strong> Formen. Zwei Franziskaner halfen, diese<br />
Denkform zu brechen. Die Zeichen <strong>der</strong> Zeit lesend<br />
betonte Duns Scotus die Individualität von Menschen<br />
<strong>und</strong> Dingen, geschaffen gemäß dem Bilde<br />
Christi. Die Liebe Gottes arbeitet nicht mit Konzepten<br />
<strong>und</strong> abstrakten Kategorien, son<strong>der</strong>n mit<br />
Individuen, die Namen <strong>und</strong> Antlitz haben. Wenn<br />
109
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
wir abstraktes Theoretisieren über Natur o<strong>der</strong><br />
gemeinsame menschliche Würde überwinden wollen,<br />
sind wir verpflichtet, die Kluft zwischen Menschen<br />
hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, Rechte <strong>und</strong><br />
Verantwortlichkeiten zu schließen. Wilhelm von<br />
Ockham führt diese Stoßrichtung fort. In seiner<br />
Sicht erschafft Gott Menschen <strong>und</strong> Dinge einzeln<br />
<strong>und</strong> verschieden in voller Freiheit. Die empirische<br />
Wahrnehmung <strong>der</strong> Wirklichkeit in ihrer Unterschiedlichkeit<br />
bekommt Vorrang <strong>und</strong> bildet die<br />
Gr<strong>und</strong>lage für ethisches Handeln mit seinem Licht<br />
<strong>und</strong> Schatten. Im Wi<strong>der</strong>stand gegen die Konzentration<br />
<strong>der</strong> Macht wurde Ockham <strong>der</strong> „Vater <strong>der</strong><br />
konziliaren Kirche“, <strong>der</strong> den Gläubigen <strong>und</strong> ihren<br />
Vertretern eine hörbare Stimme beim Aufbau <strong>des</strong><br />
Leibes Christi auf Erden gab.<br />
Für die Brü<strong>der</strong> ist Franziskus <strong>der</strong> Weg, das Evangelium<br />
zu leben, d.h. dem Herrn Jesus (zu folgen).<br />
Offene Solidarität mit allen, um alle zu retten,<br />
kennzeichnete das Leben Jesu. Er tat allen Gutes<br />
<strong>und</strong>, durch die Gnade Gottes, gab er sich in den<br />
Tod zugunsten aller Menschen (Mk 7,37; Hebr<br />
2,9). Von den Toten auferweckt begann er das große<br />
Werk <strong>der</strong> Unterordnung, durch die Mitarbeit <strong>der</strong><br />
gesamten Schöpfung. Wenn schließlich alles Christus<br />
unterworfen sein wird, wird sich Christus, <strong>der</strong><br />
einzige Sohn, Gott unterwerfen, <strong>und</strong> Gott wird<br />
alles in allem sein (Röm 8,18-25; 1 Kor 15,28).<br />
Innerhalb dieses weiten Panoramas von Liebe, Hingabe<br />
<strong>und</strong> Dienst findet die franziskanische Bewegung<br />
den Gr<strong>und</strong> ihrer Lebendigkeit <strong>und</strong> ihrer<br />
Arbeit. Es ist offensichtlich, dass die Brü<strong>der</strong> die<br />
Normen <strong>der</strong> zivilen Gesetze in <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
beachten müssen, wenn an<strong>der</strong>e für die Bru<strong>der</strong>schaft<br />
arbeiten (GG.CC. 80,2). Es ist ebenso klar, dass das<br />
Kirchenrecht die Rechte <strong>der</strong> Gläubigen, Laien <strong>und</strong><br />
Kleriker <strong>und</strong> ihrer Vereinigungen regelt (CIC, §§<br />
208-329). Die leidende menschliche Welt ist jedoch<br />
viel größer als Orden <strong>und</strong> katholische Kirche.<br />
Franziskanische Sendung<br />
zur Arbeit für die Menschenrechte<br />
Als Diener Christi <strong>und</strong> Verwalter <strong>der</strong> Geheimnisse<br />
Gottes auf ihrer Reise durch die Welt arbeiten die<br />
Brü<strong>der</strong> daran, alle Dinge im Himmel <strong>und</strong> auf Erden<br />
durch Christus mit Gott zu versöhnen (1 Kor 4,1;<br />
110<br />
Eph 1,10; Kol 1,20). Durch Christus, den Weg,<br />
die Wahrheit <strong>und</strong> das Leben (Joh 14,6), wurde <strong>der</strong><br />
Stand <strong>des</strong> Menschen radikal verän<strong>der</strong>t. Aber <strong>der</strong><br />
Weg aus Unterdrückung zu neuer Freiheit, zu<br />
Friede <strong>und</strong> wahrer <strong>Gerechtigkeit</strong> ist auf die Hilfe<br />
<strong>der</strong>jenigen angewiesen, die in <strong>der</strong> Nachfolge ihres<br />
Meisters den Pilgernden auf ihrer Reise beistehen.<br />
Sie sind in beson<strong>der</strong>er Weise gerufen, den Armen,<br />
Bedürftigsten <strong>und</strong> Ausgegrenzten zu helfen, ihre<br />
Häupter zu erheben <strong>und</strong> ihre Würde zu erlangen,<br />
indem sie <strong>der</strong>en Rechte sichern. Trotz ihrer säkularen<br />
Ausformulierung schließen die Menschenrechte<br />
die <strong>Gerechtigkeit</strong> Gottes <strong>und</strong> die christliche Hoffnung<br />
ein <strong>und</strong> treffen damit <strong>der</strong>en gr<strong>und</strong>legende<br />
<strong>und</strong> überweltliche Bedeutung, d.h. die noch an den<br />
Leiden dieser Zeit stöhnende Schöpfung zu retten<br />
(Röm 8).<br />
Die Globalisierung <strong>der</strong> ökonomischen <strong>und</strong> politischen<br />
Macht, konzentriert in den Händen weniger<br />
Menschen, bildet eine beständige Quelle für Verletzungen<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte gegen das Leben <strong>und</strong><br />
Wohlergehen <strong>der</strong> Mehrheit, die mehr <strong>und</strong> mehr<br />
gewalttätige Reaktionen hervorruft. Doch selbst<br />
reiche Län<strong>der</strong> beginnen, arme, ausgegrenzte,<br />
arbeitslose, drogenabhängige <strong>und</strong> junge Menschen<br />
ohne Zukunft zu entdecken. Der Prozentsatz ist<br />
unterschiedlich von Land zu Land, von Gegend zu<br />
Gegend. Eine Großstadt in Lateinamerika, eine<br />
frühere Kolonie in Afrika, ein muslimisches o<strong>der</strong><br />
ein buddhistisches Land haben ihre je eigenen<br />
menschlichen Probleme <strong>und</strong> bieten beson<strong>der</strong>e<br />
Lebensstile <strong>und</strong> eine evangeliumsgemäße Praxis für<br />
die Brü<strong>der</strong>, gemäß <strong>der</strong> Inspiration <strong>des</strong> Herrn.<br />
Weil die franziskanischen Gemeinschaften vor Ort<br />
leben, genügt es nicht, die Dokumente <strong>der</strong> UNO,<br />
<strong>der</strong> Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation usw. zu haben.<br />
Jede Gemeinschaft muss über die lokale Situation<br />
<strong>der</strong> Menschen nachdenken <strong>und</strong> die Bedingungen<br />
<strong>und</strong> Möglichkeiten <strong>des</strong> Handelns in ihrer Gegend<br />
studieren, um zu vermeiden, angesichts <strong>der</strong> globalen<br />
Statistiken in lähmen<strong>des</strong> Nichtstun zu verfallen.<br />
Deshalb beginnt Bewusstseinsarbeit dort, wo die<br />
Brü<strong>der</strong> als För<strong>der</strong>er sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong> inmitten <strong>der</strong> Armen, Unterdrückten <strong>und</strong><br />
Schwächsten leben <strong>und</strong> arbeiten. Frei von je<strong>der</strong><br />
Furcht <strong>und</strong> als <strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong> Versöhnung sind die<br />
Brü<strong>der</strong> gerufen, für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
zu arbeiten, die bis heute den Unterdrückten
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
verweigert worden sind. In enger Nachahmung <strong>der</strong><br />
tiefen Liebe <strong>des</strong> Franziskus zur gesamten Schöpfung,<br />
von Bru<strong>der</strong> Sonne bis zu Schwester Ameise,<br />
sollen die Brü<strong>der</strong> dazu beitragen, Ehrfurcht vor<br />
Mutter Natur zu entwickeln, damit sie das Wohlergehen<br />
aller Menschen zu sichern vermag (GG.CC.<br />
69-71).<br />
In <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne verging viel Zeit, bis die Kirche<br />
wie<strong>der</strong> einen Dialog mit <strong>der</strong> Welt begann. Enzykliken,<br />
soziale <strong>und</strong> politische Botschaften von Leo<br />
XIII., Pius XI. <strong>und</strong> Pius XII. sind bekannt. Doch<br />
erst mit Johannes XXIII. griff das Lehramt die Menschenrechte<br />
explizit auf, in Verbindung mit an<strong>der</strong>en<br />
damit zusammenhängenden Rechten <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten,<br />
<strong>und</strong> stellte sie in den Kontext <strong>des</strong><br />
Evangelium <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong> Christen auf<br />
<strong>der</strong> Erde (PACEM IN TERRIS, 1963). Das Zweite<br />
Vatikanische Konzil fügte zwei bedeutende Dokumente<br />
hinzu: Die Kirche in <strong>der</strong> Welt von heute<br />
(„GAUDIUM ET SPES“) <strong>und</strong> die ERKLÄRUNG ÜBER<br />
DIE RELIGIONSFREIHEIT („DIGNITATIS HUMANAE“).<br />
Paul VI. <strong>und</strong> Johannes Paul II. führten diese Entwicklung<br />
weiter in Antwort auf neue Probleme <strong>der</strong><br />
heutigen Welt. Trotz großen Wi<strong>der</strong>stands wurden<br />
die Menschenrechte ein integraler Bestandteil<br />
<strong>der</strong> Soziallehre <strong>der</strong> Kirche wie auch <strong>der</strong> Praxis vieler<br />
katholischer Laien.<br />
Heutzutage werden abstrakte Namen wie Kapitalismus,<br />
Neoliberalismus, Entwicklung <strong>und</strong> Globalisierung<br />
verwendet, um die weiter wachsende Kluft in<br />
Wissen, Macht, Gütern <strong>und</strong> Besitz zwischen reichen<br />
<strong>und</strong> armen Nationen, zwischen Nord <strong>und</strong> Süd<br />
zu verschleiern. Ein Gemeinschaftsbewusstsein <strong>und</strong><br />
Gespür für Solidarität ist schwach entwickelt. Die<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> Franziskus von Assisi können nicht warten,<br />
bis das über die Menschenrechte Geschriebene<br />
tot ist <strong>und</strong> seine Opfer nur weiter ausgegrenzt sind.<br />
Der hl. Franziskus warnte, dass die Diener Gottes<br />
über die Ungerechtigkeit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en nicht betrübt<br />
o<strong>der</strong> verärgert sein, son<strong>der</strong>n dass sie sich in Solidarität<br />
auf die Seite <strong>der</strong> Schwachen <strong>und</strong> Armen stellen<br />
sollten, damit diese eine menschliche Stellung in<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft gewännen. Zwei Jahrtausende<br />
Evangelisierung bezeugen, wie langsam dieses Ferment<br />
die menschlichen Massen durchdringt. Die<br />
Verwirklichung <strong>der</strong> Menschenrechte erfor<strong>der</strong>t<br />
Geduld <strong>und</strong> Durchhaltevermögen. Auschwitz,<br />
Hiroshima <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gulag bleiben Zeichen, dass die<br />
Straße zu ihrer Realisierung we<strong>der</strong> breit noch<br />
eben ist. Jene, die bis zum Ende standhaft bleiben,<br />
werden gerettet (vgl. Mk 13,13).<br />
Gemäß dem Modell <strong>des</strong> Franziskus leben die<br />
Brü<strong>der</strong> nicht für sich, son<strong>der</strong>n für an<strong>der</strong>e innerhalb<br />
<strong>und</strong> außerhalb <strong>der</strong> institutionellen Kirche. In diesem<br />
Leben <strong>des</strong> Dienstes ohne Grenzen, helfen uns<br />
die Menschenrechte, die menschlichen Bedürfnisse<br />
in den Gesichtern <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> leidenden Menschen<br />
zu entdecken. Für jene, die sich dem Evangelium<br />
verpflichten, ist die vorrangige Option für<br />
die Armen nicht eine Verzierung, son<strong>der</strong>n eine<br />
Verpflichtung. Das Kriterium <strong>des</strong> letzten Gerichts<br />
über die Menschheit ist unsere Solidarität mit den<br />
geringsten unserer Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern. Je<strong>des</strong><br />
Mal, wenn du den geringsten meiner Schwestern<br />
<strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>, den Kleinen, Armen, Verlassenen,<br />
Kranken, an den Rand Gedrängten <strong>und</strong> aus <strong>der</strong><br />
Gesellschaft Ausgeschlossenen Gutes getan hast,<br />
hast du es mir getan (vgl. Mt 25,31-46). Wo Menschenrechte<br />
verletzt werden, zeigt sich Sünde in<br />
ihrer ganzen Bösartigkeit. Doch die Gnade Gottes<br />
wird noch überfließen<strong>der</strong> sein durch die vermittelnde<br />
Hingabe <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> (vgl. Röm 5,20).<br />
Das Eintreten in die Sphäre <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
zugunsten <strong>der</strong> Armen, Misshandelten <strong>und</strong> Marginalisierten<br />
zu lernen ist nicht leicht. Franziskaner sind<br />
nicht gewohnt, ohne Unterkunft, Arbeit, Nahrung,<br />
Dienstleistungen, Schule <strong>und</strong> Geld zu sein. Auch<br />
wenn es gegen unseren Willen sein mag, erwarten<br />
wir leicht Privilegien, Geld für unsere Arbeit, wohlwollende<br />
Hilfe <strong>und</strong> soziale Unterstützung im Fall<br />
eines Gerichtsprozesses o<strong>der</strong> eines Gefängnisaufenthalts,<br />
die sich aus den Kämpfen ergeben können,<br />
an denen wir auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Armen teilnehmen.<br />
In Län<strong>der</strong>n mit wenigen Priestern sind viele Franziskaner<br />
durch die Amtsaufgaben in <strong>der</strong> kleinen Welt<br />
<strong>der</strong> örtlichen Pfarrei absorbiert. Um Solidarität mit<br />
den sozialen Klassen zu entwickeln, die an den<br />
Rän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gesellschaft leben, muss <strong>der</strong> Komfort<br />
<strong>der</strong> Mittelklasse durchbrochen werden, die an den<br />
Türen unserer Konvente lebt.<br />
Die franziskanische Mentalität, die „außer unsere<br />
Laster <strong>und</strong> Sünden“ nichts ihr Eigentum nennen<br />
will (NbReg 17,7), öffnet die Tür für die gewöhnliche<br />
Arbeit in Welt <strong>und</strong> Kirche, in Zusammenarbeit<br />
mit lokalen Bewegungen, Nichtregierungs-<br />
111
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
Organisationen <strong>und</strong> offiziellen staatlichen Diensten<br />
auf dem Gebiet <strong>der</strong> Menschenrechte, Lebensqualität,<br />
Ökologie <strong>und</strong> weltweiter Politik. Da die<br />
Probleme, die die Menschheit quälen, nicht jeman<strong>des</strong><br />
Eigentum sind, bleiben auch ihre Lösungen<br />
nicht das Monopol einer einzigen Größe. Selbst<br />
in katholischen Län<strong>der</strong>n hat die Kirche nicht die<br />
Macht, angemessene Antworten auf die menschlichen<br />
Bedürfnisse <strong>der</strong> armen Menschen, <strong>der</strong>er<br />
ohne Macht, zu geben. Die drei Schritte „Sehen,<br />
Urteilen, Handeln“ erfor<strong>der</strong>n, dass die Brü<strong>der</strong> die<br />
unmenschliche Wirklichkeit <strong>der</strong> Armen analysieren,<br />
ausführbare Optionen entwickeln <strong>und</strong> Pläne ausarbeiten,<br />
die den Kreis von paternalistischer Hilfe<br />
brechen. Die Hauptsubjekte jeden Handelns sind<br />
die Opfer, die in ihren gr<strong>und</strong>legenden Menschenrechten<br />
verletzt sind. Arme Menschen sagen,<br />
„Möge Gott gepriesen werden“.<br />
Menschenrechte, Ergebnis einer langen Geschichte<br />
<strong>der</strong> Menschheit, kennen keinen Stillstand <strong>der</strong> Entwicklung,<br />
we<strong>der</strong> in Theorie noch in Praxis. Angesichts<br />
<strong>der</strong> Proteste <strong>und</strong> Demonstrationen <strong>des</strong> Aufruhrs,<br />
politischer Propaganda <strong>und</strong> bewaffneter<br />
Kämpfe tauchen neue Rechte auf <strong>und</strong> werden fest<br />
im Bewusstsein <strong>der</strong> Allgemeinheit verankert. Im<br />
Gefolge ihres ständigen Entstehens bilden sich in<br />
vielen Län<strong>der</strong>n neue soziale Subjekte, Gruppen,<br />
Vereine <strong>und</strong> Nichtregierungs-Organisationen <strong>und</strong><br />
versuchen ihren berechtigten Platz durch Anerkennung<br />
<strong>und</strong> Wachsen zu erreichen. Arbeiter, Frauen,<br />
Jugendliche, Ältere, benachteiligte Menschen, Min<strong>der</strong>heiten<br />
<strong>und</strong> an den Rand gedrängte Gruppen<br />
kämpfen um die Verbesserung ihrer Situation,<br />
damit sie als Menschen mit vollen Rechten anerkannt<br />
werden. For<strong>der</strong>ungen nach sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden, Arbeit, Sicherheit, neuer ökonomischer<br />
Ordnung, Demokratie <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Natur erheben sich auf <strong>der</strong> ganzen Welt. „Brü<strong>der</strong>,<br />
nun wollen wir anfangen“ (1 Cel 103).<br />
112<br />
Bernardino Leers <strong>OFM</strong><br />
Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />
Wenn du gegenüber irgendjemandem in Brasilien<br />
heute das Thema <strong>der</strong> Menschenrechte erwähnst,<br />
wird sehr wahrscheinlich <strong>der</strong> Name eines Mannes<br />
genannt werden. Im letzten Viertel <strong>des</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
ist KARDINAL PAULO EVARISTO ARNS als einer<br />
<strong>der</strong> größten Verteidiger <strong>der</strong> Menschenrechte <strong>der</strong><br />
Armen <strong>und</strong> Unterdrückten in Lateinamerika<br />
bekannt geworden, <strong>der</strong> mutig gegen die schlimmsten<br />
Exzesse <strong>des</strong> 21 Jahre herrschenden Militärregimes<br />
aufstand, das 1985 endete.<br />
Während dieser zwei Jahrzehnte <strong>der</strong> Unterdrückung<br />
<strong>und</strong> Furcht expandierte die brasilianische Ökonomie<br />
mit Hilfe von billigen ausländischen Anleihen,<br />
was Millionen von hoffnungsvollen Menschen veranlasste,<br />
auf <strong>der</strong> Suche nach Arbeit in Städte wie<br />
Sao Paulo zu ziehen. Doch es zeigte sich bald, dass<br />
das ökonomische Wachstum nur einer kleinen Elite<br />
zugute kam, während die Lebensbedingungen <strong>der</strong><br />
breiten Bevölkerungsmehrheit absanken. Die von<br />
Arns angestoßene Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden von Sao Paulo veröffentlichte 1976 ein<br />
Buch, das im Detail die Verbindungen zwischen<br />
ökonomischen Wachstum, institutionalisierter<br />
Gewalt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Armut <strong>der</strong> Menschen aufzeigte.<br />
Schon lange zuvor hatte Arns <strong>der</strong> Erzdiözese seinen<br />
Stempel aufgedrückt, indem er Ordensleute <strong>und</strong><br />
ausgebildete Laien ermutigte, das Evangelium aus<br />
den wohlhabenden Innenstadt-Pfarreien heraus in<br />
die verarmten Slums zu bringen, die an <strong>der</strong> Peripherie<br />
entstanden. Dieser volkstümliche Schritt in den<br />
60er Jahren legte die Gr<strong>und</strong>lagen für die Basisgemeinden,<br />
die das neue Gesicht <strong>der</strong> Kirche in Brasilien<br />
prägten, wie auch an<strong>der</strong>swo in Lateinamerika.<br />
Von den ersten Tagen als Weihbischof im Norden<br />
Sao Paulos an, zeigte sich Arns den Rechten <strong>der</strong><br />
Armen verpflichtet. Er wurde schnell bekannt als<br />
„Bischof, <strong>der</strong> den Bus benutzte“. Während er so<br />
durch die Diözese reiste, sah er aus erster Hand, was<br />
getan werden musste, um die Notlage einer wachsenden<br />
Zahl von Familien zu verbessern, die in<br />
äußerster Armut <strong>und</strong> Verwahrlosung lebten. Als<br />
er 1970 Erzbischof <strong>der</strong> Stadt wurde, schockte er<br />
viele in <strong>der</strong> Kirche durch den Verkauf <strong>des</strong> Bischofspalastes<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> umgebenden Parkes. Er bestimmte<br />
den Erlös für den Bau von Gemeinschaftszentren in<br />
den verarmten Zonen. Die Sicht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Enthusias-
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
mus von Arns waren stark geprägt von <strong>der</strong> Arbeit<br />
<strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils, wie auch von<br />
seinen eigenen Erfahrungen in den FAVELAS von Rio<br />
de Janeiro während seiner ersten Priesterjahre. Don<br />
Paulo führt sein erstes Interesse an den Menschenrechten<br />
auf die Jahre zurück, als er unmittelbar nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg in Paris studierte. Dort traf<br />
er ehemalige Kriegsgefangene, die in Deutschland<br />
unter <strong>der</strong> Naziherrschaft gefoltert worden waren,<br />
eine Erfahrung, die er in seinem eigenen Land<br />
während <strong>der</strong> schlimmsten Jahre <strong>der</strong> Militärdiktatur<br />
wie<strong>der</strong> erleben sollte. Als in den 70er Jahren die<br />
Repression gegen politische Gegner beständig<br />
zunahm, wurde Arns durch seine ausgesprochene<br />
Verurteilung dieser Missbräuche international<br />
bekannt. Er besuchte selbst regelmäßig politische<br />
Gefangene <strong>und</strong> bot den Folteropfern <strong>und</strong> den Familien<br />
<strong>der</strong> von (durch die Regierung bezahlten) To<strong>des</strong>schwadronen<br />
Ermordeten persönliche Unterstützung<br />
an. Einer seiner bedeutendsten Beiträge im<br />
Kampf um die Menschenrechte in Brasilien war das<br />
geheime Archiv, in dem er ungefähr 2.000 detaillierte<br />
Berichte über Folter durch die Militärs zusammentrug.<br />
Ein kleines Team von Rechtsanwälten half<br />
ihm bei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schrift dieser genauen Berichte<br />
über Opfer <strong>und</strong> ihre Folterer, indem sie Abschriften<br />
<strong>der</strong> Militärgerichtsverfahren kopierten <strong>und</strong> dann<br />
aus Brasilien heraus schmuggelten. Das vollständige<br />
Dokument mit dem Titel BRAZIL NUNCA MAIS!<br />
(FOLTER IN BRASILIEN) wurde 1985 veröffentlicht.<br />
Auch nach <strong>der</strong> Rückkehr Brasiliens unter zivile<br />
Herrschaft setzte Arns seine revolutionäre Menschenrechtsarbeit<br />
zugunsten <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> Ohnmächtigen<br />
fort. Er for<strong>der</strong>te Achtung für die indigenen<br />
Völker Brasiliens <strong>und</strong> unterstützte afro-brasilianische<br />
Gruppen auf ihrer Suche nach Anerkennung<br />
ihrer Kultur innerhalb <strong>der</strong> Kirche. Er gründete<br />
Hilfsprojekte für AIDS-Kranke <strong>und</strong> ihre Familien<br />
<strong>und</strong> sprach sich deutlich für die Umweltschutz- <strong>und</strong><br />
Landlosenbewegung in Brasilien aus. Er war auch<br />
aktiv in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kampagne <strong>der</strong> Bischöfe<br />
für Erziehung, die Menschen ermutigt, sich politisch<br />
zu organisieren, um soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />
erlangen. Als LEONARDO BOFF vom Vatikan wegen<br />
seiner Arbeit über die Befreiungstheologie vorgeladen<br />
wurde, reisten Arns <strong>und</strong> Kardinal ALOIS LOR-<br />
SCHEIDER, ebenfalls Franziskaner, nach Rom, um zu<br />
seinen Gunsten zu intervenieren. In den vergangenen<br />
50 Jahren seit seiner Priesterweihe hat Arns<br />
hartnäckig an seinen Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Achtung <strong>der</strong> Menschenrechte festgehalten<br />
– innerhalb <strong>und</strong> außerhalb <strong>der</strong> Kirche. Auch wenn<br />
er offiziell zurückgetreten ist, ist er weiterhin eine<br />
<strong>der</strong> klarsten Stimmen für die Stimmlosen im heutigen<br />
Lateinamerika.<br />
In Südafrika sind die Vorstellungen von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Würde <strong>und</strong> Menschenrechten inzwischen in<br />
die Verfassung <strong>der</strong> neuen „Regenbogen“-Nation<br />
aufgenommen, die mit <strong>der</strong> Überwindung <strong>des</strong> vormaligen<br />
Apartheid-Regimes Gestalt annahm. Das<br />
Wort „Gleichheit“ ist auf je<strong>der</strong>manns Lippen, <strong>und</strong><br />
innerhalb weniger Jahre mögen viele die weitverbreitete<br />
Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Diskriminierung zu<br />
vergessen beginnen, welche die Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
für mehr als vier Jahrzehnte erlitt. In diesem<br />
Zeitraum gab es viele engagierte Christen, schwarze<br />
<strong>und</strong> weiße, ortsansässige <strong>und</strong> fremde, die hart für<br />
die Menschenrechte von Einzelnen wie <strong>der</strong> gesamten<br />
schwarzen <strong>und</strong> farbigen Volksgruppe arbeiteten.<br />
Ein solcher Mann ist SEAMUS BRENNAN o<strong>der</strong> Vater<br />
Stan, wie er liebevoll von Tausenden von Menschen<br />
genannt wird, die durch sein Pfarrzentrum gingen,<br />
das er in den 60er Jahren gründete. Stan kam 1965<br />
aus dem Bezirk Roscommon in Irland nach Südafrika<br />
als „Pastor für die farbige Bevölkerung“ in ein<br />
heruntergekommenes Gebiet mit Namen REIGER<br />
PARK außerhalb von Johannesburg. Als er sich eines<br />
Tages mit einem schwer angetrunkenen Nachbarn<br />
unterhielt, bekam <strong>der</strong> „neue Priester“ seinen ersten<br />
Einblick in das Leben <strong>der</strong> nicht-weißen Mehrheit:<br />
als er seinen Frust losgeworden war, erzählte ihm<br />
<strong>der</strong> Mann, dass er seine Schulprüfungen nicht<br />
bestanden hatte <strong>und</strong> sich nicht die notwendigen<br />
Bücher leisten konnte, um seine Studien fortzusetzen.<br />
„Es ist alles in Ordnung für euch Weiße“, sagte<br />
er, „ihr könnt in eine Bibliothek gehen <strong>und</strong><br />
bekommt jede Hilfe, die ihr benötigt. Aber niemand<br />
tut etwas für uns.“ Diese Begegnung führte<br />
1966 zur Eröffnung einer kleinen Bibliothek; Ausbildungskurse<br />
für erwachsene Menschen aller Rassen<br />
folgten – ein revolutionärer Schritt in jener<br />
streng getrennten Nation. Jahr für Jahr stieg die<br />
Zahl <strong>der</strong> Studenten, die in das St. Antony-Pfarrzentrum<br />
strömten, von einigen H<strong>und</strong>ert bis zu mehreren<br />
Tausend. Dem folgten schnell Klassenräume,<br />
wie auch Wissenschaftsräume, Sprachlabors <strong>und</strong> ein<br />
Computerraum. Als die Popularität von Stan’s Zentrum<br />
wuchs, meldete sich Wi<strong>der</strong>stand seitens <strong>der</strong><br />
lokalen Regierungsbeamten, die den Bru<strong>der</strong> wissen<br />
113
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
ließen, dass er das Gesetz breche, weil er schwarze<br />
Studenten in einem „nur für Farbige“ erlaubten<br />
Gebiet duldete. Nur seiner Kreativität, seinen Kontakten<br />
<strong>und</strong> seiner Kenntnis <strong>der</strong> lokalen Regierungsbürokratie<br />
war es zu verdanken, dass Stan<br />
Schließung, Deportation <strong>und</strong> möglicherweise<br />
Schlimmeres zu vermeiden vermochte. Während<br />
<strong>der</strong> Aufstände in Soweto im Juni 1976 war St.<br />
Antony die einzige schwarze Schule dieser Gegend,<br />
die nicht geschlossen wurde. Die erwachsenen Studenten<br />
dort sahen ihre Studien als einen integralen<br />
<strong>und</strong> wirksamen Teil ihres Kampfes um Gleichheit<br />
an. Das Zentrum bot jedoch nicht nur Menschen,<br />
die ansonsten eine düstere Zukunft gehabt hätten,<br />
solche Ausbildungsmöglichkeiten an, son<strong>der</strong>n es<br />
weitete sich sogar mit Hilfe <strong>der</strong> lokalen Geschäftswelt<br />
aus <strong>und</strong> schloss sportliche <strong>und</strong> soziale Aktivitäten,<br />
einen Jugendklub, ein Zentrum für ältere Menschen,<br />
medizinische Dienste, handwerkliche Kurse<br />
für Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>und</strong> ein Restaurant ein.<br />
Alle diese arbeiteten auf nicht-rassistischer Basis.<br />
Jüngere Zuwächse sind das „House of Mercy“, ein<br />
Behandlungszentrum für Alkohol- <strong>und</strong> Drogenabhängige,<br />
die kostenlos aufgenommen werden, auch<br />
wenn sie den bescheidenen Beitrag nicht zahlen<br />
können, <strong>und</strong> das „St. Francis House“ für die unheilbar<br />
Kranken. Stan erkannte die Notwendigkeit für<br />
ein solches Hospiz, nachdem er Zeuge <strong>des</strong> einsamen<br />
<strong>und</strong> qualvollen To<strong>des</strong> geworden war, den viele<br />
AIDS-Patienten erleiden, die von ihren Familien,<br />
Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Gemeinschaften ausgestoßen wurden.<br />
Sein Glaube an die Rechte <strong>und</strong> die Würde<br />
je<strong>des</strong> Individuums <strong>und</strong> ihre Verteidigung sind für<br />
viele an<strong>der</strong>e Schulen <strong>und</strong> Pfarrzentren im Kampf<br />
um die Überwindung <strong>des</strong> schrecklichen Erbes <strong>der</strong><br />
Apartheidjahre zum Modell geworden.<br />
In den frühen 60er Jahren war OSWALD GILL zufrieden<br />
damit, irische Seminaristen in Griechisch <strong>und</strong><br />
Latein zu unterrichten. Doch insgeheim hegte er<br />
auch eine Berufung, in Lateinamerika zu arbeiten.<br />
Als ihm das Angebot gemacht wurde, eine Pfarrei<br />
von 35.000 Menschen in Santiago, Chile, zu übernehmen,<br />
ergriff er die Chance. In dieser Pfarrei<br />
wurde auf diözesaner Ebene ein völlig neuer katechetischer<br />
Weg entwickelt. Für Oswald war es <strong>der</strong><br />
Beginn einer persönlichen Entdeckungsreise zu den<br />
Unterschieden zwischen „Nord“ <strong>und</strong> „Süd“, zu den<br />
Lebensbedingungen in <strong>der</strong> sogenannten Dritten<br />
Welt <strong>und</strong> zu den Gründen, die solch strenge Armut<br />
114<br />
entstehen ließen. Oswald sah selbst, wie Menschen<br />
ohne Zugang zu Land, natürlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />
o<strong>der</strong> Erziehung unfähig waren, ihre persönlichen<br />
<strong>und</strong> ökonomischen Fähigkeiten zu entwickeln.<br />
Zwei Ereignisse hinterließen einen dauerhaften<br />
Eindruck auf Oswalds Vorstellungen: seine<br />
Erfahrung während <strong>des</strong> gewaltsamen Staatsstreiches<br />
gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador<br />
Allende <strong>und</strong> die Vollversammlungen <strong>der</strong> lateinamerikanischen<br />
Bischofskonferenz (CELAM) in<br />
Medellin <strong>und</strong> Puebla. Diese Erfahrungen halfen<br />
ihm, die Armut aus <strong>der</strong> Perspektive seiner Pfarrmitglie<strong>der</strong><br />
zu verstehen, „als Unsicherheit: d.h. die<br />
Unfähigkeit, eine Unterkunft zu besitzen, deine<br />
Familie zu ernähren, deine Kin<strong>der</strong> zu erziehen“.<br />
Dieser Unsicherheit begegnete Oswald wie<strong>der</strong>,<br />
während er mit wan<strong>der</strong>nden Landarbeitern in Kalifornien<br />
arbeitete. Die Mexikaner <strong>und</strong> Philippino-<br />
Amerikaner seiner Pfarrei arbeiteten inmitten einer<br />
<strong>der</strong> fruchtbarsten Ackerbaugebiete <strong>der</strong> Welt, <strong>und</strong><br />
doch lebten sie verarmt <strong>und</strong> als Bürger zweiter Klasse.<br />
Reiche Obst- <strong>und</strong> Gemüsebauern zogen den<br />
Nutzen aus ihrer zermürbenden Arbeit während <strong>der</strong><br />
Erntesaison, unterdrückten ihre Versuche, auch nur<br />
die gr<strong>und</strong>legendsten Sozialdienste zu organisieren<br />
<strong>und</strong> versuchten, ihnen die US-Staatsbürgerschaft<br />
abzustreiten. Oswalds Sendung unter diesen Arbeitern<br />
konzentrierte sich zunehmend darauf, ihre<br />
menschliche Würde durch Verteidigung ihrer bürgerlichen<br />
<strong>und</strong> legalen Rechte wie<strong>der</strong> herzustellen. In<br />
<strong>der</strong> Reflexion seiner Arbeit wählt Oswald, die Worte<br />
Paul VI. frei wie<strong>der</strong>zugeben: „Bitte, bitte höre auf<br />
über Frieden zu sprechen, wenn du nicht bereit bist,<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> zu arbeiten.“<br />
Als sich 1985, nach einem einjährigen provinzweiten<br />
Entscheidungsprozess, die Provinz <strong>der</strong> hl. Barbara,<br />
Kalifornien, USA, zur Zufluchtsstätte für zentralamerikanische<br />
Flüchtlinge erklärte, war je<strong>der</strong><br />
Bru<strong>der</strong> aufgefor<strong>der</strong>t, etwas dafür zu tun. Einige<br />
sammelten einfach Decken o<strong>der</strong> schrieben Briefe an<br />
ihre Kongressabgeordneten; an<strong>der</strong>e gingen ein<br />
größeres Risiko ein, indem sie illegalen Immigranten<br />
Arbeit o<strong>der</strong> einen Schlafplatz anboten. Die<br />
Arbeiterpfarrei St. Ann in Spokane, Washington,<br />
war von <strong>der</strong> Geschichte einer Flüchtlingsfrau aus<br />
El Salvador <strong>und</strong> ihren neun Kin<strong>der</strong> tief bewegt.<br />
Sie hatte von unaussprechlichen Horrortaten gegen<br />
ihre Familie Zeugnis abgelegt. Die Pfarrei lud sie<br />
ein, in das Kellergeschoss <strong>der</strong> Kirche zu ziehen.
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
Nach einigen Monaten ließ die Immigrations- <strong>und</strong><br />
Einbürgerungsbehörde wissen, dass sie Kenntnis<br />
habe, wo die Familie versteckt werde, <strong>und</strong> beabsichtige,<br />
diese nach El Salvador zurückzubringen. St.<br />
Ann antwortete mit einer öffentlichen Pressekonferenz,<br />
auf <strong>der</strong> die Leitung <strong>der</strong> Pfarrei erklärte, dass<br />
die US-Regierung zunächst sie deportieren müsse,<br />
bevor sie „ihre Familie aus Salvador“ anrühren könne.<br />
Nach ED DUNN, „begannen die Pfarrmitglie<strong>der</strong><br />
die umfassende Verbindung ihres Glaubens zu<br />
erkennen. Ein Flüchtling aus El Salvador hat soviel<br />
Recht auf ihr Mitgefühl wie die ihnen nächstsitzende<br />
Person in <strong>der</strong> Bank beim Sonntagsgottesdienst.<br />
Dies war ein außerordentlicher Schritt“, macht Ed<br />
deutlich. „Menschen nahmen Risiken gegenüber<br />
ihrer eigenen Regierung auf sich, Risiken, die ihr<br />
eigenes Wohlergehen gefährdeten.“ Das vielleicht<br />
dramatischste Ergebnis <strong>der</strong> „Sanctuary-Bewegung“,<br />
die zeitweise 50 Kirchen im amerikanischen Westen<br />
umfasste, war, dass die Entscheidungen ganz normaler<br />
Bürger Verän<strong>der</strong>ungen im sozialen Gewissen<br />
<strong>der</strong> Christen überall in den USA bewirkten.<br />
„Es genügte nicht länger zu sagen, dass du an die<br />
menschliche Würde <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en glaubst“, fügt Ed<br />
hinzu, „als Katholik musstest du bereit sein, dein<br />
eigenes Leben zugunsten ihrer gr<strong>und</strong>legenden<br />
Menschenrechte einzusetzen.“<br />
Die interfranziskanische Kommission für GFBS in<br />
Spanien hat lange Zeit ihre Arbeit zugunsten <strong>der</strong><br />
Immigranten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fremden ohne Dokumente<br />
als einen wesentlichen Bestandteil ihres Bemühens<br />
um die Menschenrechte angesehen. Statistiken belegen,<br />
dass heute ungefähr 600.000 legale Immigranten<br />
<strong>und</strong> 80.000 Fremde ohne Dokumente in Spanien<br />
leben, ganze 2% <strong>der</strong> Bevölkerung. Mit ihrem<br />
wachsenden Wunsch, zur „ersten Reihe“ <strong>der</strong><br />
europäischen Län<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Währungsunion zu<br />
gehören, unternimmt die spanische Regierung<br />
zunehmend diskriminierende Aktionen gegen alle<br />
Immigranten. Die spanischen Franziskaner antworteten<br />
darauf mit einer Reihe praktischer Programme,<br />
welche die gr<strong>und</strong>legende Würde eines jeden<br />
Immigranten betonen. Brü<strong>der</strong> arbeiteten mit an<strong>der</strong>en<br />
ähnlich denkenden Gruppen zusammen, um<br />
ein größeres, öffentliches Bewusstsein <strong>der</strong> Probleme<br />
in franziskanischen Pfarreien <strong>und</strong> Schulen zu<br />
wecken. Beson<strong>der</strong>e Beschäftigungsprojekte wurden<br />
entwickelt <strong>und</strong> Anwaltstätigkeit zugunsten <strong>der</strong><br />
Immigranten wurde auf die Bedürfnisse <strong>der</strong>er<br />
abgestimmt, die darum kämpfen, sich in ihre neue<br />
kulturelle Umgebung einzufügen. An<strong>der</strong>e bemerkenswerte<br />
Initiativen waren die aktive För<strong>der</strong>ung<br />
multikultureller Erziehung <strong>und</strong> interreligiösen Dialogs<br />
<strong>und</strong> Bemühungen, sicherzustellen, dass die<br />
Rechte <strong>der</strong> Immigranten durch spanisches Recht<br />
geschützt werden. VICENTE FELIPE erinnert daran,<br />
dass seine eigene Gemeinschaft „vier guatemaltekischen<br />
Flüchtlingsfamilien durch Fre<strong>und</strong>schaft, professionelle<br />
Beratung <strong>und</strong> materielle Unterstützung“<br />
zu Hilfe kam.<br />
Die erste dokumentierte franziskanische Präsenz im<br />
Südwesten <strong>der</strong> USA geht auf 1539 zurück, obgleich<br />
die organisierte Missionstätigkeit in dieser Gegend<br />
erst mit <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> St. Michael’s Mission<br />
im Nordosten Arizonas 1898 begann. Beson<strong>der</strong>s<br />
ein Bru<strong>der</strong>, ANSELM WEBER, erlangte die Achtung<br />
<strong>des</strong> Navajo-Stammes durch Erlernen <strong>der</strong> lokalen<br />
Sprache <strong>und</strong> seine Bereitschaft, h<strong>und</strong>erte von Meilen<br />
auf dem Pferd zurückzulegen, um jeden Stammesältesten<br />
zu treffen. Für den deutsch-amerikanischen<br />
Bru<strong>der</strong> war das größte Thema hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Navajos die Verletzung ihres heiligen Lan<strong>des</strong><br />
durch die US-Regierung. Sein Gespür dafür, dass<br />
die Navajos den franziskanischen Einsatz als<br />
„treuhän<strong>der</strong>ische Verwalter <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>“ anerkannten,<br />
führte ihn dazu, aktiv für ihre Anliegen zu<br />
arbeiten; er wurde oft gerufen, um bei Siedlungsstreitigkeiten<br />
zwischen <strong>der</strong> US-Regierung <strong>und</strong><br />
dem indigenen Stamm zu helfen. Er benutzte die<br />
neuen Technologien mo<strong>der</strong>ner Landvermessung,<br />
um Akten anzulegen <strong>und</strong> For<strong>der</strong>ungen nach<br />
Heimstätten für landlose Familien durchzusetzen.<br />
Er reiste jährlich in den Anliegen <strong>der</strong> Navajos nach<br />
Washington D.C., um sich mit den Leitern <strong>des</strong><br />
Büros für Angelegenheiten <strong>der</strong> Indianer zu treffen<br />
<strong>und</strong> ihre zahllosen Ansprüche auf Land zu unterstützen.<br />
Bei seinem Tod 1921 hatte er erreicht, dass<br />
das Siedlungsgebiet <strong>der</strong> Navajos um 1,5 Millionen<br />
Acres (1 Acre = 4047 qm) gewachsen war. Im gleichen<br />
Jahr halfen die Brü<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Errichtung <strong>des</strong><br />
Navajo-Tribal-Council, <strong>der</strong> sich als ein wesentlicher<br />
Bestandteil für die Führung <strong>des</strong> Stammes im restlichen<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>ert bewähren sollte.<br />
Im Jahr 1902 kam ein an<strong>der</strong>er franziskanischer<br />
Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Anthropologe BERARD HAILE, zur<br />
St. Michael’s Mission, um als Kaplan in <strong>der</strong> Missionsschule<br />
zu arbeiten. Sein leidenschaftliches<br />
115
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
Interesse an <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Navajos sollte einen<br />
ähnlich starken Einfluss auf das Leben <strong>der</strong> indigenen<br />
Menschen dort haben. In Zusammenarbeit mit<br />
MARCELLUS TROESTER <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n an <strong>der</strong><br />
Konstruktion einer speziellen Schreibmaschine, entwickelte<br />
Berard das erste Alphabet unter Verwendung<br />
griechischer Schriftzeichen, um die Lautung<br />
<strong>der</strong> Navajo-Sprache darzustellen. Zur gleichen Zeit<br />
modifizierte <strong>und</strong> erweiterte Marcellus den „Pfarrcensus“,<br />
um sich einen umfassenden Überblick über<br />
Kultur, Familienstrukturen, Clanzugehörigkeiten,<br />
Geburten, To<strong>des</strong>fälle, soziale wie religiöse Gebräuche<br />
<strong>der</strong> Navajos zu verschaffen, die ansonsten für<br />
immer verloren gegangen wären. Wie Anselm<br />
Weber verbrachte Berard viele Tage im Sattel, um<br />
zu entfernten Navajo-Gemeinschaften zu reisen, wo<br />
er Aufzeichnungen machen konnte von Zeremonien<br />
<strong>und</strong> ursprünglichen Mythen. „Es schien mir,<br />
dass man ihre Gebräuche, ihre Ansichten über das<br />
Leben <strong>und</strong> das Universum, ihre Vorstellungen vom<br />
Ursprung <strong>des</strong> Menschen, <strong>der</strong> Pflanzen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Tiere studieren musste, bevor man sich ihnen mit<br />
religiösen Themen nähern konnte“, argumentierte<br />
Berard, nicht selten angesichts <strong>des</strong> Spottes einiger<br />
seiner Mitbrü<strong>der</strong>.<br />
Ausgehend von Einzelinitiativen zur Verteidigung<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte haben die Franziskaner seit<br />
kurzem begonnen, Strategien für wirksamere<br />
Anwaltstätigkeit <strong>und</strong> Handeln auf internationaler<br />
Ebene zu entwickeln. Seit <strong>der</strong> Konferenz über<br />
Menschenrechte in Wien im Juni 1993 haben sich<br />
die Franziskaner mit FRANCISCANS INTERNATIONAL<br />
verb<strong>und</strong>en, um eine zunehmend aktivere Rolle bei<br />
<strong>der</strong> UNO <strong>und</strong> ihren Organisationen zu spielen.<br />
IGNACIO HARDING <strong>und</strong> MICHAEL SURUFKA haben<br />
sich beson<strong>der</strong>s bemüht, die Teilnahme <strong>der</strong> Franziskaner<br />
an UN-Konferenzen <strong>und</strong> Gipfeltreffen zu<br />
entwickeln. Im Rückblick auf seine zweijährige<br />
Tätigkeit als <strong>OFM</strong> Animator für FRANCISCANS<br />
INTERNATIONAL kommentiert Michael: „Obwohl<br />
die UNO sicherlich ihre Grenzen hat, ist sie <strong>der</strong><br />
einzige Ort, an dem sich die internationale<br />
Gemeinschaft trifft. Hier geschieht das weltweite<br />
Gespräch. Es wird mit o<strong>der</strong> ohne uns weitergehen,<br />
doch wir sind eingeladen daran teilzunehmen,<br />
<strong>und</strong> als Franziskaner haben wir etwas zu sagen <strong>und</strong><br />
zu hören.“<br />
AGOSTINHO DIEKMANN, ein Mitglied <strong>des</strong> Teams<br />
116<br />
von FRANCISCANS INTERNATIONAL auf <strong>der</strong> Konferenz<br />
über menschliche Ansiedlungen, Habitat II, in<br />
Istanbul legte das Ziel dieses relativ neuen Aktionsbereichs<br />
dar: „Die Konfrontation mit an<strong>der</strong>en Kulturen,<br />
Sprachen <strong>und</strong> Ansichten wie auch das Studium<br />
<strong>der</strong> sozialen, politischen <strong>und</strong> ökonomischen<br />
Themen weitete meinen Horizont beträchtlich.<br />
Gemeinsam mit meinen Kollegen <strong>der</strong> FI-Delegation<br />
entdeckte ich, was die Worte <strong>des</strong> hl. Franziskus<br />
‚gemeinsam durch die Welt gehen‘ <strong>und</strong> ‚unser<br />
Kloster ist die Welt‘ heute bedeuten können. Wir<br />
müssen uns einmischen zugunsten <strong>der</strong> Armen als<br />
Anwälte für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Harmonie<br />
unter allen Geschöpfen. Dem Beispiel <strong>des</strong> Franziskus<br />
folgend, reflektierten wir über unsere Gr<strong>und</strong>erfahrungen<br />
<strong>und</strong> wandten uns an die Regierenden<br />
unserer Län<strong>der</strong> mit den Bedürfnissen <strong>der</strong> Armen,<br />
um denen eine Stimme zu geben, die durch Ungerechtigkeit<br />
<strong>und</strong> Unterdrückung zum Schweigen<br />
gebracht worden sind.“<br />
Generalkonstitutionen<br />
Artikel 69,1-2: „Wenn sie die Rechte <strong>der</strong> Unterdrückten<br />
verteidigen“, sollen die Brü<strong>der</strong> auf gewaltfreie<br />
Mittel zurückgreifen (1). Die Brü<strong>der</strong> sollen<br />
„jede Art kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzungen … als<br />
schlimmste Plage für die Welt <strong>und</strong> schwerste Verletzung<br />
<strong>der</strong> Armen anprangern“; sie sollen „we<strong>der</strong><br />
Arbeit noch Mühen scheuen, am Gottesreich <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong> zu bauen“ (2).<br />
Weitere Hinweise: Artikel 32,3; 92,2; 96,1-3; 97,2;<br />
109,1; 129,1 <strong>und</strong> 185,1.
■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />
Fragen für die Diskussion<br />
1. Gehörst du einer nationalen o<strong>der</strong> internationalen<br />
Menschenrechtsgruppe an? Solltest<br />
du dazugehören? Gibst du positive Hinweise<br />
auf solche Gruppen in deiner apostolischen<br />
Tätigkeit?<br />
2. Schließt du Verletzungen <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
in dein privates Gebet mit ein, in das<br />
Gebet deiner lokalen Gemeinschaft, in das<br />
Gebet bei Provinztreffen o<strong>der</strong> Versammlungen?<br />
3. Welche Gruppen in deiner Gesellschaft<br />
laufen die größte Gefahr, dass ihre Rechte<br />
ignoriert werden?<br />
4. Hast du selbst den Bruch f<strong>und</strong>amentaler<br />
Menschenrechte erlebt? Wenn nicht, kennst<br />
du jemanden, <strong>der</strong> eine solche Erfahrung<br />
gemacht hat? Wie hat sich dies auf dich o<strong>der</strong><br />
jene Person ausgewirkt?<br />
5. Wie behandelt dein Land das Thema Immigration?<br />
Hast du jemals öffentlich die Haltung<br />
<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> zu diesem Thema unterstützt<br />
o<strong>der</strong> dagegen protestiert?<br />
6. Wie wirksam stellt sich deine Provinzgemeinschaft<br />
den wichtigsten Menschenrechtsthemen<br />
deines Lan<strong>des</strong>? Durch Erklärungen,<br />
Aktionen o<strong>der</strong> bei<strong>des</strong>?<br />
7. Welche Menschenrechte werden in deinem<br />
Land verletzt <strong>und</strong> welche auf internationaler<br />
Ebene?<br />
8. Was sind die Ursachen für die Verletzungen<br />
dieser Menschenrechte: ökonomische,<br />
politische, psychologische …?<br />
9. Woran liegt es, dass je<strong>der</strong> von uns sensibler<br />
ist für die Verletzung bestimmter Arten<br />
von Menschenrechten <strong>und</strong> weniger für die<br />
Verletzung an<strong>der</strong>er?<br />
10. Die Bewusstseinsbildung <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> das<br />
Handeln <strong>der</strong> Kirche zugunsten <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
– kann dies als ein Zeichen <strong>der</strong><br />
Zeit betrachtet werden?<br />
11. Welche Beziehung besteht zwischen Evangelisierung<br />
<strong>und</strong> Menschenrechten? Was ist<br />
angemessener: dass die christliche Gemeinschaft<br />
ihre eigenen Organisationen für die<br />
Menschenrechte hat o<strong>der</strong> dass sich Christen<br />
an sozialen Organisationen gemeinsam mit<br />
an<strong>der</strong>en Männern <strong>und</strong> Frauen guten Willens<br />
beteiligen?<br />
12. Welche Art <strong>des</strong> Handelns erachtest du als<br />
am angemessensten für Franziskaner in <strong>der</strong><br />
Verteidigung <strong>der</strong> Menschenrechte?<br />
Checkliste für zukünftige,<br />
örtliche Menschenrechtskampagnen<br />
Wenn du auf Menschenrechtsverletzungen antworten<br />
<strong>und</strong> eine Kampagne starten willst:<br />
■ Besitzt du eine klare <strong>und</strong> prägnante Zusammenfassung<br />
<strong>der</strong> Ereignisse, die sich zugetragen<br />
haben?<br />
■ Kannst du erklären, wie die franziskanische<br />
Gemeinschaft sich beteiligt?<br />
■ Hast du eine schriftliche Unterstützung <strong>der</strong><br />
örtlichen (franziskanischen) Kommission für<br />
GFBS?<br />
■ Haben <strong>der</strong> örtliche franziskanische Obere<br />
<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bischof ihre Unterstützung zum<br />
Ausdruck gebracht?<br />
■ Hast du eine schriftliche Unterstützung <strong>des</strong><br />
franziskanischen Oberen <strong>und</strong> <strong>des</strong> Bischofs?<br />
■ Besitzt du die Namen <strong>und</strong> Nummern von<br />
denen (Richter, Politiker, usw.), mit denen<br />
Kontakt aufzunehmen ist?<br />
■ Besitzt du Photographien von denen, die<br />
du zu unterstützen suchst?<br />
■ Hast du die Möglichkeit <strong>und</strong> die Kenntnis,<br />
ein Faxgerät <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> e-Mail zu nutzen?<br />
■ Hast du einen Koordinator für die Kampagne<br />
bestimmt, <strong>der</strong> auf alle Nachfragen zur Kampagne<br />
antwortet?<br />
■ Besitzt du eine Presseliste <strong>der</strong> Personen <strong>und</strong><br />
Organisationen, die bereit sind, deinen Aufruf<br />
zu unterstützen?<br />
■ Hast du eine Presseerklärung vorbereitet mit<br />
klarer Information, deutlicher Richtung,<br />
„Kontakt-Adressen“ <strong>und</strong> den Namen <strong>des</strong><br />
Koordinators deiner Kampagne?<br />
117
Frauen <strong>und</strong> die Charismen von<br />
Franziskus <strong>und</strong> Clara
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
Frauen <strong>und</strong><br />
die Charismen<br />
von Franziskus<br />
<strong>und</strong> Klara<br />
Da die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> mitten im Volk Gottes<br />
stehen, müssen sie auf neue Zeichen <strong>der</strong> Zeit achten<br />
<strong>und</strong> auf die Situationen einer sich wandelnden<br />
Welt reagieren.<br />
<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 4,1<br />
Der Erste Orden hat die geistliche Einheit mit<br />
den Klosterfrauen <strong>des</strong> Zweiten <strong>und</strong> Dritten Ordens<br />
zu wahren, zu schützen <strong>und</strong> ihre Fö<strong>der</strong>ationen zu<br />
för<strong>der</strong>n, ohne jedoch die rechtmäßige Selbständigkeit<br />
ihres Lebens, zumal <strong>der</strong> Leitung, anzutasten.<br />
Artikel 56,2<br />
Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />
Franziskus for<strong>der</strong>te höflich, aber entschieden viele<br />
Vorurteile seiner Gesellschaft heraus, beson<strong>der</strong>s<br />
auch die über die Frauen. Er fühlte, dass Klara<br />
Recht hatte, eine religiöse Lebensform für Frauen<br />
ohne feste Pachteinnahmen zu beginnen. Es<br />
dauerte mehr als 40 Jahre, bis <strong>der</strong> Papst definitiv<br />
das „Privileg <strong>der</strong> Armut“ in <strong>der</strong> endgültigen Regel<br />
<strong>der</strong> hl. Klara bestätigte <strong>und</strong> dann (doch) nur auf<br />
die Armen Klarissen von San Damiano ausdehnte!<br />
Gemäß dem Franziskanergelehrten Ignatius Brady<br />
können vor dem IV. Laterankonzil Klara <strong>und</strong> ihre<br />
Schwestern Franziskus <strong>und</strong> seine Brü<strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />
Pflege <strong>der</strong> Aussätzigen unterstützt haben. Franziskus<br />
gab ein von den Brü<strong>der</strong>n genutztes Neues Testament<br />
<strong>der</strong> Mutter von zwei Brü<strong>der</strong>n; sie war gekom-<br />
men, um ein Almosen zu erbitten (2 Cel 91). Ein<br />
an<strong>der</strong>es Mal gab er einer armen Frau einen Mantel<br />
(2 Cel 92). Viele W<strong>und</strong>er wurden zugunsten von<br />
Frauen gewirkt (3 Cel).<br />
Obwohl Franziskus den Brü<strong>der</strong>n verbot, „Verdacht<br />
erregende Beziehungen“ zu Frauen zu haben (BReg<br />
11,1), zeigen doch die Beispiele seiner eigenen<br />
Beziehungen mit Klara <strong>und</strong> Herrin Jakoba, dass<br />
nicht alle Beziehungen „Verdacht erregend“ sind.<br />
Franziskus bezog verheiratete wie unverheiratete<br />
Frauen in die Gruppe <strong>der</strong>er ein, die die Brü<strong>der</strong> einladen<br />
sollten, „im wahren Glauben <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Buße<br />
auszuharren“ (NbReg 23,7).<br />
Franziskus zögerte nicht, weibliche Bil<strong>der</strong> auf sich<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> anzuwenden. In <strong>der</strong> Beschreibung<br />
seiner eigenen Gemeinschaft erzählte er einmal<br />
dem Papst von einer Frau, die von einem König<br />
zahlreiche Kin<strong>der</strong> habe <strong>und</strong> sie von Fall zu Fall<br />
sandte, um ihr rechtmäßiges Erbe einzufor<strong>der</strong>n<br />
(LegMai III,10). In <strong>der</strong> REGEL FÜR EINSIEDELEIEN<br />
teilt er die Brü<strong>der</strong> in Marta- <strong>und</strong> Maria-Gruppen,<br />
die ihre Rollen nach vereinbarten Zeitabschnitten<br />
wechselten (RegEins). „Wenn eine Mutter ihren<br />
leiblichen Sohn nährt <strong>und</strong> liebt, um wieviel sorgfältiger<br />
muss einer seinen geistlichen Bru<strong>der</strong> lieben<br />
<strong>und</strong> nähren“ (BReg 6,8). Das Gesetz <strong>der</strong> Klausur<br />
war nicht gültig, als „Bru<strong>der</strong> Jakoba“ den sterbenden<br />
Franziskus besuchte (LegPer 101).<br />
Reflexion<br />
Unterschiedliche Kontexte<br />
Der Enthusiasmus, den unsere Wertschätzung für<br />
den gewaltigen spirituellen Genius <strong>des</strong> Franziskus<br />
von Assisi hervorruft, befähigt uns, Aspekte seines<br />
Lebens <strong>und</strong> Wirkens zu finden, um zahllose Hoffnungen<br />
<strong>und</strong> Wünsche zu unterstützen. Gleichzeitig<br />
kann dieser Enthusiasmus uns zu <strong>der</strong> Illusion<br />
führen, dass Franziskus (o<strong>der</strong> Klara in diesem Fall)<br />
uns Modelle für jede Situation anbieten können, die<br />
uns heute herausfor<strong>der</strong>t. Wenn wir von Franziskus<br />
in seiner Beziehung zu Frauen sprechen, den Frauen<br />
seiner Familie, seiner Stadt <strong>und</strong> seiner Bewegung,<br />
wird diese Gefahr beson<strong>der</strong>s deutlich. Es ist schwierig,<br />
die Wirklichkeit seiner Beziehung zu Frauen aus<br />
121
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
den primären Quellen genau zu erheben <strong>und</strong> die<br />
Interpretationsschichten zu entdecken, die diese<br />
Dokumente erfahren haben. Es ist genauso schwierig<br />
zu erkennen, welche Teile unserer Fragen sich<br />
einer Weltsicht verdanken, die durch die mo<strong>der</strong>ne<br />
Philosophie <strong>und</strong> Wissenschaft möglich wurde.<br />
Diese Weltsicht, die unser Bemühen begleitet, das<br />
franziskanische Ideal in unserer Zeit wie<strong>der</strong> lebendig<br />
werden zu lassen, enthält viele Elemente, die<br />
Franziskus sich mit Verw<strong>und</strong>erung <strong>und</strong>, nach allem,<br />
was wir wissen, mit Entsetzen die Haare raufen<br />
ließen.<br />
Der Franziskaner, <strong>der</strong> heute die Frage stellt, bewegt<br />
sich, lebt <strong>und</strong> atmet in einer Welt, in <strong>der</strong> man die<br />
Anliegen <strong>und</strong> den Einsatz von <strong>und</strong> für Frauen überall<br />
aufeinan<strong>der</strong>zulaufen sieht. Auf Weltebene haben<br />
wir das Zeugnis <strong>der</strong> Weltfrauenkonferenz <strong>der</strong> UNO<br />
in Peking 1995. Teilnehmerinnen kehrten in ihre<br />
Heimatlän<strong>der</strong> mit faszinierenden Geschichten über<br />
die Einheit in <strong>der</strong> Verschiedenheit zurück, die von<br />
Tausenden von teilnehmenden Frauen erfahren <strong>und</strong><br />
gefeiert wurden. Innerhalb <strong>der</strong> Kirche sehen wir<br />
neue Bemühungen von Papst Johannes Paul II.,<br />
sich den Anliegen <strong>der</strong> Frauen zuzuwenden: sein<br />
BRIEF AN FRAUEN (1995) <strong>und</strong> MULIERIS DIGNITA-<br />
TEM, eine 1988 veröffentlichte Enzyklika. Zusätzlich<br />
haben regionale Bischofskonferenzen, Vereinigungen<br />
<strong>der</strong> Höheren Ordensoberen <strong>und</strong> Laienorganisationen<br />
Dokumente abgefasst o<strong>der</strong> Studien<br />
durchgeführt, die sowohl Frauen zugefügte Ungerechtigkeiten<br />
anprangern wie die Notwendigkeit<br />
betonen, diese innerhalb <strong>der</strong> verschiedenen kulturellen<br />
Situationen zu korrigieren. Es ist für das<br />
Verständnis wichtig, dass in einer solchen Veröffentlichung<br />
wie dieser eine allgemeine Prüfung <strong>des</strong><br />
Themas innerhalb kultureller Umfel<strong>der</strong>, die sich<br />
deutlich unterscheiden, kritisch besprochen werden<br />
muss. Brü<strong>der</strong>, die in Regionen arbeiten, in denen<br />
patriarchale Institutionen vorherrschen, treffen eine<br />
an<strong>der</strong>e Mentalität <strong>und</strong> Realität an als Brü<strong>der</strong>, die<br />
in Kulturen wirken, in denen matriarchale Gr<strong>und</strong>lagen<br />
weiterhin Glauben <strong>und</strong> Verhalten beeinflussen.<br />
Mit diesen Hinweisen im Bewusstsein, wollen wir<br />
zur Geschichte <strong>des</strong> Franziskus zurückkehren <strong>und</strong><br />
fragen, wie er Frauen begegnete, als er versuchte,<br />
den Fußspuren Jesu zu folgen.<br />
122<br />
Der kulturelle Kontext <strong>des</strong> Franziskus<br />
Die kirchliche Welt, in <strong>der</strong> Franziskus aufwuchs,<br />
kannte nur eine geringe Wertschätzung <strong>der</strong> menschlichen<br />
Natur. Menschheit wurde verstanden als voll<br />
von Schwäche <strong>und</strong> Ver<strong>der</strong>btheit, die blindlings ihrer<br />
Verdammnis entgegenstürzte, mit nur einem Hoffnungsschimmer,<br />
dass in <strong>der</strong> Zerbrechlichkeit <strong>des</strong><br />
Lebens Erlösung gewonnen <strong>und</strong> bewahrt werden<br />
könne. Klösterliche Schriftsteller, die die wachsende<br />
Bedeutung <strong>des</strong> Klerikerzölibats für die Kirche zu<br />
unterstützen versuchten, verfassten schädliche Traktate,<br />
die Frauen als Inkarnation Evas vorstellten –<br />
Mutter <strong>der</strong> Sünde <strong>und</strong> <strong>des</strong> Verrats. Römische Gesetzesstrukturen<br />
verweigerten Frauen aktive Rollen im<br />
zivilen Leben <strong>und</strong> sprachen private Tugend <strong>und</strong><br />
Treue zu Vater, Ehemann <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>n heilig. So<br />
war die Freiheit <strong>der</strong> Frauen in Gegenden, wo römisches<br />
Recht herrschte, sehr eingeschränkt, <strong>und</strong><br />
Frauen waren oft darauf festgelegt, den Wünschen<br />
<strong>der</strong> männlichen Familien- <strong>und</strong> Clanoberhäupter zu<br />
dienen. Zur gleichen Zeit erließ die Kirche einige<br />
Schutzbestimmungen gegen erzwungene Heiraten<br />
<strong>und</strong> für eine Option für das geweihte Leben. Die<br />
neu entstehende Troubadour-Kultur im mittelalterlichen<br />
Europa för<strong>der</strong>te auch eine Verfeinerung <strong>des</strong><br />
Geschmacks <strong>und</strong> das Gespür, das zumin<strong>des</strong>t in <strong>der</strong><br />
Theorie die Stellung <strong>der</strong> Frau in <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />
adelte. Franziskus wurde in diesem schizophrenen<br />
Umfeld groß, das Frauen entwe<strong>der</strong> erhöhte<br />
o<strong>der</strong> dämonisierte.<br />
Wenn wir seine Biographien studieren, stellen wir<br />
uns die Frage: Wie viele Frauen spielten eine bedeutende<br />
Rolle im Leben <strong>des</strong> Franziskus? Drei tauchen<br />
sofort auf: seine Mutter Pica, Klara <strong>und</strong> Herrin<br />
Jakoba. Wenn wir jedoch unsere Suche fortsetzen,<br />
finden wir zahlreiche an<strong>der</strong>e Frauen, die als DRAMA-<br />
TIS PERSONAE seiner Geschichte gelten können,<br />
doch sie gehen oft ohne Namen <strong>und</strong> ohne eigene<br />
Stimme über die Bühne. Achte auf die Frauen von<br />
Greccio, die er wie verlautet bew<strong>und</strong>erte, die Nonnen<br />
von San Severino, Praxe<strong>des</strong> von Rom, die fünf<br />
Kandidatinnen, die er Klara für ihren Orden vorstellte.<br />
Und was ist mit <strong>der</strong> gesamten Gemeinschaft<br />
von San Damiano, die ihn verehrte <strong>und</strong> in den letzten<br />
Jahren gespannt auf seine seltenen Besuche <strong>und</strong><br />
Predigten wartete? Wenn wir unsere Untersuchung<br />
fortsetzen, nehmen wir wahr, wie häufig Frauen im<br />
Zentrum <strong>der</strong> WUNDERTRAKTATE stehen. Wie viele
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
Frauen antworteten auf sein Klopfen, wenn er in<br />
Assisi o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Dörfern bettelte? Wie viele<br />
Frauen standen in den Kathedralen o<strong>der</strong> auf den<br />
Piazzas vor ihm? Sprach er sie nie an? Gab es keine<br />
Gespräche mit H<strong>und</strong>erten von Frauen, die zu den<br />
frühen Schwestern <strong>der</strong> Buße wurden?<br />
Die Bedeutung von Klara <strong>und</strong><br />
Jakoba für Franziskus<br />
Was immer wir über diese weite Welt <strong>der</strong> Frauen<br />
erschließen, wir wissen, dass zwei Frauen eine zentrale<br />
Rolle <strong>der</strong> Beziehung zu <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft mit<br />
Franziskus besaßen: Klara <strong>und</strong> Jakoba. Was lernen<br />
wir aus diesen Beziehungen, die eindeutig ein Leben<br />
lang dauerten? Vielleicht ist das bedeutendste<br />
Zeugnis <strong>der</strong> Beziehung zu Klara in <strong>der</strong> LEBENSFORM<br />
<strong>und</strong> dem VERMÄCHTNIS FÜR DIE HEILIGE KLARA<br />
enthalten. In diesen beiden kurzen Stellungnahmen<br />
bekräftigt Franziskus, dass er Klara als ihm gleichwertig<br />
in Berufung <strong>und</strong> Hingabe versteht. Er verfügt<br />
eine einzigartige Gleichheit in <strong>der</strong> Behandlung<br />
von Klara <strong>und</strong> ihren Schwestern <strong>und</strong> stellt die Sorge<br />
für sie auf die gleiche Ebene wie die Sorge um die<br />
Bru<strong>der</strong>schaft. Klara war sich <strong>der</strong> gewaltigen Kraft<br />
dieser Gegenseitigkeit <strong>und</strong> dieses Versprechens so<br />
bewusst, dass sie diese beiden Schriftstücke in die<br />
Mitte ihrer eigenen Regel aufnahm (Kapitel VI).<br />
Weil Jesus das Modell für alles war, das Franziskus<br />
lebte, fand er Hilfe in jenen Begegnungen, in denen<br />
Jesus im Umgang mit Frauen die Grenzen <strong>des</strong><br />
Herkömmlichen überschritt, <strong>und</strong> in gleicher Weise<br />
Richtlinien in jenen Passagen, die von Frauen<br />
erzählten, die Jesus nachfolgten <strong>und</strong> ihm dienten?<br />
Gaben diese Hinweise, dass Jesus bereit war, in seinem<br />
Dienst Missbilligung wegen seiner Beziehungen<br />
zu Frauen zu riskieren, Franziskus die Freiheit,<br />
die er benötigte, um auf die Weise zu glauben<br />
<strong>und</strong> sich zu verhalten, wie er es tat?<br />
Die Beziehung <strong>des</strong> Franziskus zu Frauen –<br />
das Positive <strong>und</strong> die Schwierigkeiten<br />
Die Biographien lassen uns auch erkennen, dass die<br />
Beziehung <strong>des</strong> Franziskus zu Frauen nicht immer<br />
ruhig, erfreulich <strong>und</strong> ungetrübt waren. Einige <strong>der</strong><br />
überlieferten Geschichten schil<strong>der</strong>n uns warme <strong>und</strong><br />
sympathische Begegnungen. Die LEGENDA PERU-<br />
SINA erzählt von einem Besuch in San Damiano zur<br />
Behandlung <strong>und</strong> seine Komposition <strong>des</strong> AUDITE,<br />
eine liebliche Unterweisung voll zärtlicher Sorge<br />
(LegPer 42-43). Die Fioretti bewahren die w<strong>und</strong>ervolle,<br />
Parabel-gleiche Geschichte <strong>des</strong> Mahles, das<br />
bei Portiunkula gefeiert wurde (Fior 15). Wir wissen<br />
um seine Besuche bei Jakoba in Rom aus seiner<br />
letzten Bitte an sie. Ein bemerkenswertes Zeugnis<br />
<strong>der</strong> Kraft dieser Beziehung ist festgehalten durch<br />
das Aufstellen ihrer sterblichen Gebeine direkt<br />
gegenüber seinem Grab in <strong>der</strong> Grabkapelle <strong>der</strong><br />
Basilika San Francesco.<br />
Wir dürfen jedoch nicht jene Geschichten übergehen,<br />
die uns ein an<strong>der</strong>es Bild zeichnen, einen<br />
Franziskus, <strong>der</strong> ängstlich, hartherzig <strong>und</strong> gefühllos<br />
gegenüber seinen Fre<strong>und</strong>innen erscheint. Wir erinnern<br />
an die Predigt, die er in San Damiano hielt,<br />
welche den Schwestern den Trost, den sie erwarteten,<br />
zu verweigern scheint, als er Asche über sich<br />
streut, das MISERERE betet <strong>und</strong> dann in Stille weggeht<br />
(2 Cel 207). Es gibt negative Aussagen über<br />
Frauen, die ihm zugesprochen werden, die deutlich<br />
die frauenfeindlichen Tendenzen <strong>der</strong> klerikalen<br />
Literatur jener Zeit wi<strong>der</strong>spiegeln (2 Cel 112). Wir<br />
wissen auch, dass die Bewahrung <strong>der</strong> Keuschheit für<br />
Franziskus ein Kampf war <strong>und</strong> dass sein Schwanken<br />
in seiner leidenschaftlichen Natur <strong>und</strong> ihrem sündigen<br />
Potential ihn heftig beschäftigte. Dieser innere<br />
Kampf dürfte Franziskus eine rosige Sicht <strong>der</strong> Beziehung<br />
zu Frauen unmöglich gemacht haben. Dass<br />
dies ihn nicht davon abhielt, Beziehungen von<br />
radikaler Gleichheit <strong>und</strong> zärtlicher Bew<strong>und</strong>erung<br />
zu unterhalten, ist seinerseits ein W<strong>und</strong>er <strong>der</strong> Gnade<br />
<strong>des</strong> Evangeliums.<br />
Wir können daher bekräftigen, dass Franziskus<br />
ein außerordentlicher Mensch war, <strong>der</strong> nicht völlig<br />
frei war von <strong>der</strong> frauenfeindlichen Propaganda <strong>der</strong><br />
Kirche seiner Zeit <strong>und</strong> einer allgemein negativen<br />
Sicht <strong>der</strong> menschlichen Natur – beson<strong>der</strong>s ihrer<br />
sexuellen Dimension –, einem beherrschenden Zug<br />
<strong>der</strong> christlichen Lehre <strong>und</strong> <strong>des</strong> Vorurteils von <strong>der</strong><br />
Zeit <strong>des</strong> Augustinus bis ins Mittelalter. Franziskus<br />
schuf eine Lebensform, die den Zölibat erfor<strong>der</strong>te,<br />
aber auf den Schutz <strong>der</strong> klösterlichen Klausur<br />
verzichtete. Sein zunehmen<strong>der</strong> Kummer über das<br />
123
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
Verhalten von Brü<strong>der</strong>n, die weniger begnadet <strong>und</strong><br />
klar in ihrer Hingabe waren, spiegelt sich in seiner<br />
REGEL <strong>und</strong> seinen Biographien. Der neue Einfluss<br />
höfischer Literatur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Troubadour-Musik<br />
wendet sich an den Möchtegern-Ritter; seine Sprache<br />
<strong>und</strong> seine Bildwelt leihen sich Feinheit <strong>und</strong><br />
Zauber dieser Vorstellung von Männern <strong>und</strong> Frauen,<br />
die aus edlen Gründen zärtliche Verbindungen<br />
eingegangen waren. Die Kraft <strong>und</strong> die heroische<br />
Evangeliumstreue mancher Frauen in seinem Leben<br />
entlockte ihm Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> hingebungsvolle<br />
Fre<strong>und</strong>schaft, die öffentlich <strong>und</strong> deutlich ausgesprochen<br />
ist. Er bezog Frauen in seine Bewegung mit<br />
ein, um das Evangelium als Norm allen menschlichen<br />
Mühens gr<strong>und</strong>zulegen. Er heißt diese Frauen<br />
nicht weniger als ihre männlichen Gegenüber willkommen<br />
<strong>und</strong> schließt sie ausdrücklich in seine Bildungspläne<br />
ein (Brief an die Gläubigen).<br />
Franziskus ist uns so<br />
auf folgende Weise behilflich:<br />
1. Er schenkt eine tiefe geistliche Einsicht über die<br />
Wechselbeziehung aller Lebewesen in weiblichen<br />
<strong>und</strong> männlichen Begriffen (SONNENGESANG).<br />
2. Er zeigt eine Fähigkeit, kulturelle Barrieren<br />
auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Wahrheit <strong>des</strong> Evangeliums<br />
zu überwinden.<br />
3. Er hinterlässt uns die Erinnerung an seine<br />
tiefe Fre<strong>und</strong>schaft mit Klara <strong>und</strong> Jakoba; dies ist<br />
kein kleiner Trost in unserem Suchen.<br />
Wir müssen an<strong>der</strong>erseits verstehen lernen,<br />
dass Franziskus für einige unserer<br />
Schwierigkeiten keine Antworten liefert:<br />
1. Die Entwicklung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Frau in <strong>der</strong> industrialisierten,<br />
westlichen Welt, das neue Bewusstsein<br />
<strong>der</strong> Frauen in allen Kulturen, die ursprünglichsten<br />
ausgenommen, <strong>und</strong> die noch nicht erfassten<br />
Lebenswelten in den postmo<strong>der</strong>nen <strong>und</strong> den postmarxistischen<br />
Gesellschaften bleibt unser Problem,<br />
das es zu lösen gilt. Franziskus lebte nicht, wo wir<br />
heute leben müssen. Die wirkliche Entfaltung <strong>des</strong><br />
Bewusstseins von <strong>der</strong> sexuellen Natur menschlichen<br />
Lebens <strong>und</strong> die beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit, die dies<br />
124<br />
in allen Medien erfährt, stellen noch nie dagewesene<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen für uns dar.<br />
2. Die Schwierigkeiten, denen Frauen in <strong>der</strong> Kirche<br />
begegnen, wo patriarchalische <strong>und</strong> sexistische Vorurteile<br />
oft ihr Personsein erniedrigt <strong>und</strong> ihr Mitwirken<br />
reduziert haben, schaffen in manchen Gegenden<br />
ernste Brüche. Der Ruf <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> Franziskus,<br />
eine Quelle <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
für Frauen zu sein, ist dringlich in <strong>der</strong> kirchlichen<br />
Gemeinschaft heute.<br />
Schließlich sollten wir bekräftigen, dass die Zunahme<br />
an Strukturen <strong>und</strong> Gelegenheiten, bei denen<br />
franziskanische Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern Seite an<br />
Seite arbeiten, ein Zeichen <strong>der</strong> schöpferischen Treue<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Familie in unserer Zeit ist. Wir<br />
sehen heute viel Arbeit in internen Projekten <strong>der</strong><br />
Kooperation unserer Orden <strong>und</strong> in ihren Strukturen<br />
auf internationaler <strong>und</strong> kontinentaler Ebene,<br />
was uns gemeinsam danach streben lässt, unsere<br />
Berufung zu leben <strong>und</strong> unsere Stimme in <strong>der</strong> Weltgemeinschaft<br />
zu Gehör zu bringen. Für all das,<br />
wofür uns Franziskus ein Modell <strong>und</strong> die Inspiration<br />
bietet, lasst uns dankbar sein. Um unsere eigene<br />
Verantwortung zu erkennen, welche evangelische<br />
Energie wir benötigen, um zu gehen wie einst Franziskus<br />
<strong>und</strong> Klara im lo<strong>der</strong>nden Garten von Portiunkula,<br />
lasst uns Verantwortung übernehmen.<br />
Margaret Carney O.S.F.
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> Schwestern …<br />
Wenn Franziskus heute zurückkehren <strong>und</strong> in einem<br />
<strong>der</strong> vielen Seminare <strong>und</strong> internationalen Konferenzen<br />
über die Rolle <strong>der</strong> Frau in Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft<br />
sitzen würde, würde er wahrscheinlich eher<br />
Verständnisschwierigkeiten haben! Nirgendwo<br />
haben sich die kulturellen Parameter mehr verän<strong>der</strong>t<br />
in den Jahrh<strong>und</strong>erten, seitdem er <strong>und</strong> die<br />
hl. Klara ihre Gemeinschaften gegründet haben,<br />
als auf dem Gebiet <strong>der</strong> „Frauenrechte“.<br />
Brü<strong>der</strong> in Asien haben die Führung übernommen<br />
bei dem Bemühen, sich diesen Verhaltensän<strong>der</strong>ungen<br />
zuzuwenden. Die Konferenzen <strong>der</strong> Franziskaner<br />
Asiens <strong>und</strong> Ozeaniens (FCAO) entschieden, sich<br />
zwei Jahre lang <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Frauen in jenem<br />
Teil <strong>der</strong> Welt zu stellen <strong>und</strong> einen Bericht über ihre<br />
Erkenntnisse zu veröffentlichen. Dieser zweijährige<br />
Untersuchungsprozess, auf dem <strong>der</strong> Bericht beruht,<br />
wird als einer <strong>der</strong> weitsichtigsten <strong>und</strong> konstruktivsten<br />
Schritte angesehen, <strong>der</strong> jemals auf Konferenzebene<br />
unternommen wurde, um das Verständnis <strong>und</strong><br />
das Handeln auf dem Feld <strong>der</strong> Frauenrechte zu<br />
för<strong>der</strong>n. Die Brü<strong>der</strong> aus dreizehn Provinzen versandten<br />
detaillierte Fragebögen, um Informationen<br />
über den Status <strong>und</strong> die sozialen Bedingungen <strong>der</strong><br />
Frauen in ihren Län<strong>der</strong>n zusammenzutragen. Je<strong>der</strong><br />
dieser Berichte wurde dann wie<strong>der</strong> von drei verschiedenen<br />
Frauen jener Region überprüft. Die<br />
Ergebnisse bildeten die Gr<strong>und</strong>lage für ein Seminar<br />
in Sydney, Australien, an dem die dreizehn Provinzialminister<br />
<strong>der</strong> FCAO <strong>und</strong> Gäste aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n<br />
teilnahmen. Fünf Frauen aus verschiedenen<br />
Nationen Asiens <strong>und</strong> zwei aus Australien nahmen<br />
an den Diskussionen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> teil. Die zweite<br />
Hälfte <strong>des</strong> Treffens richtete das Augenmerk auf den<br />
Beitrag von Franziskus <strong>und</strong> Klara für die Anfänge<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Bewegung wie auch auf den<br />
Beitrag <strong>der</strong> Frauen für die Zukunft <strong>des</strong> franziskanischen<br />
Lebens. Wegen <strong>der</strong> unterschiedlichen Kulturen<br />
unter den Nationen <strong>der</strong> FCAO ergaben sich<br />
sowohl verschiedene als auch gemeinsame Probleme,<br />
die von den Frauen <strong>und</strong> den Brü<strong>der</strong>n aus allen<br />
Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Region angesprochen wurden. Ökonomische<br />
Ungerechtigkeiten, Bürgerrecht zweiter<br />
Klasse, Mangel an Achtung <strong>und</strong> Mangel an Bewusstsein<br />
wurden praktisch in jedem Bericht<br />
erwähnt. Die Reflexionen <strong>der</strong> Frauen, die auf den<br />
Bericht antworteten, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Frauen, die an dem<br />
Treffen teilnahmen, verstärkten in sehr persönlicher<br />
Weise die Ansichten <strong>und</strong> den Schmerz, <strong>der</strong> in den<br />
Provinzberichten zum Ausdruck kam, <strong>und</strong> for<strong>der</strong>ten<br />
die Brü<strong>der</strong> heraus, auf kreative Weise zu antworten.<br />
Die Vorschläge reichten von sehr praktischen<br />
wie Kursen für Kin<strong>der</strong>pflege, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
handwerkliche Fertigkeiten, zu einer vollständigen<br />
Revision <strong>der</strong> traditionellen <strong>und</strong> unterdrückenden<br />
Bibelinterpretationen, die über Jahrh<strong>und</strong>erte verwendet<br />
wurden, um die Unterdrückung <strong>der</strong> Würde<br />
<strong>der</strong> Frau zu erhalten. Die Berichte betonen, dass<br />
Mitleid für die Notlage <strong>der</strong> Frauen, die in Armut,<br />
Prostitution <strong>und</strong> unterdrückenden Beziehungen<br />
gefangen sind, nicht genügt. Brü<strong>der</strong> müssen den<br />
Weg weisen in Richtung wirklicher Befähigung <strong>und</strong><br />
Kooperation, indem sie ihr persönliches Verhalten<br />
gegenüber Frauen, mit denen sie in ihrem Alltagsleben<br />
zu tun haben, einer gr<strong>und</strong>legenden Prüfung<br />
unterziehen.<br />
Der Bericht schließt mit zwei Geschichten von<br />
ANTONIO EGIGUREN, <strong>der</strong> im St. Clare’s Hospiz für<br />
Sterbende in Lamsai, Thailand, arbeitet. Eine<br />
Geschichte erzählt von einer muslimischen Frau,<br />
die von ihrem Ehemann, einem LKW-Fahrer, zu<br />
Drogenkonsum <strong>und</strong> Prostitution in Bangkok<br />
gezwungen wurde. Verlassen von ihrer Familie, liegt<br />
sie allein an AIDS sterbend in Lamsai. Die an<strong>der</strong>e<br />
Geschichte berichtet von einer jungen Frau chinesischer<br />
Herkunft, die auch einen LKW-Fahrer in<br />
Bangkok heiratete <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> Drogenabhängigkeit<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holten Untreue ihres Mannes<br />
nicht bewusst war. Innerhalb eines Jahres starb ihr<br />
einziger Sohn an AIDS, dem ihr Ehemann im Alter<br />
von 31 Jahren folgte. Sie selbst hat nicht mehr lange<br />
zu leben. Als sie über ihr Verhalten ihrem Mann<br />
gegenüber befragt wurde, sagte sie: „Mir wurde<br />
von meiner Mutter von Kindheit an beigebracht, zu<br />
akzeptieren, dass Männer promiskuitiv <strong>und</strong> zu<br />
schwach sind, ihre sexuellen Begierden zu beherrschen.<br />
Ich entsprach diesen Weisungen <strong>und</strong> es verletzt<br />
mich nicht zu erfahren, dass mein Ehemann<br />
gerne zu an<strong>der</strong>en Mädchen ging.“<br />
Franziskanerinnen <strong>und</strong> Franziskaner, Laien <strong>und</strong><br />
Ordensleute werden sich zunehmend bewusst, dass<br />
die Erziehung <strong>der</strong> Schlüssel zur Verän<strong>der</strong>ung solchen<br />
Verhaltens ist, eine Erziehung, die oft in Gegensatz<br />
zu vorherrschenden religiösen <strong>und</strong> kulturellen Über-<br />
125
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
Matthäus 11, 58<br />
lieferungen stehend erscheinen mag. Für zu lange<br />
Zeit, sagen sie, stand <strong>der</strong> Beitrag <strong>der</strong> hl. Klara für das<br />
franziskanische Charisma verborgen im Schatten <strong>des</strong><br />
hl. Franziskus, – eine Tatsache, die erst während <strong>der</strong><br />
jüngsten 800-Jahrfeierlichkeiten deutlich zu werden<br />
begann. Bis diese Tatsache anerkannt ist, werden<br />
Frauen nie die gleiche Anerkennung <strong>und</strong> Verantwortlichkeit<br />
erreichen, die sie im Leben <strong>der</strong> Kirche<br />
suchen. Die Franziskanerin MARIA ELENA MARTI-<br />
NEZ ist eine Frau, die vom sich wandelnden Verhalten<br />
gegenüber Frauen in <strong>der</strong> Kirche profitiert hat.<br />
Seit kurzem Novizenmeisterin bei den SISTERS OF<br />
ST. FRANCIS OF PENANCE AND CHRISTIAN CHARITY<br />
in Kalifornien, USA, wurde Maria Elena als Kind<br />
mexikanisch-amerikanischer Eltern geboren. Mit ca.<br />
20 Jahren trat sie einer franziskanischen Gemeinschaft<br />
bei <strong>und</strong> wurde zu einer Ausbildung als geistliche<br />
Begleiterin geschickt. Sie lernte viel über die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen multikulturellen Lebens. Später<br />
unterrichtete Maria Elena an einer Highschool in<br />
Los Angeles. Sie wurde angefragt, ob sie als geistliche<br />
Begleiterin in einer örtlichen Postulatsgemeinschaft<br />
Dienst tun wolle, da kein Bru<strong>der</strong> für diese Aufgabe<br />
gef<strong>und</strong>en werden konnte. Maria Elena nahm an. Sie<br />
126<br />
konnte zwar nicht mit den Brü<strong>der</strong>n leben, doch sie<br />
konnte täglich mit ihnen essen, als geistliche Begleiterin<br />
arbeiten <strong>und</strong> Unterricht geben. Als spanisch<br />
sprechende Männer aus El Salvador <strong>und</strong> Mexiko<br />
zum ersten Mal in dieser Zeit in größerer Zahl in das<br />
Noviziat eintraten, setzte Maria Elena ihre Arbeit als<br />
Mitglied <strong>des</strong> Ausbildungsteams <strong>der</strong> Provinz für weitere<br />
zwölf Jahre fort. Nach Aussagen Maria Elenas<br />
war die Arbeit mit den spanisch sprechenden Männern<br />
beson<strong>der</strong>s dankbar, „weil sie auf Gr<strong>und</strong> ihrer<br />
Beziehungen zu ihren Müttern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Frauen<br />
in ihrem Leben, offener <strong>und</strong> verletzlicher sind in <strong>der</strong><br />
Gegenwart einer vertrauensvollen Frau. Für viele <strong>der</strong><br />
anglo-amerikanischen Männer war dies schwieriger.<br />
Es war ein Prozess, sie zu begleiten <strong>und</strong> ihnen beson<strong>der</strong>s<br />
bei den Themen zuzuhören, bei denen ich<br />
imstande war, zwischen den Konflikten <strong>der</strong> englischen<br />
<strong>und</strong> spanischen Kulturen zu vermitteln.“<br />
Schließlich übernahm Maria Elena auch die Koordination<br />
<strong>der</strong> „Guatemala-Erfahrung“, einem Orientierungsprogramm<br />
<strong>der</strong> Provinz. Nach dem Noviziat<br />
begeben sich die Brü<strong>der</strong> in die Außenbezirke von<br />
Guatemala City, wo sie in einer armen Pfarrei arbeiten,<br />
die von <strong>der</strong> zentralamerikanischen Provinz<br />
betreut wird, <strong>und</strong> in einem Haus leben, das im wörtlichen<br />
Sinn auf einer Müllhalde errichtet ist. Bevor<br />
die Brü<strong>der</strong> diese Erfahrung beginnen, arbeitet Maria<br />
Elena in kleinen Gruppen mit ihnen <strong>und</strong> behandelt<br />
mit ihnen Probleme wie Ärger, Alleinsein <strong>und</strong><br />
Sexualität – Probleme, die ihnen sicherlich begegnen<br />
werden, während sie in einem fremden Land leben.<br />
Nachdem die Brü<strong>der</strong> einige Monate in Guatemala<br />
gelebt haben, trifft sich Maria Elena mit jedem von<br />
ihnen einzeln. Ihr direkter, offener Stil ist ein großer<br />
Segen für viele, die offen ihre Zweifel <strong>und</strong> Bedenken<br />
ausdrücken können. Nach ihrer Rückkehr in die<br />
USA setzt Maria Elena ihre Arbeit als geistliche<br />
Begleiterin für diejenigen fort, die ihre Erfahrungen<br />
aus Guatemala anzuwenden versuchen auf neue<br />
Denkweisen über <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in ihren eigenen<br />
Gemeinschaften. Auch wenn später manche Brü<strong>der</strong><br />
auf bequeme Positionen innerhalb <strong>der</strong> Provinz<br />
rücken <strong>und</strong> weniger offen werden gegenüber <strong>der</strong><br />
Idee <strong>des</strong> Dialogs mit Frauen, glaubt Maria Elena,<br />
dass es wesentlich ist, sie in ständiger Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
zu halten – wie Klara Franziskus herausgefor<strong>der</strong>t<br />
hat hinsichtlich <strong>des</strong> Verhaltens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fähigkeit,<br />
in gegenseitiger Achtung vor allen Frauen <strong>und</strong><br />
Männern zu leben.
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
„Einige Männer sind tief betroffen, an<strong>der</strong>e jedoch<br />
akzeptieren nicht das Bedürfnis <strong>der</strong> Frauen nach<br />
Stärkung ihrer Position, weil sie fürchten, ihre Macht<br />
zu verlieren, beson<strong>der</strong>s in manchen Traditionen <strong>und</strong><br />
Kulturen.“ Das ist die Erfahrung von ROSE FERNAN-<br />
DO, <strong>der</strong> Koordinatorin für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
<strong>der</strong> FRANCISCAN MISSIONARIES OF MARY<br />
(FMM). Sie stammt aus Sri Lanka, dem ersten<br />
Land, das schon in den 50er Jahren eine Frau zur<br />
Premierministerin wählte. Rose verbringt viel Zeit<br />
auf Reisen, um Workshops zu Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden zu halten. Bekleidet mit ihrem<br />
knielangen grauen Habit <strong>und</strong> Schleier, ihre Hände<br />
zurückhaltend in ihrem Schoß gefaltet, entspricht sie<br />
nicht im entferntesten dem Stereotyp einer radikalen<br />
kirchlichen Feministin, die die Priesterweihe für<br />
Frauen for<strong>der</strong>n. Doch wenn sie zur För<strong>der</strong>ung von<br />
Frauen befragt wird, erzählen ihre Worte <strong>und</strong> ihr<br />
begeisterter Gesichtsausdruck eine ganz an<strong>der</strong>e<br />
Geschichte. Sie sagt: „Überall, wohin ich komme,<br />
sehe ich Frauen, die sich ihrer Situationen bewusster<br />
werden <strong>und</strong> sie mutig ansprechen, auch in solchen<br />
Kulturen, in denen Frauen bis heute in Schweigen<br />
gehalten wurden. Wohin ich auch gehe, bestehe ich<br />
sehr auf einer gemeinsamen Erziehung von Männern<br />
<strong>und</strong> Frauen; dies ist wirklich <strong>der</strong> Schlüssel zur Verän<strong>der</strong>ung.“<br />
Und die Dinge än<strong>der</strong>n sich zum Besseren –<br />
wenn auch langsam – selbst innerhalb <strong>der</strong> Kirche, so<br />
Rose. Sie verweist auf das Beispiel einer 91 Jahre<br />
alten Schwester aus Australien, die jüngst begonnen<br />
hat, während <strong>der</strong> täglichen Psalmen <strong>und</strong> Gebete die<br />
inklusive Sprachform zu verwenden.<br />
Wenn sie zu ihrer Erfahrung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
unter Brü<strong>der</strong>n, Schwestern <strong>und</strong> franziskanischen<br />
Laien auf internationaler Ebene gefragt wird, antwortete<br />
Rose: „Ich ging als ein Mitglied <strong>der</strong> Nichtregierungsorganisation<br />
FRANCISCANS INTERNATIO-<br />
NAL zur Weltfrauenkonferenz <strong>der</strong> UNO nach<br />
Peking <strong>und</strong> ich bin mir nicht sicher, wie viele<br />
Männer wirklich verstanden, was wir zu sagen versuchten<br />
– dass alles, was wir wünschen, eine Partnerschaft<br />
ist, in <strong>der</strong> Gesellschaft wie in <strong>der</strong> Kirche.“<br />
Ihre eigene persönliche Erfahrung <strong>der</strong> Lobbyarbeit<br />
auf dieser Ebene war sehr positiv, sowohl im September<br />
1995 in Peking als auch in Rom beim Gipfel<br />
<strong>der</strong> FAO über Hungerprobleme im November<br />
1996. FRANCISCANS INTERNATIONAL ist eine neue<br />
<strong>und</strong> konkrete Einsatzmöglichkeit, zusammen an<br />
gemeinsamen Themen zu arbeiten.<br />
Dänemark ist ein Land, in dem diese Art Kooperation<br />
auch auf nationaler Ebene geschieht, so MARI-<br />
ANNE POWELL, Koordinatorin für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden für den Internationalen Rat <strong>der</strong> Franziskanischen<br />
Gemeinschaft (FG). Als ehemalige Universitätsprofessorin<br />
für Englisch arbeitet sie jetzt im<br />
Bereich Erziehung für die Diözese Kopenhagen, <strong>der</strong><br />
einzigen katholischen Diözese in Dänemark. Die<br />
kleine katholische Bevölkerungsgruppe wie <strong>der</strong><br />
Mangel an Priestern sind aus ihrer Sicht <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>,<br />
warum Laien, Frauen <strong>und</strong> Männer, in diesem Teil<br />
<strong>der</strong> Welt gelernt haben, so gut zusammenzuarbeiten.<br />
Sie selbst war am Aufbau <strong>der</strong> Franziskanischen<br />
Gemeinschaft in Dänemark in den frühen 80er Jahren<br />
beteiligt. In den 15 Jahren seither sind sieben<br />
Gemeinschaften mit über 50 Mitglie<strong>der</strong>n entstanden;<br />
doch ihre kleine Zahl erfor<strong>der</strong>t eine Zusammenarbeit<br />
mit Ordensleuten, wenn sie wirkungsvoll<br />
arbeiten wollen. Auf internationaler Ebene half sie<br />
mit, einen Überblick über die FG in an<strong>der</strong>en Teilen<br />
<strong>der</strong> Welt zusammenzutragen. „Die Erkenntnisse<br />
waren unterschiedlich; in einigen Län<strong>der</strong>n sind die<br />
Laien gut mit ihren franziskanischen Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
Schwestern organisiert. In an<strong>der</strong>en gibt es keine<br />
offiziellen Strukturen, aber Franziskaner arbeiten in<br />
Gremien diözesaner Kommissionen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden zusammen. Meine Rolle besteht<br />
darin, ein größeres Bewusstsein unter diesen Gruppen<br />
zu wecken für Themen, in denen sie kooperieren<br />
können.“ Auf dem Feld von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden, meint sie, biete sich die Zusammenarbeit<br />
natürlich an, doch sie gesteht: „Diese Sicht wird von<br />
vielen Männern <strong>und</strong> Frauen in einem Großteil <strong>der</strong><br />
Entwicklungslän<strong>der</strong> noch lange nicht geteilt.“<br />
Der ehemalige Bru<strong>der</strong> KENGO KOBAYASHI war in<br />
Japan als Unterstützer <strong>der</strong> Frauenrechte bekannt,<br />
im Beson<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Rechte <strong>der</strong> dort am stärksten<br />
benachteiligten Frauen, <strong>der</strong> Immigrantinnen. Viele<br />
tausend Frauen verlassen je<strong>des</strong> Jahr die Philippinen<br />
<strong>und</strong> kommen nach Japan auf <strong>der</strong> Suche nach<br />
Arbeit, die sie in die Lage versetzen könnte, ihre um<br />
ihre Existenz kämpfenden Familien zu Hause zu<br />
unterstützen. Einige werden in das Unterhaltungsgeschäft<br />
gezogen, an<strong>der</strong>e als Ehefrauen an wohlhabende<br />
Japaner verkauft, an<strong>der</strong>e arbeiten als Haushaltshilfen,<br />
aber alle laufen Gefahr, durch skrupellose<br />
Unternehmer o<strong>der</strong> „Besitzer“ ausgebeutet zu<br />
werden. Als Vorsitzenden <strong>des</strong> Yokohama Solidaritätszentrums<br />
für Migranten kann man Kengo<br />
127
■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
manchmal sehen, wie er auf den Straßen für die<br />
Interessen dieser Frauen demonstriert. Um ihnen zu<br />
helfen, sich selbst zu organisieren <strong>und</strong> zu stärken,<br />
hat er auch ein umfassen<strong>des</strong> Handbuch für Migranten<br />
zusammengestellt, das ihre Rechte im japanischen<br />
Recht auflistet <strong>und</strong> die Organisationen, an<br />
die sie sich um Hilfe wenden können. Das 1996<br />
veröffentlichte Buch deckt alle Gebiete ab, von <strong>der</strong><br />
Einreise <strong>und</strong> Aufenthaltserlaubnis bis zu Arbeit <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitsthemen, im Beson<strong>der</strong>en die Sexualhygiene<br />
<strong>der</strong> Frauen, wie auch die Gesetze zu Ehe,<br />
Scheidung <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung. Kengo hat die<br />
Arbeit mit diesen armen Frauen zu einer unerwarteten<br />
Bekehrung geführt: die Welt aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong><br />
armen Frauen zu sehen <strong>und</strong> sie mehr zu begleiten<br />
als zu führen.<br />
Fragen zur Diskussion<br />
1. Haben Franziskanerinnen die Wertschätzung<br />
deiner franziskanischen Berufung ausgeweitet?<br />
Haben Frauen <strong>der</strong> FG dasselbe getan?<br />
2. Haben franziskanische Frauen (Ordensschwestern<br />
o<strong>der</strong> Laien <strong>der</strong> FG) blinde Flecken<br />
in deiner franziskanischen Sicht herausgefor<strong>der</strong>t?<br />
Wenn ja, wie hast du ihr/ihnen<br />
geantwortet?<br />
3. Sind franziskanische Frauen dir gleichwertig?<br />
Beeinflusst dies deine apostolische Tätigkeit,<br />
die tägliche Unterhaltung o<strong>der</strong> das tägliche<br />
Leben in deiner Gemeinschaft?<br />
4. Arbeitet deine örtliche Gemeinschaft mit<br />
Franziskanerinnen in <strong>der</strong> Nachbarschaft<br />
zusammen? Tut dies deine Provinzgemeinschaft?<br />
5. Hat deine Provinz in jüngster Zeit eine Franziskanerin<br />
eingeladen, um auf einer Provinzversammlung<br />
zu sprechen o<strong>der</strong> Provinzexerzitien<br />
zu leiten?<br />
6. Haben du o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> Franziskanerinnen<br />
als geistliche Begleiterinnen? Wie hat<br />
dies dein/euer Leben in <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Berufung beeinflusst?<br />
128<br />
Generalkonstitutionen<br />
Artikel 56,1: Die Brü<strong>der</strong> sollen im Bewusstsein <strong>des</strong>selben<br />
Charismas <strong>und</strong> gegenseitiger Bindungen den<br />
Klosterfrauen vom Zweiten <strong>und</strong> Dritten Orden <strong>des</strong><br />
heiligen Franziskus immer liebevolle Sorge <strong>und</strong> Aufmerksamkeit<br />
zuwenden.<br />
Weitere Hinweise: Artikel 51 <strong>und</strong> 58.<br />
7. Welchen Beitrag vermag dir Klara für dein<br />
Verstehen <strong>und</strong> Leben <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Berufung zu geben?<br />
8. Welchen Beitrag leisten Frauen für den Glauben<br />
unserer christlichen Kirchen heute?<br />
9. Welchen Beitrag leisten Frauen <strong>der</strong> Kirche<br />
für das Ordensleben heute?<br />
10. Was sind die weiblichen Beiträge für Gottes<strong>und</strong><br />
Kirchenbild? Welchen beson<strong>der</strong>en<br />
Beitrag können Frauen für unseren Eintritt in<br />
die Welt <strong>der</strong> Armen leisten?<br />
11. Gibt es weibliche Werte, welche die verschiedenen<br />
Weisen <strong>der</strong> Jesusnachfolge bereichern?<br />
12. Gibt die Situation <strong>der</strong> Frauen in <strong>der</strong> Kirche<br />
ihnen einen Vorteil, das Leben nach dem<br />
Evangelium zu verstehen <strong>und</strong> zu leben?<br />
13. Können Frauen eine bedeutende Rolle<br />
übernehmen, mit Zärtlichkeit <strong>und</strong> Einfühlungsvermögen<br />
zu evangelisieren? Welche<br />
einzigartigen Beiträge können christliche<br />
Frauen zur Erneuerung <strong>der</strong> Kirche leisten?
Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong><br />
interkultureller Dialog
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
Ökumenischer,<br />
interreligiöser<br />
<strong>und</strong> interkultureller<br />
Dialog<br />
§ 1 Der ökumenische Geist muss überall geför<strong>der</strong>t werden,<br />
<strong>und</strong> wenn die Verhältnisse es erlauben, sollen<br />
Wege <strong>und</strong> Mittel <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit allen an<strong>der</strong>en<br />
Christen gesucht werden ...<br />
§ 2 In Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Ehrerbietung sollen die<br />
Brü<strong>der</strong> unter den Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen präsent<br />
sein <strong>und</strong> mit ihnen zusammen am Aufbau <strong>des</strong><br />
Volkes arbeiten, das Gott für sich geschaffen hat.<br />
<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 95,1-2<br />
Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />
Es kann vermutlich auf kein besseres Beispiel für<br />
Franziskus als Mann <strong>des</strong> Dialogs verwiesen werden,<br />
als auf die extrem positive Antwort <strong>der</strong> religiösen<br />
Führer <strong>der</strong> Welt auf die Einladung Papst Johannes<br />
Paul II., am 27. Oktober 1986 nach Assisi zu kommen,<br />
um für den Frieden zu beten. Die Demut <strong>und</strong><br />
Ehrerbietung, die Franziskus gegenüber je<strong>der</strong><br />
Person zeigte, sind Schlüsselfaktoren für jeglichen<br />
Dialog, sei er sozial, politisch o<strong>der</strong> religiös.<br />
Als Franziskus seinen ersten Brü<strong>der</strong>n erzählte, dass<br />
bald Franzosen, Spanier, Deutsche <strong>und</strong> Englän<strong>der</strong><br />
unter ihnen sein würden (1 Cel 27), bereitete er sie<br />
auf die Notwendigkeit <strong>des</strong> Dialogs vor! Wenn sich<br />
die ersten Brü<strong>der</strong> auf Kapitel trafen, dann führten<br />
sie einen Dialog über das, was Gott bereits durch sie<br />
gewirkt hatte, <strong>und</strong> über das neue Werk, das Gott<br />
wohl durch sie wirken wollte. So brachen die Brü<strong>der</strong><br />
nach Deutschland auf – zweimal (Jordan von<br />
Giano, NACH DEUTSCHLAND UND ENGLAND, 5 <strong>und</strong><br />
17). Das Erlernen <strong>der</strong> fremden Sprache war eine<br />
Voraussetzung für einen wirkungsvollen Dialog!<br />
An einer Stelle rühmt Celano die Einheit <strong>der</strong> Seelen<br />
<strong>und</strong> die Harmonie <strong>des</strong> Verhaltens <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> (1 Cel<br />
46). Franziskus zeigte einen Geist <strong>des</strong> Dialogs<br />
während seines Besuches beim Sultan Melek-el-<br />
Kamel (1 Cel 57). Jene, die unter die Ungläubigen<br />
gehen, haben zwei Optionen: a) Zank <strong>und</strong> Streit<br />
vermeiden <strong>und</strong> je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur um<br />
Gottes Willen untertan sein, o<strong>der</strong> b) das Wort Gottes<br />
offen verkünden (NbReg 16). Jene, die Streit vermeiden<br />
<strong>und</strong> anständig handeln (BReg 3), haben die<br />
Chance, dialogfähig zu sein. Die Demut <strong>des</strong> Franziskus<br />
hat bewirkt, dass ein großer Baum [Papst Innozenz<br />
III.] sich nie<strong>der</strong>beugte <strong>und</strong> einen kleinen Baum<br />
emporhob [Franziskus, als er den Papst bat, die<br />
Lebensweise <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft zu bestätigen] (Drei-<br />
Gef 53). Wenn Franziskus predigte, „redete er mit<br />
gleichem Freimut zu groß <strong>und</strong> klein. … Je<strong>des</strong> Alter<br />
<strong>und</strong> Geschlecht waren begierig, den neuen Menschen,<br />
den <strong>der</strong> Himmel gesandt hatte, zu sehen <strong>und</strong><br />
zu hören“ (LegMai XII,8). Franziskus sagte den Brü<strong>der</strong>n,<br />
dass die Menschen für ihre Bedürfnisse aufkommen<br />
würden, solange sie ihnen ein gutes Beispiel<br />
gäben. Wenn die Brü<strong>der</strong> es unterließen, ein solches<br />
Beispiel zu geben, würde <strong>der</strong> Vertrag gebrochen<br />
(2 Cel 70). Der „Dialog <strong>des</strong> Lebens“ geht weiter!<br />
Reflexion<br />
Einführung<br />
Können wir an einen Dialog zwischen den Religionen<br />
glauben, im Blick auf das, was 1994 im Nahen<br />
Osten, in Osteuropa <strong>und</strong> in vielen an<strong>der</strong>en Teilen<br />
<strong>des</strong> Planeten geschah? Doch <strong>der</strong> Dialog besteht<br />
bereits, diskret, geduldig <strong>und</strong> vertrauensvoll,<br />
zwischen den offiziellen Vertretern <strong>der</strong> Religionen.<br />
Zwei gemeinsame Punkte verbinden sie: eine verständnisvolle<br />
Neugierde <strong>und</strong> das heilige Versprechen,<br />
keine Proselytenmacherei zu betreiben.<br />
Die nichtchristlichen Religionen haben nicht leicht<br />
Interesse an diesem Dialog gezeigt: jede von ihnen<br />
glaubt, dass sie den „wahren Gott“ besitzt, gut<br />
inkulturiert. Was kann man von an<strong>der</strong>en lernen<br />
131
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
o<strong>der</strong> was kann man an<strong>der</strong>e lehren? Friedliche Koexistenz<br />
genügt. Zwei Vorfestlegungen belasten die<br />
Christen, die die Initiative zu diesen Begegnungen<br />
ergriffen haben: Die erste, treu zu sein gegenüber<br />
dem Auftrag <strong>des</strong> Herrn: „Lehrt alle Völker <strong>und</strong> tauft<br />
sie.“ Die zweite: in welchem Sinn können wir<br />
bekennen, dass Christus <strong>der</strong> einzige Erlöser <strong>der</strong><br />
Menschheit ist.<br />
Um auf diese zwei Fragen zu antworten, denken<br />
Christen, brauchen sie die an<strong>der</strong>en Religionen;<br />
voller Achtung hat man begonnen, den Dialog<br />
zeitweise fortzusetzen. Dies sollte auf vier Ebenen<br />
bedacht werden:<br />
■ in einem gr<strong>und</strong>legenden Dialog aus <strong>der</strong> Tatsache,<br />
ihn gemeinsam zu leben.<br />
■ in einem gr<strong>und</strong>legenden Dialog zur Bewahrung<br />
<strong>und</strong> Entwicklung <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
menschlichen Werte.<br />
■ im Teilen spiritueller, d.h. mystischer Erfahrungen.<br />
■ im theologischen Austausch <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gegenüberstellung<br />
<strong>des</strong> Sprechens über Gott.<br />
Das Zweite Vatikanische Konzil erklärte, dass die<br />
an<strong>der</strong>en Religionen „Samen <strong>des</strong> Wortes“ seien.<br />
Johannes Paul II. sprach in prophetischer Weise:<br />
„Wenn ein Mensch betet, ist es <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> ihn<br />
beten lässt.“<br />
Einige Frauen <strong>und</strong> Männer haben ihre Spuren in<br />
<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Kirche hinterlassen, durch ihr<br />
Zeugnis <strong>der</strong> Treue zu Gott <strong>und</strong> <strong>des</strong> Glaubens an die<br />
Menschheit. Unter diesen Zeugen war Franziskus<br />
von Assisi <strong>und</strong> er ist es auch weiterhin, ein Symbol<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />
für die vielen Menschen, die ihn überall auf <strong>der</strong><br />
Welt verehren.<br />
A) Dialog im Leben<br />
<strong>des</strong> Franziskus von Assisi<br />
Franziskus war Zeit seines Lebens nicht nur ein<br />
Mann <strong>des</strong> Gebets, son<strong>der</strong>n auch ein Mann <strong>des</strong> Dialogs.<br />
Er bevorzugte diese Weise <strong>der</strong> Anwesenheit in<br />
<strong>der</strong> Welt, um mit Gott, Männern, Frauen, seinen<br />
Brü<strong>der</strong>n, seinen Schwestern <strong>und</strong> <strong>der</strong> gesamten<br />
Schöpfung in Beziehung zu treten.<br />
132<br />
Es ist leicht, Augenblicke seines Lebens aufzuzeigen,<br />
in denen <strong>der</strong> Dialog eine zentrale Rolle spielt, wenn<br />
er Handelnden den Weg zu Versöhnung, Frieden<br />
<strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit weist. Wir wollen hier keine ins<br />
Einzelne gehende Aufzählung geben, weil diese zu<br />
umfangreich würde, doch wir wollen einige Situationen<br />
vorstellen, die mit unterschiedlichen Formen<br />
<strong>des</strong> Dialogs verb<strong>und</strong>en sind.<br />
■ Ein Dialog, <strong>der</strong> bekehrt: „Was willst du,<br />
Herr, das ich tun soll?“ (LegMai I,3).<br />
■ Ein Dialog, <strong>der</strong> befreit: Wie <strong>der</strong> hl. Franziskus<br />
einen Aussätzigen auf w<strong>und</strong>ersame Weise<br />
an Leib <strong>und</strong> Seele heilte (Fior 25).<br />
■ Ein Dialog <strong>der</strong> Frieden schafft: Wie <strong>der</strong> hl.<br />
Franziskus mit Hilfe göttlicher Kraft einen<br />
grimmigen Wolf zähmte (Fior 21).<br />
■ Ein Dialog, <strong>der</strong> das Herz öffnet: Wie <strong>der</strong> hl.<br />
Franziskus Br. Leo erklärte, was vollkommene<br />
Freude sei (Fior 8).<br />
■ Ein Dialog, <strong>der</strong> auf Praxis gründet: Seine<br />
Kenntnis <strong>der</strong> Schrift; sein prophetischer Geist<br />
(vgl. LegMai XI,1).<br />
■ Ein Geist, <strong>der</strong> sich gegenüber dem Fremden<br />
öffnet: Die Begegnung mit dem Sultan (vgl.<br />
LegMai IX,8).<br />
■ Ein Dialog, <strong>der</strong> heilt: Den Aussätzigen (1 Cel<br />
146). Taube <strong>und</strong> Stumme (1 Cel 147-148).<br />
■ Ein Dialog, <strong>der</strong> verwandelt: Wie <strong>der</strong> hl. Franziskus<br />
drei Raubmör<strong>der</strong> bekehrte (Fior 26).<br />
B) Im Dialog evangelisieren<br />
Ein neuer Dienst für den Dialog in <strong>der</strong> Generalkurie<br />
<strong>OFM</strong>.<br />
RICHTLINIEN<br />
Beweggründe<br />
1. Evangelisierung, die beim hl. Franziskus einen<br />
beson<strong>der</strong>en dialogischen Zug hatte, ist ein wesentliches<br />
Element <strong>der</strong> Berufung <strong>des</strong> Ordens. Dem Auftrag<br />
<strong>der</strong> Generalkapitel von 1991 <strong>und</strong> 1997 folgend,<br />
erachtet das Generaldefinitorium es <strong>des</strong>halb<br />
als dringlich, den Einsatz <strong>des</strong> Ordens für Evangelisierung<br />
zu vertiefen, zu unterstützen <strong>und</strong> zu för<strong>der</strong>n.<br />
Durch die Errichtung von Strukturen soll<br />
den Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n geholfen werden, in einen
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
positiven <strong>und</strong> brü<strong>der</strong>lichen Kontakt mit allen Menschen<br />
zu treten, ohne Hin<strong>der</strong>nisse religiöser<br />
<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> kultureller Art, um das Evangelium unter<br />
Anerkennung <strong>und</strong> Achtung <strong>der</strong> Werte <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />
Kulturen zu verkünden.<br />
2. Ermutigt durch diesen Auftrag <strong>und</strong> mit dem<br />
Wunsch, Kapitel V <strong>der</strong> Generalkonstitutionen konkreter<br />
zu füllen, hat das Generaldefinitorium die<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> vorausgehenden Konsultationen <strong>und</strong><br />
Entscheidungen gesammelt, um sie zu einer einheitlichen<br />
Sicht <strong>der</strong> kontemplativen <strong>und</strong> evangelisierenden<br />
Dimension unserer franziskanischen Berufung<br />
zu bündeln. Gleichzeitig unterstreicht es die<br />
gemeinschaftlichen, brü<strong>der</strong>lichen <strong>und</strong> offenen<br />
Merkmale franziskanischer Evangelisierung <strong>und</strong><br />
die Unmöglichkeit, Ausbildung von Handeln,<br />
Zeugnis von Verkündigung zu trennen.<br />
3. Während das Generaldefinitorium die Früchte<br />
<strong>der</strong> bisherigen Arbeit sammelt <strong>und</strong> im Dokument<br />
„Die ganze Welt mit dem Evangelium Christi erfüllen“<br />
(1 Cel 97) zusammenfasst, lädt es die Brü<strong>der</strong><br />
ein, ihre Berufung innerhalb <strong>des</strong> breiteren Horizonts<br />
einer Weltsituation zu betrachten, die sich<br />
ständig entfaltet.<br />
4. Die Situation <strong>der</strong> menschlichen Beziehungen<br />
an <strong>der</strong> Schwelle <strong>des</strong> dritten Jahrtausends <strong>und</strong> die<br />
jüngeren Dokumente <strong>des</strong> kirchlichen Lehramts stellen<br />
den Dialog in den Mittelpunkt <strong>der</strong> Aufmerksamkeit<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Tätigkeit jener, die den Frieden<br />
<strong>und</strong> das Wohlergehen <strong>der</strong> Menschheit suchen.<br />
5. Auch die fortwährenden Bezugnahmen <strong>des</strong><br />
Papstes <strong>und</strong> <strong>der</strong> autorisierten Vertreter von Kirchen<br />
<strong>und</strong> Religionen auf unseren Ordensvater als För<strong>der</strong>er<br />
<strong>der</strong> Versöhnung, <strong>des</strong> Dialogs <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />
<strong>und</strong> ihre drängende <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>holte Auffor<strong>der</strong>ung<br />
an die Brü<strong>der</strong>, die Sendung <strong>des</strong> Franziskus in die Tat<br />
umzusetzen, wandeln den Einsatz für den Dialog in<br />
eine Voraussetzung <strong>des</strong> franziskanischen Charismas.<br />
In <strong>der</strong> Tat zeigt sich in <strong>der</strong> wachsenden Zahl <strong>der</strong>er,<br />
die sich für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> einsetzen, deutlich <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong><br />
die menschliche <strong>und</strong> christliche Erfahrung <strong>des</strong><br />
hl. Franziskus beseelte.<br />
6. Der hl. Franziskus war <strong>und</strong> ist wahrhaftig ein<br />
Mensch <strong>des</strong> Dialogs im strengen Sinn <strong>des</strong> Wortes.<br />
Er ist durch seine sehr intensive <strong>und</strong> tiefgreifende<br />
christliche Erfahrung ein universaler Mensch, versöhnt<br />
mit Gott, mit sich selbst, mit allen Menschen<br />
<strong>und</strong> mit <strong>der</strong> gesamten Schöpfung. Er brachte allen<br />
die evangelische Botschaft in Demut <strong>und</strong> Liebe.<br />
7. Da <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus für die Menschen<br />
von heute so bedeutsam ist, sollte er auch <strong>der</strong><br />
Geist aller Franziskaner sein <strong>und</strong> ihr evangelisieren<strong>des</strong><br />
Wirken kennzeichnen <strong>und</strong> beseelen.<br />
8. Tatsächlich geben franziskanische Kultur <strong>und</strong><br />
Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit eine glaubwürdige Antwort<br />
auf die entstehenden Probleme in den verschiedenen<br />
Kulturen <strong>und</strong> eine gut begründete Hoffnung,<br />
sie zu lösen. In einer Welt gekennzeichnet<br />
von Missklängen, welche Menschen in ihrer Beziehung<br />
zur Schöpfung <strong>und</strong> in den gegenseitigen<br />
Beziehungen zwischen Personen <strong>und</strong> Völkern<br />
unmittelbar betreffen, ist die franziskanische Evangelisierung<br />
fähig, eine hoffnungsvolle Antwort zu<br />
geben, indem sie eine Kultur <strong>der</strong> Nähe, eine ökologische<br />
<strong>und</strong> kosmische Kultur, eine Kultur <strong>des</strong> Dialogs<br />
anbietet; sie ist dabei selbst gegründet in ihrer<br />
eigenen Spiritualität, in <strong>der</strong> franziskanischen Sicht<br />
<strong>der</strong> Präsenz Gottes <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Menschheit Christi<br />
sowie <strong>der</strong> Sicht <strong>des</strong> einsichtsvollen Menschen. Sie ist<br />
<strong>der</strong> Weg, <strong>der</strong> das Evangelium in die Herzen <strong>des</strong> heutigen<br />
Menschen einzupflanzen vermag (vgl. die<br />
Ansprache von Johannes Paul II. im Antonianum,<br />
mit dem Auftrag an den Orden, Verkün<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Hoffnung zu sein). Der Fortschritt in Technologie<br />
<strong>und</strong> Wissenschaft, das Anwachsen <strong>und</strong> die Verbreitung<br />
<strong>der</strong> Kommunikationsmittel, <strong>der</strong> wechselseitige<br />
Einfluss <strong>der</strong> Kulturen, das Informationstempo, die<br />
neue Welt <strong>der</strong> Computer haben neue Situationen<br />
geschaffen, die von uns Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n, wenn<br />
wir unserer Berufung treu sein wollen, eine Antwort<br />
verlangen, die uns gestattet, unter Voraussetzung<br />
<strong>der</strong> bestehenden Werte das auszuschalten, was die<br />
menschliche Würde verletzen könnte. Dem Beispiel<br />
<strong>des</strong> Franziskus folgend, <strong>der</strong> allen Menschen das zum<br />
Leben gewordene Evangelium bringen wollte, muss<br />
unsere Lebensform auf die neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Menschheit in einer Haltung <strong>des</strong> Dialogs<br />
antworten.<br />
9. Die universale religiöse Erfahrung <strong>des</strong> hl. Franziskus<br />
<strong>und</strong> sein Verhalten gegenüber den muslimischen<br />
Führern bieten ein Beispiel <strong>des</strong> Dialogs mit<br />
Mitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Religionen, das die Möglichkeit<br />
aufgezeigt hat, Vertreter aller Glaubensrichtungen<br />
vom Dialog zu überzeugen <strong>und</strong> in ihn einzubeziehen.<br />
10. Die Erfahrung <strong>der</strong> Versöhnung, die Einpflanzung<br />
<strong>des</strong> Wortes Gottes, die Beziehung zur Schöpfung<br />
<strong>und</strong> das Modell franziskanischer Gemeinschaft<br />
als ein Stil kirchlichen Lebens machen die franziska-<br />
133
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
nische Erfahrung zu einem Bezugspunkt für ökumenischen<br />
Dialog.<br />
11. Aus allen diesen Elementen ergibt sich die<br />
gemeinsame Berufung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> zu Ökumene <strong>und</strong><br />
Dialog. Eben <strong>des</strong>halb will <strong>der</strong> Generalminister den<br />
Orden verpflichten, mit neuem Antrieb <strong>und</strong> in neuen<br />
Formen zu evangelisieren. Das Generaldefinitorium<br />
unterstützt diesen erneuerten Einsatz durch<br />
die Errichtung eines Organismus, <strong>der</strong> Zeichen eines<br />
aktiven Willens, Gelegenheit zur Hilfe <strong>und</strong> Einbeziehung<br />
aller im Augenblick eingesetzten Kräfte auf<br />
den Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong> Evangelisierung<br />
sein will, damit die Anordnungen <strong>des</strong> Generalministers<br />
nicht einfach nur Papier bleiben.<br />
Struktur<br />
12. Der Dienst für den Dialog (SD) ist eingerichtet,<br />
eingesetzt auf drei Fel<strong>der</strong>n:<br />
■ den ökumenischen Dialog<br />
■ den interreligiösen Dialog<br />
■ den Dialog mit den Kulturen.<br />
Kommission für den ökumenischen Dialog<br />
(CED)<br />
Beweggründe<br />
1. Nicht nur das Zweite Vatikanische Konzil verpflichtet<br />
die katholische Kirche <strong>und</strong> jeden Christen<br />
zum Weg <strong>der</strong> Ökumene <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dialogs (vgl. die<br />
Dokumente UNITATIS REINTEGRATIO <strong>und</strong> NOSTRA<br />
AETATE). Auch <strong>der</strong> jetzige Papst hat durch drei<br />
Dokumente in jüngster Zeit die Notwendigkeit <strong>und</strong><br />
die Dringlichkeit <strong>des</strong> Einsatzes für die Einheit <strong>der</strong><br />
Christen im Blick auf die Einheit aller Menschen<br />
unterstrichen ( vgl. die Apostolischen Schreiben<br />
TERTIO MILLENNIO ADVENIENTE <strong>und</strong> ORIENTALE<br />
LUMEN <strong>und</strong> die Enzyklika UT UNUM SINT).<br />
2. Der Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> kann sich diesem<br />
neuen Bewusstsein <strong>und</strong> dieser neuen Orientierung<br />
nicht entziehen. In <strong>der</strong> Tat hat die Leitung <strong>des</strong><br />
Ordens, seit den ersten Schritten bei <strong>der</strong> Errichtung<br />
unserer Präsenz in den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />
unabhängiger Staaten (GUS), die Prinzipien <strong>des</strong><br />
Dialogs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit befolgt, wie sie<br />
von <strong>der</strong> Katholischen Kirche verkündet werden.<br />
Das Ergebnis <strong>der</strong> guten Beziehungen mit den wich-<br />
134<br />
tigsten orthodoxen Patriarchen ist Frucht eines<br />
bescheidenen <strong>und</strong> überzeugten Einsatzes am Dienst<br />
für den Dialog.<br />
3. Die neue Situation an <strong>der</strong> Schwelle <strong>des</strong> dritten<br />
Jahrtausends ist gekennzeichnet durch bisher nicht<br />
gekannte Anfragen, die for<strong>der</strong>n, dass <strong>der</strong> ökumenische<br />
Einsatz <strong>des</strong> Ordens an Festigkeit <strong>und</strong> Beständigkeit<br />
gewinnt, um allen Brü<strong>der</strong>n die Gelegenheit<br />
zu ökumenischem Verständnis <strong>und</strong> entsprechen<strong>der</strong><br />
Ausbildung zu geben.<br />
Kommission für den interreligiösen Dialog<br />
(CID)<br />
Beweggründe<br />
1. Die Kirche beobachtet aufmerksam ihre<br />
Beziehung zu Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen. Sie<br />
sucht Gemeinsamkeiten, um unsere Bemühungen<br />
zur Errichtung einer großen Gemeinschaft zu einen,<br />
weil „alle Völker ja eine einzige Gemeinschaft“<br />
bilden <strong>und</strong> denselben Ursprung haben, „da Gott<br />
das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten<br />
Erdkreis wohnen ließ“ (NA 1).<br />
2. „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem<br />
ab, was in diesen Religionen wahr <strong>und</strong> heilig<br />
ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene<br />
Handlungs- <strong>und</strong> Lebensweisen. … Deshalb mahnt<br />
sie ihre Söhne, dass sie mit Klugheit <strong>und</strong> Liebe,<br />
durch Gespräch <strong>und</strong> Zusammenarbeit mit den<br />
Bekennern an<strong>der</strong>er Religionen sowie durch ihr<br />
Zeugnis <strong>des</strong> christlichen Glaubens <strong>und</strong> Lebens<br />
jene geistlichen <strong>und</strong> sittlichen Güter <strong>und</strong> auch die<br />
sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden,<br />
anerkennen, wahren <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n“ (NA 2).<br />
3. Die Kirche ermahnt uns, die gegnerischen<br />
Erfahrungen <strong>der</strong> vergangene Jahrh<strong>und</strong>erte zwischen<br />
Christen <strong>und</strong> Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen zu<br />
überwinden, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen<br />
zu bemühen <strong>und</strong> gemeinsam einzutreten für<br />
Schutz <strong>und</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
<strong>der</strong> sittlichen Güter <strong>und</strong> nicht zuletzt <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Freiheit für alle Menschen“ (NA 3).<br />
4. Die Geschichte <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> ist voll<br />
von Begegnungen mit Mitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Religionen,<br />
beson<strong>der</strong>s mit den sogenannten historischen<br />
Religionen: Judentum, Islam, Hinduismus <strong>und</strong><br />
Buddhismus. Eine beson<strong>der</strong>e Verbindung besteht
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
zum Judentum. Die Kirche bekennt, dass alle<br />
Christgläubigen in die Berufung <strong>des</strong> Patriarchen<br />
Abraham eingeschlossen sind. Sie vergisst nicht,<br />
dass sie die Offenbarung <strong>des</strong> Alten Testamentes<br />
durch das jüdische Volk empfangen hat, mit dem<br />
Gott den Alten B<strong>und</strong> geschlossen hat; aus diesen<br />
Gründen wollen wir zu gegenseitigem Kennenlernen,<br />
zu Wertschätzung <strong>und</strong> brü<strong>der</strong>lichem Dialog<br />
ermutigen (NA 4).<br />
5. Was den Islam betrifft, wurde eine beachtliche<br />
Anstrengung unternommen, unsere franziskanische<br />
Präsenz fortzusetzen <strong>und</strong> die Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern<br />
zu unterstützen, die in islamischen Län<strong>der</strong>n<br />
arbeiten. Seit 1982 unterstützt das Generaldefinitorium<br />
diesen Aspekt <strong>des</strong> interreligiösen Dialogs<br />
durch die internationale Kommission <strong>OFM</strong> für die<br />
Beziehungen zu den Muslimen. „In <strong>der</strong> Gefolgschaft<br />
<strong>des</strong> heiligen Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> ersten Missionare<br />
<strong>des</strong> Ordens sollen die Brü<strong>der</strong> starkes Interesse<br />
daran haben, demütig unter die Völker mit<br />
islamischer Religion zu gehen <strong>und</strong> hingebungsvoll<br />
bei ihnen zu leben; für sie gibt es ja ebenfalls keinen<br />
Allmächtigen außer Gott“ (GG.CC. 95,3).<br />
6. „In Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Ehrerbietung sollen die<br />
Brü<strong>der</strong> unter den Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen<br />
präsent sein <strong>und</strong> mit ihnen zusammen am Aufbau<br />
<strong>des</strong> Volkes arbeiten, das Gott für sich geschaffen<br />
hat“ (GG.CC. 95,2). Deswegen möchte das Generaldefinitorium<br />
die interreligiöse Ausbildung <strong>der</strong><br />
Brü<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n durch die Errichtung einer Kommission<br />
für den interreligiösen Dialog .<br />
Kommission für den Dialog<br />
mit den Kulturen (CDC)<br />
Beweggründe<br />
1. Evangelisierung ist ein wesentlicher Bestandteil<br />
<strong>des</strong> Lebens <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>. Wir evangelisieren,<br />
weil es notwendig ist, <strong>der</strong> menschlichen Person<br />
zu helfen, Wege zu finden für eine Antwort auf seine<br />
Sorgen. Das Hauptziel <strong>der</strong> Evangelisierung ist<br />
<strong>der</strong> einzelne Mensch, nicht das Anwachsen <strong>der</strong> Zahl<br />
<strong>der</strong> Gläubigen. Auch die Liebe Christi für den Menschen<br />
drängt die Kirche <strong>und</strong> daher den Orden, seine<br />
Sendung fortzuführen.<br />
2. Evangelisierung dringt nicht in die Tiefen <strong>der</strong><br />
menschlichen Person ein, wenn sie nicht den innersten<br />
Teil <strong>der</strong> Kultur erreicht, in <strong>der</strong> diese lebt. 1 Ein<br />
Glaube, <strong>der</strong> sich nicht selbst zu Kultur macht, ist<br />
kein voll angenommener, kein vollständig durchdachter<br />
o<strong>der</strong> treu gelebter Glaube. 2<br />
3. Die Evangelisierung <strong>der</strong> Kulturen hat als eine<br />
Konsequenz die Inkulturation <strong>des</strong> Evangeliums. Die<br />
Synthese von Kultur <strong>und</strong> Glaube ist nicht nur eine<br />
For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kultur, son<strong>der</strong>n auch <strong>des</strong> Glaubens.<br />
Dieser ist nicht mit irgendeiner Kultur identisch<br />
<strong>und</strong> ist unabhängig von allen Kulturen, doch<br />
gleichzeitig ist er berufen, alle Kulturen zu inspirieren<br />
<strong>und</strong> zu prägen.<br />
4. Die tiefe Inkulturation <strong>des</strong> Glaubens wird<br />
christliche Werte hervorbringen, die ihr F<strong>und</strong>ament<br />
in <strong>der</strong> Liebe Gottes <strong>und</strong> <strong>des</strong> Nächsten haben, dem<br />
1 Wir verwenden als Definition von Kultur folgende Stellungnahme <strong>der</strong> Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 53: „Unter Kultur im<br />
allgemeinen versteht man alles, wodurch <strong>der</strong> Mensch seine vielfältigen geistigen <strong>und</strong> körperlichen Anlagen ausbildet <strong>und</strong> entfaltet;<br />
wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis <strong>und</strong> Arbeit zu unterwerfen sucht; wodurch er das gesellschaftliche Leben in <strong>der</strong> Familie <strong>und</strong><br />
in <strong>der</strong> ganzen bürgerlichen Gesellschaft im moralischen <strong>und</strong> institutionellen Fortschritt menschlicher gestaltet; wodurch er endlich seine<br />
großen geistigen Erfahrungen <strong>und</strong> Strebungen im Lauf <strong>der</strong> Zeit in seinen Werken vergegenständlicht, mitteilt <strong>und</strong> ihnen Dauer verleiht –<br />
zum Segen vieler, ja <strong>der</strong> ganzen Menschheit.“<br />
2 Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer <strong>des</strong> Nationalkongresses <strong>der</strong> kirchlichen Bewegung für Kulturarbeit, 10. Januar 1982,<br />
Nr. 2. Die Verschiedenheit <strong>der</strong> Völker, Rassen, Religionen <strong>und</strong> Kulturen, mit denen die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> auf Gr<strong>und</strong> ihrer Berufung<br />
in Beziehung stehen, erfor<strong>der</strong>t eine beson<strong>der</strong>e Vorbereitung, die ein fruchtbareres Wirken erleichtert.<br />
135
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
Kern <strong>des</strong> gesamten christlichen Lebens. Aus diesem<br />
Gr<strong>und</strong> wird <strong>der</strong> CDC innerhalb <strong>des</strong> Dienstes für<br />
den Dialog (SD) auf solche Weise arbeiten, dass die<br />
Brü<strong>der</strong> „dieses Werk <strong>der</strong> Inkulturation gern unterstützen<br />
<strong>und</strong> för<strong>der</strong>n“ wollen (GG.CC. 92,2), d.h.<br />
dass es alles pastorale Handeln <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> prägen<br />
soll.<br />
5. Viele kulturellen Elemente <strong>der</strong> Völker sind<br />
Manifestationen <strong>der</strong> „Samen <strong>des</strong> Wortes“ (vgl.<br />
GG.CC. 92,2). Doch <strong>der</strong>en Anwesenheit bedeutet<br />
nicht, dass die Kulturen schon evangelisiert wären.<br />
Der Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> hat in seiner Jahrh<strong>und</strong>erte<br />
alten Tradition immer wie<strong>der</strong> die Dringlichkeit<br />
bekräftigt, das Evangelium zu allen Zeiten,<br />
in allen Gebieten <strong>und</strong> allen Kulturen zu verkünden.<br />
Die Anwesenheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, die die Kulturen<br />
achten, ist eine geschichtliche Erfahrung unserer<br />
Gemeinschaft. Die Unterschiedlichkeit von Völkern,<br />
Rassen, Religionen <strong>und</strong> Kulturen, mit denen<br />
die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> auf Gr<strong>und</strong> ihrer Berufung in<br />
Beziehung stehen, erfor<strong>der</strong>t von ihnen eine beson<strong>der</strong>e<br />
Vorbereitung, die ihnen helfen wird, leichter<br />
eine fruchtbare Tätigkeit zu entfalten.<br />
6. Durch ihre Berufung sind die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />
aufgerufen, in je<strong>der</strong> Generation „meine Kirche wie<strong>der</strong>herzustellen“.<br />
Dieses Bestreben wird nur durch<br />
Evangelisierung erreicht. Dieses Handeln kann nur<br />
durch eine ehrliche Evangelisierungstätigkeit verwirklicht<br />
werden, welche die Existenz eines Organismus<br />
rechtfertigt, <strong>der</strong> dem Generalminister <strong>und</strong><br />
seinem Definitorium hilft, dieses Unterfangen<br />
anzuregen, das einen wesentlichen Teil <strong>der</strong> Berufung<br />
bildet, die wir vom Herrn empfangen haben.<br />
7. Wenn ihnen ihre eigene Identität klar ist, die<br />
aus einem vollständig evangelischem Leben entsteht,<br />
werden die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> imstande sein,<br />
die Werte <strong>der</strong> authentischen Kulturen zu erkennen,<br />
<strong>und</strong> zwar in einer Weise, die jeden Synkretismus<br />
vermeidet <strong>und</strong> Gegenwerte zurückweist, welche<br />
eine falsche Kultur o<strong>der</strong> Gegenkulturen unter den<br />
verschiedenen Völkern einführen wollen. Gleichzeitig<br />
erfor<strong>der</strong>t die Inkulturation <strong>des</strong> Evangeliums<br />
Rücksicht auf die verschiedenen Weisen, in denen<br />
sich die Kultur <strong>des</strong>sen, <strong>der</strong> evangelisiert, Ausdruck<br />
verschafft; im Augenblick, da er das Evangelium<br />
bringt, bereichern die Kulturen den Min<strong>der</strong>en Bru<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> lassen ihn <strong>und</strong> seine religiöse Gemeinschaft<br />
wachsen. Der Orden zeigt in <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, die aus verschiedenen Kulturen<br />
kommen, die Vielfalt, in <strong>der</strong> es möglich ist, dem<br />
136<br />
empfangenen Charisma treu zu bleiben.<br />
Den Fußspuren <strong>des</strong> Franziskus folgend konzentrierte<br />
sich <strong>der</strong> Ex-Generalminister HERMANN<br />
SCHALÜCK auf den notwendigen Dialogs, wenn er<br />
in die verschiedenen Län<strong>der</strong> reiste, um die religiösen<br />
Führer <strong>der</strong> ganzen Welt zu treffen. Dieses praktische<br />
Beispiel wird von den Brü<strong>der</strong>n unterstrichen,<br />
die sich selbst in einem konstruktiven Dialog<br />
zusammen mit Mitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>en Glaubens <strong>und</strong><br />
ethnischer Gruppen einzubringen versuchen – vor<br />
allem in Situationen, wo diese Unterschiedlichkeiten<br />
Ursache für Spannungen, Konflikte <strong>und</strong> Kriege<br />
waren, wie in dem Gebiet <strong>der</strong> Großen Seen in Afrika<br />
o<strong>der</strong> im früheren Jugoslawien.<br />
<strong>OFM</strong> Kommission für interreligiösen Dialog
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />
In <strong>der</strong> heutigen, multikulturellen Welt ist <strong>der</strong> Dialog<br />
zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen<br />
ein wesentlicher Schlüssel zum Frieden. Wenige<br />
Menschen verstehen dies besser als FRANÇOIS<br />
PAQUETTE, <strong>der</strong> ehemalige Vorsitzende <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Kommission für Beziehungen zu den Muslimen.<br />
Als Neuropsychologe in Montreal, Kanada,<br />
ausgebildet, hatte er, in dem Ges<strong>und</strong>heitszentrum,<br />
in dem er arbeitete, bevor er 1987 in den Orden<br />
eintrat, zunehmend mit Patienten aus Sri Lanka,<br />
Indien, China <strong>und</strong> Vietnam zu tun. Er war<br />
fasziniert von den unterschiedlichen Kulturen <strong>und</strong><br />
Religionen, die schnell zu einem festen Bestandteil<br />
seiner Heimatstadt wurden. Aus Neugierde begann<br />
er, als Freiwilliger in einem lokalen, interkulturellen<br />
Zentrum auszuhelfen.<br />
Doch erst während seines Noviziates entdeckte<br />
Paquette wirklich die Kraft solcher interreligiöser<br />
Aktivitäten. Ein Bru<strong>der</strong> plante ein lokales Treffen,<br />
um den Geist <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>gebetes in Assisi von<br />
1986 zu reflektieren, <strong>und</strong> Paquette half ihm. Mit<br />
einem Lächeln erinnert er sich: „Für mich war es<br />
eine Art W<strong>und</strong>er, ich war überwältigt, die Führer<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Religionen in Montreal kommen<br />
zu sehen, um für Frieden zu beten, anstatt einan<strong>der</strong><br />
zu bekämpfen.“ Paquettes Augen leuchten, wenn er<br />
erklärt, wie die jährliche Initiative unter seiner<br />
Beteiligung weiter gewachsen ist. „Jetzt haben wir<br />
ungefähr h<strong>und</strong>ert verschiedene Delegationen von<br />
indigenen Völkern, von Bahais, Hindus aus Sri Lanka,<br />
vietnamesischen, tibetanischen, laotischen <strong>und</strong><br />
kambodschanischen Buddhisten, zwei Gruppen von<br />
Juden, schiitischen <strong>und</strong> sunnitischen Moslems, von<br />
Sikhs <strong>und</strong> Christen aus sechzehn verschiedenen<br />
Konfessionen – zusammen ungefähr tausend Personen,<br />
die in unseren Konvent in Montreal kommen,<br />
um für Frieden zu beten! Die Umstände sind sehr<br />
einfach, ein schlichtes Kreuz, auf das wir die Fahnen<br />
<strong>der</strong> verschiedenen teilnehmenden Religionen legen<br />
<strong>und</strong> ein großes Bild einer Taube als <strong>Friedens</strong>symbol.<br />
Wir wollen, dass sich alle wohl fühlen, <strong>und</strong> anschließend<br />
sind alle eingeladen, ein vegetarisches<br />
Mahl zu teilen.“ Dieses jährliche Treffen, das von<br />
Radio <strong>und</strong> Fernsehen live übertragen wird, ist <strong>der</strong><br />
sichtbarste Höhepunkt franziskanischer Aktivitäten<br />
in Montreal. Doch auch das Jahr über sind Paquette<br />
<strong>und</strong> seine Mitbrü<strong>der</strong> an allen Arten praktischer<br />
Aktionen beteiligt, um Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> vielen in <strong>der</strong><br />
Stadt anwesenden an<strong>der</strong>en Glaubensrichtungen zu<br />
unterstützen. Dazu gehört, für den Bau einer vietnamesischen<br />
Pagode um Land zu bitten, gegen eine<br />
Gruppe von Skinheads zu protestieren, die jüdische<br />
Gräber beschmieren, ein islamisch-christliches<br />
Begräbnis zu organisieren, o<strong>der</strong> einzugreifen, um<br />
Gewalttätigkeiten zwischen Sikhs <strong>und</strong> Muslimen an<br />
einer örtlichen Sek<strong>und</strong>arschule aufzulösen. Paquette<br />
sagt: „Dieses letzte Beispiel zeigt wirklich, wie wir<br />
eine Unterscheidung machen können für die<br />
Zukunft unserer Gesellschaft. Durch die Zusammenarbeit<br />
mit einem Führer <strong>der</strong> Sikhs <strong>und</strong> einem<br />
Imam konnten wir den Kin<strong>der</strong>n die vielen Aspekte<br />
ihrer Kulturen aufzeigen, die sie mit Menschen<br />
an<strong>der</strong>en Glaubens gemeinsam haben. Wenn sie<br />
anfangen, einan<strong>der</strong> eher als tatsächliche Menschen<br />
denn als Teil einer festgelegten Gruppe zu sehen,<br />
dann können sie die Vorurteile hinter sich lassen,<br />
die ihnen beigebracht wurden, <strong>und</strong> sogar beginnen,<br />
die Verhaltensweisen ihrer eigenen Eltern herauszufor<strong>der</strong>n.“<br />
Es gibt viele Beispiele von Franziskanern, die Dialog<br />
<strong>und</strong> Frieden unter jungen Menschen för<strong>der</strong>n,<br />
manchmal durch Erziehungsprogramme, zumeist<br />
aber einfach dadurch, dass sie Familien verschiedener<br />
ethnischer Gruppen in täglichen Kontakt miteinan<strong>der</strong><br />
bringen. Ein interreligiöser Kin<strong>der</strong>garten<br />
in Bosnien o<strong>der</strong> eine Schule für Moslems <strong>und</strong> Christen<br />
im Südlibanon helfen Kin<strong>der</strong>n in diesen aufgewühlten<br />
Teilen <strong>der</strong> Welt, mit einer größeren Achtung<br />
vor den Gewohnheiten <strong>und</strong> Überlieferungen<br />
von Menschen an<strong>der</strong>en Glaubens groß zu werden.<br />
Ein jährliches interreligiöses Medien- <strong>und</strong> Filmfestival<br />
in Kairo beeinflusst Tausende von jungen Menschen<br />
<strong>und</strong> hilft ihnen, Vorurteile <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
zu überwinden. Das Ziel <strong>der</strong> Franziskaner besteht<br />
nicht darin, als „Organisatoren“ dieser Ereignisse<br />
o<strong>der</strong> Aktivitäten angesehen zu werden, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />
diejenigen zu sein, die diesen „Dialog <strong>des</strong> täglichen<br />
Lebens“ erleichtern.<br />
In Marokko, wo die Bevölkerung überwiegend<br />
muslimisch ist, sind sich die Brü<strong>der</strong> dieser Weise <strong>des</strong><br />
Zeugnisses voll bewusst, das ihre fortwährende Präsenz<br />
darstellt. BERTRAND COUTURIER hat die Hälfte<br />
seines Lebens unter den Menschen in Marokko verbracht<br />
<strong>und</strong> viele junge Muslime aufwachsen sehen,<br />
die eine Arbeit gef<strong>und</strong>en haben, nachdem sie von<br />
137
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
den Franziskanern angebotene Kurse besucht hatten.<br />
Im Atlasgebirge, bekannt durch die Tragödie<br />
<strong>der</strong> sieben Trappistenmönche in Algerien, lehren<br />
eine Handvoll Brü<strong>der</strong> zusammen mit Schwestern<br />
<strong>der</strong> FRANCISCAN MISSIONARIES OF MARY (FMM)<br />
einheimische Jungen Fertigkeiten im Zimmermannshandwerk,<br />
während die Mädchen Stickerei<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e nützliche Fertigkeiten lernen, um<br />
gestaltende Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft zu werden.<br />
Die Schwestern stellen jungen Frauen auch Raum<br />
zur Verfügung, um bei ihnen zu gebären <strong>und</strong> Dinge<br />
wie Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Erziehung zu lernen, was<br />
ihnen auch hilft, ihre menschliche Würde zu för<strong>der</strong>n.<br />
In <strong>der</strong> Stadt Meknes, Marokko, unterhalten drei<br />
Brü<strong>der</strong> das St. Antoine Center, eine Bibliothek <strong>und</strong><br />
ein Kulturzentrum, das für über 600 ortsansässige<br />
Studenten Kurse über islamische Kultur <strong>und</strong> Literatur,<br />
Sprachunterricht <strong>und</strong> Sportaktivitäten anbietet.<br />
Sie werden von einem Team von zwölf Freiwilligen<br />
unterstützt, die aus dem Zentrum hervorgegangen<br />
sind <strong>und</strong> jetzt die Arbeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> unterstützen<br />
wollen. GUSTAVO SANCHEZ ist ein junger Bru<strong>der</strong><br />
aus Mexiko, <strong>der</strong> zwei Jahre in den Bergen <strong>des</strong> Atlas<br />
<strong>und</strong> vier weitere am St. Antoine Center in <strong>der</strong><br />
Arbeit mit den Studenten verbracht hat. Wenn er<br />
seine Studien in Rom abgeschlossen hat, möchte er<br />
wie<strong>der</strong> nach Marokko zurückkehren, um seine<br />
Arbeit fortzusetzen. Er erklärt: „Das Projekt wird<br />
durch die Studenten selbst unterhalten. Jeden<br />
Monat treffen wir uns, um zu entscheiden, was wir<br />
tun <strong>und</strong> wie wir arbeiten wollen <strong>und</strong> wie wir den<br />
Studenten helfen können, ihre Kultur besser zu verstehen<br />
<strong>und</strong> zu schätzen. Beispielsweise än<strong>der</strong>n wir<br />
während <strong>des</strong> Monats Ramadan den St<strong>und</strong>enplan<br />
<strong>der</strong> Kurse <strong>und</strong> arbeiten tagsüber, ohne für das Mittagessen<br />
zu unterbrechen. Das gestattet uns, zusammen<br />
mit den Muslimen zu fasten, <strong>und</strong> gibt ihnen<br />
die Zeit, die beson<strong>der</strong>en Mahlzeiten gemeinsam mit<br />
ihren Familien vorzubereiten.“<br />
Trotz <strong>der</strong> fortdauernden Spannungen zwischen<br />
Kroaten, Moslems <strong>und</strong> Serben im früheren Jugoslawien<br />
gab <strong>der</strong> zehnte Jahrestag <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>gebetes<br />
von Assisi (1986) Anlass zu verschiedenen<br />
Bemühungen mit dem Ziel, den interreligiösen<br />
Dialog in Sarajewo, Mostar <strong>und</strong> Split zu för<strong>der</strong>n. In<br />
Sarajewo wurde in <strong>der</strong> Akademie <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Kunst Bosnien-Herzegowinas eine Podiumsdis-<br />
138<br />
kussion zum Thema <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Flüchtlinge<br />
als Vorbedingung eines dauerhaften <strong>Friedens</strong> abgehalten.<br />
Daran nahmen die internationale Organisation<br />
für Migration, <strong>der</strong> Hochkommissar für Flüchtlinge<br />
<strong>der</strong> UNO <strong>und</strong> offizielle Vertreter <strong>der</strong> bosnischen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> kroatischen Regierung teil. Auch ein<br />
interreligiöses Gebet wurde auf dem Friedhof von<br />
Sarajewo abgehalten, unter Teilnahme einer Delegation<br />
von franziskanischen Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schwestern<br />
aus Assisi, die einen Ölbaum als Zeichen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
überreichten, <strong>der</strong> in Sarajewo gepflanzt werden<br />
sollte. MARCO ORSOLIC hat schwer dafür gearbeitet,<br />
auf diesen Initiativen in sehr praktischer Weise aufzubauen,<br />
um in Sarajewo im Dezember 1996 ein<br />
kulturelles Zentrum <strong>und</strong> eine Bibliothek zu eröffnen.<br />
Das kurdische Volk in Iran, Irak, Türkei <strong>und</strong><br />
Syrien hat lange nach einem vereinten Heimatland<br />
gesucht nach Jahrh<strong>und</strong>erten <strong>der</strong> Herrschaft durch<br />
unterdrückende Herrscher. Ihre wachsenden<br />
Gemeinschaften im Exil in Deutschland haben zu<br />
neuen Möglichkeiten <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Zusammenarbeit geführt. Als Mitglied <strong>der</strong> GFBS-<br />
Kommission <strong>der</strong> deutschen Brü<strong>der</strong> haben JÜRGEN<br />
NEITZERT <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> mit sieben an<strong>der</strong>en<br />
<strong>Friedens</strong>gruppen in <strong>der</strong> deutschen „Kampagne<br />
gegen Rüstungsexporte“ gearbeitet. Gemeinsam mit<br />
den an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>n dieser Kampagne haben<br />
sie begonnen, Bewusstsein zu wecken für den inneren<br />
Zusammenhang zwischen dem Verkauf deutscher<br />
Rüstungsgüter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Notlage <strong>des</strong> kurdischen<br />
Volkes in Irak <strong>und</strong> Türkei. Jürgen Neitzert ist<br />
bei zahlreichen Gelegenheiten gemeinsam mit kurdischen<br />
Fre<strong>und</strong>en in die Türkei gereist, um humanitäre<br />
Hilfe <strong>und</strong> den Menschen, die in behelfsmäßigen<br />
Hütten in den Slums von Adana, Diyarbakir,<br />
Istanbul o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en türkischen Städten leben,<br />
eine kleine Ahnung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu bringen. Mehr<br />
als 3000 Dörfer sind jetzt Geistersiedlungen auf<br />
Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Zwangsräumung, mit <strong>der</strong> das türkische<br />
Militär die kurdische Bevölkerung unterdrückt. Die<br />
Stadt Diyarbakir allein hat sich seit 1980 um das<br />
Vierfache vergrößert. Die sich in langen Jahren<br />
selbst versorgenden kurdischen Slumbewohner sind<br />
oft gezwungen, ihre Nahrung auf Müllhalden zu<br />
suchen, <strong>und</strong> viele leiden während <strong>des</strong> rauhen Winters<br />
an Bronchialinfektionen. Jürgen <strong>und</strong> seine Kollegen<br />
ermutigen zu Begegnungen zwischen Kurden<br />
<strong>und</strong> Türken, die in Deutschland leben, <strong>und</strong> leisten
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
Lobbyarbeit bei den deutschen Politikern, um den<br />
Waffenhandel zu stoppen. Als Franziskaner fühlt<br />
sich Jürgen in beson<strong>der</strong>er Weise berufen, zu gewaltfreien<br />
Lösungen <strong>und</strong> zu christlich-muslimischer<br />
Zusammenarbeit <strong>und</strong> Dialog zwischen Deutschen,<br />
Türken <strong>und</strong> Kurden zu ermutigen.<br />
In <strong>der</strong> gemeinsamen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden entdecken Menschen aus unterschiedlichen<br />
christlichen Traditionen oft die gleiche tiefe Verantwortung<br />
für an<strong>der</strong>e als einen integralen Bestandteil<br />
ihres Glaubens. Ungefähr vor sieben Jahren begannen<br />
die irischen Franziskaner einen Dienst für Frieden<br />
<strong>und</strong> Versöhnung unter Katholiken <strong>und</strong> Protestanten<br />
in Rossnowlagh, Irland. Rossnowlagh ist<br />
eines von drei „Häusern mit spezifischen Aufgaben“<br />
<strong>der</strong> irischen Brü<strong>der</strong> (die an<strong>der</strong>en sind ein Haus <strong>des</strong><br />
Gebets in Killarney <strong>und</strong> <strong>der</strong> Merchants Quay Komplex<br />
in Dublin). Es liegt günstig in Donegal, nahe<br />
<strong>der</strong> Grenze zwischen <strong>der</strong> Republik Irland <strong>und</strong> Nordirland.<br />
Das Zentrum kann 30 Personen beherbergen<br />
<strong>und</strong> ist ein Ort, an dem Katholiken <strong>und</strong> Protestanten<br />
aus ganz Irland sich begegnen, miteinan<strong>der</strong><br />
beten <strong>und</strong> über Versöhnung nachdenken können.<br />
Regelmäßig werden Konferenzen mit Gastrednern<br />
organisiert, um die normalen Aktivitäten zu steigern.<br />
JOHN O’KEEFE, <strong>der</strong> Leiter <strong>des</strong> Zentrums, hat<br />
mitgeholfen, ein Netzwerk aus „Experten“ in Gebet<br />
<strong>und</strong> Versöhnung einzurichten, die informell Rossnowlagh<br />
angeschlossen sind. Das Zentrum hat<br />
kürzlich eine Bibliothek fertiggestellt, die an das<br />
Besinnungshaus angeschlossen ist <strong>und</strong> eine beson<strong>der</strong>e<br />
Sammlung von Material über interreligiösen<br />
Dialog <strong>und</strong> <strong>Friedens</strong>arbeit enthält.<br />
Mehr als zehn Jahre lang war ROBERT SEAY, ein<br />
bekannter Gegner <strong>der</strong> To<strong>des</strong>strafe, als Pastor <strong>der</strong><br />
Kirche „Our Lady of Charity“ in Brooklyn, New<br />
York, USA, an Bemühungen beteiligt, schwierige<br />
Situationen mit rassischen <strong>und</strong> ethnischen Spannungen<br />
friedlich zu lösen. Während <strong>des</strong> „Howard<br />
Beach-Vorfalls“ wurde ein junger Afro-Amerikaner<br />
von einer Gang weißer Jugendlicher umgebracht.<br />
Er war <strong>der</strong> Sohn eines von Roberts Pfarrmitglie<strong>der</strong>n.<br />
Der Mord verursachte schweren rassischen<br />
Aufruhr in <strong>der</strong> Stadt New York. Robert arbeitete im<br />
Bemühen, Frieden zu schaffen, auf vielfältige Weise<br />
mit politischen <strong>und</strong> religiösen Führern zusammen<br />
<strong>und</strong> stand <strong>der</strong> Familie <strong>des</strong> ermordeten Jugendlichen<br />
als Berater bei. Die Schlichtheit <strong>und</strong> Würde <strong>des</strong><br />
Begräbnisses, das Robert organisiert hatte, war ein<br />
bedeutsames Element, die rassischen Spannungen<br />
vor dem Explodieren zu bewahren.<br />
In einem an<strong>der</strong>en Vorfall, bekannt als „Crown<br />
Heights-Aufruhr“, wurde ein chassidischer Jude von<br />
einem Afro-Amerikaner getötet. Robert <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Geistliche wurden in den Polizeibezirk gerufen, um<br />
die Situation zu entschärfen. Robert arbeitete mit<br />
dem damaligen Bürgermeister von New York,<br />
David Dinkins, zusammen <strong>und</strong> sorgte für moralische<br />
Unterstützung für <strong>des</strong>sen Bemühungen,<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> rassische Harmonie sicherzustellen.<br />
Als Nachwirkung <strong>des</strong> „Crown Heights-Aufruhrs“<br />
wurde eine Koalition gebildet, die dauerhafte<br />
Wege prüfen sollte, einen bedeutsamen Dialog zwischen<br />
den unterschiedlichen ethnischen <strong>und</strong> kulturellen<br />
Gruppen in <strong>der</strong> Stadt zu för<strong>der</strong>n.<br />
Auch das Programm „Pastoren für den Frieden“, das<br />
mithalf, enorme Mengen an Gr<strong>und</strong>versorgung <strong>und</strong><br />
Baumaterialien zu den Menschen in El Salvador<br />
<strong>und</strong> Nicaragua zu transportieren, wurde in ökumenischer<br />
Zusammenarbeit gegründet. In über<br />
zwanzig Jahren Gemeindeorganisation hat ED<br />
DUNN herausgef<strong>und</strong>en, dass Zusammenarbeit zwischen<br />
Christen ein wesentlicher Baustein für Initiativen<br />
zu Frieden <strong>und</strong> sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong> ist.<br />
Kürzlich schlossen sich ein presbyterianischer Geistlicher,<br />
Chris Hartmire, <strong>und</strong> ein ortsansässiger Projektkoordinator,<br />
Ellen Rogers, zusammen, um eine<br />
„Partnerstadt-Feier“ in Sacramento, Kalifornien, zu<br />
organisieren. Das Treffen, „Hoffnung feiern“<br />
genannt, war <strong>der</strong> Höhepunkt einer zehnjährigen<br />
Zusammenarbeit zwischen den Menschen von<br />
Sacramento <strong>und</strong> <strong>der</strong> „neuen Stadt“ San Bartolo in<br />
El Salvador. Durch seine Unterstützung für das San<br />
Bartolo-Partnerstadt-Projekt <strong>und</strong> durch seine<br />
beständige Koordination <strong>des</strong> zentralamerikanischen<br />
Pilgerweges hat Ed H<strong>und</strong>erte von Franziskanern<br />
<strong>und</strong> ihre Pfarrmitglie<strong>der</strong> dazu gebracht, mehr über<br />
das Leben <strong>und</strong> das dauerhafte Zeugnis <strong>der</strong> Märtyrer<br />
Zentralamerikas zu lernen. Für Ed sind solche<br />
gemeinsamen Bemühungen für <strong>Gerechtigkeit</strong> am<br />
wirksamsten, wenn sie Teil eines geteilten Glaubens<br />
sind.<br />
PHILIPPE SCHILLINGS ist zu <strong>der</strong> Überzeugung<br />
gekommen, dass die Franziskaner beson<strong>der</strong>e Gaben<br />
haben, um überall auf <strong>der</strong> Welt für Menschen<br />
unterwegs zu arbeiten. Er war zwanzig Jahre lang<br />
139
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
Missionar in Brasilien gewesen, bevor er 1985 in<br />
seine Heimat Belgien zurückkehrte, um mit portugiesischen<br />
Immigranten zu arbeiten. Als Direktor<br />
<strong>des</strong> Europäischen Büros <strong>der</strong> „International Catholic<br />
Migration Commission“ in Brüssel wurde Philippe<br />
von einem kurdischen Immigranten angesprochen:<br />
„Unsere Vereinigung benötigt einen Kaplan <strong>und</strong> wir<br />
wollen, dass du es machst.“ Philippe antwortete:<br />
„Warum ich? Ich bin katholisch <strong>und</strong> ihr seid Moslems.“<br />
Der kurdische Mann antwortete: „Aber du<br />
bist Franziskaner, ihr seid eine Brücke zwischen<br />
Moslems <strong>und</strong> Katholiken.“ Philippe ist überzeugt<br />
von <strong>der</strong> Notwendigkeit, eine Spiritualität für diese<br />
Rolle als „Brückenbauer“ zu entwickeln. Während<br />
die osteuropäischen Län<strong>der</strong> darum ringen, ihre<br />
Ökonomien <strong>und</strong> sozialen Strukturen nach Jahrzehnten<br />
zentralistischer kommunistischer Kontrolle<br />
in Ordnung zu bringen, klopfen heute Tausende<br />
von Menschen an die Türen <strong>der</strong> westeuropäischen<br />
Nationen, um politisches Asyl zu erbitten o<strong>der</strong> einfach<br />
eine bessere Lebensweise zu suchen. Statt nur<br />
auf die Probleme <strong>und</strong> den negativen Einfluss <strong>der</strong><br />
Migration zu starren, bemerkt Philippe ergänzend:<br />
„Wir müssen die positiven Aspekte <strong>der</strong> Ankunft<br />
dieser Neuankömmlinge in unserer Mitte betonen.<br />
Oft sind Franziskaner dabei, Flüchtlinge <strong>und</strong> Menschen<br />
unterwegs in ihren unmittelbaren Bedürfnissen<br />
mit Nahrung, Kleidung <strong>und</strong> Unterkunft zu versorgen.<br />
Es ist entscheidend, die internationale Aufmerksamkeit<br />
auf die zugr<strong>und</strong>eliegenden Ursachen<br />
<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung zu legen, ehe alle Menschen sich<br />
<strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden Rechte erfreuen können, ein<br />
annehmbares Leben in ihren Heimatlän<strong>der</strong>n zu<br />
führen.“<br />
Der Wunsch, das tägliche Leben mit <strong>der</strong> lokalen<br />
Hindu-Bevölkerung intensiver zu teilen, führte<br />
SCARIA VARANATH <strong>und</strong> SWAMI DAYANAND dazu, aus<br />
ihrem traditionellen Konvent in Indien auszuziehen<br />
<strong>und</strong> 300 Kilometer nördlich von Bangalore<br />
eine eigene Ashram-Gemeinschaft zu gründen. In<br />
völliger Abhängigkeit von den Gaben, die die ortsansässige<br />
Bevölkerung vorbeibringt, leben die beiden<br />
Männer ein schlichtes Leben <strong>des</strong> Gebets <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Meditation. Das Haus, in dem sie leben, wurde<br />
ihnen vom Ortsbischof zur Verfügung gestellt. Es<br />
steht immer offen für jeden, <strong>der</strong> kommt, um mit<br />
den Brü<strong>der</strong>n zu sprechen, zu lernen, zu meditieren<br />
o<strong>der</strong> einfach ein Mahl mit ihnen zu teilen. Scaria<br />
sagt: „Viele einfachen Menschen kommen, um mit<br />
140<br />
Am Ende <strong>der</strong> Tage wird es geschehen …<br />
dann liegt <strong>der</strong> Wolf beim Lamm …<br />
Jesaja<br />
uns einige Tage im Ashram zu verbringen; auch<br />
wohlhabende Menschen kommen, um Licht <strong>und</strong><br />
Bedeutung für ihr Leben zu suchen.“ Scaria erinnert<br />
sich noch, wie er gelehrt wurde, an<strong>der</strong>e Religionen<br />
zu fürchten, als er in den Tagen vor dem Zweiten<br />
Vatikanischen Konzil in einer sehr traditionell<br />
katholischen Familie aufwuchs. „Von meinen Eltern<br />
<strong>und</strong> den kirchlichen Führern wurde mir beigebracht,<br />
nicht mit Menschen an<strong>der</strong>en Glaubens zu<br />
sprechen o<strong>der</strong> etwa in Hindu-Tempel zu gehen <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong>en Götter anzuschauen!“ Heute sagt er, dass seine<br />
Studien <strong>der</strong> Hindu-Schriften ihn zu größerer<br />
Einsicht in seine eigene franziskanische Weltsicht<br />
geführt haben. „Hinduismus basiert auf einer tiefen<br />
spirituellen Sicht <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Wirklichkeit, in<br />
<strong>der</strong> Flüsse, Seen, je<strong>des</strong> Leben eine Manifestation <strong>des</strong><br />
Göttlichen sind <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb mit Achtung behandelt<br />
werden müssen.“<br />
Den Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus in das Leben <strong>der</strong> verschiedenen<br />
Kulturen <strong>und</strong> Religionen zu bringen,<br />
war die Idee bei <strong>der</strong> Errichtung eines Besinnungshauses<br />
in <strong>der</strong> Nähe von Bangkok in Thailand im
■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />
Jahr 1985. Auch heute noch bietet das Zentrum<br />
einen Ort für Meditation <strong>und</strong> Gebet, doch es wurde<br />
ausgebaut durch die Errichtung eines Hospizes für<br />
AIDS-Kranke, vor allem Buddhisten, die keinen<br />
Ort haben, wohin sie gehen könnten, um in Frieden<br />
zu sterben. Es ist eines von vielen weltweiten<br />
Beispielen <strong>des</strong> Dialogs durch praktisches Handeln<br />
mehr als durch intellektuelle Vorstellungen. Einer<br />
<strong>der</strong> dort arbeitenden Brü<strong>der</strong>, ANTONIO EGIGUREN,<br />
erinnert daran, wie die meisten einheimischen Menschen<br />
den hl. Franziskus mit dem hl. Antonius verwechseln:<br />
„Es gibt nur zwei Statuen in katholischen<br />
Kirchen zu sehen! Wir wollten den Menschen durch<br />
unseren einfachen Lebensstil <strong>und</strong> unseren Dienst an<br />
den Bedürftigsten das Antlitz <strong>des</strong> hl. Franziskus zeigen.“<br />
Das Hospiz kann zehn Patienten aufnehmen<br />
<strong>und</strong> hat viel dafür getan, die Ängste <strong>und</strong> Vorurteile<br />
zu bekämpfen, die solche Art <strong>der</strong> Sorge für an AIDS<br />
sterbende Menschen umgeben. Die Brü<strong>der</strong> sind<br />
nicht daran interessiert, ihren Patienten das Christentum<br />
aufzudrängen, aber sie erzählen die be-<br />
wegende Geschichte einer jungen Mutter von zwei<br />
Kin<strong>der</strong>n, die in das Hospiz kam, nachdem ihr<br />
Mann an AIDS gestorben war. Nicht lange, bevor<br />
auch sie an <strong>der</strong> Krankheit starb, erzählte sie einem<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, dass ME PRA (Maria) sie in <strong>der</strong> Nacht<br />
besucht <strong>und</strong> getröstet habe. „Aber du bist Buddhistin“,<br />
antwortete <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>. „Ja“, sagte sie, „aber<br />
ME PRA weiß, was es heißt, eine Mutter zu sein, die<br />
leidet.“<br />
Generalkonstitutionen<br />
Artikel 70: Die Brü<strong>der</strong> sollen „zum Einan<strong>der</strong>-<br />
Annehmen <strong>und</strong> zu gegenseitiger Gutwilligkeit unter<br />
den Menschen animieren <strong>und</strong> so <strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong><br />
von Jesus Christus am Kreuz erwirkten Versöhnung<br />
sein“.<br />
Weitere Hinweise: Artikel 68,1-2; 93,1; 94; 95,1-3;<br />
96,1-3 <strong>und</strong> 127,3.<br />
141
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
Fragen für die Diskussion<br />
1. Welche sind neben <strong>der</strong> römisch-katholischen<br />
Kirche die größten christlichen Gruppen in<br />
deinem Land? Trefft ihr sie je zum Gebet,<br />
zum Dialog, zu Werken <strong>der</strong> Barmherzigkeit?<br />
2. Welche sind die größten nichtchristlichen<br />
Gruppen in deinem Land? Hast du dich<br />
jemals mit ihnen getroffen zum Gebet um<br />
den Weltfrieden o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Anliegen,<br />
zum Dialog, zu Werken <strong>der</strong> Barmherzigkeit?<br />
3. Wie wird <strong>der</strong> hl. Franziskus von den christlichen<br />
<strong>und</strong> nichtchristlichen Gruppen in deinen<br />
Land betrachtet? Wenn positiv, hast du<br />
das als möglichen Ausgangspunkt für einen<br />
Dialog genutzt?<br />
4. Beteiligt sich deine lokale Gemeinschaft o<strong>der</strong><br />
Provinzgemeinschaft an ökumenischen o<strong>der</strong><br />
interreligiösen Dialogen im Geist <strong>des</strong> Treffens<br />
vom Oktober 1986 in Assisi, bei dem die religiösen<br />
Führer <strong>der</strong> Welt für den Weltfrieden<br />
beteten? Ermutigt dich die Geschichte <strong>der</strong><br />
Begegnung zwischen Franziskus <strong>und</strong> dem<br />
Sultan, am interreligiösen Dialog teilzunehmen?<br />
Mit welcher Haltung?<br />
5. Welche Hin<strong>der</strong>nisse für den Dialog wirst du<br />
vorbringen, wird deine lokale Gemeinschaft<br />
einbringen, wird deine Provinzgemeinschaft<br />
erleben?<br />
6. Kannst du an<strong>der</strong>e Formen <strong>des</strong> Dialogs im<br />
Leben <strong>des</strong> hl. Franziskus feststellen, die über<br />
die oben dargestellten hinausgehen?<br />
142<br />
7. Welche wie<strong>der</strong>kehrenden Anzeichen kann<br />
ich in <strong>der</strong> Art feststellen, wie Franziskus von<br />
Assisi den Dialog beginnt? Was sind seine<br />
entscheidenden Bemühungen den Dialog zu<br />
för<strong>der</strong>n?<br />
8. Welche Art von Dialog for<strong>der</strong>t mich am<br />
meisten?<br />
9. Wann gibt es Gelegenheiten, in denen ich<br />
in meinem Alltag Dialog för<strong>der</strong>n kann?<br />
10. Was sind die Faktoren, die mich dazu<br />
motivieren können?<br />
11. Welche Menschen o<strong>der</strong> Umstände könnte ich<br />
in den Dialog einbeziehen?<br />
12. Wo, unter welchen Umständen <strong>und</strong> wie?<br />
13. Was sind meine Befürchtungen <strong>und</strong> was<br />
ist <strong>der</strong> Anruf an mich?<br />
14. Was sind meine eigenen Stärken, <strong>und</strong> was<br />
kann mir helfen, einen Dialog anzustoßen?<br />
15. Hast du in deiner Gemeinschaft<br />
Treffen/Begegnungen mit Mitglie<strong>der</strong>n<br />
an<strong>der</strong>er christlicher Konfessionen o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>er Religionen? Was ist <strong>der</strong> Zweck dieser<br />
Treffen/Begegnungen? Gebet, Dialog o<strong>der</strong><br />
Reflexion? Welche sind deine Erfahrungen<br />
mit diesen Treffen/Begegnungen?<br />
16. Arbeitest du mit in Kampagnen o<strong>der</strong> Aktionen<br />
zugunsten <strong>der</strong> Armen, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Umwelt?
KAMPF UND KONTEMPLATION
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
Anregungen für die Praxis<br />
Dieser dritte Teil umfasst zwei Abschnitte. Der erste beschreibt die Strukturen <strong>des</strong> Ordens in Bezug<br />
auf <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung. Der zweite Abschnitt stellt Ideen <strong>und</strong><br />
Initiativen vor, wie GFBS in den unterschiedlichen Diensten präsent sein kann. Diesem zweiten Abschnitt<br />
ist ein Kapitel über die Analyse <strong>der</strong> Wirklichkeit vorangestellt, weil unserem Tun <strong>und</strong> Handeln,<br />
gleich welcher Art, diese Analyse vorausgehen muss, um besser zu unterscheiden, was Gott von uns for<strong>der</strong>t.<br />
Themen:<br />
1. Die Bewegung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Kontext<br />
<strong>der</strong> nachkonziliaren Entwicklung <strong>des</strong> Ordens: Kapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
2. Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
3. Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />
4. Soziale Analyse<br />
5. <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
im Kontext einzelner Apostolate<br />
– Im täglichen Leben<br />
– In <strong>der</strong> Mission „Ad Gentes“<br />
– Im Pfarrapostolat<br />
– In <strong>der</strong> Wortverkündigung<br />
– In <strong>der</strong> Erziehungsarbeit<br />
– In <strong>der</strong> Ordensausbildung<br />
145
■ Anregungen für die Praxis
■ Nachkonziliare Entwicklung<br />
Die Bewegung<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden im Kontext<br />
<strong>der</strong> nachkonziliaren<br />
Entwicklung <strong>des</strong> Ordens:<br />
Kapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
1. Vom Zweiten Vatikanischen Konzil<br />
verursachte Verän<strong>der</strong>ungen<br />
in <strong>der</strong> Spiritualität<br />
Es ist nicht übertrieben, festzustellen, dass die Spiritualität<br />
vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil nach<br />
innen gerichtet <strong>und</strong> auf sich selbst bezogen war; mit<br />
folgenden Kennzeichen:<br />
■ Erlösung ist etwas persönliches, etwas für die<br />
Seele <strong>und</strong> für das Leben nach dem Tod; christliche<br />
Praxis zielt darauf, Erlösung zu gewinnen.<br />
■ Die Welt ist verdächtig (<strong>der</strong> Feind <strong>der</strong> Seele);<br />
„Flucht aus <strong>der</strong> Welt“ wird als ein Weg <strong>der</strong> Vollkommenheit<br />
vorgeschlagen.<br />
■ Heiligung besteht in Reinigung <strong>und</strong> innerer<br />
Vervollkommnung durch Mittel religiösen,<br />
asketischen <strong>und</strong> moralischen Handelns <strong>und</strong><br />
einem Leben <strong>der</strong> Werke <strong>der</strong> Barmherzigkeit.<br />
Kurz gesagt, es gab eine Vorstellung von Gott, von<br />
christlicher Erlösung <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong> Kirche,<br />
die Menschen von <strong>der</strong> Beschäftigung mit sozialen<br />
Problemen, vom Einsatz für sozialen Wandel<br />
abhielt. Diese Spiritualität hoffte darauf, dass Gott<br />
zu seiner Zeit eingreifen würde, um das Böse in <strong>der</strong><br />
Welt zu bessern. So bestand das einzige, was man<br />
tun musste, darin, um das Eingreifen Gottes zu<br />
beten.<br />
Sicherlich gab es auch vor dem Zweiten Vatikanischen<br />
Konzil, insbeson<strong>der</strong>e seit RERUM NOVARUM,<br />
einen bemerkenswerten Wandel in dieser Art von<br />
Spiritualität, <strong>und</strong> die Kirche sorgte sich zunehmend<br />
um die Lösung sozialer <strong>und</strong> politischer Probleme.<br />
Doch erst in GAUDIUM ET SPES wurde klar ausgesprochen,<br />
dass <strong>der</strong> Einsatz im sozialen <strong>und</strong> politischen<br />
Bereich direkt mit <strong>der</strong> Sendung verb<strong>und</strong>en<br />
ist, welche die Kirche von Christus empfangen hat:<br />
„Die ihr eigene Sendung, die Christus <strong>der</strong> Kirche<br />
übertragen hat, bezieht sich zwar nicht auf den politischen,<br />
wirtschaftlichen o<strong>der</strong> sozialen Bereich: das<br />
Ziel, das Christus ihr gesetzt hat, gehört ja <strong>der</strong> religiösen<br />
Ordnung an. Doch fließen aus eben dieser<br />
religiösen Sendung Auftrag, Licht <strong>und</strong> Kraft, um<br />
<strong>der</strong> menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau <strong>und</strong><br />
Festigung nach göttlichem Gesetz behilflich zu<br />
sein“ (GS 42).<br />
Unter den vielen Beiträgen <strong>des</strong> Konzils an die<br />
Kirche, ist einer <strong>der</strong> bedeutendsten <strong>und</strong> einer, <strong>der</strong><br />
bereits viele an<strong>der</strong>e beeinflusst <strong>und</strong> geleitet hat, ihre<br />
Haltung gegenüber <strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> Geschichte <strong>und</strong><br />
den sozialen Problemen. Das Konzil richtete den<br />
Blick <strong>der</strong> Kirche erfolgreich auf die Welt <strong>und</strong> ihre<br />
Geschichte. In GAUDIUM ET SPES findet sich eine<br />
positive Beurteilung <strong>der</strong> Welt als etwas, das von<br />
Gott geschaffen, durch Christus erlöst <strong>und</strong> zur<br />
Erfüllung berufen wurde, <strong>und</strong> eine Beurteilung <strong>der</strong><br />
historischen Wirklichkeit als Ort, an dem sich Gott<br />
selbst als Erlöser <strong>der</strong> Menschen offenbart. Das Konzil<br />
leitet die gesamte Kirche <strong>und</strong> jeden Christen<br />
zum Weltdienst an für den Aufbau <strong>des</strong> Reiches.<br />
Diese Orientierung ist in dem bekannten Eröffnungssatz<br />
von GAUDIUM ET SPES beschrieben:<br />
„Freude <strong>und</strong> Hoffnung, Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong> Menschen<br />
von heute, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong><br />
Bedrängten aller Art, sind auch Freude <strong>und</strong> Hoffnung,<br />
Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong> Jünger Christi“ (GS 1).<br />
Durch die Menschwerdung wird das Reich Gottes<br />
als Verwandlung <strong>der</strong> Geschichte betrachtet. In <strong>der</strong><br />
Geschichte, geführt durch den Geist ist das Reich<br />
Gottes am Wachsen durch den Dienst <strong>der</strong> Kirche.<br />
So wurde ein Weg in folgende Richtungen eröffnet:<br />
Hören auf die Welt: die Zeichen <strong>der</strong> Zeit lesen, während<br />
man mitten in <strong>der</strong> Welt steht, an ihren Freuden<br />
<strong>und</strong> Sorgen teilnimmt. Auf diese Weise gab es ein<br />
Hinausgehen <strong>der</strong> Kirche zu den Ausgegrenzten.<br />
Das Aufnehmen <strong>der</strong> Sehnsüchte, <strong>der</strong> Werte, <strong>der</strong><br />
Klageschreie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erfolge <strong>der</strong> Welt: Freiheit,<br />
Gleichheit, Teilhabe, Pluralismus, Demokratie <strong>und</strong><br />
Sorge um <strong>Gerechtigkeit</strong>. Dies stellt eine Evangeliumspraxis<br />
dar, die auf gelebtem Zeugnis, Dienst,<br />
Zusammenarbeit <strong>und</strong> Solidarität gründet.<br />
147
■ Nachkonziliare Entwicklung<br />
Seit <strong>der</strong> Lehre <strong>des</strong> Konzils ist eine Reihe von theologischen<br />
Fortschritten erzielt worden: in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> als einen wesentlichen<br />
Bestandteil <strong>des</strong> Evangeliums (Synode 1971) <strong>und</strong> in<br />
<strong>der</strong> engen evangeliumsgemäßen <strong>und</strong> theologischen<br />
Beziehung zwischen Evangelisierung <strong>und</strong> menschlicher<br />
Entfaltung (EN): Es ist „unmöglich hinzunehmen,<br />
dass das Werk <strong>der</strong> Evangelisierung die<br />
äußerst schwierigen <strong>und</strong> heute so stark erörterten<br />
Fragen vernachlässigen kann <strong>und</strong> darf, die die<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, die Befreiung, die Entwicklung<br />
<strong>und</strong> den Frieden in <strong>der</strong> Welt betreffen. Wenn das<br />
eintreten würde, so hieße das, die Lehre <strong>des</strong> Evangeliums<br />
von <strong>der</strong> Liebe zum leidenden <strong>und</strong> bedürftigen<br />
Nächsten vergessen“ (EN 31). Es genügt, an<br />
Synoden, Sozialenzykliken, bischöfliche Stellungnahmen,<br />
an die politische <strong>und</strong> die Befreiungstheologie<br />
zu erinnern. Bei all dem wurde ernsthafte<br />
Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Orientierung geschenkt, die<br />
Johannes Paul II. viele Male seit Beginn seines Pontifikats<br />
wie<strong>der</strong>holt hat: „Der Mensch in <strong>der</strong> vollen<br />
Wahrheit seiner Existenz, seines persönlichen <strong>und</strong><br />
zugleich gemeinschaftsbezogenen <strong>und</strong> sozialen<br />
Seins … dieser Mensch ist <strong>der</strong> erste Weg, den die<br />
Kirche bei <strong>der</strong> Erfüllung ihres Auftrags beschreiten<br />
muss“ (RH 14).<br />
Als eine Folge <strong>des</strong> Drängens <strong>des</strong> Konzils an die Kirche,<br />
sich in beson<strong>der</strong>er Weise um die Welt zu sorgen,<br />
hat Paul VI. 1967 die päpstliche Kommission<br />
„Iustitia et Pax“ eingesetzt, entsprechend dem<br />
Wunsch von GS 90: „Aber angesichts <strong>der</strong> zahllosen<br />
Drangsale, unter denen <strong>der</strong> größere Teil <strong>der</strong><br />
Menschheit auch heute noch leidet, hält es das Konzil<br />
für sehr zweckmäßig, ein Organ <strong>der</strong> Gesamtkirche<br />
zu schaffen, um die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Liebe<br />
Christi den Armen in aller Welt zuteil werden zu<br />
lassen. Seine Aufgabe soll es sein, die Gemeinschaft<br />
<strong>der</strong> Katholiken immer wie<strong>der</strong> anzuregen, den Aufstieg<br />
<strong>der</strong> notleidenden Gebiete <strong>und</strong> die soziale<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> unter den Völkern zu för<strong>der</strong>n.“<br />
2. Die zentrale Bedeutung <strong>der</strong> Arbeit<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in<br />
<strong>der</strong> neuen Theologie <strong>des</strong> Ordenslebens<br />
Angesichts <strong>der</strong> Situation, dass das Ordensleben von<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft getrennt war, ihm eine signifikante<br />
148<br />
<strong>und</strong> prophetische Kraft fehlte <strong>und</strong> es sich in überholten<br />
Formen darstellte, plante das Zweite Vatikanische<br />
Konzil als eine angemessene Erneuerung:<br />
„ständige Rückkehr zu den Quellen je<strong>des</strong> christlichen<br />
Lebens (die im Evangelium dargelegte Nachfolge<br />
Christi) <strong>und</strong> zum Geist <strong>des</strong> Ursprungs <strong>der</strong> einzelnen<br />
Institute, zugleich aber <strong>der</strong>en Anpassung an<br />
die verän<strong>der</strong>ten Zeitverhältnisse. … Die Institute<br />
sollen dafür sorgen, dass ihre Mitglie<strong>der</strong> die Lebensverhältnisse<br />
<strong>der</strong> Menschen, die Zeitlage sowie die<br />
Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>der</strong> Kirche wirklich kennen, damit sie<br />
die heutige Welt im Licht <strong>des</strong> Glaubens richtig<br />
beurteilen <strong>und</strong> den Menschen mit lebendigem apostolischem<br />
Eifer wirksamer helfen können“ (PC 2).<br />
Orden, Kongregationen <strong>und</strong> Institute folgten<br />
sogleich dem Ruf <strong>des</strong> Konzils. Anhand <strong>der</strong> Dokumente<br />
<strong>der</strong> Generalkapitel, Ordensräte <strong>und</strong> Generalkonstitutionen<br />
können wir erkennen, wie die<br />
Dokumente <strong>des</strong> Konzils <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Dokumente<br />
<strong>des</strong> kirchlichen Lehramts, insbeson<strong>der</strong>e EVANGELII<br />
NUNTIANDI <strong>und</strong> die Sozialenzykliken, einen großen<br />
Einfluss auf die Neuformulierung <strong>des</strong> Ordenslebens<br />
ausübten. Evangelisierung <strong>und</strong> prophetische Kennzeichen<br />
sind nun gr<strong>und</strong>legend, wie sie es auch für<br />
die gesamte Kirche sind. Mit dem Ende <strong>des</strong> Konzils<br />
begannen gewisse gr<strong>und</strong>legende <strong>und</strong> eher generelle<br />
Tendenzen im Ordensleben sichtbar zu werden:<br />
Die Option für die Armen <strong>und</strong> für die tatsächliche<br />
Armut wurde in den Instituten <strong>und</strong> Gemeinschaften<br />
ernst genommen.<br />
In Orden <strong>und</strong> Kongregationen wurde <strong>der</strong> Einsatz<br />
zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> zur Verteidigung<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte als Teil ihrer Sendung<br />
verstanden.<br />
Um diese Verpflichtung Wirklichkeit werden zu<br />
lassen, gab es eine Bewegung hin zu kleinen<br />
Gemeinschaften, die in Armenvierteln lebten, die<br />
Lebensbedingungen <strong>der</strong> Armen teilten <strong>und</strong> an<br />
ihren Schwierigkeiten <strong>und</strong> Kämpfen teilnahmen.<br />
Die traditionellen Aufgaben, die viele Ordensinstitute<br />
auf dem Gebiet <strong>der</strong> Erziehung, <strong>des</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesens,<br />
<strong>der</strong> Waisenhäuser usw. hatten, begann<br />
man in Frage zu stellen. Es entstand eine Strömung<br />
zu Gunsten eines Abschieds von eigenen Einrichtungen<br />
mit dem Vorschlag, dass Ordensfrauen <strong>und</strong><br />
Ordensmänner ihren Dienst in Institutionen außerhalb<br />
ihrer eigenen Institute leisten sollten, seien<br />
diese kirchlich o<strong>der</strong> säkular <strong>und</strong> zivil.
■ Nachkonziliare Entwicklung<br />
Diese Tendenzen wurden 1980 durch die Kongregation<br />
für die Ordens- <strong>und</strong> Säkularinstitute in ihrem<br />
Dokument DAS ORDENSLEBEN UND DIE FÖRDE-<br />
RUNG DES MENSCHEN bekräftigt. Es bietet Unterscheidungskriterien<br />
über die Bedeutung <strong>und</strong> die<br />
Dringlichkeit einer angemessenen Teilnahme <strong>der</strong><br />
Ordensleute an <strong>der</strong> ganzheitlichen För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong><br />
Menschen. Wir finden die gleichen Vorstellungen<br />
im nachsynodalen apostolischen Schreiben über<br />
das geweihte Leben <strong>und</strong> seine Sendung in Kirche<br />
<strong>und</strong> Welt, VITA CONSECRATA (1996), vor allem in<br />
Kapitel III.<br />
3. Nachkonziliare Entwicklung<br />
<strong>des</strong> Ordens: Kapitel, Ordensräte,<br />
Generalkonstitutionen<br />
Seit dem Konzil <strong>und</strong> den Generalkonstitutionen<br />
von 1967 wurde unter den Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>n eine<br />
gewaltige Anstrengung unternommen, ihre Berufung<br />
in <strong>der</strong> heutigen Welt zu verstehen. Seitdem hat<br />
ein Entwicklungsprozess stattgef<strong>und</strong>en, <strong>der</strong> zu den<br />
Generalkonstitutionen von 1987 geführt hat, in<br />
denen die Option für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
ganz deutlich zu Tage tritt. In diesem Prozess gab es<br />
einige Schlüsselmomente. Werfen wir einen Blick<br />
darauf:<br />
Der erste bedeutende Augenblick war das Generalkapitel<br />
von Medellin (1971). In seinem Dokument<br />
ERZIEHUNG UND AUSBILDUNG IM ORDEN DER<br />
MINDERBRÜDER stellt es fest, dass Erneuerung zu<br />
einem großen Teil von <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
abhängt. Nr. 7 besagt, dass das Konzept <strong>des</strong> Franziskus<br />
den Bedürfnissen <strong>und</strong> Wünschen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Welt entspricht. Nr. 8 hält fest, dass „wir arm werden<br />
müssen mit den Armen <strong>und</strong> min<strong>der</strong> mit den<br />
Min<strong>der</strong>en“ (demütig). Nr. 10 spricht von unserer<br />
Einglie<strong>der</strong>ung in die Welt von heute <strong>und</strong> unserem<br />
Einsatz für ihre großen Anliegen (vgl. OCTOGESIMA<br />
ADVENIENS, Nr. 5 u. 48). Nr. 11 fragt: „Sind wir die<br />
Menschen, die wir sein sollten? Fühlen wir uns<br />
wirklich berufen, nach den Nöten <strong>der</strong> Welt Ausschau<br />
zu halten?“ <strong>und</strong> schließt: „Dies ruft uns ganz<br />
sicher zu einer fortdauernden Bekehrung unserer<br />
selbst, einzeln wie in Gemeinschaft.“ In Nr. 26<br />
spricht das Dokument vom Min<strong>der</strong>sein als Kennzeichen<br />
franziskanischen Lebens, dass nämlich<br />
„Min<strong>der</strong>sein jeden Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> die Gemeinschaft zu<br />
einem Werkzeug <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> macht“.<br />
In Kapitel V., „Dimensionen <strong>der</strong> Ausbildung“,<br />
Abschnitt 4 „Ausbildung für Kommunikation mit<br />
<strong>der</strong> Welt“ spricht Nr. 52 davon, „in <strong>der</strong> Welt präsent<br />
zu sein“, weil franziskanisches Leben keine<br />
Flucht aus <strong>der</strong> Welt ist; vielmehr ist es, dem Beispiel<br />
<strong>des</strong> menschgewordenen Wortes folgend, ein Leben<br />
in <strong>der</strong> Welt, um Zeugnis zu geben von <strong>der</strong> Gewissheit<br />
<strong>der</strong> transzendenten Wirklichkeit <strong>und</strong> um die<br />
guten Dinge zu entdecken, die Gott in sie hineingegeben<br />
hat. Nr. 53 merkt dann als eine Konsequenz<br />
an, dass wir „aufmerksam gegenüber <strong>der</strong> sozialen<br />
Wirklichkeit“ sein sollten.<br />
Über diese Zitationen hinaus begann das Kapitel<br />
von Medellin von <strong>der</strong> Notwendigkeit zu sprechen,<br />
uns <strong>der</strong> Welt von heute zu stellen, auf ihre Nöte zu<br />
antworten. Doch hatte es nicht viel zu sagen <strong>und</strong>,<br />
mit einem gewissen Maß an Zweideutigkeit <strong>und</strong><br />
Furcht, stellte es die Probleme nicht fest, auf die<br />
geantwortet werden sollte.<br />
Bereits das an<strong>der</strong>e Dokument <strong>des</strong> Kapitels, „Der<br />
Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>orden <strong>und</strong> die Mission“, Kapitel V.<br />
(„Wir sind Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“), stellt fest:<br />
„In Treue zu unserer Mission <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, sind wir<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, nicht aber<br />
<strong>des</strong> Kompromisses; denn <strong>der</strong> Friede, dem wir<br />
dienen, muss die Frucht wahrer <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Liebe sein.“ Darin liegt eine ausschließliche<br />
Option für das Zeugnis.<br />
Der zweite große Moment war das Dokument <strong>des</strong><br />
Generalkapitels von Madrid: DIE BERUFUNG<br />
UNSERES ORDENS HEUTE (1973). Hier liegt <strong>der</strong><br />
Akzent auf dem „heute“. Denn wenn das Leben<br />
<strong>und</strong> die Regel <strong>des</strong> Franziskus – die Berufung <strong>des</strong><br />
Ordens eine bekannte Größe ist <strong>und</strong> davon abgeleitet<br />
auch unsere Identität geklärt ist, so bedarf es<br />
trotzdem <strong>der</strong> Klärung, <strong>der</strong> Konkretisierung dieser<br />
Berufung im Hier <strong>und</strong> Jetzt. Dieses Gesetz <strong>der</strong><br />
Inkarnation ist gr<strong>und</strong>legend für die gesamte Christenheit.<br />
Ohne es, ohne Einsatz für den Menschen<br />
<strong>und</strong> die Welt, ist es unmöglich, ein Sakrament <strong>der</strong><br />
Erlösung zu sein.<br />
Kapitel VII. ist überschrieben mit „Kün<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong> in unserer Welt“. Dies ist sein Inhalt:<br />
149
■ Nachkonziliare Entwicklung<br />
Nr. 31: Unsere wesentliche Sendung besteht darin,<br />
unseren Lebensplan zu verwirklichen: eine Gemeinschaft<br />
<strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes zu leben <strong>und</strong> aufzubauen<br />
<strong>und</strong> für alle offen zu sein, in Armut <strong>und</strong><br />
Arbeit zu leben, die Hoffnungen <strong>der</strong> Armen zu teilen.<br />
Unser Beitrag für die Kirche <strong>und</strong> die Menschheit<br />
besteht in erster Linie darin: Zeugnis abzulegen<br />
durch unser Leben.<br />
Nr. 33: „Wir wollen inmitten <strong>des</strong> Gesellschaft eine<br />
brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft aufbauen … Das hat<br />
dann – ob man es nun will o<strong>der</strong> nicht – soziale <strong>und</strong><br />
politische Auswirkungen.“ Und wir werden vor Parteienwirtschaft<br />
gewarnt <strong>und</strong> aufgefor<strong>der</strong>t, die Seligpreisungen<br />
konsequent zu leben.<br />
Nr. 34: Von diesem Ausgangspunkt aus wird es möglich<br />
sein, an den politischen Problemen <strong>und</strong> den<br />
sozialen Kämpfen von heute wirklich Anteil zu nehmen.<br />
Mit dem Ziel: Wir müssen genaue Informationen<br />
haben, die uns eine objektive Analyse <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
erlauben; um unsere Stimme mit <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Unterdrückten zu vereinen, müssen wir an <strong>der</strong> Arbeit<br />
<strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> Ausgegrenzten teilnehmen. Wir<br />
müssen uns einfügen in ihre Art <strong>und</strong> Weise zu leben.<br />
Das Generalkapitel von 1979. Mit diesem Generalkapitel<br />
traf <strong>der</strong> Orden eine entschiedene Option<br />
für den Einsatz zu Gunsten von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden. Von den sieben Prioritäten, die das Kapitel<br />
für den Orden für die nächsten sechs Jahre bestimmte,<br />
for<strong>der</strong>te die fünfte, dass die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
am Aufbau <strong>der</strong> Welt mitarbeiten, indem sie an ihren<br />
Problemen Anteil nähmen <strong>und</strong> in vielfältiger <strong>und</strong><br />
intensiver Weise in ihnen präsent seien. Die sechste<br />
Priorität besagt: „Im Bewusstsein unserer Position<br />
als För<strong>der</strong>er von Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, wollen<br />
wir auf <strong>der</strong> Seite jener stehen, die Verfolgungen <strong>und</strong><br />
vielfältige Machenschaften erleiden; wir sollen auf<br />
eine solche Weise leben, dass unser Leben <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden för<strong>der</strong>t.“<br />
Am Ende <strong>des</strong> Kapitels wurde ein Dokument vorbereitet<br />
<strong>und</strong> angenommen, in dem ausdrücklich auf<br />
die zahlreichen drängenden Probleme hingewiesen<br />
wurde <strong>und</strong> auf die Schwierigkeit, sie zu lösen: Hunger,<br />
Armut, Mangel an Unterkünften <strong>und</strong> Arbeit,<br />
Ungerechtigkeit, Probleme <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
alten Menschen, Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte,<br />
die erschreckende Gefahr <strong>der</strong> Nuklearwaffen, die<br />
Verschmutzung <strong>der</strong> Atmosphäre … wie auch <strong>der</strong><br />
konkreten augenblicklichen Probleme in verschie-<br />
150<br />
denen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt (Nicaragua, Vietnam-<br />
Flüchtlinge, Brasilien, Rho<strong>des</strong>ien).<br />
Als Antwort auf dieses Kapitel behandelte <strong>der</strong> erste<br />
Brief <strong>des</strong> Generaldefinitoriums an den Orden, vom<br />
10. September 1979, die tragische Situation von<br />
Flüchtlingen, beson<strong>der</strong>s in Südost-Asien. Bei dieser<br />
Gelegenheit wurde die Errichtung einer Kommission<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Orden<br />
angekündigt, welche die „franziskanische Anteilnahme“<br />
an diesen Problemen verdeutlichte, entsprechend<br />
den vom Generalkapitel aufgestellten<br />
Prioritäten. In seinem Leitprogramm kündigte das<br />
Generaldefinitorium ebenfalls an, dass jede Provinzialenkonferenz<br />
eine Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden ernennen o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t mit solchen<br />
Kommissionen zusammenarbeiten sollte, die<br />
bereits in ihrer Region bestünden.<br />
Ordensrat von Bahia (1983). Seit den frühen 80er<br />
Jahren gab es ein klares Bewusstsein im Orden, dass<br />
unsere Sendung darin besteht, in <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong><br />
wir leben, zu evangelisieren, <strong>und</strong> dass wir klar<br />
erkennen müssten, ob wir wirklich wünschen, eine<br />
Antwort auf ihre Probleme <strong>und</strong> Bedürfnisse zu<br />
geben.<br />
Wegen <strong>der</strong> Bedeutung <strong>des</strong> Themas Evangelisierung<br />
an sich <strong>und</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>des</strong> Ordens, noch<br />
tiefer zu erfassen <strong>und</strong> zu unterscheiden, wie Franziskaner<br />
„Mittler zwischen den (franziskanischen)<br />
Werten <strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Kultur<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft“ sein können, wurde dies zum<br />
zentralen Thema auf dem Ordensrat von 1983 in<br />
Bahia, Brasilien. Dort wurde ein gedanklich interessantes<br />
Dokument verabschiedet: DAS EVANGELIUM<br />
FORDERT UNS HERAUS. Zusammen mit den Dokumenten<br />
<strong>der</strong> Generalkapitel von Medellin <strong>und</strong><br />
Madrid hatte dieser Text den größten Einfluss auf<br />
die Generalkonstitutionen von 1987. Dies ist daran<br />
zu erkennen, wie die Anmerkungen <strong>der</strong> Artikel,<br />
welche die Generalkonstitutionen diesem Thema<br />
widmen, beständig auf diese drei Dokumente Bezug<br />
nehmen. Um die Botschaft zu verstehen, welche<br />
die gegenwärtigen Generalkonstitutionen vermitteln<br />
wollen, ist es wesentlich, sie im Licht dieser<br />
drei Dokumente zu lesen.<br />
Im Dokument von Bahia werden wir an unsere<br />
Pflicht erinnert, an <strong>der</strong> Evangelisierung <strong>der</strong> Kirche<br />
teilzunehmen (Kap. 1) <strong>und</strong> zum Aufbau von
■ Nachkonziliare Entwicklung<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden beizutragen (Kap. 4).<br />
Wir werden ebenfalls an die Lebensweise <strong>des</strong><br />
Evangeliums <strong>und</strong> <strong>des</strong> hl. Franziskus erinnert, an <strong>der</strong><br />
wir uns orientieren sollen, weil wir Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong><br />
sind, „als Brü<strong>der</strong> gesandt“ (Kap. 2) <strong>und</strong> „als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
unter den Armen“ (Kap. 3).<br />
Im Kapitel 4 („<strong>Werkzeuge</strong> für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden“) ist Nr. 38 <strong>der</strong> originellste Abschnitt, <strong>der</strong><br />
sich auf die vorausgehenden Dokumente bezieht.<br />
Hier werden konkrete Initiativen vorgeschlagen, die<br />
Brü<strong>der</strong> ergreifen sollten. Wir werden diese zusammen<br />
mit den Vorschlägen zum konkreten Handeln<br />
auflisten, welche das Generalkapitel von 1985 für<br />
die kommenden sechs Jahre aufgestellt hat. Diese<br />
fassen die an<strong>der</strong>en Dokumente ähnlicher Art<br />
zusammen, verweisen jedoch mehr auf das Handeln<br />
als auf Theorie. Generalminister John Vaughn sagte<br />
in seiner Eröffnungsansprache <strong>des</strong> Ordensrates von<br />
1983: „Wir haben die Information <strong>und</strong> wir haben<br />
die Dokumente. Wir haben auch die Inspiration<br />
vieler apostolischer Brü<strong>der</strong>, die uns vorausgegangen<br />
sind. Was uns heute zu mangeln scheint, ist die<br />
Vorstellungskraft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Antrieb, uns wirklich den<br />
Gefahren <strong>und</strong> den enormen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
zu stellen, welche <strong>der</strong> Herr, die Kirche <strong>und</strong> die Welt<br />
uns vorlegen“:<br />
a) Zu beten, dass wir Männer <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> mit Gott<br />
<strong>und</strong> den Menschen werden; Gebet <strong>und</strong> Fasten zu<br />
einem Teil unserer <strong>Friedens</strong>bemühungen zu<br />
machen.<br />
b) Bewegungen zu unterstützen, die Frieden in<br />
unserer Gesellschaft för<strong>der</strong>n, indem wir uns persönlich<br />
daran beteiligen.<br />
c) Sich gewaltfreien Bewegungen um Frieden<br />
anzuschließen, indem wir denen Unterstützung<br />
gewähren, die sich aus Gewissensgründen Kriegen,<br />
beson<strong>der</strong>s den atomaren Kriegen wi<strong>der</strong>setzen, <strong>und</strong><br />
denen, die sich dem Rüstungswettlauf <strong>und</strong> dem Waffenhandel<br />
wi<strong>der</strong>setzen; jene zu unterstützen, die<br />
wegen ihrer Überzeugungen <strong>und</strong> ihren Bemühungen<br />
um <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden inhaftiert werden.<br />
d) Eine <strong>Friedens</strong>pädagogik zu entwickeln, beson<strong>der</strong>s<br />
für die Jugendlichen in unseren Seminarien<br />
<strong>und</strong> Schulen.<br />
e) Nach Wegen zu suchen, um Ungerechtigkeiten<br />
in unserer Mitte zu beseitigen. Dieses Thema sollte<br />
in den Hauskapiteln ein Jahr lang diskutiert werden:<br />
so for<strong>der</strong>n es die Prioritäten <strong>des</strong> Kapitels von<br />
1985, damit wir glaubwürdige Zeugen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
Christi sein können.<br />
f) Jede Provinz sollte eine Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden haben <strong>und</strong>, wenn möglich,<br />
Brü<strong>der</strong>, die sich hauptamtlich für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden einsetzen, wobei man Brü<strong>der</strong><br />
unterstützt, die bereits in Kommissionen für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden arbeiten. Die Vertreter<br />
<strong>der</strong> Provinzen sollen eine Versammlung für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden innerhalb <strong>der</strong> Konferenz bilden.<br />
Dies ist die Wegstrecke, die <strong>der</strong> Orden nach dem<br />
Konzil beschritten hat, bis die gegenwärtigen Generalkonstitutionen<br />
vom Generalkapitel 1985 angenommen<br />
wurden. In ihnen sind die Themen von<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden deutlich vertreten, vor<br />
allem in den Kapiteln IV. <strong>und</strong> V.<br />
Das Generalkapitel 1985: Neben <strong>der</strong> Annahme<br />
<strong>des</strong> Textes <strong>der</strong> Generalkonstitutionen veröffentlichte<br />
das Generalkapitel von 1985 in einer kurzen Botschaft<br />
mit dem Titel „DAS EVANGELIUM HEUTE<br />
LEBEN. VORSCHLÄGE ZUM KONKRETEN HANDELN“<br />
einen Sechs-Jahres-Plan (1985-1991). Das Kapitel<br />
war <strong>der</strong> Auffassung, dass in den Generalkonstitutionen<br />
<strong>und</strong> den jüngeren franziskanischen Dokumenten<br />
drei Themen beständig <strong>und</strong> vorrangig wie<strong>der</strong>kehrten:<br />
die kontemplative Dimension unseres<br />
Lebens; die Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> unsere Bildung im missionarischen<br />
Geist – Evangelisierung. Diese wurden im<br />
Orden schnell als unsere „drei Prioritäten“ bekannt.<br />
Nr. 23 dieses Dokuments listet neun konkrete<br />
Vorschläge im Bereich von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden auf. Einige von ihnen sind oben zitiert.<br />
Reflexion über diese Vorschläge, vor allem auf unseren<br />
Kapiteln (General-, Provinz- <strong>und</strong> Hauskapiteln)<br />
würde uns wertvolles Material geben für das Nachdenken<br />
über wesentliche Elemente unseres Erbes,<br />
eine nützliche Gewissenserforschung <strong>und</strong> einen<br />
Ansporn, die Vorschläge in Handeln umzusetzen.<br />
Drei Jahre nach dem Generalkapitel 1985 traf sich<br />
<strong>der</strong> Ordensrat 1988 in Bangalore, Indien. Auch dieser<br />
Ordensrat veröffentlichte ein Dokument, das<br />
den Titel DIENER DES WORTES … DIENER ALLER<br />
trägt. Der Ordensrat nahm mit Genugtuung wahr,<br />
dass es im gesamten Orden „einen wirklichen<br />
Enthusiasmus für die drei Prioritäten <strong>des</strong> letzten<br />
Generalkapitels“ gab (Nr. 14). Der Rat behandelte<br />
151
■ Nachkonziliare Entwicklung<br />
die zweite Priorität (<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden) in<br />
den Nr. 33-44. Der Rat stellte mit Genugtuung<br />
fest, dass das Interesse <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> für diese Themen<br />
sich „auf <strong>der</strong> richtigen Spur“ befinde (34). „Für eine<br />
ständig wachsende Zahl von Brü<strong>der</strong>n ist <strong>der</strong> Arme<br />
nicht nur ein Bru<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n ein bevorzugter Bru<strong>der</strong>“<br />
(36). Armut wird nicht nur als ein Gelübde<br />
gesehen, son<strong>der</strong>n als Solidarität mit dem Armen mit<br />
Blick auf seine vollständige Befreiung (vgl. Nr. 36).<br />
Eine wachsende Zahl von Provinzen hat zumin<strong>des</strong>t<br />
eine Fraternität in armen Gebieten o<strong>der</strong> unter den<br />
Ausgegrenzten. Einige Gemeinschaften haben ihre<br />
Konventsgebäude zur Verfügung gestellt als Zentren<br />
für die Behandlung von Alkoholkranken, Drogenabhängigen<br />
o<strong>der</strong> ähnliche Fälle (vgl. Nr. 37). Der<br />
Rat stellt fest, dass Brü<strong>der</strong> sich in vielen Teilen <strong>der</strong><br />
Welt an friedlichen Kampagnen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden beteiligen <strong>und</strong> stellt mit Befriedigung<br />
fest, dass auch die Probleme <strong>der</strong> Ökologie eine<br />
wachsende Zahl von Brü<strong>der</strong>n beschäftigen (vgl. Nr.<br />
39). Der Rat erinnert an die Schaffung von Kommissionen<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in vielen<br />
Provinzen <strong>und</strong> Konferenzen <strong>und</strong> beobachtet mit<br />
beson<strong>der</strong>er Genugtuung, dass das Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden an <strong>der</strong> Generalkurie „beständig<br />
die Arbeit <strong>der</strong> Animation <strong>und</strong> Koordination durchführt<br />
… indem es über Modelle <strong>und</strong> Projekte auf<br />
diesem Gebiet informiert <strong>und</strong> Vorschläge macht“,<br />
für den Orden, für die franziskanische Familie <strong>und</strong><br />
für an<strong>der</strong>e Bereiche <strong>der</strong> Kirche (vgl. 40).<br />
Das Generalkapitel 1991 beschloss, die drei Prioritäten<br />
<strong>des</strong> Sechs-Jahres-Planes <strong>des</strong> Kapitels von<br />
1985 ausführlicher zu behandeln, indem man sie<br />
in den Kontext <strong>der</strong> Generalkonstitutionen stellte.<br />
Das Kapitel fügte <strong>der</strong> zweiten Priorität (<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden) die Worte „<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung“ hinzu. Das Kapitel for<strong>der</strong>t in Nr. 26<br />
<strong>des</strong> Dokuments DER ORDEN UND DIE EVANGELISIE-<br />
RUNG HEUTE: „Die Entitäten <strong>des</strong> Ordens mögen<br />
die konkreten Schritte prüfen, die sie in ihrer<br />
Option für die Armen <strong>und</strong> in ihrem Einsatz für eine<br />
Gesellschaft <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> in<br />
<strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung gemacht haben <strong>und</strong><br />
die noch zu machen sind.“ Dies ist ein geeignetes<br />
Thema für eine Gewissenserforschung, beson<strong>der</strong>s<br />
auf unseren Kapiteln.<br />
1996 veröffentlichte <strong>der</strong> Generalminister Hermann<br />
Schalück ein Dokument zum Thema Evangelisie-<br />
152<br />
rung, „Die ganze Welt mit dem Evangelium Christi<br />
erfüllen“. In diesem Dokument bekräftigte er den<br />
Einsatz zur Verteidigung <strong>des</strong> Lebens in dem evangelisierenden<br />
Wirken <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> (Kapitel III,<br />
1c), er betonte die Option für die Armen (Kapitel<br />
III, 2c), den Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden,<br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (Kapitel III, 2d) <strong>und</strong><br />
den ökumenischen <strong>und</strong> interreligiösen Dialog<br />
(Kapitel III, 2e) in <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> Prioritäten.<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach dem Willen Gottes in <strong>der</strong> Hl.<br />
Schrift, in unseren Quellen, in den Ereignissen <strong>der</strong><br />
letzten sechs Jahre, in <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Gesichter<br />
sovieler Menschen, in <strong>der</strong> Wirklichkeit „<strong>der</strong> Zeichen<br />
<strong>der</strong> Zeit“ beschloss das Generalkapitel 1997<br />
einen DIENST FÜR DEN DIALOG einzurichten, <strong>der</strong> in<br />
drei Kommissionen unterteilt ist: ökumenischer<br />
Dialog, interreligiöser Dialog <strong>und</strong> Dialog mit den<br />
Kulturen. Auch wurden die Konferenzen aufgefor<strong>der</strong>t<br />
zu prüfen, in welcher Form eine solche Initiative<br />
im eigenen Gebiet durchgeführt werden kann<br />
(VON DER ERINNERUNG ZUR PROPHETIE, Nr. 7,1-<br />
2). Das Kapitel ratifizierte die bevorzugte Option<br />
für die Armen (Nr. 8,2); es „regt dazu an, auf Konferenzebene<br />
<strong>und</strong> in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie ein konkretes Engagement<br />
zugunsten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu leisten, ein Engagement,<br />
das aus unserer Spiritualität erwachsen <strong>und</strong><br />
den franziskanischen Beitrag zum neuen Jahrtausend<br />
bilden soll“ (Nr. 8,3). Es bat „das Generaldefinitorium,<br />
mit Hilfe <strong>des</strong> Büros für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Zusammenarbeit<br />
mit allen Konferenzen <strong>und</strong> Provinzen,<br />
ein Netz von Helfern <strong>und</strong> Hilfsmitteln zu schaffen,<br />
um den Bedürfnissen <strong>der</strong> Flüchtlinge wirksamer<br />
begegnen zu können“ (Nr. 8,4).<br />
Pat McCloskey <strong>OFM</strong>
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
Strukturen für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung im Orden<br />
<strong>OFM</strong> GFBS Strukturen<br />
Internationales Büro (Generalkurie, Rom)<br />
Exekutiv-Komitee <strong>des</strong> ICJPIC<br />
Internationaler Rat<br />
Kommissionen <strong>der</strong> Konferenzen<br />
Provinzkommissionen<br />
Interfranziskanische Kommission<br />
1) Provinzebene<br />
2) Konferenzebene<br />
3) Internationale Ebene<br />
Der Orden hofft, „wo immer es möglich ist, Brü<strong>der</strong><br />
hauptamtlich für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden einzusetzen<br />
<strong>und</strong> alle jene Brü<strong>der</strong> zu unterstützen, die<br />
in den Justitia et Pax-Initiativen <strong>des</strong> Ordens <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Provinzen arbeiten“ (DAS EVANGELIUM<br />
FORDERT UNS HERAUS: ÜBERLEGUNGEN ZUR EVAN-<br />
GELISIERUNG, Bahia 1983, Nr. 38,5). Während<br />
<strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> GFBS-Arbeit in je<strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong><br />
Kultur spezifisch ist, sind einige allgemeine<br />
Empfehlungen hinsichtlich <strong>der</strong> Strukturen von<br />
GFBS auf Provinz- <strong>und</strong> Konferenzebene nützlich.<br />
1) Provinzebene<br />
Einige Provinzen ernennen einen Animator o<strong>der</strong><br />
ein Team für GFBS in je<strong>der</strong> örtlichen Bru<strong>der</strong>schaft.<br />
Viele Provinzen haben ein Komitee von Brü<strong>der</strong>n<br />
(mit weiteren Vollzeit- o<strong>der</strong> Teilzeitaufgaben), das<br />
zu Themen von GFBS arbeitet. An<strong>der</strong>e Provinzen<br />
haben ein Büro für GFBS mit einem Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> in<br />
Vollzeit arbeitet, <strong>und</strong> <strong>der</strong> in manchen Fällen von<br />
Laienmitarbeitern unterstützt wird.<br />
Die Hauptarbeit <strong>des</strong> Provinzkoordinators besteht<br />
darin, die Brü<strong>der</strong> seiner Provinz in den Bereichen<br />
von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> ökologischen Anliegen<br />
anzuregen. Er sorgt für die Verbreitung von<br />
Information, er entwickelt den Prozess einer sozialen<br />
Analyse innerhalb <strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> nimmt an<br />
Aktionen teil, die auf soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> hinzielen.<br />
Er nimmt teil am GFBS-Rat/Kommission<br />
seiner Konferenz.<br />
Der Ordensrat 1983 in Bahia ermutigte zum<br />
Vollzeitmodell, wo immer möglich; die Treffen <strong>des</strong><br />
Internationalen Rates für GFBS 1993, 1995 <strong>und</strong><br />
1997 bekräftigten diesen Wunsch.<br />
Brü<strong>der</strong> im Dienst von GFBS einer Provinz benötigen<br />
eine klare, schriftliche Aufgabenbeschreibung,<br />
die folgen<strong>des</strong> einschließen sollte:<br />
1. Eine Erklärung über die Sendung <strong>der</strong><br />
GFBS-Arbeit in <strong>der</strong> Provinz.<br />
2. Eine klare Beschreibung <strong>der</strong> Richtlinien <strong>der</strong><br />
Vollmacht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rechenschaftspflicht gegenüber<br />
<strong>der</strong> Provinzverwaltung, Einbeziehung in die Programme<br />
<strong>der</strong> anfänglichen <strong>und</strong> ständigen Fortbildung,<br />
Verbindung zum Kommunikationsbüro, usw.<br />
3. Eine politische Erklärung über die Kompetenzen<br />
<strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s/<strong>der</strong> Kommission/<strong>des</strong> Büros, öffentliche<br />
Stellungnahmen zu Themen von GFBS abzugeben.<br />
4. Eine Beschreibung <strong>der</strong> Mitgliedschaft in <strong>der</strong><br />
GFBS-Kommission/Büro <strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> ihrer<br />
Tätigkeit.<br />
5. Klare Erwartungen in Bezug auf Projekte <strong>der</strong><br />
Animation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anwaltsfunktion (Lobbyarbeit).<br />
6. Ein Entwurf <strong>der</strong> Programmarten, die von interfranziskanischer<br />
Zusammenarbeit erwartet werden.<br />
7. Angemessene Finanzmittel.<br />
8. Erwartungen <strong>der</strong> Koordination mit an<strong>der</strong>en<br />
sozialen <strong>und</strong> kirchlichen Organen (z.B. interreligiösen<br />
GFBS-Gruppen, diözesanen GFBS-Kommissio-<br />
153
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
nen, Menschenrechtsorganisationen, Caritas,<br />
Greenpeace, Amnesty International, usw.).<br />
Es ist zu wünschen, dass die beauftragten Brü<strong>der</strong><br />
haben:<br />
1. Interesse an GFBS-Themen.<br />
2. Erfahrung mit Armen.<br />
3. Glaubwürdigkeit in <strong>der</strong> Provinz.<br />
4. Zeit <strong>und</strong> Unterstützung von Seiten <strong>der</strong> Provinz,<br />
um ihre Arbeit wirkungsvoll zu leisten.<br />
5. Zugang zu den Brü<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> zur Provinzverwaltung.<br />
6. Kommunikationsfähigkeit.<br />
7. Gute Ges<strong>und</strong>heit.<br />
8. Örtliche GFBS-Vertreter in den Konventen.<br />
9. GFBS-Beziehungen innerhalb <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie.<br />
Die Erfahrung im Orden zeigt, dass die interfranziskanische<br />
Zusammenarbeit nicht die <strong>OFM</strong>-GFBS-<br />
Kommissionen o<strong>der</strong> Büros auf Provinz- <strong>und</strong> Konferenzebene<br />
ersetzen kann.<br />
2) Konferenzebene<br />
GFBS-Räte o<strong>der</strong> Kommissionen auf Konferenzebene<br />
sind eine Entwicklung <strong>des</strong> Artikels 114 <strong>der</strong><br />
Generalkonstitutionen <strong>und</strong> <strong>des</strong> Artikels 164 <strong>der</strong><br />
Generalstatuten. Es bestehen ähnliche Strukturen<br />
für die Bereiche <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong> <strong>der</strong> missionarischen<br />
Evangelisierung. Der GFBS-Rat/-Kommission<br />
<strong>der</strong> Konferenz setzt sich zusammen aus den<br />
GFBS-Koordinatoren je<strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Entität<br />
dieser beson<strong>der</strong>en Konferenz.<br />
a) Vorsitzen<strong>der</strong>, Präsident, Koordinator <strong>des</strong> GFBS-<br />
Rates/-Kommission <strong>der</strong> Konferenz<br />
Er benötigt die Zeit, um nicht nur auf <strong>der</strong> Ebene<br />
seiner Provinz zu arbeiten, son<strong>der</strong>n auch die GFBS-<br />
Arbeit auf Konferenzebene zu koordinieren <strong>und</strong> die<br />
Projekte <strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen den Konferenzen<br />
zu entwickeln.<br />
b) Rat / Kommission<br />
Er/sie benötigt Statuten, die klar die Mitgliedschaft,<br />
den Auftrag, Finanzen, Richtlinien <strong>der</strong> Vollmacht<br />
<strong>und</strong> die Kommunikation zwischen dem Rat <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> Provinzialminister beschreiben.<br />
154<br />
Es folgt als Beispiel das Statut <strong>der</strong> englisch-sprachigen<br />
Konferenz (Kanada, USA, England, Irland,<br />
Malta).<br />
STATUTEN DES GFBS-RATES<br />
DER ENGLISCH-SPRACHIGEN KONFERENZ<br />
Einsetzung<br />
Der Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung (Rat) ist ein ständiger Rat <strong>der</strong> englisch-sprachigen<br />
Konferenz <strong>des</strong> Ordens <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en<br />
Brü<strong>der</strong> (Konferenz). Er setzt sich zusammen aus<br />
den Vertretern für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (GFBS) <strong>der</strong> Provinzen,<br />
Vize-Provinzen <strong>und</strong> Kustodien <strong>der</strong> Konferenz.<br />
Der Rat trifft sich regelmäßig für<br />
drei Hauptziele:<br />
1. Er dient <strong>der</strong> Konferenz als Quelle, die ihr hilft,<br />
Bewusstsein für GFBS-Anliegen zu schaffen <strong>und</strong><br />
Projekte für die Verwirklichung zu entwickeln.<br />
„Ein großer Teil <strong>der</strong> Menschen lebt noch in Not,<br />
Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Unterdrückung; darum sollen<br />
die Brü<strong>der</strong> sich mit allen Menschen guten Willens<br />
für die Erneuerung <strong>der</strong> Gesellschaft zu <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Befreiung <strong>und</strong> Frieden im auferstandenen<br />
Christus einsetzen, die Ursachen <strong>der</strong> einzelnen<br />
Situationen durchdenken <strong>und</strong> sich entsprechend an<br />
Unternehmungen <strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> internationalen Solidarität beteiligen.“ (Generalkonstitutionen<br />
<strong>OFM</strong>, Artikel 96,2)<br />
2. Er stellt Möglichkeiten zur Verfügung, um<br />
Fachkenntnis zu entwickeln, um Information <strong>und</strong><br />
Mittel zu teilen <strong>und</strong> den Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en an<br />
GFBS-Aufgaben beteiligten Menschen wechselseitige<br />
Unterstützung zu ermöglichen.<br />
„In klarer Erkenntnis <strong>der</strong> Bedeutung <strong>und</strong> Schwere<br />
sozialer Probleme sollen die Brü<strong>der</strong> die Lehre<br />
<strong>der</strong> Kirche über die soziale Ordnung, die Familie<br />
<strong>und</strong> die menschliche Person nach Kräften sich<br />
aneignen <strong>und</strong> weitergeben. Auch sollen sie an<strong>der</strong>e<br />
kulturelle Elemente auf ihre Eignung zum Dialog<br />
über eine christliche Antwort kritisch durchleuchten.“<br />
(Generalkonstitutionen <strong>OFM</strong>,<br />
Artikel 96,1)
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
3. Er nimmt an gemeinsamen Erfahrungen teil <strong>und</strong><br />
reflektiert darüber, indem er soziales Bewusstsein<br />
weckt <strong>und</strong> gelegentlich prophetische Aktionen<br />
unternimmt. „… Die Verkündigung <strong>des</strong> Reiches<br />
Gottes ist nicht zu trennen von Aktionen zugunsten<br />
<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Teilnahme an <strong>der</strong><br />
Verwandlung <strong>der</strong> Welt“ (Bischofssynode 1971).<br />
„Angesichts <strong>der</strong> schrecklichen Gefahren, die die<br />
Menschheit bedrohen, sollen die Brü<strong>der</strong> auch jede<br />
Art kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>und</strong> den<br />
Rüstungswettlauf als schlimmste Plage für die Welt<br />
<strong>und</strong> schwerste Verletzung <strong>der</strong> Armen mit Entschiedenheit<br />
anprangern; <strong>und</strong> sie sollen we<strong>der</strong> Arbeit<br />
noch Mühen scheuen, am Gottesreich <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
zu bauen.“ (Generalkonstitutionen <strong>OFM</strong>, Artikel<br />
69,2)<br />
Statuten <strong>und</strong> Durchführungsbestimmungen<br />
I. Der Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung (Rat) ist ein eingesetztes Komitee<br />
<strong>der</strong> englisch-sprachigen Konferenz <strong>des</strong> Ordens<br />
<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> (Konferenz).<br />
a) Der Rat dient als Organ <strong>der</strong> Konferenz.<br />
b) Soziales Bewusstsein <strong>und</strong> die Entwicklung von<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
(GFBS) sind seine normalen Arbeitsbereiche<br />
für die Konferenz.<br />
c) Ein von <strong>der</strong> Konferenz ernannter Vertreter dient<br />
als Verbindungsmann zwischen Rat <strong>und</strong> Konferenz.<br />
d) Ein jährlicher Bericht über die Aktivitäten <strong>des</strong><br />
Rates wird <strong>der</strong> Konferenz zur Überprüfung auf<br />
ihrem Oktobertreffen vorgelegt.<br />
e) Der Rat steht dem Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung <strong>des</strong> Ordens <strong>der</strong><br />
Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> (<strong>OFM</strong>) in Rom als Mittel zur<br />
Verfügung <strong>und</strong> nimmt am Internationalen Rat <strong>des</strong><br />
Ordens für GFBS teil.<br />
f) Der Rat verleiht jährlich den Martin J. Wolf-Preis<br />
einer Person (o<strong>der</strong> Personen), die gemäß dem Geist<br />
<strong>des</strong> Evangeliums lebt (leben).<br />
g) Der Rat ist ein Forum <strong>der</strong> interfamiliären<br />
Zusammenarbeit<br />
II. Mitgliedschaft<br />
A. Mitglie<strong>der</strong><br />
Jede Rechtsperson <strong>der</strong> Konferenz bestimmt einen<br />
o<strong>der</strong> mehrere GFBS-Vertreter, um als Mitglie<strong>der</strong><br />
<strong>des</strong> Rates tätig zu sein. Der Verbindungsmann <strong>der</strong><br />
Konferenz ist ebenfalls Mitglied.<br />
B. Außerordentliche Mitglie<strong>der</strong><br />
Jede <strong>der</strong> verschiedenen franziskanischen Familien,<br />
z.B. Kapuziner, Konventualen, TOR, Franziskanische<br />
Fö<strong>der</strong>ation, Franziskanische Gemeinschaft<br />
(FG), Klarissen, usw. ist eingeladen, einen Vertreter<br />
zu bestimmen, <strong>der</strong> als außerordentliches Mitglied<br />
am Rat teilnimmt. Eine ähnliche Einladung wird<br />
ausgesprochen an den interprovinziellen Rat für<br />
missionarische Evangelisierung, den interprovinziellen<br />
Ausbildungsrat, Franciscans International <strong>und</strong><br />
den franziskanischen Missionsdienst.<br />
C. An<strong>der</strong>e Teilnehmer<br />
Im Ermessensfall können an<strong>der</strong>e geeignete Personen<br />
zu Treffen <strong>des</strong> Rates eingeladen werden.<br />
„Die Brü<strong>der</strong> sollen Einigkeit <strong>und</strong> Zusammenarbeit<br />
zwischen allen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie för<strong>der</strong>n, damit das Evangelium wirkungsvoller<br />
verkündet werden kann.“ (Generalkonstitutionen<br />
<strong>OFM</strong>, Artikel 88)<br />
III. Strukturen<br />
A. Vorsitzende<br />
Der Vorsitzende wird vom Rat gewählt <strong>und</strong> hat eine<br />
dreijährige Amtszeit. Der Vorsitzende kann für weitere<br />
drei Jahre wie<strong>der</strong>gewählt werden. Der Rat kann<br />
beschließen, die Zahl <strong>der</strong> Amtsperioden über zwei<br />
hinaus auszuweiten. Die Aufgabenbeschreibung <strong>des</strong><br />
Vorsitzenden wird vom Rat festgelegt.<br />
Wenn <strong>der</strong> Vorsitzende dienstunfähig ist, bestimmt<br />
das Exekutiv-Komitee in Absprache mit dem Verbindungsmann<br />
<strong>der</strong> Konferenz einen vorläufigen<br />
Vorsitzenden, <strong>der</strong> bis zum nächsten Treffen <strong>des</strong><br />
Rates den Dienst übernimmt.<br />
B. Verbindungsmann <strong>der</strong> Konferenz<br />
Der Verbindungsmann <strong>der</strong> Konferenz ist ein offizielles<br />
Mitglied <strong>des</strong> Rates, von <strong>der</strong> Konferenz bestimmt.<br />
Er vertritt die Konferenz bei Treffen <strong>des</strong><br />
155
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
Rates <strong>und</strong> berichtet <strong>der</strong> Konferenz im Auftrag <strong>des</strong><br />
Rates.<br />
C. Sekretär<br />
Der Vorsitzende ernennt einen Sekretär zur Erstellung<br />
<strong>des</strong> Protokolls <strong>des</strong> Treffens <strong>des</strong> Rates, Der<br />
Sekretär muss nicht Mitglied <strong>des</strong> Rates sein.<br />
D. Schatzmeister<br />
Der Rat soll einen Schatzmeister wählen, <strong>der</strong> die<br />
Finanzbücher <strong>des</strong> Rates überwacht. Der Schatzmeister<br />
ist verantwortlich für den jährlichen Finanzbericht<br />
an den Rat <strong>und</strong> an die Konferenz.<br />
Die Wahl <strong>des</strong> Schatzmeisters erfolgt gleichzeitig<br />
mit <strong>der</strong> Wahl <strong>des</strong> Vorsitzenden. Wenn kein Schatzmeister<br />
gewählt wird, übernimmt <strong>der</strong> Vorsitzende<br />
diese Aufgabe.<br />
E. Komitees<br />
1. Exekutiv-Komitee<br />
Der Rat wählt ein Exekutiv-Komitee, bestehend aus<br />
zwei o<strong>der</strong> mehr Mitglie<strong>der</strong>n. Einer von ihnen ist <strong>der</strong><br />
Vorsitzende, <strong>der</strong> den Vorsitz <strong>des</strong> Komitees führt.<br />
Die Aufgabenbeschreibung <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees<br />
wird vom Rat bestimmt.<br />
2. An<strong>der</strong>e Komitees<br />
Komitees werden bei Bedarf vom Rat eingesetzt.<br />
Mitglie<strong>der</strong> wie außerordentliche Mitglie<strong>der</strong> können<br />
Komitees angehören. Außerordentliche Mitglie<strong>der</strong><br />
haben aktives Stimmrecht in <strong>der</strong> Arbeit <strong>und</strong> den<br />
Entscheidungen <strong>der</strong> Komitees. Je<strong>des</strong> Komitee wählt<br />
einen Vorsitzenden <strong>und</strong> erstattet dem Rat Bericht.<br />
IV. Treffen<br />
A. Häufigkeit<br />
Der Rat trifft sich gewöhnlich zweimal im Jahr.<br />
B. Ziel<br />
Je<strong>des</strong> Treffen versucht die folgenden Ziele zu beachten<br />
<strong>und</strong> wahrzunehmen:<br />
1. Erstellung <strong>und</strong> Entwicklung von Empfehlungen<br />
<strong>und</strong> Vorschlägen zu GFBS-Themen für die Konferenz<br />
<strong>und</strong> für die ihr angehörenden Rechtspersonen.<br />
2. Gegenseitige Unterstützung <strong>und</strong> Ausbildung für<br />
Mitglie<strong>der</strong>, außerordentliche Mitglie<strong>der</strong> <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Teilnehmer.<br />
156<br />
3. Resolutionen <strong>und</strong> prophetische Aktionen zu<br />
GFBS-Themen.<br />
C. Abstimmung<br />
1. Der Rat handelt normalerweise durch Übereinstimmung<br />
seiner Mitglie<strong>der</strong><br />
2. Bei Bedarf kann eine entscheidende Abstimmung<br />
vorgenommen werden, bei <strong>der</strong> jede beteiligte<br />
Rechtsperson eine Stimme hat. Die einfache<br />
Mehrheit ist für die Annahme notwendig.<br />
3. Je<strong>der</strong>zeit können alle Anwesenden an einer beratenden<br />
Abstimmung teilnehmen.<br />
V. Finanzen<br />
Jede Entität ist aufgefor<strong>der</strong>t, durch ihre GFBS-<br />
Strukturen ihren Beitrag auf Dollarbasis zu leisten,<br />
um die normale Arbeit <strong>des</strong> Rates zu finanzieren. Er<br />
basiert auf <strong>der</strong> jährlichen Zählung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Konferenz.<br />
VI. Än<strong>der</strong>ungsanträge<br />
A. Die Statuten <strong>und</strong> die Durchführungsbestimmungen<br />
unterliegen <strong>der</strong> Verantwortlichkeit <strong>des</strong><br />
Rates. Än<strong>der</strong>ungsanträge müssen auf einem Treffen<br />
vorgeschlagen <strong>und</strong> auf dem nächsten Treffen entschieden<br />
werden.<br />
B. Än<strong>der</strong>ungsanträge unterliegen den Bestimmungen<br />
<strong>des</strong> Abschnitts IV.C (oben) mit <strong>der</strong> Ausnahme,<br />
dass bei einer entscheidenden Abstimmung die<br />
Zwei-Drittel-Mehrheit <strong>der</strong> Stimmen <strong>der</strong> anwesenden<br />
Rechtsgrößen für die Annahme nötig ist. Än<strong>der</strong>ungsanträge<br />
müssen dann durch die Konferenz<br />
bestätigt werden.<br />
Konstitutionen <strong>und</strong> Durchführungsbestimmungen<br />
wurden durch die Provinzialminister <strong>der</strong> englischsprachigen<br />
Konferenz auf ihrem Treffen im Oktober<br />
1997 angenommen.
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
3) Internationale Ebene<br />
a) GFBS-Büro, Rom<br />
Das internationale GFBS-Büro in Rom wurde 1981<br />
eingerichtet. Es soll „den Generalminister <strong>und</strong> sein<br />
Definitorium in Fragen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung unterstützen, entsprechend<br />
den Entscheidungen <strong>der</strong> Generalkapitel<br />
<strong>und</strong> Ordensräte unter Wahrung <strong>des</strong> Geistes <strong>der</strong><br />
Generalkonstitutionen <strong>und</strong> Statuten“. Der Mitarbeiterstab<br />
<strong>des</strong> Büros wird vom Generaldefinitorium<br />
ernannt. Ursprünglich wurde das Büro „Kommission<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ genannt. Seit<br />
1985 wird in den Generalstatuten <strong>des</strong> Ordens <strong>der</strong><br />
Begriff Büro verwendet (Artikel 120,1).<br />
Die Direktoren <strong>des</strong> Büros waren: Marco Malagola<br />
(Provinz von Turin, Italien, 1981-1983), Ken Viegas<br />
(Provinz von Pakistan, 1983-1985), Gerard<br />
Heesterbeek (Holländische Provinz, 1985-1988)<br />
<strong>und</strong> John Quigley (Provinz <strong>des</strong> hl. Johannes <strong>des</strong><br />
Täufers, USA, 1988-1997). Im Juli 1997 wurde<br />
Peter Schorr, Generaldefinitor für Zentral- <strong>und</strong><br />
Westeuropa, zum Direktor <strong>des</strong> Büros <strong>und</strong> im September<br />
1997 Gearóid Francisco O’Conaire (Zentralamerika)<br />
zum stellvertretenden Direktor<br />
ernannt.<br />
Der Direktor/stellvertretende Direktor nimmt an<br />
Treffen teil, spricht zu Provinzialsgruppen <strong>und</strong> reist<br />
in die Konferenzen. Um die Kommunikation zwischen<br />
<strong>der</strong> zentralen Leitung <strong>des</strong> Ordens, den Konferenzen<br />
<strong>und</strong> den Provinzen aufzubauen, unterhält<br />
das Personal <strong>des</strong> internationalen Büros Kontakte zu<br />
den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong> Internationalen Rates GFBS<br />
(Post <strong>und</strong> e-mail), organisiert Treffen, schreibt <strong>und</strong><br />
veröffentlicht Dokumentationen <strong>und</strong> Informationen<br />
<strong>und</strong> unterhält eine Datenbank für die verschiedenen<br />
Adressaten <strong>des</strong> Büros. Das Büro bemüht sich<br />
ebenso darum, Bewusstsein <strong>und</strong> Methodik von<br />
GFBS in die Ausbildungsprogramme <strong>des</strong> Ordens zu<br />
integrieren.<br />
Das GFBS-Büro hat Initiativen koordiniert, die<br />
Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern unterstützen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n,<br />
die wegen ihres Glaubens, ihrer Überzeugungen<br />
o<strong>der</strong> Aktivitäten für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung leiden. Einige Initiativen<br />
waren für inhaftierte Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> früheren Tschechoslowakei<br />
(1986), für Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern in<br />
Bosnien (1992), Franziskaner in Ruanda (1994),<br />
aus Anlass <strong>der</strong> Konfiszierung von palästinischchristlichem<br />
Land in Betlehem (1994), für Brü<strong>der</strong>,<br />
die in Brasilien mit Landlosen arbeiten (1996), <strong>und</strong><br />
für Franziskaner, die sich in Kolumbien für Menschenrechte<br />
einsetzen (1997). Das Büro schrieb <strong>und</strong><br />
sprach mit Regierungen <strong>und</strong> Nichtregierungsorganisationen;<br />
es initiierte Briefkampagnen; unternahm<br />
Interventionen bei <strong>der</strong> UN-Kommission für<br />
Menschenrechte (Genf) <strong>und</strong> initiierte die franziskanische<br />
<strong>Friedens</strong>mission in Kroatien <strong>und</strong> Kolumbien.<br />
b) Internationaler Rat<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (ICJPIC)<br />
„Der Internationale Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />
(ICJPIC) ist ein beraten<strong>des</strong> Organ, eingesetzt<br />
durch das Generaldefinitorium, um den Direktor<br />
<strong>des</strong> GFBS-Büros, das Generaldefinitorium <strong>und</strong> die<br />
Konferenzen in diesem bedeutsamen Einsatz für<br />
Ausbildung, Bewusstseinsbildung, Animation <strong>und</strong><br />
Engagement <strong>des</strong> Ordens in den Bereichen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu<br />
unterstützen.“ (Statuten <strong>des</strong> ICJPIC, bestätigt am 7.<br />
Juli 1989, überarbeitet am 9. November 1994 <strong>und</strong><br />
erneut durch das Generaldefinitorium bestätigt im<br />
März 1999). Die Versammlung <strong>des</strong> ICJPIC wird<br />
einmal in zwei Jahren durch den Direktor <strong>des</strong><br />
GFBS-Büros zusammengerufen; außerordentliche<br />
Treffen können mit <strong>der</strong> vorausgehenden Zustimmung<br />
<strong>des</strong> Generaldefinitoriums stattfinden.<br />
Die Zusammensetzung <strong>und</strong> die Verantwortlichkeiten<br />
<strong>des</strong> Internationalen Rates werden in Artikel 2<br />
<strong>und</strong> 3 <strong>der</strong> Statuten beschrieben (siehe unten): „Die<br />
Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> ICJPIC sind die Delegierten <strong>der</strong><br />
Konferenzen <strong>der</strong> Provinzialminister, einer für jede<br />
<strong>der</strong> 15 Konferenzen, gewählt von den Konferenzen<br />
entsprechend ihren Partikularstatuten <strong>und</strong> den Normen<br />
<strong>des</strong> ICJPIC; die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Exekutiv-<br />
Komitees; <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e, die durch den Generalminister<br />
ernannt werden.“<br />
Um als Delegierter <strong>des</strong> ICJPIC gewählt zu werden,<br />
ist es notwendig, <strong>der</strong> Promotor für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden in einer Konferenz o<strong>der</strong> Provinz zu<br />
sein, o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t beson<strong>der</strong>e Fachkenntnisse auf<br />
diesem Gebiet zu besitzen.<br />
157
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
Der ICJPIC hat sich bisher fünfmal getroffen:<br />
■ 1987 in Rom, Italien. Thema war „<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> Ausbildung“. Im Mittelpunkt<br />
stand das Ausbildungsprogramm, das in<br />
<strong>der</strong> Provinz <strong>der</strong> Philippinen unter den Armen<br />
von Manila stattfindet.<br />
■ 1991, Jerusalem, Israel. Thema war „Gewaltlosigkeit“,<br />
Begegnungen mit den Brü<strong>der</strong>n <strong>des</strong><br />
Heiligen Lan<strong>des</strong> <strong>und</strong> mit den zivilen Verantwortlichen<br />
<strong>der</strong> jüdischen <strong>und</strong> palästinensischen<br />
Bevölkerungsgruppe. Studium <strong>der</strong> Situation<br />
Israels-Palästinas.<br />
■ 1993 New York <strong>und</strong> Washington D.C. Themen<br />
in New York: unsere Beteiligung an Franciscans<br />
International bei <strong>der</strong> UNO; die Identität<br />
<strong>des</strong> Internationalen Rates; in Washington:<br />
Vorstellung <strong>der</strong> katholischen Kirche <strong>der</strong> USA<br />
(Bischofskonfernz <strong>der</strong> USA in Washington).<br />
Einige internationale GFBS-Projekte für den<br />
Orden wurden dem Generaldefinitorium vorgeschlagen<br />
<strong>und</strong> angenommen (z.B. das Kroatien-<br />
Projekt; Schwerpunkt auf Ökologie; Unterstützung<br />
von Franciscans International <strong>und</strong> die<br />
Ernennung eines <strong>OFM</strong>-Bru<strong>der</strong>s (Michael<br />
Surufka) für die Mitarbeit bei Franciscans International;<br />
die Veröffentlichung von PAX ET<br />
BONUM <strong>und</strong> CONTACT durch das Büro in Rom.<br />
Zum Abschluss <strong>des</strong> Treffens stellte das ICJPIC<br />
fest, dass es „meint, dass die Zeit für uns <strong>und</strong><br />
unsere Gesellschaften reif ist für Brü<strong>der</strong>, die ausgebildet<br />
<strong>und</strong> in Vollzeit auf den Gebieten <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung tätig<br />
sind. Der Rat tritt stark für die Entwicklung eines<br />
internationalen Teams von Brü<strong>der</strong>n ein, die in<br />
Vollzeit in den Bereichen <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung arbeiten. Je<strong>der</strong><br />
dieser Brü<strong>der</strong> sollte für einen bestimmten Kompetenzbereich<br />
ausgewählt <strong>und</strong> ausgebildet werden,<br />
z.B. für Menschenrechte, Ökologie, Flüchtlingsarbeit.<br />
Diese Brü<strong>der</strong> müssen nicht in Rom leben.<br />
Statt<strong>des</strong>sen sollte man es vorziehen, dass sie überall<br />
auf <strong>der</strong> Welt leben <strong>und</strong> in Koordination mit dem<br />
Büro in Rom zusammenarbeiten.“<br />
■ 1995, Seoul, Korea. Dieses Treffen regte verschiedene<br />
Projekte an, die dem Generaldefinitorium<br />
zur Bestätigung vorgelegt wurden. Die<br />
meisten waren Weiterentwicklungen <strong>der</strong> 1993<br />
vom ICJPIC angestoßenen Projekte. Zum Beispiel:<br />
die erfolgreiche Erfahrung <strong>der</strong> in das<br />
Kroatienprojekt einbezogenen Brü<strong>der</strong> während<br />
158<br />
<strong>des</strong> Krieges führte zur Entwicklung <strong>des</strong> Konzepts<br />
<strong>der</strong> „franziskanischen <strong>Friedens</strong>mission“,<br />
das Brü<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n einschließen<br />
könnte, die internationale Hilfe o<strong>der</strong> Aufmerksamkeit<br />
während eines örtlichen zivilen Konflikts<br />
benötigten. Der Rat rief zur Abfassung<br />
eines GFBS-Handbuches auf <strong>und</strong> gab unserer<br />
Arbeit im Bereich Ökologie einen deutlicheren<br />
Akzent durch die Bezeichnung als Umweltgerechtigkeit.<br />
Der Rat gab auch seine Unterstützung<br />
dazu, Ausbildungsmöglichkeiten<br />
für Brü<strong>der</strong> in internationalen Erfahrungen zu<br />
för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> fortzusetzen.<br />
■ 1997 Rom, Italien. Der ICJPIC gab 11 Empfehlungen<br />
an das Generaldefinitorium. Viele<br />
davon sprachen sich für Fortsetzung <strong>und</strong><br />
Stärkung von Projekten aus, die auf früheren<br />
ICJPIC-Treffen vorgeschlagen worden waren.<br />
Zum Beispiel, die Zustimmung zur franziskanischen<br />
<strong>Friedens</strong>mission in Kolumbien; die Fertigstellung<br />
<strong>des</strong> Handbuches <strong>und</strong> das Projekt<br />
„Jubiläum 2000“.<br />
Statuten <strong>des</strong> Internationales Rates<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung (ICJPIC)<br />
Art. 1:<br />
Der Internationale Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />
(ICJPIC) ist ein beraten<strong>des</strong> Organ, eingesetzt<br />
durch das Generaldefinitorium, um den Direktor<br />
<strong>des</strong> GFBS-Büros, das Generaldefinitorium <strong>und</strong> die<br />
Konferenzen in diesem bedeutsamen Einsatz für<br />
Ausbildung, Bewusstseinsbildung, Animation <strong>und</strong><br />
Engagement <strong>des</strong> Ordens in den Bereichen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu<br />
unterstützen.<br />
Art. 2:<br />
§ 1 Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> ICJPIC sind die Koordinatoren<br />
(Delegierte) <strong>der</strong> Konferenzen, einer für jede Konferenz,<br />
gewählt von den Konferenzen entsprechend<br />
ihren Partikularstatuten <strong>und</strong> den Normen <strong>des</strong><br />
ICJPIC; Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees <strong>und</strong><br />
an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong>, die durch den Generalminister<br />
ernannt werden.<br />
§ 2 GFBS-Koordinatoren sind als Delegierte <strong>des</strong><br />
ICJPIC wählbar, wenn sie an Aktivitäten <strong>der</strong> Förde-
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
rung von GFBS in den Konferenzen arbeiten, o<strong>der</strong><br />
Fachkenntnisse auf diesem Gebiet besitzen.<br />
Art. 3: Die Aufgaben <strong>des</strong> ICJPIC sind:<br />
§ 1 Kenntnis <strong>und</strong> Anwendung <strong>der</strong> Dokumente <strong>der</strong><br />
Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> Ordens in Bezug auf GFBS zu för<strong>der</strong>n;<br />
§ 2 Zusammenarbeit mit dem Sekretariat für Ausbildung<br />
<strong>und</strong> Studien, dem Sekretariat für missionarische<br />
Evangelisierung <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en Organen<br />
<strong>der</strong> Generalkurie im Hinblick auf GFBS <strong>und</strong> franziskanische<br />
Spiritualität in <strong>der</strong> Anfangsausbildung<br />
<strong>und</strong> ständigen Fortbildung.<br />
§ 3 Aspekte von GFBS in <strong>der</strong> Tradition <strong>des</strong> franziskanischen<br />
Charismas zu analysieren <strong>und</strong> ihre<br />
Anwendung in <strong>der</strong> heutigen Welt;<br />
§ 4 Dokumentation <strong>und</strong> Information betreffs GFBS<br />
zu sammeln <strong>und</strong> weiterzugeben, beson<strong>der</strong>s in Hinsicht<br />
auf die Aktivitäten <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>;<br />
§ 5 Anregungen, Vorschläge <strong>und</strong> Projekte zur Anregung<br />
<strong>des</strong> Ordens in den Bereich GFBS dem Generalminister<br />
<strong>und</strong> seinem Definitorium zu unterbreiten;<br />
§ 6 Anregungen, Vorschläge <strong>und</strong> Projekte den Konferenzen<br />
<strong>und</strong> Provinzen zu unterbreiten;<br />
§ 7 Aktivitäten <strong>der</strong> Koordinatoren zu unterstützen<br />
<strong>und</strong> zu ermutigen;<br />
§ 8 Zu reflektieren über Reichweite <strong>und</strong> Priorität,<br />
die aus <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> ICJPIC-Versammlung entstehen,<br />
<strong>und</strong> angemessene Bewertungen zu erstellen für<br />
die Anwendbarkeit auf das Leben <strong>und</strong> die Tätigkeit<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>;<br />
§ 9 Verän<strong>der</strong>ungen für die Partikularstatuten <strong>des</strong><br />
ICJPIC zur Bestätigung durch das Generaldefinitorium<br />
vorzuschlagen;<br />
§ 10 Die Liste <strong>der</strong> Kandidaten für die Mitgliedschaft<br />
im Exekutiv-Komitee zu unterbreiten.<br />
Art. 4:<br />
§ 1 Der Direktor <strong>des</strong> Büros beruft die Versammlung<br />
<strong>des</strong> ICJPIC einmal in zwei Jahren ein; außerordentliche<br />
Treffen können mit <strong>der</strong> vorausgehenden<br />
Zustimmung <strong>des</strong> Generaldefinitoriums einberufen<br />
werden.<br />
§ 2 Die Versammlung folgt <strong>der</strong> Tagesordnung <strong>und</strong><br />
dem Arbeitsprogramm, das dieselbe Versammlung<br />
zu Beginn angenommen hat <strong>und</strong> das vom Exekutiv-<br />
Komitee vorgeschlagen worden war.<br />
Art. 5:<br />
§ 1 Der Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros schlägt nach<br />
Beratung im ICJPIC dem Generalminister <strong>und</strong><br />
Empfangt den Heiligen Geist.<br />
Wem ihr die Schuld vergebt, dem ist sie vergeben.<br />
seinem Definitorium das Exekutiv-Komitee zur<br />
Bestätigung vor. Besagtes Komitee setzt sich zusammen<br />
aus: dem Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros, dem stellvertretenden<br />
Direktor <strong>und</strong> zumin<strong>des</strong>t vier weiteren<br />
Personen.<br />
§ 2 Das Exekutiv-Komitee muss dem ICJPIC über<br />
seine Arbeit berichten.<br />
§ 3 Das Exekutiv-Komitee bleibt für vier Jahre im<br />
Amt; die Hälfte <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> wird nach jeweils<br />
zwei Jahren ernannt.<br />
§ 4 Das Exekutiv-Komitee trifft sich min<strong>des</strong>tens<br />
zweimal pro Jahr.<br />
Art. 6: Die Aufgaben <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees sind:<br />
§ 1 Den Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros in <strong>der</strong> Ausführung<br />
<strong>der</strong> Projekte <strong>und</strong> Vorschläge zu unterstützen,<br />
die von <strong>der</strong> Versammlung <strong>des</strong> ICJPIC gemacht<br />
<strong>und</strong> durch das Generaldefinitorium gebilligt wurden;<br />
§ 2 Tagesordnung <strong>und</strong> Programm <strong>der</strong> ICJPIC-<br />
Versammlung vorzubereiten, die vom Generaldefinitorium<br />
gebilligt werden müssen;<br />
§ 3 Neue Projekte <strong>und</strong> Initiativen auf dem Gebiet<br />
GFBS vorzuschlagen <strong>und</strong> zu ermutigen;<br />
159
■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />
§ 4 Gemeinsam mit dem Direktor <strong>des</strong> Büros GFBS<br />
einen jährlichen Bericht über die GFBS-Aktivitäten<br />
im Orden zu erstellen, <strong>der</strong> allen Provinzen zugänglich<br />
gemacht wird.<br />
c) Exekutiv-Komitee <strong>des</strong><br />
Internationalen Rates für GFBS<br />
„Der Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros schlägt nach Beratung<br />
im ICJPIC das Exekutiv-Komitee dem Generalminister<br />
<strong>und</strong> seinem Definitorium zur Bestätigung<br />
vor. Besagtes Komitee setzt sich zusammen<br />
aus: dem Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros, dem stellvertretenden<br />
Direktor <strong>und</strong> zumin<strong>des</strong>t vier weiteren<br />
Personen.“ (Artikel 5,1 <strong>der</strong> Statuten ICJPIC).<br />
160<br />
Die wichtigsten Aufgaben <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees<br />
sind folgende: Den Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros in <strong>der</strong><br />
Ausführung <strong>der</strong> Projekte <strong>und</strong> Vorschläge zu unterstützen,<br />
die von <strong>der</strong> Versammlung <strong>des</strong> ICJPIC<br />
gemacht <strong>und</strong> durch das Generaldefinitorium gebilligt<br />
wurden; Tagesordnung <strong>und</strong> Programm für die<br />
ICJPIC-Versammlung vorzubereiten, die <strong>der</strong><br />
Zustimmung <strong>des</strong> Generaldefinitoriums bedürfen;<br />
neue Projekte <strong>und</strong> Initiativen auf dem Gebiet GFBS<br />
vorzuschlagen <strong>und</strong> zu ermutigen (Artikel 6 <strong>der</strong> Statuten<br />
<strong>des</strong> ICJPIC).<br />
GFBS-Büro, Rom
■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />
Interfranziskanische<br />
Zusammenarbeit<br />
für GFBS<br />
1. Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />
<strong>der</strong> interfranziskanischen<br />
Zusammenarbeit<br />
Die Konstitutionen aller drei franziskanischen<br />
Orden widmen ein Kapitel den Beziehungen<br />
innerhalb <strong>der</strong> gesamten franziskanischen Familie.<br />
Unsere Generalkonstitutionen widmen Titel II<br />
von Kapitel III diesem Thema.<br />
Artikel 55,2: „Die volle Entfaltung dieses franziskanischen<br />
Charismas sollen die Brü<strong>der</strong> bei allen vom<br />
Geist <strong>des</strong> heiligen Franziskus Durchdrungenen nach<br />
Kräften zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> zu steigern suchen <strong>und</strong> bei<br />
Zusammenkünften die Gelegenheit zu gemeinsamen<br />
Vorhaben wahrnehmen.“<br />
Es ist deutlich zu sehen, dass es seit dem Zweiten<br />
Vatikanischen Konzil eine Bewegung gegeben hat,<br />
einan<strong>der</strong> zu begegnen, sich gegenseitig kennenzulernen<br />
<strong>und</strong> sich im Gefolge davon wertzuschätzen,<br />
<strong>und</strong> dass eine Zusammenarbeit zwischen <strong>der</strong> großen<br />
Zahl franziskanischer Zweige begonnen hat: <strong>des</strong><br />
ersten Ordens, <strong>der</strong> armen Klarissen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er<br />
kontemplativer Frauengemeinschaften, <strong>der</strong> Franziskanischen<br />
Gemeinschaft (FG) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielzahl von<br />
Gruppen <strong>des</strong> TOR.<br />
Das Familiengefühl ist die Frucht einer neuen kulturellen<br />
<strong>und</strong> kirchlichen Sensibilität, die universaler<br />
<strong>und</strong> ökumenischer ist, <strong>und</strong> eines tieferen Durchdringens<br />
<strong>der</strong> Schriften <strong>des</strong> hl. Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> hl.<br />
Klara. Die jüngsten Regel <strong>des</strong> regulierten Dritten<br />
Ordens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Franziskanischen Gemeinschaft,<br />
wie auch die Konstitutionen <strong>des</strong> ersten <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
zweiten Ordens, welche die beständigen Werte <strong>der</strong><br />
Regel <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Klara auf die heutige<br />
Situation anwenden, haben die gr<strong>und</strong>legenden<br />
Werte franziskanischen Lebens erfolgreich dargestellt.<br />
Die gr<strong>und</strong>legenden franziskanischen Werte,<br />
die wir alle teilen, erlauben es uns, eine einzige<br />
Berufung <strong>und</strong> ein einziges Charisma zu besitzen<br />
<strong>und</strong> uns als eine Familie zu fühlen.<br />
Diese Bewegung <strong>der</strong> Gemeinschaft, die auf niedrigeren<br />
Ebenen anzutreffen ist, verbreitet unter uns<br />
das Gefühl von Familie. Sie findet sich in gleicher<br />
Weise auf den höchsten Verantwortungsebenen zwischen<br />
den verschiedenen franziskanischen Gruppen,<br />
die aus verschiedenen Anlässen gemeinsame Dokumente<br />
veröffentlicht <strong>und</strong> 1996 offiziell die Konferenz<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Familie gegründet haben<br />
(CFF; bestehend aus OFS, <strong>OFM</strong>, Konventualen<br />
[<strong>OFM</strong> Conv], Kapuzinern [<strong>OFM</strong> Cap]; CFI-TOR<br />
<strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> TOR).<br />
Diese Bewegung <strong>der</strong> Gemeinschaft, obgleich noch<br />
ziemlich begrenzt, wird Wirklichkeit durch Zusammenarbeit<br />
in <strong>der</strong> Anfangsausbildung <strong>und</strong> <strong>der</strong> ständigen<br />
Fortbildung, in <strong>der</strong> historisch-spirituellen<br />
Forschung, in <strong>der</strong> pastoralen Tätigkeit, in missionarischer<br />
Aktivität <strong>und</strong> im Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />
2. Interfranziskanische<br />
Zusammenarbeit für GFBS<br />
a) Interfranziskanische Kommissionen<br />
für GFBS<br />
Die wachsende interfranziskanische Zusammenarbeit,<br />
obgleich noch sehr begrenzt, wird vielleicht in<br />
intensivster Weise auf dem Gebiet <strong>des</strong> Einsatzes für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Verteidigung <strong>der</strong> Natur<br />
erbracht. Dies liegt an einer Vielfalt von Faktoren:<br />
■ Wir verstehen diese Werte als zentral für<br />
unser Charisma<br />
■ Sie sind Teil <strong>der</strong> Zeichen <strong>der</strong> Zeit<br />
■ Sie bieten konkrete Möglichkeiten <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
an<br />
■ Die für diese Werte wirklich sensiblen Brü<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> Schwestern sind normalerweise weniger<br />
161
■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />
Apostelgeschichte 10, 35<br />
an ihre eigenen Ideen geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> offener<br />
für die Zusammenarbeit mit allen, beson<strong>der</strong>s<br />
mit denen, die gemäß den gleichen Richtlinien<br />
arbeiten.<br />
■ Es ist auch möglich, dass die Franziskaner, die<br />
sich in diesen Bereichen engagieren <strong>und</strong> noch<br />
eine Min<strong>der</strong>heit in dem je eigenen Zweig sind,<br />
das Bedürfnis verspüren, zusammenzugehen,<br />
um eine größere Kraft, Fähigkeit <strong>und</strong> auch<br />
größeren Einfluss zu haben, innerhalb unserer<br />
Familie <strong>und</strong> innerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft. Die<br />
interfranziskanische Arbeit in diesen Bereichen<br />
geht in <strong>der</strong> Tat schon über einige Jahre. In einigen<br />
Län<strong>der</strong>n ist die franziskanische Bewegung<br />
für GFBS „interfranziskanisch“ entstanden.<br />
Auch wenn diese interfranziskanische Arbeit sehr<br />
positiv gewesen ist, beson<strong>der</strong>s was unsere Präsenz in<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft betrifft, dürfen wir die Notwendigkeit<br />
nicht aus den Augen verlieren, eine Animation<br />
für unsere Brü<strong>der</strong> in jedem Zweig auf <strong>der</strong> Basis dieser<br />
Werte einer Option für die Armen, <strong>der</strong> Arbeit<br />
für Frieden <strong>und</strong> für den Schutz <strong>der</strong> Umwelt voranzubringen.<br />
An einigen Orten ist es geschehen, dass<br />
162<br />
die interfranziskanische Arbeit von Min<strong>der</strong>heitengruppen<br />
die Notwendigkeit <strong>der</strong> Animation in den<br />
je eigenen Zweigen <strong>und</strong> Provinzen vergessen hat.<br />
b) Die interfranziskanische Kommission<br />
für GFBS in Rom<br />
Seit 1981 besteht die interfranziskanische Kommission<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden (CIFJP) in Rom.<br />
Sie setzt sich zusammen aus den sechs Delegierten<br />
<strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> franziskanischen Familie (CFF),<br />
das sind: die Franziskanische Gemeinschaft (OFS),<br />
die Brü<strong>der</strong> von <strong>OFM</strong>, Konventualen (<strong>OFM</strong> Conv)<br />
<strong>und</strong> Kapuzinern (<strong>OFM</strong> Cap), die internationale<br />
franziskanische Konferenz <strong>des</strong> regulierten Dritten<br />
Ordens (CFI-TOR) <strong>und</strong> die Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> TOR. Diese<br />
Kommission trifft sich gewöhnlich dreimal im Jahr.<br />
Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kommission suchen zu erforschen,<br />
wie sie die von je<strong>der</strong> Gruppe geleistete Arbeit<br />
unterstützen können. Sie antworten auch auf die<br />
Fragen <strong>und</strong> Appelle, die Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern aus<br />
<strong>der</strong> gesamten Welt ihnen zusenden. Während <strong>der</strong><br />
vergangenen fünf Jahre schrieb die Kommission eine<br />
gemeinsame Erklärung „Die Kennzeichen franziskanischer<br />
Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie“.<br />
1995 verfassten sie einen Vorschlag für die<br />
Umstrukturierung von Franciscans International<br />
(FI), ein Vorschlag, <strong>der</strong> <strong>der</strong> CFF <strong>und</strong> dem internationalen<br />
Exekutiv-Komitee von FI vorgelegt wurde.<br />
3. Franciscans International<br />
Franciscans International ist bis heute das einzige<br />
gemeinsame internationale Projekt <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie für Evangelisierung. Es wurde als<br />
interfranziskanisches Projekt 1983 in den USA<br />
begonnen. Die Mitgliedschaft war individuell <strong>und</strong><br />
freiwillig, <strong>und</strong> es wurde ein kleiner jährlicher<br />
Beitrag erhoben. Ein Büro mit Personal wurde in<br />
New York errichtet. Am 3. Februar 1989 wurde<br />
Franciscans International als Nichtregierungsorganisation<br />
(NGO) bei <strong>der</strong> Abteilung für öffentliche<br />
Information (DPI) <strong>der</strong> UNO registriert. In einer<br />
Gr<strong>und</strong>satzerklärung drückte es seine Absicht aus,<br />
in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> UNO <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Nichtregierungsorganisationen zugunsten<br />
<strong>der</strong> Armen, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung zu arbeiten.
■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />
In den frühen 90er Jahren wurde ein internationales<br />
Exekutiv-Komitee gebildet. Es bewarb sich um<br />
einen beratenden Status beim Ecosoc (dem Wirtschafts-<br />
<strong>und</strong> Sozialrat) <strong>der</strong> UNO, <strong>der</strong> Franciscans<br />
International am 4. August 1994 zugestanden wurde.<br />
Dies gestattet uns mit aktiver <strong>und</strong> direkter Stimme,<br />
Fragen für die Tagesordnung vorzuschlagen,<br />
Informationen zu Fragen <strong>des</strong> internationalen Lebens<br />
zu übermitteln, unsere Sorgen <strong>und</strong> Lösungen<br />
zu dringenden sozialen Problemen zu unterbreiten.<br />
Während dieser Jahre wurde Franciscans International<br />
in vielen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> verschiedenen Kontinente<br />
durch persönliche Mitgliedschaft organisiert. FI<br />
nahm an den großen Versammlungen <strong>der</strong> UNO<br />
teil: dem Gipfel zu Umwelt <strong>und</strong> Entwicklung<br />
(1992) in Rio de Janeiro; <strong>der</strong> Weltkonferenz über<br />
Menschenrechte (1993) in Wien; <strong>der</strong> Weltkonferenz<br />
über Bevölkerung <strong>und</strong> Entwicklung (1994) in<br />
Kairo; dem Weltgipfel über soziale Entwicklung<br />
(1995) in Kopenhagen; <strong>der</strong> vierten Weltfrauenkonferenz<br />
(1995) in Peking; <strong>der</strong> zweiten Konferenz<br />
<strong>der</strong> UNO über menschliche Siedlungen (1996)<br />
in Istanbul; dem Weltgipfel über Ernährung (1996)<br />
in Rom.<br />
1995 unterbreitete die CIFJP dem Internationalen<br />
Exekutiv-Komitee einen Vorschlag, <strong>der</strong> die Unterstützung<br />
<strong>der</strong> Generalminister <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorsitzenden<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Familie erhielt. Die zentralen<br />
Punkte <strong>des</strong> Vorschlags waren:<br />
1) Da Franciscans International im Namen <strong>der</strong><br />
Franziskaner weltweit spricht, sollte es in irgendeiner<br />
Weise gegenüber den gewählten Oberen <strong>der</strong><br />
franziskanischen Familie rechenschaftspflichtig sein.<br />
2) Es ist notwendig, das Modell <strong>der</strong> individuellen<br />
Mitgliedschaft zu überdenken, weil viele Franziskaner<br />
die Notwendigkeit nicht einsehen, Teil einer<br />
Organisation zu werden, die in ihrem Namen<br />
spricht <strong>und</strong> <strong>der</strong> sie als Mitglie<strong>der</strong> angehören.<br />
3) Durch die Erteilung <strong>des</strong> UNO-Status an FI<br />
erklärt die internationale Gemeinschaft den Franziskanern,<br />
dass sie Aktionen von unserer Seite erwartet.<br />
Wir müssen größere <strong>und</strong> konzentriertere<br />
Anstrengungen unternehmen, mit <strong>der</strong> UNO <strong>und</strong><br />
ihren verschiedenen Organen zusammenzuarbeiten<br />
(UNESCO, Hochkommission <strong>der</strong> UNO für<br />
Flüchtlinge – UNHCR, Kommission <strong>der</strong> UNO für<br />
Menschenrechte, FAO). Diese Anstrengung erfor<strong>der</strong>t<br />
den Einsatz <strong>und</strong> die aktive Teilnahme <strong>der</strong><br />
gesamten franziskanischen Familie.<br />
Nach ihrer Gründung übernahm die Konferenz <strong>der</strong><br />
franziskanischen Familie (CFF) im Oktober 1996<br />
die Verantwortung für Franciscans International<br />
<strong>und</strong> setzte eine Arbeitsgruppe ein, die neue Statuten<br />
<strong>und</strong> einen zukünftigen Plan für FI diskutieren <strong>und</strong><br />
vorschlagen sollte. Die Diskussion zwischen Franciscans<br />
International <strong>und</strong> <strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie, unterstützt durch die Arbeitsgruppe,<br />
wird die zukünftige Richtung von FI<br />
festlegen <strong>und</strong> bestimmen, wem sie innerhalb <strong>des</strong><br />
Rahmens <strong>der</strong> franziskanischen Familie <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
UNO Rechenschaft ablegen sollen.<br />
4. Mit den Dominikanern in Genf<br />
Für einige Jahre bemühte sich Franciscans International<br />
um Präsenz in Genf, wo viele politische Entscheidungen<br />
zu den Themen Menschenrechte,<br />
Gewerkschaften <strong>und</strong> Flüchtlinge diskutiert <strong>und</strong><br />
gefällt werden. Die Diskussion über die Möglichkeit,<br />
ein Büro einzurichten, intensivierte sich in den<br />
zurückliegenden fünf Jahren, als das internationale<br />
Exekutiv-Komitee von FI das europäische Exekutiv-<br />
Komitee anfragte, eine praktische Möglichkeit für<br />
eine Nie<strong>der</strong>lassung von FI in Genf zu prüfen. 1996<br />
wurde dieses Thema vom europäischen Exekutiv-<br />
Komitee diskutiert <strong>und</strong> angenommen. Zur gleichen<br />
Zeit fragten Timothy Radcliffe OP, <strong>der</strong> Ordensmeister<br />
<strong>des</strong> Dominikanerordens, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Koordinator<br />
<strong>der</strong> Dominikaner für GFBS nach <strong>der</strong> Verfügbarkeit<br />
von <strong>OFM</strong>-Brü<strong>der</strong>n, um mit ihnen zusammen<br />
in einem gemeinsamen Büro für die Menschenrechte<br />
in Genf zu arbeiten. Unsere Antwort drückte ein<br />
großes Interesse an dieser Frage aus <strong>und</strong> unseren<br />
Wunsch, innerhalb <strong>des</strong> Umfel<strong>des</strong> von Franciscans<br />
International zu arbeiten. Im Februar 1997 stimmte<br />
das europäische Exekutiv-Komitee von FI dem Vorschlag<br />
einer Zusammenarbeit zwischen FI <strong>und</strong> den<br />
Dominikanern in einem neuen Büro in Genf zu.<br />
Wir arbeiteten auf dem Treffen <strong>der</strong> Menschenrechtskommission<br />
(März-April 1997) zusammen,<br />
an dem vier Brü<strong>der</strong> <strong>OFM</strong> aus verschiedenen Teilen<br />
<strong>der</strong> Welt teilnahmen <strong>und</strong> zu den Themen Heiliges<br />
Land, Kolumbien usw. Stellungnahmen abgaben.<br />
Wenig später, im Mai 1997, begann eine junge, in<br />
diesem Bereich ausgebildete Frau als Exekutiv-<br />
Direktorin für uns zu arbeiten. Die Arbeit für<br />
163
■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />
Menschenrechte in Genf hat sich als sehr fruchtbar<br />
erwiesen <strong>und</strong> kontinuierlich fortentwickelt.<br />
5. Abschließende Beurteilung<br />
Die Erfahrungen <strong>der</strong> letzten sechs Jahre zeigen, dass<br />
Vorteile <strong>und</strong> Schwierigkeiten, die die Zusammenarbeit<br />
in <strong>der</strong> franziskanischen Familie begleiten,<br />
zahlreich sind. Die CIFJP hat mit relativem Erfolg<br />
versucht, in einer Reihe von Projekten zusammenzuarbeiten.<br />
Der Weg ist niemals einfach, son<strong>der</strong>n<br />
kompliziert durch die Tatsache, dass wir 700 Jahre<br />
lang durch unsere wechselseitigen Unterschiede<br />
identifiziert wurden. Es ist relativ einfach, in einem<br />
einzelnen Projekt zusammenzuarbeiten, wie die<br />
164<br />
800-Jahrfeiern von Franziskus <strong>und</strong> Klara. Doch<br />
es stellt eine große Herausfor<strong>der</strong>ung dar, in Dauerprojekten<br />
zusammenzuarbeiten, die personelle<br />
<strong>und</strong> finanzielle Mittel voraussetzen, wie in einem<br />
gemeinsamen Studienhaus, einem Programm internationaler<br />
Ausbildung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Anstrengung missionarischer Evangelisierung.<br />
Franciscans International ist ein Beispiel dafür, wie<br />
vorteilhaft <strong>und</strong> wie schwierig zugleich eine gemeinsame<br />
Arbeit sein kann. Die säkulare Gesellschaft<br />
versteht nicht die Trennungen zwischen den Franziskanern<br />
<strong>und</strong> sie hofft, dass die „Franziskaner“<br />
mühelos zu Projekten <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, in <strong>der</strong> Identifizierung<br />
mit den Armen <strong>und</strong> in ihrer Sorge für die<br />
Schöpfung ihren gemeinsamen Beitrag leisten.<br />
GFBS-Büro, Rom
■ Soziale Analyse<br />
Soziale Analyse<br />
(AUS DEM HANDBUCH FÜR PROMOTOREN<br />
VON GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN,<br />
JPIC-BÜRO DER VEREINIGUNG DER HÖHEREN<br />
ORDENSOBEREN, ROM 1997)<br />
Einführung<br />
Sich um die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt zu bemühen, ist<br />
we<strong>der</strong> eine Aufgabe für naive Träumer noch eine für<br />
heißblütige Enthusiasten. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt<br />
bedeutet, dass wir etwas von <strong>der</strong> Welt kennen <strong>und</strong><br />
von dem, was <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung bedarf. Jede Einbindung<br />
in ein Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> muss die<br />
bestimmten Systemen innewohnende Ungerechtigkeit<br />
erkennen, die für den Großteil <strong>des</strong> Hungers in<br />
<strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> Heimatlosigkeit, <strong>der</strong> Gewalt <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Umweltzerstörung verantwortlich ist. Ein bedeutsamer<br />
Teil eines jeden Ausbildungsprogramms für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
sollte sich mit den Systemen o<strong>der</strong> Strukturen<br />
<strong>der</strong> Ungerechtigkeit beschäftigen <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Frage,<br />
wie <strong>und</strong> warum sie funktionieren. Es bedarf einer<br />
METHODE o<strong>der</strong> eines Vorgehens, um soziale Systeme<br />
<strong>und</strong> die Symptome ihres schlechten Funktionierens<br />
zu überprüfen, die zu Ungerechtigkeit führen.<br />
Es gibt eine Reihe nützlicher Handbücher sozialer /<br />
struktureller Analyse; das vielleicht umfassendste ist<br />
SOCIAL ANALYSIS: LINKING FAITH AND JUSTICE von<br />
Holland <strong>und</strong> Henriot.<br />
Es ist notwendig, dass GFBS-Promotoren die Probleme<br />
<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> sehr sorgfältig studieren,<br />
bevor sie zum Handeln schreiten, um diese Probleme<br />
zu lösen. Diese sorgfältige Vorbereitung ist notwendig,<br />
wenn sie die Probleme verstehen wollen,<br />
mit denen sie sich befassen. Gefor<strong>der</strong>t ist eine<br />
Methode <strong>der</strong> Prüfung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Probleme<br />
von <strong>Gerechtigkeit</strong>, weil die Gefahr besteht, dass<br />
solche Probleme sich noch weiter verschlimmern,<br />
wenn für <strong>Gerechtigkeit</strong> Handelnde sich <strong>der</strong> Wurzeln<br />
dieser Probleme nicht voll bewusst sind.<br />
Soziale Analyse ist ein verbreitetes <strong>und</strong> wirksames<br />
Werkzeug, das uns befähigt, die Strukturen <strong>der</strong><br />
Gesellschaft zu überprüfen: poltisch, wirtschaftlich,<br />
kulturell, sozial, religiös, <strong>und</strong> die tieferen Gründe<br />
sozialer Ungerechtigkeit aufzudecken. Es hilft uns,<br />
von dem, was Donal Dorr Mitgefühl aus direkter<br />
Betroffenheit nennt, weiter nach dem Wie <strong>und</strong><br />
Warum zu fragen: Wie sind diese Menschen arm<br />
geworden? Warum wächst die Arbeitslosigkeit?<br />
Soziale Analyse identifiziert jene, die die Macht<br />
besitzen, jene, die Entscheidungen treffen, jene,<br />
die in <strong>der</strong> Gesellschaft von diesen Entscheidungen<br />
profitieren <strong>und</strong> welche nicht. Sie befähigt uns, die<br />
Verbindungen <strong>und</strong> Einflüsse zu sehen, die in jedem<br />
sozialen System wirken. Diese Methode wurde<br />
durch christliche Gruppen weiter entwickelt, die<br />
sowohl christliche theologische Reflexion wie soziale<br />
Analyse anwenden, um einen Plan <strong>des</strong> Handelns<br />
zur För<strong>der</strong>ung von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu entwickeln.<br />
Soziale Analyse ist ein Aufruf, um „unsere Augen,<br />
unsere Ohren <strong>und</strong> unseren M<strong>und</strong> zu öffnen“. Markus<br />
überliefert drei W<strong>und</strong>er, die symbolisch für die<br />
Einladung Jesu stehen, unsere Ohren, unsere Augen<br />
<strong>und</strong> unseren M<strong>und</strong> zu öffnen auf unserer Suche, das<br />
Was <strong>und</strong> Wie <strong>der</strong> Sendung zu verstehen. Er tadelt<br />
seine Jünger: „Begreift <strong>und</strong> versteht ihr immer noch<br />
nicht? Ist denn euer Herz verstockt? Habt ihr denn<br />
keine Augen, um zu sehen, <strong>und</strong> keine Ohren, um zu<br />
hören? Erinnert ihr euch nicht: …“ (Mk 8,17-18).<br />
An die Heilung eines Taubstummen (Mk 7,31-37).<br />
An die Heilung eines Blinden (Mk 8,22-26; 10,<br />
46-52).<br />
An die Heilung eines Stummen (Mk 9,17-27).<br />
Soziale Analyse lädt uns ein, die Schreie <strong>der</strong> Welt, in<br />
<strong>der</strong> wir leben, zu HÖREN, zu SEHEN, ZUzuHÖREN.<br />
Die Methode<br />
Die Methode sozialer Analyse ist in <strong>der</strong> Anwendung<br />
nicht schwierig. Sie umfasst die gr<strong>und</strong>legende<br />
Methode SEHEN, URTEILEN, HANDELN <strong>der</strong> christlichen<br />
Arbeiterjugend (CAJ) <strong>und</strong> <strong>der</strong> jungen<br />
165
■ Soziale Analyse<br />
christlichen Studenten, die später von lateinamerikanischen<br />
Theologen in ihrer Arbeit mit Basisgemeinden<br />
aufgegriffen <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Theologie <strong>der</strong><br />
Befreiung reflektiert wurde.<br />
Es gibt vier Hauptschritte <strong>der</strong> sozialen Analyse.<br />
(Ein großer Teil <strong>der</strong> folgenden vier Schritte ist dem<br />
Buch WORKING FOR JUSTICE AND PEACE von Tony<br />
Byrne CSSp, Mission-Press, Zambia 1988, 57-63,<br />
entnommen)<br />
(Bevor man mit dem aktuellen Prozess sozialer Analyse<br />
beginnt, ist es hilfreich, über Werte zu diskutieren)<br />
Erster Schritt: Ausgangspunkt: die Mitglie<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Gruppe erstellen eine Liste <strong>der</strong> Probleme,<br />
die zu analysieren o<strong>der</strong> zu prüfen sind.<br />
■ Sehen, ob ein Zusammenhang o<strong>der</strong> eine Verbindung<br />
zwischen den Ungerechtigkeiten<br />
besteht.<br />
■ Entscheiden, welche die schwerwiegendsten<br />
sind <strong>und</strong> sie auflisten.<br />
■ Sehen, ob es einen gemeinsamen Namen gibt,<br />
<strong>der</strong> alle diese Ungerechtigkeiten beschreibt.<br />
■ Entscheiden, bei welchem speziellen Problem<br />
die Gruppe mit <strong>der</strong> Überprüfung nach dieser<br />
Methode beginnt. Es ist wichtig daran zu erinnern,<br />
dass es meist unmöglich ist, zwei Probleme<br />
gleichzeitig zu analysieren.<br />
Zweiter Schritt: Strukturelle Analyse<br />
■ Beschreibe das Problem im Detail.<br />
■ Wann entstand das Problem?<br />
■ Warum entstand es?<br />
■ Wann wurde uns bewusst, dass es sich um ein<br />
schwerwiegen<strong>des</strong> Problem handelt?<br />
■ Was machte uns darauf aufmerksam?<br />
STRUKTUREN IM ALLGEMEINEN<br />
■ Beginne mit einer Diskussion über die Strukturen<br />
o<strong>der</strong> Organisationen in <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />
■ Prüfe das vorliegende Problem in Verbindung<br />
zu den wirtschaftlichen, politischen, kulturellen,<br />
religiösen <strong>und</strong> den Klassen-Strukturen <strong>der</strong><br />
Gesellschaft.<br />
166<br />
WIRTSCHAFTLICHE STRUKTUREN<br />
■ Was ist die Ursache <strong>des</strong> Problems?<br />
■ Gibt es multinationale o<strong>der</strong> lokale Unternehmen,<br />
die wollen, dass dieses Problem weiterbesteht<br />
o<strong>der</strong> sich sogar verschlimmert, weil sie<br />
auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems finanzielle Gewinne<br />
machen?<br />
■ Gibt es Einzelpersonen o<strong>der</strong> Gruppen in dieser<br />
Gesellschaft, die dieses Problem erhalten o<strong>der</strong><br />
unterstützen wollen, weil sie finanziellen Nutzen<br />
daraus ziehen?<br />
POLITISCHE STRUKTUREN<br />
■ Wer gewinnt auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems an<br />
Macht?<br />
■ Gibt es einzelne Politiker o<strong>der</strong> politische Parteien,<br />
die dieses Problem nutzen, um Macht zu<br />
gewinnen o<strong>der</strong> sie zu erhalten?<br />
■ Wer sind die Menschen mit Autorität <strong>und</strong><br />
Macht, die dieses Problem entstehen ließen?<br />
■ Gibt es örtliche Führer, die an einem Fortbestand<br />
<strong>des</strong> Problems interessiert sind, damit sie<br />
Macht ausüben können?<br />
KLASSENSTRUKTUREN<br />
■ Trägt dieses Problem dazu bei, soziale Spaltung<br />
in <strong>der</strong> Gesellschaft zu schaffen, zu erhalten <strong>und</strong><br />
zu unterstützen?<br />
■ Gibt es bestimmte Menschen, die soziale<br />
Bedeutung o<strong>der</strong> Stellung auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems<br />
gewinnen? Wer sind sie?<br />
■ Gibt es bestimmte Einzelpersonen o<strong>der</strong> Gruppen<br />
von Menschen, die auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems<br />
soziale Bedeutung <strong>und</strong> Stellung verlieren?<br />
Wer sind sie?<br />
KULTURELLE STRUKTUREN<br />
■ Tragen unsere Kultur <strong>und</strong> unsere Überlieferungen<br />
dazu bei, dieses Problem zu schaffen, zu<br />
erhalten <strong>und</strong> zu unterstützen?<br />
■ Welche kulturellen Werte <strong>und</strong> Überlieferungen<br />
sind beteiligt, diese Problem noch zu verschärfen?<br />
■ Überprüfe das Problem im Hinblick auf Verhalten<br />
<strong>und</strong> Denkstrukturen.<br />
RELIGIÖSE STRUKTUREN<br />
■ Welche religiösen Strukturen o<strong>der</strong> kirchlichen<br />
Organisationen können an diesem Problem<br />
beteiligt sein?
■ Soziale Analyse<br />
■ Wie tragen diese religiösen Strukturen o<strong>der</strong><br />
kirchlichen Organisationen dazu bei, dieses<br />
Problem zu schaffen, zu unterstützen <strong>und</strong><br />
zu erhalten?<br />
■ Ziehen religiöse o<strong>der</strong> kirchliche Organisationen<br />
Nutzen aus diesem Problem?<br />
■ Benutzen sie das Problem, um ihre Bedeutung<br />
zu erhalten o<strong>der</strong> ihre Mitgliedschaft zu vergrößern?<br />
Denkstrukturen o<strong>der</strong> Verhalten.<br />
Ungerechtigkeit ist oft durch ungerechte Strukturen<br />
in <strong>der</strong> Gesellschaft verursacht. Selbst wenn diese<br />
Strukturen verän<strong>der</strong>t werden, bleibt das Problem<br />
<strong>der</strong> Ungerechtigkeit wegen <strong>des</strong> Verhaltens o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Denkstrukturen <strong>der</strong> Menschen noch bestehen.<br />
Dieses Verhalten, manchmal auch Denkstrukturen<br />
genannt, ist nur schwer zu än<strong>der</strong>n. Es bedarf einer<br />
Bekehrung, um Denkstrukturen o<strong>der</strong> Verhalten zu<br />
verän<strong>der</strong>n, die ungerechte Situationen schaffen.<br />
Diese Bekehrung erfor<strong>der</strong>t von den Menschen Verstand<br />
<strong>und</strong> Herzen, die „nach <strong>Gerechtigkeit</strong> hungern<br />
<strong>und</strong> dürsten“.<br />
Welche Haltungen unsererseits tragen dazu bei, dieses<br />
Problem zu schaffen, zu erhalten <strong>und</strong> zu stützen?<br />
Können wir einige Haltungen erkennen <strong>und</strong> benennen,<br />
die wir als Einzelne o<strong>der</strong> als Gemeinschaft<br />
haben, die dazu beitragen, dieses Problem zu einem<br />
schwerwiegendem zu machen?<br />
AM ENDE DES ZWEITEN SCHRITTES EMPFIEHLT ES<br />
SICH, SICH EINIGE AUGENBLICKE ZEIT ZU NEHMEN,<br />
UM DIE FOLGENDEN FRAGEN ZU BEANTWORTEN:<br />
■ Erhalten wir, als Ergebnis dieser Betrachtungen<br />
<strong>und</strong> Diskussionen, ein besseres Verständnis <strong>der</strong><br />
Ursachen <strong>des</strong> Problems?<br />
■ Was sind die bedeutsamsten Einsichten o<strong>der</strong><br />
neuen Ideen, die als Ergebnis dieser Analyse ans<br />
Licht traten?<br />
Dritter Schritt: Christliches Nachdenken<br />
über das Problem im Licht <strong>der</strong> hl. Schrift <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> Kirche.<br />
■ Herausfinden, ob die Bibel o<strong>der</strong> die Lehre <strong>der</strong><br />
Kirche helfen können, neues Licht auf das Problem<br />
zu werfen:<br />
■ Was sagt die Bibel über das Problem?<br />
■ Können wir Stellungnahmen <strong>der</strong> Kirche finden,<br />
die vom Papst, von einem Konzil o<strong>der</strong> einer<br />
Gruppe von Bischöfen gemacht wurden <strong>und</strong> die<br />
auf das Problem angewandt werden können?<br />
Vierter Schritt: Plan zum Handeln,<br />
Global denken, lokal handeln:<br />
PLAN ZUM HANDELN<br />
■ Was ist die Lösung dieses Problems?<br />
■ Was können wir, als Gruppe o<strong>der</strong> als Einzelpersonen,<br />
in Bezug auf dieses Problem tun?<br />
■ Über welche Mittel verfügen wir, um unseren<br />
Plan zum Handeln in die Praxis umzusetzen?<br />
■ Können wir mehr Mittel dafür bekommen?<br />
■ Gibt es einen Aspekt <strong>des</strong> Problems, an dem<br />
wir jetzt ansetzen können?<br />
■ Was ist <strong>der</strong> erste Schritt, den wir unternehmen<br />
sollten?<br />
● Die Verantwortlichkeiten sind unter allen<br />
Mitglie<strong>der</strong>n aufgeteilt.<br />
● Ein Zeitplan wird für jede Phase <strong>des</strong> Plans<br />
<strong>und</strong> für die Durchführung <strong>des</strong> gesamten Planes<br />
aufgestellt.<br />
● Finanzielle <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Mittel werden bedacht,<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Nutzung sorgfältig ausgearbeitet.<br />
AUSWERTEN<br />
■ Welche Ziele haben wir uns vorgenommen?<br />
■ Was haben wir getan, um sie zu erreichen?<br />
■ Was hat uns geholfen, Fortschritte zu machen?<br />
■ Was hat den Fortschritt behin<strong>der</strong>t?<br />
■ Was sollten wir jetzt tun? Ziele än<strong>der</strong>n? Methoden<br />
än<strong>der</strong>n? Unsere Mittel auffrischen?<br />
N.B. Auswertungen müssen in den verschiedenen<br />
Phasen <strong>der</strong> Durchführung <strong>des</strong> Planes gemacht werden;<br />
Feiern – liturgische Feiern eingeschlossen –<br />
müssen in den gesamten Prozess <strong>der</strong> sozialen Analyse<br />
einbezogen werden.<br />
167
■ Soziale Analyse<br />
Eine an<strong>der</strong>e Weise, diese Methode<br />
anzuwenden, ist:<br />
SEHEN<br />
Was sehen wir in unserer Umgebung?<br />
Warum sind die Dinge so, wie sie sind?<br />
URTEILEN<br />
Welches Vorurteil bringen wir bei <strong>der</strong> Beurteilung<br />
einer Situation ein? Durch welche Brille sehen wir?<br />
Welches könnte unser unbewusstes Gespür sein<br />
in Bezug auf das Thema? Welche Kenntnis <strong>und</strong><br />
Lebenserfahrung bringen wir in die Analyse <strong>des</strong><br />
Themas mit ein? Auf wessen Kenntnis nehmen<br />
wir Bezug – die <strong>der</strong> Reichen o<strong>der</strong> die <strong>der</strong> Armen?<br />
Haben wir tatsächlich eine Option für die Armen<br />
bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Situation getroffen? Hören<br />
wir in unserer Wahrnehmung <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
mehr auf die Elite als auf die Erfahrung <strong>der</strong> Armen?<br />
Wo ist die Weisheit <strong>des</strong> Evangeliums? Für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
zu arbeiten, erfor<strong>der</strong>t eine tief in <strong>der</strong> hl.<br />
Schrift verwurzelte Spiritualität; sonst wird unsere<br />
Arbeit erdrückend <strong>und</strong> unmöglich. Als Evangelisierende<br />
wie als soziale Verän<strong>der</strong>er beten wir, denken<br />
über Gottes Plan nach <strong>und</strong> suchen so das Reich<br />
Gottes zu bringen. Wir beurteilen die Situation im<br />
Lichte <strong>des</strong> Planes Gottes.<br />
HANDELN<br />
Nachdem wir uns bewusst gemacht haben, was in<br />
<strong>der</strong> Welt um uns herum vorgeht, <strong>und</strong> die Situation<br />
aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>des</strong> Evangeliums beurteilt<br />
haben, ist es notwendig zu handeln. Zusammenarbeit<br />
mit an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> Gesellschaft (NGOs, an<strong>der</strong>e<br />
religiöse Bekenntnisse, örtliche Gruppen) <strong>und</strong>, wo<br />
möglich, in einem internationalen Netzwerk ist<br />
äußerst bedeutsam <strong>und</strong> verleiht wahrscheinlich eine<br />
größere Wirksamkeit.<br />
168<br />
Ein praktischer Versuch /<br />
Herangehensweise<br />
Aktives Engagement zusammen mit armen <strong>und</strong><br />
ausgegrenzten Menschen, Einbindung in ständige<br />
soziale Analyse, beständiges Nachdenken über<br />
unser Verhalten <strong>und</strong> Handeln wird uns helfen,<br />
ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln, das<br />
notwendig ist, um zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt beizutragen.<br />
Ich<br />
bin eine schwarze Frau<br />
hochgewachsen wie eine Zypresse<br />
stark<br />
über jede Vorstellung ruhig<br />
trotzend dem Ort<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />
<strong>und</strong> den Umständen<br />
angegriffen<br />
unempfindlich<br />
unzerstörbar<br />
Schau<br />
auf mich <strong>und</strong> sei<br />
neu.<br />
Mari Evans<br />
(„I AM A BLACK WOMEN“, IN: MARGARET BUSBY, ED.,<br />
DAUGHTERS OF AFRICA, NEW YORK 1992, S. 300)<br />
„Sie schnappten mich auf <strong>der</strong> Straße. Ich versuchte<br />
mich gegen die Sicherheitspolizei zu verteidigen,<br />
doch sie schlugen mich auf den Kopf. Die Gesichter<br />
meiner Mutter <strong>und</strong> meines Vaters verfolgten mich.<br />
Es gibt eine Methode, die all die Barbarei ausdrückt,<br />
die in irakischen Gefängnissen angewendet wird.<br />
Das ist die Vergewaltigung … Nichts, was ich<br />
darüber gehört hatte, hat mich auf diese Erfahrung<br />
vorbereitet. Es lebt in mir. Ich blute immer noch<br />
sehr. Es wurde nicht nur von einem Mann getan,<br />
son<strong>der</strong>n von einer Gruppe von Männern. Sie erstickten<br />
meine Schreie <strong>und</strong> meinen Protest. Ich musste<br />
aufgeben. Und überdies wurde es zum Spektakel; es<br />
kamen viele Menschen <strong>und</strong> schauten zu.“<br />
Eine kurdische Frau<br />
(AUS: AMNESTY INTERNATIONAL,<br />
HUMAN RIGHTS ARE WOMEN’S RIGHTS, 1995, S. 85)
■ Soziale Analyse<br />
Wie in Abschnitt I erwähnt, ist Gewalt für viele<br />
Frauen eine schreckliche Tatsache <strong>des</strong> täglichen<br />
Lebens – Gewalt im Krieg, politische Gewalt, sexuelle<br />
<strong>und</strong> häusliche Gewalt. Gewalt war das Thema<br />
auf <strong>der</strong> Weltfrauenkonferenz in Peking, das sich<br />
quer über alle kulturellen <strong>und</strong> geographischen<br />
Grenzen hinwegzog. Ayesha Khanam vom Bangla<strong>des</strong>h<br />
Women’s Council stellte fest: „Gewalt gegen<br />
Frauen ist ein Thema, das globales Handeln erfor<strong>der</strong>t.“<br />
Unter den Themen <strong>der</strong> Gewalt gegen Frauen,<br />
die in Peking vorgetragen wurden, war die Genitalverstümmelung<br />
<strong>der</strong> Mädchen, die „Mitgift-Tode“ in<br />
Indien, wo Tausende von jungen Bräuten je<strong>des</strong> Jahr<br />
getötet werden, weil ihre Familien ungenügende<br />
Mitgift bezahlen, physische Misshandlung zu Hause<br />
– in den USA sterben ein Drittel <strong>der</strong> ermordeten<br />
Frauen durch die Hand ihrer Ehemänner o<strong>der</strong><br />
Fre<strong>und</strong>e –, <strong>und</strong> die Anwendung von Vergewaltigung<br />
<strong>und</strong> erzwungener Prostitution als Kriegswaffe.<br />
Diese Gewalt zu stoppen, ist eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
an uns alle – Frauen, Männer, Laien, Ordensleute,<br />
Christen <strong>und</strong> Menschen an<strong>der</strong>en Glaubens.<br />
Nachfolgend findet sich <strong>der</strong> Entwurf einer<br />
strukturellen Analyse zum Thema Frauen <strong>und</strong><br />
Gewalt:<br />
Schauplatz: Eine Pfarrgruppe diskutiert den kürzlich<br />
veröffentlichten nationalen Bericht über häusliche<br />
Gewalt. Der Bericht gibt an, dass eine von<br />
fünf Frauen Gewalt von ihrem männlichen Partner<br />
erlitten hat. 59% <strong>der</strong> Antwortenden wissen von<br />
an<strong>der</strong>en Frauen, die Opfer von Gewalt geworden<br />
sind; 13% berichteten von seelischer Grausamkeit –<br />
sie waren in ihren Zimmern eingeschlossen, von<br />
Treffen mit ihren Fre<strong>und</strong>en abgehalten, mit Worten<br />
misshandelt <strong>und</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> beraubt worden; 10%<br />
hatten schwere physische Gewalt erlitten – waren<br />
getreten, die Treppe hinabgestoßen, geschlagen, nie<strong>der</strong>gestochen<br />
<strong>und</strong> Opfer versuchter Erdrosselung<br />
geworden. An<strong>der</strong>e waren sexuell missbraucht, mit<br />
Messern <strong>und</strong> Pistolen bedroht worden. Der Herausgeber<br />
<strong>der</strong> örtlichen Zeitung schließt mit folgenden<br />
Worten:<br />
„Während die Regierung für bessere Gesetze zum<br />
Schutze von Frauen sorgen kann, ist sie nicht in<br />
<strong>der</strong> Lage, ein Programm zu entwerfen, das häusliche<br />
Gewalt reduzieren könnte, solange sie nicht<br />
die Ursachen dieser Gewalt kennt. Sie sollte sich<br />
dieses Ziel setzen, <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Zwischenzeit alles<br />
ihr Mögliche tun, um Zentren <strong>der</strong> Zuflucht,<br />
unter an<strong>der</strong>em für Vergewaltigungsopfer, zu unterstützen.“<br />
Können wir darauf antworten? Was können wir<br />
tun? Wer erleidet in dieser Pfarrei Gewalt ohne<br />
unser Wissen? Diese <strong>und</strong> ein Dutzend an<strong>der</strong>er Fragen<br />
tauchen schnell auf. Wie könnte eine solche<br />
Gruppe unter Anwendung einer Methode sozialer<br />
Analyse antworten? Es ist wichtig anzumerken, dass<br />
die Analyse eines solchen Themas min<strong>des</strong>tens zwei<br />
Sitzungen von zwei St<strong>und</strong>en Dauer erfor<strong>der</strong>t.<br />
Erster Schritt: Klärung <strong>des</strong> Themas<br />
Suche nach Information über häusliche Gewalt <strong>und</strong><br />
teile sie an<strong>der</strong>en mit. Verschaffe dir eine Kopie <strong>des</strong><br />
Berichts, lade vielleicht einen Referenten ein. Skizziere<br />
die Geschichte häuslicher Gewalt im Land.<br />
Welche politischen, wirtschaftlichen, kulturellen,<br />
sozialen <strong>und</strong> religiösen Entwicklungen in <strong>der</strong><br />
Gesellschaft haben zur Gewalt gegen Frauen beigetragen?<br />
Achte auf die Verbindungen <strong>und</strong> Zusammenhänge.<br />
Welche Werte stehen hier auf dem Spiel?<br />
Zweiter Schritt: Analyse <strong>der</strong> Strukturen<br />
Sind es wirtschaftliche Gründe, die zu Gewalt gegen<br />
Frauen führen, z.B. das Mitgiftsystem, das Fehlen<br />
von rechtlichen Mitteln <strong>und</strong> Besitzrechten, Frauen<br />
als bewegliches Eigentum, Männer als Ernährer,<br />
Arbeitslosigkeit? Gibt es Kräfte in <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
die von <strong>der</strong> wirtschaftlichen Abhängigkeit <strong>der</strong> Frauen<br />
profitieren?<br />
Wer hat Macht in den politischen Strukturen? Gibt<br />
es politische Parteien o<strong>der</strong> Gruppen, die die Anwendung<br />
physischer Gewalt gegen Frauen schweigend<br />
unterstützen? Wer zieht Nutzen daraus, dass Frauen<br />
„an ihrem Platz gehalten“ werden? Welche Ministerposten,<br />
falls überhaupt, haben Frauen in <strong>der</strong><br />
Regierung? Gibt es Gruppen, die das Entstehen <strong>des</strong><br />
Feminismus als Bedrohung ansehen? Haben Frauen<br />
überhaupt Rechte?<br />
Gibt es eine kulturelle Unterstützung für die Gewalt<br />
gegen Frauen, z.B. eine Tradition <strong>des</strong> Machismo?<br />
Welche Gestalt nimmt soziale Interaktion an – zwischen<br />
Frauen, zwischen Männern? Alkoholgenuss<br />
als ein bedeutsames männliches Ritual? Enthaltsamkeit,<br />
von den Frauen erwartet, von den Männern<br />
169
■ Soziale Analyse<br />
nicht? Wieviel Erziehung erhalten Männer, wieviel<br />
Frauen? Wie stellen die Medien Frauen dar – als<br />
Sexualobjekte, lie<strong>der</strong>lich, launisch, dumm?<br />
Ermutigen die sozialen Strukturen zu Gewalt, z.B.<br />
Arbeitgeber besitzen ihre Arbeiter <strong>und</strong> bestrafen sie<br />
dementsprechend, Wohnen in Armut, ungenügende<br />
Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge <strong>und</strong> soziale Unterstützung?<br />
Wer trifft Entscheidungen?<br />
Welche Rollen haben Frauen in religiösen Strukturen?<br />
Gibt es Lehren, Überlieferungen <strong>und</strong> Bräuche,<br />
die Frauen eine eigene Rolle zuweisen? Wie sind<br />
Frauen in <strong>der</strong> Mythologie dargestellt? In <strong>der</strong> Bibel?<br />
In <strong>der</strong> Kirche?<br />
Gibt es Verbindungen zwischen den wirtschaftlichen,<br />
politischen, sozialen, kulturellen <strong>und</strong> religiösen<br />
Strukturen, die zur Gewalt gegen Frauen<br />
beitragen?<br />
Dritter Schritt: Reflexion <strong>und</strong> Gebet<br />
Verwende eine Schriftstelle wie die von <strong>der</strong> samaritanischen<br />
Frau (Joh 4,1-42). Was sagt dieser<br />
Abschnitt <strong>und</strong> was sagt die Schrift zu diesem<br />
Thema? Wie antwortet Jesus? Gibt es Lehren <strong>der</strong><br />
Kirche, Stellungnahmen durch Papst, Bischöfe,<br />
religiöse Führer, die das Thema erhellen helfen?<br />
170<br />
Vierter Schritt: Handeln planen<br />
Welches ist die Lösung? Konkret, was möchten wir<br />
verän<strong>der</strong>t sehen? Welche Mittel haben wir in <strong>der</strong><br />
Gruppe, um auf das Problem <strong>der</strong> häuslichen Gewalt<br />
zu antworten? Welchen Aspekt <strong>des</strong> Problems können<br />
wir jetzt aufgreifen? Wie kommunizieren wir<br />
mit <strong>der</strong> übrigen Pfarrei? Welchen ersten Schritt<br />
unternehmen wir? Wer sind die Verantwortlichen<br />
für die verschiedenen Aspekte <strong>des</strong> Plans? Wann<br />
führen wir die einzelnen Schritte durch?<br />
Auswertung<br />
Es ist ungeheuer wichtig, einen Prozess <strong>der</strong> Überprüfung<br />
<strong>und</strong> Auswertung <strong>des</strong> Plans zum Handeln<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> tatsächlich stattgef<strong>und</strong>enen Handelns einzuplanen.<br />
GFBS-Handbuch<br />
<strong>der</strong> Kommission<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
<strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong><br />
höheren Ordensoberen, Rom
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung im Kontext<br />
einzelner Apostolate<br />
a) Im täglichen Leben<br />
Wir stellen dir/euch diese Optionen als praktische<br />
Vorschläge vor, wie die in den ersten beiden Teilen<br />
<strong>des</strong> Handbuches theoretisch vorgestellten Ideen<br />
konkret verwirklicht werden können. Wir wollen<br />
dies auf eine solche Weise tun, dass diese Ideen<br />
soweit wie möglich eine Angelegenheit <strong>des</strong> täglichen<br />
Lebens <strong>und</strong> eine historische Inkarnation unseres<br />
franziskanischen Lebensstils werden.<br />
Wir unterscheiden unsere Vorschläge auf zwei<br />
allgemeinen <strong>und</strong> zwei beson<strong>der</strong>en Ebenen<br />
1. Allgemeine Ebene:<br />
Provinzebene (was die Provinzverwaltung/<br />
-leitung tun kann);<br />
Lokale Ebene (was jede Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong><br />
je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> tun kann);<br />
2. Beson<strong>der</strong>e Ebene:<br />
„Ad intra“ (innerhalb unserer Strukturen);<br />
„Ad extra“ (außerhalb unserer Strukturen).<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> im Alltag<br />
A. Auf Provinzebene:<br />
1. „Ad intra“<br />
a) Diskriminiere in <strong>der</strong> Anfangsausbildung nicht<br />
die Kandidaten, die sich nicht für das Priestertum<br />
entschieden haben. Gib ihnen gleiche Chancen für<br />
Studien o<strong>der</strong> Fachausbildung.<br />
b) Erhalte das Recht <strong>der</strong> Nicht-Priester-Brü<strong>der</strong>, jede<br />
Aufgabe in <strong>der</strong> Provinz innezuhaben, <strong>und</strong> ihr Recht<br />
auf eine gewisse Anzahl von Delegierten auf dem<br />
Kapitel.<br />
c) Gewähre die größtmögliche Sorge <strong>und</strong> Hilfe,<br />
direkt <strong>und</strong> indirekt, den alten <strong>und</strong> kranken Brü<strong>der</strong>n,<br />
wenn möglich in ihren jeweiligen Gemeinschaften.<br />
Darüber hinaus sollte es eine behagliche<br />
<strong>und</strong> einladende Krankenstation für sie geben.<br />
d) Hilf den nächsten Verwandten <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in<br />
ihren wirtschaftlichen o<strong>der</strong> strukturellen Schwierigkeiten,<br />
ja stelle einen Teil unserer Strukturen ihnen<br />
zur Verfügung.<br />
e) Zu Zeiten bürgerlicher Wahlen stelle jedem Bru<strong>der</strong><br />
durch das GFBS-Provinzbüro angemessene <strong>und</strong><br />
möglichst vollständige Informationen über die<br />
Wahlziele <strong>und</strong> die Kandidaten <strong>der</strong> verschiedenen<br />
politischen Parteien zur Verfügung.<br />
2. „Ad extra“<br />
a) Ein jährlicher Check <strong>der</strong> Konten mit <strong>der</strong> Absicht<br />
einen festgelegten Prozentsatz <strong>des</strong> Gesamteinkommens<br />
(<strong>der</strong> jährlich neu festgelegt wird) den Armen<br />
in Form eines Projektes <strong>der</strong> Verbesserung ihrer<br />
Situation zurückzugeben; wenn möglich sollten alle<br />
Brü<strong>der</strong> darüber befinden.<br />
b) Greife auf alternative Formen <strong>der</strong> Kapitalisierung<br />
<strong>und</strong> auf Sparformen zurück, wie ethische Geldanlagen<br />
<strong>und</strong> selbstverwaltete F<strong>und</strong>s zur gegenseitigen<br />
Hilfe. Verzichte auf höhere Zinsen. Verzichte auf<br />
persönlichen Gewinn.<br />
c) Verbessere zunächst die öffentlichen Räume<br />
(Gottesdienst-, Empfangsraum) noch vor den<br />
Privaträumen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, soweit sie ges<strong>und</strong> sind.<br />
d) Überprüfe direkt <strong>und</strong> persönlich in festgelegten<br />
Abständen durch das GFBS-Büro <strong>der</strong> Provinz, ob<br />
ein politischer Kandidat weiterhin das Vertrauen<br />
verdient o<strong>der</strong> nicht.<br />
171
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
B. Auf lokaler Ebene:<br />
1. „Ad intra“<br />
a) Ermögliche soweit wie möglich eine gleiche Verteilung<br />
<strong>der</strong> Verantwortlichkeiten, auf solche Weise,<br />
dass alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft entsprechend<br />
ihren Charismen in <strong>der</strong> Güterverwaltung <strong>des</strong> Hauses<br />
mitverantwortlich beteiligt sind. Sorge für<br />
Wechsel, an denen alle beteiligt sind, in den gr<strong>und</strong>legenden<br />
<strong>und</strong> schweren Diensten, wie Kochen <strong>und</strong><br />
Reinigen <strong>der</strong> gemeinschaftlichen Räume.<br />
b) För<strong>der</strong>e für jeden Bru<strong>der</strong> die Möglichkeit,<br />
Urlaubszeiten zu nehmen <strong>und</strong> stelle allen Brü<strong>der</strong>n<br />
die nötigen Mittel zur Verfügung, ohne jedoch das<br />
Gelübde <strong>der</strong> Armut zu vergessen.<br />
c) Achte darauf, dass je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> seine eigenen<br />
Talente für den Dienst an <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Kirche entwickeln kann.<br />
2. „Ad extra“<br />
a) Wenn die Notwendigkeit besteht, Nicht-Franziskaner<br />
für die häusliche Arbeit anzustellen, sollte das<br />
erste Auswahlkriterium nicht seine/ ihre Leistungsfähigkeit<br />
sein, son<strong>der</strong>n das Bedürfnis <strong>des</strong> möglichen<br />
Kandidaten.<br />
b) Zahle unserem Personal einen gerechten Lohn,<br />
selbst wenn gesetzliche Vorschriften dafür fehlen,<br />
<strong>und</strong> stelle an die erste Stelle seine/ihre Sicherheit in<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft.<br />
c) Kaufe <strong>und</strong> verwende soweit als möglich die Produkte<br />
von gerechten <strong>und</strong> genossenschaftlichen<br />
Händlern, selbst wenn die Kosten über dem Durchschnitt<br />
liegen.<br />
d) Helfe <strong>und</strong> unterstütze religiöse <strong>und</strong> zivile Gruppen,<br />
die um <strong>Gerechtigkeit</strong> kämpfen (z.B. Amnesty<br />
International, usw.) <strong>und</strong> trete ihnen eventuell bei.<br />
e) Sei an politischem <strong>und</strong> sozialem Handeln in <strong>der</strong><br />
Gegend interessiert, indem du Gruppen zur Verteidigung<br />
<strong>der</strong> am stärksten ausgegrenzten Menschen<br />
hilfst, unterstützt <strong>und</strong> eventuell bil<strong>des</strong>t, auch auf<br />
Kosten <strong>der</strong> eigenen physischen Unversehrtheit <strong>und</strong><br />
Freiheit.<br />
f) Nimm überall <strong>und</strong> immer das Wahlrecht wahr.<br />
Wähle dann Parteien <strong>und</strong> Bewegungen, die sich um<br />
eine größere Gleichheit unter den Menschen<br />
mühen <strong>und</strong> die Freiheit <strong>des</strong> Gottesdienstes <strong>und</strong> die<br />
Würde <strong>der</strong> Person schützen.<br />
172<br />
Friede, unsere tägliche Schwester<br />
A. Auf Provinzebene:<br />
1. „Ad intra“<br />
a) För<strong>der</strong>e soviel wie möglich Augenblicke <strong>der</strong><br />
Gemeinschaft <strong>und</strong> Festlichkeiten.<br />
b) Mache soviel wie möglich „die guten Taten“<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> bekannt; för<strong>der</strong>e Kommunikation;<br />
wertschätze das Tun <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. „Kommunikation<br />
lässt Gemeinschaft wachsen“.<br />
c) Treffe die evangeliumsgemäße Option für<br />
Gewaltfreiheit <strong>und</strong> Antimilitarismus.<br />
2. „Ad extra“<br />
a) Bilde Gruppen von Brü<strong>der</strong>n als „<strong>Friedens</strong>stifter<br />
in Notsituationen“ (nach dem Vorbild <strong>der</strong> internationalen<br />
<strong>Friedens</strong>brigaden), die direkt dem Provinzialminister<br />
o<strong>der</strong> dem Provinzkoordinator für<br />
GFBS verantwortlich sind <strong>und</strong> die bereitstehen, um<br />
im Falle eines Konflikts in „heiße Zonen“ gesandt<br />
zu werden. Sie könnten durch ihre gewaltfreie<br />
Anwesenheit zum Frieden zwischen den Parteien<br />
beitragen. Solche Provinzgruppen sollten in ihrem<br />
Einsatz durch das GFBS-Büro in Rom koordiniert<br />
werden.<br />
b) Im Geist von Assisi för<strong>der</strong>e jährlich am 27. Oktober<br />
einen Tag <strong>des</strong> Fastens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Gebets für<br />
Frieden.<br />
B. Auf lokaler Ebene:<br />
1. „Ad intra“<br />
a) Bemüht euch um die Schaffung eines guten<br />
Klimas in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, grüßt euch täglich, <strong>und</strong><br />
teilt mit den Brü<strong>der</strong>n Freuden <strong>und</strong> Leiden; betet<br />
füreinan<strong>der</strong>; denkt an Geburts- <strong>und</strong> Namenstage<br />
<strong>und</strong> feiert sie.<br />
b) Versuche nicht, immer das letzte Wort zu haben.<br />
Nimm die Meinungen an<strong>der</strong>er an.<br />
c) Meine nicht, Opfer <strong>der</strong> Gemeinschaft zu sein,<br />
<strong>und</strong> mache niemanden zum Opfer.<br />
2. „Ad extra“<br />
a) Lebe Min<strong>der</strong>sein, allen untertan.<br />
b) Kritisiere nicht, richte niemanden, selbst auf<br />
Kosten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />
c) Mache die Verweigerung <strong>des</strong> Militärdienstes aus<br />
Gewissensgründen <strong>und</strong> die Steuerverweigerung für<br />
Militärausgaben aus Gewissensgründen bekannt<br />
<strong>und</strong> unterstütze sie.
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
Schöpfung, unser gemeinsames Haus<br />
A. Auf Provinzebene:<br />
1. „Ad intra“<br />
a) Schule den Provinz- <strong>und</strong> die Konventsökonomen<br />
in ökologischer Gesinnung.<br />
b) In den Kursen <strong>der</strong> Anfangsausbildung wie <strong>der</strong><br />
ständigen Fortbildung sorge für Kurse in „menschengemäßer<br />
Ökologie“.<br />
2. „Ad extra“<br />
a) Kaufe Produkte in wie<strong>der</strong>verwertbaren Behältnissen;<br />
b) Veröffentliche alles auf recyceltem Papier.<br />
c) Bevorzuge Transportmittel, die Methan o<strong>der</strong><br />
Flüssiggas verbrauchen, auch wenn sie weniger wirkungsvoll<br />
sind.<br />
d) Kaufe Habitstoff, <strong>der</strong> so wenig wie möglich<br />
behandelt worden ist.<br />
B. Auf lokaler Ebene<br />
1. „Ad intra“<br />
a) Wi<strong>der</strong>setze dich dem weitverbreiteten Konsumismus,<br />
indem du einen bescheidenen Lebensstil, beson<strong>der</strong>s<br />
in Nahrung <strong>und</strong> Kleidung pflegst, <strong>und</strong> soweit<br />
wie möglich das Einfache <strong>und</strong> Natürliche wählst.<br />
b) För<strong>der</strong>e nicht, son<strong>der</strong>n WIDERSETZE dich allem,<br />
was dem „Wegwerf“-Stil entspricht.<br />
c) Trenne Abfall, beson<strong>der</strong>s Papier, Glas <strong>und</strong> Plastik.<br />
Je<strong>des</strong> Haus sollte einen o<strong>der</strong> mehrere Sammelorte<br />
haben <strong>und</strong> Personen, die für das Sammeln <strong>des</strong><br />
Materials verantwortlich sind.<br />
d) Lebe in Häusern, die mit Methan o<strong>der</strong> Naturgas<br />
beheizt werden. Wenn möglich gehe von Kohle <strong>und</strong><br />
Heizöl ab.<br />
e) Beschränke den Verbrauch an Energie <strong>und</strong> Wasser<br />
auf das unbedingt Notwendige.<br />
2. „Ad extra“<br />
a) Ermutige <strong>und</strong> unterstütze ökologische Bewegungen,<br />
welche die öffentliche Meinung gewaltfrei<br />
erziehen <strong>und</strong> Druck auf lokale, provinziale, regionale<br />
<strong>und</strong> nationale Verwaltungen ausüben, damit sie<br />
Maßnahmen zum Schutze <strong>der</strong> Schöpfung (Natur)<br />
ergreifen. Tritt ihnen bei o<strong>der</strong> bilde sie. Beispiel:<br />
Differenzierte Müllsammlung, ein ökologischeres<br />
Transport- <strong>und</strong> Industriesystem.<br />
b) Soweit möglich, verwende das Fahrrad als Transportmittel;<br />
es ist gleichzeitig ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nd<br />
<strong>und</strong> ohne Schadstoffausstoß.<br />
c) Wenn das Fahrrad nicht genutzt werden kann,<br />
nutze öffentliche Verkehrsmittel, wenn möglich<br />
solche, die elektrisch, mit Naturgas o<strong>der</strong> bleifreiem<br />
Benzin betrieben werden (in dieser Reihenfolge).<br />
d) Bebaue das Land mit natürlichen Düngemitteln<br />
unter Verzicht auf den größtmöglichen Ertrag.<br />
Achte auf saisonale Zyklen <strong>der</strong> Brache.<br />
e) Kaufe natürliche Produkte, die wenig Verschmutzung<br />
verursachen.<br />
Wie wir zu Beginn sagten, ist dies eine Liste von<br />
Vorschlägen, die nicht den Anspruch erhebt,<br />
vollständig zu sein <strong>und</strong> die sicherlich nicht alle<br />
möglichen geographischen Situationen <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
umfasst. Wir versuchten unseren Blickwinkel,<br />
soweit wir konnten, auszudehnen.<br />
Es liegt an dir, Bru<strong>der</strong>, <strong>und</strong> deinem Gewissen, die<br />
Botschaft, die wir dir im Licht <strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong><br />
unserer Gesetzgebung zu geben versuchten, in deiner<br />
Umgebung zu konkretisieren. Verwirkliche sie<br />
in deiner Umgebung <strong>und</strong> du kannst ein Zeichen <strong>der</strong><br />
Liebe Gottes werden, für die es keinen Ersatz gibt.<br />
Dieses Zeichen wird sich in einem Lebensstil ausdrücken,<br />
<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Nachfolge <strong>des</strong> hl. Franziskus<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> hl. Klara sowohl nüchtern wie auch voller<br />
Freude ist.<br />
Robert Cranchi <strong>OFM</strong><br />
173
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
b) Mission „Ad Gentes“<br />
Von Beginn an zeigt sich Ordensleben als Inkarnation<br />
von Gottes radikaler Liebe für seine Welt,<br />
als ein Zeichen <strong>der</strong> Radikalität <strong>des</strong> Evangeliums<br />
<strong>und</strong> als eine befreiende Kraft, welche die Welt verän<strong>der</strong>t.<br />
Es ist wert, daran zu erinnern, dass von<br />
seinen ersten Erscheinungsformen an Ordensleben<br />
nicht als ein Ausdruck <strong>der</strong> pastoralen o<strong>der</strong> caritativen<br />
Aktivität <strong>der</strong> Kirche definiert wurde, son<strong>der</strong>n<br />
vielmehr als ein sichtbares <strong>und</strong> lesbares Zeichen<br />
<strong>des</strong>sen, was es bedeutet, Kirche im Dienste <strong>der</strong><br />
Welt zu sein. Evangelisierung „Ad Gentes“ war,<br />
oft mit ihren dunklen wie ihren hellen Seiten,<br />
hauptsächlich das Werk <strong>der</strong> Ordensleute, Frauen<br />
<strong>und</strong> Männer, Laien <strong>und</strong> Kleriker. In je<strong>der</strong> Zeitepoche<br />
wurden beson<strong>der</strong>e Aspekte <strong>der</strong> Mission<br />
betont:<br />
■ In <strong>der</strong> Epoche <strong>der</strong> monastischen Orden könnte<br />
Mission „Ad Gentes“ so beschrieben werden,<br />
dass Zivilisation, Gesetz <strong>und</strong> Ordnung <strong>des</strong> Reiches<br />
Gottes ungebildeten, verarmten <strong>und</strong> oft<br />
gewalttätigen Menschen gebracht wurde.<br />
■ In <strong>der</strong> Epoche <strong>der</strong> Bettelorden <strong>und</strong> <strong>der</strong> Renaissance<br />
wurde Mission „Ad Gentes“ ein Projekt,<br />
um die einheimischen Menschen <strong>der</strong> Neuen<br />
Welt zu christianisieren.<br />
■ In <strong>der</strong> Zeit vom 18. Jahrh<strong>und</strong>ert bis zum Zweiten<br />
Vatikanischen Konzil bestand unsere Mission<br />
„Ad Gentes“ darin, weltweit soviele Menschen<br />
wie möglich zur Wahrheit, was für uns zu<br />
jener Zeit bedeutete, in die römisch-katholische<br />
Kirche zu bringen.<br />
Mission „Ad Gentes“ heute<br />
In den letzten dreißig Jahren haben sich nicht nur<br />
unser Lebensstil, unsere Kleidung <strong>und</strong> unser<br />
Gebetsleben verän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n auch unsere zivilen<br />
Gesellschaften haben sich mit unglaublicher<br />
Geschwindigkeit gewandelt. Innerhalb <strong>der</strong> Kirche<br />
haben starke Entwicklungen in <strong>der</strong> Bibelwissenschaft<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> theologischen Reflexion stattgef<strong>und</strong>en,<br />
wie auch eine Aufnahme <strong>der</strong> Natur- <strong>und</strong><br />
Sozialwissenschaften in unsere Theologien. Unser<br />
Verständnis von Gott, Kirche <strong>und</strong> Mission sind von<br />
diesen Verän<strong>der</strong>ungen betroffen.<br />
Vier Jahrh<strong>und</strong>erte <strong>der</strong> Beobachtung <strong>der</strong> Sonne, wie<br />
sie täglich am Horizont aufging <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>ging,<br />
gaben Menschen Anlass zu denken, dass wir <strong>der</strong><br />
174<br />
Mittelpunkt <strong>des</strong> Universums seien <strong>und</strong> dass die<br />
Sonne um uns kreise. Was als zufällige Beobachtung<br />
begann, wuchs zu einer Kosmologie, d.h. zu einer<br />
Deutung <strong>der</strong> Wahrnehmung. Aus dieser Kosmologie<br />
errichteten die christliche Kirche <strong>und</strong> die westliche<br />
Zivilisation eine vollständige Weltsicht, Gottes<br />
Plan für die menschliche Rasse, die Notwendigkeit<br />
von Erlösung, Gottesdienst, Gesetz, Ethik, Ikonographie,<br />
usw.. Die neuen Erkenntnisse Galileis<br />
waren nicht harmlose <strong>und</strong> neugierige Beobachtungen.<br />
Durch Verwendung einer einfachen neuen Linse<br />
brachte Galilei eine ungeheure Verschiebung in<br />
die Betrachtungsweise, wie Menschen ihren Standort<br />
<strong>und</strong> den unseres Sonnensystems innerhalb <strong>des</strong><br />
Universums verstanden. Die Erfahrung dieser neuen<br />
Weltsicht führte dazu, dass die vorherige Kosmologie<br />
<strong>und</strong> viele ihrer Folgesätze zusammenbrachen<br />
<strong>und</strong> neue <strong>der</strong>en Platz einnahmen. Diese Krise verlief<br />
nicht ohne ernste Probleme. Diese neue Information<br />
war eine ungeheure Bedrohung <strong>der</strong> Art <strong>und</strong><br />
Weise, wie Christen Gott, ihre Welt <strong>und</strong> ihren Platz<br />
in ihr verstanden. Die Bedrohung <strong>der</strong> kosmologischen<br />
Untermauerung <strong>der</strong> Gesellschaft war so stark,<br />
dass es nicht nur schwierig, son<strong>der</strong>n sogar gefährlich<br />
war, mit den Bischöfen darüber zu reden <strong>und</strong> zu<br />
versuchen, sie zu überzeugen, die Wirklichkeit auf<br />
neue Weise zu sehen.<br />
Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Krisenzeit,<br />
in <strong>der</strong> unsere kosmologischen Annahmen sich<br />
än<strong>der</strong>n. Vielleicht ist die neue Linse, die den Beginn<br />
einer neuen Kosmologie einführt, die Linse einer<br />
Kamera, durch die wir die Erde vom Mond aus<br />
sehen. Menschen auf <strong>der</strong> ganzen Welt hatten die<br />
gemeinsame Erfahrung, an<strong>der</strong>e Menschen das<br />
Gesetz <strong>der</strong> Schwerkraft brechen, sich in den Weltraum<br />
bewegen <strong>und</strong> unseren Planeten vom Mond<br />
aus wahrnehmen zu sehen, unseren kreisenden Planeten,<br />
<strong>der</strong> wie leuchten<strong>der</strong> Weihnachtsschmuck am<br />
schwarzen Himmel aufgehängt ist. Gemeinsam<br />
beobachteten wir uns selbst <strong>und</strong> unseren Planeten,<br />
einen Globus ohne Grenzen, zerbrechlich, allein<br />
<strong>und</strong> glänzend, von einer Kamera aufgenommen, die<br />
280.000 Meilen entfernt auf dem Mond stand.<br />
Heute definiert die eine Hälfte <strong>der</strong> Menschheit, die<br />
Frauen, sich <strong>und</strong> ihre Rechte im Gegensatz zur<br />
an<strong>der</strong>en Hälfte, <strong>der</strong> Männer. Dies ist vermutlich<br />
eine <strong>der</strong> bedeutsamsten Diskussionen in <strong>der</strong><br />
Geschichte <strong>der</strong> menschlichen Familie. Die Welt
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
wird zu einem globalen Dorf, in dem sich mehr<br />
Menschen für Spiritualität interessieren, sich aber<br />
nicht mit einer Religion identifizieren. Je mehr wir<br />
über die Schöpfung lernen <strong>und</strong> auf elektronischem<br />
Weg neue Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern in <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt treffen, umso mehr wandelt sich unsere Wahrnehmung.<br />
Wir sehen nicht einfach die Natur <strong>und</strong><br />
einan<strong>der</strong> auf unterschiedliche Weise, son<strong>der</strong>n unser<br />
Verständnis von Gott wandelt sich. Weniger Menschen<br />
fürchten sich vor <strong>der</strong> Vorstellung von Gott.<br />
Alle Religionen werden als gut <strong>und</strong> hilfreich für den<br />
Weg <strong>der</strong> Menschen angesehen. Mehr <strong>und</strong> mehr<br />
konzentrieren sich spirituelle Bewegungen auf die<br />
Schöpfung <strong>und</strong> identifizieren sich mit dem Kampf<br />
<strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> für die Menschenrechte. Physiker,<br />
die noch vor kurzem als Feinde <strong>der</strong> Religion angesehen<br />
wurden, geben uns jetzt Vorlesungen darüber,<br />
wie Materie <strong>und</strong> Geist Aspekte <strong>der</strong> gleichen Wirklichkeit<br />
sind <strong>und</strong> dass die Gr<strong>und</strong>lage aller Materie<br />
<strong>der</strong> Geist ist.<br />
Zum ersten Mal in <strong>der</strong> Geschichte kann die gesamte<br />
menschliche Familie zur selben Zeit durch dieselbe<br />
Erfahrung ergriffen werden. Das Fernsehen hat uns<br />
um ein neues Dorffeuer versammelt. Wir sehen,<br />
wie das Weiße Haus in Moskau kritisiert wird;<br />
H<strong>und</strong>erte Millionen Menschen in jedem Land <strong>der</strong><br />
Welt halten im gleichen Augenblick den Atem an,<br />
während sie das Siegtor bei <strong>der</strong> Fußballweltmeisterschaft<br />
in Frankreich sehen. Wir können über<br />
geschlossene Grenzen hinweg Telefax versenden,<br />
über die Köpfe von Gewaltherrschern hinweg, <strong>und</strong><br />
können dadurch Menschen Hoffnung geben wie<br />
auch aktuelle Daten zu Menschenrechtsverletzungen<br />
weitergeben. Der Zugang zur Information hat<br />
die Macht von <strong>der</strong> Fabrikproduktion hin zur Information<br />
verschoben. Information gibt Menschen<br />
die Möglichkeit, Entscheidungen für ihr Leben zu<br />
treffen.<br />
In den letzten zehn Jahren sind wir Zeugen einer<br />
Verän<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Mission geworden:<br />
von einem kirchenzentrierten <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> ausschließlich<br />
christozentrischen Missionsmodell (<strong>und</strong> ebenso<br />
<strong>des</strong> Ordenslebens) zu einem Modell, das, obgleich<br />
kirchlich verwurzelt <strong>und</strong> auf wahrer Nachfolge<br />
gründend, offen ist für die Vorstellung <strong>der</strong> kommenden<br />
Welt, „den neuen Himmel <strong>und</strong> die neue<br />
Erde“, d.h. das Reich Gottes. Auf diese Weise<br />
bestimmt das Reich Gottes die Identität <strong>der</strong> Kirche<br />
<strong>und</strong> führt dazu, auch das Ordensleben in <strong>der</strong> Kirche<br />
neu zu bestimmen. Wenn die Identität <strong>der</strong> Kirche<br />
Mission ist, dann werden das Reich Gottes <strong>und</strong> seine<br />
Werte (Frieden, <strong>Gerechtigkeit</strong>, Gotteskindschaft<br />
<strong>und</strong> menschliche Gemeinschaft, bedingungslose<br />
Ehrfurcht vor allem Leben, Geschwisterlichkeit aller<br />
Völker unter einem Gott) die Ziele <strong>der</strong> kirchlichen<br />
Mission.<br />
Es scheint, dass die gegenwärtige Theologie eine<br />
große Übereinstimmung erreicht hat hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage für das Selbstverständnis <strong>der</strong> Kirche<br />
(<strong>und</strong> ebenso <strong>des</strong> Ordenslebens): Der Mittelpunkt<br />
<strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sendung Jesu war die Verkündigung<br />
<strong>des</strong> anbrechenden Reiches Gottes durch Worte,<br />
Gesten („Taten“) <strong>und</strong> vor allem durch seinen<br />
Tod <strong>und</strong> seine Auferstehung. Bibelwissenschaftler<br />
lehren uns, dass Jesu Selbstverständnis darin lag, <strong>der</strong><br />
Prophet dieser neuen Wirklichkeit zu sein, die<br />
Reich Gottes genannt wird. Er sprach von einem<br />
Gott, <strong>der</strong> sich mit jedem einzelnen Menschen verbindet,<br />
mit <strong>der</strong> gesamten Schöpfung, <strong>der</strong> Geschichte,<br />
in <strong>der</strong> <strong>und</strong> durch die seine Liebe sich ausbreitet<br />
<strong>und</strong> wächst bis ans Ende <strong>der</strong> Zeit. „Das Reich Gottes<br />
… ist die utopische Vision einer Gesellschaft <strong>der</strong><br />
Liebe, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Gleichheit, die auf <strong>der</strong><br />
inneren Verwandlung <strong>und</strong> Befähigung <strong>der</strong> Menschen<br />
beruht. Eine Vision, in <strong>der</strong> Menschen auf<br />
unterschiedliche Weise ‚handeln‘ <strong>und</strong> ‚zusammenleben‘,<br />
weil sie auf unterschiedliche Weise ‚sein‘ <strong>und</strong><br />
‚sich fühlen‘ werden“ (P. Knitter).<br />
Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Mission in<br />
das Zentrum <strong>des</strong> Selbstverständnisses <strong>der</strong> Kirche<br />
gestellt: Die Kirche ist von ihrer Natur her missionarisch.<br />
Mission gehört zu den Wesensmerkmalen<br />
<strong>der</strong> Kirche. Man könnte einfach sagen: Die Identität<br />
<strong>der</strong> Kirche ist Mission. Aus dieser Sicht entspringt<br />
Mission nicht einem beson<strong>der</strong>em Auftrag,<br />
den man von irgendeiner kirchlichen Autoritätsperson<br />
empfangen hat, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Taufe selbst,<br />
durch die je<strong>der</strong> Christ in diese „communio“ eingeführt<br />
ist. Eine „communio“, die kein geschlossener<br />
Kreis ist, son<strong>der</strong>n vielmehr ein lebendiger Organismus,<br />
<strong>des</strong>sen Natur im Akt <strong>des</strong> Teilens <strong>und</strong> Sich-hergebens<br />
besteht, d.h. fast so, wie Jesus sich um <strong>der</strong><br />
„vielen“ willen hingegeben hat. In einem sehr klarem<br />
Sinn existiert die Kirche nicht für sich selbst.<br />
Sie ist vielmehr, wie LUMEN GENTIUM erklärt, das<br />
„Sakrament“ <strong>der</strong> Gemeinschaft <strong>der</strong> Menschheit <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> gesamten Schöpfung mit Gott, das Sakrament<br />
175
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
von Gottes heilschaffendem <strong>und</strong> befreiendem Plan<br />
für seine Schöpfung.<br />
Mission <strong>und</strong> rückwirkende Mission<br />
Wenn wir über „Mission“ sprechen, ist es leicht<br />
nach einem Projekt Ausschau zu halten, ein Buch zu<br />
veröffentlichen, ein Traktat zu verfassen, einen Film<br />
zu produzieren, um den „Inhalt <strong>der</strong> Botschaft“ mitzuteilen,<br />
um das Leben an<strong>der</strong>er zum Besseren zu<br />
wandeln. Doch „Mission“ ist nicht das gleiche wie<br />
eine gewisse Menge an messbarer Information, die<br />
mitgeteilt, gelehrt o<strong>der</strong> übergeben wird. Es ist eine<br />
Haltung, gesandt zu sein, um durch Anwesenheit<br />
<strong>und</strong> vielleicht durch Wort das Reich Gottes zu<br />
verkünden.<br />
Vor 780 Jahren, in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Kreuzzüge, reiste<br />
unser Bru<strong>der</strong> Franziskus von Assisi mit <strong>der</strong> Absicht<br />
in den Osten, dem Sultan, dem Feind seines<br />
Volkes zu predigen. Wenn <strong>der</strong> Sultan sich bekehren<br />
würde, dann würde Frieden sein. Franziskus hatte<br />
Glück, denn <strong>der</strong> Sultan war ein weiser <strong>und</strong> offener<br />
Mann. Anstatt über die Predigt <strong>des</strong> Franziskus<br />
verärgert zu sein, lud ihn <strong>der</strong> Sultan ein, in seinem<br />
Lager zu leben <strong>und</strong> ihre Gespräche eine Zeitlang<br />
fortzusetzen. Franziskus erlebte eine weitere Bekehrung<br />
in seinem Leben. Er wurde zwar kein<br />
Muslim, doch er kehrte mit einer großen Ehrfurcht<br />
vor den „Sarazenen“ nach Assisi zurück. Er selbst<br />
war tiefer evangelisiert worden als <strong>der</strong> Sultan.<br />
In <strong>der</strong> nicht bullierten Regel für unser Leben<br />
schrieb Franziskus, dass die Brü<strong>der</strong>, die unter die<br />
„Sarazenen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Ungläubige“ gehen, unter<br />
diesen Menschen allen „untertan“ leben, mit niemandem<br />
streiten <strong>und</strong> durch ihr Leben Zeugnis für<br />
ihren Glauben als Christen ablegen sollten. Nur<br />
wenn <strong>und</strong> wann es Gott gefalle, sollten sie predigen<br />
<strong>und</strong> taufen.<br />
Franziskus hinterließ uns ein w<strong>und</strong>erbares Modell<br />
von Evangelisierung <strong>und</strong> Mission. Wir kommen in<br />
eine Situation, die uns fremd ist, <strong>und</strong> wir leben ehrfurchtsvoll<br />
mit Menschen, während wir ihre Bräuche<br />
verstehen lernen. Wir debattieren nicht mit<br />
ihnen <strong>und</strong> wir versuchen nicht zu predigen, bis<br />
Gott uns zeigt, dass wir es tun sollten.<br />
Mission ist so eine Haltung, ein Standpunkt, eine<br />
Erleuchtung (Buddha), die es uns gestattet zu<br />
176<br />
sehen, was tatsächlich da ist: den demütigen <strong>und</strong><br />
einfachen Gott zu sehen <strong>und</strong> zu erfahren, <strong>der</strong> unter<br />
uns lebt, o<strong>der</strong> besser ausgedrückt: uns, die wir in<br />
Gott leben. Mission ist die Entscheidung, deine<br />
Augen offen zu halten <strong>und</strong> ein Zeuge <strong>des</strong> Reiches<br />
Gottes zu sein, in dem Geist <strong>und</strong> Materie in Harmonie<br />
existieren. Mission heißt an das Reich Gottes<br />
zu glauben <strong>und</strong> auf es zu hoffen, das um uns ist, das<br />
sich unter <strong>der</strong> Oberfläche <strong>des</strong> Lebens verbirgt, das<br />
in je<strong>der</strong> Person lebt. Es ist eine entschiedene Haltung,<br />
eine Einstellung hin auf Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
eine Sehnsucht, alles so zu sehen, wie es von<br />
Gott beabsichtigt ist. Es hat die Fähigkeit, das Verborgene<br />
ans Licht zu bringen, wie <strong>der</strong> „Verwalter,<br />
<strong>der</strong> aus dem Vorrat seine Schätze hervorholt“.<br />
Mission ist eine Sicht- <strong>und</strong> Verstehensweise <strong>der</strong><br />
Welt <strong>und</strong> ihrer Menschen mit dem Glauben an die<br />
Menschwerdung von Gottes Liebe. Es gibt eine<br />
w<strong>und</strong>erbare Geschichte über den hl. Ignatius von<br />
Loyola, die diese Haltung <strong>des</strong> Glaubens beschreibt.<br />
Als <strong>der</strong> hl. Ignatius als alter Mann zurückgezogen<br />
lebte, wurde er oft beobachtet, wie er im Garten<br />
zwischen den Blumen spazierenging. Je<strong>des</strong>mal,<br />
wenn er sich schwankend einer Blume in voller<br />
Blüte näherte, stieß er sie sanft mit seinem Spazierstock<br />
an <strong>und</strong> sagte: „Ich weiß, ich weiß, mach<br />
darüber kein solches Geschrei!“<br />
Jüngerschaft –<br />
eine Gr<strong>und</strong>haltung für alle Zeiten<br />
Es war nicht nur <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> Lehre Jesu, die die<br />
Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Apostel fesselte. Es war auch<br />
sein persönliches Interesse an ihnen <strong>und</strong> sein kraftvoller<br />
Ruf. Sein Ruf an sie, die Augen zu öffnen,<br />
sich <strong>des</strong> Reiches Gottes bewusst zu werden, das in<br />
ihnen <strong>und</strong> um sie herum war, sodass sie frei sein<br />
konnten, ihr wahres Selbst authentisch zu leben.<br />
In Simon, <strong>der</strong> im Hof <strong>des</strong> Hohenpriesters vor einer<br />
Dienerin öffentlich leugnete ihn zu kennen, sah<br />
Jesus unter dem Schwanken eines Feiglings die<br />
verborgene Kraft eines großen Führers; er sah die<br />
verborgene Fre<strong>und</strong>lichkeit von Jakobus <strong>und</strong><br />
Johannes, die beide Feuer <strong>und</strong> Schwefel von Sodom<br />
<strong>und</strong> Gomorra auf die samaritanische Stadt herabrufen<br />
wollten, die ihnen keine Unterkunft für die<br />
Nacht geben hatten; es sah die verborgene Ehrlichkeit<br />
<strong>des</strong> Zachäus, <strong>der</strong> all denen Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />
versprach, die er betrogen hatte; es sah<br />
die verborgene Integrität in dem Apostel <strong>und</strong>
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
Märtyrer Matthäus, <strong>der</strong> bereit gewesen war, für<br />
den Feind zu arbeiten <strong>und</strong> Steuergel<strong>der</strong> von seinem<br />
eigenen Volk einzutreiben. Unsere Sendung besteht<br />
darin, denen zu helfen, die blind, taub <strong>und</strong> gleichgültig<br />
dafür sind, das Reich Gottes, das in ihnen<br />
<strong>und</strong> um sie herum ist, zu erfahren <strong>und</strong> darauf zu<br />
antworten.<br />
Fragen<br />
Die Ausrichtung am Reich Gottes wird viele Fragen<br />
aufwerfen über die Art <strong>und</strong> Weise, wie wir unsere<br />
Aufgabe wahrnehmen, wenn wir zur Mission aufbrechen:<br />
Zum Beispiel, was bedeutet es für uns als<br />
Ordensleute, in China zu sein o<strong>der</strong> in Zukunft nach<br />
China zu gehen? Was wäre die Absicht einer solchen<br />
Mission? Die Chinesen haben die älteste Zivilisation<br />
<strong>der</strong> Welt. Wir glauben, dass Gott für Tausende von<br />
Jahren das chinesische Volk geliebt, dass er unter<br />
ihnen gelebt <strong>und</strong> gearbeitet hat. Warum also fühlen<br />
wir uns berufen, unter ihnen zu leben? Was könnten<br />
wir ihnen mitteilen o<strong>der</strong> von ihnen erfragen?<br />
Welche Lehren ziehen wir aus unserer jüngsten<br />
Erfahrung <strong>der</strong> Evangelisierung in Ruanda? In an<strong>der</strong>en<br />
Teilen Afrikas? Was sagen wir zur Notwendigkeit,<br />
dass religiöse Gemeinschaften als aktive<br />
NGO’s bei den Vereinten Nationen tätig sind? Wie<br />
können wir unseren Glauben an den gestorbenen,<br />
auferstandenen <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>kommenden Christus<br />
vor <strong>der</strong> UNO predigen <strong>und</strong> bezeugen?<br />
Wenn wir die Kirche o<strong>der</strong> unsere Ordensgemeinschaften<br />
in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n einpflanzen, wie<br />
beweglich, flexibel <strong>und</strong> arm sind wir? Wie ehrfurchtsvoll<br />
ist unser Verhalten gegenüber <strong>der</strong> Kultur<br />
<strong>und</strong> den Bräuchen unserer Gastgeber? Behalten wir<br />
den Besitzanspruch auf Strukturen <strong>und</strong> auf die jungen<br />
lokalen Kirchen? Ist jetzt nicht die Zeit gekommen,<br />
dass die „jungen“, von unseren Gemeinschaften<br />
entwickelten Kirchen selbst aktiv werden <strong>und</strong><br />
Missionare „senden“? Warum gibt es nicht mehr<br />
Missionare aus Afrika, Asien <strong>und</strong> Lateinamerika?<br />
Evangelisieren wir durch unser Zeugnis für die<br />
evangelische Würde <strong>und</strong> Gleichheit untereinan<strong>der</strong><br />
– Laien <strong>und</strong> Kleriker, Männer <strong>und</strong> Frauen – wo wir<br />
doch alle durch die gleiche gr<strong>und</strong>legende Aufgabe<br />
<strong>der</strong> Evangelisierung verb<strong>und</strong>en sind? Exportieren<br />
wir unsere alten Probleme <strong>und</strong> Trennungen in die<br />
jungen Kirchen?<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
Was ist über die Erneuerung <strong>des</strong> Ordenslebens <strong>und</strong><br />
unserer Mission „Ad Gentes“ zu sagen? Damit wir<br />
uns nicht selbst betrügen, müssen wir uns daran<br />
erinnern, dass in <strong>der</strong> Natur die Erneuerung zumeist<br />
durch den Tod geschieht. Wenn <strong>der</strong> Samen nicht in<br />
die Erde fällt <strong>und</strong> stirbt, wird er kein Weizenkorn<br />
hervorbringen. Der Tod öffnet uns die Möglichkeit<br />
<strong>des</strong> Fortschritts <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entwicklung, eine Wie<strong>der</strong>geburt<br />
zu Leben, das sehr verschieden ist vom vorhergehenden<br />
Zustand. Vielleicht sollten wir vorbereitet<br />
sein für die nächste Aussaat, <strong>und</strong> wie <strong>der</strong> Same<br />
können wir nur glauben <strong>und</strong> hoffen, dass die unbekannte<br />
Zukunft in uns ist. Vielleicht werden wir<br />
gerade jetzt über die Schwelle in die nächste Periode<br />
gezogen. Oft gibt es Wi<strong>der</strong>stand, wenn die Schöpfung<br />
in eine grenzüberschreitende Entwicklung eintritt.<br />
Neue Energie entsteht durch Reibung, verursacht<br />
durch den Wi<strong>der</strong>stand gegenüber dem evolutionären<br />
Vorwärtsdrängen. Diese neue Energie hilft<br />
dazu, die Schöpfung zu ihrer nächsten Stufe voranzutreiben.<br />
Alle unsere Gemeinschaften, die daheim wie die<br />
im Ausland, müssen sich an die Aufgaben anpassen,<br />
die uns umgeben: die Herausfor<strong>der</strong>ung, kleinere<br />
Gruppen von Christen zu bilden, die ein am Evangelium<br />
orientiertes Leben unter Menschen leben,<br />
die gegenüber dem Reich Gottes gleichgültig, blind<br />
o<strong>der</strong> feindlich eingestellt sind; zu lernen, in internationalen<br />
<strong>und</strong> interkulturellen Gemeinschaften zu<br />
leben, nicht wegen <strong>der</strong> Notwendigkeit, son<strong>der</strong>n<br />
als ein öffentliches Zeugnis für die Solidarität <strong>der</strong><br />
menschlichen Rasse; gemeinsam zu arbeiten, Männer<br />
mit Frauen, Frauen mit Männern; auf einer<br />
geregelten Gr<strong>und</strong>lage mit Menschen an<strong>der</strong>er Religionen<br />
zu leben <strong>und</strong> zu arbeiten; mit <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />
<strong>der</strong> Wissenschaft die Botschaft zu teilen,<br />
dass Gott Teil <strong>der</strong> Schöpfung geworden ist; für die,<br />
die keine Stimme haben, auf öffentlichen Treffen<br />
wie dem Weltgipfel über soziale Entwicklung<br />
(Kopenhagen), <strong>der</strong> Weltfrauenkonferenz (Peking),<br />
<strong>der</strong> Weltkonferenz über Wohnen (Habitat) (Türkei)<br />
zu sprechen.<br />
Lehren über die Erneuerung <strong>des</strong> Ordenslebens <strong>und</strong><br />
unserer Mission „Ad Gentes“ können wir aufnehmen<br />
von unseren kleinen Schwestern <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>n,<br />
den Wasserstoff- <strong>und</strong> Sauerstoffmolekülen; auch<br />
wenn sie als einzelne noch so klar begrenzt <strong>und</strong><br />
177
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
nützlich sind, finden sie doch durch Verschmelzung<br />
neues Leben, indem sie sich selbst verlieren <strong>und</strong> zu<br />
unserer Schwester Wasser werden, die Franziskus<br />
uns als nützlich, demütig, kostbar <strong>und</strong> keusch<br />
besingt. Im Wasser finden Wasserstoff <strong>und</strong> Sauerstoff<br />
eine zeitweilige <strong>und</strong> nützliche Erfüllung, die<br />
nicht vorhersehbar war. Doch ein je<strong>der</strong> muss sich<br />
än<strong>der</strong>n, bekehren, verlieren, um sich zu vereinen,<br />
etwas Neues zu werden. In ihrer frühen Geschichte<br />
wan<strong>der</strong>te die Botschaft <strong>der</strong> Inkarnation aus ihrer<br />
jüdischen Heimat in den Westen; nach Griechenland<br />
<strong>und</strong> Rom, wo es zu einer Fusion zwischen <strong>der</strong><br />
Botschaft <strong>des</strong> Ostens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kultur <strong>des</strong> Westens<br />
kam. Auf vielerlei Weisen ist dieser Austausch o<strong>der</strong><br />
diese Vereinigung <strong>der</strong> Fusion von Wasserstoff <strong>und</strong><br />
Sauerstoff ähnlich, welche unsere fre<strong>und</strong>liche<br />
Schwester Wasser hervorbringen. Eine Frage an uns:<br />
Sind wir persönlich o<strong>der</strong> institutionell vorbereitet,<br />
das Molekül unserer Welt zu bringen <strong>und</strong> es vollständig<br />
mit einer an<strong>der</strong>en Welt verschmelzen zu lassen,<br />
sodass ein neues Verständnis von Inkarnation<br />
<strong>und</strong> ihren Verzweigungen entstehen kann? Was<br />
wäre z.B., wenn <strong>der</strong> Westen seine Welt <strong>der</strong> Theologie<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Reflexion hergeben würde <strong>und</strong> sie von<br />
den Lehren <strong>des</strong> Konfuzius verwandeln <strong>und</strong> inkulturieren<br />
ließe, sodass eine chinesisch katholische Kirche<br />
entstünde?<br />
Viel Ordensleben, wie wir es kannten, liegt im<br />
Sterben <strong>und</strong> wandelt sich zu neuem Leben, das<br />
noch unbekannt, ja ungeahnt ist. Im nächsten<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert, glaube ich, wird es verschiedene Erfahrungen<br />
<strong>des</strong> Ordenslebens in <strong>der</strong> Kirche geben.<br />
Sie werden nicht nur verschieden sein, son<strong>der</strong>n sie<br />
werden von unterschiedlichen Ekklesiologien <strong>und</strong><br />
von sehr verschiedenen sozialen Situationen ausgehen.<br />
In einigen Län<strong>der</strong>n werden Ordensgemeinschaften<br />
aufblühen, wie sie es vor fünfzig, sechzig<br />
Jahren im Norden getan haben. An an<strong>der</strong>en Orten<br />
wird die Antwort auf unser Beten, trotz unserer<br />
besten Absichten <strong>und</strong> Bemühungen, eine kleinere<br />
Zahl, ja sogar das Verschwinden einiger Gemeinschaften<br />
sein, die <strong>der</strong> Kirche in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
sehr gut dienten. Es werden auch neue Formen <strong>des</strong><br />
Ordenslebens aus <strong>der</strong> Kirche für die globale Gesellschaft<br />
hervorgebracht, Formen die mit ihren Vorläufern<br />
in Einklang stehen, aber verschieden sind,<br />
vielleicht so verschieden wie ein Samenkorn<br />
verglichen mit einem Schössling.<br />
178<br />
Wie das blühende Gemeinwesen von Assisi <strong>der</strong><br />
Katalysator für die Neuerung <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Klara war, so können wir erwarten, dass unsere<br />
neue Welt <strong>der</strong> Katalysator sein wird für neue geistliche<br />
Führer, neue Lebensformen, die öffentlich Gott<br />
gewidmet sind. Diese neuen Formen von „Ordensleben“<br />
werden in Frische <strong>und</strong> Kühnheit auf die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen antworten, welche von dem<br />
sich entwickelnden globalen Dorf gestellt werden.<br />
Sie werden wahrscheinlich damit beschäftigt sein,<br />
die Augen jener zu öffnen, welche die offensichtlichen<br />
Teile <strong>des</strong> Reiches Gottes nicht sehen können.<br />
Man muss auf die Gefahr hinweisen, das Ordensleben<br />
unkorrekt zu lesen; eine Gefahr, die sowohl in<br />
den Ortskirchen <strong>des</strong> Südens wie <strong>des</strong> Nordens<br />
besteht: Einige achten nur auf den Aspekt <strong>des</strong><br />
Nutzens <strong>und</strong> verweisen so auf den Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
„Raison d’etre“, dem gr<strong>und</strong>legenden Charisma <strong>des</strong><br />
Ordenslebens, das darin besteht, ein demütiges <strong>und</strong><br />
dennoch prophetisches Zeichen von Gottes liebevoller<br />
Anwesenheit in <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> in <strong>der</strong> gesamten<br />
Schöpfung, ein Zeichen <strong>des</strong> lebendigen Geistes zu<br />
sein, <strong>der</strong> eine neue Inkarnation <strong>des</strong> Evangeliums<br />
entstehen lässt <strong>und</strong> das Kommen <strong>des</strong> Reiches Gottes<br />
in den verschiedenen Kulturen <strong>der</strong> Welt bezeugt.<br />
Ich möchte betonen, dass Ordensleben in seiner<br />
tiefsten Dimension nicht ein Mittel für den pastoralen<br />
Dienst ist. Vielmehr ist es wesentlich in sich<br />
bedeutsam, in seinem <strong>und</strong> durch sein Zeugnis für<br />
Gott <strong>und</strong> die verwandelnde Kraft <strong>des</strong> Evangeliums<br />
in <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Gesellschaft. „Das Apostolat<br />
aller Ordensleute besteht in erster Linie im<br />
Zeugnis ihres geweihten Lebens, das sie durch<br />
Gebet <strong>und</strong> Buße pflegen müssen“ (CIC 673).<br />
Zusammenfassung<br />
Einige beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
1. Der Ruf zu neuen Zielen<br />
Ordensleben lehnt Grenzen ab. (Franziskus antwortet<br />
auf die Bitte von Herrin Armut, ihm die<br />
Zellen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> zu zeigen: „Unser Kloster ist die<br />
Welt“). Öfter wi<strong>der</strong>setzt sich Ordensleben strikten<br />
Definitionen, <strong>der</strong> Benennung struktureller Elemente<br />
<strong>und</strong> geographischer Grenzziehungen. Seiner<br />
Natur nach ist es dynamisch <strong>und</strong> nicht statisch.
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
Ordensleben war oft <strong>der</strong> erste Urheber von Verän<strong>der</strong>ung<br />
in Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft. In seinem<br />
Wesen ist es ein beständiges Trachten nach dem<br />
„Letztgültigen“ in Leben <strong>und</strong> Geschichte, die fortgesetzte<br />
Suche nach <strong>der</strong> Fülle <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Geschichte. Ordensleben atmet <strong>und</strong> feiert die Endzeit<br />
schon im Heute. So ist es Verkündigung, Vorwegnahme<br />
<strong>und</strong> Prophetie. Ordensleben mit seiner<br />
Sendung „Ad Gentes“ ist ein Zeichen <strong>des</strong> Reiches<br />
Gottes mit seiner Spannung zwischen „schon“ <strong>und</strong><br />
„noch nicht“.<br />
Hier einige einfache Fragen für euer Nachdenken<br />
<strong>und</strong> Diskutieren:<br />
■ Sind wir die Anwesenheit <strong>des</strong> auferstandenen<br />
Herrn in <strong>der</strong> Welt?<br />
■ Sind wir die Stimme <strong>des</strong> Armen, die in einer<br />
strukturell ungerechten Welt gehört werden<br />
will?<br />
■ Sind wir ein Schrei nach <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>der</strong><br />
nicht leicht zum Schweigen gebracht wird?<br />
■ Sind wir Zeichen <strong>und</strong> „Sakramente“ eines mitleidenden<br />
Gottes?<br />
■ Sind wir Alternativen zu Habgier, Nationalismus,<br />
Konsumismus, Rassismus, Aufwärtsstreben?<br />
■ Sind wir <strong>Friedens</strong>stifter, bei denen <strong>der</strong> Friede<br />
zuerst in unseren eigenen Herzen <strong>und</strong> in unseren<br />
Gemeinschaften regiert?<br />
■ Sind wir ein Wort <strong>der</strong> Hoffnung, ein Lied <strong>der</strong><br />
Ermutigung <strong>und</strong> Hoffnung für jene, die Mut<br />
brauchen?<br />
■ Sind wir Verwalter unserer Mutter Erde?<br />
■ Sammeln wir den Fremden, den Auslän<strong>der</strong>, die<br />
Witwe, den Waisen, den Flüchtling, den Asylsuchenden,<br />
den Arbeitslosen, den Vergessenen?<br />
■ Sind wir Zeichen einer versöhnten Kirche<br />
(das Problem, internationale Gemeinschaften<br />
zu sein …)?<br />
■ Sind wir die beson<strong>der</strong>e Gabe an die Kirche, die<br />
sie zu ihrer anfänglichen Liebe <strong>und</strong> Jüngerschaft<br />
zurückruft?<br />
2. „Pascha“<br />
Jesu Sendung war ein persönliches „Pascha“<br />
(KENOSIS), ein Hinübergehen von dem, was<br />
vertraut <strong>und</strong> sicher ist, zu einer Welt <strong>der</strong> Sün<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> Ausgestoßenen, <strong>der</strong> Gleichgültigen, <strong>der</strong><br />
Verdorbenen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Unreinen. Eine schöpferische<br />
Nachfolge Jesu muss heute das Hinübergehen unserer<br />
Gemeinschaft in die Lebenswelt <strong>der</strong> Armen in<br />
Betracht ziehen <strong>und</strong> erfüllen; unsere Option für die<br />
Armen führt zu einer Selbstentäußerung in an<strong>der</strong>e<br />
Kontexte <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Kulturen, zu einer echten<br />
Inkulturation.<br />
3. Eine inkulturierte Kirche begründen<br />
Wir sprechen über die Notwendigkeit, aufrichtig<br />
zu handeln, um eine Kirche zu begründen, die<br />
gleichermaßen inkulturiert <strong>und</strong> international<br />
(„katholisch“) ist. Da wir heute den Vorteil <strong>der</strong><br />
Geschichte <strong>und</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Sozialwissenschaften<br />
haben, sollten wir nicht übereilt <strong>und</strong> blind handeln.<br />
Wir müssen sorgfältig sein, um die Gefahr <strong>der</strong><br />
Nicht-Mitteilbarkeit durch einen oberflächlichen<br />
<strong>und</strong> fehlerhaften Entwurf von Inkulturation zu vermeiden.<br />
Wir müssen auch auf <strong>der</strong> Hut sein vor<br />
einem neuen Nationalismus, <strong>der</strong> sich in <strong>der</strong> Sprache<br />
<strong>der</strong> Inkulturation <strong>und</strong> <strong>der</strong> „Ehrfurcht vor den<br />
Kulturen“ verbergen kann. Ein wesentlicher Teil<br />
unserer Mission „Ad Gentes“ besteht darin, vermeiden<br />
zu helfen, dass Menschen in die Falle <strong>der</strong><br />
zerstörerischen Elemente <strong>des</strong> Stammesdenkens<br />
gelockt zu werden. Doch bevor wir an an<strong>der</strong>e Orte<br />
gehen, um an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schwestern Ratschläge<br />
zu geben, müssen wir sicherstellen, dass wir<br />
die gleichen menschlichen Probleme innerhalb<br />
unserer eigenen Gemeinschaften angegangen<br />
sind.<br />
4. Die Würde <strong>und</strong> Gleichheit<br />
<strong>des</strong> Evangeliums bezeugen<br />
Dieser letzte Punkt bringt mich zu <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
dass wir durch unser Zeugnis für die Würde<br />
<strong>und</strong> die Gleichheit <strong>des</strong> Evangeliums evangelisieren,<br />
die wir unter uns selbst verwirklichen. Wir haben<br />
weiterhin historische Probleme, die die Beziehungen<br />
zwischen Laien <strong>und</strong> Klerikern, zwischen Männern<br />
<strong>und</strong> Frauen betreffen, <strong>und</strong> doch sind alle<br />
untereinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en durch die gleiche gr<strong>und</strong>legende<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Evangelisierung. Es ist für uns<br />
als religiöse Gemeinschaften wichtig, uns zu überprüfen<br />
<strong>und</strong> zu fragen: Exportieren wir unsere alten<br />
Probleme <strong>und</strong> Trennungen in die jungen Kirchen?<br />
Versöhnung muss täglich unter uns stattfinden,<br />
wenn wir hoffen, Zeugen <strong>des</strong> Reiches Gottes unter<br />
an<strong>der</strong>en Nationen, Stämmen <strong>und</strong> Kulturen zu sein.<br />
179
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
Die Botschaft, die wir durch Wort <strong>und</strong> Tat predigen,<br />
muss eine inkarnierte Botschaft sein, d.h. sie<br />
muss unsere feste Überzeugung deutlich machen,<br />
dass Gott die Schöpfung <strong>und</strong> unsere Gesellschaften<br />
ernst nimmt. Mission „Ad Gentes“ muss die Klugheit<br />
<strong>und</strong> die Verpflichtung für den Kampf an <strong>der</strong><br />
Seite <strong>des</strong> Armen einschließen, wie es die Soziallehre<br />
<strong>der</strong> Kirche beschrieben hat. Unsere Arbeit für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden ist ein unerlässlicher Teil<br />
<strong>der</strong> Evangelisierung. Dialog ist ein wesentliches Element<br />
unserer Mission „Ad Gentes“ – ein Dialog,<br />
wie er auf öffentliche Weise auf dem berühmten<br />
Treffen <strong>der</strong> Weltreligionen 1986 in Assisi stattgef<strong>und</strong>en<br />
hat.<br />
180<br />
Hermann Schalück <strong>OFM</strong><br />
c) <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Pfarrarbeit<br />
Im Mittelpunkt dieses Abschnittes steht die Frage,<br />
wie wir die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in die Pfarrarbeit integrieren<br />
können?<br />
Um uns in <strong>der</strong> Reflexion zu helfen, verfolgen wir<br />
das folgende Ziel: <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung sind ein gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />
Teil <strong>der</strong> Pfarrarbeit <strong>und</strong> nicht die Aufgabe weniger<br />
Spezialisten.<br />
Wir hoffen, dass die folgenden Ideen <strong>und</strong> praktischen<br />
Hinweise dem pfarrlichen Engagement für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie helfen mögen.<br />
Wir betrachten folgende Fel<strong>der</strong>:<br />
1. Der dreifache Dienst Jesu<br />
2. Die sozialen <strong>und</strong> prophetischen Dienste<br />
3. Die Pfarrei <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Gruppen<br />
4. Die Ausbildung <strong>der</strong> Leiter<br />
5. Das Volk verstehen<br />
6. Die Rolle <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />
Der dreifache Dienst Jesu<br />
Jede Pfarrei versucht in unterschiedlichen Graden in<br />
ihren Strukturen <strong>und</strong> Projekten den dreifachen<br />
Dienst Jesu (prophetischer, liturgischer <strong>und</strong> sozialer<br />
Dienst) zu integrieren.<br />
Es ist schwierig, eine ausgewogene Pastoral zu entwickeln.<br />
Manchmal entwickelt sich ein Dienst zum<br />
Schaden <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Es ist leichter, die Menschen<br />
für die liturgischen <strong>und</strong> sakramentalen Dienste zu<br />
begeistern, als für die sozialen <strong>und</strong> prophetischen.<br />
Das Ziel einer ausgewogenen Pastoral liegt darin,<br />
Jesus <strong>und</strong> sein Evangelium in seiner Entschiedenheit<br />
darzustellen <strong>und</strong> nicht nur Aspekte, die uns<br />
gefallen o<strong>der</strong> die leichter zu vermitteln sind.<br />
Mit Klarheit in diesem Punkt ist es leichter, <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Ökologie in die Pfarrarbeit zu<br />
integrieren. Eine gute Koordination <strong>der</strong> Dienste ist<br />
gr<strong>und</strong>legend. Damit entstehen eine Reihe von<br />
Schwierigkeiten: Die Unabhängigkeit von Gruppen<br />
<strong>und</strong> Bewegungen, ein Zusammenbrechen <strong>der</strong> Einheit<br />
<strong>und</strong> die Unfähigkeit, gemeinsame Ziele zu verfolgen.<br />
Wir schlagen vor, dass jede Pfarrei sich um einen<br />
koordinierten <strong>und</strong> teilnehmenden Pfarrgemein<strong>der</strong>at
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
bemüht, in dem Menschen <strong>der</strong> verschiedenen kirchlichen<br />
Gruppen <strong>und</strong> Dienste vertreten sind. Im<br />
Blick auf das Tempo, die Kultur <strong>und</strong> die sozial-politische<br />
<strong>und</strong> religiöse Situation <strong>der</strong> Menschen ist es<br />
wesentlich, einen Pastoralplan mit Schwerpunkten<br />
auszuarbeiten, die ausgewertet werden können.<br />
Die sozialen <strong>und</strong> prophetischen Dienste<br />
Das Team <strong>und</strong> die Kommissionen <strong>der</strong> sozialen<br />
<strong>und</strong> prophetischen Dienste sind direkt, aber nicht<br />
ausschließlich für die För<strong>der</strong>ung von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Ökologie in <strong>der</strong> Pfarrei verantwortlich.<br />
Entsprechend <strong>der</strong> Pfarreistudie über die sozio-ökonomische<br />
<strong>und</strong> politische Wirklichkeit (Diagnose),<br />
soweit vorhanden, können diese Kommissionen<br />
Bereiche <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> verletzlichsten<br />
Gruppen ausmachen, die Aufmerksamkeit<br />
verlangen. Keine Pfarrei kann auf alle Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
antworten. Deshalb ist es notwendig,<br />
eine Liste <strong>der</strong> dringendsten Anliegen zur Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Menschen aufzustellen, die man in den<br />
Mittelpunkt stellen will, <strong>und</strong> <strong>der</strong> damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Themen, die durch die Gemeinschaften <strong>und</strong><br />
Gruppen <strong>der</strong> Pfarrei bedacht werden müssen.<br />
Ob das Problem Mangel an Wasser, Umweltverschmutzung,<br />
vertriebene Menschen o<strong>der</strong> Ablehnung<br />
einer bestimmten Gruppe heißt, es ist für die<br />
Pfarrei möglich, einen Prozess <strong>des</strong> Nachdenkens in<br />
Gang zu setzen mit dem Ziel, geeignete Aktionen<br />
vorzubereiten, welche die Situation beheben. Aktionen<br />
sollten die Frucht <strong>des</strong> Nachdenkens sein <strong>und</strong><br />
wo möglich unter Beteiligung <strong>der</strong> größtmöglichen<br />
Zahl an Pfarrmitglie<strong>der</strong>n; wenn die Arbeit ausgeführt<br />
ist, sollte sie ausgewertet werden. Oft sind die<br />
Ergebnisse weniger wichtig als <strong>der</strong> gemeinsam<br />
gestaltete Prozess. Viele Initiativen werden fehlschlagen,<br />
doch einige schließlich Erfolg haben. Projekte,<br />
an denen alle beteiligt sind <strong>und</strong> die manchmal<br />
fehlschlagen, sind besser als erfolgreiche Projekte<br />
von wenigen. Es ist besser eine Schlacht zu verlieren<br />
<strong>und</strong> den Krieg zu gewinnen.<br />
Gleichzeitig wird es aber immer beson<strong>der</strong>e Fel<strong>der</strong><br />
geben, die unmittelbares Handeln durch wenige<br />
erfor<strong>der</strong>n. Nicht die Anzahl <strong>der</strong> Initiativen o<strong>der</strong><br />
Antworten auf lokale, nationale <strong>und</strong> internationale<br />
Probleme zählt, son<strong>der</strong>n dass sie koordiniert werden<br />
<strong>und</strong> dass die gesamte Gemeinschaft in den Informationsprozess<br />
einbezogen wird.<br />
Es ist nicht ratsam, die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Ökologie auf wenige Spezialisten zu<br />
reduzieren. Wenn Menschen diese Arbeit mit einer<br />
bestimmten Gruppe identifizieren, dann liegt es in<br />
<strong>der</strong> menschlichen Natur, dass man dieser die Arbeit<br />
überlässt. Jede Arbeit wird von wenigen begonnen.<br />
Diese wenigen sollten jedoch die Weitsicht besitzen,<br />
an<strong>der</strong>e zu beteiligen, <strong>und</strong> bereit sein, Verantwortlichkeiten<br />
<strong>und</strong> Führung zu übertragen, wenn es<br />
geboten ist.<br />
Die Pfarrei <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Gruppen<br />
1. Pfarreien sind nicht die Einzigen, die sich mit<br />
Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie<br />
beschäftigen. Stärke besteht in dem Maße, wie<br />
Menschen geeint sind. Die Pfarrei sollte es sich<br />
zur Aufgabe machen, alle an<strong>der</strong>en Gruppen,<br />
Organisationen <strong>und</strong> Kirchen kennenzulernen, die<br />
Leben <strong>und</strong> menschliche Würde för<strong>der</strong>n: Gemeinschaftsorganisationen,<br />
politische Parteien, Gewerkschaften,<br />
Vereine, Stadträte, protestantische <strong>und</strong><br />
orthodoxe Kirchen, an<strong>der</strong>e Konfessionen <strong>und</strong><br />
religiöse Gemeinschaften. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit<br />
sollte darauf verwandt werden, die Ziele <strong>und</strong><br />
die Projekte <strong>der</strong> lokalen Diözese zu kennen, <strong>und</strong><br />
auf die Frage, wie man sich mit diesen koordinieren<br />
kann.<br />
2. Die Ziele aller Gruppen <strong>und</strong> ihr Handeln<br />
sollten kritisch analysiert werden.<br />
3. Wenn die Werte <strong>des</strong> Evangeliums geachtet<br />
werden, ist es besser, mit diesen Gruppen zusammenzuarbeiten<br />
als mit ihnen zu konkurrieren.<br />
4. Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit die Koordination<br />
<strong>und</strong> die Ergebnisse <strong>der</strong> Arbeit auszuwerten,<br />
um Manipulation durch einzelne Gruppen zu<br />
vermeiden.<br />
5. Soweit möglich sollte die Pfarrei an<strong>der</strong>e Gruppen<br />
einladen, an ihren Initiativen mitzuarbeiten, <strong>und</strong><br />
niemanden guten Willens ausschließen.<br />
Die Ausbildung <strong>der</strong> Leiter<br />
1. Die Leiter <strong>des</strong> Dienstes für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Ökologie benötigen eine Anfangsausbildung<br />
<strong>und</strong> ständige Fortbildung: Theologie, Sozial-<br />
181
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
lehre <strong>der</strong> Kirche, franziskanische Spiritualität, organisatorischer<br />
<strong>und</strong> technischer Art, usw.<br />
2. Wir schlagen vor, dass die Leiter für eine gewisse<br />
Zeit aktiv am Leben <strong>der</strong> Pfarrei teilgenommen<br />
haben, bevor sie sich Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Ökologie unmittelbar zuwenden. Es ist<br />
leicht, überrollt zu werden <strong>und</strong> die christliche Perspektive<br />
in dieser Arbeit zu verlieren.<br />
3. Die Verantwortlichen bedürfen einer ausgewogenen<br />
Spiritualität.<br />
4. Sie sollten Kontakt mit an<strong>der</strong>en kirchlichen<br />
Gruppen gehabt haben o<strong>der</strong> sie zumin<strong>des</strong>t kennen.<br />
5. Von den Gemeinschaften geschätzt <strong>und</strong> angenommen<br />
sein.<br />
6. Klug <strong>und</strong> risikobereit sein.<br />
7. Nicht mit <strong>der</strong> Führung einer politischen Partei<br />
verb<strong>und</strong>en sein.<br />
Das Volk verstehen<br />
Normalerweise scheuen Menschen vor Themen<br />
von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie zurück<br />
aus Furcht (in Län<strong>der</strong>n mit Konflikten) o<strong>der</strong><br />
aus einem dualistischen Verständnis von Heiligkeit<br />
o<strong>der</strong> wegen Projekten, die schlecht durchdacht,<br />
ärmlich unterstützt <strong>und</strong> fehlgeschlagen<br />
sind.<br />
Man muss mit dem Volk Schritt halten. Ohne eine<br />
gute religiöse <strong>und</strong> eine umfassende Erziehung kann<br />
man wenig erwarten. Wenn offensichtlich wird,<br />
dass die För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
ein gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Teil <strong>der</strong> Heiligkeit ist,<br />
dann kann einiges erreicht werden.<br />
Wie kann man Menschen begeistern?<br />
1. Zu Beginn wähle Projekte o<strong>der</strong> einfache Aktivitäten<br />
aus, die Menschen nicht überfor<strong>der</strong>n. Es gibt<br />
nichts, was mehr motiviert, als Erfolg.<br />
2. Vermeide zunächst umstrittene <strong>und</strong> riskante Projekte.<br />
3. Am Anfang ist es wichtig, dass die Projekte dem<br />
entsprechen, was die Mehrheit fühlt.<br />
4. Wähle Verantwortliche <strong>und</strong> Schlüsselpersonen<br />
aus: besser noch, wenn sie motivieren können.<br />
5. Dränge keine Projekte auf, egal wie wichtig sie<br />
sind.<br />
6. Stelle Kontinuität in <strong>der</strong> Leitung sicher.<br />
7. Kläre Ziele <strong>und</strong> werte aus.<br />
182<br />
Die Rolle <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />
1. Begleite den Prozess <strong>der</strong> Diagnose <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Planung <strong>der</strong> Pfarrei.<br />
2. Höre mit Ehrfurcht auf die Vorschläge<br />
<strong>der</strong> Menschen.<br />
3. Unterstütze aktiv die Initiativen <strong>der</strong> sozialen<br />
Dienste, die sich um <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung bemühen.<br />
4. Unterstützung bedeutet nicht notwendigerweise<br />
die unmittelbare Beteiligung o<strong>der</strong> die physische<br />
Anwesenheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>.<br />
5. Wirtschaftliche, logistische <strong>und</strong> motivierende<br />
Unterstützung <strong>der</strong> Gruppen durch die Brü<strong>der</strong>.<br />
6. Vermeide Heldentum <strong>und</strong> das Entstehen <strong>der</strong><br />
Abhängigkeit von den Brü<strong>der</strong>n.<br />
7. Nach einer gewissen Zeit sollte die Beteiligung<br />
weniger werden.<br />
8. Wir sind nicht ewig in einer Pfarrei. Nach unserem<br />
Weggang bleibt die Pfarrgemeinschaft allein<br />
mit ihrer Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Ökologie.<br />
Geraoid Ó Conaire <strong>OFM</strong>
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
d) Wortverkündigung<br />
Wortverkündigung<br />
Seit Jahrh<strong>und</strong>erten sind Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung ein Teil <strong>der</strong><br />
Wortverkündigung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>. Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Fastenpredigten <strong>des</strong> Antonius im Jahr 1231 erließen<br />
die Bürger von Padua ein Gesetz gegen die Inhaftierung<br />
von Schuldnern. Prediger-Brü<strong>der</strong> hatten eine<br />
Rolle beim Beginn <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verbreitung <strong>der</strong> Leihhäuser,<br />
welche es den Menschen gestatteten, Kapital<br />
aufzunehmen ohne hohe Zinsen an die Banken zahlen<br />
zu müssen. Schriftsteller <strong>und</strong> Prediger haben die<br />
Rechte <strong>der</strong> einheimischen Völker in verschiedenen<br />
Kontinenten verteidigt. Brü<strong>der</strong> haben sich mit<br />
an<strong>der</strong>en Teilen <strong>der</strong> franziskanischen Familie zusammengetan,<br />
um je<strong>des</strong> <strong>der</strong> sieben GFBS-Themen<br />
zu betrachten, die in Teil II dieses Handbuches dargestellt<br />
sind.<br />
In allen Diensten stehen die Brü<strong>der</strong> vor einer<br />
doppelten Herausfor<strong>der</strong>ung, die vom hl. Franziskus<br />
in <strong>der</strong> Regel von 1223 festgelegt wird: das heilige<br />
Evangelium beobachten (Kapitel 1) durch ein<br />
leidenschaftliches Leben nach den evangelischen<br />
Räten, ohne das Recht in Anspruch zu nehmen,<br />
jene zu verurteilen, „die sie weiche <strong>und</strong> farbenfrohe<br />
Klei<strong>der</strong> tragen <strong>und</strong> sich auserlesener Speisen <strong>und</strong><br />
Getränke bedienen sehen“ (Kapitel 2). Ein Hauptgr<strong>und</strong>,<br />
warum Franziskus von Assisi seine Zeitgenossen<br />
<strong>und</strong> nachfolgende Generationen so tief<br />
beeinflusste, liegt darin, dass er die Leidenschaft<br />
für ein Leben nach dem heiligen Evangelium mit<br />
einem scharfem Gespür seiner eigenen Unvollkommenheit,<br />
dies zu tun, verband. Menschen haben<br />
<strong>des</strong>wegen Franziskus als einen vollständigen <strong>und</strong><br />
durchscheinenden Menschen angesehen, <strong>der</strong><br />
immer suchte, noch großzügiger auf Gottes überfließende<br />
Gnade zu antworten. Franziskus for<strong>der</strong>te<br />
sie dazu auf <strong>und</strong> ermutigte sie „von neuem zu<br />
beginnen“.<br />
Wenn Brü<strong>der</strong> die Notwendigkeit <strong>der</strong> Demut beachtet<br />
haben sowie die Leidenschaft, das Evangelium zu<br />
leben, dann haben sie ihre Zeitgenossen erfolgreich<br />
beeinflusst, die Bedingungen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden zu verbessern. Wenn Brü<strong>der</strong> im leidenschaftlichen<br />
Leben <strong>des</strong> Evangeliums geglänzt haben,<br />
aber es ihnen an Demut fehlte in Bezug auf ihre<br />
Unvollkommenheit, dies zu tun, dann waren jene<br />
Brü<strong>der</strong> Gegenzeichen für das Reich Gottes <strong>und</strong> hatten<br />
keinen Erfolg, die Bedingungen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden zu verbessern.<br />
Ein Ungleichgewicht von Leidenschaft <strong>und</strong> Demut<br />
hat das evangelische Zeugnis <strong>der</strong> Franziskaner in<br />
<strong>der</strong> Vergangenheit gehemmt <strong>und</strong> kann es auch in<br />
<strong>der</strong> Zukunft wie<strong>der</strong> hemmen, in jedem Dienst.<br />
Praktische Erfahrung mit den Ausgegrenzten <strong>und</strong><br />
den Armen wird im Leben <strong>und</strong> im Dienst eines<br />
jeden Bru<strong>der</strong>s reiche Frucht bringen. Untenstehend<br />
sind einige wenige Möglichkeiten aufgelistet,<br />
Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung durch volkstümliche Predigt,<br />
Schriften <strong>und</strong> Radio/Fernsehen/Medien zu verbreiten,<br />
ungeachtet <strong>des</strong>sen ob die Brü<strong>der</strong> bewusst eine<br />
Verbindung herstellen zwischen Leben/Dienst<br />
<strong>und</strong> GFBS-Themen.<br />
Schriftapostolat<br />
■ Artikel auf populärwissenschaftlichen Niveau in<br />
franziskanischen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Veröffentlichungen,<br />
die Initiativen vorstellen bezüglich <strong>der</strong> sieben<br />
Themen von Teil II dieses Handbuches,<br />
■ Interviews mit Franziskanern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Prominenten in diesen sieben Bereichen,<br />
■ Leserbriefe an den Herausgeber, um gute Artikel<br />
zu GFBS-Themen zu loben o<strong>der</strong> gegen<br />
falsche Darstellungen (z.B. Karikaturen) in<br />
diesen Bereichen zu protestieren,<br />
■ Versöhnung innerhalb <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Menschheitsfamilie för<strong>der</strong>n,<br />
■ für franziskanische Veröffentlichungen: <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
für die Mitarbeiter in Bezug auf Lohn,<br />
Pension <strong>und</strong> Beför<strong>der</strong>ung sicherstellen,<br />
■ mit Brü<strong>der</strong>n, die näher an <strong>der</strong> Frontlinie dieser<br />
Themen stehen, Kontakt halten (ihre Beiträge<br />
im R<strong>und</strong>brief <strong>der</strong> Provinz, Besuche o<strong>der</strong> persönliche<br />
Briefe an <strong>und</strong> von solchen Brü<strong>der</strong>n),<br />
■ sich in Teilzeit in Diensten in einem <strong>der</strong> sieben<br />
Bereiche direkt engagieren (z.B. Gefängnisseelsorge,<br />
Suppenküche, Anwalts- <strong>und</strong> Lobbytätigkeit),<br />
<strong>und</strong><br />
■ wissenschaftliche Veröffentlichungen (Artikel<br />
o<strong>der</strong> Bücher) erarbeiten in den sieben Bereichen<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />
183
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
Radio/Fernsehen/Medien<br />
■ Son<strong>der</strong>- o<strong>der</strong> ständige Sendungen zu diesen<br />
sieben Themen unter Verwendung möglichst<br />
vieler Interviews,<br />
■ einige Radiosen<strong>der</strong> haben z.B. regelmäßige<br />
Programme, um die Fähigkeit zu lesen <strong>und</strong> zu<br />
schreiben zu för<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> die Ges<strong>und</strong>heitserziehung<br />
zu verbessern,<br />
■ engagiere Brü<strong>der</strong>-Missionare <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Brü<strong>der</strong> zu Interviews,<br />
■ arbeite mit an<strong>der</strong>en, religiösen wie zivilen<br />
Gruppen zusammen, um Programme herzustellen,<br />
die diese sieben Themen verbreiten,<br />
■ erstelle Programme, die diese sieben Themen<br />
verbreiten, zur Nutzung auf Provinz- <strong>und</strong> auf<br />
Konferenzebene, <strong>und</strong><br />
■ <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Mitarbeiter in Bezug<br />
auf Lohn, Pension <strong>und</strong> Beför<strong>der</strong>ung.<br />
Volksmissionen in Pfarreien<br />
■ verweise auf Pfarrpartnerschaften (innerhalb<br />
<strong>der</strong> gleichen Diözese, Land o<strong>der</strong> auf internationaler<br />
Ebene) als etwas, was bereits getan wird<br />
o<strong>der</strong> als eine Möglichkeit, die erk<strong>und</strong>et werden<br />
kann,<br />
■ überprüfe die bereits in Gang gekommenen<br />
Gespräche; wenn möglich, nimm neues Material<br />
von einem o<strong>der</strong> mehreren <strong>der</strong> sieben Themen<br />
auf,<br />
■ persönliches Zeugnis <strong>des</strong> Predigers über seine<br />
wachsende Wertschätzung für eines o<strong>der</strong><br />
mehrere dieser sieben Themen,<br />
■ in <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong> Menschen auf das<br />
Sakrament <strong>der</strong> Versöhnung: nimm Elemente<br />
von diesen sieben Themen in die Gewissenserforschung<br />
mit auf (z.B. das Erzählen von rassistischen<br />
o<strong>der</strong> sexistischen Witzen),<br />
■ for<strong>der</strong>e die Zuhörer auf, sich besser über diese<br />
sieben Themen zu informieren,<br />
■ überlege, ob die gesamte o<strong>der</strong> ein Teil <strong>der</strong> Mission<br />
nicht mit einer Frau im Team durchgeführt<br />
werden kann,<br />
■ verwende geeignete audiovisuelle Materialien<br />
für diese Themen <strong>und</strong> weise in den Gesprächen<br />
auf die Gefahr einer privatisierten Religion hin,<br />
die keine sozialen Konsequenzen hat.<br />
184<br />
Besinnungszeiten<br />
■ entwickle Impulse, die möglichst viel von<br />
diesen sieben Themen beinhalten,<br />
■ ermutige Menschen, die an Besinnungstagen<br />
teilnehmen, den Platz dieser sieben Themen in<br />
ihren Leben zu überprüfen, beson<strong>der</strong>s das sich<br />
wandelnde Verständnis eines beson<strong>der</strong>en<br />
Themas <strong>und</strong> ihre Möglichkeiten für direktes<br />
Handeln (z.B. Freiwilligentätigkeit),<br />
■ verwende geeignete audiovisuelle Materialien<br />
für diese Themen,<br />
■ überlege, ob die gesamte Mission o<strong>der</strong> ein Teil<br />
davon nicht mit einer Frau im Team durchgeführt<br />
werden kann,<br />
■ erk<strong>und</strong>ige dich bei <strong>der</strong> Kontaktperson <strong>der</strong><br />
Gruppe über den Stand o<strong>der</strong> die jüngere<br />
Geschichte eines <strong>der</strong> sieben Themen für diese<br />
Gruppe,<br />
■ nimm, soweit möglich, Bezug auf lokale Initiativen<br />
zu den sieben Themen,<br />
■ empfehle Bücher, Zeitschriften o<strong>der</strong> Filme, um<br />
die Erziehung <strong>und</strong> das Nachdenken <strong>der</strong>er, die<br />
an Besinnungszeiten teilnehmen, hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> sieben Themen weiter zu för<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> teile<br />
persönliche Erfahrungen <strong>des</strong> Wachstums in<br />
Bezug auf diese Themen mit.<br />
Patrick McCloskey <strong>OFM</strong>
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
e) Erziehungsarbeit<br />
„Wenn wir Frieden in <strong>der</strong> Welt erreichen wollen, dann<br />
müssen wir mit den Kin<strong>der</strong>n beginnen. Und wenn sie<br />
in ihrer natürlichen Unschuld aufwachsen, dann müssen<br />
wir nicht vergeblich ideale Resolutionen billigen,<br />
son<strong>der</strong>n wir werden von Liebe zu Liebe <strong>und</strong> von Frieden<br />
zu Frieden schreiten, bis zuletzt alle Winkel <strong>der</strong><br />
Welt mit Frieden <strong>und</strong> Liebe erfüllt sind, nach denen<br />
die ganze Welt bewusst o<strong>der</strong> unbewusst hungert.“<br />
(Mahatma Gandhi)<br />
„… Die Nationen sind mit falschen Zielen groß<br />
gemacht worden. Unsere Schulbücher verherrlichen<br />
Kriege <strong>und</strong> verstecken <strong>der</strong>en Greueltaten. Sie indoktrinieren<br />
Kin<strong>der</strong> mit Hass. Ich würde lieber Frieden<br />
lernen als Hass, lieber Liebe als Krieg. Die Schulbücher<br />
müssen neu geschrieben werden. Anstatt alte<br />
Konflikte <strong>und</strong> Vorurteile fortzusetzen, müssen die<br />
Erziehungssysteme mit einem neuen Geist erfüllt<br />
werden. Unsere Erziehung beginnt in <strong>der</strong> Wiege:<br />
die Mütter <strong>der</strong> gesamten Welt haben Verantwortung<br />
dafür, ihre Kin<strong>der</strong> im Sinn eines immerwährenden<br />
<strong>Friedens</strong> zu erziehen …“ (Albert Einstein)<br />
Einführung<br />
Wir wissen, dass für die meisten Brü<strong>der</strong> Zeit <strong>und</strong><br />
Mittel schon bis zum äußersten beansprucht sind.<br />
Wir sehen, dass bereits enorme Anstrengungen in<br />
<strong>der</strong> Erziehungsarbeit unternommen werden. Trotzdem<br />
möchten wir gerne Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung innerhalb dieses Dienstes hervorheben<br />
– Themen, die irgendwie durch die Erziehungsstrukturen<br />
überall auf <strong>der</strong> Welt vernachlässigt worden<br />
sind. Da viele unserer Brü<strong>der</strong> aktiv am Lehrbetrieb<br />
teilnehmen, können sie die Themen för<strong>der</strong>n,<br />
die ein wesentlicher Bestandteil unseres franziskanischen<br />
Charismas sind. Dieses Handbuch <strong>und</strong> dieser<br />
Artikel stellen nicht den Versuch eines umfassenden<br />
Programms für weltweite Anwendung dar. Vielmehr<br />
blicken wir auf den Einsatz <strong>und</strong> die schöpferische<br />
Tätigkeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, die notwendigen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
in den Erziehungssystemen ihrer Län<strong>der</strong> zu<br />
beeinflussen, um <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Geist <strong>und</strong> Lehrpläne<br />
<strong>der</strong> Schulen aufzunehmen. Wir ermutigen Brü<strong>der</strong>,<br />
die Bedeutung von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung mitteilen zu helfen, insbeson<strong>der</strong>e<br />
im Unterrichten über an<strong>der</strong>e, beson<strong>der</strong>s<br />
über die Armen <strong>und</strong> die Menschen am Rande <strong>der</strong><br />
Gesellschaft; nachzudenken über christliche <strong>und</strong><br />
franziskanische Lehren zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Gemeinschaft<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />
Allgemeine Zielsetzung<br />
In dem gegenwärtigen Klima von Spannung zwischen<br />
Nationen mit <strong>der</strong> Macht unsere Schwester,<br />
Mutter Erde, zu zerstören, ist die Notwendigkeit<br />
offensichtlich, neue Initiativen <strong>der</strong> Erziehung zu<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
zu entwickeln. Es ist nicht länger angebracht,<br />
zu lernen, wie man Konflikte vermeidet, son<strong>der</strong>n<br />
wie man die positive Weise <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>tiftens för<strong>der</strong>t;<br />
auch reicht es nicht hin, neue Technologien zu<br />
entwickeln, um die ökologischen Probleme zu<br />
lösen, es ist vielmehr wichtig, eine liebende Verantwortung<br />
für die Schöpfung zu entwickeln. Das physische<br />
Überleben <strong>des</strong> Lebens auf <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> das<br />
spirituelle Überleben <strong>der</strong> menschlichen Rasse erfor<strong>der</strong>n,<br />
dass die Erziehung zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zum Hauptthema<br />
<strong>der</strong> Erziehung wird <strong>und</strong> nicht nur ein Thema unter<br />
vielen ist. Eine solche Erziehung ist im weitesten<br />
Sinn als eine Graswurzelpädagogik zu verstehen, die<br />
in vielen verschiedenen Situationen eingesetzt werden<br />
kann. Ihr Ziel liegt darin, die Ehrfurcht vor<br />
dem An<strong>der</strong>ssein aller Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> gesamten<br />
Schöpfung zu för<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> führt in Richtung <strong>des</strong><br />
letzten Zieles, sie zu lieben. In einem Verhalten, das<br />
durch diese Art von Erziehung erworben wird, werden<br />
die REALPOLITIK politischen Denkens <strong>und</strong> politischer<br />
Bemühungen um Frieden <strong>und</strong> um eine<br />
„nachhaltige Entwicklung“ versagen, die „Wirklichkeit“<br />
authentisch zu deuten. Diese Art von Erziehung<br />
wird zu einem Ruf nach einer alternativen<br />
Politik führen, die den „Realismus“ <strong>der</strong> Realpolitik<br />
ausweitet, um die Wirklichkeit einer tiefgreifenden<br />
Versöhnung unter den Menschen <strong>und</strong> die einer<br />
„nachhaltiger Entwicklung“ zu umfassen, die das<br />
Wohl <strong>der</strong> gesamten, auch <strong>der</strong> nicht menschlichen<br />
Schöpfung im Blick hat.<br />
Es gibt viele Konflikte in den Schulen überall auf<br />
<strong>der</strong> Welt, Konflikte, die zu häufig einen zerstörerischen<br />
Verlauf nehmen. Sie bleiben ungelöst <strong>und</strong><br />
Spannungen bilden sich; Überfälle auf Kin<strong>der</strong>, Lehrer<br />
<strong>und</strong> Eigentum sind an <strong>der</strong> Tagesordnung. Erzieherische<br />
Institutionen, die ein positives Umfeld<br />
185
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
bereitstellen sollten, um dem Trend zu Gewalt zu<br />
wi<strong>der</strong>stehen, sind selten erfolgreich im Umgang mit<br />
<strong>der</strong> Ursache unsozialen Verhaltens. Sie ziehen sich<br />
oft auf Sicherheitsmaßnahmen zurück <strong>und</strong> unternehmen<br />
feindliche Aktionen gegen die Übeltäter.<br />
Doch <strong>der</strong> Versuch, Gewalt durch Methoden auszurotten,<br />
die selbst gewalttätig gegen konfliktbereite<br />
Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche sind, bestätigt diese nur<br />
darin, dass Gewalt eine akzeptierte, wenn nicht<br />
sogar vorzuziehende Methode ist, Probleme in<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft zu lösen. Solche Methoden entmenschlichen<br />
<strong>und</strong> versagen darin, den Jugendlichen<br />
positive Alternativen zu gewalttätigen Verhaltensmustern<br />
aufzuzeigen. Sie lernen mehr von <strong>der</strong> Art<br />
<strong>und</strong> Weise, wie wir auf Aggression <strong>und</strong> Konflikte<br />
reagieren, als von unseren Worten. Was wir sagen<br />
ist wichtig, doch es muss mit unserem Tun übereinstimmen.<br />
Viele Menschen entwickeln niemals Verhaltensweisen<br />
<strong>und</strong> Fähigkeiten, um erfolgreich Konflikte zu<br />
meistern, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnen.<br />
Ein großer Teil ihres Wissens <strong>der</strong> Konfliktbewältigung<br />
haben sie zufällig erworben <strong>und</strong> unter<br />
Umständen, die zerstörerische Methoden betonen<br />
(Fernsehen, Video, Film). Wenn Kin<strong>der</strong> systematisch<br />
gelehrt werden, wie sie Konflikte konstruktiv<br />
handhaben können, werden sie weniger verletzbar<br />
sein gegenüber emotionaler Störung, Suizid, Gewalt<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Formen unsozialen Verhaltens. Darüber<br />
hinaus müssen wir die jüngere Generation<br />
vorbereiten, konstruktiv mit den Konflikten umzugehen,<br />
die im Nuklearzeitalter zwischen Nationen<br />
unvermeidlich entstehen.<br />
Gewaltlosigkeit besteht nicht nur darin, Kriege zu<br />
verhin<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n auch darin, in unseren eigenen<br />
Herzen Frieden zu schaffen. Frieden durch Gewaltlosigkeit<br />
zu lehren gibt den jungen Menschen die<br />
Möglichkeit, eine Philosophie <strong>der</strong> Stärke zu entwickeln:<br />
die Stärke <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>der</strong> Liebe, <strong>des</strong><br />
Teilens <strong>des</strong> Reichtums, <strong>des</strong> organisierten Wi<strong>der</strong>stands<br />
gegen korrupte Macht, die Stärke <strong>der</strong> Ideen.<br />
Schulen sollten Schüler mit Ideen ausstatten <strong>und</strong> sie<br />
mit <strong>der</strong> Geschichte <strong>und</strong> den Techniken von Gewaltlosigkeit<br />
vertraut machen <strong>und</strong> mit den Menschen,<br />
die sie praktiziert haben. Die Entscheidung nach<br />
<strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> gewaltlosen Kraft zu leben, ist<br />
die Entscheidung für Jesus anstelle Cäsars, für den<br />
186<br />
hl. Franziskus anstelle Napoleons, usw. Kurse in<br />
Gewaltlosigkeit sollten im Kin<strong>der</strong>garten beginnen<br />
<strong>und</strong> dann in Gr<strong>und</strong>-, Haupt-, Real-, Berufsschule<br />
<strong>und</strong> Gymnasium andauern.<br />
Es ist oft unrealistisch zu hoffen, Konflikte durch<br />
Gewaltlosigkeit zu lösen (Verhandlungen, Kompromiss,<br />
organisierter Wi<strong>der</strong>stand, Nicht-Zusammenarbeit,<br />
ziviler Ungehorsam, zivile Verteidigung),<br />
weil diese Methoden selten in den Schulen unterrichtet<br />
werden. Bis vor kurzem war die Unterweisung<br />
in Fertigkeiten zur gewaltlosen Konfliktlösung<br />
an private <strong>und</strong> dem Pazifismus verpflichtete Schulen<br />
verbannt. Die Auswirkung davon, dass Schulen<br />
Kurse in Frieden vernachlässigen, ist Analphabetismus<br />
in <strong>Friedens</strong>angelegenheiten. Frieden sollte also<br />
nicht nur eine Chance erhalten, son<strong>der</strong>n er sollte<br />
auch einen Platz in den Lehrplänen bekommen.<br />
Doch anstatt Vorwürfe zuzuweisen, sollte sich je<strong>der</strong><br />
von uns fragen, wieviel mehr wir unternehmen<br />
können, um die Schulen zu reformieren. Die<br />
Schüler selbst sollten moralischen Druck erzeugen,<br />
um <strong>Friedens</strong>kurse zu bekommen. Wir müssen sie<br />
lehren, dass diese Welt ihnen gehört <strong>und</strong> ebenso die<br />
Zukunft; wir müssen sie lehren, sich die Welt vorzustellen,<br />
in <strong>der</strong> sie leben wollen, was sie benötigen,<br />
um sie aufzubauen <strong>und</strong> dann zu for<strong>der</strong>n, dass sie<br />
darin unterrichtet werden.<br />
H. Fel<strong>der</strong> (1923) beschreibt die franziskanische<br />
Bewegung als „die größte <strong>Friedens</strong>aktion, die jemals<br />
unternommen, <strong>und</strong> das größte <strong>Friedens</strong>ideal, das<br />
jemals verkündet wurde“. Die Notwendigkeit, dieses<br />
Ideal zu leben, war immer aktuell <strong>und</strong> herausfor<strong>der</strong>nd<br />
für die Franziskaner. Wir sind aufgefor<strong>der</strong>t,<br />
die globale Kultur <strong>der</strong> Gewalt auf eine Kultur <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong> hin zu verän<strong>der</strong>n. Wir können Orientierung<br />
finden in unserer großen christlichen <strong>und</strong><br />
franziskanischen Überlieferung. Mit offenem Geist<br />
<strong>und</strong> empfangsbereitem Herzen kann Friede gelehrt<br />
<strong>und</strong> gelernt werden.<br />
Wir haben die Verantwortung, jüngere Generationen<br />
die Entschiedenheit <strong>und</strong> die Fähigkeit zu vermitteln,<br />
Konflikte ohne Anwendung von Waffen zu<br />
lösen. Eine Welt, in <strong>der</strong> Menschen in Fertigkeiten<br />
ausgebildet werden, Probleme durch Dialog <strong>und</strong><br />
Verhandlungen zu lösen, ist eine Welt, in <strong>der</strong> wir für<br />
das Überleben erziehen.
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
Praktische Vorschläge<br />
Um erfolgreich zu unterrichten, muss sich Erziehung<br />
entschlossen in Richtung Praxis bewegen,<br />
d.h. in Richtung konkreter Interaktionen unter<br />
den Bewohnern unserer gemeinsamen Mutter<br />
Erde. Man hat oft geglaubt, dass wir allein durch<br />
den Erwerb von Kenntnissen bereits die betrachtete<br />
Situation än<strong>der</strong>n; doch dies ist nicht sicher.<br />
Der Erwerb von Kenntnissen kann die Situation<br />
verän<strong>der</strong>n, wenn diese Kenntnisse jeman<strong>des</strong><br />
Taten <strong>und</strong> Worte leiten, während er mit an<strong>der</strong>en<br />
Personen handelt. Um positive Resultate zu erzielen,<br />
müssen folglich die gr<strong>und</strong>legenden Erziehungsprinzipien<br />
für Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung in Praxis umgesetzt werden, die ein<br />
Erlernen positiver Wechselbeziehung <strong>und</strong> ein<br />
Ablassen von zerstörerischen Handlungen einschließen.<br />
Für religiöse Erziehungsprogramme gibt es viele<br />
Gelegenheiten, den Blick auf die katholische<br />
Soziallehre mit ihren Aussagen zu <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu richten.<br />
Jene, die an religiösen Erziehungsprogrammen<br />
beteiligt sind <strong>und</strong> in Schulen unterrichten, mögen<br />
einige <strong>der</strong> folgenden Ideen in Erwägung<br />
ziehen.<br />
Einige Vorschläge zur <strong>Friedens</strong>erziehung:<br />
■ In die Lehrpläne <strong>der</strong> Schulen <strong>und</strong> in die<br />
Programme <strong>der</strong> ständigen Fortbildung die in<br />
<strong>der</strong> Bibel <strong>und</strong> in <strong>der</strong> franziskanischen Überlieferung<br />
enthaltenen Themen <strong>und</strong> Interesse<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung aufnehmen.<br />
■ Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Konferenzen <strong>des</strong> Ordens<br />
(<strong>OFM</strong>), Handbücher, Broschüren, Flugblätter,<br />
Poster zu Themen sozialer <strong>und</strong> ökologischer<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden erarbeiten.<br />
■ Kin<strong>der</strong> ermutigen, sich <strong>der</strong> Angst vor ihrer<br />
Freiheit zu stellen, indem sie Entscheidungen<br />
treffen <strong>und</strong> Verantwortung für diese Entscheidungen<br />
übernehmen (sie lehren, dass Verantwortlichkeit<br />
keine Strafe ist, son<strong>der</strong>n eine<br />
natürliche Konsequenz).<br />
■ Junge Menschen erziehen, dass sie sich weniger<br />
mit ihren sozialen Rollen identifizieren <strong>und</strong><br />
statt<strong>des</strong>sen mit ihren Aufgabe, die ihrem ganzheitlichem<br />
Menschsein entsprechen.<br />
■ Ein Erziehungsklima erzeugen, das die Talente<br />
aller Kin<strong>der</strong> wertschätzt <strong>und</strong> ermutigt.<br />
■ Spiele <strong>und</strong> Erziehungsmaterialien bereitstellen,<br />
die die Entwicklung <strong>der</strong> Zusammenarbeit wie<br />
<strong>des</strong> Wettbewerbs för<strong>der</strong>n.<br />
■ Teil <strong>des</strong> religiösen Erziehungsprogrammes<br />
könnte sein, Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schüler zu ermutigen,<br />
mehr über arme Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> ältere Menschen zu<br />
lernen <strong>und</strong> ihnen Hilfen anzubieten.<br />
■ Spezielle Projekte unterstützen wie Aufsatzwettbewerbe,<br />
Besuche bei lokalen Organisationen,<br />
die bedürftigen Kin<strong>der</strong>n, älteren Menschen <strong>und</strong><br />
armen Bürgern helfen.<br />
■ Gastredner für einige Schulversammlungen<br />
während <strong>des</strong> Jahres organisieren (z.B. Menschenrechtsaktivisten,<br />
Sozialarbeiter, Ökologen,<br />
Missionare, usw.).<br />
■ Erzieherische Möglichkeiten für Kin<strong>der</strong> in den<br />
entwickelten Län<strong>der</strong>n schaffen, über Kin<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> Kulturen <strong>der</strong> sich entwickelnden Län<strong>der</strong><br />
zu lernen.<br />
■ Die Benennung verschiedener Gefühle wie<br />
Ärger, Enttäuschung, Einschüchterung, usw.<br />
einüben, um sie in kreative Handlungen verwandeln<br />
zu können, die einan<strong>der</strong> näherbringen.<br />
■ Über Gewalt im Fernsehen diskutieren.<br />
■ Das Engagement für caritatives Tun <strong>und</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> för<strong>der</strong>n, z.B. durch die Organisation<br />
<strong>des</strong> Sammelns von Geld, das ansonsten<br />
ausgegeben würde, z.B. um Knallkörper zu<br />
kaufen, für Weihnachtsgeschenke, usw.<br />
■ Klassen könnten ermutigt werden, ein<br />
bedürftiges Kind zu adoptieren, ihm Fre<strong>und</strong>schaft,<br />
Unterstützung, Briefe, usw. schenken.<br />
Es ist wichtig, Armut, Krankheit mit einem<br />
menschlichen Antlitz zu versehen. Wertvolle<br />
lebenslange Lehren können aus solchen Kontakten<br />
gezogen werden.<br />
■ Treffen für behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> mit Schülern <strong>und</strong><br />
Studenten planen.<br />
■ An Briefkampagnen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Aktivitäten<br />
teilnehmen, welche die politische Verantwortung<br />
<strong>und</strong> die Rolle för<strong>der</strong>n, die Christen bei <strong>der</strong><br />
Entwicklung politischer Projekte zugunsten von<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung wahrnehmen sollten.<br />
■ Unternehmungen planen, welche Erholung,<br />
soziale <strong>und</strong> geistliche Stärkung ermöglichen,<br />
z.B. Besinnungszeiten für Klassen, Sportereignisse,<br />
Feiern in <strong>der</strong> Natur.<br />
187
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
■ Die Sakramentenvorbereitung auf Beichte,<br />
Erstkommunion, Firmung könnte die Aufmerksamkeit<br />
auf die christliche Verantwortung<br />
für den Zustand <strong>der</strong> Welt lenken, für soziale<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Friede, die Verschlechterung <strong>des</strong><br />
Zustan<strong>des</strong> <strong>der</strong> Schöpfung, um einen korrekten<br />
christlichen Sinn für Solidarität zu entwickeln.<br />
■ Begleitete Reisen planen, die kulturüberschreitenden<br />
Dialog miteinschließen.<br />
■ An <strong>der</strong> Organisation verschiedener Veranstaltungen<br />
auf internationaler <strong>und</strong> nationaler Ebene<br />
teilnehmen <strong>und</strong> versuchen, Themen von<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung mitaufzunehmen.<br />
■ Einen Stipendienfond einrichten, um junge<br />
Menschen zu verschiedenen nationalen <strong>und</strong><br />
internationalen Treffen schicken zu können, auf<br />
denen Themen <strong>der</strong> sozialen <strong>und</strong> ökologischen<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> behandelt werden.<br />
■ Jugendliche aus an<strong>der</strong>en Klassen, Schulen, Pfarreien<br />
zu ständigen Aktivitäten in <strong>der</strong> eigenen<br />
Klasse, Schule, Pfarrei einladen.<br />
Einige Hinweise, um unsere Verwandtschaft<br />
mit <strong>der</strong> Natur zu entdecken:<br />
■ Versuchen, Ökologie in die Erziehungsstrukturen<br />
zu integrieren.<br />
■ Natur zu einem Ort <strong>der</strong> Meditation machen<br />
durch die Praxis symbolischen (d.h. sakramentalen)<br />
Verhaltens gegenüber <strong>der</strong> Natur, indem<br />
man jedem Geschöpf seinem Namen gibt, <strong>der</strong><br />
seine Würde darstellt; Einsatz <strong>des</strong> Geheimnisses<br />
<strong>der</strong> Natur als einer Inspirationsquelle für das<br />
Gebet.<br />
■ Das Fest <strong>der</strong> Schöpfung (Sabbat) bei verschiedenen<br />
Gelegenheiten feiern, beson<strong>der</strong>s am Erntedankfest.<br />
■ Ausflüge in die Natur organisieren, wo Gottesdienste<br />
zu verschiedenen Themen gefeiert werden<br />
können, wie z.B. über die Geschwisterlichkeit<br />
<strong>der</strong> Geschöpfe Gottes.<br />
■ Regelmäßig Informationen bereitstellen über<br />
die Auswirkungen <strong>der</strong> Wirtschaft auf die Umwelt,<br />
über die Beziehungen zwischen reichen<br />
<strong>und</strong> armen Län<strong>der</strong>n, Gegenden, Nationen <strong>und</strong><br />
Völkern.<br />
■ Mit Organisationen zusammenarbeiten, die<br />
sich um Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung mühen,<br />
<strong>und</strong> bestimmte Projekte anleiten.<br />
188<br />
■ Kin<strong>der</strong> lehren, ihr Glück <strong>und</strong> ihre Dankbarkeit<br />
im Kontakt mit Wasser, Luft, Feuer, Erde, Tieren,<br />
usw. auszudrücken.<br />
■ Anteil nehmen am Gefühl von Kin<strong>der</strong>n für die<br />
Schönheit <strong>und</strong> das Geheimnis <strong>der</strong> Schöpfung<br />
<strong>und</strong> sie ermutigen, sich von ihrem Staunen zu<br />
einem tiefen Glücklichsein leiten zu lassen.<br />
■ Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schüler ermutigen, in Ruhe eine<br />
Sache zu beobachten, bis sie beginnt, uns<br />
„anzuschauen“, <strong>und</strong> zu ihr zu sprechen, bis sie<br />
beginnt, zu uns zu „sprechen“ über ihren Wert<br />
<strong>und</strong> ihren Platz im Leben <strong>der</strong> Erde.<br />
■ Organisieren von Lied-, Schreib-, Zeichnen<strong>und</strong><br />
Malwettbewerben über verschiedene Themen<br />
im Bereich Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />
■ Den Geist <strong>der</strong> Verletzlichkeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mitleidens<br />
mit den Schwächsten in <strong>der</strong> Natur,<br />
gegenüber allen Menschen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en leidenden<br />
Geschöpfen entwickeln.<br />
■ Baumpflanzaktionen organisieren.<br />
■ Aktionen zum Sammeln wie<strong>der</strong>verwertbaren<br />
Materials organisieren in Län<strong>der</strong>n, in denen<br />
dies nicht organisiert ist.<br />
■ Die Kin<strong>der</strong> anleiten, Dinge zu teilen, <strong>und</strong><br />
Erwachsene ermutigen, Autos, an<strong>der</strong>e Geräte,<br />
usw. zu teilen.<br />
■ Ökologische Themen als Basis für unterschiedliche<br />
ökumenische Ereignisse verwenden.<br />
■ Aufzeigen, dass <strong>der</strong> beste Schutz <strong>der</strong> Natur<br />
dadurch erreicht wird, dass <strong>der</strong> Mensch ein<br />
neues Verständnis seiner selbst <strong>und</strong> seiner Rolle<br />
unter den an<strong>der</strong>en Geschöpfen Gottes erwirbt.<br />
■ Niemals müde werden, Gott zu loben <strong>und</strong> zu<br />
danken für die Gabe <strong>des</strong> Lebens auf <strong>der</strong> Erde<br />
<strong>und</strong> für seine Anwesenheit inmitten seiner<br />
Schöpfung.<br />
„<strong>Friedens</strong>erziehung ist Feier <strong>des</strong> Lebens. Sie wird<br />
Konflikte nicht beseitigen. Jedoch kann Konflikt<br />
<strong>der</strong> Anstoß zu einer schöpferischen, kooperativen<br />
Problemlösung werden, eine neue Generation<br />
junger Menschen befähigen, konstruktiv mit Krieg,<br />
Armut, Hunger, Rassismus, Umweltzerstörung <strong>und</strong><br />
Ungerechtigkeit umzugehen. <strong>Friedens</strong>erziehung<br />
ist nicht statisches, son<strong>der</strong>n aktives Engagement“<br />
(Alice Friedman).<br />
Boˇze Vuleta <strong>OFM</strong>
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
f) Ordensausbildung<br />
RATIO FORMATIONIS FRANCISCANAE (<strong>OFM</strong>)<br />
Einführung<br />
Es gibt vielfältige Bezugnahmen auf <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong><br />
RATIO FORMATIONIS FRANCISCANAE. Wenn wir diese<br />
anregenden Gedanken nicht in konkrete Aktionen<br />
übersetzen können, dann haben wir den Ausgegrenzten,<br />
Armen <strong>und</strong> Unterdrückten unserer Welt<br />
nichts zu bieten. Wie es <strong>der</strong> ehemalige Generalminister<br />
John Vaughn schon 1985 ausdrückte: „Wir<br />
haben viele Dokumente <strong>und</strong> Worte. Was die Welt<br />
von uns erwartet sind Taten.“<br />
In diesem Abschnitt beabsichtigen wir, mit dir/euch<br />
einige konkrete Aktionen zu teilen, die in den Provinzen<br />
r<strong>und</strong> um die Welt stattfinden. Es gibt natürlich<br />
viel mehr, über die hier nicht berichtet werden<br />
wird, doch werden hoffentlich die aufgezählten Beispiele<br />
die Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Anfangsausbildung <strong>und</strong> in<br />
<strong>der</strong> ständigen Fortbildung ermutigen, den Kampf<br />
für eine gerechtere <strong>und</strong> friedvollere Welt in Harmonie<br />
mit <strong>der</strong> gesamten Schöpfung fortzusetzen.<br />
Es gibt viele Bezugnahmen auf <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> RATIO.<br />
Wir haben sechs Untertitel ausgewählt; es werden<br />
zunächst die Abschnitte <strong>der</strong> RATIO zitiert <strong>und</strong> dann<br />
konkrete Beispiele aus den gelebten Erfahrungen in<br />
den Provinzen gegeben.<br />
I. Bru<strong>der</strong>schaft<br />
a) RFF 18; RFF 21a; RFF 28b.<br />
b) Gelebte Erfahrungen<br />
1) Brü<strong>der</strong>, die über praktische Erfahrungen <strong>des</strong><br />
Engagements in den Themen <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im weitesten<br />
Sinn <strong>des</strong> Wortes verfügen, werden eingeladen, ihre<br />
Ideen <strong>und</strong> Kämpfe mit den Brü<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Anfangsausbildung<br />
zu teilen. Dieser Kontakt hat sich in vielen<br />
Provinzen als sehr nützlich erwiesen. Jüngere<br />
Brü<strong>der</strong> schreiben ihr späteres Engagement in den<br />
beson<strong>der</strong>en Diensten <strong>der</strong> Ermutigung durch ihre<br />
älteren Mitbrü<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Zeugnis zu.<br />
2) In Afrika, USA, Zentralamerika <strong>und</strong> Indien nehmen<br />
Brü<strong>der</strong> aus verschiedenen Kulturkreisen <strong>und</strong><br />
Sprachen an einer gemeinsamen Anfangsausbildung<br />
teil. Einige Provinzen ermutigen ihre jungen Brü<strong>der</strong>,<br />
in ihren ersten Ausbildungsjahren für eine<br />
gewisse Zeit mit Brü<strong>der</strong>n aus an<strong>der</strong>en Kulturen zu<br />
studieren, zu arbeiten <strong>und</strong> zu leben. Dies för<strong>der</strong>t<br />
Toleranz <strong>und</strong> bereitet die Brü<strong>der</strong> auf zukünftige<br />
internationale Herausfor<strong>der</strong>ungen vor.<br />
II. Präsenz<br />
a) RFF 22b; 25a; 32a; 155.<br />
b) Gelebte Erfahrungen<br />
1) Leben unter den Armen in kleinen Fraternitäten<br />
ist eine gemeinsame Praxis in vielen Provinzen. Auf<br />
den Philippinen, in Brasilien, Zentralamerika,<br />
Deutschland, Italien <strong>und</strong> Kolumbien leben die meisten<br />
Brü<strong>der</strong> eine gewisse Zeit während <strong>der</strong> Anfangsausbildung<br />
o<strong>der</strong> die gesamte Anfangsausbildung<br />
hindurch in Fraternitäten unter den Armen. Die<br />
Brü<strong>der</strong> erledigen alle Hausarbeiten selbst. In einigen<br />
Fällen arbeiten sie mit Pfarreien zusammen. An<strong>der</strong>e<br />
verrichten verschiedene kirchliche o<strong>der</strong> zivile Aufgaben,<br />
um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im<br />
Allgemeinen sind sie von an<strong>der</strong>en wirtschaftlich<br />
unabhängig.<br />
Wegen ihrer Nähe zu den Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Einfachheit<br />
ihres Lebensstils, haben die Brü<strong>der</strong> die<br />
Gelegenheit, die Alltagsschwierigkeiten <strong>der</strong> Menschen<br />
zu erleben, <strong>und</strong> können so ihrer theologischen<br />
<strong>und</strong> akademischen Reflexion einen realistischeren<br />
<strong>und</strong> mehr auf Praxis bezogenen Blick verleihen.<br />
Die Novizen <strong>der</strong> Provinz <strong>der</strong> hl. Barbara in Kalifornien<br />
verbringen das zweite Jahr ihres Noviziats in<br />
einem vernachlässigtem Gebiet in den Außenbezirken<br />
von Guatemala-Stadt. Sie lernen Spanisch <strong>und</strong><br />
leben für ein Jahr unter den Armen, bevor sie ihre<br />
Studien o<strong>der</strong> ihre Berufsausübung beginnen.<br />
2) Kontakt mit den Ausgegrenzten:<br />
Die meisten Provinzen ermutigen die Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Ausbildungszeit nach dem Noviziat, Gefangene,<br />
Kranke, Flüchtlinge, Drogenabhängige, ältere Menschen<br />
<strong>und</strong> Aussätzige, usw. zu besuchen <strong>und</strong> an<br />
<strong>der</strong>en Leben Anteil zu nehmen.<br />
3) Unterstützung für lokale Organisationen<br />
Viele Provinzen (Baskenland, Zentralamerika, Bra-<br />
189
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
silien, Korea, Südafrika) ermutigen ihre jungen<br />
Brü<strong>der</strong>, sich an lokalen, religiösen wie zivilen Organisationen,<br />
<strong>der</strong>en Ziel die Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbedingungen<br />
sind, zu beteiligen <strong>und</strong> sie zu unterstützen.<br />
Anstatt parallele Organisationen aufzubauen,<br />
bringt die Solidarität mit denen, die bereits<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung kämpfen, die Brü<strong>der</strong> an die Seite <strong>der</strong><br />
Menschen anstatt in Leitungspositionen.<br />
4) In vielen Provinzen unterbrechen die jungen<br />
Brü<strong>der</strong> ihre Studien für ein Jahr <strong>und</strong> mehr <strong>und</strong><br />
beteiligen sich am Dienst ihrer Provinzen. Einige<br />
gehen in Missionsgebiete ihrer eigenen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Provinzen <strong>und</strong> arbeiten mit den Armen. An<strong>der</strong>e<br />
begleiten ausgegrenzte Gruppen zu Hause, gewöhnlich<br />
dort, wo schon Brü<strong>der</strong> engagiert sind.<br />
III. Die Stimme <strong>der</strong>er,<br />
die keine Stimme haben<br />
a) RFF 25b; 34b.<br />
b) Gelebte Erfahrungen<br />
1) Beteiligung an Provinzkommissionen für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
In Zentralamerika werden die jungen Brü<strong>der</strong> ermutigt,<br />
sich in die Arbeit <strong>der</strong> Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung einzubringen.<br />
Sie gehören voll zum Team, das somit<br />
nicht allein von den Brü<strong>der</strong>n abhängt, die formal<br />
von <strong>der</strong> Provinzleitung ernannt worden sind. Einige<br />
Brü<strong>der</strong> sind ermutigt worden, sich selbst in für sie<br />
wichtigen Bereichen durch Teilnahme an kurzfristigen<br />
Kursen <strong>und</strong> Seminaren, zu Hause <strong>und</strong> im Ausland,<br />
vorzubereiten. Auf diese Weise unternimmt<br />
eine Provinz Schritte, um Kontinuität sicherzustellen<br />
<strong>und</strong> sich für die Zukunft vorzubereiten.<br />
2) Brü<strong>der</strong> in vielen Provinzen unterstützen direkt<br />
<strong>und</strong> indirekt Organisationen, die unermüdlich für<br />
die Menschenrechte streiten, wie z.B. Amnesty<br />
International, usw. Sie treten einer Ortsgruppe <strong>der</strong><br />
Organisation bei <strong>und</strong> schreiben an Regierungen<br />
<strong>und</strong> beteiligte Behörden, bitten um die Freilassung<br />
von Gefangenen, von denen viele ihrer Rechte<br />
beraubt sind <strong>und</strong> systematisch misshandelt werden.<br />
190<br />
IV. Kritisches Bewusstsein<br />
a) RFF 32b; 79; 162.<br />
b) Gelebte Erfahrungen<br />
In einigen Provinzen nehmen sich die Brü<strong>der</strong> einen<br />
vereinbarten Zeitabschnitt während ihres monatlichen<br />
Kapitels, um gemeinsam über Themen von<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
nachzudenken. Einer <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> bereitet eine<br />
kurze Analyse vor über das, was sich auf lokaler <strong>und</strong><br />
nationaler Ebene in sozialen, wirtschaftlichen, politischen<br />
<strong>und</strong> religiösen Bereichen zugetragen hat.<br />
Die Brü<strong>der</strong> tauschen dann aus, was sie wissen <strong>und</strong><br />
welche Konsequenzen dies für die Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> die<br />
Menschen hat o<strong>der</strong> haben kann. Wenn es um praktische<br />
Durchführung geht, wird über beson<strong>der</strong>e<br />
Aufgaben entschieden <strong>und</strong> es werden Verantwortlichkeiten<br />
zugeteilt.<br />
V. Offenheit für alle<br />
<strong>und</strong> Ablehnung von Gewalt<br />
a) RFF 21b.<br />
b) Gelebte Erfahrungen<br />
1) Die Brü<strong>der</strong> im Baskenland verweigern den<br />
Militärdienst, <strong>der</strong> für jeden in Spanien verpflichtend<br />
ist. Sie weigern sich ebenso, Gemeinschaftso<strong>der</strong><br />
zivile Dienste zu übernehmen, die als Alternativen<br />
angeboten sind. In ihrem Kontext meinen sie,<br />
dass diese Dienste nur das militärische Ethos stützen.<br />
Wegen ihrer Verweigerung haben viele die einjährige<br />
Haftzeit auf sich genommen.<br />
2) Lebensraum mit den Armen teilen<br />
In Australien, Singapur <strong>und</strong> Thailand bieten die<br />
Brü<strong>der</strong> Menschen, die an AIDS leiden, Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />
an <strong>und</strong> teilen ihren Lebensbereich mit ihnen.<br />
An<strong>der</strong>e Provinzen haben öffentlich ihre Häuser zu<br />
Asylstätten für politische wie wirtschaftliche Flüchtlinge<br />
erklärt. Die irische, einige italienische <strong>und</strong><br />
US-amerikanische Provinzen haben Teile ihrer<br />
Gebäude entwe<strong>der</strong> ständig o<strong>der</strong> vorübergehend für<br />
die Arbeit mit Armen <strong>und</strong> Ausgegrenzten zur Verfügung<br />
gestellt: mit Drogenabhängigen, AIDS-Patienten,<br />
Straßenkin<strong>der</strong>n, usw.<br />
In Uruguay haben die Brü<strong>der</strong> in Verbindung mit<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Familie eines ihrer Häuser für<br />
Nichtregierungsorganisationen geöffnet, die Men-
■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />
schenrechts- <strong>und</strong> Entwicklungsarbeit leisten; gleichzeitig<br />
haben sie über diese Herausfor<strong>der</strong>ungen vom<br />
Standpunkt unseres Charismas aus nachgedacht.<br />
VI. Ständige Fortbildung<br />
a) RFF 58<br />
b) Gelebte Erfahrungen<br />
1) Provinztreffen<br />
Viele Provinzen organisieren regelmäßig (jährlich<br />
o<strong>der</strong> alle zwei bis drei Jahre) ein Provinztreffen, um<br />
über Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung nachzudenken. Alle Brü<strong>der</strong><br />
werden eingeladen. In den meisten Fällen<br />
nimmt <strong>der</strong> örtliche Promotor daran teil. Ziel ist es,<br />
Erfahrungen auszutauschen <strong>und</strong> zukünftige Engagements<br />
abzustimmen. In einigen Provinzen werden<br />
diese Treffen in Verbindung mit <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie organisiert. Professen mit zeitlichen<br />
Gelübden werden ermutigt daran teilzunehmen.<br />
2) Viele Brü<strong>der</strong> treten lokalen Organisationen bei,<br />
die sich um Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbedingungen<br />
in ihren Gebieten bemühen. Im Allgemeinen vermeiden<br />
sie hervorgehobene Leitungspositionen.<br />
An<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> beteiligen sich an Unterstützergruppen<br />
<strong>und</strong> arbeiten zu Hause, um das Bewusstsein für<br />
Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, Kontinenten<br />
<strong>und</strong> Kulturen zu wecken.<br />
Geraoid Ó Conaire <strong>OFM</strong><br />
191
QUELLEN UND GEBETE
■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />
Anhang<br />
Option für die Armen –<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
in den Generalkapiteln <strong>und</strong> Ordensräten zwischen 1971–1997<br />
Biblische Texte<br />
Franziskanische Texte<br />
Kirchliche Soziallehre<br />
Option für die Armen –<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
in den Generalkonstitutionen<br />
Eine Textauswahl zu GFBS in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />
Charakteristika <strong>der</strong> franziskanischen Arbeit für GFBS<br />
Adressen<br />
Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
195
■ Anregungen für die Praxis<br />
Als Quellen zur Arbeit für GFBS geben wir im<br />
vierten Kapitel unseres Handbuches Auszüge aus<br />
den Dokumenten <strong>des</strong> Franziskanerordens wie<strong>der</strong>.<br />
Es folgen Hinweise auf<br />
– einige Bibeltexte,<br />
– franziskanische Quellenschriften <strong>und</strong><br />
– Texte aus <strong>der</strong> Soziallehre <strong>der</strong> Kirche<br />
zu folgenden Themen:<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Frauen<br />
Befreiung<br />
Frieden<br />
Vergebung – Verzeihung - Gnade<br />
Die Armen<br />
Teilen – Solidarität<br />
Gemeinschaft – Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />
Dialog – Ökumenismus<br />
Dienst – Caritas<br />
Natur – Schöpfung<br />
Eine Sammlung von Gebeten <strong>und</strong> Texten, ein<br />
Gottesdienstvorschlag, wichtige Adressen <strong>und</strong><br />
Impulse zu Charakteristika unserer Arbeit für GFBS<br />
sollen <strong>der</strong> konkreten Arbeit dienen.<br />
196
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
Option für die Armen –<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung in den<br />
Generalkapiteln <strong>und</strong><br />
Ordensräten zwischen<br />
1971–1997<br />
Generalkapitel Medellin 1971<br />
1. Erziehung <strong>und</strong> Ausbildung<br />
im Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
I. Die franziskanische Berufung<br />
8. Arm mit den Armen,<br />
gering mit den Geringen<br />
Solche <strong>und</strong> ähnliche Tendenzen können <strong>und</strong> werden<br />
auch tatsächlich auf verschiedene Art <strong>und</strong> Weise<br />
verwirklicht. Entsprechen sie nicht <strong>der</strong> ureigenen<br />
Absicht <strong>des</strong> hl. Franziskus, <strong>der</strong> ein Mann <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit,<br />
<strong>der</strong> Armut, <strong>der</strong> Minoritas, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
gewesen ist, vom Verlangen erfüllt, ein Leben nach<br />
dem Evangelium zu führen <strong>und</strong> jene Liebe zu<br />
offenbaren, die nicht geliebt wird?<br />
Die Zeitgenossen <strong>des</strong> hl. Franziskus sahen in ihm<br />
einen Erneuerer <strong>des</strong> Evangeliums, <strong>der</strong> Christus in<br />
die beschaulichen Höhen <strong>des</strong> Tabor, aber auch auf<br />
den Kalvaria, den Berg seines Leidens gefolgt ist,<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> in den Herzen <strong>der</strong> Menschen die Glut <strong>der</strong><br />
Liebe wie<strong>der</strong> entfachte <strong>und</strong> sie durch Wort <strong>und</strong> Beispiel<br />
lehrte, mit allen in Frieden zu leben <strong>und</strong> die<br />
Würde <strong>und</strong> Gleichberechtigung <strong>des</strong> Nächsten anzuerkennen.<br />
Er wollte, dass seine Brü<strong>der</strong> mit den<br />
Armen arm sein <strong>und</strong> sich mit den Niedrigen auf die<br />
gleiche Stufe stellen sollten.<br />
10. Einpflanzung in die Welt –<br />
die Anziehungskraft <strong>des</strong> Ordens.<br />
Wenn unser Orden seinem heiligen Stifter die Treue<br />
hält <strong>und</strong> sich in den Dienst <strong>der</strong> heutigen Welt <strong>und</strong><br />
ihrer großen Aufgaben stellt, wird er auch heute<br />
noch seine Anziehungskraft auf jene nicht verfehlen,<br />
die – zur letzten Hingabe bereit – sich den<br />
wesentlichen Werten <strong>der</strong> Gegenwart erschließen.<br />
III. Beson<strong>der</strong>e Erfor<strong>der</strong>nisse<br />
<strong>der</strong> Erziehung <strong>und</strong> Ausbildung<br />
I. Charakteristische Aspekte<br />
<strong>des</strong> franziskanischen Lebens<br />
24. Gottesliebe <strong>und</strong> Menschenliebe<br />
Die franziskanische Lebensform kommt in einem<br />
Leben <strong>der</strong> Liebe zu Gott über alles zum Ausdruck.<br />
Doch schließt diese Liebe selbstverständlich auch<br />
die Menschen mit ein. Sich Christus gleich gestalten,<br />
alle Menschen lieben, sich gegen alle Geschöpfe<br />
edel <strong>und</strong> gut erweisen, ist ein <strong>und</strong> dasselbe.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Christus <strong>und</strong> seinen Aposteln<br />
in ihrem apostolischen Leben nachfolgt, will<br />
ein Zeichen sein <strong>und</strong> durch ein frohes, bescheidenes,<br />
schlichtes, offenes <strong>und</strong> echt menschliches<br />
Leben für das Kommen <strong>des</strong> Reiches Gottes Zeugnis<br />
ablegen. Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> verspricht, das Evangelium<br />
stets zu seiner Richtschnur zu machen, in <strong>des</strong>sen<br />
Licht er zu stetem Neuanfang bereit ist.<br />
Mitten im konkreten Leben stehend, sucht er sich<br />
den apostolischen Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus zu eigen<br />
zu machen, um damit seine gesamte Tätigkeit zu<br />
beseelen. Durch sein Zeugnis <strong>und</strong> durch seine Predigt<br />
sucht er alle sozialen <strong>und</strong> kulturellen Wirklichkeiten<br />
<strong>der</strong> heutigen Welt auf das Evangelium auszurichten.<br />
26. Minoritas<br />
Minoritas <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit geben unserem Leben<br />
sein wesentliches Gepräge. Der Franziskaner ist in<br />
dem Maße „Min<strong>der</strong>“-bru<strong>der</strong>, als er Christus in seiner<br />
Entäußerung gleich werden <strong>und</strong> ihm in Demut<br />
<strong>und</strong> Sanftmut nachfolgen will, bereit, Gott in kindlichem<br />
<strong>und</strong> frohem Gehorsam zu dienen, für alle<br />
Menschen da zu sein <strong>und</strong> den letzen Platz einzunehmen.<br />
Und wenn <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> heute an <strong>der</strong><br />
notwendigen Anpassung <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> Ordens<br />
an die mo<strong>der</strong>ne Zeit mitarbeitet, sucht er doch<br />
keine Vormachtstellung <strong>und</strong> ist bereit, bei all<br />
seinem bescheidenen Einsatz die Gefahr auf sich zu<br />
nehmen, missverstanden zu werden. Doch darf die<br />
Minoritas nicht mit Schwäche verwechselt werden.<br />
197
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
Die Minoritas macht die einzelnen Brü<strong>der</strong> wie die<br />
ganze brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft zu <strong>Werkzeuge</strong>n <strong>des</strong><br />
<strong>Friedens</strong>, gibt ihnen die richtige Einschätzung ihrer<br />
eigenen Kräfte <strong>und</strong> befähigt sie auch zum Verzicht,<br />
wo das Wohl <strong>der</strong> Gemeinschaft dies erfor<strong>der</strong>t: bei<br />
Versetzungen, bei Übernahme ungewohnter Arbeiten<br />
<strong>und</strong> Tätigkeiten, durch die Bereitschaft, auch<br />
unbezahlte Dienste zu leisten, notfalls in <strong>der</strong> Kirche<br />
allseits verfügbare Einsatzgruppen zu bilden. Doch<br />
ist die Minoritas alles eher als Oberflächlichkeit<br />
o<strong>der</strong> Mangel an Können; im Gegenteil, sie setzt das<br />
notwendige Können <strong>und</strong> die Ausdauer in <strong>der</strong> Arbeit<br />
voraus.<br />
50. Materielle <strong>und</strong> geistliche Armut<br />
Der hl. Franziskus weist alle seine Brü<strong>der</strong> darauf<br />
hin, dass Christus die Allerseligste Jungfrau Maria<br />
<strong>und</strong> seine Jünger arm <strong>und</strong> wie Fremdlinge in dieser<br />
Welt gelebt haben, um sie zu ermahnen, ihrem Beispiel<br />
zu folgen. Deshalb sollen die Erzieher die jungen<br />
Brü<strong>der</strong> dazu anleiten, diese Minoritas, die unserer<br />
brü<strong>der</strong>lichen Gemeinschaft ihr beson<strong>der</strong>es<br />
Gepräge gibt, zu leben. Sie sollen die Brü<strong>der</strong> durch<br />
Wort <strong>und</strong> Leben lehren, echte Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> zu<br />
sein <strong>und</strong> sich wegen Gott jedem Menschen unterzuordnen.<br />
Das aber setzt stete Selbstverleugnung <strong>und</strong> echte<br />
Demut voraus. Wir dürfen uns <strong>des</strong>sen, was <strong>der</strong> Herr<br />
durch uns sagt <strong>und</strong> wirkt, nicht rühmen, son<strong>der</strong>n<br />
müssen es auch ertragen können, für gering <strong>und</strong><br />
einfältig zu gelten <strong>und</strong> verachtet zu werden, denn<br />
<strong>der</strong> Mensch ist das, was er vor Gott ist, <strong>und</strong> nicht<br />
mehr.<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollen zu einfacher Lebensweise angehalten<br />
werden: die Häuser sollen schlicht <strong>und</strong> einfach<br />
ausgestattet sein. Doch darf die Armut nicht<br />
mit Unsauberkeit <strong>und</strong> Selbstvernachlässigung verwechselt<br />
werden. Sie sollen mit den Armen Kontakt<br />
pflegen, um ihre Nöte <strong>und</strong> Bedürfnisse kennen zu<br />
lernen. Dabei wird man gerade bei ihnen nicht selten<br />
eine echt evangelische Haltung <strong>und</strong> ein echtes<br />
Solidaritätsbewusstsein feststellen können.<br />
Wie <strong>der</strong> hl. Franziskus sollen sich auch die Brü<strong>der</strong><br />
freuen, mit einfachen <strong>und</strong> verachteten Menschen,<br />
mit Armen <strong>und</strong> Ausgestoßenen, mit Kranken <strong>und</strong><br />
Bettlern umgehen zu können.<br />
198<br />
4. Erziehung zum Umgang mit <strong>der</strong> Welt<br />
52. In <strong>der</strong> Welt präsent<br />
Eine echte Erziehung muss die Kandidaten auch<br />
zum richtigen Verhalten gegenüber <strong>der</strong> Welt anleiten,<br />
<strong>der</strong> sie angehören <strong>und</strong> in <strong>der</strong> sie zu wirken<br />
haben.<br />
Das franziskanische Leben ist keine Flucht aus <strong>der</strong><br />
Welt, son<strong>der</strong>n nach dem Beispiel <strong>des</strong> menschgewordenen<br />
Wortes ein Leben in <strong>der</strong> Welt um in ihr die<br />
Tatsache transzendenter Wirklichkeiten zu bezeugen,<br />
das Gute zu entdecken, das Gott in sie hineingelegt<br />
hat, sich ihrer zur Entfaltung <strong>des</strong> eigenen<br />
Lebens zu bedienen <strong>und</strong> sie als Zeichen zu betrachten,<br />
die den Menschen auf Gott hinweisen sollen.<br />
Der Umgang mit <strong>der</strong> Außenwelt aber soll dem Grad<br />
<strong>der</strong> menschlichen, beruflichen <strong>und</strong> geistigen Reife<br />
entsprechen, den <strong>der</strong> Kandidat erlangt hat. Vor<br />
allem aber muss er im Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus verstanden<br />
werden. Denn dieser war unter den Menschen<br />
unermüdlich tätig, war aber dabei stets von<br />
<strong>der</strong> Sehnsucht erfüllt, wie<strong>der</strong> in die Einsamkeit<br />
zurückkehren zu können, um Christus im Gebet<br />
<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Verb<strong>und</strong>enheit mit dem Vater nachzuahmen,<br />
<strong>und</strong> bewies dadurch, dass er zwar in <strong>der</strong><br />
Welt lebte, aber nicht von <strong>der</strong> Welt war, wohl aber<br />
den Menschen dienen wollte.<br />
Die Kandidaten sollen nicht nur mit <strong>der</strong> eigenen<br />
Familie normale Beziehungen unterhalten, son<strong>der</strong>n<br />
gelegentlich auch mit an<strong>der</strong>en Menschen in Kontakt<br />
treten <strong>und</strong> mit ihnen arbeiten, um ihren<br />
Charakter <strong>und</strong> ihre Psyche kennen zu lernen, was<br />
für ihre künftige apostolische Tätigkeit von großem<br />
Nutzen sein wird. Sie sollen dadurch aber auch zur<br />
Erkenntnis gelangen, dass Zölibat <strong>und</strong> Ehe einan<strong>der</strong><br />
in <strong>der</strong> Kirche ergänzen <strong>und</strong> gegenseitig befruchten.<br />
53. Sensibel für die sozialen Verhältnisse<br />
Die Kandidaten sollen auch zum richtigen<br />
Gebrauch <strong>der</strong> Massenmedien angeleitet werden,<br />
soweit dies ihrer Entwicklung dienlich sein kann.<br />
Doch muss in diesem umfassenden <strong>und</strong> komplexen<br />
Bereich darauf geachtet werden, dass die Erzieher<br />
die Kandidaten dazu anleiten müssen, keine bloß<br />
passiven Zuschauer zu sein, son<strong>der</strong>n das Angebot<br />
<strong>und</strong> den Einfluss <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Welt kritisch zu<br />
beurteilen.<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollen auch zum Verständnis <strong>und</strong> zu<br />
einem richtigen Urteil über die sozialen Verhältnisse<br />
angeleitet werden, damit sie in ihrer künftigen
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
Tätigkeit die Mentalität <strong>und</strong> die Gepflogenheiten,<br />
die Gesetze <strong>und</strong> die Strukturen jener menschlichen<br />
Gesellschaft, in <strong>der</strong> sie leben, mit christlichem<br />
Geiste erfüllen können, <strong>und</strong>, soweit es von ihnen<br />
abhängt, in Wort <strong>und</strong> Tat am Aufbau einer menschlicheren<br />
<strong>und</strong> gerechteren zeitlichen Ordnung mitarbeiten<br />
können.<br />
7. Erziehung zu ökumenischer Gesinnung<br />
59. Ein universales Bewusstsein<br />
Die heutige ökumenische Bewegung erfor<strong>der</strong>t, dass<br />
die Erziehung <strong>der</strong> Notwendigkeit Rechnung trage,<br />
den Kandidaten einen umfassenden <strong>und</strong> weltweiten<br />
Horizont zu vermitteln.<br />
Deshalb sollen die Brü<strong>der</strong> nicht bloß in die Gr<strong>und</strong>züge<br />
<strong>der</strong> ökumenischen Theologie <strong>und</strong> die darauf<br />
bezüglichen Fragen eingeführt werden, son<strong>der</strong>n es<br />
soll ihnen auch die Möglichkeit <strong>und</strong> Gelegenheit<br />
geboten werden, ihre ökumenische Gesinnung in<br />
fre<strong>und</strong>schaftlichem <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kenntnis <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Standpunkte dienendem Dialog, <strong>und</strong> in gemeinsamem<br />
Gespräch <strong>und</strong> Gebet mit nichtkatholischen<br />
Christen o<strong>der</strong> Personen an<strong>der</strong>er Religionsbekenntnisse<br />
zum Ausdruck zu bringen. Doch müssen sie<br />
sich dabei stets an die Normen <strong>der</strong> Kirche halten,<br />
die in diesem wichtigen Anliegen klare Richtlinien<br />
erlassen hat <strong>und</strong> ihre Weisungen erteilt.<br />
Generalkapitel Medellin 1971<br />
„Der Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>orden <strong>und</strong> die Mission“<br />
I. Durch Menschwerdung <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />
zur menschlichen Würde<br />
10. Wir sind fest überzeugt, dass diese Lebensform<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit in <strong>der</strong> Nachfolge Christi <strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> hl. Franziskus <strong>der</strong> Menschheit von heute einen<br />
großen Dienst leisten kann. Wir sollen die Not<br />
unserer Zeit durch unsere Brü<strong>der</strong>lichkeit lin<strong>der</strong>n.<br />
„So hat <strong>der</strong> Sohn Gottes die Wege wirklicher<br />
Fleischwerdung beschritten, um die Menschen <strong>der</strong><br />
göttlichen Natur teilhaft zu machen; unseretwegen<br />
ist er arm geworden, da er doch reich war, damit wir<br />
durch seine Armut reich würden. Der Menschensohn<br />
kam nicht, um sich bedienen zu lassen, son<strong>der</strong>n<br />
um zu dienen <strong>und</strong> sein Leben als Lösegeld<br />
hinzugeben für die Vielen, d. h. für alle.“<br />
12. Wir hoffen <strong>und</strong> wünschen, dass unsere brü<strong>der</strong>liche<br />
Gemeinschaft, die unsere gesellschaftliche<br />
Form darstellt, stets zum Dienst an den Menschen<br />
bereit sei <strong>und</strong> ihnen helfe, die evangelischen Werte<br />
<strong>der</strong> Menschenwürde, eines umfassenden Fortschritts<br />
<strong>und</strong> einer wahren Freiheit zu verwirklichen.<br />
Dadurch wird die Gr<strong>und</strong>idee, die den Ansporn, das<br />
Maß <strong>und</strong> das Ziel <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft bildet,<br />
nämlich <strong>des</strong> Fortschritts, klarer erkannt <strong>und</strong> aufgehellt<br />
werden.<br />
II. Unsere Missionsarbeit vollzieht sich innerhalb<br />
<strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft<br />
13. Unsere Missionsarbeit gilt nicht bestimmten<br />
Gebieten, son<strong>der</strong>n Menschen, die in einer raumzeitlich<br />
bedingten Gesellschaft leben. Zu ihnen<br />
sendet uns <strong>der</strong> Vater, <strong>der</strong> sein Wort durch die Kirche<br />
an sie richtet. Die Völker, zu denen wir gesandt<br />
werden, haben vielleicht denselben Glauben wie<br />
wir, o<strong>der</strong> sie haben einen an<strong>der</strong>en Glauben, o<strong>der</strong><br />
überhaupt keinen. Ihnen allen wollen wir in gleicher<br />
Weise schon durch das Zeugnis unserer Präsenz<br />
Diener, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> sein. (…) Unsere<br />
Sorge gilt allen Menschen, vor allem aber denen,<br />
die neue Lebenstiefen suchen, die nach vollerer<br />
Wahrheit, <strong>Gerechtigkeit</strong>, Freiheit <strong>und</strong> Menschenwürde<br />
verlangen, jenen, die Armut <strong>und</strong> Not leiden<br />
199
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Welt verachtet <strong>und</strong> verstoßen sind.<br />
Unter ihnen wollen wir mehr denn je leben <strong>und</strong><br />
wirken.<br />
Heute ganz beson<strong>der</strong>s sind wir dringend verpflichtet,<br />
uns zum Nächsten schlechthin eines jeden<br />
Menschen zu machen <strong>und</strong> ihm, wo immer er uns<br />
begegnet, tatkräftig zu helfen, ob es sich nun um<br />
alte, von allen verlassene Leute handelt o<strong>der</strong> um<br />
einen Fremdarbeiter, <strong>der</strong> ungerechter Geringschätzung<br />
begegnet, um einen Heimatvertriebenen o<strong>der</strong><br />
um ein uneheliches Kind, das in unverdienter Weise<br />
für eine von ihm nicht begangene Sünde leidet,<br />
o<strong>der</strong> um einen Hungernden, <strong>der</strong> unser Gewissen<br />
aufrüttelt durch die Erinnerung an das Wort <strong>des</strong><br />
Herrn: „Was ihr einem <strong>der</strong> geringsten von meinen<br />
Brü<strong>der</strong>n getan habt, das habt ihr mir getan.“<br />
V. Wir sind Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
25. Kein Friede ohne <strong>Gerechtigkeit</strong>:<br />
Wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> können unsere Augen vor den<br />
harten Bedingungen nicht verschließen, unter<br />
denen viele unserer Brü<strong>der</strong> in vielen Teilen <strong>der</strong> heutigen<br />
Welt zu leben haben. Niemand kann leugnen,<br />
dass in vielen Teilen <strong>der</strong> Welt äußerste menschliche<br />
Not, Armut <strong>und</strong> Ungerechtigkeit herrschen. Unser<br />
Wahlspruch lautet: „Friede bedeutet Fortschritt!!“<br />
Doch gibt es keinen Frieden um den Preis <strong>der</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />
26. Authentische Zeugen – bereit zum Risiko:<br />
Wir sind fest überzeugt, dass die Bekehrung zum<br />
gekreuzigten <strong>und</strong> auferstandenen Christus <strong>und</strong> das<br />
konkrete Zeugnis für diese Bekehrung die Gr<strong>und</strong>lage<br />
<strong>des</strong> christlichen Lebens bildet. Als Jünger <strong>des</strong><br />
hl. Franziskus müssen wir echte Zeugen <strong>des</strong> Evangeliums<br />
sein, unserem Volke in Treue <strong>und</strong> Hingabe<br />
dienen, bereit, jede Gefahr auf uns zu nehmen, <strong>der</strong><br />
wir auf dem Wege <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
<strong>der</strong> Verfolgung um <strong>des</strong> Reiches Gottes willen<br />
begegnen.<br />
27. Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, nicht <strong>des</strong> Kompromisses:<br />
In Treue zu unserer Mission <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, sind wir<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, nicht aber<br />
<strong>des</strong> Kompromisses; denn <strong>der</strong> Friede, dem wir<br />
dienen, muss die Frucht wahrer <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Liebe sein. Wo aber <strong>der</strong> Ruf nach gewaltsamer<br />
Revolution erhoben wird, muss sich <strong>der</strong> Christ<br />
200<br />
bewusst bleiben, dass er die Gewalt gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
abzulehnen hat, wenn er auch respektiert, was die<br />
theologische, soziale <strong>und</strong> juridische Tradition in<br />
gewissen Fällen für erlaubt erklärt.<br />
Generalkapitel Madrid 1973<br />
„Die Berufung <strong>des</strong> Ordens heute“<br />
Kapitel 4: Brü<strong>der</strong> unter den Menschen<br />
12. Nicht alleine, son<strong>der</strong>n zusammen mit Brü<strong>der</strong>n:<br />
Der Herr hat uns berufen, das Evangelium zu leben,<br />
nicht als einzelne, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Gemeinschaft von<br />
Brü<strong>der</strong>n. In ihr <strong>und</strong> durch sie erfüllt sich unsere<br />
Berufung, denn sie ist <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Ort unserer<br />
Begegnung mit Gott. Wir wollen nicht nur nebeneinan<strong>der</strong><br />
leben als Menschen, die auf ein gemeinsames<br />
Ziel ausgerichtet sind <strong>und</strong> einan<strong>der</strong> helfen, es<br />
zu erreichen. Darüber hinaus wenden wir uns auch<br />
einer dem an<strong>der</strong>en mit gegenseitiger Liebe zu. Der<br />
Herr hat uns ja selbst das Beispiel <strong>und</strong> das Gebot<br />
dazu gegeben. Wir sollen alle einan<strong>der</strong> als Brü<strong>der</strong><br />
betrachten <strong>und</strong> einan<strong>der</strong> achten; wir sollen einan<strong>der</strong><br />
ganz schlicht unsere Sorgen sagen können <strong>und</strong> einan<strong>der</strong><br />
die geringsten Dienste tun; wir sollen Streitigkeiten,<br />
penetrante Nörgelei, Zorn <strong>und</strong> Verurteilung<br />
vermeiden. Kurz gesagt: wir sollen einan<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Tat <strong>und</strong> nicht in Worten lieben, <strong>und</strong> zwar mit jener<br />
Güte, die eine Mutter ihren Kin<strong>der</strong>n gegenüber<br />
hegt.<br />
15. Liebe, die nicht diskriminiert:<br />
Unsere brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft ist keine in sich<br />
selbst abgeschlossene Gruppe. Schon aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
Dynamik ist sie offen für alle Menschen, in denen<br />
uns ja Christus sichtbar wird. Wir müssen Fre<strong>und</strong>e<br />
<strong>und</strong> Feinde lieben <strong>und</strong> sie annehmen, mögen sie zu<br />
uns kommen o<strong>der</strong> wir zu ihnen gehen. Und wir<br />
können mit denen, die es möchten, gemeinsam<br />
nach neuen Formen <strong>der</strong> Beziehung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verb<strong>und</strong>enheit<br />
mit <strong>der</strong> franziskanischen Familie suchen.<br />
Unsere Welt ist in soziale Klassen <strong>und</strong> ideologische<br />
Gruppen gespalten; das ist eine Tatsache. Wir lehnen es<br />
aber eindeutig ab, die Menschen aufgr<strong>und</strong> ihrer Klassen-<br />
o<strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit zu beurteilen <strong>und</strong> zu<br />
verurteilen. Wir wissen uns verpflichtet, überall<br />
Zeugen <strong>des</strong> Evangeliums zu sein. Deswegen dürfen
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
wir uns in unseren Kontakten nicht auf Streitigkeiten<br />
einlassen <strong>und</strong> sollen auf keinen Fall unversöhnlichen<br />
Gruppenbildungen Vorschub leisten. Wir<br />
wollen Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> sein, ohne Hintergedanken,<br />
fre<strong>und</strong>lich, fröhlich, je<strong>der</strong>mann untertan.<br />
Wir werden auf unnötigen Wi<strong>der</strong>stand verzichten.<br />
Denn wir sind überzeugt, dass wir Diener eines<br />
Wortes sind, das größer <strong>und</strong> wirksamer ist als wir<br />
selbst. Durch unsere zugleich wachsame <strong>und</strong> wohlwollende<br />
Liebe sollen wir allen, mit denen wir<br />
zusammenkommen, Zeugnis geben von dem unersetzlichen<br />
Wert einer jeden menschlichen Person.<br />
16. Befreiend für Unterdrückte <strong>und</strong><br />
für Unterdrücker:<br />
In unserer Welt haben wirtschaftliche, soziale <strong>und</strong><br />
politische Strukturen großen Einfluss auf den Menschen.<br />
Durch subtile Formen <strong>der</strong> Manipulation<br />
wird oftmals die wahre Freiheit verhin<strong>der</strong>t. Wir<br />
können demgegenüber nicht indifferent bleiben. Seien<br />
wir solidarisch überall dort, wo aufgr<strong>und</strong> einer Situation,<br />
vielleicht durch Unterentwicklung <strong>und</strong> Ausbeutung,<br />
<strong>der</strong> Mensch nicht als Mensch leben kann. Im<br />
Namen <strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>und</strong> gerade<br />
aus unserer Berufung als „Herolde <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“<br />
haben wir gegen dieses Übel anzukämpfen <strong>und</strong> uns<br />
einzusetzen für die Befreiung <strong>der</strong> Unterdrückten<br />
wie auch <strong>der</strong> Bedrücker, indem wir ihnen die<br />
Bekehrung <strong>und</strong> den Glauben an das Evangelium<br />
predigen (Mk I, 15).<br />
Kapitel 5: Diener aller<br />
18. Verweigerung je<strong>des</strong> Machtstrebens:<br />
Der Name „Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>“, den wir tragen, enthält<br />
nicht nur einen Aufruf zur Brü<strong>der</strong>lichkeit, son<strong>der</strong>n<br />
auch zum schlichten Dienst (minoritas). Schon<br />
innerhalb unserer Gruppe sind wir aufgefor<strong>der</strong>t,<br />
einan<strong>der</strong> gehorsam zu sein. Und wenn jemandem<br />
durch ein Amt eine gewisse Autorität gegeben ist,<br />
dann sollte je<strong>des</strong> Herrschenwollen <strong>und</strong> Machtstreben<br />
ausgeschlossen sein. Ein Amt haben bedeutet<br />
ganz einfach: den an<strong>der</strong>en dienen.<br />
19. Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />
Um Gottes willen sind wir aller Kreatur untertan.<br />
Deswegen müssen wir uns als einzelne wie als<br />
Gemeinschaft, als Kleine <strong>und</strong> als Diener erweisen.<br />
Niemand soll Angst vor uns haben. Denn wir versuchen<br />
zu dienen, nicht zu herrschen <strong>und</strong> uns aufzudrängen.<br />
Wir tun das aus religiösen Gründen. Solch<br />
eine Haltung braucht den Geist <strong>des</strong> Kindseins, <strong>des</strong><br />
Kleinseins, braucht Einfachheit <strong>und</strong> Optimismus<br />
den Menschen <strong>und</strong> den Ereignissen gegenüber. Wir<br />
müssen es hinnehmen, dass es Unsicherheit gibt im<br />
Bereich <strong>der</strong> Ideen <strong>und</strong> Institutionen <strong>und</strong> Ungewissheit<br />
angesichts <strong>der</strong> Zukunft. Wir wollen anerkennen,<br />
dass wir schwach <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>bar sind,<br />
„unnütze Knechte“ (Lk 17,10), <strong>und</strong> dass Gott allein<br />
stark ist. So können wir unseren Teil dazu beitragen,<br />
dass das Antlitz <strong>der</strong> christlichen Gemeinschaft wie<strong>der</strong><br />
strahlend wird – ihr Gesicht ist ja auch das ihres<br />
Herrn, <strong>der</strong> gekommen ist, „um zu dienen, nicht um<br />
bedient zu werden“ (Mt 20,28).<br />
Kapitel 6: Jünger <strong>des</strong> armen Christus<br />
20. Unsere ständige Herausfor<strong>der</strong>ung:<br />
Unsere Regel <strong>und</strong> unser Leben ist dies: in allem den<br />
Spuren Christi zu folgen. Weil er für uns arm<br />
geworden ist, sind wir gerufen, dem Herrn zu dienen<br />
in Armut <strong>und</strong> Einfachheit, wie Pilger <strong>und</strong><br />
Fremdlinge in dieser Welt. Gelebte Armut in ihrer<br />
doppelten, d. h. in ihrer geistlichen <strong>und</strong> sozialen<br />
Dimension ist unsere beson<strong>der</strong>e <strong>und</strong> bleibende Aufgabe.<br />
22. Leben wie einfache Leute:<br />
Wir müssen in unserer Zeit dafür sorgen, dass wir<br />
auch in einer völlig an<strong>der</strong>en sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />
Lage das Wesentliche unserer Entscheidung<br />
für die Armut durchhalten können. In <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
hat die radikale Armut <strong>des</strong> Franziskus auf den<br />
Orden immer wie<strong>der</strong> anziehend gewirkt. Der Orden<br />
hat sich stets mit größerer o<strong>der</strong> geringerer Strenge gegen<br />
den natürlichen Hang gewandt, sich einzurichten.<br />
Wir sind heute alle dazu aufgerufen, uns zu fragen,<br />
wie wir dieser For<strong>der</strong>ung gerecht werden können.<br />
Die Situation <strong>des</strong> größten Teils <strong>der</strong> Menschen lässt<br />
sich heute so kennzeichnen: Sie haben kein Eigentum<br />
an Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden, wohnen in Miete, sie<br />
arbeiten für ihren Lebensunterhalt, ihre Arbeitsstelle<br />
ist kündbar. Ein noch wichtigerer Maßstab vielleicht<br />
ist die Masse <strong>der</strong>er, die unter unmenschlichen<br />
Bedingungen leben. Wir müssen danach suchen,<br />
wie wir heute, unter Berücksichtigung <strong>der</strong> örtlichen<br />
201
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
Gegebenheiten, die ,minoritas‘ leben können. Aus<br />
<strong>der</strong> Situation, in <strong>der</strong> wir leben, können wir nicht<br />
einfach ausbrechen. Wir wenden uns jedoch gegen<br />
jene Strukturen <strong>und</strong> Zustände, durch die so viele<br />
unserer Mitmenschen in Not leben. Gemeinsam<br />
mit ihnen wollen wir versuchen, <strong>der</strong> Sauerteig<br />
für eine neue Gesellschaft zu sein, die zur vollkommenen<br />
Teilhabe am Heil Christi berufen ist<br />
(vgl. Röm 11,12).<br />
23. Frei <strong>und</strong> anspruchslos:<br />
Wenn wir so zu leben lernen, können wir uns von<br />
<strong>der</strong> heutigen Produktions- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft<br />
deutlich <strong>und</strong> kritisch distanzieren. Wir müssen auf<br />
Besitzungen verzichten <strong>und</strong> von unserer Arbeit<br />
leben, einfach, anspruchslos, aber nicht stillos. Wir<br />
müssen uns hüten, <strong>der</strong> Reklame zum Opfer zu fallen,<br />
die ja nur auf Konsum zielt. Das wird uns den Sinn<br />
<strong>der</strong> materiellen Güter aufgehen lassen. Es wird uns<br />
den Armen <strong>und</strong> Benachteiligten näher bringen <strong>und</strong><br />
beson<strong>der</strong>s allen jenen, die sich von <strong>der</strong> Wohlstandsgesellschaft<br />
angewi<strong>der</strong>t fühlen <strong>und</strong> versuchen, anspruchsloser<br />
<strong>und</strong> freier zu leben.<br />
24. Frei von Angst:<br />
Unsere evangelische Armut schließt auch das Teilen<br />
ein. Was wir haben, werden wir nicht nur untereinan<strong>der</strong><br />
teilen. Wir müssen vielmehr versuchen, es<br />
auch an<strong>der</strong>en weiterzugeben <strong>und</strong> sie geistig wie<br />
materiell zu unterstützen. Die Armut, für die wir<br />
uns entschieden haben, befreit uns von Sorge – wir<br />
haben die Verheißung, <strong>und</strong> unsere Hoffnung gründet<br />
sich darauf. So kann unser Leben <strong>und</strong> unsere<br />
Freude ein Zeugnis davon sein, dass diese Welt<br />
einen Sinn hat, <strong>der</strong> über sie hinausgeht; dass es auf<br />
eine Zukunft zugeht, die wir Jesus Christus nennen.<br />
25. Ökologie <strong>und</strong> brü<strong>der</strong>liche Menschlichkeit:<br />
Im Geist <strong>des</strong> „Sonnengesangs“ gilt unsere brü<strong>der</strong>liche<br />
Sorge auch <strong>der</strong> ganzen Schöpfung. Die Natur<br />
ist ja heute bedroht durch unverantwortliches <strong>und</strong><br />
gedankenloses Verhalten <strong>der</strong> Industrie- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft.<br />
Wir Menschen haben diese Erde als<br />
freie Gabe aus <strong>der</strong> Liebe Gottes empfangen – wir<br />
wollen sie menschlich gestalten durch eine Beherrschung,<br />
die nichts an<strong>der</strong>es ist als ein brü<strong>der</strong>licher<br />
Dienst an allem. Wir teilen zwar die Unruhe unserer<br />
Zeit; wir eröffnen ihr aber auch den tieferen Sinn:<br />
diese Schöpfung hat ihren Ursprung in <strong>der</strong> Liebe.<br />
Es soll eine brü<strong>der</strong>liche Menschheit entstehen in<br />
202<br />
Christus, durch den <strong>und</strong> auf den hin alles geschaffen<br />
ist.<br />
Kapitel 7: Kün<strong>der</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> in unserer Welt<br />
31. Neue Menschlichkeit:<br />
Die wesentliche Sendung unserer Brü<strong>der</strong>gemeinschaft,<br />
ihre Berufung in Kirche <strong>und</strong> Welt besteht in<br />
<strong>der</strong> lebendigen Verwirklichung unseres Lebensplans.<br />
Wenn wir uns bemühen, die Glaubenserfahrung<br />
innerhalb <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft zu<br />
leben, indem wir eine brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft <strong>der</strong><br />
Liebe <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes aufbauen, die für alle offen<br />
ist; wenn wir in Armut <strong>und</strong> Arbeit leben <strong>und</strong> die<br />
Hoffnung <strong>der</strong> Armen teilen, dann sind wir überzeugt:<br />
unser Leben kann eine Andeutung <strong>der</strong> neuen<br />
Menschheit sein – jener neuen Menschheit, die sich<br />
um den auferstandenen Jesus versammelt <strong>und</strong> bildet<br />
in <strong>der</strong> Kraft seines Geistes. Unser Beitrag zum Aufbau<br />
<strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschheit besteht in erster<br />
Linie darin: Zeugnis abzulegen durch unser Leben.<br />
33. Inmitten <strong>der</strong> Menschen:<br />
Wir wollen inmitten <strong>der</strong> Gesellschaft eine brü<strong>der</strong>liche<br />
Gemeinschaft aufbauen, in <strong>der</strong> die verschiedensten<br />
Menschen miteinan<strong>der</strong> leben, die Güter teilen,<br />
gemeinsam arbeiten. Wenn eine Gemeinschaft auf<br />
die Gewalt verzichtet, um dienstbar sein zu können;<br />
wenn sie sich für einen Lebensstil entscheidet, <strong>der</strong><br />
sie den Armen nahe bringt <strong>und</strong> sie aufmerksam<br />
macht für das Los <strong>der</strong> Unterdrückten, dann hat das<br />
– ob man es nun will o<strong>der</strong> nicht – soziale <strong>und</strong> politische<br />
Auswirkungen. Man möge sich davor hüten,<br />
unser Bestreben mit irgendeiner politischen Strömung<br />
zu verwechseln. Und man lasse sich auch nicht für die<br />
eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Tendenz einspannen. Was wir wollen<br />
ist nur dies: die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Seligpreisungen bis in<br />
die letzte Konsequenz hinein verfolgen. Je<strong>der</strong> menschliche<br />
Erfolg ist da relativ <strong>und</strong> vorläufig, denn er<br />
kann nicht einfach mit dem Reich Gottes in eins<br />
gesetzt werden; aber wir können doch zeigen, dass<br />
eine Gesellschaft möglich ist, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Mensch frei<br />
ist, in <strong>der</strong> er als Bru<strong>der</strong> anerkannt <strong>und</strong> in seinem<br />
Wert respektiert wird.<br />
34. Soziales <strong>und</strong> politisches Engagement:<br />
Daher <strong>und</strong> unter Beachtung unserer Berufung als<br />
<strong>Friedens</strong>stifter können wir wahrhaftig <strong>und</strong> ehrlich
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
an den sozialen <strong>und</strong> politischen Problemen <strong>und</strong><br />
Kämpfen von heute teilnehmen. Damit alle blinde<br />
<strong>und</strong> sentimentale Begeisterung vermieden wird,<br />
bedarf es natürlich einer ernsthaften Information;<br />
sie muss Pauschalurteile <strong>und</strong> unverantwortliche<br />
Erklärungen verhin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> eine möglichst objektive<br />
Analyse <strong>der</strong> Situation erlauben. Mehr noch:<br />
wenn wir untereinan<strong>der</strong> die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> das<br />
Teilen zu leben versuchen; wenn wir nach unseren<br />
Möglichkeiten <strong>und</strong> Talenten am Los <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Arbeit<br />
für die Armen <strong>und</strong> Benachteiligten unserer Zeit teilnehmen,<br />
dann haben wir auch das Recht <strong>und</strong> die<br />
Pflicht, uns für die Unterdrückten einzusetzen. Das<br />
werden wir aus Liebe zur Person tun, die wir in<br />
jedem Menschen entdecken. Es spielt dabei keine<br />
Rolle, zu welcher sozialen Gruppe er gehört. Als<br />
Menschen, die sich für den Frieden einsetzen, werden<br />
wir das Reich Gottes vorantreiben. Dort wird es<br />
ja keine Mauern mehr zwischen den Menschen<br />
geben <strong>und</strong> keine Beherrschung <strong>des</strong> einen durch den<br />
an<strong>der</strong>en: „nicht mehr Sklave noch Freier, … son<strong>der</strong>n<br />
alle Söhne Gottes“ (Gal 3,26-28).<br />
Generalkapitel Assisi 1979<br />
Prioritäten <strong>und</strong> Empfehlungen<br />
<strong>des</strong> Generalkapitels<br />
2. Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> sollen in einer zunehmend<br />
säkularisierten Welt ihren Teil zur christlichen<br />
Durchdringung beitragen, indem sie sich selber<br />
zahlreich <strong>und</strong> intensiv <strong>und</strong> mit ihrer im Evangelium<br />
verwurzelten Predigt den Problemen dieser Erde<br />
zuwenden.<br />
6. Wir wollen uns mit „christlichen Basisgemeinden“<br />
verbünden, damit <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Evangeliums<br />
noch eindeutiger aufscheint. Ebenso wollen wir in<br />
unserem Einsatz für Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
denen nahe sein, die verfolgt <strong>und</strong> ausgebeutet werden.<br />
Wir wollen so leben, dass wir durch unsere<br />
Lebensweise Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> för<strong>der</strong>n<br />
gemäß dem Wort <strong>des</strong> Herrn in unserer Regel<br />
(RegB 10): „Selig sind jene, die wegen <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
verfolgt werden, denn ihnen gehört das<br />
Himmelreich.“<br />
Jesaja 58, 10<br />
Ordensrat Bahia 1983<br />
Kapitel 1: Unsere Sendung – Evangelisierung<br />
13. In unserer Welt mit ihren Hoffnungen <strong>und</strong><br />
Sehnsüchten sehen wir ein Verlangen nach Gemeinschaft,<br />
Frieden, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Menschenwürde,<br />
zugleich mit dem Verlangen nach Befriedigung<br />
menschlicher Gr<strong>und</strong>bedürfnisse. Zur gleichen Zeit<br />
leidet die Gesellschaft unter Atheismus <strong>und</strong> religiöser<br />
Gleichgültigkeit, unter wi<strong>der</strong>streitenden Ideologien,<br />
Kriegen, Rassismus, Unterdrückung <strong>und</strong> einer<br />
immer größer werdenden Kluft zwischen reich <strong>und</strong><br />
arm. Was haben wir angesichts einer solchen Weltsituation<br />
anzubieten?<br />
14. Jesus sagt uns: „Der Geist <strong>des</strong> Herrn ruht auf<br />
mir, denn <strong>der</strong> Herr hat mich gesalbt. Er hat mich<br />
gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht<br />
bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung<br />
verkünde <strong>und</strong> den Blinden das Augenlicht; damit<br />
ich die Zerschlagenen in Freiheit setze <strong>und</strong> ein<br />
Gnadenjahr <strong>des</strong> Herrn ausrufe“ (Lk 4, 18-19). Die<br />
Sendung <strong>der</strong> Kirche ist, Jesus <strong>und</strong> das Reich Gottes,<br />
das er verkündet hat, sichtbar zu machen. Er will<br />
203
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
alle Menschen befreien von Sünde <strong>und</strong> allem, was<br />
sie bedrückt, damit sie die Fülle <strong>des</strong> Lebens haben:<br />
ein Leben <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>der</strong><br />
Hoffnung, <strong>der</strong> Freude <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe.<br />
15. Die Nachfolge Jesu verlangt von uns metanoia,<br />
persönliche <strong>und</strong> gemeinsame Umkehr. Nur so vermögen<br />
wir Kulturen mit den Werten <strong>des</strong> Evangeliums<br />
zu durchdringen. Deshalb müssen wir selbst<br />
immer neu evangelisiert werden, d. h. <strong>der</strong> Sünde<br />
absagen, uns von je<strong>der</strong> Beteiligung an Unrecht <strong>und</strong><br />
Unterdrückung freimachen; alles ausräumen, was<br />
uns hin<strong>der</strong>t, die in <strong>der</strong> Welt wirkende Liebe Gottes<br />
zu erfahren <strong>und</strong> zu verkünden.<br />
16. In dem Bestreben, bessere Kün<strong>der</strong> <strong>des</strong> Evangeliums<br />
zu werden, schauen wir auf Franziskus, <strong>der</strong> seiner<br />
Zeit neue Einsichten <strong>und</strong> Akzente vermittelt hat:<br />
Brü<strong>der</strong>lichkeit:<br />
Als manche in <strong>der</strong> Kirche jene als Ketzer verdammten,<br />
die nicht zu ihrer Herde gehörten, ja sogar<br />
Armeen gegen sie schickten, verkündete Franziskus<br />
die gute Botschaft, dass sie unsere Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />
Schwestern sind.<br />
Frieden:<br />
Als Städtekriege tobten <strong>und</strong> die Gesellschaft durch<br />
das Feudalsystem zerrissen war, verkündete er die<br />
gute Botschaft vom Frieden.<br />
Armut:<br />
Als man die Reichen wie Götter behandelte,<br />
verkündete er die gute Botschaft von <strong>der</strong> „Seligpreisung“<br />
<strong>der</strong> Armen.<br />
Minoritas:<br />
Als viele nach Macht <strong>und</strong> Ansehen strebten, verkündete<br />
er die gute Botschaft <strong>der</strong> Kleinen <strong>und</strong> Geringen.<br />
Umwelt:<br />
Als viele Angst hatten vor <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e sie<br />
sich untertan zu machen suchten, verkündete er die<br />
gute Nachricht, dass die Erde unsere Mutter ist <strong>und</strong><br />
die ganze Schöpfung eine Familie, die mit Respekt<br />
zu behandeln ist.<br />
Präsenz:<br />
Als manche Ordensleute sich vom Volk abson<strong>der</strong>ten,<br />
wollte Franziskus, dass seine Brü<strong>der</strong> dem<br />
204<br />
einfachen Volke nahe seien, vor allem den Kleinen<br />
<strong>und</strong> Geringen.<br />
Heiliger Geist:<br />
Als die Kirche sehr stark institutionalisiert war,<br />
blieb Franziskus sich <strong>der</strong> Rolle <strong>des</strong> Geistes bewusst<br />
<strong>und</strong> ermahnte seine Brü<strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong>, „Männer<br />
<strong>des</strong> Geistes“ zu sein; er sagte, dass <strong>der</strong> Heilige Geist<br />
<strong>der</strong> wahre Generalminister unseres Ordens ist.<br />
Diese Punkte sind auch heute noch hochaktuell; wir<br />
wollen <strong>des</strong>halb in den folgenden Kapiteln ein wenig<br />
darüber nachdenken.<br />
17. Als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> sind wir dazu berufen, eine<br />
„Vorhut <strong>der</strong> Evangelisierung“ zu sein in einer Kirche,<br />
die immer wie<strong>der</strong> Fleisch werden <strong>und</strong> sich<br />
erneuern muss. Wir müssen dementsprechend offen<br />
<strong>und</strong> sensibel sein für das Wirken <strong>des</strong> Heiligen Geistes,<br />
<strong>und</strong> zwar innerhalb <strong>und</strong> außerhalb <strong>der</strong> Kirche.<br />
Neben <strong>der</strong> Seelsorge an den Gläubigen sehen wir<br />
eine große Verpflichtung darin, uns jener in unserer<br />
Gesellschaft anzunehmen, die vom Evangelium<br />
noch nicht berührt sind, wie auch jener, die sich von<br />
<strong>der</strong> traditionellen Verkündigung <strong>des</strong> Evangeliums<br />
nicht mehr angesprochen fühlen. Durch unsere Präsenz<br />
wollen wir sie ermutigen, ihr Leben zu hinterfragen<br />
<strong>und</strong> dabei das Gute, das wir in ihnen finden,<br />
zu för<strong>der</strong>n. Und wenn wir erkennen, dass es Gottes<br />
Wille ist (NbReg 16,17), wollen wir den HERRN<br />
freimütig verkünden. Des weiteren bitten wir unsere<br />
Brü<strong>der</strong>, jenen Ortskirchen in Asien, Afrika <strong>und</strong><br />
Lateinamerika, die in großer Not sind, eine großherzige<br />
Antwort zu geben. Drei Milliarden Menschen<br />
haben noch nie etwas vom Evangelium gehört. Es ist<br />
für uns eine große Chance <strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
die Vision <strong>des</strong> Franziskus an Kulturen weiterzugeben<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig von ihnen bereichert zu werden.<br />
Kapitel 2: Gesandt als Bru<strong>der</strong><br />
19. Habsucht, Rassismus, Unterdrückung <strong>und</strong><br />
Krieg spalten heute die Völker. Es gibt aber auch<br />
Zeichen von Hoffnung <strong>und</strong> neuem Leben in Initiativen,<br />
die vor allem auf internationaler Ebene für<br />
Solidarität eintreten sowie in Bewegungen für<br />
Menschenrechte, Ökumene, Gewerkschaften, unter<br />
<strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong> im praktischen Austausch mit<br />
Menschen in Entwicklungslän<strong>der</strong>n.
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
20. Solidarität in Leben <strong>und</strong> Arbeit ist charakteristisch<br />
für eine Familie. Denn das ist es, was wir<br />
Menschen sind: Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern, Kin<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />
gleichen Gottes im Himmel. Jesus wurde unser Bru<strong>der</strong>,<br />
um alles im Himmel <strong>und</strong> auf Erden zu vereinigen.<br />
Er lädt alle ein, Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Familie Gottes zu<br />
werden. Diese Familie zu errichten, ist <strong>der</strong> Kern<br />
unserer Bemühungen.<br />
Kapitel 3: Als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> unter<br />
den Armen<br />
24. Vor allem in <strong>der</strong> Dritten Welt leidet die Mehrzahl<br />
<strong>der</strong> Menschen unter unmenschlicher Armut:<br />
Hunger, Krankheit, Analphabetismus, Arbeitslosigkeit,<br />
Leben in Slums. Einwan<strong>der</strong>er <strong>und</strong> Flüchtlinge<br />
bleiben am Rand <strong>der</strong> Gesellschaft. Millionen sind<br />
politisch unterdrückt, viele werden gefoltert <strong>und</strong><br />
sogar getötet. (Die Kirche hat eine immer länger<br />
werdende Liste mo<strong>der</strong>ner Märtyrer). In unserer<br />
Welt sterben jährlich 30 Millionen Menschen an<br />
Hunger. Frauen werden als Objekte behandelt <strong>und</strong><br />
gedemütigt. Die Mehrzahl <strong>der</strong> Menschen ist vom<br />
sozialen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Fortschritt<br />
ausgeschlossen. Sie erfahren wenig o<strong>der</strong> gar<br />
keine <strong>Gerechtigkeit</strong>. Kein Haus, kein Land, keine<br />
Arbeitsstelle, kein Geld, keine Freiheit – diese Menschen<br />
sind <strong>der</strong> Verzweiflung nahe.<br />
25. Auch die reicheren Län<strong>der</strong> in Ost <strong>und</strong> West<br />
haben ihre Armen <strong>und</strong> Marginalisierten: Immigranten,<br />
Min<strong>der</strong>heiten, Arbeitslose, Behin<strong>der</strong>te, politisch<br />
<strong>und</strong> religiös Verfolgte. Auch unter den Wohlhabenden<br />
steigt die Zahl <strong>der</strong> Einsamen, <strong>der</strong> psychisch<br />
Kranken, <strong>der</strong> Opfer von Alkohol <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Drogen.<br />
26. Die Industrielän<strong>der</strong> sind in erschrecken<strong>der</strong> Weise<br />
gekennzeichnet von <strong>der</strong> Konsummentalität, welche<br />
die Menschen nach dem beurteilt, was sie produzieren<br />
<strong>und</strong> besitzen. Über die Massenmedien<br />
breitet sich die Konsummentalität auch in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n<br />
aus <strong>und</strong> schafft dort künstliche<br />
Bedürfnisse <strong>und</strong> untergräbt Werte.<br />
27. Bereits im Alten Testament, beson<strong>der</strong>s aber im<br />
Neuen wird das Mitleiden Gottes mit den Armen<br />
deutlich gemacht. Jesus gab <strong>der</strong> Armut ihre tiefste<br />
Bedeutung in seiner eigenen Person: in seiner<br />
Geburt, in seinem Leben <strong>und</strong> am Kreuz. Er identifizierte<br />
sich mit den Armen (Mt. 25, 40). In Wort<br />
<strong>und</strong> Tat verkündete er die Macht <strong>der</strong> Machtlosen.<br />
Er hat die Armen nicht am Rand gelassen, son<strong>der</strong>n<br />
sie vielmehr ins Zentrum seines Lebens <strong>und</strong> seines<br />
Dienstes hinein genommen. Als Jesus seine Apostel<br />
aussandte, verlangte er von ihnen, nichts mitzunehmen<br />
(Lk 10,4). Maria, seine Mutter, gehörte<br />
ebenfalls zu den Armen (Lk 1,48).<br />
28. Franziskus fand Christus in den Ärmsten <strong>der</strong><br />
Armen, den Aussätzigen. Die Liebe <strong>des</strong> Vaters wurde<br />
für ihn Wirklichkeit im armen Kind von Bethlehem<br />
<strong>und</strong> im Leidensknecht von Golgatha. Franziskus<br />
lebte <strong>und</strong> arbeitete mit Aussätzigen <strong>und</strong> Armen,<br />
um an ihrer „Seligpreisung“ teilzuhaben. Er freute<br />
sich an ihrer Niedrigkeit <strong>und</strong> Machtlosigkeit, an<br />
ihrem großen Vertrauen in die Vorsehung, an ihrer<br />
Freiheit. Auch wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> werden Jesus finden,<br />
wenn wir für die Armen <strong>und</strong> mit den Armen<br />
sind <strong>und</strong> wie sie leben. Wir evangelisieren <strong>und</strong> wir<br />
werden <strong>des</strong>halb evangelisiert vor allem durch Armut<br />
<strong>und</strong> Min<strong>der</strong>sein.<br />
29. Die Nachfolge <strong>des</strong> armen Christus (NbReg 9,1)<br />
wird uns zu einem Leben mit den Armen führen, als<br />
„minores“, die dasselbe Leben führen wie sie, in<br />
Solidarität mit ihnen klein, niedrig <strong>und</strong> machtlos<br />
wie sie. Auf diese Weise evangelisieren wir <strong>und</strong> werden<br />
wir selber evangelisiert.<br />
30. Wir müssen jedoch freimütig bekennen, dass wir<br />
gegenwärtig oft weit entfernt von den Armen leben.<br />
Beson<strong>der</strong>s in dieser Hinsicht müssen wir uns selber<br />
ständig von neuem evangelisieren. Wirklich arm<br />
werden wir nur dann, wenn wir ihre Ängste, Unsicherheiten<br />
<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>bedürfnisse teilen. Als Brü<strong>der</strong><br />
unter den Armen, machtlos, werden wir um so mehr<br />
auf die Vorsehung Gottes vertrauen. Im Verzicht auf<br />
vieles werden wir uns um so stärker dem Dialog <strong>des</strong><br />
Lebens mit den Menschen um uns öffnen.<br />
31. Diese neue Sicht <strong>des</strong>sen, was wichtig ist, lässt<br />
uns als Franziskaner einen an<strong>der</strong>en Standort in <strong>der</strong><br />
Welt von heute einnehmen, wie es viele Ortskirchen<br />
in Lateinamerika durch eine vorrangige Option für<br />
die Armen schon getan haben.<br />
Deshalb ruft <strong>der</strong> Ordensrat alle Brü<strong>der</strong> auf:<br />
1. mit den Armen zu leben, damit wir die Ge-<br />
205
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
schichte <strong>und</strong> die Wirklichkeit vom Blickwinkel<br />
<strong>der</strong> Armen zu sehen lernen;<br />
2. keine unnützen Dinge zu kaufen, um so ein<br />
prophetisches Zeugnis gegen die wachsende<br />
Konsumhaltung zu geben;<br />
3. von den Armen den Geist <strong>der</strong> Solidarität <strong>und</strong><br />
echter Brü<strong>der</strong>lichkeit zu lernen, <strong>der</strong> uns in<br />
unseren oft zu großen <strong>und</strong> bequemen Häusern<br />
so schwer fällt;<br />
4. uns selbst <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en das ungerechte sozioökonomische,<br />
politische <strong>und</strong> kulturelle Herrschaftssystem<br />
<strong>der</strong> Supermächte, <strong>der</strong> reicheren<br />
Nationen in Ost <strong>und</strong> West, <strong>der</strong> multi- <strong>und</strong><br />
transnationalen Konzerne klarzumachen, unter<br />
dem Millionen von Menschen in <strong>der</strong> Dritten<br />
Welt leiden, <strong>und</strong> eine neue wirtschaftliche <strong>und</strong><br />
politische Ordnung herbeiführen zu helfen, die<br />
<strong>der</strong> Welt größere <strong>Gerechtigkeit</strong> schenkt;<br />
5. eine prophetische Haltung gegen alle oppressiven<br />
<strong>und</strong> totalitären Systeme einzunehmen;<br />
6. das Evangelium überall dorthin zu bringen,<br />
wo die Armen sich für eine integrale Befreiung<br />
organisieren – sei es in Volksorganisationen,<br />
Gewerkschaften <strong>und</strong> solchen Sozialprogrammen,<br />
die dem Volk zur Anerkennung seiner<br />
Rechte verhelfen sollen.<br />
Kapitel 4: <strong>Werkzeuge</strong> für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden<br />
32. Im vorhergehenden Kapitel war die Rede von<br />
<strong>der</strong> Ungerechtigkeit, die die Armen erleiden, die<br />
ihrer Gr<strong>und</strong>rechte beraubt werden. Die Armen leiden<br />
wie an<strong>der</strong>e Menschen auch unter <strong>der</strong> Ungerechtigkeit,<br />
die eine Folge <strong>des</strong> Krieges ist. Der Kontrast<br />
zwischen reich <strong>und</strong> arm besteht in Städten, Län<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> vor allem zwischen Nord <strong>und</strong> Süd.<br />
33. „Der Rüstungswettlauf, das große Verbrechen<br />
unseres Zeitalters, ist sowohl Folge als auch Ursache<br />
von Spannungen zwischen unseren Nationen.“ Das<br />
erklärten die Bischöfe von Lateinamerika in Puebla.<br />
Sie sagten weiter: „Enorme Mittel werden <strong>des</strong>halb<br />
zum Ankauf von Waffen verwandt statt zur Lösung<br />
lebenswichtiger Probleme.“ Papst Johannes Paul II<br />
hat in Hiroshima in eindrucksvoller Weise zum<br />
Ausdruck gebracht, dass <strong>der</strong> Weltfriede ein lebenswichtiger<br />
Teil unserer Evangelisierung ist. „Nur<br />
206<br />
durch eine bewusste Option … kann die Menschheit<br />
überleben.“<br />
34. Wir sind uns <strong>der</strong> Gewalttätigkeit <strong>des</strong> Krieges<br />
bewusst, nicht jedoch so sehr <strong>der</strong> Gewalttätigkeit,<br />
die aus Ungerechtigkeit erwächst. Wenn ein Kind<br />
verhungert, dann ist das Gewaltanwendung. In Brasilien<br />
ist die Kirche zusammen mit an<strong>der</strong>en bemüht,<br />
das Bewusstsein für diese Form <strong>der</strong> Gewalt zu<br />
wecken – die Gewaltanwendung durch Hunger,<br />
Landvertreibung, Einkerkerung, Folter <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit.<br />
Das Leiden unter Gewaltanwendung –<br />
direkter <strong>und</strong> indirekter Art – ist eine Lebensbedingung<br />
für viele Menschen. Zusehen zu müssen,<br />
wie die Kin<strong>der</strong> ohne Zukunftschancen aufwachsen,<br />
ist eine Form von Gewalt.<br />
36. Sich gegenseitig <strong>und</strong> unseren Planeten zu zerstören<br />
- das kann niemals das Ziel sein, das Gott <strong>der</strong><br />
Menschheit bereitet hat. Jesaja sagt: „Ich werde für<br />
immer mein Versprechen zum Frieden einhalten“<br />
(Jes 54, 10). Und Jesus hat versprochen: „Frieden<br />
hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“<br />
(Joh 14,27). Angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass 1,4 Milliarden<br />
Dollar pro Tag für Waffen ausgegeben werden,<br />
während zugleich pro Tag 40.000 Kin<strong>der</strong> verhungern,<br />
muss unsere Welt Wege finden, die<br />
Ermahnung Jesajas in die Tat umzusetzen, d. h.<br />
Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln (Jes 2,4)<br />
<strong>und</strong> die gewaltige Summe von 500 Milliarden<br />
Dollar pro Jahr für das einzusetzen, was unsere<br />
Menschheit wirklich braucht.<br />
38. <strong>Friedens</strong>stifter zu sein, ist eine ganz entscheidende<br />
Seite in unserem franziskanischen Leben <strong>und</strong><br />
unserer Evangelisierung <strong>der</strong> Welt.<br />
Der Ordensrat ruft <strong>des</strong>halb alle Brü<strong>der</strong> auf:<br />
1. im Gebet Männer <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> mit Gott <strong>und</strong><br />
den Menschen zu sein; Gebet <strong>und</strong> Fasten zu<br />
einem Teil unserer <strong>Friedens</strong>bemühungen zu<br />
machen; <strong>Friedens</strong>bewegungen in unserer<br />
Gesellschaft zu unterstützen; ja, persönlich in<br />
solchen Bewegungen mitzumachen;<br />
2. gewaltlose <strong>Friedens</strong>initiativen zu unterstützen,<br />
Kriegsdienstverweigerern zu helfen – vor allem<br />
jenen, die gegen Atomwaffen protestieren;<br />
denen beizustehen, die wegen ihrer Überzeugungen<br />
<strong>und</strong> ihrer Bemühungen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden inhaftiert werden;
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
3. eine <strong>Friedens</strong>pädagogik zu entwickeln vor<br />
allem für die Jugend in unseren Schulen <strong>und</strong><br />
Seminarien;<br />
4. Wege zu finden, wie wir Ungerechtigkeiten<br />
unter uns selbst beseitigen können <strong>und</strong> wie wir<br />
bei allen unterschiedlichen Meinungen in unseren<br />
Gemeinschaften in Frieden zusammenleben<br />
können als Zeugen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> Christi;<br />
5. wo immer es möglich ist, Brü<strong>der</strong> hauptamtlich<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden einzusetzen <strong>und</strong><br />
alle jene Brü<strong>der</strong> zu unterstützen, die schon in<br />
den Justitia et Pax-Initiativen <strong>des</strong> Ordens <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Provinzen arbeiten;<br />
6. für die Rechte <strong>der</strong> Ungeborenen einzutreten,<br />
aber ebenso für jene, die schon geboren, jedoch<br />
ohne jede Hoffnung auf Zukunft sind;<br />
7. laut <strong>und</strong> deutlich den Rüstungswettlauf <strong>und</strong><br />
alle Atomwaffen, die schon produziert sind, zu<br />
verurteilen.<br />
Generalkapitel Assisi 1985<br />
„Das Evangelium Leben“<br />
5. Die neuen Generalkonstitutionen <strong>und</strong> -statuten,<br />
die aus dem Generalkapitel 1985 kommen, möchten<br />
eine zeitgemäße Antwort auf den Ruf <strong>des</strong><br />
Evangeliums an uns alle sein. Wenn wir auf diese<br />
<strong>und</strong> einige an<strong>der</strong>e franziskanische Dokumente <strong>der</strong><br />
letzten Jahre schauen, dann sehen wir, wie einige<br />
Themen dort immer wie<strong>der</strong>kehren.<br />
1) die kontemplativen Dimensionen unseres<br />
Lebens;<br />
2) die Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Friede;<br />
3) Ausbildung <strong>und</strong> ständige Weiterbildung im<br />
missionarischen Geist.<br />
B. Option für die Armen –<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Friede<br />
„Und sie müssen sich freuen, wenn sie mit gewöhnlichen<br />
<strong>und</strong> verachteten Leuten verkehren, mit<br />
Armen <strong>und</strong> Schwachen <strong>und</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettlern<br />
am Wege“ (NbReg 9,2)<br />
23. Wenn wir von <strong>der</strong> Option für die Armen sprechen,<br />
dann ist uns klar, dass die Formen <strong>und</strong> die<br />
Ursachen <strong>der</strong> Armut von Land zu Land verschieden<br />
sind. Als Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> möchten wir jedoch mit<br />
den Armen sein, um zu helfen, dass ihnen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
wi<strong>der</strong>fährt.<br />
1. Wir ermutigen jede Provinz, wenigstens eine<br />
Bru<strong>der</strong>schaft zu haben, die unter den Armen <strong>und</strong><br />
Benachteiligten lebt. So können die Brü<strong>der</strong> lernen,<br />
sich mit den Armen zu identifizieren, mit ihnen zu<br />
beten <strong>und</strong> mit ihnen zusammen für eine bessere<br />
Welt einzutreten. Wir glauben daran, dass die<br />
Armen uns das Wort Gottes besser verstehen helfen.<br />
2. Wir ermutigen den Orden, beson<strong>der</strong>s die Provinzen,<br />
konkrete Wege <strong>der</strong> freiwilligen Trennung von<br />
Eigentum <strong>und</strong> Besitz zu finden, in einem Maße, das<br />
uns wirklich „Minores“ sein lässt.<br />
3. Jede Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> in ihr sollte<br />
sich im Umgang mit materiellen Gütern wirklich<br />
größter Einfachheit befleißigen <strong>und</strong> sich weigern,<br />
überflüssige Dinge zu kaufen. Sie sollen gegen die<br />
anwachsende Konsumhaltung ein prophetisches<br />
Zeichen setzen.<br />
4. Jede Provinz sollte in konkreter Weise ihre Güter<br />
mit den Armen teilen. Unsere beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit<br />
verdienen jene Bru<strong>der</strong>schaften, die selber<br />
keine ausreichende Mittel insbeson<strong>der</strong>e für die Ausbildung<br />
<strong>und</strong> ihren pastoralen Dienst haben, aber<br />
auch Mitglie<strong>der</strong> unserer Familien, die in Not sind<br />
<strong>und</strong> ehemalige Mitbrü<strong>der</strong>.<br />
5. Im Bewusstsein darum, dass Franziskus sich dem<br />
Frieden verpflichtet hatte, sollten wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
heute positive Programme für Frieden, Versöhnung<br />
<strong>und</strong> Zurückweisung <strong>der</strong> Gewalt in allen Formen<br />
entwickeln. Ja, wir müssen uns mit jenen zusammentun,<br />
die sich gegen den Rüstungswettlauf <strong>und</strong><br />
gegen den Waffenverkauf stellen. Wir sollten für<br />
nukleare Abrüstung <strong>und</strong> den Schutz menschlichen<br />
Lebens eintreten. Je<strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> je<strong>der</strong> lokalen<br />
Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> jedem einzelnen Bru<strong>der</strong> tragen<br />
wir auf, in möglichst konkreter Weise solche Initiativen<br />
zu för<strong>der</strong>n, von denen in Nr. 38 <strong>des</strong> Dokumentes<br />
von Bahia die Rede ist.<br />
Da solche Initiativen jedoch nicht je<strong>der</strong>manns<br />
Sache sind, möchten wir alle, die sich dazu imstande<br />
fühlen, zu solchen konkreten Schritten ermutigen.<br />
Alle an<strong>der</strong>en sollten solche Schritte wohlwollend<br />
unterstützen.<br />
6. Jede Provinz sollte eine Arbeitsgemeinschaft für<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden haben. Die AG’s <strong>der</strong> Provinzen<br />
könnten sich untereinan<strong>der</strong> zu einer AG <strong>der</strong><br />
Konferenz zusammenschließen. Für den Gesamtor-<br />
207
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
den sollte schließlich in Zusammenarbeit mit allen<br />
Konferenzen ebenfalls eine entsprechende Struktur<br />
gef<strong>und</strong>en werden, welche die Anliegen von „<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden“ wirksam för<strong>der</strong>n hilft.<br />
7. Um „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ weltweit zu<br />
för<strong>der</strong>n, soll je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganze Orden den<br />
Dialog mit den Menschen in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n<br />
suchen, auch mit solchen Menschen, die an<strong>der</strong>en<br />
Glaubensrichtungen <strong>und</strong> Ideologien angehören.<br />
8. Der Friede <strong>und</strong> die <strong>Gerechtigkeit</strong> müssen aber<br />
zunächst in je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft gelebt werden. Das<br />
„Wie“ könnte ein Jahresthema für das Hauskapitel<br />
sein. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit verdienen alle Fälle<br />
von Ungerechtigkeiten unter Brü<strong>der</strong>n, sollen alle<br />
doch glaubwürdige Zeugen <strong>des</strong> österlichen <strong>Friedens</strong><br />
Jesu Christi sein.<br />
9. Unsere Kontemplation, unser Hören auf Gottes<br />
Wort nach Beispiel <strong>des</strong> hl. Franziskus, unser Kontakt<br />
zu einer immer mehr von Gewalt <strong>und</strong> Krieg<br />
geprägten Welt, die Bedrohung durch den nuklearen<br />
Holocaust – alles das trägt uns unmissverständlich<br />
auf, <strong>Werkzeuge</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu sein. Daraus<br />
ergeben sich diese Folgerungen:<br />
■ Wir setzen uns für eine <strong>Gerechtigkeit</strong> ein, die<br />
<strong>der</strong> Gewaltanwendung gegen die Armen ein<br />
Ende macht, beson<strong>der</strong>s jener Form von Gewalt,<br />
als <strong>der</strong>en Folge viele Millionen an Hunger <strong>und</strong><br />
Unterernährung sterben müssen.<br />
■ Wir wollen alles tun, damit die Folter in allen<br />
totalitären <strong>und</strong> unterdrückerischen Systemen<br />
abgeschafft wird <strong>und</strong> damit die Menschenrechte<br />
geachtet werden, einschließlich das Recht auf<br />
freie Religionsausübung.<br />
■ Wir wünschen eine neue politische <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />
Weltordnung, welche das bestehende<br />
Ungleichgewicht unter den Nationen beseitigt.<br />
■ Wir wenden uns auch entschieden gegen die<br />
Gewaltanwendung an <strong>der</strong> Natur. Wir setzen<br />
uns ein für die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> natürlichen<br />
Umwelt, die unser Lebensraum ist, weil<br />
wir nicht wollen, dass er weiter zerstört wird.<br />
208<br />
Bangalore, Ordensrat 1988<br />
„Diener <strong>des</strong> Wortes … Diener aller“<br />
II. Option für die Armen –<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
„Der Geist <strong>des</strong> Herrn ruht auf mir; denn <strong>der</strong> Herr<br />
hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich<br />
den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich<br />
den Gefangenen die Entlassung verkünde <strong>und</strong><br />
den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen<br />
in Freiheit setze <strong>und</strong> ein Gnadenjahr<br />
<strong>des</strong> Herrn ausrufe“ (Lk 4,18-19).<br />
34. Die Bewusstseinsbildung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> zu dieser<br />
Priorität scheint gut auf dem Weg zu sein. Die<br />
Ergebnisse sind noch bescheiden, aber vielfältig. In<br />
verschiedenen Regionen <strong>der</strong> Welt deuten die gleichen<br />
Begriffe auf unterschiedliche Wirklichkeiten<br />
hin.<br />
35. Die Brü<strong>der</strong> sind sich sehr bewusst, dass die<br />
Frage <strong>der</strong> praktischen Gleichheit an Rechten <strong>und</strong><br />
Pflichten unter den Brü<strong>der</strong>n selbst noch gelöst werden<br />
muss. Der Ordensrat diskutierte, wie man <strong>der</strong><br />
Kirche unser Verständnis <strong>der</strong> Gleichheit aller Brü<strong>der</strong>,<br />
Kleriker <strong>und</strong> Laien, unterbreiten solle. In den<br />
örtlichen Gemeinschaften sollte es mehr wirkliche<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> zwischen den Brü<strong>der</strong>n geben, in <strong>der</strong><br />
Aufteilung <strong>der</strong> häuslichen Arbeiten, in <strong>der</strong> Rückgabe<br />
aller erworbenen Mittel in die gemeinsame Kasse<br />
o<strong>der</strong> in die Provinzkasse, eine mehr ausgeglichene<br />
Lebensführung unter den Brü<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Verwendung<br />
<strong>der</strong> Güter, im Urlaub, im Teilen <strong>der</strong> Leitung,<br />
usw.. In seiner Eröffnungsrede fragte uns <strong>der</strong> Generalminister,<br />
ob wir den Laien-Charakter unserer<br />
Brü<strong>der</strong> achten <strong>und</strong> wie wir die Berufungen von<br />
jenen för<strong>der</strong>n können, die keine intellektuelle o<strong>der</strong><br />
berufliche Karriere wählen.<br />
36. In ihrem Verhalten gegenüber an<strong>der</strong>en ist für<br />
eine ständig wachsende Zahl von Brü<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Arme nicht nur ein Bru<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n ein bevorzugter<br />
Bru<strong>der</strong>. Sich wie Franziskus <strong>und</strong> die ersten Brü<strong>der</strong><br />
mit <strong>der</strong> Herrin Armut zu vermählen, heißt nicht<br />
nur, die Armut persönlich o<strong>der</strong> gemeinschaftlich<br />
zu praktizieren, son<strong>der</strong>n auch mit den Armen zu<br />
leben, ihr Schicksal <strong>und</strong> den langsamen <strong>und</strong><br />
schmerzvollen historischen Prozess ihrer Befreiung<br />
zu teilen. In einigen <strong>der</strong> jüngeren Provinzen leben
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
fast alle Brü<strong>der</strong> auf eine solche Weise. Zunehmend<br />
mehr Brü<strong>der</strong> haben sich in Solidarität Menschen<br />
auf ihrer Suche nach Freiheit <strong>und</strong> Befreiung angeschlossen.<br />
37. Eine bedeutsame Zahl von Rechtsgrößen (Provinzen,<br />
Vize-Provinzen, usw.) hat zumin<strong>des</strong>t eine<br />
Fraternität in armen Gebieten (unter Arbeitern,<br />
Menschen auf dem Land bzw. unterwegs) o<strong>der</strong><br />
unter den Ausgegrenzten (Arbeitslosen, Obdachlosen,<br />
Drogenabhängigen). Einige <strong>der</strong> Gemeinschaften<br />
stellen Ges<strong>und</strong>heitszentren für Alkohol- <strong>und</strong><br />
Drogenabhängige, Aufnahmezentren für Behin<strong>der</strong>te,<br />
ältere Menschen, Flüchtlinge, Obdachlose,<br />
Aussätzige zur Verfügung <strong>und</strong> übernehmen die Seelsorge<br />
für Gefangene. Verschiedene Gemeinschaften<br />
haben ihren Lebensstil überprüft <strong>und</strong> zu vereinfachen<br />
versucht.<br />
38. Auf dem Ordensrat waren wir betroffen von<br />
dem Zeugnis von Guy-Marie Nguyen, dem Provinzial<br />
von Vietnam. Angesichts <strong>der</strong> neuen politischen<br />
Situation <strong>und</strong> dem Verlust ihrer Erziehungs- <strong>und</strong><br />
Sozialeinrichtungen haben die Brü<strong>der</strong> die Entscheidung<br />
getroffen, die Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen<br />
in <strong>der</strong> neuen Gesellschaft zu teilen. In einem<br />
Geist innerer Freiheit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes arbeiten<br />
einige in Pfarreien, an<strong>der</strong>e auf den Fel<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> in<br />
Produktionskooperativen, einige wenige in sozialen<br />
<strong>und</strong> erzieherischen Diensten. Sie glauben, dass Gott<br />
in <strong>der</strong> Geschichte ihres Volkes gegenwärtig ist, <strong>und</strong><br />
dass sie gerufen sind, mit <strong>der</strong> Kirche Vietnams zu<br />
leben <strong>und</strong> Jesus Christus zu bezeugen. Was sie anzunehmen<br />
gezwungen waren, sehen sie jetzt als<br />
Gnade.<br />
39. Unser (<strong>OFM</strong>) Internationaler Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden versucht eine Stellungnahme<br />
über Gewaltlosigkeit zu formulieren; dabei zieht er<br />
den ehrenhaften Kampf von Menschen in vielen<br />
Teilen <strong>der</strong> Welt, die Gewalt von unterdrückerischen<br />
Regierungen zu überwinden (versuchen), in seine<br />
Betrachtungen mit ein. Eine interfranziskanische<br />
Anstrengung ist auf dem Weg, den Status einer<br />
Nichtregierungsorganisation bei den Vereinten<br />
Nationen zu erhalten. In Indien wurden wir in den<br />
religiösen Geist hinter <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit (ahimsa)<br />
eingeführt <strong>und</strong> gedachten <strong>des</strong> großen Erbes von<br />
Mahatma Gandhi. 1 Ökologie ist zunehmend mehr<br />
ein Anliegen <strong>des</strong> oben genannten Rates <strong>und</strong> ein<br />
Anliegen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>. 2<br />
40. Den Empfehlungen von „Das Evangelium<br />
heute leben. Vorschläge zum konkreten Handeln“<br />
folgend, haben viele Provinzen <strong>und</strong> Konferenzen<br />
Kommissionen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
geschaffen. Das Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
in <strong>der</strong> Generalkurie führt beständig die Arbeit <strong>der</strong><br />
Animation <strong>und</strong> Koordination zwischen den Provinzen<br />
<strong>und</strong> Konferenzen durch, <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Gesamtebene<br />
<strong>des</strong> Ordens, indem es über Modelle <strong>und</strong> Projekte<br />
auf diesem Gebiet informiert <strong>und</strong> Vorschläge<br />
unterbreitet. Es bemüht sich auf dem Gebiet von<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden auch um Koordination<br />
mit an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie <strong>und</strong> verschiedenen Sektoren <strong>der</strong> Kirche.<br />
41. Spezielle Programme zu sozialen Fragen wurden<br />
eingerichtet für Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> ständigen Fortbildung<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> anfänglichen Ausbildung. In einigen<br />
Rechtsgrößen gibt es eine eingehende <strong>und</strong> tiefe<br />
Reflexion über die Ursachen von Armut <strong>und</strong> Ungerechtigkeit.<br />
Einige unterhalten Veröffentlichungen,<br />
um die Suche nach neuen Wegen <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>des</strong> Systems, das Armut <strong>und</strong> Unterdrückung schafft,<br />
zu ermutigen.<br />
1 Das Assisi Peace Center för<strong>der</strong>t den Frieden (durch Kontakt) mit Regierungsvertretern <strong>der</strong> Welt. Brü<strong>der</strong> fasteten für den Frieden <strong>und</strong><br />
schlossen sich darin an<strong>der</strong>en an vor <strong>der</strong> <strong>Friedens</strong>versammlung in Assisi 1986.<br />
2 Im Anschluss an eine Wallfahrt in die Heimat <strong>des</strong> Franziskus initiierten polnische Brü<strong>der</strong> gemeinsam mit Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Franziskanischen<br />
Gemeinschaft, die von Beruf Wissenschaftler sind, ein Zentrum für Ökologie in Polen. Der indische Bru<strong>der</strong> Scaria Varanath entwarf<br />
vor dem Ordensrat eine kosmisch-zentrierte Spiritualität, genährt aus Hindu- <strong>und</strong> franziskanischen Quellen, als ein Heilmittel gegen die<br />
globale Vergiftung <strong>der</strong> Erde, <strong>der</strong> Luft <strong>und</strong> <strong>des</strong> Wassers. Er vergleicht die Hindu-Spiritualität mit <strong>der</strong> tiefen Ehrfurcht <strong>des</strong> Franziskus vor<br />
allem Geschaffenen.<br />
209
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
Grüsst einan<strong>der</strong> mit dem heiligen Kuss.<br />
2. Kor. 13, 12<br />
42. Die Generalkonstitutionen führen uns in diese<br />
Option für die Armen. „Im Bewusstsein, dass die<br />
allerhöchste Armut von Christus <strong>und</strong> seiner armen<br />
Mutter stammt, <strong>und</strong> in Anbetracht <strong>der</strong> Worte <strong>des</strong><br />
Evangeliums: Geh hin, verkauf alles, was du hast,<br />
<strong>und</strong> verteil das Geld an die Armen, sollen die<br />
Brü<strong>der</strong> sich um die Solidarität mit den Armen<br />
bemühen“ (8,2). „… nach dem Beispiel Christi sollen<br />
sie sich freuen, wenn sie mit gewöhnlichen <strong>und</strong><br />
verachteten Leuten verkehren, mit Armen <strong>und</strong><br />
Schwachen <strong>und</strong> Kranken <strong>und</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettlern<br />
am Wege; <strong>und</strong> das sollen sie … auch mit neuen<br />
Formen klar zum Ausdruck bringen“ (8,3; 66,1;<br />
87,3). Wir sollten das, was wir haben, mit den<br />
Bedürftigen, beson<strong>der</strong>s den Armen teilen (53; 72,3;<br />
75,1). Wir sollten auf die Armen hören (93,1) <strong>und</strong><br />
unsere Solidarität mit ihnen im Fasten (34,2), in<br />
unserem Dienst <strong>und</strong> unseren geistlichen Ämtern<br />
(78,1), in unserer Arbeit <strong>der</strong> Evangelisierung (97)<br />
zum Ausdruck bringen.<br />
43. Ähnlich drängen uns die Generalkonstitutionen,<br />
För<strong>der</strong>er von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden zu<br />
sein, „Zitat“ durch unsere Taten (1,2; 68). Wir soll-<br />
210<br />
ten „we<strong>der</strong> Arbeit noch Mühen scheuen, am Gottes<br />
Reich <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu bauen“ (69,2; 85). Wir sollten<br />
uns einsetzen, eine Gesellschaft zu errichten, die<br />
auf „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im auferstandenen<br />
Christus“ (96,2) basiert, in <strong>der</strong> „die Rechte <strong>und</strong> die<br />
Menschenwürde aller anerkannt <strong>und</strong> geachtet werden“<br />
(96,3), beson<strong>der</strong>s die Rechte <strong>und</strong> Würde <strong>der</strong><br />
Armen (97,2). Unsere Methoden sollten gerecht<br />
sein (80,2), gewaltlos (69,1), bemüht, unter den<br />
Menschen „die Versöhnung, die von Christus am<br />
Kreuz bewirkt wurde“ (33,1; 70; 98,2), zu för<strong>der</strong>n.<br />
Wir sollten mit „allen Menschen die gleiche brü<strong>der</strong>liche<br />
Gemeinschaft suchen“ (87,1) <strong>und</strong> gegenüber<br />
allen an<strong>der</strong>en Christen <strong>und</strong> gegenüber den Gläubigen<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen, beson<strong>der</strong>s dem Islam,<br />
wohlgesonnen sein (95).<br />
44. Wir können uns selbst herausfor<strong>der</strong>n durch eine<br />
Anzahl von Anfragen <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> unseres franziskanischen<br />
Erbes:<br />
a) In seiner Enzyklika SOLLICITUDO REI SOCIALIS<br />
besteht Johannes Paul II. darauf, dass auch die<br />
Kirche nicht nur aus ihrem Überfluss, son<strong>der</strong>n auch<br />
aus ihrem Notwendigen geben muss; sogar bis zu<br />
dem Punkt, Überfluss an Kirchenschmuck <strong>und</strong><br />
kostbare Geräte für die Liturgie zu veräußern (31).<br />
Geben wir ein Beispiel, unsere Mittel mit den<br />
Armen zu teilen?<br />
b) In <strong>der</strong> gleichen Enzyklika merkt Papst Johannes<br />
Paul II. an: „Positive Zeichen in <strong>der</strong> heutigen Welt<br />
sind das wachsende Bewusstsein für die Solidarität<br />
<strong>der</strong> Armen untereinan<strong>der</strong>, ihre Initiativen gegenseitiger<br />
Hilfe, die öffentlichen K<strong>und</strong>gebungen im<br />
gesellschaftlichen Leben, wobei sie nicht zu Gewalt<br />
greifen, son<strong>der</strong>n die eigenen Bedürfnisse <strong>und</strong> ihre<br />
Rechte angesichts von Unwirksamkeit o<strong>der</strong> Korruption<br />
staatlicher Stellen deutlich machen …“ (39).<br />
Als Arme, sind wir dort mit ihnen?<br />
c) Teilen wir die Erfahrung <strong>des</strong> Franziskus: „Ich<br />
möchte alle wie meine Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Herren hochachten“<br />
(vgl. AnonPer 38)? Wie engagiert sind wir, „um<br />
Gottes willen die Knechte <strong>und</strong> Untergebenen je<strong>der</strong><br />
menschlichen Kreatur zu sein“ (BrGl II,47)?<br />
d) Verhalten wir uns gegenüber den Armen, wie<br />
Franziskus es getan hat, <strong>der</strong> in den Armen „das<br />
Abbild Christi erblickte; er gab ihnen, wenn er<br />
ihnen begegnete, alles, was man ihm an lebensnotwendigen<br />
Dingen geschenkt hatte; er meinte, er<br />
müsse es ihnen zurückgeben, als ob es ihr Eigentum<br />
wäre“ (Legmin III,7)?
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
e) Machen wir uns als <strong>Friedens</strong>stifter die Ermahnung<br />
<strong>des</strong> Franziskus zu eigen: „Wie ihr mit dem<br />
M<strong>und</strong> den Frieden verkündet, so sollt ihr ihn noch<br />
mehr in eurem Herzen festhalten, so dass durch<br />
euch niemand zu Zorn <strong>und</strong> zu Zank gereizt wird;<br />
je<strong>der</strong>mann soll durch euren Frieden <strong>und</strong> eure Sanftmut<br />
zum Frieden <strong>und</strong> zur Güte zurückgerufen<br />
werden“ (AnonPer 38)?<br />
Generalkapitel San Diego 1991<br />
„Der Orden <strong>und</strong> die Evangelisierung heute“<br />
„Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ <strong>und</strong> die Evangelisierung<br />
Im Bewusstsein <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen, die die Unterscheidung<br />
<strong>der</strong> Zeichen <strong>der</strong> Zeit an uns stellt, schlagen<br />
wir vor:<br />
22. Die Provinzialminister mit den Definitorien<br />
sollen für eine kritische Prüfung <strong>der</strong> traditionellen<br />
Evangelisierungsaktivitäten ihrer Provinzen im<br />
Bezug zu den neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen sorgen,<br />
<strong>und</strong> dabei nach neuen Fel<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Formen <strong>des</strong><br />
Dienstes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Evangelisierung Ausschau halten.<br />
Dabei sollen sie Sorge dafür tragen, dass die Brü<strong>der</strong><br />
darin ausgebildet werden.<br />
23. Die Provinzialminister <strong>und</strong> ihre Definitorien<br />
sollen sich darum kümmern, eine Überprüfung<br />
vorzunehmen, welchen Sinn die Inkulturation ihres<br />
Dienstes <strong>der</strong> Evangelisierung hat, <strong>und</strong> in ihren<br />
Provinzen für die nächsten sechs Jahre zumin<strong>des</strong>t<br />
ein spezifisches Projekt einer in eine Ortskultur<br />
eingepflanzten Evangelisierung planen.<br />
24. In den Län<strong>der</strong>n, in denen eine spezielle Präsenz<br />
an<strong>der</strong>er Religionen zu bemerken ist, sollen sich die<br />
Provinzen darum bemühen, die Formen <strong>des</strong> interreligiösen<br />
Dialogs zu überprüfen <strong>und</strong> neue Initiativen<br />
<strong>der</strong> Annäherung im Geist <strong>des</strong> Kapitels 16 <strong>der</strong> Regula<br />
non bullata <strong>und</strong> <strong>des</strong> Weltgebetstages <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
von Assisi zu suchen.<br />
25. Das Generaldefinitorium <strong>des</strong> Ordens ermutige<br />
<strong>und</strong> halte den Dienst <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entitäten<br />
in Gebieten mit muslimischer Mehrheit <strong>und</strong> in<br />
an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, wo <strong>der</strong>en Präsenz bedeutsam ist,<br />
aufrecht, <strong>und</strong> es helfe ihnen, ihr evangeliengemäßes<br />
Zeugnis an diesen Stätten nach dem Beispiel <strong>des</strong><br />
hl. Franziskus fortzusetzen, <strong>und</strong> es unterstütze die<br />
Islam-Kommission.<br />
26. Die Entitäten <strong>des</strong> Ordens mögen die konkreten<br />
Schritte prüfen, die sie in ihrer Option für die Armen<br />
<strong>und</strong> in ihrem Einsatz für eine Gesellschaft <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung gemacht haben <strong>und</strong> die noch zu machen<br />
sind. Dies gilt beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Suche nach Lösungen<br />
für Probleme wie das <strong>der</strong> Auslandsschuld <strong>der</strong><br />
ärmsten Län<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Unterdrückung <strong>des</strong> Schwächsten,<br />
<strong>der</strong> Situation beständiger Gewaltübergriffe, <strong>der</strong><br />
Verachtung <strong>des</strong> menschlichen Lebens <strong>und</strong> <strong>des</strong> unterschiedslosen<br />
Gebrauchs <strong>der</strong> Güter <strong>des</strong> Schöpfung.<br />
27. Die Entitäten <strong>des</strong> Ordens mögen prüfen, bis zu<br />
welchem Punkt ihre Evangelisierungstätigkeit auch<br />
die Mitarbeit bei <strong>der</strong> Organisation von Männern<br />
<strong>und</strong> Frauen einbezieht, unter denen sie evangelisieren,<br />
vor allem <strong>der</strong> ethnischen Min<strong>der</strong>heiten <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
unterdrückten Mehrheiten.<br />
Generalkapitel Assisi 1997<br />
„Von <strong>der</strong> Erinnerung zur Prophetie“<br />
I – Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> Welt: eine neue Situation<br />
1. Dialog<br />
7. Unter Hinweis darauf, dass „<strong>der</strong> neue Name <strong>der</strong><br />
Liebe ‚Dialog‘ ist“ (VC 74) <strong>und</strong> dass <strong>der</strong> religiöse<br />
Pluralismus, die Notwendigkeit <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />
die Interdependenz in allen Bereichen <strong>des</strong><br />
Zusammenlebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen Entwicklung<br />
einen Dialogstil <strong>der</strong> Beziehungen<br />
verlangen, trifft das Generalkapitel folgende<br />
Entscheidungen:<br />
7.1 es approbiert den Dienst für den Dialog, <strong>der</strong><br />
vom Generaldefinitorium eingerichtet wurde<br />
<strong>und</strong> in drei Kommissionen unterteilt ist:<br />
ökumenischer Dialog, interreligiöser Dialog<br />
<strong>und</strong> Dialog mit den Kulturen;<br />
7.2 Es for<strong>der</strong>t je<strong>des</strong> Konferenz auf zu überlegen,<br />
in welcher Form <strong>der</strong> Dienst für den Dialog im<br />
eigenen Gebiet eingerichtet werden kann;<br />
7.3 Es ermahnt die Konferenzen, in <strong>der</strong>en Gebiet<br />
es eine starke muslimische Präsenz gibt, eine<br />
211
Apostelgeschichte 8, 17<br />
Unterkommission für den Dialog mit dem<br />
Islam einzurichten;<br />
7.4 Es empfiehlt insbeson<strong>der</strong>e den innerkirchlichen<br />
Dialog.<br />
2. Für eine Kultur <strong>der</strong> Hoffnung<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Solidarität<br />
8. Um in dieser Welt, die leidet <strong>und</strong> die gleichzeitig<br />
Zeichen <strong>der</strong> Hoffnung aufscheinen lässt,<br />
För<strong>der</strong>er einer neuen „Kultur <strong>der</strong> Hoffnung<br />
Solidarität“ zu sein, trifft das Kapitel folgende<br />
Entscheidungen:<br />
8.1 Das Generaldefinitorium möge damit fortfahren,<br />
Franciscans International auf dem <strong>der</strong>zeitigen<br />
Niveau zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> sich an den<br />
laufenden Überlegungen zur Klärung <strong>der</strong><br />
Struktur, <strong>des</strong> Status <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beziehung zwischen<br />
Franciscans International, dem Orden <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Franziskanischen Familie zu beteiligen;<br />
8.2 Mit <strong>der</strong> Ratifizierung <strong>der</strong> bevorzugten Option<br />
für die Armen <strong>und</strong> die von <strong>der</strong> heutigen Gesell-<br />
212<br />
schaft Ausgeschlossenen bittet es die Brü<strong>der</strong>,<br />
ihr Leben, ihre Geschichte <strong>und</strong> ihre Hoffnung<br />
zu teilen, um auch von ihnen evangelisiert<br />
zu werden;<br />
8.3 In Treue zu unserer Identität als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> angefragt von den sozialen Ungerechtigkeiten,<br />
die einen immer tieferen Graben zwischen<br />
den Reichen <strong>und</strong> den Armen schaffen <strong>und</strong> Ausschluss<br />
<strong>und</strong> Marginalisierung hervor rufen, regt<br />
es dazu an, auf Konferenzebene <strong>und</strong> in Zusammenarbeit<br />
mit <strong>der</strong> Franziskanischen Familie ein<br />
konkretes Engagement zugunsten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung zu leisten, ein Engagement, das aus<br />
unserer Spiritualität erwachsen <strong>und</strong> den franziskanischen<br />
Beitrag zum neuen Jahrtausend<br />
bilden soll;<br />
8.4 Besorgt über die Lage so vieler Menschen,<br />
die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen,<br />
beson<strong>der</strong>s die Gastarbeiter, die Flüchtlinge,<br />
die ethnischen Min<strong>der</strong>heiten, bittet es das<br />
Generaldefinitorium, mit Hilfe <strong>des</strong> Büros<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung in Zusammenarbeit mit allen<br />
Konferenzen <strong>und</strong> Provinzen ein Netz von<br />
Helfern <strong>und</strong> Hilfsmitteln zu schaffen, um den<br />
Bedürfnissen <strong>der</strong> Flüchtlinge wirksamer begegnen<br />
zu können;<br />
8.5 Im Hinblick auf das Jubiläum <strong>des</strong> Jahres 2000<br />
ermahnt es Generaldefinitorium <strong>und</strong> die Provinzialminister,<br />
Brü<strong>der</strong> bereit zu stellen, die an<br />
dem von <strong>der</strong> Kustodie <strong>des</strong> Heiligen Lan<strong>des</strong> vorbereiteten<br />
Programme teilnehmen zu können.
■ Biblische Texte<br />
Biblische Texte<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Exodus 23:6<br />
Deuteronomium 15:7-11; 16:20; 27:19<br />
Levitikus 19:12-18<br />
Hiob 29:14<br />
Psalmen 9:8 u.16; 11:7; 33:5; 72; 89:14; 103:6;<br />
140:12<br />
Sprichwörter 21:15; 29:4 u. 7<br />
Jeremia 9:23-24; 22:15-16; 23:5<br />
Jesaja 1:10-20; 5:23; 10:2; 29:21; 30:18; 32:15-20;<br />
42:4; 61:8<br />
Hosea 12:6<br />
Amos 2:7; 5:12<br />
Maleachi 2:17<br />
Matthäus 5:20; 23:23; 25:31-46<br />
Lukas 3:10-14; 11:42; 18:8<br />
Apostelgeschichte 4:32-37<br />
Römer 3:25-26<br />
Frauen<br />
Richter 4:5<br />
Judith 8:4-8; 9:8-10<br />
Esther 4,12-14; 5,1-3.7-8<br />
Ruth 1:16-18; 2:8-13; 4:9-17<br />
Vergleiche Matthäus 16:17 <strong>und</strong> Johannes 11:27<br />
Markus 14:9<br />
Lukas 7:36-50; 10:38-42; 21:1-4<br />
Apostelgeschichte 2:17-18; 21:8-9<br />
Galater 3:28<br />
Befreiung<br />
Exodus 2:23-25; 3:1-15<br />
Deuteronomium 26:5-11<br />
Psalmen 9:3-4; 10:18; 12:5; 74:14; 103:6<br />
Micha 3:4<br />
Baruch 4:21<br />
Lukas 4:18<br />
Galater 5:1 u. 13<br />
Unterdrückung<br />
Exodus 1:11<br />
Deuteronomium 26:6; 28:33<br />
Nehemia 9:36-37<br />
Psalmen 6:3-10; 17:9-12; 44:22-25; 94:5-6<br />
Jeremia 50:33<br />
Micha 3:3<br />
Frieden<br />
Levitikus 19:1 u. 9-18<br />
Psalmen 32; 72; 85:9-11; 122:6-8<br />
Jesaja 2:1-5; 9:5-6; 11:1-9; 32:15-20; 52:7; 53:5;<br />
57:19<br />
Sprichwörter 24:1-4; 22:31<br />
Matthäus 5:1-12 u. 38-48; 10:5-13 u.34<br />
Lukas 10:35; 12:51; 24:36<br />
Johannes 14:23-27; 19:19-23; 20:19 u. 21<br />
Römer 12:18; 14:17 u. 19<br />
2 Korinther 3:11<br />
Epheser 2:11-18; 4:3 u. 31-32<br />
Galater 5:22<br />
Philipper 2:5-11<br />
Jakobus 3:13-18<br />
Vergebung – Verzeihung<br />
Ezechiel 11:17-21<br />
Matthäus 7:1-5; 18:21-35<br />
Lukas 6:27-38; 15:1-10<br />
Römer 5:11<br />
2 Korinther 5:14-21<br />
Epheser 2:14-18<br />
Kolosser 3:12-17<br />
Philemon 1:18-21<br />
2 Petrus 3:8-12<br />
213
■ Biblische Texte<br />
Die Armen<br />
Exodus 1:8-14; 22:20-26<br />
Deuteronomium 15:4-11; 24:10-22; 26:5-11<br />
Levitikus 19:9-18; 25:8 u. 10 u. 23-24 u. 35-38 u.<br />
42-43<br />
Psalmen 9:13-14 u.19; 12:6; 14:6; 18:28; 22:27;<br />
25:9 u.16; 35:10; 37:11; 69:-30; 70:6; 72:1-4 u.12-<br />
14; 74:19-20; 76:10; 140:13<br />
Jesaja 1:11-17; 5:1-23; 11:1-9; 58:5-7; 61:1-2<br />
Jeremias 22:13-18<br />
Amos 2:6-16; 3:14-4:3; 8:4-7<br />
Micha 2:1-5; 3:1-4u.9-12; 4:6-7<br />
Zephania 3:11-12<br />
Jesus Sirach 34:18-22<br />
Markus 10:17-22; 10:23-27<br />
Matthäus 10:9-10<br />
Lukas 1:46-56; 12:33-34<br />
Apostelgeschichte 2:44-45; 4:32u.34-35; 11:27-30<br />
1 Korinther 1:17-31<br />
2 Korinther 8:1-15; 9:6-13<br />
Philipper 2:5-9<br />
Jakobus 2:1-5; 4:13-5:6<br />
Teilen – Solidarität<br />
1 Könige 17:7-16<br />
Jesaja 58:1-12<br />
Markus 12:38-44<br />
Matthäus 25:31-46<br />
Lukas 1:46-55; 10:25-37; 16:19-31<br />
Apostelgeschichte 4:32 u. 34-35<br />
Philipper 2:4-11<br />
Hebräer 13:12-16<br />
Jakobus 2:14-18; 5:1-6<br />
Offenbarung 21:1-6<br />
Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />
Sprichwörter 3:27-33<br />
Matthäus 12:46-49<br />
Johannes 17:1 u. 6-11 u. 20 u. 26<br />
Hebräer 2:10-17<br />
2 Petrus 2:12; 3:8-9 u. 13-16<br />
1 Johannes 4:4-21<br />
214<br />
Dialog – Ökumenismus<br />
Genesis 17:1-7<br />
Jesaja 54:1-3<br />
Matthäus 10:41-45; 18:12-19; 22:1-10<br />
Johannes 17:18-24<br />
Apostelgeschichte 2:1-11<br />
1 Korinther 12<br />
Epheser 1:3-14<br />
Kolosser 3:12-17<br />
Hebräer 2:8b-12<br />
2 Petrus 4:7-11<br />
Dienst – Caritas<br />
1 Könige 17:7-16<br />
Jesus Sirach 4:1-10<br />
Matthäus 10:35-45<br />
Lukas 10:25-37<br />
Johannes 13:1-17 u. 34-35; 15:9-17<br />
Römer 12:9-17<br />
1 Korinther 13:1-13<br />
Philipper 2:1-4<br />
1 Petrus 4:7-11<br />
1 Johannes 4:7-17<br />
Natur – Schöpfung<br />
Genesis 1:1-2:3; 9:9-11<br />
Exodus 3:7-10; 15:22-27; 23:10-12<br />
Levitikus 25:1-24<br />
Jesaja 11:1-9; 40:12-31<br />
Daniel 3:57ff<br />
Psalmen 8; 19; 24; 104:16-23; 136; 148:1-4 u. 7-10<br />
Sprichwörter 8:22-31<br />
Markus 5:35-41<br />
Matthäus 6:26-30<br />
Johannes 9; 12:23-26<br />
Römer 8:18-25<br />
Kolosser 1:15-20<br />
Offenbarung 21:1-5; 6:16-21
■ Franziskanische Texte<br />
Franziskanische<br />
Texte<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Leg Per 62<br />
„Heilt die W<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Menschheit durch konkretes<br />
Handeln“ (Aus <strong>der</strong> Botschaft <strong>der</strong> Generalminister<br />
<strong>der</strong> Franziskanischen Familie zum 800. Geburtstag<br />
<strong>des</strong> heiligen Franziskus)<br />
Bahia – Dokument, Kap. IV, 32-38<br />
Mattli, Abs. 4 „Im Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden“<br />
Frauen<br />
1 Cel 18 b-d<br />
Fioretti 15; 16; 19<br />
LegMai 12:2<br />
Leg Per 101; 107<br />
Legende <strong>der</strong> hl. Klara 5<br />
Interfranziskanische Botschaft von Mattli (1982),<br />
Abs.2 „Zur Unterstützung <strong>der</strong> Frauen <strong>und</strong> gegen<br />
Diskriminierung“<br />
Frieden<br />
NbReg 22:1-4; 16:6<br />
BReg 2:17; 3:10-14<br />
Erm 13; 15<br />
Testament 6; 23<br />
1 Cel 23; 37; 40-41; 57<br />
2 Cel 37<br />
Leg Mai 6:9; 9:7-9<br />
Leg Per 44; 67<br />
AnonPer 17d; 38c<br />
Fioretti 21; 24<br />
DreiGef 26; 58<br />
Die Armen<br />
NbReg 5:9-12; 7:1-9 u. 13; 8:4 u. 12; 9:12; 23:4<br />
BReg 5<br />
Test 1-3; 20-22<br />
1 Cel 14-15; 17; 44; 76<br />
2 Cel 5; 8; 37; 81; 83-92; 196<br />
LegMai 11:2<br />
DreiGef 37; 40; 55-56<br />
Bahia-Dokument,<br />
Kap.III: „Kleine unter den Armen“<br />
Vergebung – Verzeihung – Gnade<br />
Erm 27<br />
BrMin 1-11 u. 13-17<br />
BrGl I, 5.28-29<br />
ErklVat 1 u. 7 u. 8<br />
1 Cel 23; 89<br />
2 Cel 185b<br />
LegMai 3:2; 8:1<br />
Leg Per 1; 44; 67<br />
SP 101<br />
DreiGef 11-12; 26<br />
Fioretti 21<br />
Mattli, Abs.5 „<strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong> Versöhnung“<br />
Teilen – Solidarität<br />
Testament 1-3<br />
2 Cel 175<br />
LegMai 1:2c-3a<br />
DreiGef 11-12<br />
Bahia 19-23a<br />
Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />
1 Cel 38-39a<br />
2 Cel 175<br />
Der heilige Franziskus erzog zu universaler<br />
Gemeinschaft <strong>und</strong> einem familiären Geist<br />
215
■ Franziskanische Texte<br />
(Brief <strong>der</strong> Generalminister, „Ich habe meinen Teil<br />
getan; Christus wird Euch alles lehren“ – 1981)<br />
Bahia, Kap.II: "Als Brü<strong>der</strong> gesandt."<br />
Dialog – Ökumenismus<br />
NbReg 14; 16; 22:1-4<br />
BReg 12:1<br />
1 Cel 40a u. 41b-c; 57<br />
LegMai 9:7-9<br />
Fioretti 24<br />
Mattli, Abs.7: „In Dialog mit an<strong>der</strong>en Religionen“<br />
216<br />
Dienst – Caritas<br />
Testament 1-3<br />
2 Cel 172; 175; 177<br />
LegMai 9:1 u. 4<br />
DreiGef 11-12<br />
Regel <strong>der</strong> hl. Klara VIII: 12-16<br />
Natur – Schöpfung<br />
Sonnengesang<br />
1 Cel 77; 79; 81<br />
2 Cel 165<br />
Leg Per 84; 51
■ Kirchliche Soziallehre<br />
Kirchliche<br />
Soziallehre<br />
Christliche Anthropologie<br />
a) Menschenwürde,<br />
Der Mensch als Bild Gottes<br />
– Divini Redemptoris: 30 <strong>und</strong> 32-33<br />
– Mater at Magistra: 219-220<br />
– Pacem in Terris: 31; 28-34 <strong>und</strong> vor allem 44<br />
– Gaudium et Spes: 31<br />
– Ecclesiam Suam: 19<br />
– Redemptor Hominis<br />
– Christliche Befreiung <strong>und</strong> Freiheit: 20; 34<br />
– Laborem Exercens: 4-9<br />
– Richtlinien: No.31<br />
– Katechismus: 355-379; 1700-1709<br />
b) Die menschliche Person,<br />
Weg zur Sendung <strong>der</strong> Kirche<br />
– Gaudium et Spes: 1 <strong>und</strong> 3<br />
– Evangelii Nuntiandi: 29; 31; 33; 35; 36; 38<br />
– Redemptor Hominis: 13-14<br />
c) Menschliches Streben nach Freiheit<br />
– Instruktion über Christliche Freiheit <strong>und</strong><br />
Befreiung: 1 <strong>und</strong> 38<br />
d) Mann <strong>und</strong> Frau, Personen in Solidarität<br />
– Mater et Magistra: 218-219; 59-67<br />
– Pacem in Terris: 31<br />
– Gaudium at Spes: 24-25<br />
– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 73<br />
e) F<strong>und</strong>amentale Gleichheit je<strong>der</strong> Person<br />
– Gaudium et Spes: 24 <strong>und</strong> 29<br />
f) Vorrang <strong>der</strong> Person vor Strukturen<br />
– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 73; 75<br />
– Gaudium et Spes: 31<br />
– Redemptor Hominis: 14<br />
– Reconciliatio et Penitentia: 16<br />
g) Strukturen <strong>der</strong> Sünde<br />
– Gaudium et Spes: 13; 25<br />
– Instruktion über Christliche Freiheit <strong>und</strong><br />
Befreiung: 75<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 36-37<br />
– Centesimus Annus: 38<br />
– Catechism: 1878-1889<br />
Menschenrechte<br />
a) Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
– Gaudium et Spes: 27<br />
– Octogesima Adveniens: 23; vgl. RH:17<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 15: 26, 33<br />
b) Überblick über gr<strong>und</strong>legende Rechte<br />
– Pacem in Terris: 143-144:11-34; 75-79<br />
– Gaudium et Spes: 27; 79; 29; 60; 52; 75; 71;<br />
67: 68; 65; 69; 59<br />
– Octogesima Adveniens: 23<br />
– Puebla: 3890-3893<br />
– Redemptor Hominis: 17<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 26; 33-34<br />
c) Menschenrechte, eine For<strong>der</strong>ung<br />
<strong>des</strong> Evangeliums<br />
– Puebla: Grußadresse<br />
– Instruktion über Christliche Freiheit<br />
<strong>und</strong> Befreiung: 65<br />
Gemeinwohl<br />
– Mater et Magistra: 65; 78-81<br />
– Pacem in Terris: 53-66; 136<br />
– Gaudium et Spes: 26; 74<br />
– Populorum Progressio: 54<br />
– Octogessima Adveniens: 46<br />
– Redemptor Hominis: 17<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 26:33-34<br />
– Centesimus Annus: 9:37-38; 47<br />
– Katechismus: 1897-1912<br />
217
■ Kirchliche Soziallehre<br />
Solidarität <strong>und</strong> Subsidiarität<br />
a) Definition, Ko-relation <strong>und</strong> Begründung<br />
– Gaudium et Spes: 32; 80<br />
– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 73<br />
– Katechismus: 1883-1884; 1939-1942;<br />
2437-2440<br />
b) Solidarität<br />
– Pius XII, 1952 Weihnachtsradiobotschaft:<br />
26-27<br />
– Pacem in Terris: 98<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 38-40<br />
– Centesimus Annus: 10c; 33; 41d; 51<br />
c) Subsidiarität<br />
– Quadragesimo Anno: 79-80<br />
– Mater et Magistra: 51-52; 54-55; 57-58<br />
– Pacem in Terris: 140-141<br />
– Laborem Exercens: 17<br />
d) Soziale Partizipation<br />
– Mater et Magistra: 91-92<br />
– Gaudium et Spes: 31; 55; 59; 63; 68<br />
– Octogesima Adveniens: 22; 24; 46-47<br />
– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 86; 95<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 45<br />
– Centesimus Annus: 33<br />
– Katechismus: 1913-1917<br />
Universelle Bestimmung (Verteilung)<br />
<strong>des</strong> Wohlstan<strong>des</strong><br />
– Gaudium et Spes: 69-71<br />
– Populorum Progressio: 22-23<br />
– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung : 90<br />
– Centesimus Annus: 30-32<br />
Privateigentum<br />
– Rerum Novarum 3:12-16<br />
– Quadragesimo Anno: 44-52<br />
– Mater et Magistra: 104-121<br />
– Gaudium et Spes: 69-71<br />
– Populorum Progressio: 19; 22-24<br />
– Laborem Exercens: 14<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 28; 42<br />
218<br />
Gemeineigentum<br />
– Rerum Novarum: 23-25<br />
– Quadragesimo Anno: 105-110<br />
– Mater et Magistra: 51-67<br />
– Gaudium et Spes: 70-71<br />
– Populorum Progressio: 23-24; 33-34<br />
– Laborem Exercens: 14<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 15<br />
Arbeit <strong>und</strong> Lohn<br />
a) Reflexion über menschliche Arbeit<br />
– Rerum Novarum: 32<br />
– Mater et Magistra: 82-103<br />
– Gaudium et Spes: 67<br />
– Laborem Exercens: 1; 3; 4-10; 18-19; 22-27<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 18<br />
b) Persönliches o<strong>der</strong> Familieneinkommen?<br />
– Rerum Novarum: 32-33<br />
– Quadragesimo Anno: 71<br />
– Laborem Exercens: 19<br />
c) Das Lohnsystem:<br />
Reduziert es Menschen zu Marktware?<br />
– Quadragesimo Anno: 64-68<br />
– Mater et Magistra: 75-77<br />
– Laborem Exercens: 19<br />
d) Das praktische Problem: Quantität<br />
– Rerum Novarum: 32<br />
– Quadragesimo Anno: 70-75<br />
– Mater et Magistra: 68; 71<br />
Streikrecht<br />
– Rerum Novarum: 29<br />
– Quadragesimo Anno: 94<br />
– Gaudium et Spes: 68<br />
– Octogesima Adveniens: 14<br />
– Laborem Exercens: 20
■ Kirchliche Soziallehre<br />
Gewerkschaften<br />
– Rerum Novarum: 34-40<br />
– Quadragesimo Anno: 34-38; 81-97<br />
– Mater et Magistra: 97-103<br />
– Gaudium et Spes: 68<br />
– Populorum Progressio: 38-39 <strong>und</strong> Octogesima<br />
Adveniens:14<br />
– Laborem Exercens: 20<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 15<br />
Politik <strong>und</strong> das Politische<br />
– Gaudium et Spes: 73; 76<br />
– Octogesima Adveniens: 3-4; 48-51<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 47-48<br />
Zivile <strong>und</strong> politische Gesellschaft<br />
a) Beschreibung<br />
– Gaudium et Spes: 74a<br />
b) Autorität<br />
– PT: 46-52<br />
– Gaudium et Spes: 74b-e<br />
c) Gemeinwohl<br />
(siehe oben)<br />
Politische Macht<br />
a) Der Staat: politische Organisation<br />
– Mater et Magistra: 20-21; 44; 52-53; 104;<br />
201-202<br />
– Pacem in Terris: 68-69; 72; 75-79; 130-131<br />
– Gaudium et Spes: 73-75<br />
– Octogesima Adveniens: 46<br />
b) Politische Systeme<br />
– Pacem in Terris: 52; 68; 73<br />
– Gaudium et Spes: 73; 74; 75<br />
– Redemptoris Hominis: 17<br />
– Sollicitudo Rei Socialis: 41<br />
Christliches sozialpolitisches Engagement<br />
a) Vor Populorum Progressio<br />
(Rechte von Arbeitern <strong>und</strong> Arbeitgebern)<br />
– Rerum Novarum: 14-16; Quadragesimo<br />
Anno: 50-51; 63-64; 78; 141-142<br />
– Mater et Magistra: 51; 82-84; 91; 122;<br />
– Gaudium et Spes: 65-70<br />
b) Nach Populorum Progressio<br />
– Über Unterentwicklung <strong>und</strong> Entwicklung:<br />
PP:14; 19-21; 43-51; 56-59; <strong>und</strong> OA: 24-25;<br />
37; 46-51; SRS: 27-39<br />
– Handeln in <strong>der</strong> Gesellschaft: PT:146-152;<br />
GS:36; 75-76; OA:3-4; 48-51; SRS:47-48<br />
– Der politische Pluralismus <strong>der</strong> Christen:<br />
OA: 50-51<br />
c) Gr<strong>und</strong>prinzipien humanistischer Politik<br />
– Wahrheit, <strong>Gerechtigkeit</strong>, Liebe, Freiheit:<br />
PT:35; GS:26c; 27-28; OA:23; 45<br />
– Gleichheit <strong>und</strong> Partizipation: PT:73; GS:75;<br />
OA:24-25; 47<br />
– Befreiung: Johannes Paul II., Grußadresse zur<br />
Eröffnung <strong>der</strong> III. Lateinamerikanischen<br />
(CELAM) Bischofskonferenz: III:5 <strong>und</strong> 6; III.<br />
Bischofssynode über „<strong>Gerechtigkeit</strong> in <strong>der</strong><br />
Welt“: 50-51<br />
d) Ideologien <strong>und</strong> Utopien:<br />
Octogesima Adveniens: 25-37<br />
Die Internationale Gemeinschaft<br />
a) Gr<strong>und</strong>lagen: Gaudium et Spes: 84<br />
b) Internationale Beziehungen: PT: 86-108;<br />
120-125; GS:85-90; PP:78; CA:21; 27;<br />
SRS: 14; 16; 43; 45<br />
219
■ Kirchliche Soziallehre<br />
Soziale Gewalt<br />
a) Arten sozialer Gewalt:<br />
– Strukturelle Gewalt<br />
– Revolutionäre Gewalt: PT:161-162; PP:30-<br />
31; LE:11-13<br />
– Gewalt durch Krieg: PT:109-116; GS:77-82;<br />
PP:53; 78; SRS:10; 20; 23-24; 39<br />
b) Aktive Gewaltfreiheit: Gaudium et Spes:79;<br />
Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 77-79;<br />
Katechismus: 2306<br />
Frieden<br />
a) Die Realität <strong>des</strong> Krieges<br />
PT:109-117; GS:79-80; 82; CA:14b; 17a, b;<br />
19a; Katechismus:2307-2317<br />
b) Skandal <strong>des</strong> Rüstungswettlaufs <strong>und</strong> Abrüstung<br />
PT:109-112; GS:81; PP:53; SRS:23-24;<br />
CA:28c<br />
c) <strong>Friedens</strong>ethik<br />
– Frieden über alles: Pacem in Terris<br />
– Einsatz aller für den Frieden: Gaudium et<br />
Spes:78-82; Katechismus:2302-2305<br />
– Entwicklung, <strong>der</strong> neue Name für Frieden:<br />
Populorum Progressio:76<br />
– Frieden, Frucht <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Solidarität:<br />
GS:78; SRS:26; 39; CA:5c; 23c; 29a<br />
220<br />
Christlicher Glaube <strong>und</strong> Kultur<br />
– Gaudium et Spes: 53-62<br />
– PP:12ff; 40; 41; 42; CA:32ff; 38-41; 50-52<br />
Soziale Kommunikationsmittel<br />
a) Christlicher Standpunkt zu den Medien:<br />
OA:20<br />
– Zu beachtende Werte: Communio et Progressio<br />
(CP):14-17<br />
– Zu vermeidende Risiken: CP:58; 80; SRS:22<br />
b) Einzelthemen<br />
– Information: Communio et Progressio:<br />
33-47; 75-76<br />
– Werbung: Communio et Progressio:<br />
23; 30; 59-62<br />
– Öffentliche Meinung: Communio et<br />
Progressio: 26-32; 114-125<br />
Ökologie<br />
– MM:196-199; OA:21; RH:8 and 15; LE:4;<br />
SRS:26; 29;34; CA:37-38<br />
– Welttag <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, Botschaft Johannes Paul<br />
II (1-1-1990): Frieden mit Gott, dem Schöpfer,<br />
Frieden mit aller Schöpfung<br />
– Katechismus: 299-301; 307; 339-341; 344;<br />
2415-2418
■ Generalkonstitutionen<br />
Option für die Armen –<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung in den<br />
Generalkonstitutionen<br />
Anmerkung: Die folgenden Artikel sind<br />
Textwie<strong>der</strong>gaben (keine wörtlichen Zitate)<br />
<strong>der</strong> Generalkonstitutionen in Bezug auf GFBS<br />
Kapitel I<br />
Artikel 1, 2<br />
Dies ist eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Wesensmerkmale<br />
<strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s:<br />
– Leben gemäß dem Evangelium,<br />
– Gebet <strong>und</strong> Hingabe<br />
– Zeugnis eines Lebens <strong>der</strong> Buße <strong>und</strong> <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins,<br />
– brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft<br />
– Liebe zu allen Menschen<br />
– durch ihr Tun von Versöhnung, Frieden <strong>und</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> künden.<br />
Artikel 3<br />
Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> bilden eine „Bru<strong>der</strong>schaft“, in<br />
<strong>der</strong> alle Brü<strong>der</strong> sind, an Rechten <strong>und</strong> Pflichten in<br />
je<strong>der</strong> Hinsicht gleich; ein Zeugnis, dass Menschen<br />
wahre Brü<strong>der</strong>lichkeit <strong>und</strong> Gemeinschaft suchen, in<br />
<strong>der</strong> niemand aus irgendwelchen Gründen marginalisiert<br />
wird.<br />
Artikel 4, 1<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollen, verb<strong>und</strong>en mit dem Volk Gottes,<br />
die neuen Zeichen <strong>der</strong> Zeit erforschen, <strong>und</strong> in<br />
Beziehung stehen zu einer sich fortwährend wandelnden<br />
Welt<br />
Artikel 7, 3<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollen einan<strong>der</strong> freiwillig dienen <strong>und</strong><br />
gehorchen <strong>und</strong> gemeinsam Anzeichen <strong>des</strong> Willens<br />
Gottes <strong>des</strong> Herrn suchen<br />
Artikel 8<br />
Sie sollen radikal nach dem Evangelium leben <strong>und</strong><br />
„alles verkaufen“ um Zeichen für die Vorsorge <strong>des</strong><br />
Vaters im Himmel zu sein, in <strong>der</strong> Lage, das Los <strong>der</strong><br />
Armen zu teilen, indem sie die Option treffen, die<br />
vor allem eine persönliche Entscheidung ist dem<br />
Beispiel <strong>der</strong> Armut von Christus <strong>und</strong> seiner Mutter<br />
zu folgen. Sie sollen sich freuen, wenn sie mit den<br />
Armen leben <strong>und</strong> das auch mit neuen Formen klar<br />
zum Ausdruck bringen.<br />
Artikel 27, 1<br />
Der Geist <strong>des</strong> Gebetes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hingabe soll genährt<br />
werden davon, unter den einfachen Leuten zu<br />
leben, denen das Reich Gottes offenbart wurde <strong>und</strong><br />
sich mit ihnen zu unterhalten. Gemeinsam könne<br />
sie gute Formen <strong>der</strong> Volksfrömmigkeit lernen <strong>und</strong><br />
die Fähigkeit erwerben, dadurch dem christ-lichen<br />
Leben in sich <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en Nahrung zu bieten.<br />
Artikel 27, 2<br />
Wenn die Brü<strong>der</strong> mit dem Volk beten, wird das<br />
Gebet in <strong>des</strong>sen Lebenswirklichkeit verwurzelt <strong>und</strong><br />
wird so ein Zeichen <strong>des</strong> Teilens von Hoffnung <strong>und</strong><br />
Glauben .<br />
Kapitel II<br />
Artikel 32, 3<br />
Das Leben <strong>der</strong> Buße findet seinen Ausdruck im<br />
Dienst an den An<strong>der</strong>en, beson<strong>der</strong>s den Geringsten,<br />
von denen wir nichts dafür erhalten. Franziskus hat<br />
dies durch den Dienst an den Aussätzigen gelebt.<br />
Artikel 33, 1<br />
Die Brü<strong>der</strong> sind von ihrer Berufung her Zeichen<br />
<strong>und</strong> Werkzeug <strong>der</strong> Versöhnung mit jedem <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft. Dies ist ein beson<strong>der</strong>es<br />
„Dienstamt“ ihrer Berufung .<br />
Artikel 33, 3<br />
Buße <strong>und</strong> Umkehr haben auch einen sozialen<br />
Aspekt, <strong>der</strong> zur Versöhnung führt.<br />
Artikel 34, 2<br />
Fasten bedeutet Teilnahme an den Leiden Christi,<br />
gegenwärtig unter uns in denen, die viele Leiden<br />
tragen.<br />
221
■ Generalkonstitutionen<br />
Kapitel III<br />
Artikel 39<br />
Wahre Brü<strong>der</strong>lichkeit, gegründet auf Fre<strong>und</strong>schaft<br />
ist auch ein Weg <strong>der</strong> Erziehung hin zu froher <strong>und</strong><br />
höflicher Annahme aller Menschen.<br />
Sie wird ein Zeichen <strong>der</strong> Hoffnung, <strong>und</strong> eine Verkündigung<br />
von Frieden <strong>und</strong> Freude; sie ist ein Weg<br />
zu einer umfassenden, christlichen <strong>und</strong> religiösen,<br />
menschlichen Reife.<br />
Artikel 51<br />
Franziskanische Gastfre<strong>und</strong>schaft ist wesentlicher<br />
Bestandteil im Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
Artikel 52<br />
Brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft lässt<br />
die Gemeinschaft zu allen Menschen hin wachsen.<br />
Das heißt, alle Menschen fre<strong>und</strong>lich zu empfangen<br />
<strong>und</strong> sie wohlwollend zu behandeln, ob sie Fre<strong>und</strong><br />
o<strong>der</strong> Feind seien, ob sie zu uns kommen o<strong>der</strong> wir<br />
zu ihnen gehen.<br />
Artikel 53<br />
Zum Zeugnis <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> Liebe sind die Brü<strong>der</strong><br />
verpflichtet, den Nöten <strong>der</strong> Kirche abzuhelfen,<br />
die Notleidenden zu unterstützen <strong>und</strong> die Armen<br />
an den Gütern teilhaben zu lassen, die <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />
gegeben wurden.<br />
Kapitel IV<br />
Artikel 64<br />
„Min<strong>der</strong>sein“ (Demut), ein Zeichen <strong>der</strong> Nachfolge<br />
Jesu <strong>und</strong> seines Gehorsams gegenüber dem Willen<br />
<strong>des</strong> Vaters, ist Zeugnis <strong>der</strong> Freude <strong>und</strong> Vorbedingung<br />
<strong>der</strong> Verkündigung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
Artikel 66, 2<br />
Demut erlaubt eine Weise <strong>des</strong> Teilens, dass die<br />
„kleinen Leute“ sich nicht von <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />
ausgeschlossen fühlen, die berufen ist, solche zu<br />
bevorzugen, die vom Zugang zu den Gütern <strong>des</strong><br />
sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Prozesses ausgeschlossen<br />
sind.<br />
Artikel 67<br />
Demut hat Zeugnischarakter für die wahren Werte<br />
<strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong> ist ein prophetisches Zeichen<br />
um die „falschen Werte“ unserer Zeit zu entlarven.<br />
222<br />
Artikel 68, 1 u.2.<br />
Frieden wird verkündet <strong>und</strong> weiter getragen<br />
indem das Gute getan wird. Friede wird nicht<br />
durch Gewalt errichtet.<br />
Ein an<strong>der</strong>er Aspekt <strong>der</strong> Verkündung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
ist, we<strong>der</strong> Zorn noch Ärgernis zu erregen. Frieden<br />
<strong>und</strong> die Werke <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
kommen aus einem friedfertigen Herzen.<br />
Artikel 69,1<br />
<strong>Friedens</strong>arbeit, beson<strong>der</strong>s mit denen, die ungerecht<br />
ihrer Rechte beraubt sind, entstammt einem neuen<br />
Herzen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe zu <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden.<br />
Diese Rechte müssen verteidigt werden, nicht<br />
mit Gewalt, son<strong>der</strong>n mit den gleichen Mitteln, die<br />
auch den Armen zur Verfügung stehen.<br />
Artikel 69, 2<br />
Mit den gleichen Mitteln sollen die Brü<strong>der</strong> Krieg<br />
<strong>und</strong> jede Art von Gewalt anprangern; Frieden wird<br />
aufgebaut, indem man sich gegen jedwede Gewalt<br />
<strong>und</strong> Ungerechtigkeit ausspricht.<br />
Artikel 70<br />
Dieser Artikel betont den befreienden Aspekt <strong>der</strong><br />
Armut <strong>und</strong> bevorzugt freie <strong>und</strong> gerechte Beziehungen<br />
unter allen Menschen, gegenseitige Akzeptanz<br />
<strong>und</strong> Versöhnung. Reichtümer <strong>und</strong> Anhängen an die<br />
Wohlhabenden <strong>und</strong> Mächtigen sind Gr<strong>und</strong> für Versklavung<br />
<strong>und</strong> Hin<strong>der</strong>nis für das freie <strong>und</strong> integrale<br />
Leben <strong>der</strong> Hingabe <strong>und</strong> Sendung, unserer Berufung<br />
als „Min<strong>der</strong>e“ angemessen.<br />
Artikel 71<br />
Das Bild Gottes <strong>des</strong> Schöpfers ist anwesend in <strong>der</strong><br />
ganzen Schöpfung. Der Bru<strong>der</strong> soll <strong>des</strong>halb jede<br />
Form von Leben in <strong>der</strong> Welt respektieren aus Ehrfurcht<br />
vor Gott.<br />
Artikel 72, 1<br />
Das Versprechen <strong>der</strong> Armut ist das gr<strong>und</strong>legende<br />
Zeichen <strong>der</strong> Nachfolge Christi, <strong>des</strong> Pilgers, <strong>der</strong> mit<br />
uns geht. Die Lebensweise <strong>des</strong> Pilgers muss sich in<br />
unserem Leben wi<strong>der</strong>spiegeln, <strong>und</strong> auch in den<br />
Dingen die wir zur Arbeit <strong>und</strong> zum Leben nutzen.<br />
Artikel 72, 2<br />
Bauten für die Brü<strong>der</strong> sollten mit den Gegebenheiten<br />
<strong>der</strong> Armut in Einklang stehen, in <strong>der</strong> die Brü<strong>der</strong><br />
leben. Dasselbe betrifft auch alles, was wir anneh-
■ Generalkonstitutionen<br />
men o<strong>der</strong> benutzen. Brü<strong>der</strong> sollten nicht Eigentümer<br />
<strong>der</strong> Gebäude sein, son<strong>der</strong>n diese ausschließlich<br />
zum Gebrauch haben, soweit sie nötig sind, um zu<br />
leben <strong>und</strong> das Evangelium zu verkünden. Güter, die<br />
zum Gebrauch <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> gegeben sind, sollen mit<br />
den Armen geteilt werden.<br />
Artikel 73<br />
Das Eigentum an Gebäuden sollte eher im Besitz<br />
<strong>der</strong>er bleiben, denen wir zu Diensten sein sollen,<br />
o<strong>der</strong> im Besitz <strong>der</strong> Wohltäter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kirche o<strong>der</strong><br />
<strong>des</strong> Heiligen Stuhles sein.<br />
Artikel 76<br />
Die Arbeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> sollte als Dienst aufgefasst werden<br />
<strong>und</strong> nicht als Mittel zur Selbstgenügsamkeit <strong>und</strong><br />
Unabhängigkeit, <strong>und</strong> am wenigsten als Mittel, Macht<br />
über an<strong>der</strong>e zu haben. Arbeit ist ein Geschenk, das<br />
mit denen geteilt werden soll, die es nicht haben. Solche<br />
die arbeiten, sollten mit denen teilen, die keine<br />
Arbeit haben <strong>und</strong> sich selbst nicht ernähren können.<br />
Artikel 77<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollten für ihre Tätigkeiten qualifiziert<br />
sein, aber die erste Qualifizierung ist es, Bru<strong>der</strong> zu<br />
sein, in Gemeinschaft zu leben, mit den selben<br />
Rechten <strong>und</strong> Pflichten wie die an<strong>der</strong>en. Keine<br />
Arbeit gibt Son<strong>der</strong>rechte, am wenigsten das Recht,<br />
von einem Haus nicht versetzbar zu sein.<br />
Artikel 78, 1 u. 2<br />
Arbeit sollte nicht von den Brü<strong>der</strong>n trennen. Sie<br />
sollte einer größeren Solidarität allen gegenüber<br />
dienen, als einem angemesseneren „Dienst“ den<br />
„Armen“ gegenüber.<br />
Artikel 80, 1 u. 2<br />
Alle Brü<strong>der</strong> sollten weitmöglichst selber die Hausarbeit<br />
in den Bru<strong>der</strong>schaften tun. Wenn an<strong>der</strong>e<br />
Menschen in unseren Bru<strong>der</strong>schaften arbeiten,<br />
erfor<strong>der</strong>t es die <strong>Gerechtigkeit</strong>, dass die Gesetzesnormen<br />
beachtet werden.<br />
Artikel 82,3<br />
Was immer die Brü<strong>der</strong> als Arbeitslohn erhalten,<br />
sollte nicht zum Horten von Geld führen: wenn<br />
viel vorhanden ist, sollten sie sich erinnern, dass es<br />
<strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> den Armen gehört. Wir müssen<br />
es nutzen, weil wir arm sind <strong>und</strong> wie die Armen,<br />
nicht als Besitzer.<br />
Kapitel V<br />
Kapitel V spricht über unsere Berufung zur Evangelisierung,<br />
die die Gr<strong>und</strong>lage für unsere Treue zur<br />
Demut <strong>und</strong> Armut ist. Deshalb sollte sie ausgeführt<br />
werden mit Mitteln, die in Einklang mit unserer<br />
Berufung stehen <strong>und</strong> sollte vorwiegend auf die<br />
ärmeren Gebiete hin ausgerichtet sein.<br />
Artikel 85<br />
Die Verkündigung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> ist gr<strong>und</strong>legend<br />
für unsere Evangelisierung.<br />
Artikel 87,1<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollten nicht für sich allein leben son<strong>der</strong>n<br />
zum Nutzen für an<strong>der</strong>e. Sie sollten versuchen, die<br />
selben brü<strong>der</strong>lichen Beziehungen mit allen Menschen<br />
zu haben, die sie untereinan<strong>der</strong> entwickeln.<br />
Artikel 87, 3<br />
Als Hoffnungszeichen sollten die Brü<strong>der</strong> Fraternitäten<br />
in ärmeren Gebieten <strong>und</strong> unter säkularisierten<br />
Gruppen von Menschen errichten <strong>und</strong> diese Fraternitäten<br />
als bevorzugte Mittel sehen, das Evangelium<br />
zu verkünden.<br />
Artikel 91<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollten nicht suchen, Privilegien zu<br />
erhalten o<strong>der</strong> anzunehmen, weil Bescheidenheit<br />
die Gr<strong>und</strong>lage ihrer Sendung in <strong>der</strong> Kirche ist.<br />
Artikel 92,2<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollten gerne in <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong><br />
Inkulturation helfen, wo immer sie leben.<br />
Artikel 93,1<br />
Die brü<strong>der</strong>liche Liebe verlangt dass die Brü<strong>der</strong> die<br />
Armen als ihre Lehrer sehen <strong>und</strong> ihnen zuhören.<br />
Artikel 94<br />
Die Evangelisierung <strong>der</strong> Kulturen ist von größter<br />
Bedeutung <strong>und</strong> sollte von den Brü<strong>der</strong>n stark geför<strong>der</strong>t<br />
werden.<br />
Artikel 95, 1-3<br />
Der ökumenische Geist sollte überall geför<strong>der</strong>t<br />
werden. Die Brü<strong>der</strong> sollten nach Wegen suchen, mit<br />
an<strong>der</strong>en Christen, Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen<br />
<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s mit den Muslimen zusammenzuarbeiten.<br />
223
■ Generalkonstitutionen<br />
Artikel 96,1<br />
Evangelisierung verlangt ein Verständnis <strong>der</strong> sozialen<br />
Probleme, denen Menschen <strong>und</strong> Familien ausgesetzt<br />
sind. Diese Kenntnis hilft, eine angemessene<br />
christliche Antwort zu finden.<br />
Artikel 96,2<br />
Die Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Freiheit <strong>und</strong><br />
Frieden sind gr<strong>und</strong>legend. Die Brü<strong>der</strong> sollten sich<br />
<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> ernsten Probleme widmen die aus<br />
Verletzungen <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit<br />
resultieren. Sie sollten zusammenarbeiten mit<br />
Menschen, die sich für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
in <strong>der</strong> Welt einsetzen.<br />
Artikel 96, 3<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollten bescheiden <strong>und</strong> zugleich mutig<br />
für die Achtung <strong>und</strong> Pflege <strong>der</strong> Menschenwürde<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Rechte aller innerhalb <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
Ordens arbeiten.<br />
Artikel 97,1<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollen dem Beispiel <strong>des</strong> heiligen Franziskus<br />
folgen, <strong>der</strong> vom Herrn unter die Aussätzigen<br />
geführt wurde. Je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> sollte seine eigene<br />
Berufung zum Dienst an den Aussätzigen unserer<br />
Tage wie<strong>der</strong>entdecken: die an den Rand Gedrängten,<br />
die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten, Kranken <strong>und</strong><br />
Bedrängten. Sie sollten froh sein unter ihnen zu<br />
leben <strong>und</strong> ihnen Barmherzigkeit zu erweisen.<br />
Artikel 97,2<br />
Sie sollten sich darum mühen, dass die Armen selbst<br />
bewusster ihrer eigenen Menschenwürde werden,<br />
sie schützen <strong>und</strong> mehren.<br />
Artikel 98,1<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollten nicht auf die Reichen <strong>und</strong><br />
Mächtigen herabsehen o<strong>der</strong> sie verurteilen. Sie sollten<br />
sie demütig zur Umkehr ermahnen <strong>und</strong> sie daran<br />
erinnern, dass sie alle Güter Gott zurückzuerstatten<br />
müssen, <strong>der</strong> in den Armen gegenwärtig ist.<br />
Artikel 98,2<br />
Dem Beispiel <strong>des</strong> Heiligen Franziskus folgend, sollten<br />
die Brü<strong>der</strong> zu denen gehen, die Leben <strong>und</strong> Freiheit<br />
an<strong>der</strong>er bedrohen, <strong>und</strong> ihnen die gute Nachricht<br />
<strong>der</strong> Versöhnung, Umkehr <strong>und</strong> Hoffnung auf<br />
ein neues Leben anbieten.<br />
224<br />
Kapitel VI<br />
Kapitel VI handelt von <strong>der</strong> Ausbildung <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s.<br />
Alles, was oben über Leben <strong>und</strong> Aktivitäten <strong>der</strong><br />
Brü<strong>der</strong> gesagt worden ist, wurde als feste Orientierung<br />
für die Erstausbildung <strong>und</strong> die fortwährende Weiterbildung<br />
genommen. Einige Beispiele dazu:<br />
Artikel 127, 2 u. 3<br />
Die Brü<strong>der</strong> sollten vorbereitet sein, sich aktiv in <strong>der</strong><br />
Gesellschaft einzubringen. Ausbildung sollte engen<br />
Umgang mit Gott <strong>und</strong> herzliche Beziehungen mit<br />
den Menschen betonen, sowie auch einen Sinn für<br />
die Gemeinschaft mit <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> das Apostolat<br />
wecken.<br />
Artikel 127,4<br />
Ein gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> Prinzip <strong>der</strong> Ausbildung ist das<br />
Lernen <strong>und</strong> Einüben <strong>des</strong> franziskanischen Weges<br />
eines Lebens aus dem Evangelium in Bru<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />
Min<strong>der</strong>sein, <strong>des</strong> Lebens <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Sendung unseres Ordens.<br />
Artikel 128<br />
Franziskanische Ausbildung sollte integrale Ausbildung<br />
<strong>der</strong> ganzen Person sein <strong>und</strong> sollte die persönlichen<br />
<strong>und</strong> sozialen Dimensionen <strong>der</strong> Ausbildung<br />
berücksichtigen.<br />
Artikel 129, 1 u. 2<br />
Im Ausbildungsprozess sollten die persönlichen<br />
Gaben je<strong>der</strong> Person respektvoll behandelt werden<br />
<strong>und</strong> Verantwortungsbewußtsein im Gebrauch <strong>der</strong><br />
Freiheit ermutigt werden. Die Ausbildung sollte<br />
einen ausgewogenen kritischen Sinn für das Zeitgeschehen<br />
för<strong>der</strong>n.<br />
Artikel 132<br />
Die Bildung einer persönlichen Reife ist notwendig<br />
für ein Leben in Gemeinschaft <strong>und</strong> für ein Leben in<br />
Solidarität mit den Armen.<br />
Artikel 153, 2<br />
Um das franziskanische Leben tiefer zu erfahren,<br />
sollten die Novizen sich <strong>der</strong> Kontemplation, Buße,<br />
Armut, Arbeit, <strong>und</strong> dem Dienst an den Notleidenden<br />
unserer Zeit widmen, sei es innerhalb <strong>des</strong><br />
Hauses <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, sei es außerhalb.
■ Eine Textauswahl zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />
Eine Textauswahl zu<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />
<strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung in<br />
<strong>der</strong> Ratio Formationis<br />
Franciscanae<br />
RFF 3.<br />
Die Nachfolge Jesu Christi gemäß <strong>der</strong> Lebensform<br />
<strong>des</strong> hl. Franziskus führt den Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> dazu,<br />
sich mit <strong>der</strong> Kirche einzusetzen <strong>und</strong> in den Dienst<br />
<strong>der</strong> Menschen unserer Zeit zu stellen als Bote <strong>der</strong><br />
Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />
RFF 12b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> betrachtet die unendliche<br />
Liebe Gottes zu ihm <strong>und</strong> wird angeleitet, Jesus<br />
Christus in <strong>der</strong> heiligen Schrift, in <strong>der</strong> Geschichte,<br />
in jedem Aspekt <strong>des</strong> Lebens, im Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> in <strong>der</strong><br />
ganzen Schöpfung zu suchen <strong>und</strong> zu finden, <strong>und</strong><br />
dies in einem stetigen Prozess geistlicher Unterscheidung,<br />
um das Wirken <strong>des</strong> Heiligen Geistes<br />
zu erkennen.<br />
RFF 15b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> stellt sich vor den armen <strong>und</strong><br />
gekreuzigten Christus, seinen Meister, indem er<br />
stets seine Treue zu Ihm <strong>und</strong> zum Evangelium, zur<br />
Kirche, zum Orden <strong>und</strong> zu seiner Sendung, zum<br />
Menschen <strong>und</strong> zu unserer Zeit bekräftigt.<br />
RFF 18.<br />
Die Bru<strong>der</strong>schaft … ist <strong>der</strong> Raum <strong>der</strong> Versöhnung<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> , wo die Begegnung mit dem<br />
lebendigen <strong>und</strong> wahren Christus möglich ist.<br />
RFF 21a.<br />
Die Erfahrung <strong>des</strong> Vaterseins Gottes <strong>und</strong> <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>seins<br />
in Christus führt die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> dazu,<br />
allen Menschen <strong>und</strong> jedem Geschöpf im Geiste <strong>des</strong><br />
Min<strong>der</strong>seins, <strong>der</strong> Einfachheit, <strong>der</strong> Freude <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Solidarität Brü<strong>der</strong> zu werden.<br />
RFF 21b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> nimmt alle in Güte an, ohne<br />
jegliche Ausnahme, er liebt alle Menschen, ganz<br />
beson<strong>der</strong>s die Armen <strong>und</strong> die Schwachen, denen er<br />
mit mütterlicher Sorge dient, er lehnt Gewalt ab,<br />
arbeitet für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> achtet<br />
die Schöpfung.<br />
RFF 22b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> entdeckt das eigene Kleinsein<br />
<strong>und</strong> die totale Abhängigkeit von Gott, <strong>der</strong> Quelle<br />
alles Guten, <strong>und</strong> lebt als Pilger <strong>und</strong> Fremdling (vgl.<br />
BReg 6,2), versöhnt <strong>und</strong> friedliebend, offen, als Bru<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> je<strong>der</strong> Kreatur untertan (vgl. BrGl II, 47).<br />
RFF 24b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> arbeitet, wie Franziskus, gerne<br />
mit den eigenen Händen (vgl. Test 20), um das<br />
Reich Gottes aufzubauen, die Bru<strong>der</strong>schaft zu<br />
unterstützen <strong>und</strong> mit den Armen <strong>und</strong> Bedürftigen<br />
das zu teilen, was er hat (vgl. Apg 3,6).<br />
RFF 25a.<br />
Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> folgen dem Beispiel <strong>des</strong> hl. Franziskus,<br />
den Gott mitten unter die Leprakranken<br />
führte, indem sie das Leben <strong>und</strong> die Situation <strong>der</strong><br />
Armen wählen, sich mit ihnen identifizieren, den<br />
Unterdrückten, den Bedrängten <strong>und</strong> den Kranken<br />
dienen <strong>und</strong> sich von ihnen evangelisieren lassen<br />
(vgl. GG.CC. 66 § 1; 96 § 2; 97 § 1).<br />
RFF 25b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> ist einfühlsam <strong>und</strong> arbeitet, um<br />
jede Form von Ungerechtigkeit <strong>und</strong> die entmenschlichenden<br />
Strukturen in <strong>der</strong> Welt zu beseitigen; er<br />
ergreift ausdrücklich Option für die Armen indem<br />
er zur Stimme <strong>der</strong>er wird, die keine Stimme haben,<br />
als Werkzeug <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
<strong>und</strong> als Sauerteig Christi in <strong>der</strong> Welt.<br />
RFF 26a.<br />
Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>, Jünger <strong>des</strong> Herrn <strong>und</strong> Verkün<strong>der</strong><br />
seines Wortes, nehmen nach dem Beispiel <strong>der</strong><br />
Apostel teil an <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong> Kirche zur Evangelisierung<br />
(vgl. GG.CC. 83 § 2) <strong>und</strong> bringen „allen,<br />
denen sie begegnen den Frieden <strong>und</strong> das Heil <strong>des</strong><br />
Herrn“ (GG.CC. 85).<br />
225
■ Eine Textauswahl zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />
RFF 26b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> pflegt die Haltung <strong>des</strong> Wohlwollens<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> Dialoges gegenüber den verschiedenen<br />
Kulturen <strong>und</strong> ist aufmerksam für die Zeichen<br />
<strong>der</strong> Zeit, um die Werte <strong>des</strong> Evangeliums treu zu<br />
leben <strong>und</strong> den Menschen von heute treu zu verkünden.<br />
RFF 28b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> gibt sein Lebenszeugnis durch<br />
die brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft, das Leben <strong>der</strong> Kontemplation<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Buße, den Dienst in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />
<strong>und</strong> in <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft, als<br />
ein Mann <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, in Freude <strong>und</strong> Einfachheit<br />
<strong>des</strong> Herzens.<br />
RFF 29a.<br />
Wenn es dem Herrn gefällt, verkünden die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
aus-drücklich das Evangelium mit dem<br />
Zeugnis <strong>des</strong> Wortes (vgl. NbReg 16,7), indem sie<br />
vor allem das Geheimnis <strong>des</strong> armen <strong>und</strong> gekreuzigten<br />
Christus verkünden <strong>und</strong> allen Menschen Buße,<br />
Versöhnung <strong>und</strong> Frieden predigen.<br />
RFF 32a.<br />
In <strong>der</strong> Nachfolge Christi, <strong>der</strong> seine Wohnung in <strong>der</strong><br />
Welt aufgeschlagen hat, sind die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />
gerufen, als <strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Friedens</strong> ihr Charisma unter allen Menschen zu<br />
leben <strong>und</strong> aufmerksam auf die Zeichen <strong>der</strong> Zeit zu<br />
sein.<br />
RFF 32b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> macht sich die franziskanische<br />
Vision <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>des</strong> Menschen zu eigen, entwickelt<br />
ein ausgewogenes kritisches Urteil bezüglich<br />
den Ereignissen (vgl. GG.CC. 129 § 2; 1 31 § 1)<br />
<strong>und</strong> entdeckt in <strong>der</strong> Welt das Gute, das Gott darin<br />
verwirklicht (vgl. Medellin E 52).<br />
RFF 34a.<br />
Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> bemühen sich, in Treue zum<br />
prophetischen Lebensstil den sie vom hl. Franziskus<br />
empfangen haben, schöpferisch neue Wege zu<br />
entdecken, um die evangelischen Werte zu för<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> zu verbreiten.<br />
RFF 34b.<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> als Herold <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> trägt<br />
diesen im Herzen <strong>und</strong> bietet ihn den an<strong>der</strong>en an<br />
226<br />
(vgl. GG.CC. 68 § 2) <strong>und</strong> ist bereit, kraftvoll alles<br />
anzuklagen, was <strong>der</strong> Würde <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> den<br />
christlichen Werten wi<strong>der</strong>spricht.<br />
RFF 56.<br />
Unter den wichtigsten Aspekten <strong>des</strong> menschlichen,<br />
christlichen <strong>und</strong> franziskanischen Wachstums<br />
beachtet die Ausbildung:<br />
1a. Aspekte menschlichen Wachstums im Blick auf<br />
die Welt:<br />
Fähigkeit, die „Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ zu verstehen;<br />
Solidarität mit den Armen <strong>und</strong> den an den Rand<br />
Gedrängten.<br />
2b. Aspekte <strong>des</strong> christlichen Wachstums im Blick<br />
auf Kirche – Welt:<br />
Sinn für die Gegenwart Gottes in <strong>der</strong> Welt;<br />
Kenntnis <strong>des</strong> katholischen Glaubens;<br />
Liebe zur katholischen Kirche; missionarischer<br />
<strong>und</strong> ökumenischer Geist; Suche nach <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden.<br />
3c. Aspekte <strong>des</strong> franziskanischen Wachstums im<br />
Blick auf Kirche – Welt:<br />
Liebe zur Kirche;<br />
Gehorsam gegenüber den Hirten, <strong>der</strong> von Liebe<br />
getragen ist;<br />
Evangelisierung <strong>und</strong> Mission;<br />
prophetischer Geist;<br />
Option für die Armen;<br />
Einsatz für Versöhnung <strong>und</strong> Vergebung;<br />
Achtung für Natur <strong>und</strong> Umwelt.<br />
RFF 58.<br />
Die ständige Fortbildung geschieht im Kontext<br />
<strong>des</strong> täglichen Lebens <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s, im Gebet<br />
<strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Arbeit, in seinen Beziehungen sowohl<br />
innerhalb als auch außerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, <strong>und</strong><br />
in <strong>der</strong> Beziehung zur kulturellen, sozialen <strong>und</strong><br />
politischen Welt, in <strong>der</strong> er sich bewegt.<br />
RFF 79.<br />
Die Bru<strong>der</strong>schaft <strong>des</strong> Ausbildungshauses achtet auf<br />
die Welt <strong>und</strong> ihre Geschichte, auf die bestimmte<br />
soziale Wirklichkeit <strong>und</strong> ist offen ganz beson<strong>der</strong>s<br />
gegenüber den Armen <strong>und</strong> an den Rand Gedrängten,<br />
in Übereinstimmung mit unserer Identität<br />
als Min<strong>der</strong>e.<br />
RFF 155.<br />
Der Bru<strong>der</strong> mit zeitlichen Gelübden glie<strong>der</strong>e sich<br />
ein <strong>und</strong> sei solidarisch mit <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong>
■ Eine Textauswahl zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />
Welt <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Problematik <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, in welchem<br />
er seine Berufung zu leben gerufen ist.<br />
RFF 156.<br />
In <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> Eignung <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s zur<br />
feierlichen Profeß sind einige <strong>der</strong> Kriterien, die<br />
beachtet werden sollten, folgende:<br />
– affektive Reife<br />
– offenk<strong>und</strong>ige Zeichen einer angemessenen <strong>und</strong><br />
reifen persönlichen Beziehung zu Gott im<br />
Gebet;<br />
– persönliche Initiative <strong>und</strong> Verantwortung <strong>des</strong><br />
eigenen religiösen Lebens;<br />
– Fähigkeit zum Leben <strong>und</strong> zur Arbeit mit <strong>der</strong><br />
Bru<strong>der</strong>schaft;<br />
– Fähigkeit, aktiv zu sein <strong>und</strong> sich auf den Dienst<br />
an den an<strong>der</strong>en, beson<strong>der</strong>s den Ärmeren,<br />
auszurichten<br />
– Sinn für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Achtung<br />
<strong>des</strong> Geschaffenen;<br />
– Geist <strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versöhnung;<br />
– Fähigkeit, eine endgültige Verpflichtung<br />
einzugehen, <strong>und</strong> die evangelischen Räte zu<br />
beobachten;<br />
– Verfügbarkeit, das Heilige Evangelium zu<br />
bezeugen <strong>und</strong> zu verkünden;<br />
– ausreichende innere Freiheit <strong>und</strong> Praxis <strong>der</strong><br />
Armut;<br />
– Sinn für die Zugehörigkeit zur Bru<strong>der</strong>schaft,<br />
zur Provinz, zum Orden <strong>und</strong> zur Kirche.<br />
RFF 162.<br />
Die Allgemeinbildung för<strong>der</strong>t eine persönliche Entwicklung<br />
<strong>und</strong> liefert <strong>Werkzeuge</strong> für das Verständnis<br />
<strong>und</strong> die Analyse, die es gestatten:<br />
– eine kritische Sicht <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Welt zu haben;<br />
– sich selbst zu erkennen, das Wesen <strong>des</strong> Menschen<br />
zu kennen <strong>und</strong> zu verstehen, die Stufen<br />
seiner Entwicklung, seiner Psyche;<br />
– in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> im kulturellen Umfeld<br />
Kontakt zu haben;<br />
– mit Einzelpersonen <strong>und</strong> Gruppen, die eine<br />
an<strong>der</strong>e Sprache sprechen, in Verbindung zu<br />
sein;<br />
– das nötige Niveau zu besitzen, um zu einer<br />
fachlichen <strong>und</strong> technischen Ausbildung Zugang<br />
zu bekommen;<br />
– wirksam zu sein in <strong>der</strong> Evangelisierungsarbeit,<br />
im Dienst an <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> am Orden,<br />
1. Kor. 14, 19<br />
im Bemühen, die Gesellschaft im Sinne <strong>der</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Achtung<br />
vor <strong>der</strong> Schöpfung umzugestalten.<br />
RFF 180.<br />
Dem Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> liegen, getreu dem Beispiel <strong>und</strong><br />
den Worten <strong>des</strong> hl. Franziskus, beson<strong>der</strong>s die kirchlichen<br />
Dienste <strong>der</strong> Nächstenliebe, <strong>des</strong> Wortes, <strong>der</strong><br />
Eucharistie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versöhnung am Herzen.<br />
a) Im Ausüben <strong>des</strong> kirchlichen Dienstes <strong>der</strong><br />
Nächstenliebe soll <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>:<br />
– Diener <strong>und</strong> Armer nach dem Beispiel Jesu<br />
Christi sein;<br />
– unentgeltlich dienen können;<br />
– teilen <strong>und</strong> solidarisch sein können;<br />
– Sensibilität gegenüber <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
entwickeln, um die Probleme zu sehen <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong>en Ursachen zu verstehen;<br />
– die Fähigkeit haben, sich ständig den Notwendigkeiten<br />
<strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> geschichtlichen<br />
Augenblicks anzupassen;<br />
– Bote <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Versöhnung sein;<br />
227
– sich um die Empfänger <strong>der</strong> christlichen<br />
Nächstenliebe kümmern, damit sie Protagonisten<br />
ihres menschlichen Vorankommens<br />
<strong>und</strong> ihrer Befreiung werden.<br />
228
■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />
Charakteristika <strong>der</strong><br />
franziskanischen Arbeit<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />
Einführung<br />
Es ist leicht, ernsthafte Gesellschafts- <strong>und</strong> Umweltprobleme<br />
auf globaler <strong>und</strong> lokaler Ebene auszumachen.<br />
Die Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte, Abtreibung, Völkermord,<br />
verlassene Kin<strong>der</strong>, Rüstungsindustrie, Drogen<br />
<strong>und</strong> Umweltverschmutzung sind nur einige davon.<br />
Lösungen <strong>und</strong> die Entschlossenheit, diese Probleme zu<br />
benennen, sind jedoch schwer zu finden. Diese Schwierigkeiten<br />
sind verb<strong>und</strong>en mit Stimmen aus verschiedenen<br />
Traditionen, die wi<strong>der</strong>streitende Antworten vorschlagen<br />
o<strong>der</strong> einfor<strong>der</strong>n. Einige Stimmen sind fre<strong>und</strong>lich,<br />
an<strong>der</strong>e gewaltsam. Unsere Antwort muss authentisch<br />
<strong>und</strong> franziskanisch sein.<br />
„Pace e Bene!“ (Frieden <strong>und</strong> alles Gute!) ist ein Gruß,<br />
<strong>der</strong> auf allen Kontinenten von Millionen von franziskanischen<br />
Männern <strong>und</strong> Frauen seit <strong>der</strong> Zeit <strong>des</strong><br />
heiligen Franziskus gebraucht wird , um Bauern,<br />
Herrscher, Heilige <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong> ohne Unterschied<br />
anzuerkennen. Es ist zum inoffiziellen Motto <strong>der</strong><br />
franziskanischen Familie geworden. „Frieden <strong>und</strong> alles<br />
Gute“ drückt intuitiv <strong>und</strong> einfach die franziskanische<br />
Annäherung an das Leben aus. Wir fragen, was unser<br />
Wunsch <strong>und</strong> unsere Arbeit für „Frieden <strong>und</strong> alles<br />
Gute“ heute bedeuten.<br />
Dieses Dokument ist ein Versuch <strong>der</strong> Internationalen<br />
Interfranziskanischen Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>und</strong> Frieden, eine übereinstimmende Stellungnahme<br />
zu verfassen, die beschreibt, was wir als wichtige<br />
Kennzeichen einer franziskanischen Annäherung an<br />
die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ehrfurcht<br />
vor <strong>der</strong> Schöpfung ansehen. Wir haben aus vielen<br />
Diskussionen untereinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en, die<br />
wir bei unserer Arbeit getroffen haben, Ideen gesammelt.<br />
Wir teilen unsere Ideen mit euch in <strong>der</strong> Hoffnung,<br />
dass unser Bemerkungen zum Nachdenken <strong>und</strong><br />
zur weiteren Diskussion anregen werden.<br />
Frieden<br />
Frieden kommt von dem armen Gott, <strong>der</strong> sich<br />
offenbart hat in Jesus Christus.<br />
Die Heiligen von Assisi strahlten einen freudigen<br />
Frieden aus, <strong>der</strong> universal anerkannt worden ist.<br />
Dieser Friede war nicht das Ergebnis ihrer Leistung,<br />
ihrer körperlichen Ges<strong>und</strong>heit o<strong>der</strong> ihrer Sicherheit.<br />
In einer sehr öffentlichen Art <strong>und</strong> Weise haben sie<br />
gewählt, von ihrem behüteten Geburtsort, <strong>der</strong><br />
Kommune von Assisi, wegzuziehen, zu den unsicheren<br />
Behausungen <strong>der</strong> ausgestoßenen Leprösen <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Armen, die am Rande ihrer Gesellschaft lebten.<br />
Die Zeitgenossen erkannten den verarmten Lebensstil<br />
<strong>der</strong> Heiligen als prophetischen Kommentar zum<br />
Evangelium <strong>und</strong> als Kritik an ihrer Gesellschaft. Die<br />
indirekte Gesellschaftsanalyse, ausgedrückt in ihrem<br />
Lebensstil, war we<strong>der</strong> motiviert durch humanitäre<br />
Besorgnis allein, noch durch Philosophie, noch<br />
durch Verdammung <strong>des</strong> „status quo“: Vielmehr war<br />
sie beeindruckt durch Gottes Inkarnation. Jesus<br />
Christus, <strong>der</strong> arme <strong>und</strong> gekreuzigte Herr, war <strong>der</strong><br />
Geber <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> für ihren Frieden. Ihre Versuche,<br />
dem evangelischen Leben Jesu Christi wörtlich<br />
in ganzer Einfachheit zu folgen, wurden die Gr<strong>und</strong>lage<br />
<strong>und</strong> die Regel ihrer Leben. An<strong>der</strong>s als ähnliche<br />
„evangelikale“ o<strong>der</strong> prophetische Gruppen ihrer<br />
Zeit, waren Franziskus <strong>und</strong> Klara beharrlich darin,<br />
die Besiegelung <strong>und</strong> Bestätigung <strong>der</strong> universalen<br />
Kirche für ihre persönlichen Inspirationen <strong>und</strong><br />
Überzeugungen zu sichern. Franziskus’ Kontemplation<br />
<strong>und</strong> Erfahrung gaben Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
Bil<strong>der</strong> von Gott, offenbart in Jesus Christus, <strong>der</strong><br />
gewaltlos, verletzlich <strong>und</strong> arm im Stall von Bethlehem<br />
war; nackt <strong>und</strong> verlassen am Kreuz; <strong>und</strong> Nahrung<br />
in <strong>der</strong> Eucharistie. Gottes vollkommene Sanftmütigkeit,<br />
Demut <strong>und</strong> Armut gaben Franziskus<br />
<strong>und</strong> Klara den leidenschaftlichen Wunsch, „vollkommen<br />
wie unser himmlischer Vater vollkommen<br />
ist“ zu werden.<br />
Armut ist die Lampe, die wir brauchen, um durch<br />
die Pforte <strong>des</strong> Glaubens zu gelangen, um das Mysterium<br />
Gottes zu betreten, in dem wir wahren Frieden<br />
229
■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />
finden (St. Bonaventura). Jahrh<strong>und</strong>ertelange Interpretationen<br />
<strong>der</strong> Armut haben viele Streitigkeiten<br />
<strong>und</strong> Reformen innerhalb <strong>des</strong> Franziskanertums<br />
erzeugt. Die meisten Franziskaner sehen sich selbst<br />
als für die Armen arbeitend, viele arbeiten mit <strong>und</strong><br />
unter den Armen, <strong>und</strong> einige haben sich vollständig<br />
mit den Armen in ihrem Lebensstil <strong>und</strong> ihrer Arbeit<br />
identifiziert. Das Verfolgen <strong>der</strong> „Vollkommenheit“<br />
Gottes führte Franziskus dazu, einzutreten für die<br />
Herrin Armut <strong>und</strong> zum Frieden <strong>der</strong> „vollkommenen<br />
Freude“. Während ihres Lebens bestand Klara<br />
auf <strong>der</strong> absoluten Notwendigkeit <strong>und</strong> dem Privileg<br />
<strong>der</strong> vollkommenen Armut für ihre Gesellschaft <strong>der</strong><br />
Armen Frauen.<br />
Güte<br />
Gott ist nicht nur arm, son<strong>der</strong>n Er ist die Güte selbst,<br />
die sich in <strong>der</strong> Schöpfung wi<strong>der</strong>spiegelt.<br />
Die franziskanische Annäherung an das Leben ist<br />
gekennzeichnet durch eine Erkenntnis <strong>der</strong> Wichtigkeit,<br />
<strong>der</strong> Schönheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Güte <strong>der</strong> Schöpfung,<br />
die von einem guten Gott aus keinem an<strong>der</strong>en<br />
Gr<strong>und</strong> geschaffen wurde als aus Liebe. Wir teilen<br />
diese Erde, ihre Schätze, unsere Leben <strong>und</strong> die<br />
Arbeit mit allen Kreaturen Gottes, die unsere Brü<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> Schwestern sind. An<strong>der</strong>s als einige, die<br />
danach strebten, die Natur zu bezwingen <strong>und</strong> zu<br />
beherrschen, erwarteten die beiden großen Heiligen<br />
von Assisi, auf unserer Schwester, <strong>der</strong> Mutter Erde<br />
leicht zu leben, ohne eine Last zu sein we<strong>der</strong> für die<br />
Erde noch für diejenigen, die sie ernährt <strong>und</strong> gekleidet<br />
hatten.<br />
Franziskus’ praktische Theologie <strong>und</strong> Spiritualität<br />
gaben ihm solch eine Gesellschaftsanalyse, dass alle<br />
Personen Verantwortungen <strong>und</strong> gleiche Rechte vor<br />
Gott haben. Das franziskanische Bewusstsein <strong>des</strong><br />
heiligen Wertes <strong>des</strong> Einzelnen blühte auf im Denken<br />
<strong>des</strong> Johannes Duns Scotus. Je<strong>des</strong> Individuum –<br />
ob Pflanze, Stein o<strong>der</strong> Amöbe – ist kostbar. Kein<br />
Geschöpf, kein Teil <strong>der</strong> Schöpfung kann abgetan<br />
werden als unbedeutend. Je<strong>des</strong> Geschöpf muss das<br />
volle Maß seiner eigenen Individualität erlangen,<br />
wenn <strong>der</strong> ganze Ausdruck von Gottes Liebe in <strong>der</strong><br />
Schöpfung verwirklicht werden soll.<br />
230<br />
Eigenschaften<br />
Die franziskanische Bewegung begann mit den<br />
Leben <strong>und</strong> den wertvollen Geschichten von dem<br />
Heiligen Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Heiligen Klara von<br />
Assisi, die eine ständige Inspiration <strong>und</strong> Richtungsweisung<br />
geben. Jahrh<strong>und</strong>ertelang wurden h<strong>und</strong>erttausende<br />
Männer <strong>und</strong> Frauen vom Heiligen Geist<br />
geleitet <strong>und</strong> vom einfachen Genie <strong>und</strong> <strong>der</strong> praktischen<br />
theologischen Weisheit von Klara <strong>und</strong> Franziskus.<br />
Generation um Generation haben Brü<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> Schwestern die ursprüngliche franziskanische<br />
Inspiration entwickelt <strong>und</strong> populär gemacht. Diese<br />
Entwicklung <strong>des</strong> Geistes von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />
hatte einen tiefen humanisierenden menschlichen<br />
Effekt auf die Christenheit, die westliche Zivilisation<br />
<strong>und</strong> auf an<strong>der</strong>e Kulturen.<br />
Franziskanische Männer <strong>und</strong> Frauen haben eine<br />
Geschichte <strong>des</strong> Antwortens auf praktische Art <strong>und</strong><br />
Weise auf akute soziale Probleme, motiviert durch<br />
Überzeugungen, die von dem Heiligen Franziskus<br />
ererbt worden sind: Seine Überzeugung von <strong>der</strong><br />
absoluten Güte Gottes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schöpfung, <strong>der</strong> Primat<br />
<strong>der</strong> Liebe, die Inkarnation <strong>und</strong> ihre christozentrischen<br />
Auswirkungen. Der frühe Bann <strong>des</strong> Waffentragens<br />
für Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Dritten Ordens half,<br />
dass das feudale System in Europa zusammenbrach.<br />
Franziskaner waren verantwortlich für die Einrichtung<br />
von einigen <strong>der</strong> ersten Apotheken in Europa,<br />
ursprünglich um die Bedürfnisse <strong>der</strong> kranken Pilger,<br />
die nach Assisi strömten zu befriedigen. Um die<br />
Armen, die gelähmt waren von den hohen ungerechten<br />
Zinsen auf Kredite, zu schützen, organisierten<br />
die Brü<strong>der</strong> in Italien den Mons Pietatis, eine<br />
Finanzgesellschaft, die Vorläufer <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Banksystems war. Zahllose franziskanische Männer<br />
<strong>und</strong> Frauen haben ihre Häuser heimatlosen jungen<br />
Leuten geöffnet <strong>und</strong> ihnen so den Schutz <strong>und</strong> die<br />
Bildung gegeben, die ihre Gesellschaft ihnen nicht<br />
gegeben hat. In Län<strong>der</strong>n, wo die Armen sich keine<br />
Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge leisten konnten, haben franziskanische<br />
Frauen <strong>und</strong> Männer auf praktische Weise<br />
durch die Einrichtung von Krankenhäusern <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitssystemen geantwortet.<br />
Franziskus war besessen von einer großen Mission.<br />
Er war <strong>der</strong> Herold Gottes <strong>und</strong> Gottes Botschaft<br />
vom Frieden. Die Botschaft von Gottes Liebe<br />
brannte so stark in Franziskus, dass sie nicht festgehalten<br />
werden konnte. Wie die Herolde in jener<br />
Zeit, die ihren Herren vorausgingen, um ihre
■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />
Ankunft anzukündigen, reiste Franziskus von Dorf<br />
zu Dorf, um die Güte <strong>und</strong> den Frieden Gottes zu<br />
verkündigen. Nach Franziskus ist das Evangelium<br />
zuerst zu verkündigen durch unsere Zeugenschaft<br />
für das evangelische Leben, nicht nur durch Worte.<br />
Wenn es angemessen ist <strong>und</strong> wir vom Geist Gottes<br />
veranlasst sind, ergreifen wir die Gelegenheit, an<strong>der</strong>en<br />
die Gründe unseres Glaubens zu erklären, niemals<br />
jedoch streitsüchtig werdend. Für Franziskus<br />
ist die höchste vollkommene Form <strong>der</strong> Evangelisierung<br />
das Martyrium, wo wir vereint werden mit<br />
Jesus, dem vollkommenen Evangelisten, indem wir<br />
unsere Leben vollständig für die evangelische Botschaft<br />
von Gottes Liebe hingeben.<br />
In solchen Schriften wie dem Sonnengesang <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Regel für Einsiedeleien <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Beziehung<br />
zwischen den Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>n, den Armen Frauen<br />
<strong>und</strong> den Büßern sehen wir, dass von Anfang an in<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Bewegung weibliche <strong>und</strong><br />
männliche Energien <strong>und</strong> Talente vereint waren.<br />
Geschichtlich <strong>und</strong> theoretisch bedeutet franziskanisches<br />
Leben gegenseitigen Respekt, Mitwirkung<br />
<strong>und</strong> Zusammenarbeit von Männern <strong>und</strong> Frauen.<br />
Franziskus’ großer König war <strong>der</strong>selbe <strong>und</strong> doch<br />
sehr an<strong>der</strong>e Gott <strong>der</strong> Christen seiner Zeit. Als die<br />
Kirche einen Heiligen Kreuzzug gegen ihre Feinde,<br />
die Sarazenen, führte, waren Franziskus’ Interpretation<br />
<strong>des</strong> evangelischen Lebens <strong>und</strong> seiner For<strong>der</strong>ungen<br />
revolutionär. Er war gewaltlos, kreativ <strong>und</strong> aktiv<br />
in seiner Annäherung an den Konflikt. Er war nicht<br />
passiv. Er ergriff die Initiative als ein Schlichter <strong>und</strong><br />
suchte die gegnerischen Seiten zum Dialog auf, um<br />
Versöhnung zu erreichen. Franziskus war schnell im<br />
Dialog mit dem wohlhabenden Sultan, <strong>der</strong> als<br />
Feind <strong>der</strong> Christen angesehen wurde <strong>und</strong> mit dem<br />
Wolf, <strong>der</strong> von den Leuten von Gubbio gefürchtet<br />
wurde. Die Brü<strong>der</strong> waren Instrumente darin, den<br />
Bischof <strong>und</strong> den Bürgermeister von Assisi zusammenzubringen,<br />
nicht indem sie sie mit öffentlichem<br />
Ausschimpfen beschämten, son<strong>der</strong>n durch das<br />
Vorsingen <strong>des</strong> Sonnengesangs.<br />
In einer Periode <strong>der</strong> tiefen Entmutigung schrieb<br />
Franziskus den Sonnengesang. Zu dieser Zeit fuhr<br />
er fort, die Erfahrung <strong>der</strong> vollkommenen Freude zu<br />
erleben, obwohl er krank war <strong>und</strong> an den körperlichen<br />
W<strong>und</strong>malen Jesu <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entmutigung <strong>der</strong><br />
Enttäuschung von seinen Brü<strong>der</strong>n litt. Seine Freude<br />
im Schmerz war nicht masochistisch, son<strong>der</strong>n sie<br />
war eine ehrliche Anerkennung seiner Schmerzen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Ungerechtigkeit, begleitet von <strong>der</strong> überra-<br />
schenden Freude, getragen worden zu sein in dieser<br />
Ungerechtigkeit. Es muss eine Gnade o<strong>der</strong> irgendjemanden,<br />
<strong>der</strong> ihn in seinem Leiden unterstützt hat,<br />
gegeben haben. Franziskus’ Freude kam mit <strong>der</strong><br />
Erkenntnis, dass Gottes Geist ihn in den sehr<br />
schmerzvollen Situationen getragen hatte. Der Heilige<br />
Geist, <strong>der</strong> „Generalminister“, half Franziskus,<br />
zu verstehen, eher, als verstanden zu werden, zu<br />
trösten, eher, als getröstet zu werden, <strong>und</strong> zu lieben,<br />
eher, als geliebt zu werden. Franziskanische Freude<br />
ist nicht eine naive Verneinung <strong>des</strong> menschlichen<br />
Leidens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Probleme. Sie ist eine Überzeugung,<br />
dass trotz alles Schlechten im Leben, Gottes<br />
Geist immer in uns, in den an<strong>der</strong>n <strong>und</strong> in <strong>der</strong><br />
Schöpfung ist. Freude bewahrte Franziskus davor,<br />
bitter zu werden in <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> Leidens <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Enttäuschung.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Der Heilige Franziskus <strong>und</strong> die Heilige Klara hatten<br />
Wege, schrittweise Gewalt durch Liebe zu verän-<br />
231
■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />
<strong>der</strong>n <strong>und</strong> aufzunehmen. Mit offenen Augen <strong>und</strong> liebevollem<br />
Respekt für alle Klassen von Menschen<br />
wählten sie, arm unter den Armen zu sein. Statt bei<br />
dem Negativen <strong>und</strong> Bösen in ihren Gesellschaften<br />
zu verweilen, wählten sie prophetische Wege, das<br />
Positive mit konstruktiven Aktionen zu betonen.<br />
Franziskaner haben bewusste <strong>und</strong> unbewusste Traditionen<br />
<strong>des</strong> Lesens <strong>der</strong> Zeichen <strong>der</strong> Zeit, die sich<br />
offenbaren in den Bedürfnissen <strong>der</strong> Armen. Antworten<br />
auf diese Bedürfnisse waren praktische, oftmals<br />
kleine Schritte, die geholfen haben, das unterdrückerische<br />
kulturelle System aufzulösen.<br />
Heute ist unsere kollektive <strong>und</strong> persönliche Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
diese traditionellen franziskanischen<br />
Charismen gemäß den beson<strong>der</strong>en Umständen <strong>und</strong><br />
Kulturen zu entwickeln. Indem wir die Gründe von<br />
<strong>der</strong> Wurzel <strong>und</strong> nicht nur die Symptome <strong>der</strong> Probleme<br />
aufzeigen, müssen wir sorgfältig arbeiten, uns<br />
konstruktive praktische Lösungen auszudenken.<br />
Mit entschlossener Ausbildung <strong>und</strong> Übung müssen<br />
wir den Vorteil <strong>der</strong> neuen Instrumente, die uns zur<br />
Verfügung stehen, um in unseren Gesellschaften<br />
„Frieden <strong>und</strong> alles Gute“ voranzubringen, nutzen.<br />
Wir hoffen, dass unsere franziskanischen Ausbildungsprogramme<br />
in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>ausbildung <strong>und</strong><br />
232<br />
in <strong>der</strong> ständigen Fortbildung sowohl biblische,<br />
religiöse <strong>und</strong> moralische Reflexionen auf <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung beinhalten<br />
werden, als auch Vertrautheit mit sozialen,<br />
psychologischen <strong>und</strong> politischen Wissenschaften<br />
anbieten. Wir drängen auf eine mehr öffentliche<br />
<strong>und</strong> kollektive Zeugenschaft unserer Arbeit <strong>und</strong><br />
Anwaltschaft für das <strong>Friedens</strong>stiften, Einsatz für die<br />
Armen <strong>und</strong> Sorge für die Schöpfung.<br />
Gemeinsam mit allen Menschen guten Willens teilen<br />
wir eine wichtige Pflicht <strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
auf die Probleme unseres Planeten <strong>und</strong> seiner<br />
Gesellschaften zu antworten. Ausgehend von unserer<br />
Tradition, unserer Zahl, unserer Bildung <strong>und</strong><br />
unseres moralischen Einflusses in verschiedenen<br />
Gesellschaften, hat nicht die internationale<br />
Gemeinschaft das Recht, von <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie, einen beträchtlichen positiven Effekt auf<br />
die Probleme <strong>der</strong> Welt zu erwarten? „Von denen,<br />
denen viel gegeben worden ist, wird viel erwartet<br />
werden.“<br />
Die Internationale Interfranziskanische Kommission<br />
für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden, 1993
■ Adressen<br />
Adressen<br />
(Stand 1999)<br />
Konferenz <strong>der</strong> Franziskanischen Familie<br />
(CFF)<br />
Generalminister <strong>OFM</strong><br />
Via Santa Maria Mediatrice 25<br />
I-00165 Roma, Italia<br />
Tel: (+39.06) 68 49 19 Curia<br />
Fax: (+39.06) 63 80 292 Curia<br />
E-mail: mingen@ofm.org<br />
Web: http://www.ofm.org/<br />
Generalminister <strong>OFM</strong> Conv.<br />
Piazza SS. Apostoli 51<br />
I-00186 Roma, Italia<br />
Tel: (+39.06) 699 571<br />
Fax: (+39.06) 699 57 321<br />
E-mail: jzambanini@ofmconv.org<br />
Web: http://www.ofmconv.org/<br />
Generalminister <strong>OFM</strong> Cap.<br />
Via Piemonte 70<br />
I-00187 Roma, Italia<br />
Tel: (+39.06) 4620 121<br />
Fax: (+39.06) 4620 1210<br />
E-mail: curiagen08@ofmcap.org<br />
Web: http://www.ofmcap.org/<br />
Generalminister TOR<br />
Via dei Fori Imperiali I<br />
I-00186 Roma, Italia<br />
Tel: (+39.06) 699 15 40<br />
Fax: (+39.06) 678 49 70<br />
Web: http://home.penn.com/franciscanstor/<br />
Präsident CFI-TOR<br />
Piazza del Risorgimento 14, Int. A-1<br />
I-00192 Roma, Italia<br />
Tel: (+39.06) 39 72 35 21<br />
Fax: (+39.06) 39 72 35 21<br />
E-mail: isctorsg@tin.it<br />
Generalminister OFS<br />
Via Pomponia Grecina 31<br />
I-00145 Roma, Italia<br />
Tel: (+39.06) 512 39 64<br />
E-mail: ciofs@ofs.it<br />
Web: http://www.ofs.it/<br />
Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden <strong>OFM</strong><br />
Ufficio Giustizia e Pace, Curia Generalizia<br />
Via S. Maria Mediatrice 25<br />
I-00165 Roma, Italia<br />
Tel.: (+39.06) 6849 1218<br />
Fax: (+39.06) 6849 1266<br />
E-mail: pax@ofm.org<br />
Web: http://www.ofm.org/<br />
Fraternitas<br />
Curia Generaliza dei Frati Minori<br />
Via S. Maria Mediatrice 25<br />
I- 00165 Roma, Italia<br />
Tel: (+39.06) 68 49 19 Curia<br />
Fax: (+39.06) 63 80 292 Curia<br />
E-mail: comgen@ofm.org<br />
Web: http://www.ofm.org/<br />
233
■ Adressen<br />
Römische Organisationen<br />
Päpstlicher Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
Pontificio Consiglio Giustitia e Pace<br />
Palazzo San Callisto<br />
I-00120 Citta del Vaticano<br />
Tel: (+39.06) 69 88 71 91<br />
Fax: (+39.06) 69 88 72 05<br />
E-mail: pcjust@justpeace.va<br />
Web: http://www.vatican.va/<br />
Kommission GFBS<br />
<strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Ordensoberen<br />
JPIC Commission<br />
of the Union of Superiors General<br />
Via Aurelia 476<br />
I-00100 Roma, Italia<br />
Tel/Fax: (+39.06) 662 29 29<br />
234<br />
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)<br />
Franciscans International<br />
211 East 43 rd St. Room 1100<br />
New York, NY 10017-4707, USA<br />
Tel: (+1.212) 490 4624<br />
Fax: (+1.212) 857 4977<br />
E-mail: franintl@<strong>und</strong>p.org<br />
Web: http://www.franintl.org/<br />
Franciscans International and Dominicans<br />
P.O. Box 97<br />
CH-1211 Geneva 25, Schweiz<br />
Tel: (+41.22) 839 20 91<br />
Fax: (+41.22) 839 21 29<br />
E-mail: geneve@compuserve.com<br />
Web: http://www.fiop.org/<br />
Pax Christi International<br />
Oude Graanmarket 21<br />
B-1000 Bruxelles, Belgien<br />
Tel: (+32.2) 502 55 50<br />
Fax: (+32.2) 502 46 26<br />
E-mail: office@pci.ngonet.be<br />
Web: http://www.pci.ngonet.be/<br />
Amnesty International<br />
1 Easton Street<br />
London WC1X 8DJ, United Kingdom<br />
Tel: (+44.1-71) 413 55 00<br />
Fax: (+44.1-71) 956 11 57<br />
E-mail: amnestyis@amnesty.org<br />
Web: http://www.amnesty.org/<br />
Internationales Komittee <strong>des</strong> Roten Kreuzes<br />
International Committee of the Red Cross<br />
19, Avenue de la Paix<br />
CH-1202 Geneva, Schweiz<br />
Tel: (+41.22) 734 60 01<br />
Fax: (+41.22) 733 20 57<br />
E-mail: webmaster.gva@icrc.org<br />
Web: http://www.icrc.org/
■ Adressen<br />
Büro <strong>des</strong> Zusammenschlusses<br />
europäischer Hilfswerke «Acuerdo de Londres»<br />
für Menschenrechte in Kolumbien<br />
Oficina Internacional<br />
de Derechos Humanos-Accion Colombia<br />
OIDH-ACO<br />
Vlasfabriekstraat 11<br />
B-1060 Brussel, Belgien<br />
Tel: (+32.2) 536 19 13<br />
Fax: (+32.2) 536 19 43<br />
Catholic Institute of International Relations (CIIR)<br />
Unit 3 Canonbury Yard<br />
190a New North Road, Islington<br />
London N1 7BJ, United Kingdom<br />
Tel: (+44.1) 71 354 08 83<br />
Fax: (+44.1) 71 359 00 17<br />
Email: ciirlon@gn.apc.org<br />
International Alert<br />
1 Glyn Street<br />
London SE 115 HT, United Kingdom<br />
Tel: (+44.1) 71 793 83 83<br />
Fax: (+44.1) 71 793 79 75<br />
Email: intlalert@gn.apc.org<br />
Peace Briga<strong>des</strong> International<br />
Archway Resource Centre<br />
1 b Waterloo Road<br />
London N19 5NJ, United Kingdom<br />
Tel: (+44.1) 71 272 44 48<br />
Fax: (+44.1) 71 272 92 43<br />
(attention of PBI-Colombia)<br />
Email: pbicolombia@gn.apc.org<br />
Web: http://www.igc.apc.org/pbi/index.html<br />
OMCT/SOS Torture<br />
Rue de Vermont 37-39<br />
CH-1211 Genève 20, Schweiz<br />
Tel: (+41 22) 733 31 40<br />
Fax: (+41 22) 733 10 51<br />
ICMC<br />
(International Catholic Commission for Migration)<br />
37-37, rue de Vermont<br />
CH-1202 Genève, Schweiz<br />
(P.O. Box 96, 1211 Genève 20, Schweiz)<br />
Tel: (+41 22) 919 10 20<br />
Fax: (+41 22) 919 10 48<br />
E-mail: secretariat@icmc.dpn.ch<br />
APT (Association for the prevention of torture)<br />
P.O. Box 2267<br />
CH-1211 Geneva 2, Schweiz<br />
Tel: (+41.22) 734 20 88<br />
Fax: (+41.22) 734 56 49<br />
E-mail: apt@apt.ch<br />
Washington Office on Latin America<br />
1630 Connecticut Avenue<br />
Washington D.C. 20009, USA<br />
Tel: (+1.202) 797 21 71<br />
Fax: (+1.202 797 21 72<br />
E-mail: wtate@wola.org<br />
Maryknoll Office for Global Concerns<br />
Peace, Social Justice an Integrity of Creation<br />
P.O. Box 29132<br />
Washington D.C. 20017, USA<br />
Tel: (+1.202) 832 17 80<br />
Fax: (+1.202) 832 51 95<br />
E-mail: mknolldc@igc.apc.org<br />
Web: www.maryknoll.org<br />
Centro de Derechos Humanos<br />
Serapio Rendon 57-B<br />
Col. San Rafael<br />
06740 Mexico, D.F, Mexico<br />
Tel: (+52.5) 66 78 54 or 46 82 17<br />
Fax: (+52.5) 35 68 92<br />
E-mail: prodh@laneta.apc.org<br />
235
■ Adressen<br />
Organisationen <strong>der</strong> UNO<br />
His Excellency<br />
Secretary General of the United Nations<br />
United Nations Headquarters<br />
New York, NY 10017, USA<br />
Web: http://www.un.org/<br />
Managing Director<br />
International Monetary F<strong>und</strong>, IMF (FMI)<br />
700 19 th Street, N.W.<br />
Washington D.C. 20431, USA<br />
Tel: (+1.202) 623 70 00<br />
Fax: (+1.202) 623 46 61<br />
E-mail: publicaffairs@imf.org<br />
Web: http://www.imf.org/<br />
President World Bank<br />
1818 H. Street, N.W.<br />
Washington D.C. 20433, USA<br />
Tel: (+1.202) 473 06 93<br />
Fax: (+1.202) 522 33 13 or 522 32 28<br />
Web: http://www.worldbank.org<br />
Office of the High Commissioner<br />
for Human Rights<br />
Palais Wilson<br />
12, rue <strong>des</strong> Pâquis<br />
CH-1201 Geneva, Schweiz<br />
Tel: (+41.22) 917 12 34<br />
Fax: (+41.22) 917 90 12<br />
Web: http://www.unhchr.ch/<br />
236<br />
ILO (International Labor Office)<br />
Route <strong>des</strong> Morillons 14<br />
CH-1202 Geneva, Schweiz<br />
Tel: (+41.22) 799 61 11<br />
Web: http://www.ilo.org/<br />
WTO (World Trade Organization)<br />
Rue de Lausanne154<br />
CH-1202 Geneva, Schweiz<br />
Tel: (+41.22) 739 51 11<br />
Fax: (+41.22) 731 42 06<br />
Web: http://www.wto.org/<br />
UNHCR<br />
(United Nations High Commissioner for Refugees)<br />
Rue de Montbrillant 94<br />
CH-1202 Geneva, Schweiz<br />
Tel: (+41.22) 739.81.11<br />
E-mail: hqpi00@unhcr.ch<br />
Web: http://www.unhcr.ch
■ Adressen<br />
Regierungen<br />
US Secretary of the Treasury<br />
1500 Pennsylvania Ave, N.W.<br />
Washington D.C. 20220, USA<br />
Tel: (+1.202) 622 20 00<br />
Fax: (+1.202) 622 64 15<br />
E-mail: OPCMAIL@treas-sprint.com<br />
President<br />
The White House<br />
Washington D.C. 20500, USA<br />
Tel: (+1.202) 456 14 14<br />
Fax: (+1.202) 456 24 61<br />
E-mail: president@whitehouse.gov<br />
Web: http://www.whitehouse.gov/<br />
US Secretary of State<br />
2201 C. Street, N.W.<br />
Washington D.C. 20520, USA<br />
Web: http://www.state.gov/<br />
Prime Minister<br />
10 Downing Street<br />
London SW1A 2AA, United Kingdom<br />
Tel: (+44.171) 270 30 00<br />
Web: http://www.number-10.gov.uk/index.html<br />
Bun<strong>des</strong>kanzler<br />
Bun<strong>des</strong>kanzleramt<br />
Willy-Brandt-Strasse 1<br />
D-10557 Berlin (Deutschland)<br />
Tel: (49.1888) 400-0<br />
(49.30) 4000-0<br />
Fax: (+49.30) 400 2357<br />
Web http://www.bun<strong>des</strong>kanzler.de<br />
Präsident <strong>der</strong> Europäischen Kommission<br />
200 Rue de la Loi<br />
B-1049 Bruxelles, Belgien<br />
Tel: (+32.2) 299 11 11<br />
Tel: (+29) 53914 / 62288<br />
Fax: (+29) 605 54<br />
E-mail: echo@echo.cec.be<br />
Präsident von Russland<br />
Kreml<br />
Moskau, Russland<br />
Tel: (+7.95) 925 35 81<br />
Fax: (+7.95) 206 85 10<br />
Web: http://www.gov.ru/<br />
Prime Minister<br />
House of Commons 111 Wellington St<br />
Ottawa, Ontario K1A 0A2, Canada<br />
Tel: (+1.613) 992 42 11<br />
Web: http://www.canada.gc.ca/<br />
President de la Republique<br />
Palais de l’Elysée<br />
55, rue du Faubourg Saint-Honoré<br />
F-75008-Paris, France<br />
Web: http://www.elysee.fr/<br />
Premier Ministre<br />
Office du Premier Ministre<br />
57, rue de Varennes<br />
F-75700 Paris, France<br />
Web: http://www.premier-ministre.gouv.fr/<br />
Primo Ministro<br />
Palazzo Chigi<br />
Piazza Colonna<br />
I-00187 Roma, Italia<br />
Web: http://www.palazzochigi.it/<br />
Prime Minister Office<br />
1-6-1 Nagata-cho<br />
Chiyoda-ku<br />
Tokyo 100, Japan<br />
E-mail: jpm@kantei.ga.jp<br />
Web: http://www.sorifu.go.jp/english/index.html<br />
237
Hilfswerke<br />
Misereor (Bischöfliches Hilfswerk)<br />
Mozartstrasse 9<br />
D-52064 Aachen, Deutschland<br />
Tel: (+49.241) 442 178 or 442 223<br />
Fax: (+49.241) 442 188<br />
Web: http://www.misereor.de/<br />
Trocaire<br />
(Irish f<strong>und</strong>ing agency for Caritas Latin America)<br />
Departemento de Proyectos<br />
169 Booterstown Avenue<br />
Blackrock, Co. Dublin, Ireland<br />
Tel: (+353.1) 288 53 85<br />
Fax: (+353.1) 283 6022<br />
Email: patty@trocaire.ie<br />
CAFOD<br />
Romero Close<br />
Stockwell Road<br />
London SW9 9TY, United Kingdom<br />
Tel: (+44.1) 71 733 79 00<br />
Fax: (+44.1) 71 274 96 30<br />
Email: hqcafod@cafod.org.uk<br />
Web: http://www.cafod.org.uk/<br />
Oxfam House<br />
274 Banbury Road<br />
Oxford, OX2 7DZ, United Kingdom<br />
Tel: (+44.1865) 311 311<br />
Email: oxfam@oxfam.org.uk<br />
Web: http://www.oxfam.org.uk/<br />
USCC<br />
(United States Catholic Conference [Bishops])<br />
Department of Social Development<br />
and World Peace<br />
3211 4 th Street NE<br />
Washington DC 20017-1194, USA<br />
Tel: (+1.202) 541 31 53<br />
Fax: (+1.202) 541 33 39<br />
E-mail: sdwpmail@nccbuscc.org<br />
Web: http://www.nccbuscc.org/<br />
238<br />
USCC<br />
(United States Catholic Conference Bishops)<br />
Migration and Refugees Services<br />
3211 4 th Street NE<br />
Washington DC 20017-1194, USA<br />
Tel: (+1.202) 541 32 60<br />
Fax: (+1.202) 541 33 99<br />
E-mail: mrs@nccbuscc.org<br />
Web: http://www.nccbuscc.org/<br />
JRS (Jesuit Refugee Service)<br />
Borgho Santo Spirito 4<br />
I-00193 Roma<br />
PO Box 61.39 0095 Roma Prati, Italia<br />
Tel: (+39.06) 689 77 388<br />
Fax: (+39.06) 940 22 60<br />
E-mail: jrs.rome@agora.stm.it<br />
Web: http://www.jesuit.org/refugee/<br />
Caritas Internationalis<br />
Piazza San Calisto, 16<br />
I-00120 Vatican City<br />
Tel: (+39.06) 69 88 71 97<br />
Fax: (+39.06) 69 88 72 37<br />
E-mail: ci.comm@caritas.va<br />
Web: http://www.caritas.net/<br />
OneWorld – Zusammenschluss von über 350<br />
weltweiten Organisationen, die für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
arbeiten. OneWorld widmet sich <strong>der</strong> Menschenrechtsarbeit<br />
<strong>und</strong> zukunftsfähiger Entwicklung,<br />
indem es die Möglichkeiten <strong>des</strong> Internet nutzt.<br />
http://www.oneworld.org/
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Gebete<br />
aus verschiedenen<br />
Glaubenstraditionen<br />
Welttag <strong>des</strong> Gebets um Frieden,<br />
Assisi, Oktober 1986<br />
Die Gebete <strong>der</strong> Weltreligionen<br />
<strong>Friedens</strong>gebet <strong>der</strong> Buddhisten<br />
Aus dem Zueignungskapitel <strong>der</strong> „Lebensregel für<br />
den Bodhisattva“ <strong>des</strong> buddhistischen Heiligen <strong>und</strong><br />
Gelehrten Shantideva aus dem 8. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Kraft dieses Versuches,<br />
den Weg zur Erleuchtung einzuschlagen,<br />
möge alles, was da lebt, dazu kommen,<br />
diesen Wandel zu vollziehen.<br />
Mögen alle Wesen, wo auch immer,<br />
die an Leib <strong>und</strong> Seele von Leid geplagt sind,<br />
kraft meiner Verdienste<br />
ein Meer von Glückseligkeit erlangen.<br />
Möge ihr Glück (in dieser Welt),<br />
solange sie im Kreislauf <strong>des</strong> Daseins bleiben,<br />
nie abnehmen,<br />
<strong>und</strong> mögen sie alle ohne Unterlass<br />
von den Bodhisattvas<br />
Wogen <strong>der</strong> Freude empfangen.<br />
Möge Wärme finden,<br />
wer vor Kälte vergeht,<br />
<strong>und</strong> mögen die, die vor Hitze schmachten,<br />
sich kühlen in den nie versiegenden Wassern,<br />
die sich aus den großen Wolken (<strong>der</strong> Verdienste)<br />
<strong>des</strong> Bodhisattva ergießen.<br />
Mögen alle Tiere frei sein von <strong>der</strong> Furcht,<br />
voneinan<strong>der</strong> gefressen zu werden;<br />
mögen die hungrigen Geister so glücklich sein<br />
wie die Menschen auf dem Kontinent <strong>des</strong> Nordens.<br />
Mögen die Blinden Gestalten erblicken,<br />
die Tauben Laute hören,<br />
<strong>und</strong> mögen die Schwangeren, ganz wie Mayadevi<br />
(Buddhas Mutter), schmerzlos gebären.<br />
Mögen die Nackten Kleidung finden<br />
<strong>und</strong> Brot die Hungrigen;<br />
mögen die Verlassenen wie<strong>der</strong> Hoffnung schöpfen,<br />
Glück <strong>und</strong> Wohlergehen ohne Ende.<br />
Mögen alle, die sich krank <strong>und</strong> elend fühlen,<br />
schnell von ihren Leiden erlöst werden,<br />
<strong>und</strong> möge keine Krankheit mehr auftreten<br />
in <strong>der</strong> Welt.<br />
Möge, wer vor Schrecken zittert,<br />
seine Furcht vergessen,<br />
<strong>und</strong> wer in Banden liegt, sich frei erheben;<br />
mögen die Ohnmächtigen erstarken<br />
<strong>und</strong> die Menschen darauf sinnen,<br />
einan<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong> zu werden.<br />
Mögen alle Reisenden ihr Glück machen<br />
auf all ihren Wegen<br />
<strong>und</strong> mühelos erreichen,<br />
wozu sie ausgezogen sind.<br />
Mögen alle, die zu Schiff<br />
o<strong>der</strong> mit dem Boot unterwegs sind,<br />
zum Ziel ihrer Wünsche gelangen<br />
<strong>und</strong> nach glücklicher Heimkehr<br />
ein frohes Wie<strong>der</strong>sehen mit den Ihren feiern.<br />
Mögen fehlgegangene Wan<strong>der</strong>er in ihrer Not<br />
Weggefährten finden<br />
<strong>und</strong> ohne Bangen vor Räubern <strong>und</strong> Tigern<br />
leichten Fußes dahinziehen.<br />
Mögen alle, die sich ohne Weg <strong>und</strong> Steg<br />
den Schrecken <strong>der</strong> Wildnis ausgesetzt sehen,<br />
Kin<strong>der</strong>, Greise <strong>und</strong> Schutzbedürftige,<br />
Berauschte <strong>und</strong> Wahnsinnige<br />
den gütigen Schutz <strong>der</strong> Himmelsgeister finden.<br />
239
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Mögen Schwangere schmerzlos gebären<br />
ganz wie <strong>des</strong> Weltalls Schatzhaus<br />
<strong>und</strong> ohne Streit <strong>und</strong> Schaden<br />
(die sich daraus ergeben können)<br />
daran ihre Freude haben, ganz nach Wunsch.<br />
Mögen alle Geschöpfe, die in einem Leibe weilen,<br />
unaufhörlich den Klang <strong>des</strong> Dharma hören,<br />
<strong>der</strong> Vögeln <strong>und</strong> Bäumen entströmt,<br />
Strahlen <strong>des</strong> Lichts <strong>und</strong> sogar das All.<br />
Mögen die Himmlischen<br />
Regen bringen zur rechten Zeit,<br />
damit die Ernten gesegnet sind.<br />
Mögen Könige nach dem Dharma handeln<br />
<strong>und</strong> die Völker <strong>der</strong> Erde immer blühen.<br />
Möge kein Lebewesen jemals leiden,<br />
Böses tun o<strong>der</strong> erkranken:<br />
möge niemand in Furcht geraten<br />
o<strong>der</strong> herablassend behandelt werden<br />
o<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>geschlagenen Herzens sein.<br />
Mögen die Wesen, die da sind,<br />
vor dem Elend <strong>der</strong> Unterwelt verschont bleiben<br />
<strong>und</strong> niemals Mühsal kosten;<br />
mögen sie in einer Gestalt,<br />
die <strong>der</strong> <strong>der</strong> Götter überlegen ist,<br />
schnell zum Buddha-Sein gelangen.<br />
Solange das Weltall Bestand hat<br />
<strong>und</strong> solange es noch Lebewesen gibt,<br />
so lange darf auch ich es auf mich nehmen,<br />
das Elend <strong>der</strong> Welt abzuwenden.<br />
Möge alles, was die Lebewesen schmerzt,<br />
(nur) auf mir sich voll entfalten,<br />
<strong>und</strong> möge alles, was da lebt,<br />
durch Bodhisattva Sanghas Macht<br />
Glückseligkeit verspüren.<br />
240<br />
<strong>Friedens</strong>gebet <strong>der</strong> Hindus<br />
I. Gebete aus den Upanischaden<br />
Möge Gott uns schützen, möge er uns ernähren.<br />
Mögen wir tatkräftig zusammenarbeiten.<br />
Möge unser Trachten zum Erfolg führen.<br />
Mögen wir einan<strong>der</strong> lieben <strong>und</strong> in Frieden leben.<br />
Friede, Friede, Friede mit allen.<br />
Seid einig; sprecht im Einklang; lasst uns zur gleichen<br />
Auffassung gelangen. Unsere Versammlung<br />
soll einmütig enden. Unsere Entschließung soll<br />
einmütig sein; unsere Beratungen sollen einträchtig<br />
sein. All unseren Mitgeschöpfen wollen wir mit<br />
<strong>der</strong>selben Einstellung begegnen. Unsere Herzen<br />
sollen eins sein. Vollkommen sei unsere<br />
Einmütigkeit für den Frieden.<br />
Friede, Friede, Friede mit allen.<br />
Mögen wir mit unseren Ohren hören,<br />
was Glück verheißt.<br />
Mögen wir mit unseren Augen sehen,<br />
was Glück verheißt.<br />
Mögen wir die Ehre Gottes singen <strong>und</strong> ein langes<br />
Leben in Ges<strong>und</strong>heit führen.<br />
Friede, Friede, Friede mit allen.<br />
O Gott,<br />
führe uns vom Unwirklichen zum Wirklichen.<br />
O Gott, führe uns aus <strong>der</strong> Finsternis zum Licht.<br />
O Gott, führe uns vom Tod zur Unsterblichkeit.<br />
Friede, Friede, Friede mit allen.<br />
II. Gebet um Frieden<br />
Friede soll herrschen im Himmel; Friede am<br />
Himmelszelt <strong>und</strong> auf Erden; Friede in den<br />
Wassern; Friede in den Kräutern <strong>und</strong> Pflanzen;<br />
Friede auf allen Göttern; Friede mit allen Wesen.
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
III. Antwortruf <strong>der</strong> Versammlung<br />
Friede, Friede, Friede mit allen.<br />
IV. Bekenntnis zum Frieden<br />
Wir bekennen uns dazu, in gemeinsamem<br />
Bemühen mit allen Religionen auf <strong>der</strong> Welt eine<br />
Ordnung <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> aufzurichten.<br />
Wir, die Vertreter <strong>der</strong> hier versammelten Religionsgemeinschaften,<br />
beten zu Gott um gegenseitige<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> unter den Menschen durch unser<br />
aller Einsatz <strong>und</strong> beten auch um Liebe <strong>und</strong> Frieden<br />
unter den Völkern.<br />
Vedische Hymnen<br />
Möge <strong>der</strong> allmächtige Gott, <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong> aller, für<br />
unseren Frieden sein. Möge <strong>der</strong> göttliche Richter<br />
unser <strong>Friedens</strong>bringer sein. Möge <strong>der</strong> höchste Lenker<br />
<strong>des</strong> Alls uns Frieden gewähren. Möge <strong>der</strong> Herr<br />
aller Macht <strong>und</strong> Fülle, <strong>der</strong> alles, was groß ist,<br />
besitzt, für unseren Frieden sein. Möge <strong>der</strong> allgegenwärtige<br />
Gott in seiner unergründlichen Macht<br />
uns den Frieden schenken.<br />
O Herr, allmächtiger Gott, lass Frieden herrschen in<br />
den himmlischen Sphären. Lass Frieden herrschen<br />
auf Erden. Lass die Wasser Ruhe bringen. Lass die<br />
Kräuter heilsam sein <strong>und</strong> Bäume <strong>und</strong> Pflanzen allen<br />
zum Frieden gereichen. Mögen alle nützlichen<br />
Wesen uns Frieden bringen. Möge dein vedisches<br />
Gesetz überall in <strong>der</strong> Welt Frieden stiften. Mögen<br />
alle Dinge für uns ein Quell <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> sein, <strong>und</strong><br />
lass deinen eigenen Frieden alle mit Frieden erfüllen,<br />
<strong>und</strong> möge dieser Friede auch zu mir gelangen.<br />
Islamisches <strong>Friedens</strong>gebet<br />
Das islamische Gebet ist ganz dem Koran, dem<br />
heiligen Buch <strong>des</strong> Islam, entnommen. Es beginnt<br />
mit <strong>der</strong> Fatiha, <strong>der</strong> Eröffnungssure <strong>des</strong> Koran,<br />
die alle anwesenden Muslime arabisch vorgetragen<br />
haben. Den zweiten Teil bilden Koran-Stellen,<br />
die ein Leser vorgetragen hat.<br />
Erster Teil: Die Fatiha<br />
Im Namen Allahs, <strong>des</strong> Allbarmherzigen!<br />
Lob <strong>und</strong> Preis sei Allah, dem Herrn aller Weltenbewohner,<br />
dem gnädigen Allerbarmer, <strong>der</strong> am Tage<br />
<strong>des</strong> Gerichtes herrscht.<br />
Dir allein wollen wir dienen, <strong>und</strong> zu dir allein<br />
flehen wir um Beistand.<br />
Führe uns den rechten Weg, den Weg <strong>der</strong>er,<br />
welche sich deiner Gnade freuen – <strong>und</strong> nicht<br />
den Pfad jener, über die du zürnst o<strong>der</strong> die in die<br />
Irre gehen!<br />
Zweiter Teil: Ausgewählte Koran-Verse<br />
Sagt: „Wir glauben an Allah <strong>und</strong> an das, was er uns<br />
offenbarte, <strong>und</strong> an das, was allen Propheten von<br />
ihrem Herrn gegeben wurde.<br />
Wir kennen unter diesen keinen Unterschied.<br />
Wir bleiben Allah ergeben“ (Sure II, 136).<br />
O ihr Menschen, fürchtet Allah, euren Schutzherrn,<br />
<strong>der</strong> euch aus einem einzigen Wesen geschaffen hat<br />
<strong>und</strong> aus diesem <strong>des</strong>sen Partnerin <strong>und</strong> aus beiden<br />
viele Männer <strong>und</strong> die Frauen werden ließ.<br />
Verehrt allein Allah, in <strong>des</strong>sen Namen ihr Bitten<br />
zueinan<strong>der</strong> sprecht, <strong>und</strong> seid ehrfürchtig dem<br />
Mutterschoß gegenüber, <strong>der</strong> euch gebar:<br />
Allah wacht über euch (Sure IV, 1).<br />
O Gläubige! Wenn ihr zum Kampfe für die<br />
Religion Allahs auszieht, seid behutsam <strong>und</strong> sagt<br />
nicht zu jedem, <strong>der</strong> euch mit „Friede“ begrüßt:<br />
„Du bist kein Gläubiger!“, um ihn <strong>der</strong> Güter dieses<br />
Lebens zu berauben; bei Allah ist mehr Beute. So<br />
tatet ihr ehedem; aber Allah war gnädig mit euch;<br />
darum unterscheidet gut, denn Allah weiß, was<br />
ihr tut (Sure IV, 95).<br />
241
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Sind sie (d. h. die Feinde) aber zum Frieden geneigt,<br />
so sei auch du dazu geneigt <strong>und</strong> vertraue nur auf<br />
Allah; denn er hört <strong>und</strong> weiß alles (Sure VIII, 62).<br />
Diener <strong>des</strong> Allbarmherzigen sind die, welche<br />
demütig auf <strong>der</strong> Erde wandeln <strong>und</strong>, wenn die<br />
Unwissenden zu ihnen sprechen, nur „Friede“<br />
antworten (Sure XXV, 64).<br />
O ihr Menschen, wir haben euch von einem Mann<br />
<strong>und</strong> einer Frau erschaffen <strong>und</strong> euch in Völker<br />
<strong>und</strong> Stämme eingeteilt, damit ihr liebevoll einan<strong>der</strong><br />
kennen mögt.<br />
Wahrlich, nur <strong>der</strong> von euch ist am meisten bei Allah<br />
geehrt, <strong>der</strong> am frömmsten unter euch ist;<br />
denn Allah weiß <strong>und</strong> kennt alles (Sure XLIX, 13).<br />
242<br />
<strong>Friedens</strong>gebet<br />
<strong>der</strong> afrikanischen Stammesreligionen<br />
Allmächtiger Gott,<br />
Du Großer Daumen, dem wir nicht ausweichen<br />
können, um etwas zu verknoten;<br />
Du Krachen<strong>der</strong> Donner, <strong>der</strong> mächtige Bäume<br />
zersplittern lässt;<br />
Du Allsehen<strong>der</strong> Herr in <strong>der</strong> Höhe, <strong>der</strong> sogar<br />
die Antilopenfährte auf dem Felsen hier unten auf<br />
<strong>der</strong> Erde sieht;<br />
Du bist es, <strong>der</strong> nicht zögert mit <strong>der</strong> Antwort auf<br />
unseren Ruf;<br />
Du bist <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>stein <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />
Wir alle rufen heute vor allem aus einem Gr<strong>und</strong> zu<br />
dir: Unsere Welt ist friedlos. Ringsum herrschen dauernd<br />
Kriege <strong>und</strong> Streit.Wir brauchen den Frieden.<br />
Das hat den Heiligen Vater bewogen, alle Weltreligionen<br />
zu einem gemeinsamen <strong>Friedens</strong>gebet einzuladen.<br />
Wir beten daher um den Weltfrieden.<br />
Lass Frieden herrschen im Vatikan.<br />
Gib Afrika den Frieden. Gib den einzelnen Menschen,<br />
ihren Helmen <strong>und</strong> Familien den Frieden, <strong>und</strong><br />
breite ihn aus bis in die fernsten Winkel <strong>der</strong> Welt.<br />
Wir beten um langes Leben, Weisheit, Frieden,<br />
Klugheit <strong>und</strong> Mut für Seine Heiligkeit,<br />
Papst Johannes Paul II., <strong>und</strong> seine Berater.<br />
Überhäufe sie mit Segen.<br />
Verflucht seien alle Bösen, die unser lobenswertes<br />
<strong>Friedens</strong>werk vereiteln wollen.<br />
Möge dein in je<strong>der</strong> Hinsicht reicher Segen auf<br />
alle herabkommen, die den Frieden för<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
erstreben.<br />
Schließlich beten wir auch in eigener Sache, wenn<br />
auch nur kurz, zu dir. Du hast uns beschützt <strong>und</strong><br />
heil hierhin gebracht; bring uns auch heil wie<strong>der</strong><br />
nach Hause.<br />
Lass alle bösen Vorfahren <strong>und</strong> Geister ihren Trank<br />
erhalten <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Flucht ins Ver<strong>der</strong>ben stürzen.<br />
Du aber <strong>und</strong> die guten Geister <strong>der</strong> Vorfahren, die<br />
wir herbeigerufen haben, empfangt unseren Trank,<br />
segnet uns reich <strong>und</strong> gebt uns den Frieden.
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
<strong>Friedens</strong>gebet <strong>der</strong> Juden<br />
Unser Gott im Himmel, <strong>der</strong> Herr <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />
wird Gnade <strong>und</strong> Barmherzigkeit über uns <strong>und</strong> allen<br />
Völkern <strong>der</strong> Erde walten lassen, die seine Barmherzigkeit<br />
<strong>und</strong> Gnade erflehen <strong>und</strong> um Frieden<br />
bitten <strong>und</strong> ihn suchen.<br />
Unser Gott im Himmel, gib uns die Kraft,<br />
zu handeln, zu wirken <strong>und</strong> zu leben, bis <strong>der</strong> Geist<br />
von oben sich über uns zeigt <strong>und</strong> die Wüste zum<br />
Weinberg wird <strong>und</strong> <strong>der</strong> Weinberg sich als Wald<br />
erweist.<br />
Die <strong>Gerechtigkeit</strong> wird in <strong>der</strong> Wüste eine Wohnstatt<br />
haben <strong>und</strong> die Nächstenliebe im Weinberg ihre<br />
Wohnung. Was die <strong>Gerechtigkeit</strong> tut, wird zum<br />
Frieden führen, <strong>und</strong> das Wirken <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
bringt Ruhe <strong>und</strong> Sicherheit auf ewig. Und mein<br />
Volk wird ringsum Frieden haben in sicheren Wohnstätten<br />
<strong>und</strong> Geborgenheit an seinen Lagerplätzen.<br />
Und <strong>des</strong>halb, Herr, unser Gott <strong>und</strong> Gott unserer<br />
Väter, lass für uns <strong>und</strong> für alle Welt in Erfüllung<br />
gehen, was du durch den Propheten Micha verheißen<br />
hast: „Am Ende <strong>der</strong> Tage wird es geschehen:<br />
Der Berg mit dem Haus <strong>des</strong> Herrn steht fest<br />
gegründet als höchster <strong>der</strong> Berge; er überragt alle<br />
Hügel. Zu ihm strömen die Völker. Viele Nationen<br />
machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir<br />
ziehen hinauf zum Berg <strong>des</strong> Herrn <strong>und</strong> zum Haus<br />
<strong>des</strong> Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege,<br />
auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion<br />
kommt die Weisung, aus Jerusalem kommt das<br />
Wort <strong>des</strong> Herrn. Er spricht Recht im Streit vieler<br />
Völker, er weist mächtige Nationen zurecht bis in<br />
die Ferne. Dann schmieden sie Pflugscharen aus<br />
ihren Schwertern <strong>und</strong> Winzermesser aus ihren<br />
Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert,<br />
Volk gegen Volk, <strong>und</strong> übt nicht mehr für den Krieg.<br />
je<strong>der</strong> sitzt unter seinem Weinstock <strong>und</strong> unter seinem<br />
Feigenbaum, <strong>und</strong> niemand schreckt ihn auf.<br />
ja, <strong>der</strong> M<strong>und</strong> <strong>des</strong> Herrn <strong>der</strong> Heere hat gesprochen“<br />
(4,1-4).<br />
O Herr im Himmel, gib <strong>der</strong> Erde den Frieden, gib<br />
<strong>der</strong> Welt Wohlergehen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ruhe eine bleibende<br />
Stätte in unseren Häusern.<br />
Und lasst uns sagen: Amen!<br />
Verschiedene Gebete<br />
Gebet einer vergewaltigten Frau<br />
Hava’s Bitte<br />
In jener Nacht im Lager,<br />
als mich sieben vergewaltigten,<br />
bat ich Dich, aus meinem Schoß den Samen<br />
dieser Hun<strong>des</strong>öhne auszuspeien.<br />
Warum hast Du mich nicht erhört, Herr?<br />
Ich habe Dir nichts getan.<br />
Ich bat Dich,<br />
mich wenigstens für einen Moment<br />
von den wachsamen Augen <strong>der</strong> Peiniger zu erlösen,<br />
damit ich meinen Schoß mit den Nägeln meiner<br />
Hände auskratzen könnte.<br />
Warum hast Du mich nicht erhört, Herr?<br />
Ich habe Dir nichts getan.<br />
Ich wandte mein Gesicht vom Wasser ab.<br />
Ich wandte mein Gesicht vom Brot ab,<br />
damit <strong>der</strong> Tod sich meiner Bitten erbarmen könnte.<br />
Wie soll <strong>der</strong> Tod sich meiner erbarmen,<br />
da doch alles in Deinen Händen liegt, Allmächtiger?<br />
Ich bat die, welche mich vergewaltigten,<br />
die welche meine Mutter abschlachteten,<br />
die welche mein Haus nie<strong>der</strong> brannten,<br />
ich flehte sie in deinem Namen an,<br />
sagte, dass ich ihnen alles vergeben will,<br />
wenn sie mich nur töten,<br />
wenn sie mich nur zerstückeln würden.<br />
Sie erhörten mich nicht,<br />
doch boten sie mir einen Apfel,<br />
Tag für Tag bemerkten sie,<br />
wie ihre Frucht sich entwickelte.<br />
An jenem Morgen,<br />
als das Kind sich zum ersten Mal in mir bewegte,<br />
bat ich Dich,<br />
dass mein Mann Alija niemals vom Schlachtfeld<br />
zurückkehren möge.<br />
Du hast mich nicht erhört, Herr.<br />
Du veranlasstest, mich zum Hospital zu begleiten,<br />
dass vier Ärzte mir Hände <strong>und</strong> Füße festbanden,<br />
damit ich das Kind nicht mit meinen Schenkeln<br />
erdrückte.<br />
243
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Mehr als die Sonne zu sehen, wünschte ich,<br />
dies Kind tot zu sehen,<br />
o<strong>der</strong> dass das Kind seine Mutter tot gesehen hätte.<br />
Warum hast Du mich nicht erhört,<br />
mein guter Herr?<br />
Denn ich habe Dir nichts getan,<br />
wie auch dies arme, unschuldige Kleine nicht.<br />
Gib mir Kraft, barmherziger Herr,<br />
dies Kind aufzuziehen,<br />
das niemand außer Dir behüten würde.<br />
Und gib dem Kind genügend Kraft,<br />
mit den Menschen <strong>und</strong> ihren Wahrheiten zu leben.<br />
Darum bittet Dich seine unglückliche Mutter.<br />
244<br />
Enes Kiˇsević<br />
Gebet zum heiligen Franziskus<br />
Heiliger Franziskus, du hast auf dem Berg Alverna<br />
die Stigmata empfangen.<br />
Die Welt hat Sehnsucht nach dir.<br />
Denn du bist wie eine lkone <strong>des</strong> Gekreuzigten.<br />
Sie braucht dein Herz,<br />
offen für Gott <strong>und</strong> den Menschen,<br />
deine w<strong>und</strong>en Füße,<br />
deine durchbohrten <strong>und</strong> flehenden Hände.<br />
Sie sehnt sich nach deiner schwachen Stimme,<br />
die zugleich stark war in <strong>der</strong> Kraft <strong>des</strong> Evangeliums.<br />
Franziskus, hilf den Menschen von heute,<br />
dass sie das Übel <strong>der</strong> Sünde erkennen<br />
<strong>und</strong> ihre innere Reinheit durch Umkehr erlangen.<br />
Hilf den Menschen, sich zu befreien<br />
aus den Strukturen <strong>des</strong> Bösen,<br />
die unsere Gesellschaft unterdrücken.<br />
Rufe das Gewissen <strong>der</strong> Regierenden dazu auf,<br />
Frieden unter den Nationen <strong>und</strong> unter den Völkern<br />
zu stiften.<br />
Übertrage auf die jungen Menschen<br />
die Kraft deines Lebens, eine Kraft,<br />
die sich von <strong>der</strong> Hinterlist<br />
<strong>der</strong> vielfältigen Kulturen <strong>des</strong> To<strong>des</strong> abhebt.<br />
Franziskus, zeige allen, die Böses verletzt hat,<br />
deine Freude <strong>des</strong> Vergebens.<br />
Allen, die von Leid, Hunger <strong>und</strong> Krieg<br />
gekreuzigt wurden,<br />
öffne erneut die Tore <strong>der</strong> Hoffnung.<br />
(Johannes Paul II., La Verna, Kapelle <strong>der</strong> Stigmata,<br />
17.09.1993)
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Gebet zu Unserer Frau von <strong>der</strong> Portiunkula<br />
Maria, Mutter unseres Bru<strong>der</strong>s <strong>und</strong> Herrn Jesus<br />
Christus, <strong>des</strong> Armen <strong>und</strong> Gekreuzigten, Mutter<br />
unserer Familie, Mutter <strong>der</strong> Armen, höre unsere<br />
vertrauensvolle Bitte, die wir heute an Dich richten.<br />
Es fehlt vielen Völkern unserer Welt an materiellem<br />
<strong>und</strong> geistigem Brot;<br />
In vielen Köpfen <strong>und</strong> Herzen fehlt das Brot<br />
<strong>der</strong> Wahrheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe; vielen Menschen fehlt<br />
das Brot <strong>des</strong> Wortes <strong>und</strong> das Brot <strong>des</strong> Herrn.<br />
Nimm aus dem Herzen so vieler Männer <strong>und</strong><br />
Frauen den Egoismus, denn er macht arm.<br />
Mach’, dass die Völker <strong>der</strong> ganzen Welt das wahre<br />
Licht aufzunehmen wissen<br />
<strong>und</strong> auf den Wegen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> gehen,<br />
in gegenseitiger Ehrfurcht <strong>und</strong> in einer Solidarität,<br />
die in <strong>der</strong> Menschlichkeit unseres Gottes verwurzelt<br />
liegt.<br />
Unsere Frau von <strong>der</strong> Portiunkula,<br />
mach' unsere Hoffnung hell <strong>und</strong> stark,<br />
läutere unsere Augen <strong>und</strong> Herzen,<br />
geh' mit uns die Wege einer neuen Evangelisierung<br />
auf eine neue gerechte Welt zu,<br />
in <strong>der</strong> Freiheit für alle sein wird.<br />
Amen.<br />
Br. Hermann Schalück ofm<br />
Gebet um den Heiligen Geist<br />
„Wir bitten Dich, Gott, um Deinen Geist heute. Er<br />
sei uns wie ein helles, leuchten<strong>des</strong> Feuer, das unsere<br />
Dunkelheit erhellt <strong>und</strong> unsere Liebe neu entfacht.<br />
Er sei uns wie ein kühlen<strong>der</strong> Hauch, <strong>der</strong> uns tröstet<br />
<strong>und</strong> in unserer kleingläubigen Sorge um unsere<br />
Zukunft besänftigt. Er sei uns wie eine kräftige Brise,<br />
in <strong>der</strong> wir mutig unsere Segel setzen <strong>und</strong> neuen<br />
Horizonten zusteuern. Er sei uns wie das Gewitter,<br />
das die Luft reinigt. Er sei uns wie das Wasser, das<br />
nach <strong>der</strong> Dürre neue Blüten sprossen lässt.<br />
Herr unseres Lebens <strong>und</strong> unserer Geschichte:<br />
Dein Geist zeige uns, dass unser alter Auftrag,<br />
den Du uns in Wahrheit gegeben hast, auch in diesen<br />
neuen Zeiten die Welt noch verwandeln kann."<br />
Br. Hermann Schalück ofm,<br />
Zeichen <strong>der</strong> Zeit – Spuren <strong>des</strong> Lebens,<br />
Brief <strong>des</strong> Generalministers zum Pfingstfest<br />
1993<br />
245
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Er war mitten auf <strong>der</strong> Straße<br />
Die Welt ist bis zu einem solchen Grade in Unordnung,<br />
dass viele Menschen gezwungen sind – um<br />
ihr tägliches Brot zu verdienen –, direkt o<strong>der</strong> indirekt<br />
an Arbeiten teilzunehmen, durch die Waffen<br />
geschmiedet werden, um an<strong>der</strong>e Menschen physisch<br />
o<strong>der</strong> moralisch umzubringen. Als Gefangene <strong>des</strong><br />
ökonomischen Systems im Zustand <strong>der</strong> Sünde sind<br />
manche zur Lüge <strong>und</strong> zum Diebstahl gezwungen.<br />
Es muss Menschen geben, die schwer leiden an dieser<br />
tragischen Situation. Mitverantwortlich für diese<br />
Welt, können sie sich aber nun nicht einfach verdrücken,<br />
ohne sich um die an<strong>der</strong>en zu kümmern.<br />
Sie müssen vielmehr die Sünde ihres Lebenskreises<br />
erkennen <strong>und</strong> sich ihrer anklagen. In gleicher Weise,<br />
wie es keine wahre Reue gibt, wenn man sein<br />
Leben nicht zu än<strong>der</strong>n sucht, gibt es auch kein wahres<br />
Leiden an <strong>der</strong> Umgebung, wenn man nicht<br />
bemüht ist, das unmenschliche Gefüge zu verwandeln.<br />
Das ist eine absolut verpflichtende Aufgabe,<br />
von <strong>der</strong> nichts den Christen befreien kann.<br />
246<br />
Ihr seid das Licht <strong>der</strong> Welt. Eine Stadt, die auf dem<br />
Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben.<br />
Auch zündet man ein Licht nicht an, um es unter den<br />
Scheffel zu stellen, son<strong>der</strong>n auf den Leuchter, damit es<br />
allen leuchte im Hause. So leuchte euer Licht vor den<br />
Menschen, damit sie eure guten Werke sehen <strong>und</strong> euren<br />
Vater im Himmel preisen (Matthäus 5,14-16)<br />
Er war mitten auf <strong>der</strong> Straße,<br />
Schwankend sang er aus allen Kräften mit seiner alteingerosteten<br />
Säuferstimme.<br />
Die Leute wandten sich um, blieben stehen, amüsierten<br />
sich.<br />
Da kam ganz leise von hinten ein Polizist;<br />
hat ihn grob an <strong>der</strong> Schulter gepackt <strong>und</strong> auf die<br />
Wachstube geführt.<br />
Er sang noch immer,<br />
Die Leute lachten.<br />
Ich habe nicht gelacht.<br />
Ich habe an die Frau gedacht, Herr, die heute abend<br />
vergeblich warten würde.<br />
Ich habe an alle an<strong>der</strong>en Säufer <strong>der</strong> Stadt gedacht,<br />
an die in den Wirtshäusern <strong>und</strong> in den Bars,<br />
an die in den Salons <strong>und</strong> auf den vornehmen Parties.<br />
Ich habe gedacht an ihre Heimkehr am Abend,<br />
an die verstörten Kin<strong>der</strong>,<br />
an die leere Geldtasche,<br />
an die Schreie,<br />
an die Schläge,<br />
an die Tränen,<br />
an die Kin<strong>der</strong>, die aus stinkenden Umarmungen<br />
geboren würden.<br />
Herr, jetzt hast Du Deine Nacht über die Stadt<br />
ausgebreitet,<br />
Und während sich die Tragödien verflechten<br />
<strong>und</strong> lösen,<br />
Schlafen die Menschen, die den Alkohol<br />
verteidigt haben,<br />
die ihn erzeugt haben,<br />
die ihn verkauft haben,<br />
In <strong>der</strong>selben Nacht in Frieden ein.<br />
Ich denke an sie alle, sie tun mir von Herzen leid;<br />
sie haben Elend erzeugt <strong>und</strong> verkauft,<br />
sie haben Sünde erzeugt <strong>und</strong> verkauft.
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Ich denke an alle an<strong>der</strong>en, die Menge <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en,<br />
die arbeiten,<br />
um zu zerstören, <strong>und</strong> nicht, um aufzubauen,<br />
um zu beschmutzen, <strong>und</strong> nicht, um zu adeln,<br />
um zu verdummen, <strong>und</strong> nicht, um zu entfalten,<br />
um zu erniedrigen, <strong>und</strong> nicht, um zu erhöhen.<br />
Herr, ich denke beson<strong>der</strong>s an die vielen Menschen,<br />
die für den Krieg arbeiten,<br />
die, um eine Familie ernähren zu können,<br />
arbeiten müssen<br />
für die Zerstörung an<strong>der</strong>er Familien,<br />
die, um zu leben, den Tod bereiten müssen.<br />
Ich bitte Dich nicht, sie alle von ihrer Arbeit wegzunehmen,<br />
das ist nicht möglich,<br />
Aber gib, Herr, dass sie sich Fragen stellen,<br />
dass sie nicht zu ruhig schlafen, dass sie kämpfen<br />
in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Unordnung, dass sie<br />
Sauerteig seien, dass sie Erlöser seien.<br />
Und <strong>der</strong>er willen, die verw<strong>und</strong>et sind an Seele <strong>und</strong><br />
Leib, <strong>der</strong> Opfer <strong>der</strong> Arbeit ihrer Brü<strong>der</strong>,<br />
Um all <strong>der</strong> Toten willen, denen Tausende von<br />
Menschen gewissenhaft den Tod bereitet haben,<br />
Um dieses Säufers willen, <strong>des</strong> grotesken Clown<br />
mitten auf <strong>der</strong> Straße,<br />
Um <strong>der</strong> Angst willen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schreie seiner Kin<strong>der</strong>,<br />
Um <strong>der</strong> Verdemütigung willen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tränen<br />
seiner Frau,<br />
Hab Erbarmen, Herr, mit mir, <strong>der</strong> ich all zu oft<br />
schläfrig bin,<br />
Hab Erbarmen mit den Unglücklichen, die völlig<br />
eingeschlafen <strong>und</strong> Spießgesellen einer Welt sind<br />
in <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> sich gegenseitig umbringen, um ihr<br />
tägliches Brot zu verdienen.<br />
Michel Quoist<br />
Ich glaube an den Frieden:<br />
Ich glaube an den Frieden:<br />
Nicht diktiert<br />
Son<strong>der</strong>n gewährt;<br />
Nicht aufgebürdet,<br />
son<strong>der</strong>n angeboten;<br />
Nicht befohlen,<br />
son<strong>der</strong>n zugesichert;<br />
Nicht eine äußerliche Verpflichtung<br />
son<strong>der</strong>n eine innere Entscheidung;<br />
Vollendet niemals<br />
aber aufgebaut ewig;<br />
Nicht vorgeschrieben,<br />
son<strong>der</strong>n verkündet;<br />
Ohne jährliche Erntezeit<br />
doch mit Früchten, in Hoffnung gesammelt.<br />
Ich glaube an den Frieden:<br />
Nicht durch Macht gewonnen<br />
aber im Gebet gesucht <strong>und</strong> gefeiert.<br />
Boˇze Vuleta, Kroatien<br />
247
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Gottesdienst<br />
Einführung<br />
Ich möchte beginnen mit <strong>der</strong> Aussage, dass die Brü<strong>der</strong><br />
immer beschäftigt, engagiert <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb knapp<br />
an Zeit sind. Das ist es, was GFBS-Arbeit oftmals<br />
schwer macht. Es gibt so viele an<strong>der</strong>e Kommissionen,<br />
Verantwortungen <strong>und</strong> For<strong>der</strong>ungen an ihre<br />
Zeit. Als GFBS-Beauftragte müssen wir realistisch<br />
<strong>und</strong> phantasiebegabt darin sein, Wege zu suchen,<br />
das Gewissen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>n für GFBS-Angelegenheiten<br />
zu schärfen, ihnen Möglichkeiten vorzustellen,<br />
sich zu beteiligen, <strong>und</strong> sie dazu zu ermutigen, Wege<br />
dazu zu finden, das durch das zu tun, was sie<br />
ohnehin schon tun.<br />
Anstatt immer alternative Aktivitäten zu organisieren,<br />
sollten wir Vorteil aus den Situationen <strong>und</strong><br />
Verpflichtungen ziehen, die die Brü<strong>der</strong> schon<br />
haben. Die Brü<strong>der</strong> beten immer o<strong>der</strong> sie sollten<br />
es zumin<strong>des</strong>t.<br />
Dies im Hinterkopf schlagen wir den GFBS-Kommissionen<br />
<strong>und</strong> Beauftragten vor, Gottesdienste<br />
zu entwerfen, die leicht gebraucht o<strong>der</strong> angepasst<br />
werden können an die beson<strong>der</strong>en Umstände<br />
unserer Fraternitäten.<br />
Das folgende Gebet kann benutzt werden in den<br />
sechs Wochen <strong>der</strong> Fastenzeit. Anstelle <strong>des</strong> Breviers<br />
kann diese Gebetsform als eine Alternative einmal<br />
in <strong>der</strong> Woche benutzt werden. Wenn die Brü<strong>der</strong><br />
sich damit nicht wohl fühlen, die Form <strong>des</strong> Gebetes<br />
zu än<strong>der</strong>n, können einige Ideen in das traditionelle<br />
Gebet <strong>der</strong> Lau<strong>des</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vesper integriert werden.<br />
Wir schlagen ein beson<strong>der</strong>s ökologisches Thema vor<br />
o<strong>der</strong> eines, welches den Brü<strong>der</strong>n hilft, ihre Wirklichkeit<br />
zu reflektieren: z.B.: Wasser, Gewalt, Abfall,<br />
Armut, Reichtum, Bildung, Straßenkin<strong>der</strong>, Prostitution,<br />
Landlose, Arbeitslose usw.<br />
Die Form <strong>des</strong> Gottesdienstes kann folgen<strong>der</strong>maßen<br />
sein:<br />
Thema: „Wasser“<br />
Einführung:<br />
Dies kann ausgeführt werden in einer einfachen<br />
<strong>und</strong> zwanglosen Weise, dadurch, welche Schwierigkeiten<br />
in einem Land o<strong>der</strong> einer Region bestehen.<br />
Z.B.: In El Salvador könnte es so hilfreich sein:<br />
Die Fastenzeit-Liturgie lädt uns dazu ein, über die<br />
Themen Wasser <strong>und</strong> Wüste nachzudenken.<br />
248<br />
Diese Themen machen Sinn in El Salvador, wo die<br />
Hälfte <strong>der</strong> Bevölkerung (45,2%) kein fließen<strong>des</strong><br />
Wasser hat. Diejenigen, die es haben, merken wie<br />
glücklich sie sind. Sogar die Wasserwerke geben eine<br />
ernsthafte Verseuchung zu. Die Flüsse, Seen <strong>und</strong><br />
Brunnen sind auch verseucht. Nur 5% <strong>der</strong> 360<br />
Flüsse von El Salvador haben saubere Wasserläufe.<br />
Die Brunnen <strong>der</strong> Hauptstadt San Salvador sinken<br />
je<strong>des</strong> Jahr um einen Meter.<br />
Nach Haiti ist El Salvador das am meisten entwaldete<br />
Land in Lateinamerika. Nur 12% <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />
sind bewaldet, <strong>und</strong> sind durch die wahllose Abholzung<br />
von Wäl<strong>der</strong>n, durch das Bauen von Handelszentren,<br />
Fabriken <strong>und</strong> Verpachten von Naturreservaten,<br />
wie dem El Crisfio’s, in <strong>der</strong> Gefahr zerstört zu<br />
werden. Man befürchtet, dass noch vor dem Jahre<br />
2010 El Salvador die Wüste in Mittelamerika haben<br />
könnte.<br />
Psalm 137 (136)<br />
Biblische Lesung Ez 36,24-27<br />
Fragen für die Reflexion<br />
■ Wer ist für die Verseuchung <strong>des</strong> Wassers<br />
verantwortlich?<br />
■ Sollten wir still halten?<br />
■ Was können wir tun, um in unserer Bru<strong>der</strong>schaft<br />
Wasser zu sparen?<br />
■ Wer ist verantwortlich für die Zerstörung<br />
<strong>des</strong> Wal<strong>des</strong>?<br />
■ Wie sorgen wir für die Pflanzen <strong>und</strong> Bäume<br />
auf unserem Eigentum?<br />
Fürbitten: Frei gestaltet<br />
Vater unser<br />
Schlussgebet<br />
Lied<br />
Wenn die Brü<strong>der</strong> es wünschen, das St<strong>und</strong>engebet<br />
<strong>der</strong> Form nach zu erhalten, können sie nach <strong>der</strong><br />
Lesung über das Thema nachdenken <strong>und</strong> die Fragen<br />
beantworten. Die Fürbitten können frei sein <strong>und</strong><br />
sich auf das Thema beziehen.
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Gebete <strong>und</strong> Texte<br />
Es war nicht möglich, alle Gebete <strong>der</strong> englischen<br />
Fassung zu übertragen.<br />
Die folgenden Gebete <strong>und</strong> Texte sind für die deutsche<br />
Fassung <strong>des</strong> Handbuches von <strong>der</strong> Koordination<br />
GFBS <strong>der</strong> MEFRA ausgewählt.<br />
Wenn Cbristus<br />
morgen an deine Türe klopfte …<br />
Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte,<br />
wür<strong>des</strong>t du ihn wohl erkennen?<br />
Wie einst wird er ein Armer sein, ein Verlassener.<br />
Wohl ein Arbeiter,<br />
vielleicht ein Erwerbsloser<br />
o<strong>der</strong> gar ein Streiken<strong>der</strong>, wenn <strong>der</strong> Streik berechtigt<br />
ist.<br />
O<strong>der</strong> er wird für eine Versicherung werben o<strong>der</strong><br />
Staubsauger verkaufen …<br />
Endlos wird er Treppen steigen, immer wie<strong>der</strong> auf<br />
den Stufen stehen bleiben <strong>und</strong> auf seinem traurigen<br />
Gesicht ein w<strong>und</strong>erbares Lächeln tragen …<br />
Aber deine Schwelle ist so düster …<br />
Auch sieht man das Lächeln <strong>der</strong> Menschen nicht,<br />
die man abweisen will.<br />
Noch eh’ er den M<strong>und</strong> auftut, sagst du:<br />
„Interessiert mich nicht …“<br />
O<strong>der</strong> das Mädchen spricht schon wie auswendig:<br />
„Die gnädige Frau hat ihre Armen.“<br />
Und schlägt die Türe zu<br />
vor dem Armen, welcher <strong>der</strong> Erlöser ist.<br />
Vielleicht ist es ein Flüchtling,<br />
einer unter den fünfzehn Millionen, mit einem Ausweis<br />
von <strong>der</strong> UNO; einer von denen, die niemand<br />
will, die herumirren <strong>und</strong> herumirren in einer zur<br />
Wüste gewordenen Welt;<br />
einer von denen, die zum Sterben verdammt sind,<br />
„weil man schließlich nicht weiß,<br />
wo solche Leute herkommen …“<br />
O<strong>der</strong> aber in Amerika,<br />
ein Schwarzer,<br />
ein Neger, wie sie sagen, müde vom Suchen<br />
nach einem Quartier in New York<br />
wie einst in Nazareth<br />
die Jungfrau Maria …<br />
Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte,<br />
wür<strong>des</strong>t du ihn wohl erkennen?<br />
Gedrückt steht er da,<br />
erschöpft <strong>und</strong> zerschlagen,<br />
denn er trägt alle Pein <strong>der</strong> Welt …<br />
Aber wer kann schon einen so müden Mann<br />
brauchen?<br />
Und wenn man ihn fragt: „Was kannst du?“<br />
so kann er nicht sagen: Alles.<br />
„Wo kommst du her?“<br />
er kann nicht sagen: Von alleweg.<br />
„Was willst du haben?“<br />
er kann nicht sagen: Dich.<br />
Dann wird er fortgehen,<br />
noch mehr erschöpft <strong>und</strong> zerschlagen,<br />
den Frieden in seinen bloßen Händen …<br />
Raoul Follereau<br />
249
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Der Arbeiter einer Waffenfabrik<br />
Ich beeinflusse nicht <strong>des</strong> Globus Schicksal,<br />
beginne keine Kriege.<br />
Ob ich mit Dir o<strong>der</strong> gegen Dich gehe –<br />
ich weiß es nicht.<br />
Ich sündige nicht.<br />
Es plagt mich ausgerechnet, dass ich<br />
nichts beeinflusse <strong>und</strong> nicht sündige,<br />
dass ich Muttern <strong>und</strong> Fragmente<br />
<strong>der</strong> Zerstörung drehe <strong>und</strong> koche,<br />
aber nicht das Ganze, nicht das menschliche<br />
Schicksal umfasse.<br />
Ich hätte ein an<strong>der</strong>es Ganzes, ein an<strong>der</strong>es Schicksal<br />
gemacht<br />
(aber wie geht das ohne Fragmente),<br />
in welches ich selbst, gleichzeitig,<br />
wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Mensch, in dieser Sache wäre,<br />
solide <strong>und</strong> heilig, in welcher niemand seine Taten<br />
herausstreicht<br />
<strong>und</strong> nicht verlogen ist in <strong>der</strong> Sprache.<br />
Die Welt, die ich bilde, ist nicht gut –<br />
aber nicht ich mache eine böse Welt !<br />
Reicht das ?<br />
250<br />
Karol Woytila (Johannes Paul II.)<br />
Die zweifel <strong>des</strong> lehrers<br />
In <strong>der</strong> phase <strong>der</strong> entmutigung<br />
gehen die klassenkämpfe zurück<br />
die ängste <strong>der</strong> menschen wachsen<br />
einige frieden werden vermittelt<br />
die völker sind nicht gefragt<br />
welche art frieden sie wollen<br />
die hoffnungen <strong>der</strong> opfer<br />
wan<strong>der</strong>n ab ins okkulte<br />
In <strong>der</strong> phase <strong>der</strong> entmutigung wächst<br />
meine sicherheit<br />
immer unzerstörbarer<br />
komme ich mir vor<br />
dass <strong>der</strong> arme jesus die wahrheit bedeutet<br />
den weg<br />
ist mir zur zeit<br />
kaum einen zweifel wert<br />
In <strong>der</strong> zeit <strong>der</strong> ängste<br />
singe ich wie<strong>der</strong><br />
in <strong>der</strong> zeit <strong>des</strong> unfriedens<br />
wächst mein frieden<br />
Aber wozu<br />
wenn er nicht teilbar ist<br />
wenn er nicht sichtbar wird<br />
wenn man ihn nicht mit an<strong>der</strong>en essen kann<br />
wenn die Opfer nichts von ihm haben<br />
was soll dieser reichtum<br />
Wenn man ihn nicht lehren kann<br />
Ist es dann frieden?<br />
dorothee sölle
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Heiliger franziskus<br />
Heiliger franziskus bitt für uns<br />
jetzt <strong>und</strong> in <strong>der</strong> phase <strong>der</strong> entmutigung<br />
dein bru<strong>der</strong> wasser ist vergiftet<br />
dein bru<strong>der</strong> feuer kennen die kin<strong>der</strong> nicht mehr<br />
es meiden uns die vögel<br />
Über dich lächeln sie<br />
päpste <strong>und</strong> zaren<br />
<strong>und</strong> die Amerikaner kaufen ganz assisi<br />
samt dir<br />
heiliger franziskus wozu warst du da<br />
In den steinernen vorstädten<br />
sah ich dich herumlaufen<br />
ein h<strong>und</strong> <strong>der</strong> im abfall wühlt<br />
selbst den kin<strong>der</strong>n ist ein plastikauto lieber<br />
als du<br />
Heiliger franziskus<br />
was hast du geän<strong>der</strong>t<br />
wem hast du genützt<br />
Heiliger franziskus bitt für uns<br />
jetzt <strong>und</strong> wenn uns das wasser ausgeht<br />
jetzt <strong>und</strong> wenn uns die luft ausgeht<br />
dorothee sölle<br />
Argumente für die Überwindung<br />
<strong>der</strong> ohnmacht<br />
Wir haben den längeren atem<br />
wir brauchen die bessere zukunft<br />
zu uns gehören leute mit schlimmeren schmerzen<br />
die opfer <strong>des</strong> kapitals<br />
bei uns hat schon mal einer brot verteilt<br />
das reichte für alle<br />
Wir haben den längeren atem<br />
wir bauen die menschliche stadt<br />
mit uns sind verbündet die rechtlosen<br />
in den anstalten<br />
<strong>und</strong> die landlosen in den städten<br />
zu uns gehören die toten <strong>des</strong> zweiten weltkriegs<br />
die endlich zu essen haben wollen gerechtigkeit<br />
bei uns ist schon mal einer aufgestanden<br />
von den toten<br />
dorothee sölle<br />
251
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Unterwegs zu Dir<br />
Aus den Dörfern <strong>und</strong> Städten<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Aus den Tälern <strong>und</strong> Bergen<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Mit den leidenden Brü<strong>der</strong>n<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Mit den lachenden Kin<strong>der</strong>n<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Als Bauleute <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Als Boten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Als Zeugen deiner Liebe<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Als Glie<strong>der</strong> deiner Kirche<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Wenn wir das Brot teilen,<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Wenn wir die Schwachen stützen,<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Wenn wir für die Verfolger beten,<br />
sind wir unterwegs zu dir.<br />
Wenn wir Gottesdienst feiern,<br />
bist du bei deinem Volk.<br />
252<br />
Aus Lateinamerika<br />
Ich werde nicht glauben<br />
an das Recht <strong>des</strong> Stärkeren,<br />
an die Sprache <strong>der</strong> Waffen,<br />
an die Macht <strong>der</strong> Mächtigen.<br />
Aber ich will glauben<br />
an das Recht <strong>der</strong> Menschen,<br />
an die offene Hand,<br />
an die Macht <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit.<br />
Ich werde nicht glauben,<br />
dass ich nichts zu tun habe<br />
mit dem, was woan<strong>der</strong>s geschieht.<br />
Aber ich will glauben,<br />
dass die ganze Welt mein Haus ist<br />
<strong>und</strong> das Feld, das ich bestelle,<br />
dass alle ernten, was alle gesät haben.<br />
Ich werde nicht glauben,<br />
dass ich Unterdrückung dort bekämpfen kann,<br />
wenn ich Unrecht hier bestehen lasse.<br />
Aber ich will glauben,<br />
dass das Recht ungeteilt ist hier <strong>und</strong> dort,<br />
dass ich nicht frei bin,<br />
solange noch ein einziger Mensch Sklave ist.<br />
Ich werde nicht glauben,<br />
dass Krieg <strong>und</strong> Hunger unvermeidlich sind<br />
<strong>und</strong> die Ferne unerreichbar.<br />
Aber ich will glauben an die kleine Tat,<br />
an die scheinbar machtlose Liebe,<br />
an den Frieden auf Erden.<br />
Ich werde nicht glauben,<br />
dass alle Mühe umsonst ist,<br />
dass <strong>der</strong> Traum <strong>der</strong> Menschheit ein Traum bleibt,<br />
dass <strong>der</strong> Tod das Ende sein wird.<br />
Aber ich wage zu glauben,<br />
immer <strong>und</strong> trotz allem,<br />
an den neuen Menschen.<br />
Ich wage zu glauben an Gottes eigenen Traum,<br />
an eine neue Erde, auf <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> herrscht,<br />
unter einem neuen Himmel.<br />
Glaubensbekenntnis aus Südamerika
■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />
Gott, Du bist ein Gott <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> Du willst,<br />
dass wir Menschen in Deiner Schöpfung das Leben<br />
in Fülle haben<br />
Wir kommen voller Ängste zu Dir,<br />
ratlos <strong>und</strong> ohnmächtig angesichts <strong>der</strong> Gewalt um<br />
uns <strong>und</strong> in uns.<br />
Wandle uns in <strong>der</strong> Tiefe unseres Herzens<br />
zu Menschen,<br />
durch die Dein Friede in unsere Welt getragen wird!<br />
Segne mit Deinem Geist<br />
<strong>der</strong> schöpferischen Phantasie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Geduld<br />
alle Menschen, die mit uns auf dem Weg sind zu<br />
Deinem Reich <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />
Sende Deinen Geist auch in die Herzen <strong>der</strong>er,<br />
die gefangen sind im Netz <strong>der</strong> Gewalt<br />
– als Täter o<strong>der</strong> Opfer –<br />
<strong>und</strong> lass uns nie die Suche aufgeben nach dem<br />
Gespräch mit ihnen.<br />
Der Du uns Vater <strong>und</strong> Mutter bist<br />
<strong>und</strong> uns in unserem Bru<strong>der</strong> Jesus Christus vorgelebt<br />
hast,<br />
wie wir Gewalt überwinden<br />
<strong>und</strong> Frieden schaffen können.<br />
Amen<br />
Gebet vom „<strong>Friedens</strong>kapitel <strong>der</strong> Ordensleute“<br />
Pfingsten 1986,<br />
Raketenstationierungsort Hasselbach<br />
Quellenangaben<br />
Die deutsche Übersetzung <strong>der</strong> Gebete <strong>der</strong><br />
Weltreligionen wurde von P. Dr. Radbert Kohlhaas OSB<br />
erstellt <strong>und</strong> ist entnommen dem Buch:<br />
„Die <strong>Friedens</strong>gebete von Assisi“,<br />
Verlag Her<strong>der</strong>, Freiburg 1987<br />
Raoul Follereau,<br />
Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte, in:<br />
„Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte“,<br />
übersetzt von Lieselotte Härtl, Verlag Her<strong>der</strong>,<br />
Freiburg i. Brsg, 9. Auflage 1964<br />
Michel Quoist,<br />
„Er war mitten auf <strong>der</strong> Straße“ in<br />
„Herr da bin ich – Gebete“,<br />
Styria-Verlag, Graz, 25. Auflage 1962<br />
Karol Woytila (Johannes Paul II.):<br />
„Der Arbeiter einer Waffenfabrik“,<br />
in „Päpstliche Gedichte“, aus dem Polnischen<br />
übersetzt von Marian Ignacy Danowski,<br />
Danowski-Press, Zürich 1998<br />
Dorothee Sölle:<br />
– Die zweifel <strong>des</strong> lehrers<br />
– Argumente für die überwindung <strong>der</strong> ohnmacht<br />
– Heiliger franziskus<br />
Aus: „die revolutionäre geduld – gedichte“<br />
Wolfgang Fietkau Verlag – Berlin, 1974<br />
253
Koordination<br />
„<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />
<strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen<br />
(MEFRA)<br />
Web: www.franciscans.de<br />
e-mail: Koordination@franciscans.de<br />
Koordinatoren<br />
Br. Markus Heinze ofm<br />
Fraternität <strong>der</strong> Franziskaner<br />
Sigm<strong>und</strong>-Freud-Strasse 111<br />
60435 Frankfurt<br />
Tel. 069/545297<br />
e-mail: Markus.Heinze@t-online.de<br />
Br. Jürgen Neitzert ofm<br />
Gemeinschaft <strong>der</strong> Franziskaner<br />
Burgstrasse 61<br />
51103 Köln<br />
Tel. 0221-873113<br />
Fax 0221-8700464<br />
e-mail: juergen.neitzert@franziskaner.de<br />
Zu Beginn <strong>der</strong> 80er Jahre haben die deutschsprachigen<br />
Franziskanerprovinzen die Koordination<br />
<strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaften „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />
Frieden“ <strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen<br />
(MEFRA) gegründet.<br />
Schwerpunkte <strong>des</strong> Engagements sind die<br />
Koordinierung <strong>und</strong> Animierung <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaften<br />
„<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />
<strong>der</strong> Franziskaner (<strong>OFM</strong>) in Mitteleuropa, die<br />
Zusammenarbeit für Menschenrechte mit den<br />
Koordinationen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
<strong>der</strong> Franziskaner in Bosnien, Kroatien <strong>und</strong><br />
Kolumbien, <strong>der</strong> interreligiöse Dialog <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Einsatz für Flüchtlinge sowie die Mitarbeit mit<br />
verschiedenen Organisationen, Kampagnen<br />
<strong>und</strong> Initiativen wie etwa:<br />
■ „Franciscans International“ Deutschland<br />
(www.franintl.dland.de) <strong>und</strong> dem Büro<br />
für Menschenrechte von „Franciscans<br />
International“ <strong>und</strong> den Dominikanern bei<br />
<strong>der</strong> Menschenrechtskommission <strong>der</strong> UNO<br />
in Genf (www.fiop.org)<br />
254<br />
■ dem Netzwerk „<strong>Friedens</strong>kooperative“, dem<br />
Koordinationsbüro <strong>der</strong> deutschen <strong>Friedens</strong>bewegung<br />
(www.friedenskooperative.de)<br />
■ <strong>der</strong> christlichen „Kampagne gegen<br />
Rüstungsexport“, Wiesbaden,<br />
(AntiRexpo@t-online.de)<br />
■ <strong>der</strong> Initiative „Ordensleute für den Frieden“<br />
(www.freenet.de\IOF)<br />
■ <strong>der</strong> von vielen Hilfswerken <strong>und</strong> Organisationen<br />
getragenen Deutschen<br />
„Menschenrechtskoordination Kolumbien“<br />
(kolko@t-online.de)<br />
■ dem von uns mitgetragenen<br />
„Internationalen Verein für Frieden <strong>und</strong><br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> – Pro Humanitate e.V. Köln“,<br />
<strong>der</strong> Humanitäre Hilfe im Kurdengebiet <strong>der</strong><br />
Türkei organisiert, <strong>und</strong> dem „Dialogkreis“,<br />
das sich für Frieden <strong>und</strong> Dialog in <strong>der</strong><br />
Türkei <strong>und</strong> in Deutschland einsetzt.<br />
(www.pro-humanitate-koeln.de <strong>und</strong><br />
dialogkreis@t-online.de)<br />
■ dem Ökumenischen Schalomdiakonat,<br />
das <strong>Friedens</strong>arbeiter ausbildet<br />
(schalomdiakonat@t-online.de)
Franciscans International<br />
Eine Nichtregierungsorganisation<br />
bei den Vereinten Nationen<br />
Büro New York: www.franintl.org<br />
Büro Genf: www.fiop.org<br />
Franciscans International Deutschland<br />
c/o INFAG-Zentrum<br />
Haugerring 9<br />
97070 Würzburg<br />
Tel. 0931/ 3 52 84 51<br />
Fax: 0931/ 3 52 84 52<br />
Web: www.franintl.dland.de<br />
Koordinatorenteam für Deutschland:<br />
Gisela Fleckenstein OFS<br />
Markus Heinze <strong>OFM</strong><br />
Jürgen Neitzert <strong>OFM</strong><br />
Zielsetzungen <strong>der</strong> Franziskaner<br />
bei den Vereinten Nationen<br />
Wir Franziskaner, Männer <strong>und</strong> Frauen, die wir<br />
dem heiligen Franziskus von Assisi nachfolgen, sind<br />
überzeugt, dass die ganze Schöpfung, vom kleinsten<br />
Organismus bis zum Menschen in gegenseitiger<br />
Abhängigkeit auf dem Planeten Erde lebt.<br />
Wir wissen, dass diese Beziehung bedroht ist durch<br />
ein mangeln<strong>des</strong> Bewusstsein dieser gegenseitigen<br />
Abhängigkeit, durch Ausbeutung <strong>und</strong> Herrschaft.<br />
Wir verpflichten uns, die Beziehungen gegenseitiger<br />
Abhängigkeit wie<strong>der</strong> zu entdecken <strong>und</strong> zu<br />
pflegen, damit die ganze Schöpfung in Harmonie<br />
leben kann.<br />
Wir wollen dazu beitragen durch den Dienst an<br />
unseren eigenen Mitglie<strong>der</strong>n, an den Menschen <strong>der</strong><br />
Vereinten Nationen sowie an allen, die sich dafür<br />
interessieren.<br />
Bei diesem Bemühen wollen wir die Zusammenarbeit<br />
suchen mit den Verantwortlichen <strong>der</strong><br />
Vereinten Nationen <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en Nichtregierungsorganisationen.<br />
Unser Bemühen soll franziskanische Werte wi<strong>der</strong>spiegeln<br />
bezüglich<br />
<strong>der</strong> Sorge für die Armen,<br />
<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>tiftens<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />
Dies sind auch die Werte, die von den Vereinten<br />
Nationen in ihrer Charta <strong>und</strong> in ihrer Erklärung <strong>der</strong><br />
Menschenrechte zum Ausdruck gebracht werden.<br />
Die Entwicklung<br />
von Franciscans International<br />
1982 Ein Franziskaner in Malta <strong>und</strong> eine Franziskanerin<br />
aus den USA träumten von einer Präsenz<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Familie bei den Vereinten<br />
Nationen. In den folgenden Jahren greift ein Vorbereitungskomitee<br />
diese Idee auf. Die Zielsetzungen<br />
werden formuliert.<br />
1989 Im Februar erhalten die Franziskaner <strong>und</strong><br />
Franziskanerinnen den Status einer Nichtregierungsorganisation<br />
(NGO) bei <strong>der</strong> Abteilung für<br />
öffentliche Information bei <strong>der</strong> UN in New<br />
York. Ein Internationales Büro in New York<br />
wird eingerichtet.<br />
1990 Die sechs Generalminister <strong>und</strong> -ministerinnen<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Orden erklären sich mit<br />
den Zielsetzungen einverstanden.<br />
1993 Im Mai erhält FI den sog. Roster Status<br />
(Kategorie III) beim Sozial- <strong>und</strong> Wirtschaftsrat<br />
<strong>der</strong> Vereinten Nationen in Verbindung mit<br />
<strong>der</strong> Kommission für nachhaltige Entwicklung<br />
zuerkannt. Das Projekt wird in Europa<br />
vorgestellt <strong>und</strong> es bildet sich ein Europäisches<br />
Exekutivkomitee.<br />
1994 Einrichtung eines deutschen Büros von FI<br />
bei <strong>der</strong> Interfranziskanische Arbeitsgemeinschaft<br />
(INFAG), einem Zusammenschluss<br />
deutschsprachiger franziskanischer Gemeinschaften<br />
mit einem Zentrum in Würzburg.<br />
1995 Am 14. Juni erhält FI den Konsultativstatus<br />
(Kategorie I) beim Sozial- <strong>und</strong> Wirtschaftsrat<br />
<strong>der</strong> UN.<br />
1996 Erstmals nimmt eine Delegation von FI an<br />
<strong>der</strong> jährlichen Tagung <strong>der</strong> Menschrechtskommission<br />
in Genf teil.<br />
255
■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />
1997 Im Februar wird – zusammen mit den<br />
Dominikanern – in Genf ein Internationales<br />
Büro (FI/OP Geneva Office) eingerichtet, welches<br />
sich aktiv in <strong>der</strong> Menschenrechtsarbeit<br />
engagiert. Das Büro wird aus Beiträgen <strong>und</strong><br />
Spenden finanziert.<br />
1999 Die Mitglie<strong>der</strong>versammlung von FI Deutschland<br />
wählt in Bamberg ein Koordinatorenteam<br />
für FI-Deutschland.<br />
INFAG-<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />
Die bestehenden Arbeitsgruppen für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />
Frieden <strong>und</strong> Ehrfurcht vor <strong>der</strong> Schöpfung identifizieren<br />
sich mit <strong>der</strong> Arbeit von FI.<br />
Mitglied werden bei Franciscans International Deutschland<br />
Da die Arbeit von FI weltweit von den franziskanischen<br />
Gemeinschaften getragen wird,<br />
sind alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> franziskanischen Familie<br />
Teil von FI. Doch wer sich regelmäßig über<br />
FI informieren o<strong>der</strong> bei FI engagieren will, sollte<br />
seine Mitgliedschaft erklären.<br />
Für Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Familie ist die Mitgliedschaft eine<br />
persönliche Entscheidung. Mitglied werden<br />
kann je<strong>der</strong>/jede, <strong>der</strong>/die sich mit <strong>der</strong> Zielsetzung<br />
von FI einverstanden erklärt <strong>und</strong> bereit<br />
ist, die Anliegen von FI sowohl spirituell als<br />
auch finanziell mitzutragen. Für eine Einzelmitgliedschaft<br />
gilt jährlich ein Min<strong>des</strong>tbeitrag<br />
von 25,– DM; für Gruppen o<strong>der</strong><br />
256<br />
Warum engagieren sich Franziskanerinnen<br />
<strong>und</strong> Franziskaner bei den Vereinten Nationen?<br />
Sie haben in den Gremien <strong>der</strong> Vereinten Nationen ein<br />
Forum, in dem sie den Armen <strong>und</strong> Entrechteten eine<br />
Stimme verleihen können.<br />
Sie können in Fragen von weltweiter Bedeutung mit<br />
an<strong>der</strong>en Nichtregierungsorganisationen wirkungsvoll<br />
zusammenarbeiten<br />
Sie haben die Möglichkeit, den friedenstiftenden Geist<br />
von Franziskus <strong>und</strong> Klara von Assisi bekannt <strong>und</strong><br />
erfahrbar zu machen.<br />
Sie haben eine Anlaufstelle, um Informationen aus<br />
erster Hand zu erhalten <strong>und</strong> auf alle Ebenen weiterzuleiten.<br />
Gemeinschaften ein Min<strong>des</strong>tbetrag von<br />
100,– DM. Nähere Informationen zur Mitgliedschaft<br />
bei Franciscans International Deutschland:<br />
INFAG-Zentrum<br />
Franciscans International<br />
Haugerring 9<br />
97070 Würzburg<br />
Fax 0931/ 3 52 84 52<br />
Überweisung von Beiträgen<br />
<strong>und</strong> Spenden auf:<br />
Konto-Nr. 103 009 890,<br />
LIGA-Bank Würzburg BLZ 750 903 00