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Werkzeuge des Friedens und der Gerechtigkeit - OFM

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<strong>Werkzeuge</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

Ein Handbuch für<br />

die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />

<strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen (Hrsg.)


Impressum<br />

Herausgeber<br />

Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />

<strong>der</strong> Mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen<br />

Gestaltung: kippconcept, Bonn<br />

Druck: Leppelt, Bonn<br />

Bestelladresse<br />

Bru<strong>der</strong> Jürgen Neitzert ofm<br />

Gemeinschaft <strong>der</strong> Franziskaner<br />

Burgstraße 61<br />

D-51103 Köln<br />

email: Koordination@franciscans.de<br />

Inhalt gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.


■ Inhalt<br />

Ein Wort zu Beginn … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

Die Entstehung <strong>des</strong> Handbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

Die franziskanische Sicht <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

GFBS in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />

Kontemplation, unsere Arbeit für GFBS <strong>und</strong> die Vereinigung mit Gott . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

Themen von beson<strong>der</strong>em Interesse<br />

Option für die Armen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

Frieden stiften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83<br />

Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />

Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />

Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />

Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />

Anregungen für die Praxis<br />

Die Bewegung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Kontext<br />

<strong>der</strong> nachkonziliaren Entwicklung <strong>des</strong> Ordens: Kapitel <strong>und</strong> Ordensräte . . . . . . . . . . . . . . 147<br />

Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden . . . . . . 153<br />

Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161<br />

Soziale Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

im Kontext einzelner Apostolate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171<br />

Anhang<br />

Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

in den Generalkapiteln <strong>und</strong> Ordensräten zwischen 1971–1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197<br />

Biblische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213<br />

Franziskanische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215<br />

Kirchliche Soziallehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217<br />

Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung in den Generalkonstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221<br />

Eine Textauswahl zu GFBS in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225<br />

Charakteristika <strong>der</strong> franziskanischen Arbeit für GFBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229<br />

Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233<br />

Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239<br />

Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ (MEFRA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254<br />

3


Wir möchten den folgenden Brü<strong>der</strong>n, Ordensleuten <strong>und</strong> Laien danken, die bei<br />

<strong>der</strong> Vorbereitung dieses Handbuches mitgeholfen haben. Beson<strong>der</strong>s möchten wir John Quigley <strong>OFM</strong><br />

<strong>und</strong> Vicente Felipe <strong>OFM</strong> danken, die dieses Projekt begonnen <strong>und</strong> fertiggestellt haben.<br />

Louis B. Antl (U.S.A.), Jose Arregui (Spanien), Yusuf Bagh (Pakistan), Claudio Baratto (Jerusalem),<br />

Pierre Beguin (Frankreich), Gilles Bourdeau (Kanada), Louis Brennan (Irland), Margaret Carney (U.S.A.),<br />

Rodrigo de Castro Amédée Péret (Brasilien), Roberto Cranchi (Italien), Vicente Felipe (Spanien),<br />

Rose Fernando (Sri Lanka), Fernando Figueredo (Kolumbien), Charles Finnegan (U.S.A.), Carmelo Galdos<br />

(Bolivien), Javier Garrido (Spanien), Oswald Gill (Irland), Philippa Hitchen (England), Ken Himes (U.S.A.),<br />

Pat Hudson (Irland), Thaddeus Jones (Italien), Eloi Leclerc (Frankreich), Bernardino Leers (Brasilien),<br />

Julie Lonneman (U.S.A.), Pat McCloskey (U.S.A.), Hugh McKenna (Irland), Francis Mathews (U.S.A.),<br />

David Moczulski (U.S.A.), Joe Nangle (U.S.A.), Dan Neylon (Australien), Gearóid Francisco O’Conaire<br />

(Mittelamerika), François Pacquette (Kanada), Daniela Persia (Italien), John Quigley (Kanada), Prasad Reddy<br />

(Indien), Alain Richard (Frankreich), Joseph G. Rozansky (U.S.A.), Hermann Schalück (Deutschland),<br />

Ruben Tierrablanca (Mexiko), Job Toda (Japan), Fernando Uribe (Kolumbien), Angel Valdez (Mexiko),<br />

Theo van den Broek (Indonesien), Ambrose Van Si (Vietnam), Robert Vitillo (U.S.A.), Boze Vuleta (Kroatien),<br />

Justus Wirth (U.S.A.), <strong>und</strong> Philippe Yates (Grossbritannien).<br />

Die Koordination „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ <strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen dankt<br />

für ihren Einsatz ganz herzlich folgenden Fre<strong>und</strong>en unserer Arbeit, ohne <strong>der</strong>en Mithilfe diese Veröffentlichung<br />

nicht möglich gewesen wäre.<br />

Georg Scheuermann <strong>und</strong> Schwester Catharine Lüthi<br />

für die deutsche Übersetzung<br />

Luise Schatz, kippconcept GmbH Bonn,<br />

für die graphische Gestaltung <strong>und</strong> Umsetzung dieses Buches<br />

Uwe Esperester, Hötzel RFS <strong>und</strong> Partner, Stadtlohn<br />

für die Gestaltung <strong>des</strong> Umschlages <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kapiteldeckblätter<br />

Die Grafiken erstellte Julie Lonneman, Cincinatti (USA)


Ein Wort zu Beginn …<br />

„ ... Die Brü<strong>der</strong> aber, die hinausziehen,<br />

können in zweifacher Weise unter ihnen geistlich wandeln.<br />

Eine Art besteht darin, dass sie we<strong>der</strong> Zank noch Streit beginnen,<br />

son<strong>der</strong>n ‚um Gottes Willen je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur‘ (1 Petr 2,13)<br />

untertan sind <strong>und</strong> bekennen, dass sie Christen sind.<br />

Die an<strong>der</strong>e Art ist die, dass sie, wenn sie sehen,<br />

dass es dem Herrn gefällt, das Wort Gottes verkünden ...“<br />

(NbReg 16,5-7)<br />

Es ist gr<strong>und</strong>legend für unser Leben als Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> „im Geist <strong>des</strong> Gebetes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hingabe<br />

<strong>und</strong> in brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft ein von <strong>der</strong> Wurzel her evangelisches Leben zu führen,<br />

Buße <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>sein zu bezeugen, in <strong>der</strong> Liebe zu allen Menschen die Botschaft <strong>des</strong> Evangeliums<br />

in die ganze Welt zu tragen <strong>und</strong> durch ihr Tun von Versöhnung, Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

zu künden“ (Generalkonstitutionen 1, 2).<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage unseres Lebens in brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft gründet in <strong>der</strong> Verkündigung unseres<br />

Herrn Jesus Christus. Wir haben die Sendung, Christus durch unser Leben einer Welt bekannt<br />

zu machen, die weiterhin durch Gewalt, Krieg, Ausgrenzung <strong>und</strong> Zerstörung <strong>der</strong> Umwelt gekennzeichnet<br />

ist. Unser Grün<strong>der</strong>, <strong>der</strong> hl. Franziskus, <strong>der</strong> „Heilige <strong>der</strong> Inkarnation“ gab seinen Brü<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> seinen Zeitgenossen ein Beispiel ohnegleichen, wie ein Bote <strong>des</strong> Evangeliums in Wort <strong>und</strong> Tat<br />

sein sollte, durch seinen Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Harmonie mit <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

Wir können keine Boten <strong>des</strong> Evangeliums sein, wenn wir nicht für Bekehrung offen sind <strong>und</strong><br />

versöhnt mit uns selbst, mit unseren Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> ganzen Schöpfung, die unserer Sorge<br />

anvertraut ist (vgl. Gen 2,15), leben. Ebenso müssen wir mit Gott durch Christus, unseren<br />

Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> Herrn, versöhnt sein.<br />

„Geistlich unter ihnen wandeln“, „Zank o<strong>der</strong> Streit vermeiden“, „je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur<br />

untertan sein“ <strong>und</strong> bekennen, dass Jesus <strong>der</strong> Christus ist, bedeutet, mit an<strong>der</strong>en Worten ausgedrückt,<br />

Boten <strong>und</strong> För<strong>der</strong>er <strong>des</strong> Lebens zu sein, das wir alle als Geschenk empfangen haben, das<br />

jedoch vielfachen Bedrohungen ausgesetzt ist. Die mo<strong>der</strong>nen Massenmedien wie Presse, Radio<br />

<strong>und</strong> Fernsehen machen uns jeden Tag anschaulich, wie Menschen <strong>und</strong> die gesamte Schöpfung<br />

5


■ Ein Wort zu Beginn …<br />

„im Schatten <strong>des</strong> To<strong>des</strong>“ (Lk 1,79) leben, <strong>und</strong> wie wir es <strong>des</strong>halb nötig haben, dass uns „das<br />

aufstrahlende Licht aus <strong>der</strong> Höhe“ (Lk 1,78) besucht. Zwischen <strong>der</strong> Zerstörung <strong>der</strong> Umwelt <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> wachsenden Verarmung vieler Menschen auf <strong>der</strong> Welt besteht ein enger Zusammenhang.<br />

Der Strom <strong>der</strong> Flüchtlinge, die zum einen um ihr Leben fürchten o<strong>der</strong> zum an<strong>der</strong>en auf <strong>der</strong> Suche<br />

nach einer ausreichenden Existenzsicherung sind, versiegt nicht, son<strong>der</strong>n wächst im Gegenteil<br />

beständig. Die Suche nach sofortiger Befriedigung subjektiver Bedürfnisse achtet nicht auf die<br />

Sehnsucht vieler, zukünftigen Generationen eine bessere Welt zu hinterlassen. Es ist schwierig, die<br />

Zügel <strong>und</strong> globalen Vernetzungen eines bedrohten Lebens durch ein Handeln zu kontrollieren,<br />

<strong>des</strong>sen leiten<strong>des</strong> Prinzip die ständig voranschreitende Entwicklung um jeden Preis ist.<br />

Daher sind wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> umso mehr aufgerufen, durch unsere Verwurzelung im Evangelium,<br />

unsere brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft <strong>und</strong> unser einfaches Leben in versöhnter Verschiedenheit<br />

Zeugnis zu geben für eine befreite Existenz in Christus <strong>und</strong> für Christus.<br />

Dieses Ziel möchte das vorliegende Buch unterstützen. Dieses Buch ist in <strong>der</strong> Tat kein „Handbuch“<br />

im strengen Sinn <strong>des</strong> Wortes. Es will eine Quelle, eine Hilfe für die Brü<strong>der</strong> darstellen:<br />

mit seinen Artikeln über unsere franziskanische Spiritualität, durch unsere Option für die<br />

Armen, die Ermutigung für unser Gebet <strong>und</strong> unsere Meditation, den gemeinsamen Dialog<br />

über Werte <strong>und</strong> F<strong>und</strong>amente unserer franziskanischen Berufung, menschgewordenes Handeln<br />

in konkreten Situationen im Licht von „<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden, Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung“.<br />

Es ist die Antwort auf die Auffor<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Internationalen Rates für GFBS, vorgetragen<br />

auf seiner Versammlung 1995 in Seoul, den Brü<strong>der</strong>n zu helfen, sich <strong>der</strong> Tatsache bewusst zu<br />

werden, dass unser franziskanischer Einsatz in diesem Bereich ein integraler Teil unserer<br />

Spiritualität ist.<br />

Das Generaldefinitorium hat nach dem Studium <strong>des</strong> Handbuches für GFBS zugestimmt,<br />

dieses allen Brü<strong>der</strong>n, vor allem den Provinz- wie Konferenzkoordinatoren für GFBS, zur Verfügung<br />

zu stellen. Das Buch mit seinen Artikeln <strong>und</strong> Beispielen wird denen nicht genügen,<br />

die einen tieferen Gedankengang <strong>und</strong> eine verhaltenere Sprache erwarten. Ein positiver Nebeneffekt<br />

wäre es, wenn es sie anspornen könnte, die Themen selbst zu vertiefen. Wir haben<br />

in wie<strong>der</strong>holten Arbeitsgängen versucht, Fehler zu korrigieren. Trotzdem wird es vorkommen,<br />

dass die Leser Ungenauigkeiten <strong>und</strong> Fehler entdecken werden. Wir bitten um Nachsicht.<br />

Wir behaupten nicht, vollkommen zu sein. Das Buch beabsichtigt, konkretes Handeln für<br />

GFBS zu begleiten.<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage unseres Seins in <strong>der</strong> Welt ist Kontemplation, das innere Zuhören, die stille Aufmerksamkeit<br />

für die Zeichen <strong>der</strong> Zeit, die Erfahrung <strong>der</strong> Gegenwart <strong>und</strong> <strong>des</strong> Handelns Gottes.<br />

In-<strong>der</strong>-Welt-zu-sein bedeutet unterwegs zu sein, mit tiefer Verehrung <strong>und</strong> Ehrfurcht Leben,<br />

Schöpfung <strong>und</strong> Menschen, willkommen zu heißen, weil die Gegenwart Gottes alles umgibt<br />

<strong>und</strong> durchdringt. Wir hoffen, dass dieses Buch eine Ermutigung für alle Brü<strong>der</strong> werden möge,<br />

dies zu leben.<br />

Ich schließe mit dem Dank an all die, die in <strong>der</strong> Planung <strong>und</strong> Erarbeitung dieses Handbuches<br />

mitgearbeitet haben. Alle haben beispielhaft gearbeitet. Stellvertretend für alle nenne ich<br />

John Quigley <strong>OFM</strong>, Vicente Felipe <strong>OFM</strong> <strong>und</strong> Francisco O’Conaire <strong>OFM</strong>, meinen Mitarbeiter<br />

im Büro GFBS. Allen, die mitgearbeitet haben, möge Gott reichlich vergelten <strong>und</strong> sie segnen!<br />

6<br />

Rom, 25. März 1999<br />

Peter Schorr <strong>OFM</strong><br />

Generaldefinitor <strong>und</strong> Direktor für GFBS


■ Die Entstehung <strong>des</strong> Handbuches<br />

Die Entstehung<br />

<strong>des</strong> Handbuches<br />

Das Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung an <strong>der</strong> Generalkurie <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

internationale Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung, bestehend aus den<br />

15 Koordinatoren <strong>der</strong> Ordenskonferenzen <strong>und</strong> den<br />

Provinzdelegierten für GFBS, haben die wichtige<br />

Aufgabe, die Brü<strong>der</strong> zu motivieren <strong>und</strong> anzuregen,<br />

sich diese evangelischen <strong>und</strong> franziskanischen Werte<br />

zu eigen zu machen. Sie sollen Teil eines brü<strong>der</strong>lichen<br />

<strong>und</strong> friedfertigen Lebensstils werden, <strong>der</strong> sich<br />

konkreten <strong>und</strong> befreienden Engagements verpflichtet<br />

weiß.<br />

Auf seiner Sitzung in Seoul im August 1995 hat<br />

sich <strong>der</strong> internationale Rat für GFBS <strong>des</strong> Ordens<br />

mit <strong>der</strong> Frage beschäftigte, wie ein echter Dienst<br />

<strong>der</strong> Animation in diesem Bereich angeboten werden<br />

könnte. Es wurde beschlossen, dem Generaldefinitorium<br />

die Erstellung eines Handbuches zu GFBS<br />

vorzuschlagen. Auf seiner Sitzung vom Dezember<br />

1995 genehmigte das Generaldefinitorium diesen<br />

Vorschlag <strong>und</strong> betraute das Büro für GFBS an <strong>der</strong><br />

Generalkurie mit <strong>der</strong> Koordination dieses Projektes.<br />

Ziel<br />

Das Handbuch ist kein Kommentar zu den<br />

Kapiteln IV <strong>und</strong> V <strong>der</strong> Generalkonstitutionen,<br />

obwohl es sich davon inspirieren ließ <strong>und</strong> sogar<br />

eine Hilfe sein kann, sie tiefer zu verstehen <strong>und</strong> besser<br />

zu beobachten. Vielmehr ist es bemüht, Materia-<br />

lien <strong>und</strong> Quellen bereit zu stellen, die Provinzdelegierten<br />

<strong>und</strong> Kommissionen helfen können, in<br />

<strong>der</strong> Arbeit für GFBS voranzuschreiten. Darüber<br />

hinaus möchte es denen von Nutzen sein, die mit<br />

<strong>der</strong> Ordensausbildung betraut sind. Es will auch<br />

den Gemeinschaften vor Ort Anregungen für ihre<br />

Treffen <strong>der</strong> ständigen Fortbildung geben <strong>und</strong> den<br />

Brü<strong>der</strong>n in ihrem pastoralen Dienst Hilfestellung<br />

anbieten.<br />

Da es sich hier um ein Arbeitsinstrument handelt,<br />

dachten wir zu keiner Zeit an eine vollständige<br />

Behandlung dieser Themen. Wir sind uns <strong>der</strong><br />

Grenzen dieses Handbuches voll bewusst. Zum<br />

einen ist es in den Themen von Teil II fast unmöglich,<br />

einen Standpunkt einzubringen, <strong>der</strong> für alle<br />

Teile <strong>der</strong> Welt Gültigkeit hat. Die Fragen am Ende<br />

eines jeden Themas können vielleicht als Hilfe dienen,<br />

eine Diskussion über die örtlichen Gegebenheiten<br />

in Gang zu bringen. Die Tatsache, dass zahlreiche<br />

Brü<strong>der</strong> aus verschiedenen Teilen <strong>der</strong> Welt<br />

am Handbuch mitgearbeitet haben, könnte an<strong>der</strong>erseits<br />

bewirken, dass es einen Mangel an Einheit<br />

aufweist <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>holungen beinhaltet. Wenn<br />

die Themen im zweiten Teil ausführlicher entfaltet<br />

worden wären, wäre das Buch noch viel umfangreicher<br />

geworden. Doch im Großen <strong>und</strong> Ganzen<br />

glauben wir, dass das zusammengetragene Material<br />

hilfreich ist <strong>und</strong> dem angestrebten Ziel dient.<br />

Form <strong>und</strong> Inhalt<br />

Das Handbuch hat vier Teile. Im ersten Teil stellen<br />

wir die franziskanische Sicht <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

vor, als theoretische Gr<strong>und</strong>lage für das ganze Buch.<br />

Dabei beziehen wir uns auf unsere Spiritualität,<br />

wie sie in den franziskanischen Quellen, in den<br />

gegenwärtigen Generalkonstitutionen <strong>und</strong> in<br />

den Dokumenten <strong>der</strong> Kirche dargelegt ist. Für<br />

Franziskaner ist das Engagement für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung ein Erbe,<br />

das uns vom heiligen Franziskus überliefert ist; es<br />

ist Teil unserer Identität als Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

gehört zu unserer Sendung, das Evangelium zu<br />

verkünden. Daher sollte es zum Inhalt <strong>der</strong> Ordensausbildung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> ständigen Fortbildung<br />

gehören.<br />

7


■ Die Entstehung <strong>des</strong> Handbuches<br />

Der zweite Teil besteht aus sieben spezifischen Themen,<br />

die uns am passendsten <strong>und</strong> von beson<strong>der</strong>er<br />

Bedeutung für unser Charisma erscheinen. Diese<br />

Themen haben nur eine kurze theoretische Einführung,<br />

weil wir keine erschöpfende Darlegung zu<br />

jedem Thema geben wollten; vielmehr würden wir<br />

wünschen, dass diese Themen Fragen aufwerfen<br />

<strong>und</strong> Nachdenken wie Handeln anregen sollten.<br />

Diese kurze Einführung wird ergänzt durch Erfahrungsberichte<br />

<strong>und</strong> Zeugnisse von Brü<strong>der</strong>n aus<br />

aller Welt. Sie helfen uns sehen, dass die Ideale, die<br />

unsere Generalkonstitutionen uns vorlegen, keine<br />

<strong>und</strong>urchführbaren Utopien sind. Diese Zeugnisse<br />

verweisen uns auf vielfältige Möglichkeiten zum<br />

Handeln, entsprechend den lokalen Gegebenheiten.<br />

Je<strong>des</strong> Thema endet mit Fragen, die zum Überlegen<br />

anregen sollen, sei dies persönlich o<strong>der</strong> in Gruppen.<br />

Wir möchten auch Folgen<strong>des</strong> in Erinnerung rufen:<br />

Als dieses Handbuch geplant wurde, gab es den<br />

Vorschlag, dass jede Konferenz eine Bibliographie<br />

zu den einzelnen Themen zusammenstellen könnte.<br />

Diese sollte ein vertieftes Studium <strong>der</strong> einzelnen<br />

Themen erleichtern <strong>und</strong> wäre zudem den kulturellen<br />

Gegebenheiten <strong>und</strong> den Bedürfnissen je<strong>der</strong> einzelnen<br />

Konferenz besser angepasst.<br />

8<br />

Der dritte Teil mit dem Titel „ANREGUNGEN FÜR<br />

DIE PRAXIS“ hat mehrere Kapitel, die die Geschichte<br />

<strong>der</strong> Bewegung für GFBS innerhalb <strong>des</strong> Ordens in<br />

den letzten 25 Jahren nachzeichnen: vom Internationalen<br />

Rat für GFBS; wie die Provinzen <strong>und</strong> Konferenzen<br />

auf dem Gebiet von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden organisiert sind; von <strong>der</strong> interfranziskanischen<br />

Zusammenarbeit im Bereich GFBS; von <strong>der</strong><br />

Arbeit für GFBS im alltäglichen Leben <strong>und</strong> in den<br />

verschiedenen Diensten: Pfarrpastoral, neue Medien,<br />

Bildung <strong>und</strong> Erziehung, missionarischer Dienst,<br />

Ordensausbildung <strong>und</strong> ständige Fortbildung.<br />

Der vierte Teil gibt einige Ergänzungen <strong>und</strong> einen<br />

Anhang mit den Texten von den Generalkapiteln<br />

o<strong>der</strong> den Ordensräten <strong>des</strong> Ordens, Texten aus den<br />

Generalkonstitutionen, <strong>der</strong> Heiligen Schrift, den<br />

franziskanischen Quellen, <strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> RATIO FORMATIONIS. Dazu gibt es im<br />

Anhang Gebete <strong>und</strong> Adressen von internationalen<br />

Organisationen, mit denen wir Kontakt aufnehmen<br />

können.<br />

Büro für GFBS, Rom


■ Abkürzungen<br />

Abkürzungen<br />

1. Die biblischen Bücher<br />

Amos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am<br />

Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apg<br />

Baruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bar<br />

1 Chronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Chr<br />

2 Chronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Chr<br />

Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dan<br />

Deuteronomium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dtn<br />

Epheser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eph<br />

Esra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Esra<br />

Esther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Est<br />

Exodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ex<br />

Ezechiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ez<br />

Galater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gal<br />

Genesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gen<br />

Habakuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hab<br />

Haggai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hag<br />

Hebräer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hebr<br />

Hohelied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hld<br />

Hosea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hos<br />

Ijob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ijob<br />

Jakobus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jak<br />

Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jer<br />

Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jes<br />

Jesus Sirach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sir<br />

Joël . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joël<br />

Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joh<br />

1 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Joh<br />

2 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Joh<br />

3 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Joh<br />

Jona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jona<br />

Josua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jos<br />

Judas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jud<br />

Klagelie<strong>der</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klgl<br />

Kohelet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koh<br />

Kolosser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kol<br />

1 Könige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kön<br />

2 Könige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Kön<br />

1 Korinther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kor<br />

2 Korinther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Kor<br />

Levitikus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lev<br />

Lukas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lk<br />

1 Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Makk<br />

2 Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Makk<br />

Maleachi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mal<br />

Markus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mk<br />

Matthäus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mt<br />

Micha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mi<br />

Nahum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nah<br />

Nehemia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neh<br />

Numeri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Num<br />

Obadja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Obd<br />

Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offb<br />

1 Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Petr<br />

2 Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Petr<br />

Philemon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phlm<br />

Philipper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phil<br />

Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ps<br />

Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ri<br />

Römer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Röm<br />

Ruth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rut<br />

Sacharja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sach<br />

1 Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Sam<br />

2 Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Sam<br />

Sprichwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spr<br />

9


■ Abkürzungen<br />

1 Thessalonicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Thess<br />

2 Thessalonicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Thess<br />

1 Timotheus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Tim<br />

2 Timotheus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Tim<br />

Titus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tit<br />

Tobit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tob<br />

Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weish<br />

Zefanja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zef<br />

10<br />

2. Kirchliche Dokumente<br />

CA Enzyklika Centesiumus annus<br />

CP Apostolisches Schreiben<br />

Communio et progressio<br />

DH Erklärung Dignitatis humanae<br />

DM Enzyklika Dives in misericordia<br />

EN Apostolisches Schreiben<br />

Evangelii nuntiandi<br />

ES Enzyklika Ecclesiam suam<br />

GS Pastoralkonstitution<br />

Gaudium et spes<br />

LC Erklärung Libertatis conscientia<br />

(Christliche Gewissensfreiheit)<br />

LE Enzyklika Laborem exercens<br />

MM Enzyklika Mater et Magistra<br />

OA Apostolisches Schreiben<br />

Octogesima adveniens<br />

TMA Apostolisches Schreiben Tertio<br />

Millennio Adveniente<br />

PP Enzyklika Populorum Progressio<br />

PT Enzyklika Pacem in terris<br />

QA Enzyklika Quadragesimo anno<br />

RH Enzyklika Redemptor hominis<br />

RM Enzyklika Redemptoris missio<br />

RN Enzyklika Rerum novarum<br />

SRS Enzyklika Sollicitudo rei socialis<br />

VS Enzyklika Veritatis splendor


■ Abkürzungen<br />

3. Schriften <strong>des</strong> Hl. Franz<br />

Auff Auffor<strong>der</strong>ung zum Lobe Gottes<br />

BrAnt Brief an den heiligen Antonius<br />

BrKler Brief an die Kleriker<br />

BrKust I Brief an die Kustoden I<br />

BrKust II Brief an die Kustoden II<br />

BrGl I Brief an die Gläubigen I<br />

BrGl II Brief an die Gläubigen II<br />

BrLenk Brief an die Lenker <strong>der</strong> Völker<br />

BrLeo Brief an Bru<strong>der</strong> Leo<br />

BrMin Brief an einen Minister<br />

BrOrd Brief an den gesamten Orden<br />

ErklVat Erklärung zum Vaterunser<br />

Erm Ermahnungen<br />

GebKr Gebet vor dem Kreuzbild von<br />

San Damiano<br />

GrMar Gruss an die selige Jungfrau Maria<br />

GrTug Gruss an die Tugenden<br />

LebKlara Lebensform für die heilige Klara<br />

MahnKlara Mahnung für die Schwestern<br />

<strong>der</strong> heiligen Klara<br />

Off Offizium vom Leiden <strong>des</strong> Herrn<br />

PreisHor Preisgebet zu allen Horen<br />

BReg Bullierte Regel<br />

NbReg Nicht bullierte Regel<br />

RegEins Regel für Einsiedeleien<br />

SegLeo Segen für Bru<strong>der</strong> Leo<br />

SegBern Segen für Bru<strong>der</strong> Bernhard<br />

Sonn Sonnengesang<br />

Test Testament<br />

TestSien Testament von Siena<br />

VermKlara Vermächtnis für die heilige Klara<br />

VollFreud Die wahre <strong>und</strong> vollkommene Freude<br />

4. Frühe franziskanische Quellen<br />

1 Cel Thomas von Celano:<br />

Erste Lebensbeschreibung<br />

<strong>des</strong> hl. Franziskus<br />

2 Cel Thomas von Celano:<br />

Zweite Lebensbeschreibung<br />

<strong>des</strong> hl. Franziskus<br />

3 Cel Thomas von Celano:<br />

Leben <strong>und</strong> W<strong>und</strong>er <strong>des</strong><br />

heiligen Franziskus von Assisi<br />

AnonPer Anonymus Perusinus<br />

CSD Betrachtungen über die W<strong>und</strong>male<br />

Fior Fioretti<br />

LegMai Grosse Lebensbeschreibung<br />

<strong>des</strong> heiligen Franziskus von Bonaventura<br />

Legmin Kleine Lebensbeschreibung<br />

<strong>des</strong> heiligen Franziskus von Bonaventura<br />

LegPer Legenda Perusina<br />

DreiGef Dreigefährtenlegende<br />

SC Sacrum Commercium<br />

SP Spiegel <strong>der</strong> Vollkommenheit<br />

11


■ Abkürzungen<br />

5. An<strong>der</strong>e häufige Abkürzungen<br />

GG.CC. Generalkonstitutionen<br />

CFF Konferenz <strong>der</strong> franziskanischen Familie<br />

FI Franciscans International<br />

ICJPIC Internationaler Rat<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

GFBS <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

<strong>OFM</strong> Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />

NGO Nicht-Regierungs-Organisation<br />

RFF Ratio Formationis Franciscanae<br />

Medellin E Medellin: Erziehungsdokument<br />

CFI-TOR Internationale<br />

franziskanische Konferenz<br />

<strong>des</strong> Regulierten Dritten Ordens<br />

TOR Regulierter Dritter Orden<br />

12


KONKRETES ENGAGEMENT


Die franziskanische Sicht<br />

<strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Dieser erste Teil will eine Gr<strong>und</strong>lage für die franziskanische Sicht <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung legen. Er bildet den theoretischen Rahmen für<br />

das ganze Buch auf <strong>der</strong> Basis unserer Spiritualität. Er gründet auf den franziskanischen Quellen<br />

<strong>und</strong> schließt ebenso die gegenwärtige Realität mit ein, wie sie in den Generalkonstitutionen,<br />

<strong>der</strong> RFF <strong>und</strong> dem Lehramt <strong>der</strong> Kirche zum Ausdruck kommt.<br />

1. Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

2. Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />

3. GFBS in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />

4. Kontemplation, unsere Arbeit für GFBS <strong>und</strong> die Vereinigung mit Gott<br />

5. <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> RATIO FORMATIONIS FRANCISCANAE<br />

15


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

Franziskanische<br />

Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

Ein neuer Mensch<br />

Unter den vielen Heiligen, welche die Geschichte<br />

<strong>des</strong> Christentums schmücken, ist Franziskus von<br />

Assisi einer von jenen, die noch heute größte Anziehungskraft<br />

ausüben <strong>und</strong> denen größte Zustimmung<br />

begegnet. Sein Einfluss geht über das Christentum<br />

hinaus. Er gehört allen. Er erscheint wie „eine früh<br />

erblühte Blumenknospe“, die eine Menschlichkeit<br />

ahnen lässt, die in jedem von uns aufblühen<br />

möchte. „Er schien wirklich ein neuer Mensch zu<br />

sein <strong>und</strong> aus einer an<strong>der</strong>en Welt zu stammen“,<br />

schrieb sein erster Biograph, Thomas von Celano<br />

(1 Cel 82).<br />

So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass sich in unserer<br />

gegenwärtigen Orientierungslosigkeit viele an ihn<br />

wenden, um das Geheimnis jener Weisheit zu erfragen,<br />

die er neu zum Aufblühen bringen könnte. Sie<br />

war durch eine neue Qualität <strong>der</strong> Präsenz in <strong>der</strong><br />

Welt gekennzeichnet. Denn die kostbarste Gabe,<br />

die Franziskus <strong>der</strong> Welt schenkte, ist diese neue Art<br />

<strong>der</strong> Präsenz. Eine Präsenz, die zutiefst menschlich<br />

<strong>und</strong> zugleich evangelisch <strong>und</strong> kosmisch ist. Eine<br />

Präsenz, welche die Gabe besitzt „alle Feindseligkeit<br />

innerhalb <strong>der</strong> Schöpfung in eine geschwisterliche<br />

Spannung umzuwandeln“ (Paul Ricoeur). „Zweifellos<br />

gab es nie zuvor einen Menschen, <strong>der</strong> auf vollkommenere<br />

Weise jedem (Geschöpf) jene totale<br />

Präsenz <strong>und</strong> jene vollständige Selbsthingabe angeboten<br />

hätte, die nichts an<strong>der</strong>es sind als Ausdruck<br />

<strong>der</strong> Präsenz <strong>und</strong> <strong>des</strong> Geschenkes, die Gott als Gabe<br />

seiner selbst jeden Augenblick allen Wesen zukom-<br />

men lässt“ (L. Lavelle, Quattre Saints, Paris 1951,<br />

88).<br />

Was war also das Geheimnis <strong>des</strong> Franziskus von<br />

Assisi? Wie öffnete er sich für jene Präsenz in <strong>der</strong><br />

Welt, in <strong>der</strong> alle menschlichen Konflikte ihren Weg<br />

zum Frieden zu finden scheinen?<br />

Eine gr<strong>und</strong>legende Botschaft<br />

Die Frage ist für uns lebenswichtig. Unsere industrielle<br />

Zivilisation befindet sich in einer Sackgasse.<br />

Wir sind zu Recht stolz auf unseren wissenschaftlichen<br />

<strong>und</strong> technologischen Fortschritt. Er hat uns zu<br />

„Herren <strong>und</strong> Besitzern <strong>der</strong> Natur“ gemacht, wie<br />

Descartes sich das wünschte. Aber heute merken<br />

wir, dass <strong>der</strong> Preis, <strong>der</strong> dafür zu bezahlen ist, hoch<br />

ist, sehr hoch. Einerseits ist unsere Umwelt <strong>und</strong><br />

damit unsere Lebensqualität durch die wachsende<br />

Herrschaft <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen<br />

Technologie über die Natur bedroht. An<strong>der</strong>erseits<br />

schafft eine immer ausgeprägtere technologische<br />

Ausbeutung <strong>der</strong> natürlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />

unter dem alleinigen Gesetz <strong>des</strong> Profits große<br />

menschliche Probleme auf dem Gebiet <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong>. Situationen<br />

<strong>der</strong> Ausgrenzung mehren sich in <strong>der</strong> menschlichen<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> bedrohen zutiefst den Frieden.<br />

Bisher haben die Männer <strong>und</strong> Frauen, die unsere<br />

industrialisierte Gesellschaft hervorgebracht hat,<br />

nur an das Besitzen gedacht. Nun müssen sie im<br />

Bemühen um <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden lernen,<br />

geschwisterlich mit <strong>der</strong> Natur, d.h. ihnen gleichwertig,<br />

umzugehen. In diesem Punkt hat Franziskus,<br />

<strong>der</strong> universale Bru<strong>der</strong>, uns allen etwas<br />

Gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> zu sagen.<br />

Um seine Botschaft richtig zu hören, müssen wir<br />

ein bestimmtes Bild <strong>des</strong> Armen von Assisi hinter<br />

uns lassen. Wir haben ihn zu einer Art Märchenprinzen<br />

<strong>der</strong> Schöpfung gemacht. Märchenhaft<br />

vielleicht, aber unerhört oberflächlich. Der wirkliche<br />

Franziskus ist von ganz an<strong>der</strong>er Statur <strong>und</strong><br />

Inspiration. Er war einer <strong>der</strong> kühnsten Erneuerer in<br />

<strong>der</strong> gesamten Geschichte <strong>der</strong> Christenheit. In seiner<br />

Treue zum Evangelium brach er mit dem politischreligiösen<br />

System seiner Zeit – einem System, in<br />

dem die Kirche oft ein feudaler Oberherr war,<br />

einem System heiliger Kriege <strong>und</strong> Kreuzzüge. Er<br />

17


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

weigerte sich auch, einen Pakt zu schließen mit dem<br />

neuen Götzen <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft, dem<br />

Geld. Seine brü<strong>der</strong>liche Haltung gegenüber den<br />

geringeren Geschöpfen war von Sentimentalität<br />

weit entfernt; sie war inspiriert von einem klaren<br />

<strong>und</strong> tiefen Verständnis für die Schöpfung.<br />

Der Ausgangspunkt:<br />

Seine Begegnung mit Christus<br />

Am Beginn <strong>der</strong> neuen Präsenz in <strong>der</strong> Welt, die <strong>der</strong><br />

Arme von Assisi eingeleitet hat, liegt eine geistliche<br />

Erfahrung, die mit <strong>der</strong> Bekehrung <strong>des</strong> jungen<br />

Bernardone beginnt. Wenn wir seine Inspiration<br />

verstehen wollen, müssen wir ihn zur Mitte dieser<br />

Erfahrung begleiten.<br />

Franziskus wurde nicht als „universaler Bru<strong>der</strong>“<br />

geboren. Er entwickelte sich dazu. Um den Preis<br />

einer tiefen Bekehrung. Als Heranwachsen<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

als junger Mann war er nicht <strong>der</strong> Mann <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />

den wir bew<strong>und</strong>ern. Gewiss stellen ihn seine<br />

ersten Biographen als liebenswürdigen, höflichen<br />

18<br />

Menschen dar, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n gegenüber offen war.<br />

Doch unter diesem verführerischen Äußeren lagen<br />

verborgene Abgründe von Gewalt <strong>und</strong> Ehrgeiz,<br />

zusammen mit einem Wunsch nach Erobern <strong>und</strong><br />

Beherrschen.<br />

Als Sohn eines reichen Kaufmanns gehörte Franziskus<br />

einer aufstrebenden Klasse an, die gewinnsüchtig<br />

<strong>und</strong> machthungrig war. In den mittelalterlichen<br />

Gemeinden, die sich vom Joch <strong>der</strong> Feudalherrschaft<br />

befreit hatten, beabsichtigte die reiche Mittelklasse,<br />

angeführt von den Kaufleuten, ihre eigenen<br />

Interessen zu verfolgen <strong>und</strong> Macht auszuüben.<br />

Unter dem Zwang dieser sozialen Kräfte hegte <strong>der</strong><br />

junge Franziskus ebenfalls große Ambitionen. Er<br />

liebte es, zu prahlen, wie die Sonne zu scheinen,<br />

sich über an<strong>der</strong>e zu erheben <strong>und</strong> sich von <strong>der</strong> jungen<br />

sozialen Elite Assisis zu ihrem König ausrufen<br />

zu lassen.<br />

Seine Ambitionen wuchsen mit ihm. Er wollte<br />

nicht im Geschäft seines Vaters bleiben <strong>und</strong> ein<br />

gewöhnlicher Textilkaufmann sein. Er hatte große<br />

Träume. Er wollte hoch hinaus. Er wollte ein Ritter<br />

o<strong>der</strong> gar ein Prinz werden! Als er schlief <strong>und</strong> vom<br />

Laden seines Vaters träumte, sah er diesen in einen<br />

Palast verwandelt, <strong>des</strong>sen Räume vom Glanz verschiedenster<br />

Waffen strahlten. Und alle diese<br />

Waffen glänzten für ihn. Für ihn <strong>und</strong> seine Ritter.<br />

In seinen jugendlichen Träumen sah er sich selber<br />

als Eroberer <strong>der</strong> Welt.<br />

Der junge Franziskus war fasziniert vom Ruhm.<br />

Und Ruhm wurde zu jener Zeit im Krieg erworben.<br />

Genau zu dieser Zeit ergab sich für ihn eine solche<br />

Möglichkeit: gerade eben war ein Krieg zwischen<br />

Assisi <strong>und</strong> Perugia ausgebrochen, den beiden rivalisierenden<br />

Nachbarstädten. Franziskus schloss sich<br />

<strong>der</strong> Bürgermiliz von Assisi an.<br />

Er nahm an <strong>der</strong> Schlacht von Ponte San Giovanni<br />

teil. Doch <strong>der</strong> Kampf entschied sich zugunsten<br />

von Perugia. Franziskus kam in Gefangenschaft. Er<br />

verbrachte ein Jahr im feindlichen Gefängnis. Und<br />

als er nach Assisi zurückkehrte, war seine Ges<strong>und</strong>heit<br />

angeschlagen. Er wurde krank.<br />

Diese Krankheit, die lange dauerte <strong>und</strong> ihn zu<br />

Untätigkeit <strong>und</strong> Einsamkeit verurteilte, wurde zu<br />

einem Wendepunkt in seinem Leben. Franziskus<br />

überdachte sein Leben genau. Er spürte die Leere


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

seiner Jugendjahre. Er wurde sich ihrer Leichtfertigkeit<br />

bewusst.<br />

Als er wie<strong>der</strong> ges<strong>und</strong> geworden war, ließ er sich<br />

jedoch von seinen kriegerischen Ambitionen wie<strong>der</strong><br />

einholen <strong>und</strong> zusammen mit einem jungen Adligen<br />

von Assisi beschloss er, mit den päpstlichen Truppen<br />

gegen die kaiserliche Armee in Süditalien zu kämpfen.<br />

Doch <strong>der</strong> Plan währte nicht lange. Kaum war er<br />

in Spoleto angekommen, vernahm er eine innere<br />

Stimme, die ihn auffor<strong>der</strong>te, nach Assisi zurückzukehren.<br />

Franziskus gehorchte. Von jetzt an würde<br />

seine einzige Sorge darin bestehen, zu entdecken,<br />

was Gott von ihm wollte.<br />

Er zog sich freiwillig in die Einsamkeit <strong>der</strong> kleinen,<br />

verlassenen Kirchen in <strong>der</strong> Umgebung Assisis<br />

zurück. Vor allem nach San Damiano. Dort betete<br />

er st<strong>und</strong>enlang in <strong>der</strong> Betrachtung <strong>des</strong> byzantinischen<br />

Kreuzes. Dieser gekreuzigte Christus, <strong>der</strong> solchen<br />

Frieden ausstrahlte, brachte ihm die lebendige<br />

<strong>und</strong> überwältigende Offenbarung <strong>der</strong> Liebe Gottes<br />

für die Menschen. Und Franziskus ließ sich vollständig<br />

von <strong>der</strong> Tiefe <strong>und</strong> dem Glanz dieser Liebe<br />

ergreifen. Durch die Menschlichkeit Christi <strong>und</strong><br />

seine völlige Lebenshingabe entdeckte Franziskus<br />

die mitfühlende Art, mit <strong>der</strong> Gott die Menschen<br />

sieht. Und so sah auch er sie verän<strong>der</strong>t. Seine Welt<br />

hatte sich dem menschlichen Elend geöffnet.<br />

In seinem TESTAMENT erzählt Franziskus selbst von<br />

<strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden Umwandlung, die er erfuhr: „So<br />

hat <strong>der</strong> Herr mir, dem Bru<strong>der</strong> Franziskus, gegeben,<br />

das Leben <strong>der</strong> Buße zu beginnen: denn als ich in<br />

Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige<br />

zu sehen. Und <strong>der</strong> Herr selbst hat mich unter sie<br />

geführt, <strong>und</strong> ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen.<br />

Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das,<br />

was mir bitter vorkam, in Süßigkeit <strong>der</strong> Seele <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> Leibes verwandelt“ (Test 1-3).<br />

Eine neue Qualität <strong>der</strong> Beziehung<br />

Verweilen wir einen Augenblick bei dieser Wandlung.<br />

Alles wuchs aus ihr heraus. Franziskus zögerte<br />

nicht, seine Bekehrung als eine neue Offenheit<br />

gegenüber den Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt zu bezeichnen.<br />

Sein Universum war aufgebrochen. Er wagte es<br />

nun, Männer <strong>und</strong> Frauen aufzusuchen, die er früher<br />

gemieden hätte, Menschen, die er nicht hatte sehen<br />

wollen <strong>und</strong> die er aus seiner Welt ausgeschlossen<br />

hatte.<br />

Es war nicht einfach ein Fall eines erweiterten<br />

Bekanntenkreises. Auch die Art, wie er seine Beziehungen<br />

pflegte, hatte sich verän<strong>der</strong>t. Von nun an<br />

sollten diese nicht mehr von Ehrgeiz, vom Wunsch<br />

nach Prestige <strong>und</strong> Eroberung veranlasst sein. Sie<br />

kamen aus einer an<strong>der</strong>en Quelle. Franziskus hatte<br />

die Barmherzigkeit entdeckt, mit <strong>der</strong> Gott auf die<br />

Menschen schaute. Und dieser barmherzige Blick<br />

stellte seine Welt auf den Kopf; seinen Wunsch nach<br />

Eroberung <strong>und</strong> Beherrschung verän<strong>der</strong>te Franziskus<br />

in eine Haltung <strong>des</strong> Mitfühlens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mitseins<br />

(<strong>der</strong> Communio). Seine Welt öffnete sich für die<br />

Ärmsten. Früher hatte er gelegentlich den Armen<br />

Almosen gegeben. Aber das geschah aus <strong>der</strong> Höhe<br />

seiner Position als reiches, junges Mitglied <strong>der</strong> sozialen<br />

Mittelklasse. Die Armen waren nicht Teil seiner<br />

vergoldeten Welt gewesen.<br />

Jetzt war eine Mauer gefallen. Franziskus sah die<br />

Welt an<strong>der</strong>s. Er entdeckte sie im Licht <strong>der</strong> übergroßen<br />

Liebe, die sich ihm gezeigt hatte: <strong>der</strong> Sohn<br />

Gottes hatte sich seiner Herrlichkeit entäußert,<br />

um einer von uns zu werden, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> aller, auch<br />

<strong>der</strong> Ausgegrenzten. Der Himmel hatte seinen Stolz<br />

verloren. Eine überwältigende Sicht, die in Franziskus<br />

eine neue Anwesenheit in <strong>der</strong> Welt wachrief.<br />

Er wollte sich nicht mehr über an<strong>der</strong>e erheben, über<br />

sie herrschen, son<strong>der</strong>n er wollte mit ihnen sein,<br />

geschwisterlich sein. Er wollte nicht mehr die Welt<br />

erobern, son<strong>der</strong>n alle Wesen willkommen heißen<br />

<strong>und</strong> mit ihnen in Kontakt treten. So wollte er in <strong>der</strong><br />

Nachfolge Christi <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> aller werden, beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>der</strong> Geringsten <strong>und</strong> Ärmsten.<br />

Diese neue Präsenz in <strong>der</strong> Welt sollte dem ganzen<br />

Leben <strong>des</strong> Franziskus Inspiration <strong>und</strong> Orientierung<br />

sein. Im Augenblick aber machte sie ihn aufmerksam<br />

<strong>und</strong> bereit, das willkommen zu heißen, was<br />

Gott von ihm wollte.<br />

Eines Tages, als er in <strong>der</strong> Kapelle Unserer Lieben<br />

Frau von den Engeln in Portiunkula <strong>der</strong> Messe<br />

beiwohnte, hörte er den Text aus dem Evangelium,<br />

in dem <strong>der</strong> Meister seine Jünger zu ihrer Mission<br />

aussendet: „Nehmt we<strong>der</strong> Gold noch Silber mit …<br />

Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt: ‚Friede diesem<br />

Haus‘ …“ Das war <strong>der</strong> Moment <strong>der</strong> Erleuch-<br />

19


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

tung im Herzen <strong>des</strong> Franziskus. Er hatte seine Berufung,<br />

seine Sendung erkannt (1 Cel 22). Wie die<br />

Jünger sah er sich selbst als gesandt, den messianischen<br />

Frieden zu verkünden. Er würde zu den<br />

Menschen gehen „ohne Gold o<strong>der</strong> Silber o<strong>der</strong><br />

Geld“, ohne irgendein Zeichen von Macht o<strong>der</strong><br />

Reichtum, einzig mit <strong>der</strong> Sendung, den Frieden zu<br />

verkünden. „Der Herr hat mir geoffenbart“, schrieb<br />

er in seinem Testament, „dass wir als Gruß sagen<br />

sollten: ‚Der Herr gebe dir den Frieden‘“. Er trat<br />

nicht als Eroberer auf, son<strong>der</strong>n als Fre<strong>und</strong>, als Mann<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>. Und wo immer er hinging, bewirkte<br />

er „eine Umwandlung aller Feindschaft innerhalb<br />

<strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Schöpfung in eine geschwisterliche<br />

Spannung “. Er wollte ein Erbauer <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

sein, einer, <strong>der</strong> Gemeinschaft (Communio) zwischen<br />

den Wesen schafft, indem er mit allen „in<br />

großer Demut“ verkehrt.<br />

Botschafter <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

Nachdem er sich von heiligen Kriegen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Feudalherrschaft<br />

<strong>der</strong> Kirche abgewandt hatte, begann<br />

Franziskus umherzureisen <strong>und</strong> alle mit seinem<br />

Gruß zu grüßen „Friede <strong>und</strong> Heil“ (Pace e Bene). Er<br />

lud Männer <strong>und</strong> Frauen ein, sich zu versöhnen <strong>und</strong><br />

als Geschwister zu leben. Vor <strong>der</strong> ganzen Stadt, die<br />

sich auf dem Hauptplatz in Bologna versammelt<br />

hatte, stellte Franziskus in den Mittelpunkt seiner<br />

Rede die Pflicht, den Hass auszulöschen <strong>und</strong> einen<br />

neuen <strong>Friedens</strong>vertrag zu schließen. In Arezzo<br />

verjagte er die Dämonen <strong>der</strong> Zwietracht. Und als<br />

in seiner eigenen Stadt Assisi ein Konflikt zwischen<br />

dem Bischof <strong>und</strong> dem Bürgermeister ausbrach, ruhte<br />

er nicht, bis er die beiden Männer miteinan<strong>der</strong><br />

versöhnt hatte.<br />

„Jenen, die das Leben <strong>des</strong> Franziskus von Assisi,<br />

auch nur oberflächlich, charakterisieren wollen“,<br />

schrieb P. Lippert, „scheint es schon von Anfang an<br />

richtig, es als ein Leben <strong>der</strong> Liebe im heiligsten <strong>und</strong><br />

stärksten Sinn zu sehen.“ Tatsächlich war es aber<br />

nicht einfach die Liebe eines Menschen für seinesgleichen,<br />

son<strong>der</strong>n die Liebe Gottes für die Menschen,<br />

die von Franziskus Besitz ergriffen hatte <strong>und</strong><br />

die sich durch ihn in <strong>der</strong> ganzen Welt, wie die Sonne<br />

im Frühling, als eine Gemeinschaft <strong>und</strong> Frieden<br />

schaffende Kraft ausbreitete.<br />

20<br />

Und diese Kraft war ansteckend. Bald war Franziskus<br />

nicht mehr allein. Zehn, dann H<strong>und</strong>erte junger<br />

<strong>und</strong> weniger junger Menschen schlossen sich ihm<br />

an <strong>und</strong> wollten seinem Beispiel folgen. Wie zu<br />

einem Fest eilten sie zu ihm <strong>und</strong> seinem Ideal <strong>der</strong><br />

Armut. Denn am Ende dieses Weges stand die<br />

beglückende Erfahrung <strong>der</strong> Geschwisterlichkeit.<br />

Urheber von Geschwisterlichkeit<br />

Geschwisterlichkeit! Das war es, wonach sie Ausschau<br />

hielten. Sie war das Gesicht <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, den<br />

Franziskus verkündete. Eine große geschwisterliche<br />

Bewegung wuchs in seinem Gefolge. Diese Bewegung<br />

war die Antwort auf einen Wunsch <strong>und</strong> eine<br />

tiefe Sehnsucht jener Zeit. Die Idee <strong>des</strong> Zusammenschlusses<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Geschwisterlichkeit lag in <strong>der</strong> Luft.<br />

War es nicht diese Idee, zusammen mit dem<br />

Wunsch nach Freiheit, die den Aufstand <strong>des</strong> Bürgertums<br />

inspiriert hatte? Indem sie die Macht <strong>der</strong><br />

Feudalherren verwarfen <strong>und</strong> ihre Städte als freie<br />

Kommunen errichteten, strebten die Menschen in<br />

den Städten neue soziale Beziehungen an. Das Feudalregime<br />

kannte nur Beziehungen <strong>der</strong> Unterwerfung:<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen waren immer Untergebene<br />

an<strong>der</strong>er Männer <strong>und</strong> Frauen. Die Kommune,<br />

wie <strong>der</strong> Name besagt, versprach soziale Beziehungen,<br />

die demokratischer, freier, geschwisterlicher<br />

sein würden. Jedenfalls war es das, was sich gewöhnliche<br />

Leute erhofften. Aber diese Hoffnung wurde<br />

bald enttäuscht.<br />

In den freien Kommunen ersetzte die Geldherrschaft<br />

<strong>der</strong> reichen Kaufleute die Herrschaft <strong>der</strong> Feudalherren.<br />

So entzündete die ursprüngliche franziskanische<br />

Bewegung in den Herzen <strong>der</strong> Armen von<br />

neuem die Hoffnung auf echte Geschwisterlichkeit.<br />

Was die Kommunen nicht zu verwirklichen vermochten,<br />

lebten Franziskus <strong>und</strong> seine Brü<strong>der</strong> im<br />

Licht <strong>des</strong> Evangeliums.<br />

Kleine Gemeinschaften, sowohl von Schwestern als<br />

auch von Brü<strong>der</strong>n, vermehrten sich rasch, zuerst in<br />

Italien <strong>und</strong> dann quer durch Westeuropa. Sie<br />

erschienen wie viele Zentren <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Versöhnung. Tatsächlich lebten die Brü<strong>der</strong> eine<br />

zweifache Geschwisterlichkeit: jene untereinan<strong>der</strong>


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

natürlich, aber auch jene mit an<strong>der</strong>en Männern <strong>und</strong><br />

Frauen, denen sie begegneten – <strong>und</strong> ganz beson<strong>der</strong>s<br />

mit den Ärmsten, den Geringsten. Keiner von<br />

ihnen durfte ein Herrscheramt ausüben (NbReg<br />

5,9). „Niemals dürfen wir uns danach sehnen, über<br />

an<strong>der</strong>en zu stehen“, sagte Franziskus, „son<strong>der</strong>n<br />

müssen vielmehr die Knechte <strong>und</strong> Untergebenen<br />

sein …“ (BrGl II, 47). Aus verschiedenen sozialen<br />

Schichten stammend, lernten die Brü<strong>der</strong>, mit<br />

gegenseitigem Respekt vor ihren Verschiedenheiten<br />

miteinan<strong>der</strong> zu leben. Eine solche Gemeinschaft<br />

hatte nichts mit Zwang zu tun. Für Franziskus war<br />

je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> ein individuelles Wesen, eine einzigartige<br />

Persönlichkeit. Geschwisterlichkeit konnte nur<br />

auf <strong>der</strong> Ehrfurcht vor Personen errichtet werden. Es<br />

war immer das Willkommen eines „Du“ in eine<br />

Atmosphäre <strong>des</strong> „Wir“.<br />

Wir können uns heute nicht vorstellen, wie revolutionär<br />

ein solches Projekt zu jener Zeit war. Wir<br />

müssen uns in Erinnerung rufen, dass die Kirche als<br />

ganze eine „Herrenkirche“ war: Der Bischof an <strong>der</strong><br />

Spitze einer Diözese <strong>und</strong> <strong>der</strong> Abt als Haupt eines<br />

Klosters waren wirkliche Feudalherren mit weltlicher<br />

Macht, die sich gelegentlich über ganze<br />

Regionen erstreckte. In diesem Kontext waren die<br />

zahlreichen franziskanischen Gemeinschaften, die<br />

überall in ganz Europa entstanden, wie ein frischer<br />

Wind. Sie waren eine neue Präsenz <strong>der</strong> Kirche in<br />

<strong>der</strong> Welt; eine Präsenz, die eine geschwisterliche<br />

Gemeinschaft schuf, in <strong>der</strong> die Unbedeutendsten<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft ihre Würde <strong>und</strong> ihren Platz wie<strong>der</strong><br />

entdeckten.<br />

Die universale Dimension<br />

<strong>der</strong> Menschheit<br />

Aber <strong>der</strong> Blick <strong>des</strong> Franziskus blieb nicht bei <strong>der</strong><br />

Christenheit stehen. Er sah viel weiter. Er wollte die<br />

ganze Menschheit zu einer weltweiten Gemeinschaft<br />

vereinigen. Zu jener Zeit war die Welt in zwei<br />

Blöcke geteilt: die westliche Christenheit auf <strong>der</strong><br />

einen Seite <strong>und</strong> <strong>der</strong> Islam auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n. Zwischen<br />

diesen beiden Blöcken herrschte Krieg, heiliger<br />

Krieg; es gab Kreuzzüge. Franziskus konnte diese<br />

Spaltung nicht zulassen. Er plante, zwischen den<br />

beiden Blöcken eine Brücke zu bauen. Die Zeit war<br />

nicht günstig für ein solches Unternehmen. Der<br />

fünfte Kreuzzug erreichte gerade seinen Höhepunkt.<br />

War das alles? Franziskus beschloss, zum<br />

Sultan von Ägypten zu reisen. Ein verrückter<br />

Traum. Und unglaublicherweise wurde Franziskus<br />

inmitten eines Kreuzzuges vom Sultan Al-Malik<br />

al-Kamil, dem Oberhaupt <strong>der</strong> Muslime, mit großer<br />

Höflichkeit empfangen. Die zwei Männer zeigten<br />

sich gegenseitig Respekt <strong>und</strong> Wertschätzung. Hätte<br />

man mehr erwarten können? Es war schon sehr viel.<br />

Sehr viel, aber zugleich nicht genug. Die <strong>Friedens</strong>mission<br />

<strong>des</strong> Armen von Assisi war an ihre Grenzen<br />

gestoßen.<br />

Die Erfahrung von Grenzen<br />

<strong>und</strong> von Abgründen<br />

Noch eine weitere Grenze sollte er zu spüren<br />

bekommen. Und diesmal innerhalb seines eigenen<br />

Ordens. Diese Grenze wird Franziskus schmerzlich<br />

<strong>und</strong> tief verw<strong>und</strong>en. Wir müssen ihm durch diese<br />

Prüfung hindurch folgen, durch die seine Gegenwart<br />

vor Gott <strong>und</strong> den Menschen zu einer neuen<br />

Tiefe gereinigt werden sollte. Daraus sollte ein neuer<br />

Mensch geboren werden, einer <strong>der</strong> stärksten <strong>und</strong><br />

wahrhaftigsten <strong>der</strong> menschlichen Geschichte.<br />

Tatsächlich war es nicht genug, Geschwisterlichkeit<br />

unter allen Wesen anzustreben, um die „Einheit <strong>der</strong><br />

Schöpfung“ zu finden. Franziskus musste lernen,<br />

diese Geschwisterlichkeit mit einem befriedeten<br />

Herzen zu ersehnen, einem Herzen, das sich durch<br />

nichts beunruhigen lässt. Kurz, mit dem Herzen<br />

eines Armen. Es war nicht genug zu lieben; er<br />

musste lernen arm zu sein, sogar in <strong>der</strong> Liebe.<br />

Das war die schwerste, aber auch die wichtigste<br />

Lernerfahrung. Der Wunsch, um jeden Preis Erfolg<br />

zu haben, ist selten mehr als Egoismus <strong>und</strong> Selbstliebe,<br />

auch wenn dies dem Zweck dient, Menschen<br />

zusammenzubringen. Dieser Wunsch erzeugt oft<br />

nur neue Ausgrenzung. Darum schwächt er das<br />

Leben eher als ihm zu dienen. An<strong>der</strong>erseits kann<br />

Leben hervorsprudeln, sich ausbreiten <strong>und</strong> in aller<br />

Freiheit schöpferisch sein, wo es frei ist von<br />

Selbstliebe.<br />

In den SCHRIFTEN <strong>des</strong> Franziskus sehen wir die<br />

Beharrlichkeit, mit <strong>der</strong> er gegen Erregung, Verärgerung<br />

<strong>und</strong> Zorn als den Haupthin<strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> Lie-<br />

21


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

be in sich selbst <strong>und</strong> in an<strong>der</strong>en angeht. Er sieht sie<br />

als untrügliche Zeichen einer besitzergreifenden<br />

Haltung, einer heimlichen <strong>und</strong> oft unbewussten<br />

Aneignung (Erm 4,2; 11,2.3; 13,2; 14,3; 27,2).<br />

Man mag sich rein, großzügig, selbstlos vorkommen.<br />

Bis zu dem Tag, an dem ein Wi<strong>der</strong>spruch o<strong>der</strong><br />

Disput aufkommt. Dann wird man aufgewühlt,<br />

verärgert <strong>und</strong> aggressiv. Die Maske fällt. Mit allen<br />

Waffen verteidigt man sein Gut, sein Territorium.<br />

Tatsächlich hat man sich dann das Gute angeeignet,<br />

das <strong>der</strong> Herr durch einen tun konnte: man hat es zu<br />

etwas Persönlichem gemacht.<br />

Wenn Franziskus sich so klar über Aufgewühltsein<br />

<strong>und</strong> Zorn äußerte, wenn er seinen Brü<strong>der</strong>n empfahl,<br />

den Frieden in ihren Herzen zu bewahren<br />

(Erm 15,13; 27,4; NbReg 11,4; 17,15; BReg 3,11;<br />

Sonn 10), so ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass<br />

er selbst durch Aufgewühltsein <strong>und</strong> Zorn versucht<br />

war. Und das auf die heimtückischste Weise: durch<br />

seine eigene Arbeit für Frieden <strong>und</strong> Geschwisterlichkeit.<br />

Durch seine eigene Anstrengung, unter den<br />

Menschen eine wahrhaft geschwisterliche Gemeinschaft<br />

„innerhalb <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Schöpfung“ zu<br />

schaffen.<br />

Erfolg schien ihm zuzulächeln. Die Zahl <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />

nahm ständig zu. Päpste, einer nach dem an<strong>der</strong>en,<br />

zeigten gegenüber dem entstehenden Orden beson<strong>der</strong>es<br />

Wohlwollen. Franziskus hatte allen Gr<strong>und</strong>,<br />

dem Herrn zu danken für das Gute, das er überall<br />

bewirkte durch die heiligen Brü<strong>der</strong> seines Ordens.<br />

Aber dann verdunkelte sich <strong>der</strong> Himmel plötzlich.<br />

Es entstanden ernste Auseinan<strong>der</strong>setzungen innerhalb<br />

<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft. Wegen <strong>der</strong> wachsenden Zahl<br />

<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> wurde eine straffere Organisation<br />

notwendig. Ein gewisses Vagab<strong>und</strong>enleben musste<br />

beendet werden. Häuser <strong>und</strong> Zeiten für Ordensausbildung<br />

wurden notwendig. Nicht alle waren<br />

mit <strong>der</strong> neuen Richtung einverstanden. Franziskus<br />

erkannte wohl, dass fünftausend Brü<strong>der</strong> das Evangelium<br />

nicht in gleicher Weise leben konnten wie die<br />

ersten Zwölf. Aber er sah unter einigen einflussreichen<br />

Brü<strong>der</strong>n auch Anzeichen <strong>des</strong> Wunsches, die<br />

Bru<strong>der</strong>schaft den etablierteren monastischen Orden<br />

anzupassen. In den Augen <strong>des</strong> Franziskus war es<br />

jedoch vor allem notwendig, das Ideal <strong>der</strong> Einfachheit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> evangelischen Freiheit zu erhalten,<br />

wie auch die neue Präsenz in <strong>der</strong> Welt unter dem<br />

Banner <strong>der</strong> geschwisterlichen Gemeinschaft mit den<br />

Geringsten.<br />

22<br />

Dann ergriff eine tiefe Angst Franziskus. Waren sie<br />

in dem Wunsch, die Bru<strong>der</strong>schaft anzupassen,<br />

nicht dabei, sie von ihrer ursprünglichen Berufung<br />

abzubringen? Er sah sein Werk gefährdet <strong>und</strong> von<br />

Leuten übernommen, die seinen Geist nicht<br />

wirklich teilten.<br />

Ein friedfertiger Mann<br />

Diese moralische Krise, die noch durch Krankheit<br />

verstärkt wurde, war für Franziskus <strong>der</strong> notwendige<br />

Weg zu einer radikalen Selbstentäußerung. „Er war<br />

innerlich <strong>und</strong> äußerlich bedrückt, in seiner Seele<br />

<strong>und</strong> in seinem Leib“ (LegPer 21; 1 Cel 104). Er zog<br />

sich in die Einsamkeit einer Einsiedelei zurück, um<br />

seinen Schmerz <strong>und</strong> sein Aufgewühltsein zu verbergen.<br />

Es bestand die Gefahr, dass er sich selbst in Isolation<br />

<strong>und</strong> Bitterkeit verschließen würde. Dort wartete<br />

Gott auf ihn. Franziskus war zu einer äußersten<br />

Läuterung aufgefor<strong>der</strong>t. Er musste sein Werk aufgeben,<br />

um selbst zum Werk Gottes zu werden. Er sollte<br />

den Orden nicht länger als seine Sache betrachten,<br />

son<strong>der</strong>n als die Sache Gottes. „Lass dich nicht<br />

erschüttern... Ich bin <strong>der</strong> Herr.“ Franziskus hörte<br />

den Ruf. Er warf seine Sorge auf den Herrn. Gott<br />

IST– das ist genug. Da wurde das Herz <strong>des</strong> Franziskus<br />

leicht.<br />

Von da an konnte er sich mit einem befriedeten<br />

Herzen seiner <strong>Friedens</strong>mission hingeben. Mit<br />

strahlen<strong>der</strong> Seele. Nicht die Gründung einer vorbildlichen<br />

Gemeinschaft war jetzt wichtig, son<strong>der</strong>n<br />

dass er selbst ein geschwisterlicher Mensch war,<br />

<strong>der</strong> die Güte Gottes ausstrahlte. Jetzt konnte Franziskus<br />

wirklich schreiben: „… Jene sind in Wahrheit<br />

friedfertig, die bei allem, was sie in dieser Welt<br />

erleiden, um <strong>der</strong> Liebe unseres Herrn Jesus Christus<br />

willen in Geist <strong>und</strong> Leib den Frieden bewahren“<br />

(Erm 15).<br />

Einem Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> für eine Gemeinschaft Verantwortung<br />

hatte <strong>und</strong> <strong>der</strong> Franziskus unter dem Vorwand,<br />

dass seine Mitbrü<strong>der</strong> ihm alle möglichen<br />

Unannehmlichkeiten verursachten <strong>und</strong> ihn so von<br />

<strong>der</strong> Liebe <strong>des</strong> Herrn abhielten, um Erlaubnis bat,<br />

sich in die Einsamkeit einer Einsiedelei zurückzuziehen,<br />

konnte Franziskus mit <strong>der</strong> Autorität antworten,<br />

die nur persönliche Erfahrung vermitteln


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

kann: „… Alles, was dich hin<strong>der</strong>t, Gott den Herrn<br />

zu lieben, <strong>und</strong> wer immer dir Schwierigkeiten<br />

machen mag, entwe<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, auch<br />

wenn sie dich schlagen sollten, alles musst du für<br />

Gnade halten … Und liebe jene, die dir solches<br />

antun. … Und darin liebe sie … Und dies soll dir<br />

mehr sein als eine Einsiedelei …“ (BrMin 2.7-8).<br />

Die Einheit <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Von da an konnte nichts den friedvollen Blick <strong>des</strong><br />

Franziskus begrenzen. Nichts konnte dem Wirken<br />

<strong>des</strong> Geistes in ihm entgegentreten. Er war frei wie<br />

<strong>der</strong> Wind. Er schrieb einen Brief „allen, die in <strong>der</strong><br />

ganzen Welt wohnen“ <strong>und</strong> wünschte ihnen „den<br />

wahren Frieden vom Himmel“ (BrGl II, 1). Nichts<br />

zeigt das Maß seines Horizonts besser. Aber er wollte<br />

nicht nur die Menschen im Frieden vereinen. Er<br />

wollte diesen Frieden auf die gesamte Schöpfung<br />

ausdehnen <strong>und</strong> die Menschen mit <strong>der</strong> Natur versöhnen.<br />

Dieser Wunsch nach einer geschwisterlichen<br />

Präsenz in <strong>der</strong> Welt findet seinen Ausdruck im<br />

SONNENGESANG o<strong>der</strong>, wie dieser auch genannt wird,<br />

im GESANG DER GESCHÖPFE.<br />

Dieser GESANG, den Franziskus im Abendlicht<br />

seines Lebens schuf, ist ein wahres geistliches Testament.<br />

Er ist Ausdruck einer großen Aufwallung <strong>des</strong><br />

Lobes. Der kleine Arme lobt Gott für alle seine<br />

Geschöpfe. Dieses Lob hat die Strahlkraft <strong>der</strong> Sonne,<br />

die milde Klarheit <strong>der</strong> Sterne, die Flügel <strong>des</strong><br />

Win<strong>des</strong>, die Demut <strong>des</strong> Wassers, die Kraft <strong>des</strong> Feuers<br />

<strong>und</strong> die Geduld <strong>der</strong> Erde. Es feiert die Schönheit<br />

<strong>der</strong> Welt. Dreimal wird das Adjektiv „schön“ in diesem<br />

Gesang wie<strong>der</strong>holt. Das kosmische Lob folgt<br />

<strong>der</strong> wahren Tradition <strong>der</strong> biblischen Gesänge <strong>und</strong><br />

Psalmen. Es beinhaltet jedoch auch etwas Neues:<br />

den Wunsch nach geschwisterlicher Gemeinschaft.<br />

Franziskus steht mit den Geschöpfen in einem<br />

geschwisterlichen Dialog. Er verwirft jeglichen<br />

Geist <strong>der</strong> Herrschaft <strong>und</strong> heißt alle Geschöpfe als<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern willkommen. Er sieht sie<br />

in ihrer höchsten Bestimmung. Mit ihnen erhebt<br />

er sich im Lobpreis zu Gott.<br />

Diese geschwisterliche Gemeinschaft mit den<br />

Geschöpfen ist we<strong>der</strong> Sentimentalität noch Träumerei.<br />

Sie wi<strong>der</strong>setzt sich nicht dem Gebrauch <strong>der</strong><br />

natürlichen Ressourcen <strong>und</strong> ihrer sinnvollen Ver-<br />

wendung durch Menschen. Man könnte sogar<br />

sagen, dass – gemäß dem Franziskus – materielle<br />

Elemente umso geschwisterlicher sind, je mehr sie<br />

für Menschen nützlich sind. Franziskus feiert die<br />

Nützlichkeit <strong>der</strong> Geschöpfe ebenso wie ihre Schönheit.<br />

Er begrüßt Schwester Wasser als „sehr nützlich“.<br />

Ähnlich Bru<strong>der</strong> Wind, <strong>des</strong>sen Atem Leben ist,<br />

o<strong>der</strong> unsere Schwester, Mutter Erde, die uns<br />

ernährt, indem sie viele Arten von Früchten hervorbringt.<br />

Aus dieser geschwisterlichen Gemeinschaft mit den<br />

Geschöpfen spricht eine große Liebe zum Leben,<br />

die mit <strong>der</strong> <strong>des</strong> Schöpfers zu seinem Werk verwandt<br />

ist <strong>und</strong> in sie einmündet. Von daher kam auch die<br />

religiöse Ehrfurcht <strong>des</strong> Franziskus vor allem, was<br />

lebt <strong>und</strong> existiert. Seinen Brü<strong>der</strong>n, die zum Holzhacken<br />

in den Wald gingen, empfahl er, keine<br />

Wüste zu hinterlassen, son<strong>der</strong>n dem Leben die<br />

Möglichkeit zu geben, von neuem in neuem Blätterwerk<br />

auszuschlagen. Er verurteilte alle menschliche<br />

Gier, welche die Erde plün<strong>der</strong>t <strong>und</strong> Leben<br />

quält. Wie oft schenkte er Tieren, die unnötig<br />

gefangen worden waren, ihre Freiheit zurück!<br />

23


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

Über jeden Konflikt erhaben<br />

Jene, die mit den Geschöpfen geschwisterlich umgehen,<br />

öffnen sich zugleich all dem, was diese<br />

Geschöpfe darstellen. Sie akzeptieren geschwisterlich<br />

jenen dunklen Teil in sich selbst, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Erde verwurzelt ist: mit ihrem Körper <strong>und</strong> mit all<br />

ihren Lebenskräften. Franziskus verwarf nichts,<br />

son<strong>der</strong>n bezog alles in seine Hinwendung zu Gott<br />

ein. Sein geistliches Leben spielte sich nicht in<br />

einem separaten Universum ab. Er ging zu Gott mit<br />

seinen kosmischen Wurzeln, mit seiner „Schwester,<br />

Mutter Erde, die uns ernährt <strong>und</strong> lenkt.“ Alle<br />

Dualität war überw<strong>und</strong>en. Die dunklen Kräfte<br />

<strong>des</strong> Lebens waren hier verwandelt. Sie wurden zu<br />

Kräften <strong>des</strong> Lichts. Sie hatten das Furchterregende<br />

verloren. Der Wolf war gezähmt. Nicht nur <strong>der</strong><br />

Wolf, <strong>der</strong> in den Wäl<strong>der</strong>n umherstreifte, son<strong>der</strong>n<br />

auch <strong>und</strong> vor allem jener, <strong>der</strong> in jedem von uns verborgen<br />

ist. Die Aggressivität <strong>des</strong> Lebens war umgewandelt<br />

in die Kraft zu lieben. Diese Kraft ist es, die<br />

in „Bru<strong>der</strong> Feuer“ singt, das die Nacht erleuchtet:<br />

„es ist schön <strong>und</strong> liebenswürdig <strong>und</strong> kraftvoll <strong>und</strong><br />

stark“ (Sonn 8).<br />

Wer mit sich selbst im Frieden ist, kann sich mit<br />

all seinen Artgenossen verschwistern. Franziskus<br />

wollte seinem Schöpfungsloblied auch das Lob <strong>der</strong><br />

Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong> anfügen. Diese preist er als die krönende<br />

Herrlichkeit <strong>des</strong> Schöpfungswerkes:<br />

„Gepriesen seist du, mein Herr,<br />

durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen<br />

<strong>und</strong> Schwachheit ertragen <strong>und</strong> Drangsal.<br />

Selig jene, die solches ertragen in Frieden,<br />

denn von dir, Erhabenster, werden sie gekrönt.“<br />

24<br />

Der SONNENGESANG ist die Sprache eines Menschen,<br />

<strong>der</strong> offen ist gegenüber seinem ganzen Sein,<br />

neu geboren als eine vollendete Persönlichkeit, in<br />

<strong>der</strong> die Kräfte <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Begehrens integriert<br />

sind. Sie sind zu Kräften <strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Lichtes geworden. Das gab dem geistlichen Leben<br />

<strong>des</strong> Franziskus zusätzlich zu seiner Fülle eine sonnengleiche<br />

Strahlkraft.<br />

Franziskus entdeckte den leuchtenden Sinn <strong>der</strong><br />

Schöpfung durch die innere Erfahrung eines neuen<br />

Werdens. „Er schien,“ schrieb Celano „wirklich ein<br />

neuer Mensch zu sein <strong>und</strong> aus einer an<strong>der</strong>en Welt<br />

zu stammen“ (1 Cel 82). Sein SONNENGESANG<br />

ist nicht nur eine volltönende Ehrbezeugung<br />

gegenüber dem Schöpfer, er ist auch die Feier <strong>des</strong><br />

Werdens. Er besingt die neue Schöpfung im Herzen<br />

<strong>des</strong> geschwisterlichen Menschen. Das Geheimnis<br />

dieser göttlichen Morgendämmerung ist die Armut,<br />

die Franziskus lebte, nicht nur hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Güter dieser Welt, son<strong>der</strong>n noch tiefer im Herzen<br />

seiner Beziehung zu Gott. Indem er Gott Gott sein<br />

ließ <strong>und</strong> sich selbst ihm ganz übergab, identifizierte<br />

er sich mit <strong>der</strong> totalen <strong>und</strong> liebenden Präsenz<br />

<strong>des</strong> Schöpfers in seinem Werk.<br />

Eloi Leclerc <strong>OFM</strong>


■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />

Min<strong>der</strong>sein,<br />

Option für die Armen<br />

<strong>und</strong> unsere Arbeit<br />

für den Frieden<br />

1. Bewusstwerdung<br />

Armut war immer schon Teil <strong>des</strong> franziskanischen<br />

Charisma. Franziskus selbst ruft häufig diese unsere<br />

Berufung mit den Worten in Erinnerung: „dass wir<br />

die Armut <strong>und</strong> Demut <strong>und</strong> das heilige Evangelium<br />

unseres Herrn Jesus Christus beobachten, wie wir<br />

fest versprochen haben“ (BReg 12,4). Das Verständnis<br />

<strong>und</strong> die Praxis <strong>des</strong> franziskanischen Lebens<br />

nach dem Evangelium haben sich jedoch mit <strong>der</strong><br />

Zeit verän<strong>der</strong>t. Angefangen von <strong>der</strong> päpstlichen<br />

Erklärung über die Beobachtung <strong>der</strong> Regel<br />

(QUO ELONGATI, 1230, von Gregor IX.) bis zu<br />

unseren vorkonziliaren Generalkonstitutionen, lag<br />

<strong>der</strong> Hauptakzent auf <strong>der</strong> buchstabengetreuen Erfüllung<br />

<strong>der</strong> Regel nach einer juristisch-moralischen<br />

Interpretation. Gr<strong>und</strong>sätzlich bestand Armut darin,<br />

kein Eigentum zu besitzen <strong>und</strong> nur begrenzt von<br />

Dingen Gebrauch zu machen, d.h. immer mit<br />

Erlaubnis <strong>des</strong> Provinzials o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Guardians. Es<br />

gab eine Unterscheidung zwischen Gelübde <strong>und</strong><br />

Tugend, aber beide Aspekte hatten dieselbe Sichtweise:<br />

das Ordensleben als ein Weg <strong>der</strong> christlichen<br />

Vollkommenheit innerhalb eines objektiven,<br />

institutionellen Rahmens.<br />

Was geschah sogleich nach dem Zweiten Vatikanischen<br />

Konzil? Anfänglich glaubten wir, es sei nichts<br />

weiter zu tun, als einige Punkte <strong>der</strong> Regelbeobachtung<br />

neu anzupassen. Jetzt sind wir uns bewusst,<br />

dass <strong>der</strong> Orden einen schwierigen Prozess, eine radikale<br />

Neugeburt o<strong>der</strong> Neuschöpfung seiner eigenen<br />

Identität durchläuft.<br />

So wollen wir über MINDERSEIN reden:<br />

Es genügt nicht, die Vorschriften <strong>und</strong> Anregungen<br />

<strong>der</strong> Regel zu beobachten. Vielmehr geht es um die<br />

Frage <strong>der</strong> Option für die Armen.<br />

Strenge genügt nicht. Wir müssen einen Lebensstil<br />

entwickeln, <strong>der</strong> uns in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft<br />

zu „Min<strong>der</strong>en“ macht.<br />

Der Gebrauch von Dingen im Gehorsam gegenüber<br />

den Vorgesetzten genügt nicht. Vielmehr sind<br />

wir berufen, <strong>Gerechtigkeit</strong> zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Boten<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu sein.<br />

Es genügt nicht, nach <strong>der</strong> Vollkommenheit <strong>des</strong><br />

Armutsgelüb<strong>des</strong> Ausschau zu halten. Wir müssen<br />

einen Weg entdecken, die Seligpreisungen <strong>des</strong><br />

Gottesreiches heute in einer Welt <strong>der</strong> Konflikte, <strong>der</strong><br />

Ungerechtigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Säkularisierung zu leben.<br />

Zweifellos ist Min<strong>der</strong>sein eine geistliche Haltung,<br />

aber es ist auch eine Art, das Evangelium zu leben.<br />

Geschieht das wirklich?<br />

2. Analyse<br />

Es scheint, dass zwei Faktoren diese Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Sichtweise beeinflussen:<br />

A. Neues kirchliches Bewusstsein<br />

Wir können von einer neuen „Verschiebung“ <strong>der</strong><br />

evangelischen Akzente sprechen. Jede Epoche liest<br />

das Evangelium neu; heute setzt man folgende<br />

bedeutsamen Schwerpunkte:<br />

1. Die Heilsgeschichte ist Handeln Gottes zugunsten<br />

<strong>der</strong> Armen. Das Reich Gottes,<br />

die Gute Nachricht für die Verachteten.<br />

Messianische Bevorzugung <strong>und</strong> Optionen von<br />

seiten Jesu.<br />

2. Wenn dies Gottes Art <strong>des</strong> Handelns ist <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong>halb auch die Sendung <strong>der</strong> Kirche in <strong>der</strong><br />

Nachfolge Jesu, was ist dann die Bedeutung<br />

<strong>des</strong> Ordenslebens heute? Besteht Nachfolge<br />

Christi, das Herzstück unserer Berufung – in<br />

einer persönlichen Beziehung; in <strong>der</strong> Übernahme<br />

<strong>der</strong> Haltungen Jesu <strong>und</strong> seiner Tugenden<br />

nach Art asketischer Übungen ohne Bezug zur<br />

Geschichte? – o<strong>der</strong> sind wir berufen, den Fußspuren<br />

Jesu, <strong>der</strong> Dynamik <strong>des</strong> Gottesreiches<br />

in den aktuellen Situationen unserer Welt zu<br />

folgen?<br />

25


■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />

3. Es gibt Anzeichen, die diese Verschiebung<br />

bestätigen:<br />

■ die Theologie <strong>des</strong> Gottesreiches als<br />

integrale, nicht ausschließlich spirituelle<br />

Befreiung;<br />

■ die Suche nach einem Kirchenmodell, das<br />

mehr auf Mitbestimmung <strong>und</strong> Gleichheit<br />

beruht;<br />

■ die Schaffung <strong>und</strong> Festigung von Basisgemeinschaften;<br />

■ das ständige Bemühen von Seiten <strong>der</strong><br />

Ordensgemeinschaften um eine Präsenz<br />

unter den ärmeren Schichten <strong>und</strong> in<br />

Randgebieten („Fraternitäten“);<br />

■ die Ausbreitung dieser sogenannten<br />

„Fraternitäten“;<br />

■ die Teilnahme am Kampf um die Wahrung<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte;<br />

■ die Annahme <strong>des</strong> Prinzips <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit<br />

als Methode für sozio-politische<br />

Verän<strong>der</strong>ung.<br />

B. Sozio-kultureller Kontext<br />

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nimmt die<br />

Kirche eine positive Haltung ein in Bezug auf die<br />

Welt <strong>und</strong> ihre Hoffnungen. Seit einiger Zeit hat die<br />

menschliche Geschichte einen Prozess <strong>der</strong> Selbstbefreiung<br />

eingeleitet, <strong>der</strong> gewisse bezeichnende<br />

Merkmale angenommen hat:<br />

1. Je<strong>der</strong> Mensch hat eine unveräußerliche Würde<br />

<strong>und</strong> Rechte, die von je<strong>der</strong> zivilen o<strong>der</strong> religiösen<br />

Autorität respektiert werden müssen. Das erste<br />

Recht ist jenes auf Freiheit, seine eigene<br />

Geschichte zu gestalten.<br />

2. Gleichheit <strong>und</strong> Solidarität sind unwi<strong>der</strong>rufliche<br />

Werte menschlichen Fortschritts. Es besteht ein<br />

Verdacht, dass in je<strong>der</strong> Ungleichheit eine Ungerechtigkeit<br />

wohnt. Eine Haltung <strong>der</strong> Teilnahme<br />

an sozialen <strong>und</strong> politischen Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

3. Ein Gespür für Menschengruppen, welche<br />

die Freiheit nicht erlangen können: das „Proletariat”,<br />

Menschen aus ehemaligen Kolonien,<br />

Frauen, die Dritte Welt <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Gruppen.<br />

Diese weitverbreitete Bewegung, die zur westlichen<br />

Mo<strong>der</strong>ne gehört, war anfänglich charakterisiert<br />

durch einen überschwenglichen Optimismus, wurde<br />

aber bald zu einer Quelle von Wi<strong>der</strong>sprüchen,<br />

die Konflikte auslösten. (Zum Beispiel die Konfrontation<br />

zwischen dem liberalen Kapitalismus <strong>und</strong><br />

26<br />

dem Sozialismus). Später hat sie eine tiefe Ernüchterung<br />

hinsichtlich jeden Versuchs einer sozialen<br />

Utopie (Postmo<strong>der</strong>ne) hervorgerufen.<br />

Innerhalb <strong>des</strong> Ordenslebens heute stellen wir eine<br />

an<strong>der</strong>e Bewertung <strong>des</strong> sozialen Engagements fest.<br />

Aber es ist sicher, dass unser Orden in den gegenwärtigen<br />

GG.CC. viele Aspekte <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Humanismus integriert hat. Die Kapitel IV <strong>und</strong> V<br />

zeigen das sehr klar. Das bedeutet, dass wir Franziskaner<br />

eine Abklärung <strong>des</strong> sozio-kulturellen Kontextes,<br />

in dem wir heute leben, vorgenommen <strong>und</strong><br />

daraus gewisse Optionen abgeleitet haben, weil wir<br />

überzeugt sind, dass sie dem ursprünglichen „Evangeliums-Projekt“<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Bewegung<br />

entsprechen.<br />

Tatsächlich glauben wir, dass Min<strong>der</strong>sein, insoweit<br />

es einen neuen Weg nach vorn aufzeigt, wie ihn<br />

viele Brü<strong>der</strong> spüren <strong>und</strong> wie ihn die GG.CC. umschreiben,<br />

Franziskus <strong>und</strong> seinem Projekt treu<br />

entspricht, obwohl es vielleicht „Regel <strong>und</strong> Leben“<br />

nicht buchstäblich wie<strong>der</strong>gibt.<br />

3. Im Licht von Leben <strong>und</strong> Regel<br />

Die Regula Bullata 3,10-14 zeigt eine Synthese<br />

<strong>der</strong> Charakteristika <strong>der</strong> franziskanischen Sendung:<br />

„Ich rate aber meinen Brü<strong>der</strong>n, warne <strong>und</strong> ermahne<br />

sie im Herrn Jesus Christus, sie sollen, wenn sie<br />

durch die Welt gehen, nicht streiten, noch sich in<br />

Wortgezänk einlassen (vgl. 2 Tim 2,14), noch<br />

an<strong>der</strong>e richten. Vielmehr sollen sie milde, friedfertig<br />

<strong>und</strong> bescheiden, sanftmütig <strong>und</strong> demütig sein <strong>und</strong><br />

anständig reden mit allen, wie es sich gehört. Und<br />

sie dürfen nicht reiten, falls sie nicht durch offenbare<br />

Not o<strong>der</strong> Schwäche gezwungen werden.<br />

Kommen sie in ein Haus, sollen sie zuerst sagen:<br />

‚Friede diesem Hause‘ (vgl. Lk 10,5). Und nach<br />

dem heiligen Evangelium soll es erlaubt sein, von<br />

allen Speisen zu essen, die ihnen vorgesetzt werden<br />

(vgl. Lk 10,8).“<br />

Zusammengefasst heißt das also, dass die franziskanische<br />

Sendung in unserem Min<strong>der</strong>sein besteht,<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Text unterstreicht die großen Themen,<br />

die sich aus dieser Sendung <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins ableiten.


■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />

3.1. Sendung <strong>und</strong> Unterwegssein.<br />

Franziskanisches Leben ist keine „Mischung“, d.h.<br />

eine Art Gleichgewicht zwischen Kontemplation<br />

<strong>und</strong> Aktion im Stil <strong>der</strong> regulierten Kleriker jener<br />

Zeit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> späteren halb-monastischen Lebensformen.<br />

Unser Kloster ist die ganze weite Welt <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> Gottes, unserer Geschwister (SC 63); unser<br />

Haus ist die Brü<strong>der</strong>gemeinschaft. Folglich hat unsere<br />

Sendung keine konkrete Funktion zu erfüllen,<br />

wie z.B. Predigt, Fürsorge, Erziehung, Werke <strong>der</strong><br />

Barmherzigkeit im Rahmen einer gut organisierten<br />

Institution. Wir sollen in einem ständigen Zustand<br />

<strong>des</strong> Gesandtseins leben. Dazu ist eine Lebensweise<br />

ohne festgelegtes Eigentum eine Hilfe.<br />

3.2. Sendung <strong>und</strong> Einglie<strong>der</strong>ung.<br />

Wir brauchen Beweglichkeit, wie Jesus, <strong>der</strong> nichts<br />

hatte, „wo er sein Haupt hinlegen“ konnte<br />

(Lk 9,58). Min<strong>der</strong>sein macht uns mit den Geringsten<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft solidarisch (vgl. NbReg 9).<br />

So geschah unsere Erlösung, „von innen her“, die<br />

menschliche Situation annehmend <strong>und</strong> das Verlorene<br />

suchend (BrGl II, 45; Erm 6; 9; 11).<br />

3.3. Sendung <strong>und</strong> Seligpreisungen.<br />

Die Wechselbeziehung zwischen den Evangelientexten,<br />

die sich auf Mission beziehen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bergpredigt<br />

ist nicht willkürlich. Warum hat Franziskus<br />

das franziskanische Apostolat als ein Leben bezeichnet,<br />

das sich auf die Selig-preisungen Jesu gründet?<br />

Die Antwort ist klar: Die Brü<strong>der</strong> sind zu den<br />

Menschen gesandt, um „Min<strong>der</strong>e“ zu sein. Das ist<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, warum das Beispiel Priorität vor dem<br />

kirchlichen Amt hat – nicht als Ausschluss, son<strong>der</strong>n<br />

als bewusster Vorzug. Das Dringlichste für das<br />

Reich Gottes ist, dass es unter den Völkern Wirklichkeit<br />

wird, dass die Brü<strong>der</strong> Jünger Jesu werden<br />

<strong>und</strong> ihn durch das Zeugnis ihres Lebens verkünden<br />

(BrOrd 9;Test 19; LegPer 58; 103).<br />

3.4. Sendung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />

Der ganze christliche Dienst kann im Begriff<br />

<strong>der</strong> Versöhnung zusammengefasst werden<br />

(2 Kor 5; Eph 2); aber die Option <strong>des</strong> Franziskus<br />

liegt darin, dass er diese durch gewaltloses Verhalten<br />

verständlich machen will, das lieber Ungerechtigkeit<br />

erleidet als Spaltungen schafft <strong>und</strong> sich auf<br />

jene Liebe verlässt, die uneingeschränkt wartet<br />

<strong>und</strong> erträgt; mit an<strong>der</strong>n Worten, die den Fußspuren<br />

Jesu folgt, <strong>der</strong> unsere Sünden trug (Erm 5; 15;<br />

VollFreud; NbReg 16; 22,1-4; BReg 10,7-12;<br />

Test 23).<br />

In Wirklichkeit ist dieser Prozess in <strong>der</strong> Berufung<br />

<strong>des</strong> Franziskus untrennbar mit <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Armut<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> Leidens verb<strong>und</strong>en. Die Lebensbeschreibung<br />

seiner Gefährten stellt fest, dass sein Mitgefühl<br />

für die Notleidenden seiner Bekehrung vorausging.<br />

Die entscheidenden Schritte in jener Bekehrung<br />

waren geprägt von einem fortschreitenden<br />

Sicheinfügen in den Zustand <strong>der</strong> Unglücklichsten:<br />

<strong>der</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettler. Trotz <strong>der</strong> betont<br />

spirituellen Interpretation, welche die Biographen<br />

<strong>der</strong> Vision vor dem Kruzifix von San Damiano<br />

gaben, müssen wir diese ohne Zweifel in Zusammenhang<br />

sehen mit dem Bewusstsein, das<br />

Franziskus gewonnen hatte, dem Bewusstsein <strong>der</strong><br />

Identifikation in <strong>der</strong> Nachfolge <strong>des</strong> armen <strong>und</strong><br />

demütigen Jesus, <strong>der</strong> den Lebensstil <strong>der</strong> „Min<strong>der</strong>en“<br />

geteilt hatte (DreiGef 3; 11-14; 2 Cel 8-12;<br />

Test 1-5).<br />

Die franziskanische Bewegung war im Kontext<br />

sozialer Ausgrenzung <strong>und</strong> im Dienst an den Niedrigen<br />

geboren worden. Das ursprüngliche Projekt<br />

<strong>und</strong> Leben, nämlich die nichtbestätigte Regel, setzt<br />

das als wesensgemäße <strong>und</strong> entschiedene Option<br />

voraus (2,7; 7,1; 7,13-14; 8,8-11; 9,2; 11). Trotz<br />

Neuinterpretation einiger Anekdoten hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Armut, die uns Celano hinterlassen hat, ist<br />

dies offensichtlich doch die ursprüngliche Inspiration:<br />

die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> helfen den Armen<br />

nicht karitativ, sie identifizieren sich mit ihnen<br />

(2 Cel 84-85; 87; 92). Es ist klar, dass es Franziskus<br />

angesichts <strong>der</strong> Verantwortung, seinen Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

dem zahlenmäßigen <strong>und</strong> kirchlichen Aufblühen<br />

<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft zu dienen, kaum möglich war, sich<br />

seiner bevorzugten Sendung zu widmen. Aber er<br />

beharrt doch mit Nachdruck auf dem Prinzip <strong>des</strong><br />

Min<strong>der</strong>seins: dass die Brü<strong>der</strong> ohne die Erlaubnis <strong>des</strong><br />

Bischofs nicht predigen dürfen o<strong>der</strong> wenn es ihnen<br />

irgendein Priester verbot; dass sie niedrige Tätigkeiten<br />

im pastoralen Dienst o<strong>der</strong> körperliche Arbeit<br />

wählen sollen. Ihre Rolle ist es nicht, irgend etwas<br />

zu besitzen, son<strong>der</strong>n „Buße zu tun“ <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>e<br />

zu sein (BReg 9; Test 7-8; LegPer 20; 58; 2 Cel 146-<br />

147; Test 24-26).<br />

27


■ Min<strong>der</strong>sein, Option für die Armen <strong>und</strong> unsere Arbeit für den Frieden<br />

4. Im Licht <strong>der</strong> Generalkonstitutionen<br />

Obwohl es fremd anmuten mag, passt die Bedeutung,<br />

die das Thema Min<strong>der</strong>sein in unserer gegenwärtigen<br />

Lebensregel, den Generalkonstitutionen<br />

angenommen hat, direkter zur ursprünglichen<br />

franziskanischen Bewegung als zu einer Regelbeobachtung,<br />

bei <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>sein auf eine Askese<br />

<strong>der</strong> Armut reduziert ist.<br />

Da das Thema weitläufig ist <strong>und</strong> es später unter<br />

seinen spezifischen Aspekten behandelt werden<br />

wird, wollen wir uns hier darauf beschränken, skizzenhaft<br />

die Dynamik zu umschreiben, welche die<br />

GG.CC. zur gegenwärtigen Erneuerung <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Berufung zum Min<strong>der</strong>sein beitragen.<br />

1. Die Definition unseres Charismas (Art. 1,2)<br />

behandelt Min<strong>der</strong>sein als ein gestalten<strong>des</strong> Element<br />

in <strong>der</strong> Nachfolge Christi, das eng verb<strong>und</strong>en<br />

ist mit Evangelisierung durch Engagement<br />

für Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

2. Das Gelübde <strong>der</strong> Armut wird nicht nur im juristisch-moralischen<br />

o<strong>der</strong> asketischen Sinn, son<strong>der</strong>n<br />

als Teilhabe am Los <strong>der</strong> Armen verstanden<br />

(Art. 8).<br />

3. Der Geist <strong>der</strong> Buße/Umkehr wurzelt nicht nur<br />

im inneren Sein, son<strong>der</strong>n auch im Dienst an<br />

den Geringsten <strong>der</strong> Menschen (Art. 32).<br />

4. Unsere Nachfolge Jesu ist eine Nachfolge <strong>des</strong><br />

Min<strong>der</strong>seins, als Jünger, welche die Seligpreisungen<br />

<strong>des</strong> Gottesreiches in <strong>der</strong> Welt leben:<br />

als Diener aller, sich unterordnend, friedlich<br />

<strong>und</strong> demütig (Art. 64). Wir wollen die Aussage<br />

in BReg 3 („sie sollen durch die Welt gehen“)<br />

beachten, die ein Leben voraussetzt, das nicht<br />

auf Klostergebäude festgelegt ist.<br />

28<br />

5. Art. 65 gibt die theologische Basis unseres<br />

Min<strong>der</strong>seins, ohne die je<strong>der</strong> Lebensentwurf <strong>und</strong><br />

je<strong>des</strong> Engagement für die Armen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

beeinträchtigt ist.<br />

6. Die Berufung zum Min<strong>der</strong>sein wird praktisch<br />

ausgestaltet, indem das Leben <strong>und</strong> die Bedingungen<br />

<strong>der</strong> Geringen in <strong>der</strong> Gesellschaft angenommen<br />

werden.<br />

7. Diese Dynamik <strong>der</strong> „Inkarnation“ darf nicht<br />

verwechselt werden mit unkritischer Annahme<br />

von weltlichen Werten (Art. 67).<br />

8. Die Option für Lebensformen, die als „Präsenz“<br />

bezeichnet werden (<strong>und</strong> die nicht eigens<br />

gerechtfertigt werden müssen durch spezifische<br />

Aufgaben: vgl. Art. 83-84), gehört zur Sendung<br />

für Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Das erste Zeichen<br />

franziskanischer Treue ist das Prinzip <strong>der</strong><br />

Gewaltlosigkeit (Art. 68-69). Dies setzt ein<br />

Herz voraus, das auf das Evangelium ausgerichtet<br />

ist <strong>und</strong> versöhnt mit allen Menschen <strong>und</strong><br />

mit <strong>der</strong> Schöpfung (Art. 70-71).<br />

So ist dies eine Dynamik <strong>des</strong> Zeugnisses <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Handelns, getragen von <strong>der</strong> gleichen Evangeliums-<br />

Erfahrung <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins. Es gibt noch viele an<strong>der</strong>e<br />

Beispiele in den Kapiteln IV <strong>und</strong> V <strong>der</strong> GG.CC.,<br />

welche die Dynamik <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins ergänzen <strong>und</strong><br />

bestätigen. Die aufgezählten mögen jedoch genügen,<br />

um uns die Herausfor<strong>der</strong>ungen bewusst zu<br />

machen, welche die gegenwärtigen Generalkonstitutionen<br />

für das franziskanische Leben im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

darstellen.<br />

Javier Garrido <strong>OFM</strong>


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung in<br />

Evangelisierung <strong>und</strong><br />

Ordensausbildung<br />

Evangelisierung <strong>und</strong> GFBS<br />

Das Wort „Evangelisierung“ war in katholischen<br />

Kreisen bis zur Publikation von EVANGELII NUNTI-<br />

ANDI nicht gebräuchlich. Dieses Schreiben hatte<br />

Papst Paul VI. aus Anlass <strong>des</strong> 10. Jahrestages <strong>des</strong><br />

Abschlusses <strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils im<br />

Jahr 1975 veröffentlicht. Im Jahrzehnt vor dem<br />

Zweiten Vatikanischen Konzil <strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong><br />

Entchristlichung <strong>des</strong> Westens hatten einige europäische<br />

Theologen, darunter Karl Barth, eine kerygmatische<br />

Theologie gefor<strong>der</strong>t: eine überzeugte Verkündigung<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>botschaft <strong>der</strong> Erlösung durch<br />

den Glauben an Jesus Christus. Die Predigten von<br />

Petrus <strong>und</strong> Paulus, wie sie in <strong>der</strong> Apostelgeschichte<br />

nie<strong>der</strong>geschrieben sind, wurden für diese Basis-<br />

Evangelisierung als Musterbeispiele verwendet.<br />

Das Zweite Vatikanische Konzil, ein vorwiegend<br />

„pastorales“ Konzil, baute auf dieser Erfahrung<br />

europäischer, katholischer <strong>und</strong> protestantischer<br />

Pastoraltheologen auf <strong>und</strong> betonte eine am Evangelium<br />

orientierte Ausdrucksweise. Ein Vergleich mit<br />

dem Ersten Vatikanischen Konzil ist aufschlussreich;<br />

dieses verwendete das Wort „Evangelium“ nur<br />

ein einziges Mal <strong>und</strong> die Wörter „evangelisieren“<br />

o<strong>der</strong> „Evangelisierung“ überhaupt nicht.<br />

Demgegenüber verwendete das Zweite Vatikanische<br />

Konzil das Wort „Evangelium“ 157 mal, „evangelisieren“<br />

18 mal <strong>und</strong> „Evangelisierung“ 31 mal.<br />

Das Konzept Paul VI. zu „Evangelisierung“ ist<br />

breiter als das <strong>der</strong> kerygmatischen Theologen, die<br />

darunter die „erste Verkündigung“ verstanden, <strong>der</strong><br />

dann Katechese folgte. Für Paul VI. ist Evangelisierung<br />

die „Gnade <strong>und</strong> … tiefste Identität <strong>der</strong> Kirche;<br />

sie IST DA, UM ZU EVANGELISIEREN, d.h. um zu<br />

predigen <strong>und</strong> zu unterweisen, Mittlerin <strong>des</strong><br />

Geschenkes <strong>der</strong> Gnade zu sein, die Sün<strong>der</strong> mit Gott<br />

zu versöhnen, das Opfer Christi in <strong>der</strong> heiligen<br />

Messe immer gegenwärtig zu setzen“ (EN 14).<br />

Evangelisierung verkündet „Heil“, das – <strong>und</strong> das<br />

ist sehr wichtig für unser Thema – verstanden<br />

wird als „dieses große Gottesgeschenk, das in <strong>der</strong><br />

BEFREIUNG VON ALLEM, WAS MENSCHEN UNTER-<br />

DRÜCKT (im offiziellen lateinischen Text LIBERATIO<br />

AB IIS OMNIBUS QUIBUS HOMO OPPRIMITUR) <strong>und</strong><br />

beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Befreiung von <strong>der</strong> Sünde <strong>und</strong> vom<br />

Bösen, in <strong>der</strong> Freude, Gott zu erkennen <strong>und</strong> von<br />

ihm erkannt zu werden, ihn zu schauen <strong>und</strong> ihm<br />

anzugehören“ (EN 9). Während alle die letzten Sätze<br />

dieser Beschreibung von Heil akzeptieren, sind<br />

nicht alle davon begeistert, dass Heil als „Befreiung<br />

von allem, was Menschen unterdrückt“ gesehen<br />

wird. Trotzdem steht diese Auslegung in Einklang<br />

mit <strong>der</strong> biblischen <strong>und</strong> christlichen Tradition.<br />

Der Exodus war, zum Beispiel, kein „rein geistliches“<br />

Ereignis – er war auch, <strong>und</strong> das sehr stark,<br />

ökonomische, soziale, politische <strong>und</strong> kulturelle<br />

Befreiung. Auch wenn Heil nicht damit identisch<br />

ist, beinhaltet es dennoch die Befreiung von entmenschlichen<strong>der</strong><br />

Armut, die H<strong>und</strong>erte von Millionen<br />

Menschen in unserer heutigen Welt bedrückt.<br />

Sehr früh in <strong>der</strong> Geschichte Israels erklärt Gott seinen<br />

liebenden Plan: „Denn <strong>der</strong> Herr wird dich reich<br />

segnen in dem Land, das <strong>der</strong> Herr, dein Gott, dir als<br />

Erbbesitz gibt ... Du sollst deinem notleidenden<br />

<strong>und</strong> armen Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> in deinem Land lebt, deine<br />

Hand öffnen“ (Dtn 15,4.11), – etwas, das nur dann<br />

geschehen kann, wenn <strong>der</strong> Reichtum, den Gott<br />

geschaffen hat, gleichmäßig unter alle Söhne <strong>und</strong><br />

Töchter Gottes verteilt ist.<br />

Ähnlich schreibt Paulus an die Korinther: was<br />

Reichtum anbelangt, sollte ein gewisser Ausgleich<br />

unter euch geschehen (vgl. 2 Kor 8,13f). Trotzdem<br />

wächst die Kluft zwischen reich <strong>und</strong> arm, <strong>und</strong> wir<br />

müssen das als dem Plan Gottes entgegengesetzt<br />

ansehen. Tatsächlich bedroht diese wachsende Kluft<br />

„die Zukunft <strong>der</strong> Menschheit“ (OCTOGESIMA<br />

ADVENIENS, 7). Da die Anzahl <strong>der</strong> hoffnungslos<br />

29


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />

armen Menschen dramatisch ansteigt (denken wir<br />

zum Beispiel an die Millionen von Flüchtlingen),<br />

müssen wir uns daran erinnern, dass Evangelisierung<br />

„eine Botschaft über die Befreiung“ beinhaltet,<br />

„die in unseren Tagen beson<strong>der</strong>s eindringlich ist“<br />

(EN 29). Für das Gottesreich zu arbeiten „bedeutet<br />

arbeiten zur Befreiung vom Übel in allen seinen<br />

Formen“ (Redemptoris Missio, 15). Von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />

Wichtigkeit für den Dienst an GFBS ist die<br />

nachdrückliche Lehre <strong>der</strong> Bischofssynode von 1971:<br />

Tätigkeit für den Frieden <strong>und</strong> Teilnahme an <strong>der</strong><br />

Neugestaltung <strong>der</strong> Welt erscheinen uns als unverzichtbare<br />

Dimension <strong>der</strong> Verkündigung <strong>des</strong> Evangeliums<br />

o<strong>der</strong>, mit an<strong>der</strong>n Worten, <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong><br />

Kirche zum Heil <strong>des</strong> Menschengeschlechtes <strong>und</strong> zu<br />

seiner Befreiung von je<strong>der</strong> unterdrückenden Situation.<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

Neugestaltung <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> Befreiung von Unterdrückung<br />

– all das gehört zur Sendung <strong>der</strong> Kirche.<br />

Eine Spiritualität, die so „überweltlich“ ist, dass<br />

sie sich nicht um <strong>Gerechtigkeit</strong>, Befreiung <strong>und</strong><br />

Umgestaltung <strong>der</strong> Welt kümmert, ist absolut<br />

ungenügend <strong>und</strong> unbiblisch. In einer überraschend<br />

offenen Aussage stellte die Bischofssynode von 1987<br />

fest: „Der Heilige Geist hilft uns, immer klarer zu<br />

verstehen, dass Heiligkeit heute nicht erreicht<br />

werden kann, ohne Engagement für <strong>Gerechtigkeit</strong>.“<br />

Sich nicht für <strong>Gerechtigkeit</strong> engagieren heisst, nicht<br />

in <strong>der</strong> Heiligkeit zu wachsen! Aus genau diesem<br />

Gr<strong>und</strong> gehört die christliche Soziallehre „wesentlich<br />

zum Sendungsauftrag <strong>der</strong> Glaubensverkündigung …<br />

<strong>und</strong> (ist) ein unverzichtbarer Bestandteil <strong>der</strong> Neu-<br />

Evangelisierung“ (CENTESIMUS ANNUS, 5).<br />

Der Kern <strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre ist die „vorrangige<br />

Option für die Armen“, eine Option<br />

„für welche die ganze kirchliche Tradition Zeugnis<br />

ablegt“ (SOLLICITUDO REI SOCIALIS, 42). Der<br />

hl. Franziskus fiel durch sein Eintreten für diese<br />

Option in seiner Predigt <strong>und</strong> in seinem Leben auf.<br />

In seinem TESTAMENT erklärt er, dass <strong>der</strong> Herr ihn<br />

zu den Ärmsten <strong>der</strong> Armen geführt habe – zu den<br />

Aussätzigen, die er so eifrig gemieden hatte. Damals<br />

erhielt Franziskus die Gnade, das, was bitter o<strong>der</strong><br />

süß ist, neu zu definieren – eine w<strong>und</strong>erbare<br />

Beschreibung für Bekehrung. Der gegenwärtigen<br />

päpstlichen Lehre ähnlich, betrachtete Franziskus<br />

die den Armen geleistete Hilfe als ein Anliegen<br />

30<br />

<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>: „Das Almosen ist das Erbe<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> gerechte Anteil, <strong>der</strong> den Armen zusteht,<br />

den unser Herr Jesus Christus uns erworben hat“<br />

(NbReg 9,8).<br />

Frieden<br />

Nachdem <strong>der</strong> junge Franziskus zunächst danach<br />

gestrebt hatte, ein Ritter für den Krieg zu werden,<br />

wurde er nach seiner Bekehrung <strong>der</strong> eifrigste För<strong>der</strong>er<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>und</strong> das zu einer Zeit, da nicht nur<br />

die „Welt“, son<strong>der</strong>n auch die Kirche sich in die<br />

Gewalt flüchtete – z.B. in den Kreuzzügen. Die<br />

früheste franziskanische Bewegung war bekannt als<br />

„eine Delegation <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (1 Cel 29). Franziskus<br />

behauptete, dass Gewalt die Herzen <strong>der</strong> Dämonen<br />

erfreute, <strong>und</strong> liess daher über <strong>der</strong> zerstrittenen<br />

Stadt Arezzo den Exorzismus beten, denn er sah<br />

Gewalt als ein Zeichen teuflischer Besessenheit an<br />

(vgl. 2 Cel 108). Franziskus war überzeugt, dass<br />

<strong>der</strong> Herr ihm den <strong>Friedens</strong>gruß geoffenbart hatte;<br />

in seinen Schriften sind die Laster, vor denen er am<br />

meisten warnt, jene, die den Frieden im eigenen<br />

Herzen <strong>und</strong> in an<strong>der</strong>en zerstören: Arroganz, Habsucht,<br />

Überheblichkeit, Eitelkeit, Eifersucht, üble<br />

Nachrede, Weigerung zu verzeihen. Auf seinem<br />

Sterbebett versöhnte Franziskus zwei bittere Feinde,<br />

den Bischof <strong>und</strong> den Bürgermeister <strong>der</strong> Stadt Assisi.<br />

Er war ein <strong>Friedens</strong>stifter bis zum Ende; sterbend<br />

stiftete er noch Frieden. Der „Geist von Assisi“ ist<br />

ein Geist <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>; darum lud Papst Johannes<br />

Paul II. die religiösen Führer <strong>der</strong> Welt zum gemeinsamen<br />

Gebet für den Frieden nach Assisi ein.<br />

Der hl. Franziskus spricht zu uns heute gerade so,<br />

wie er seine ersten Gefährten eindringlich mahnte:<br />

„Wie ihr mit dem M<strong>und</strong> den Frieden verkündet, so,<br />

<strong>und</strong> noch mehr, sollt ihr ihn in eurem Herzen festhalten.<br />

Niemand soll durch euch zu Zorn o<strong>der</strong><br />

Zank gereizt, vielmehr sollen alle durch eure Sanftmut<br />

zu Friede, Güte <strong>und</strong> Eintracht aufgefor<strong>der</strong>t<br />

werden. Denn dazu seid ihr berufen, Verw<strong>und</strong>ete zu<br />

heilen, Gebrochene zu verbinden <strong>und</strong> Verirrte<br />

zurückzurufen“ (DreiGef 58).<br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns daran,<br />

dass wir die „Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ lesen müssen, um<br />

unsere Sendung zu erfüllen. „Zeichen <strong>der</strong> Zeit“<br />

kann also „Zeichen <strong>des</strong> Geistes“ heißen, weil diese<br />

auf die vielen Weisen hindeuten, in denen Gottes


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />

Geist in Kirche <strong>und</strong> Welt gegenwärtig <strong>und</strong> tätig ist,<br />

<strong>und</strong> weil sie uns neue Ebenen <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

erschließen. Die ökologische Bewegung ist eines <strong>der</strong><br />

Zeichen unserer Zeit. Immer mehr Menschen sehen<br />

die Sorge für die Umwelt als eine Sache <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> kommenden Generationen<br />

gegenüber <strong>und</strong> können dem Urteil von Papst Johannes<br />

Paul II. leicht zustimmen: „Die ökologische<br />

Krise ist ein moralisches Problem“ (Botschaft vom<br />

8. Dezember 1989).<br />

Ein bedeuten<strong>der</strong> Wissenschaftler, Mitglied <strong>der</strong><br />

Päpstlichen Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften, vertritt<br />

die Ansicht, dass „wir das Genesis-Vertrauen vergewaltigt<br />

haben. Wir haben uns durch das Konzept<br />

<strong>der</strong> Beherrschung <strong>und</strong> Unterwerfung fortreißen<br />

lassen <strong>und</strong> das Konzept <strong>des</strong> Sorgetragens verloren.<br />

Die Art <strong>und</strong> Weise, wie wir die Welt behandeln, ist<br />

nicht haltbar. Unsere klare Verpflichtung weiterhin<br />

durch ein Verhalten zu umgehen, das oft nichts<br />

an<strong>der</strong>es zu sein scheint als das unermüdliche Streben<br />

nach materiellem Wohlstand, muss allmählich<br />

für jeden moralisch empfindenden Menschen als<br />

unhaltbar erkannt werden“. Übertriebener Konsum<br />

<strong>und</strong> Verschwendung, beson<strong>der</strong>s in den reichen<br />

Län<strong>der</strong>n, sind die Hauptursachen <strong>der</strong> Umweltzerstörung.<br />

Das ist ein Aufruf zu ernsthafter Umkehr.<br />

Als Franziskaner haben wir nicht die wissenschaftliche<br />

Sachkompetenz, um die ökologische Krise zu<br />

lösen, aber wir haben die franziskanische Sicht <strong>der</strong><br />

Ehrfurcht vor allem Geschaffenen, <strong>und</strong> diese Haltung<br />

ist <strong>der</strong> Schlüssel zur Lösung <strong>der</strong> Umweltkrise.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> schlagen heute viele Wissenschaftler<br />

eine Partnerschaft zwischen Religion <strong>und</strong><br />

Wissenschaft vor, damit die ökologische Bewegung<br />

eine „Seele“ haben kann.<br />

Der heilige Bonaventura drückt die mystische<br />

Schöpfungssicht <strong>des</strong> Franziskus sehr schön aus:<br />

Durch alle Dinge zur Liebe Gottes hingelenkt, freute<br />

er sich an allem, was <strong>der</strong> Herr geschaffen hatte,<br />

<strong>und</strong> von diesen Freude bringenden Zeichen erhob<br />

er sich zu ihrem lebensspendenden Urgr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Ursprung. In schönen Dingen sah er die Schönheit<br />

selbst, <strong>und</strong> durch seine Spuren in <strong>der</strong> Schöpfung<br />

folgte er seinem Geliebten überallhin <strong>und</strong> machte<br />

so alle Dinge zu einer Leiter, auf <strong>der</strong> er hinaufsteigen<br />

<strong>und</strong> Ihn umfangen konnte, <strong>der</strong> unendlich<br />

begehrenswert ist. (LegMai IX,1). In einem ein-<br />

fachen Satz drückt Bonaventura die Sicht <strong>des</strong><br />

Franziskus wie seine eigene aus: „Je<strong>des</strong> Geschöpf<br />

ist ein Wort Gottes, denn es spricht von Gott“<br />

(KOMMENTAR ZUM PREDIGER). Aus offensichtlichen<br />

Gründen erklärte Papst Johannes Paul II. in seinem<br />

Schreiben INTER SANCTOS PRAECLAROSQUE VIROS<br />

(29. November 1979) den hl. Franziskus zum<br />

Patron jener, die sich <strong>der</strong> Sorge um die Umwelt<br />

widmen. Die aufrüttelnde Herausfor<strong>der</strong>ung von<br />

Papst Johannes Paul II. kann diesen Abschnitt<br />

passend abschließen: „Wir rufen nochmals aus:<br />

Habt Ehrfurcht vor dem Menschen, <strong>der</strong> ein Abbild<br />

Gottes ist! Evangelisiert, damit dies Wirklichkeit<br />

wird, damit <strong>der</strong> Herr die Herzen verwandeln <strong>und</strong><br />

politische <strong>und</strong> ökonomische Systeme menschlich<br />

machen möge“ (Puebla 1979).<br />

Franziskanische Ausbildung<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden, <strong>und</strong> Ökologie<br />

Unsere Generalkonstitutionen (Art.126f) erinnern<br />

uns daran, dass ALLE Brü<strong>der</strong> in Ausbildung sind.<br />

Der Unterschied besteht nicht zwischen Brü<strong>der</strong>n<br />

„in Ausbildung“ <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>n „außerhalb <strong>der</strong><br />

Ausbildung“, son<strong>der</strong>n zwischen solchen in einführen<strong>der</strong><br />

Ausbildung (vom Tag an, da ein Mann<br />

als Kandidat aufgenommen wird, bis zum Tag <strong>der</strong><br />

feierlichen Profess) <strong>und</strong> solchen, die in ständiger<br />

Fortbildung sind (vom Tag <strong>der</strong> feierlichen Profess<br />

bis zum Tod). Ständige Fortbildung wird gesehen<br />

als „Weggeleit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> für ihr ganzes Leben“<br />

(ITINERARIUM TOTIUS VITAE) (Art. 135). So verstanden<br />

ist unsere ständige Fortbildung eng verwandt<br />

mit <strong>der</strong> ständigen Bekehrung unseres Lebens als<br />

„Männer <strong>der</strong> Buße“ (DreiGef 37). Wir werden<br />

ermuntert, wie Franziskus zu sein, wie ihn Thomas<br />

von Celano <strong>und</strong> <strong>der</strong> hl. Bonaventura, als „immer<br />

neu“, „immer am Neuanfang“, SEMPER NOVUS,<br />

SEMPER INCHOANS beschreiben (vgl. ANALECTA<br />

FRANCISCANA X, S. 80, 222, 366, 577, 621). Franziskus<br />

ermuntert uns weiterhin, wie er im Angesicht<br />

seines nahen To<strong>des</strong> seine ersten Gefährten ermunterte:<br />

„Brü<strong>der</strong>, nun wollen wir anfangen, Gott dem<br />

Herrn zu dienen; denn bis jetzt haben wir kaum,<br />

sogar wenig – nein, gar keinen Fortschritt gemacht“<br />

(1 Cel 103). Unsere franziskanische Vision kann<br />

immer mehr verblassen, gerade so, wie ein Feuer<br />

langsam erlöschen kann, wenn es nicht ständig neu<br />

31


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />

entzündet wird. So erinnerte <strong>der</strong> hl. Paulus seinen<br />

Schüler Timotheus: ENTFACHE die Gnade Gottes<br />

wie<strong>der</strong>“, die in dir ist (2 Tim 1,6). Wenn die Gabe –<br />

in unserem Fall die franziskanische Sicht radikalen<br />

Lebens nach dem Evangelium – nicht geschätzt <strong>und</strong><br />

genährt wird, kann sie verlorengehen. Wir haben<br />

zwei Optionen: Wachstum o<strong>der</strong> Rückgang;<br />

Fortschritt o<strong>der</strong> Stagnation. Ständige Fortbildung/<br />

Bekehrung ist <strong>der</strong> Pfad zu Fortschritt <strong>und</strong> Wachstum.<br />

Dieses Verständnis von ständiger Fortbildung als<br />

lebenslangem Prozess wird durch Johannes Paul II.<br />

bekräftigt: „Je<strong>des</strong> Leben ist ein unablässiger Weg auf<br />

weitere Reifung hin, <strong>und</strong> diese vollzieht sich durch<br />

beständige Ausbildung. ... Es gibt heutzutage keinen<br />

Beruf, kein Engagement, keine Arbeit, die nicht<br />

eine beständige Bemühung um ein Leben im Heute<br />

erfor<strong>der</strong>te, wenn man aktuell <strong>und</strong> wirkungsvoll<br />

sein möchte.“ Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist ständige Fortbildung<br />

„heute beson<strong>der</strong>s dringlich, nicht nur aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> rasanten gesellschaftlichen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Völker, …,<br />

son<strong>der</strong>n auch wegen <strong>der</strong> ,Neu-Evangelisierung’, die<br />

den wesentlichen <strong>und</strong> unaufschiebbaren Auftrag <strong>der</strong><br />

Kirche am Ende <strong>des</strong> zweiten Jahrtausends darstellt“<br />

(PASTORES DABO VOBIS, 70).<br />

„Neu-Evangelisierung braucht neue Verkün<strong>der</strong>“<br />

(Ebd. 82). Wie oben gesagt, diese Neu-Evangelisierung<br />

– die auch wir als unseren „wesentlichen <strong>und</strong><br />

unaufschiebbaren Auftrag“ ansehen müssen -–<br />

„muss zu ihren wesentliches Bestandteilen die<br />

Verkündigung <strong>der</strong> Soziallehre <strong>der</strong> Kirche zählen“<br />

(CENTESIMUS ANNUS, 5). Wir können diese Lehre<br />

nicht verkündigen, wenn wir sie nicht gut kennen;<br />

Studium <strong>und</strong> Vertiefung <strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre<br />

ist eine gr<strong>und</strong>legende For<strong>der</strong>ung für unsere ständige<br />

Fortbildung (Vgl. GG.CC. Art. 96). Diese Lehre,<br />

ein wirklicher Aufruf zur Umkehr, wurde vom<br />

Zweiten Vatikanischen Konzil für die ganze Kirche<br />

formuliert, beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Pastoralkonstitution<br />

GAUDIUM ET SPES <strong>und</strong> in zahlreichen päpstlichen<br />

Enzykliken. Bischofskonferenzen haben einen<br />

äußerst wertvollen Dienst geleistet, indem sie die<br />

universale Soziallehre in die Situationen ihrer je<br />

eigenen Kontinente <strong>und</strong> Län<strong>der</strong> übersetzt haben.<br />

Beson<strong>der</strong>s bemerkenswert unter diesen Anstrengungen<br />

waren die Vollversammlungen <strong>der</strong> Lateinamerikanischen<br />

Bischofskonferenz (CELAM), vor<br />

32<br />

allem die zweite, die in Medellin 1973 stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat.<br />

Medellin brachte neue Lebenskraft in einen großen<br />

Teil <strong>der</strong> lateinamerikanischen Kirche <strong>und</strong> gab ihr<br />

eine neue Richtung: die „vorrangige Option für die<br />

Armen“. Ein fünf Jahrh<strong>und</strong>erte alter Weg in Lateinamerika<br />

„Kirche zu sein“ (in Verbindung mit<br />

den Oligarchien <strong>und</strong> herrschenden Klassen,<br />

während man Wohltätigkeit, „Caritas“ für die<br />

Armen predigte) fand in Medellin ein Ende <strong>und</strong> ein<br />

neuer, mehr dem Evangelium gemäßer Weg wurde<br />

geboren. Medellin ist ein glänzen<strong>des</strong> Beispiel von<br />

ständiger Fortbildung <strong>und</strong> Umkehr, für die Kirche<br />

eines ganzen Kontinents <strong>und</strong> stellt so eine Gnade<br />

nicht nur für Lateinamerika, son<strong>der</strong>n auch für die<br />

Gesamtkirche dar. (Interessanterweise prägte<br />

Medellin in seiner Botschaft an die Völker Lateinamerikas<br />

den Ausdruck „Neu-Evangelisierung“,<br />

<strong>der</strong> seither unzählige Male gebraucht wurde, vor<br />

allem von Johannes Paul II.). Eine wichtige Lektion,<br />

die wir von Medellin lernen können, vor allem<br />

für den Bereich <strong>der</strong> Fortbildung in Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Ökologie, ist die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> Erfahrung. Auf jener Konferenz wendeten<br />

die lateinamerikanischen Bischöfe die induktive<br />

Methode an, d.h. sie begannen nicht mit dem<br />

Studium abstrakter Gr<strong>und</strong>sätze, son<strong>der</strong>n mit einer<br />

Analyse <strong>der</strong> gelebten Erfahrung von Millionen von<br />

Armen in Lateinamerika. Sie machten sich die<br />

Worte <strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils zu eigen:<br />

„Freude <strong>und</strong> Hoffnung, Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong><br />

Menschen von heute, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong><br />

Bedrängten aller Art, sind auch Freude <strong>und</strong><br />

Hoffnung, Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong> Jünger Christi“<br />

(GS 1).<br />

Auch <strong>der</strong> heilige Franziskus wurde nicht durch das<br />

Lesen von Büchern über den Aussatz bekehrt, son<strong>der</strong>n<br />

durch seine Erfahrung, als er unter die Aussätzigen<br />

ging <strong>und</strong> ihnen diente (vgl. Test. 2). Es war<br />

jene gelebte Erfahrung, die ihn dazu führte, das,<br />

was für ihn bitter o<strong>der</strong> süß war, neu zu definieren.<br />

Er wollte, dass seine Brü<strong>der</strong> eine ähnliche Erfahrung<br />

<strong>und</strong> eine ähnlich Bekehrung erlebten. Die Brü<strong>der</strong><br />

„müssen sich freuen, wenn sie mit gewöhnlichen<br />

<strong>und</strong> verachteten Leuten verkehren, mit Armen <strong>und</strong><br />

Schwachen <strong>und</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettlern am<br />

Wege“ (NbReg 9,2). Bücher <strong>und</strong> Artikel zu lesen<br />

<strong>und</strong> Vorlesungen über Armut, Hunger, Heimat-


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />

losigkeit, über die Übel von Gewalt <strong>und</strong> Umweltzerstörung<br />

anzuhören, mag hilfreich <strong>und</strong> sogar<br />

nötig sein. Wir müssen gut informiert sein, um diese<br />

Themen kompetent anzugehen. Aber die Erfahrung<br />

<strong>des</strong> Lebens mit den Armen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit mit<br />

an<strong>der</strong>en, die sich <strong>der</strong> Suche nach einer christlichen<br />

Lösung <strong>der</strong> entwürdigenden Armut, <strong>der</strong> Probleme<br />

<strong>der</strong> Gewalt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umweltzerstörung widmen, ist<br />

noch wichtiger für unsere ständige Bekehrung <strong>und</strong><br />

Weiterbildung. „Der Mensch unserer Zeit glaubt<br />

mehr den Zeugen als den Lehrern, mehr <strong>der</strong> Erfahrung<br />

als <strong>der</strong> Lehre, mehr dem Leben <strong>und</strong> den Taten<br />

als den Theorien“ (REDEMPTORIS MISSIO, 42).<br />

Alle Brü<strong>der</strong> sollten, zumin<strong>des</strong>t gelegentlich, die<br />

Erfahrung direkter Betroffenheit in Diensten<br />

machen, die sich mit <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung befassen. Ein glückliches<br />

Ergebnis einer solchen Erfahrung könnte sehr wohl<br />

sein, dass wir anfangen, diesen Aspekten in unserer<br />

Arbeit, worin immer diese bestehen mag, mehr<br />

Gewicht zu geben. So können wir diese Erfahrung<br />

auch ins Bewusstsein <strong>der</strong> Menschen bringen, denen<br />

wir dienen, <strong>und</strong> so auch ihre ständige Umkehr för<strong>der</strong>n,<br />

damit wir zusammen mit ihnen wirksamer<br />

das Kommen <strong>des</strong> Reiches Gottes auf Erden för<strong>der</strong>n.<br />

Das ist beson<strong>der</strong>s wichtig in unserer Jugendarbeit,<br />

denn mit ihrer Energie <strong>und</strong> ihrer Begeisterungsfähigkeit<br />

sind junge Menschen berufen, ihren eigenen,<br />

einzigartigen <strong>und</strong> notwendigen Beitrag zu<br />

leisten zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Werte <strong>des</strong> Gottesreiches.<br />

Junge Menschen, die in sozio-kultureller Analyse<br />

geschult sind, werden die Gr<strong>und</strong>übel <strong>der</strong> sozialen<br />

Probleme, die unsere Welt plagen, besser verstehen<br />

<strong>und</strong> ihre Energien zu <strong>der</strong>en Überwindung einsetzen.<br />

Obwohl Belehrung über friedliche Lösung von<br />

Konflikten für alle gut ist, so ist diese doch beson<strong>der</strong>s<br />

wichtig für junge Menschen, die so oft Opfer<br />

<strong>der</strong> Gewalt werden <strong>und</strong> leicht versucht sind, ebenfalls<br />

auf Gewalt zurückzugreifen. Zusammenfassend<br />

schlagen wir drei Schritte vor:<br />

Zusammenfassung<br />

Gebet<br />

Obwohl die Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Ökologie oft als „weltliche Belange“ angesehen<br />

werden (<strong>und</strong> viele ehrliche „weltliche“ Humanisten<br />

interessieren), nehmen wir sie als Männer <strong>des</strong><br />

Glaubens wahr. Betende Vertiefung in Schrifttexte,<br />

die von diesen Themen sprechen, ist von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />

Bedeutung, denn wir suchen vor allem,<br />

darin Gottes Plan für seine Schöpfung zu entdecken<br />

<strong>und</strong> auszuführen. Das Gebet zum Heiligen Geist ist<br />

beson<strong>der</strong>s notwendig, denn <strong>der</strong> Geist ist immer <strong>der</strong><br />

„Haupt-Handelnde“ im gesamten Werk <strong>der</strong> Evangelisierung.<br />

In <strong>der</strong> Liturgiekonstitution (35,4) empfiehlt<br />

das Zweite Vatikanische Konzil Wortgottesdienste,<br />

die auch Bibel-Vigilien genannt werden.<br />

Unsere Generalkonstitutionen (22,2) empfehlen<br />

das gleiche, sowohl in unseren Gemeinschaften als<br />

auch mit an<strong>der</strong>n Menschen. Solche Gottesdienste<br />

zu den Themen <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung könnten leicht zusammengestellt<br />

werden mit Hilfe <strong>der</strong> biblischen Texte im<br />

Lektionar für die Messe um <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden. Zusätzlich zu den Bibeltexten behandeln<br />

auch viele franziskanische Quellen, sowohl frühe<br />

als auch mo<strong>der</strong>ne, diese Themen. Obwohl keine<br />

entsprechenden Votivmesstexte für Ökologie<br />

existieren, können doch leicht viele biblische Texte<br />

gef<strong>und</strong>en werden, die sich mit „Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung“ befassen, z.B. Gen 1; 2,4-7.15; 9,8-17;<br />

Lev 25,23-24; Psalmen 8; 65; 104; 147; 148; Joh<br />

1,1-5; Röm 8,18-25; Kol 1,15-23; Offb 21,1-5.<br />

Unter den vielen franziskanischen Quellen ist <strong>der</strong><br />

Sonnengesang <strong>des</strong> hl. Franziskus beson<strong>der</strong>s<br />

erwähnenswert.<br />

Studium <strong>und</strong> Reflexion<br />

In seinem Schreiben TERTIO MILLENNIO ADVENI-<br />

ENTE (36) stellte <strong>der</strong> Papst eine herausfor<strong>der</strong>nde<br />

Frage: „Wie viele Christen kennen die Weisungen<br />

<strong>der</strong> kirchlichen Soziallehre gründlich <strong>und</strong> praktizieren<br />

sie konsequent?“ Diese Worte laden uns, beson<strong>der</strong>s<br />

die Brü<strong>der</strong>, die mit dem Predigt- <strong>und</strong> Lehrdienst<br />

betraut sind, zu einer ernsten Gewissenserforschung<br />

ein. Wie gut kennen wir selber die katholische<br />

Tradition über die bedrängenden Fragen hinsichtlich<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung? Ist unser Denken wirklich katholisch:<br />

„denken wir global <strong>und</strong> handeln lokal“? Wie wichtig<br />

sind uns diese bedrängenden Fragen in unserem<br />

Dienst? Wenn die Menschen, denen wir dienen,<br />

großenteils die katholische Sozialehre nicht kennen,<br />

liegt <strong>der</strong> Fehler oft bei uns. Wir müssen uns daran<br />

erinnern, dass die „Neu-Evangelisierung“, die<br />

so dringend <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>holt von Papst Johannes<br />

Paul II. für das neue Jahrtausend gefor<strong>der</strong>t wurde,<br />

33


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Evangelisierung <strong>und</strong> Ordensausbildung<br />

„zu ihren wesentliches Bestandteilen die VERKÜNDI-<br />

GUNG DER SOZIALLEHRE DER KIRCHE zählen“ muss<br />

(CENTESIMUS ANNUS, 5). Diese Lehre, <strong>der</strong>en<br />

Prinzipien weltweite Gültigkeit haben, muss in den<br />

konkreten Gegebenheiten je<strong>des</strong> einzelnen Kontinents<br />

<strong>und</strong> Lan<strong>des</strong>, <strong>und</strong> je<strong>des</strong> einzelnen Ortes<br />

„Fleisch annehmen“. Solche konkrete Anwendungen<br />

setzen aber auch Fachwissen als Frucht von Studium,<br />

Reflexion <strong>und</strong> sozio-kultureller Analyse voraus.<br />

In diesem Zusammenhang müssen wir die<br />

Wichtigkeit <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Laien unterstreichen, weil<br />

die praktische Lösung <strong>der</strong> Probleme auf den Gebieten<br />

von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie beinahe<br />

ausschließlich in <strong>der</strong> Kompetenz <strong>und</strong> dem<br />

guten Willen <strong>der</strong> Laien liegen. Für uns stellt sich die<br />

Frage: Bilden wir ein christliches soziales Gewissen<br />

in den Laien, denen wir dienen? Der Weg <strong>der</strong> Laien<br />

zur Heiligkeit liegt nicht in einer monastischen<br />

FUGA MUNDI, son<strong>der</strong>n bedeutet Leben in <strong>der</strong> Welt,<br />

das <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong> diesseitigen Ordnung<br />

gewidmet ist, damit diese dem Plan Gottes entspricht.<br />

Papst Johannes XXIII. sagte: „Niemand soll<br />

sich <strong>des</strong>halb dem eitlen Wahn hingeben, die eigene<br />

geistliche Vervollkommnung <strong>und</strong> die irdische Alltagsarbeit<br />

wi<strong>der</strong>sprächen einan<strong>der</strong>. Und es soll niemand<br />

meinen, man müsse sich den Werken <strong>des</strong> zeitlichen<br />

Lebens notwendigerweise entziehen, um<br />

nach christlicher Vollkommenheit zu streben; …<br />

Es entspricht durchaus dem Plan <strong>der</strong> göttlichen<br />

Vorsehung, dass sich die Menschen bilden <strong>und</strong><br />

vervollkommnen (sic !) im Vollzug ihrer täglichen<br />

Arbeit. Fast alle müssen diese Arbeit zeitlichen Dingen<br />

widmen“ (MM 255-256). So ist also auch <strong>der</strong><br />

Laienstand ein „Stand <strong>der</strong> Vollkommenheit“, <strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Welt gelebt wird im Streben nach Erneuerung<br />

<strong>der</strong> zeitlichen Ordnung. Hören Laien diese Botschaft<br />

aus unserem M<strong>und</strong>e?<br />

Aktion<br />

Einige Vorschläge wurden bereits gemacht, wie<br />

zum Beispiel das entsprechende Studium <strong>und</strong> dass<br />

wir den Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in unseren Tätigkeiten<br />

mehr Gewicht geben. An<strong>der</strong>e Tätigkeiten hängen<br />

zum großen Teil von örtlichen Gegebenheiten ab<br />

<strong>und</strong> werden am besten den Konferenzen, sowie<br />

den Provinz- <strong>und</strong> Hauskapiteln überlassen. Kapitel<br />

haben eine wichtige Rolle, denn unsere ständige<br />

Fortbildung ist sowohl persönlich als auch gemeinschaftlich<br />

(GG.CC. 135). So sind wir sowohl als<br />

34<br />

Einzelne wie als Brü<strong>der</strong>gemeinschaft berufen, auf<br />

die dringenden Nöte unserer Zeit im Licht <strong>des</strong><br />

Evangeliums zu antworten. Wir stellen einfach fest,<br />

dass Studium <strong>und</strong> Reflexion ohne Tätigkeit<br />

unfruchtbar bleiben.<br />

Ausblick<br />

Da wir uns auf das vorbereiten, was Papst Johannes<br />

Paul II. „Das Große Jubiläum <strong>des</strong> Jahres 2000“<br />

nennt (TERTIO MILLENNIO ADVENIENTE, 17),<br />

erinnern wir Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> uns dankbar daran,<br />

dass das Beispiel <strong>des</strong> heiligen Franziskus uns so<br />

viel zu geben hat, um den dringendsten sozialen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen unserer Zeit zu begegnen;<br />

Franziskus war wirklich <strong>der</strong> „Vater <strong>der</strong> Armen“<br />

(1 Cel 76), <strong>des</strong>sen erste Bru<strong>der</strong>schaft als „Delegation<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (1 Cel 29) bekannt war, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

sich selbst als Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> ganzen Schöpfung verstand<br />

(SONNENGESANG). Als liebende Söhne <strong>des</strong><br />

Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kirche müssen wir auf den<br />

dringenden Appell <strong>des</strong> Papstes antworten: wenn<br />

wir uns in Erinnerung rufen, dass Jesus kam um<br />

„den Armen das Evangelium zu verkünden“<br />

(vgl. Mt 11,5; Lk 7,22). Wie können wir es versäumen,<br />

größeres Gewicht auf die vorrangige Option<br />

<strong>der</strong> Kirche für die Armen <strong>und</strong> Ausgestoßenen zu<br />

legen? In <strong>der</strong> Tat muss gesagt sein, dass in einer<br />

Welt wie <strong>der</strong> unseren, die von so vielen Konflikten<br />

<strong>und</strong> unerträglichen sozialen <strong>und</strong> ökonomischen<br />

Ungleichheiten gekennzeichnet ist, das Engagement<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden eine notwendige<br />

Bedingung für die Vorbereitung <strong>und</strong> die Feier<br />

<strong>des</strong> Jubiläumsjahres 2000 ist. So werden, im Geist<br />

<strong>des</strong> Buches Levitikus (25,8-12), Christen ihre<br />

Stimme erheben müssen für die Armen <strong>der</strong> Welt<br />

(TMA, 51).<br />

Charles Finnegan <strong>OFM</strong>


■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Kontemplation,<br />

unsere Arbeit für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung<br />

<strong>und</strong> die Vereinigung<br />

mit Gott<br />

Wenn wir über Kontemplation <strong>und</strong> die Arbeit für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

sprechen, sind wir oft verunsichert, weil diese<br />

wichtigen Aspekte unseres Lebens nach dem Evangelium<br />

auf unfaire Weise mit Vorurteilen gesehen<br />

werden. Gewisse Leute unterstellen, dass zwischen<br />

Kontemplation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> ein<br />

Wi<strong>der</strong>spruch besteht. Kontemplation, so denken<br />

sie, bedeute Rückzug von den Tätigkeiten <strong>und</strong><br />

Geschäften <strong>der</strong> Gesellschaft in eine ruhige, friedliche<br />

<strong>und</strong> abgehobene Existenz, die den Schmerz,<br />

die Verwirrung <strong>und</strong> die Fragen vermeidet, die das<br />

Leiden in unserer persönlichen Lebensgeschichte<br />

mit sich bringt. Die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden scheint mehr nach außen gerichtete Tätigkeit<br />

zu sein, in <strong>der</strong> die Menschen in <strong>der</strong> sozialen<br />

Ordnung mit ihren Problemen <strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

gefangen sind. Wenn wir diese Vorurteile<br />

noch ausweiten, könnten wir sagen, dass kontemplatives<br />

Gebet ein Rückzug ist auf eine private,<br />

isolierte Innerlichkeit, <strong>und</strong> dass das aktive Engagement<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung Sache von wenigen Brü<strong>der</strong>n ist, die<br />

oft durch einen engagierten Ärger motiviert sind,<br />

<strong>der</strong> die politische Ordnung herausfor<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

än<strong>der</strong>n will. Es ist eine Tätigkeit, die in drängende<br />

soziale Probleme verwickelt ist <strong>und</strong> die für Innerlichkeit<br />

<strong>und</strong> Zeit für stilles Nachdenken nicht<br />

viel übrig hat.<br />

Kontemplation wird oft mit Meditation verwechselt.<br />

Meditation ist eine Tätigkeit, die unsere<br />

Aufmerksamkeit <strong>und</strong> unser Bewusstsein auf einen<br />

bestimmten Punkt begrenzt, konzentriert o<strong>der</strong><br />

beschränkt. Als geistige Tätigkeit erfor<strong>der</strong>t sie intellektuelle<br />

Disziplin <strong>und</strong> gefühlsmäßigen Rückzug,<br />

um Konzentration zu ermöglichen. Kontemplation<br />

(con-templo, an einem heiligen Ort sein) hat einige<br />

ähnliche Eigenschaften: zum Beispiel kennt sie<br />

einen Brennpunkt für unsere Aufmerksamkeit. Aber<br />

das Ziel <strong>der</strong> Kontemplation ist verschieden. Nicht<br />

zufrieden mit bloßer Beobachtung, beansprucht<br />

Kontemplation die ganze Person: intellektuell,<br />

affektiv <strong>und</strong> physisch, um aktiv die Einung mit<br />

Gott zu suchen. Es handelt sich mehr um bewusste<br />

Einung als um Beobachtung. Es gibt verschiedene<br />

Schulen <strong>und</strong> Methoden sowohl für Meditation als<br />

auch für Kontemplation.<br />

Jesus lädt seine Jünger ein, sich um die Disziplin <strong>des</strong><br />

Wachseins zu bemühen, hellhörig zu sein auf das,<br />

was um sie herum geschieht <strong>und</strong> bereit, zu handeln.<br />

„Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem<br />

Kaufmann, <strong>der</strong> schöne Perlen suchte“ <strong>und</strong> wenn er<br />

sie findet, so handelt er mit Entschlossenheit, um<br />

sie in Besitz zu nehmen; das Reich Gottes wird verglichen<br />

mit zehn Brautjungfern, die, während sie auf<br />

den Bräutigam warten, wachbleiben, um ihre Lampen<br />

am Brennen zu halten. So können sie den Bräutigam<br />

sehen, wenn er sich nähert. „Das Reich Gottes<br />

ist gleich einem Knecht, <strong>der</strong> auf die Rückkehr<br />

seines Herrn wartet … (es) kommt wie ein Dieb in<br />

<strong>der</strong> Nacht, ihr kennt we<strong>der</strong> den Tag noch die St<strong>und</strong>e,<br />

darum seid wachsam <strong>und</strong> haltet euch bereit.“<br />

Der Jünger bleibt wach <strong>und</strong> hellhörig, nicht um<br />

den Sinn <strong>des</strong> Lebens verstan<strong>des</strong>mäßig zu erfassen,<br />

son<strong>der</strong>n um als erleuchtete Person, zum Dienst<br />

bereit, zum Leben zurückzukehren. Jesus sagt seinen<br />

Jüngern, dass er gekommen ist, damit wir „das<br />

Leben haben <strong>und</strong> es in Fülle haben“ (Joh 10,10).<br />

In den Gleichnissen Jesu lesen wir, dass Menschen<br />

aufgeweckt werden um mit an<strong>der</strong>en, zum Beispiel<br />

mit dem Bräutigam, zusammenzusein o<strong>der</strong> um zu<br />

dienen, wie in <strong>der</strong> Geschichte vom Diener, <strong>der</strong> auf<br />

seinen Herrn wartet. Kontemplation folgt dem Pfad<br />

<strong>des</strong> Mitfühlens: Erkennen, Handeln <strong>und</strong> Vereinigung.<br />

Diese Stufen werden durch Nachdenken<br />

miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en, das gemeinschaftlich o<strong>der</strong><br />

individuell-persönlich geschehen kann.<br />

Der Mensch, <strong>der</strong> dem Evangelium unseres Herrn<br />

Jesus Christus folgt, so beschreibt Franziskus das<br />

35


■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

franziskanische Leben, zieht sich nicht aus <strong>der</strong><br />

Gesellschaft zurück, um sein Leben zu bewahren,<br />

son<strong>der</strong>n er/sie gibt es hin, damit wir eine neue<br />

Schöpfung werden können. Jesus weist uns auf<br />

Engagement, Handeln, Verän<strong>der</strong>ung hin. Das<br />

Reich Gottes wird verglichen mit dem Sauerteig,<br />

<strong>der</strong> sein eigenes Leben im Mehl verliert <strong>und</strong> zu<br />

etwas Neuem <strong>und</strong> Nützlichem für an<strong>der</strong>e wird, zu<br />

Brot, das an<strong>der</strong>e nährt.<br />

Die Geschichte vom Barmherzigen Samariter ist<br />

eine <strong>der</strong> einfachsten <strong>und</strong> treffendsten Beschreibungen<br />

<strong>der</strong> Bewegungen innerhalb <strong>der</strong> christlichen<br />

Kontemplation: Der Samariter ist eins mit Gottes<br />

Willen, indem er hellhörig ist <strong>und</strong> aus Mitgefühl<br />

heraus handelt. In diesem Gleichnis ging <strong>der</strong><br />

Priester am schwerverletzten Mann vorüber, in<br />

Gedanken verloren o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Sorge, sich rituell<br />

rein zu halten <strong>und</strong> keine anscheinend tote Person<br />

zu berühren. Auch <strong>der</strong> Levit, <strong>der</strong> Gesetz <strong>und</strong><br />

Propheten ebenfalls kannte, ging am Verw<strong>und</strong>eten<br />

vorüber. Der Priester <strong>und</strong> <strong>der</strong> Levit, beide waren –<br />

wahrscheinlich in guter Absicht – in ihre eigene<br />

innere Welt versunken, die durch äußere Regeln,<br />

Vorschriften <strong>und</strong> Beurteilungen geschützt war.<br />

Auch wenn sie den leidenden Mann sahen, hatten<br />

sie praktische, religiöse <strong>und</strong> gesetzliche Gründe, an<br />

seinem Schmerz <strong>und</strong> seinem Elend vorbeizugehen.<br />

Der Mann, <strong>der</strong> wach <strong>und</strong> hellhörig war, <strong>der</strong> wahrnahm<br />

<strong>und</strong> reagierte, war <strong>der</strong> Samariter. Er verstand<br />

seinen Platz in <strong>der</strong> Schöpfung <strong>und</strong> handelte im<br />

Einklang damit.<br />

Als Brücke <strong>des</strong> Mitgefühls war die Sorge um das<br />

leibliche Wohl <strong>des</strong> geschlagenen Mannes durch den<br />

Samariter eine tätige Antwort <strong>der</strong> Liebe. Seine Antwort<br />

verband drei Willen zu einer Einheit, jenen <strong>des</strong><br />

Samariters, den <strong>des</strong> geschlagenen Mannes <strong>und</strong> den<br />

Willen Gottes. Oft ist eine Tat <strong>des</strong> Mitfühlens mit<br />

dem Vollzug <strong>des</strong> täglichen Auftrags o<strong>der</strong> einem<br />

Notfall verknüpft, <strong>und</strong> wir erkennen erst später,<br />

dass wir darin an Gottes Leben <strong>und</strong> seinem Wirken<br />

teilnehmen.<br />

Vergleichbar <strong>der</strong> Reaktion <strong>des</strong> Samariters, zeigt das<br />

Leben <strong>des</strong> hl. Franziskus Parallelen einer ähnlichen<br />

Bewegung von Wahrnehmung, Mitfühlen <strong>und</strong><br />

Handeln. Seine persönliche Bekehrung ist ein<br />

Schlüssel, <strong>der</strong> uns hilft, franziskanische Kontemplation<br />

zu verstehen. Es war eine Bewegung <strong>der</strong><br />

36<br />

affektiven Vereinigung mit Gott, die verschiedene<br />

Bewegungen <strong>und</strong> Ebenen beinhaltete: eine Erfahrung;<br />

sein Nachdenken darüber <strong>und</strong> das Verstehen<br />

dieser Erfahrung; das Identifizieren dieser Erfahrung<br />

als von Gott kommend <strong>und</strong> mit Gott vereinend.<br />

Die Gnade nahm ihren Anfang nicht in <strong>der</strong><br />

verlassenen Kapelle von San Damiano o<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Stille <strong>des</strong> Berges Subasio. Franziskus erfuhr seine<br />

freimachende Einung mit Gott eines Tages auf einer<br />

Straße außerhalb <strong>der</strong> Sicherheit von Assisi. Als er<br />

von einem Aussätzigen überrascht wurde, umarmte<br />

<strong>und</strong> küsste Franziskus den Mann spontan. Später<br />

erkannte er, dass er in seiner Umarmung <strong>des</strong> Aussätzigen<br />

irgendwie von Gott umarmt worden war <strong>und</strong><br />

dass sich sein ganzes Leben verän<strong>der</strong>t hatte. Die<br />

„Süßigkeit <strong>und</strong> das Licht“, die nach <strong>der</strong> Beschreibung<br />

<strong>des</strong> Franziskus aus dieser Tat <strong>des</strong> Mitfühlens<br />

flossen, waren nicht die paternalistische Belohnung<br />

Gottes an Franziskus für eine gute Tat an einem<br />

elenden Menschen. Sie waren das offensichtliche<br />

Ergebnis von zwei Willen zu lieben, die eins geworden<br />

waren. Das Ereignis auf <strong>der</strong> Straße, <strong>und</strong> nicht<br />

<strong>der</strong> Vorgang <strong>des</strong> Nachdenkens darüber, ist für<br />

Franziskus <strong>der</strong> Augenblick <strong>der</strong> Bekehrung, seine<br />

Begegnung mit Gott.<br />

Beide, Jesus <strong>und</strong> Franziskus, hatten Momente <strong>des</strong><br />

persönlichen, privaten Gebetes, wo sie „weg waren,<br />

an einem einsamen Ort.“ Wir wissen wenig von diesen<br />

privaten Momenten. Die heilige Schrift <strong>und</strong> die<br />

Biographien <strong>des</strong> hl. Franziskus enthalten viele<br />

Geschichten von Jesus <strong>und</strong> Franziskus, dass sie im<br />

direkten Kontakt mit Gott standen, während sie<br />

sich mit Menschen <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Schöpfung einließen.<br />

Jesus hatte seinen bedeutendsten <strong>und</strong> direktesten<br />

Kontakt mit Gott nicht in einem Traum,<br />

son<strong>der</strong>n im Jordan, während er in einer Menschenmenge<br />

vor Johannes dem Täufer stand. Er<br />

ging in die Wüste, um diese Erfahrung im Jordan<br />

besser zu verstehen. Er ging dorthin nicht, um seine<br />

Vision zu finden. Jesus erfuhr regelmäßig direkte<br />

Vereinigung mit Gott, wenn er mit einem an<strong>der</strong>n<br />

Menschen zusammen war, <strong>der</strong> in Not war <strong>und</strong> Vertrauen<br />

hatte. Er konnte die Kraft Gottes körperlich<br />

spüren, die ihn durchströmte, wenn Kranke geheilt<br />

wurden. Er konnte den Stürmen befehlen, still<br />

zu sein, <strong>und</strong> dem Feigenbaum zu verdorren. Diese<br />

Augenblicke bewusster Verbindung, Einung mit<br />

Gott, <strong>des</strong> Seins an heiligem Ort, waren „Kontemplation<br />

in <strong>der</strong> Aktion“. Es gibt viele Geschichten


■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

über Franziskus, die den Heiligen inmitten von<br />

Menschen <strong>und</strong> Schöpfung in verzückter Freude<br />

in Gott beschreiben (Greccio, SONNENGESANG,<br />

Vogelpredigt). Jesus zog sich zurück in die Wüste,<br />

Franziskus in die Berge, wo beide zu einem tiefen<br />

Verständnis <strong>des</strong>sen kamen, <strong>der</strong> in ihrem Leben mit<br />

ihnen zusammen wirkte.<br />

Die Liebe, die Franziskus für den menschgewordenen<br />

Gott im armen Jesus von Nazaret hatte, war <strong>der</strong><br />

Angelpunkt <strong>der</strong> Entwicklung <strong>des</strong> sozialen Bewusstseins<br />

innerhalb <strong>der</strong> westlichen Christenheit. Die<br />

Umarmung <strong>des</strong> Aussätzigen, <strong>des</strong> Ausgegrenzten <strong>der</strong><br />

damaligen Gesellschaft, durch Franziskus <strong>und</strong> sein<br />

Zusammengehen mit den Aussätzigen außerhalb<br />

von Assisi, öffnete einen neuen Weg <strong>der</strong> Kontemplation.<br />

Seine frohe, leidenschaftliche Umarmung<br />

<strong>der</strong> menschgewordenen Liebe Gottes begeisterte<br />

auch an<strong>der</strong>e, an Gott zu glauben <strong>und</strong> ihn zu lieben,<br />

<strong>der</strong> zutiefst in unsere Geschichte eingeb<strong>und</strong>en ist.<br />

Das ist zum Teil auch <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, warum <strong>der</strong> Orden<br />

uns aufruft: „Franziskus wurde vom Herrn unter die<br />

Aussätzigen geführt; wie er sollen die Brü<strong>der</strong> zusammen<br />

<strong>und</strong> einzeln die Option für die an den Rand<br />

Gedrängten leben, für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten,<br />

Entwürdigten <strong>und</strong> Kranken. … In brü<strong>der</strong>licher<br />

Gemeinschaft mit allen kleinen Leuten <strong>der</strong> Erde<br />

<strong>und</strong> mit Blick auf die heutigen Folgen <strong>der</strong> Armuts-<br />

situation sollen die Brü<strong>der</strong> daran arbeiten …“<br />

(GG.CC. Art. 97,1-2). Das wachsende Vertrauen<br />

in <strong>und</strong> das Verständnis für die Inkarnation <strong>und</strong> ihre<br />

Bedeutung eröffnete neue Wege für die westliche<br />

Kirche <strong>und</strong> Zivilisation. Dagegen blieben die<br />

heiligen Mysterien für die östliche Christenheit,<br />

die keinen Franz von Assisi hatte, hauptsächlich<br />

hinter <strong>der</strong> Ikonostase, innerhalb ihrer Ikonen,<br />

<strong>der</strong> Musik <strong>und</strong> dem Weihrauch, <strong>und</strong> nicht in den<br />

Spitälern, Waisenhäusern, Schulen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Soziallehre<br />

<strong>der</strong> Kirche.<br />

Für unsere Vorfahren im Glauben, die Juden, war<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> Rückerstattung, nicht Strafe.<br />

Ein Richter vollzog einen Akt <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

dadurch, dass er das zurückerstatten ließ, was<br />

gestohlen o<strong>der</strong> beschädigt worden war. Gelegentlich<br />

verhängte er eine Gefängnisstrafe für die schuldige<br />

Person, bis alles zurückerstattet sei. Die biblischen<br />

Bücher Genesis <strong>und</strong> Offenbarung (<strong>des</strong> Johannes)<br />

sehen Gottes ursprünglichen Plan für die Schöpfung,<br />

die Menschheit <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Erneuerung symbolisiert<br />

im Garten Eden <strong>und</strong> im neuen Jerusalem.<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wirkt dahin, dass das Reich Gottes<br />

kommen möge „auf Erden wie im Himmel“, dass<br />

die Menschheit in Frieden <strong>und</strong> vollem Bewusstsein<br />

in <strong>der</strong> Gegenwart Gottes leben möge.<br />

In Treue zu Franziskus <strong>und</strong> unserer Tradition sollten<br />

wir aufhören, einen falschen Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<br />

Kontemplation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

schaffen, <strong>der</strong> zu einer dualistischen Lebensauffassung<br />

führt. Je<strong>der</strong> von uns, <strong>der</strong> berufen ist ein<br />

geringerer Bru<strong>der</strong>, ein Min<strong>der</strong>er Bru<strong>der</strong> zu sein,<br />

hat die Verantwortung, hellhörig zu sein für das,<br />

was um uns herum geschieht, sich das aufmerksame<br />

Hinhören anzugewöhnen <strong>und</strong> je<strong>der</strong>zeit bereit<br />

zu sein, mit Gott zusammen sein lieben<strong>des</strong> Werk<br />

<strong>der</strong> Neuschöpfung zu wirken. „Da die Min<strong>der</strong>en<br />

Brü<strong>der</strong> mitten im Volk Gottes stehen, müssen sie<br />

auf neue Zeichen <strong>der</strong> Zeit achten, auf die Situationen<br />

einer sich wandelnden Welt reagieren“<br />

(GG.CC. Art. 4,1). Nachdenken im Gebet sichert,<br />

klärt <strong>und</strong> bestärkt die Erfahrung von Gottes Heilshandeln.<br />

Es erinnert uns daran, dass Gott nicht<br />

außerhalb unserer Geschichte lebt, son<strong>der</strong>n mitten<br />

in ihr. Wir brauchen Zeit, um Abstand von unserer<br />

Tätigkeit zu nehmen, damit wir verstehen, was sich<br />

ereignet hat <strong>und</strong> damit wir uns ganzheitlicher in<br />

Gottes Wirken um uns herum einbringen können.<br />

37


■ Kontemplation, unsere Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Aufmerksam unterscheiden<strong>des</strong> Wahrnehmen hilft<br />

uns zu verstehen, wohin <strong>der</strong> Geist unsere Gemeinschaft<br />

führt. Unsere Projekte, unsere Strukturen,<br />

die Zusammenschlüsse <strong>und</strong> die Zusammenarbeit,<br />

die wir mit an<strong>der</strong>n Menschen <strong>und</strong> Organisationen<br />

guten Willens haben, sollten uns dazu führen,<br />

immer wacher zu werden für das, was in unserer<br />

Gesellschaft geschieht, um dann die Wirklichkeit zu<br />

umarmen – gerade auf den Fel<strong>der</strong>n, die wir lieber<br />

meiden würden – <strong>und</strong> um Gott dort zu begegnen,<br />

wo er gerade lebt <strong>und</strong> wirkt. In unseren Strukturen,<br />

unseren Kapiteln, unserer Arbeit, unserem gemeinschaftlichen<br />

Leben müssen wir mit Gott vereint<br />

sein, damit sein „Reich komme auf Erden wie<br />

im Himmel."<br />

38<br />

John Quigley <strong>OFM</strong>


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden in<br />

<strong>der</strong> Ratio Formationis<br />

Franciscanae<br />

Ursprung, Ziel <strong>und</strong> Struktur <strong>der</strong> Ratio<br />

Die RATIO FORMATIONIS, die 1991 approbiert wurde,<br />

ist das wegweisende Dokument sowohl für die<br />

einführende Ordensausbildung als auch für die<br />

ständige Fortbildung <strong>des</strong> gesamten Ordens. Sie ist<br />

<strong>der</strong> Überzeugung, dass „die Bildung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong><br />

in Treue zu den Ursprüngen <strong>des</strong> eigenen Charismas<br />

<strong>und</strong> zu den Zeichen <strong>der</strong> Zeit die primäre Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

ist, die sich den Provinzen“ <strong>und</strong> dem<br />

gesamten Orden stellt (Vorwort). Um den Provinzen<br />

<strong>und</strong> den Brü<strong>der</strong>n zu helfen, auf diese Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

zu antworten, hat dieses Dokument<br />

sich bemüht, die Ergebnisse <strong>der</strong> Überlegungen zum<br />

Thema Erneuerung auf dem Gebiet <strong>der</strong> Ausbildung,<br />

in dem Zeitraum seit dem Generalkapitel<br />

von 1967, zu sammeln <strong>und</strong> anzuwenden. Jene<br />

Überlegungen nahmen vor allem in den Generalkonstitutionen<br />

von 1987 Gestalt <strong>und</strong> Form an,<br />

obwohl dieses Thema auch in den Kapiteln von<br />

Medellin 1971, von Madrid 1973 <strong>und</strong> im Ordensrat<br />

von 1981 behandelt wurde, auf denen die<br />

Ordensausbildung das Hauptthema war.<br />

In den Zusammenkünften <strong>der</strong> Novizenmeister<br />

1988 <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausbil<strong>der</strong> für <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> mit zeitlicher<br />

Profess stellte sich die Notwendigkeit eines<br />

Instrumentes für die Ordensausbildung heraus, das<br />

vereinbarte Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> gemeinsame Richtlinien<br />

für den gesamten Orden anbieten sollte.<br />

Die Frucht von all diesem ist die RATIO FORMATIO-<br />

NIS, die nicht so sehr ein juridisches Dokument ist,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr eines, das Orientierung gibt <strong>und</strong><br />

inspirieren will.<br />

Es glie<strong>der</strong>t sich in drei Teile:<br />

I. DIE EVANGELISIERUNG DES MINDERBRUDERS:<br />

Dieser erste Teil beginnt mit Art. 1 <strong>der</strong> GG.CC.<br />

<strong>und</strong> sammelt die gr<strong>und</strong>legenden Aspekte<br />

<strong>des</strong> franziskanischen Charismas, wie sie in den<br />

ersten fünf Kapiteln <strong>der</strong> GG.CC. dargelegt<br />

sind.<br />

II. FRANZISKANISCHE AUSBILDUNG: Dieser Teil<br />

entfaltet Kapitel VI <strong>der</strong> GG.CC. über Ausbildung<br />

<strong>und</strong> folgt <strong>der</strong> gleichen Struktur wie die<br />

Themen von Kapitel VI.<br />

III. ALLGEMEINBILDUNG, AUSBILDUNG IN THEOLO-<br />

GIE, BERUF UND KIRCHLICHEM DIENST IN<br />

FRANZISKANISCHEM GEIST: hier wird Kapitel VI,<br />

Titel VI <strong>der</strong> GG.CC. über „An<strong>der</strong>e Aspekte<br />

<strong>der</strong> Ausbildung“ behandelt.<br />

Die RATIO entspricht genau den GG.CC. Sie enthält<br />

achtzig ausdrückliche Zitate daraus, jene im<br />

Anhang nicht mitgezählt. Ihr Einfluss ist klar sichtbar<br />

in dem, was <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden betrifft.<br />

Sie enthält auch viele Hinweise auf das Dokument<br />

von Medellin über Erziehung <strong>und</strong> Ausbildung<br />

(neun Hinweise, jene im Anhang nicht mitgezählt).<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Dokument<br />

Ist das Thema von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden so<br />

offensichtlich in <strong>der</strong> Ratio enthalten, dass es sich<br />

lohnt, es zu einem Studiengegenstand zu machen?<br />

Zweifellos wird jemand die Frage bejahen, <strong>der</strong> dieses<br />

Dokument vom Standpunkt von GFBS aus<br />

betrachtet. Die gr<strong>und</strong>legenden Schlüsselelemente<br />

von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden sind dort nicht nur<br />

vorhanden, son<strong>der</strong>n sie stellen auch die zugr<strong>und</strong>e<br />

liegende Perspektive aller Hauptaspekte <strong>der</strong> Ausbildung<br />

dar.<br />

Offensichtlich ist es keine Frage eines Dokumentes<br />

über Ausbildung, dass es sich in den Begriffen von<br />

Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> ausdrückt. Nichts<strong>des</strong>toweniger<br />

finden sich alle gr<strong>und</strong>legenden Koordinaten<br />

von Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> darin ausdrücklich,<br />

oft als ausgesprochener Schwerpunkt, immer<br />

aber als realer Hintergr<strong>und</strong>.<br />

Einige Einschränkungen sind anzumerken:<br />

■ Es besteht ein bemerkenswertes Schweigen hinsichtlich<br />

<strong>des</strong> strukturellen Charakters <strong>der</strong> Unge-<br />

39


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

rechtigkeit <strong>und</strong> ihrer Auswirkungen auf die<br />

Ausbildung (es gibt nur einen Hinweis in<br />

diesem Sinn).<br />

■ Die kulturelle Dimension von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden scheint mehr vertreten als ihr<br />

sozio-politischer Ursprung.<br />

■ Es gibt keine Hinweise auf das Problem <strong>der</strong><br />

Ausgrenzung von Frauen.<br />

■ Und das Bemerkenswerteste: es finden sich<br />

keine konkreten <strong>und</strong> spezifisch pädagogischen<br />

Richtlinien zur Darlegung <strong>des</strong> Themas <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden in den verschiedenen<br />

Phasen <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong> Fortbildung.<br />

Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage muss aber auch anerkannt<br />

werden, dass es nicht realistisch wäre, viel mehr von<br />

einem Dokument wie diesem zu erwarten, das sich<br />

zum Ziel gesetzt hat, allgemeine Richtlinien für den<br />

gesamten Orden in seiner ganzen Komplexität <strong>und</strong><br />

Pluralität anzubieten. Mit an<strong>der</strong>n Worten, es ist<br />

nicht die Aufgabe eines solchen Dokumentes, konkrete<br />

pädagogische Anweisungen zu erteilen, son<strong>der</strong>n<br />

vielmehr inspirierende Prinzipien, erreichbare<br />

Horizonte <strong>und</strong> Kriterien zur Urteilsfindung anzubieten.<br />

Mein Ziel<br />

Ich werde die Ratio nicht vorlesen o<strong>der</strong> sie Zeile für<br />

Zeile behandeln. Ich werde auch nicht auf ihre<br />

pädagogischen Aspekte eingehen. Ich werde einfach<br />

versuchen, die Aussagen zu sammeln, die mir von<br />

gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Wichtigkeit erscheinen, werde einige<br />

Bemerkungen anfügen <strong>und</strong> einige tiefere Überlegungen<br />

andeuten.<br />

Ich werde diese Aussagen in drei Abschnitte aufteilen:<br />

einige Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> Spiritualität, einige<br />

Ziele für die Ausbildung <strong>und</strong> einige prägende Orte,<br />

Beispiele o<strong>der</strong> Mittel.<br />

Ich bin mir bewusst, dass ich mich so auf eine<br />

Ebene begebe, die zu abstrakt <strong>und</strong> zu vage ist, beinahe<br />

ein Klischee, <strong>und</strong> dafür möchte ich mich<br />

vorab entschuldigen.<br />

I. Einige Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> Spiritualität<br />

in „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />

Jede Ausbildung ist getragen von einer beson<strong>der</strong>en<br />

Spiritualität. Ausbildung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

40<br />

Frieden setzt beispielsweise eine Spiritualität voraus,<br />

d.h. eine Weise, sich die Begegnung zwischen dem<br />

Menschen <strong>und</strong> Gott vorzustellen, ein Wissen um<br />

den Weg <strong>der</strong> menschlichen Person Gott entgegen<br />

in <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> diese Person<br />

lebt. In Teil I, 1 werde ich drei Elemente hervorheben,<br />

die in <strong>der</strong> Ratio deutlich sichtbar sind <strong>und</strong> die<br />

auf die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Weise die Gestalt „einer<br />

Spiritualität von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ prägen:<br />

eine Spiritualität <strong>der</strong> Nachfolge Jesu, <strong>des</strong><br />

Gerechten <strong>und</strong> Friedfertigen; eine Spiritualität, die<br />

Gott in den Opfern betrachtet; eine Spiritualität<br />

<strong>der</strong> Menschwerdung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Praxis.<br />

1. Eine Spiritualität <strong>der</strong> Nachfolge Jesu<br />

Die Nachfolge Jesu ist eine <strong>der</strong> Dimensionen, auf<br />

die in <strong>der</strong> RATIO, vor allem im ersten Teil, am häufigsten<br />

hingewiesen wird. Der Ausdruck „Nachfolge<br />

Jesu Christi“ wird mehr als 20 mal verwendet<br />

(Nr. 1; 3; 5; 6; 8; 9; 10; 11; 12; 16; 17; 20; 30; 35;<br />

36; 41; 56,3a; 132; 141). Der Bru<strong>der</strong> in Ausbildung<br />

ist vor allem ein „Jünger“ (1; 5; 26), berufen<br />

„den Fußspuren Christi zu folgen“ (1; 17), genauer<br />

gesagt, „<strong>der</strong> Welt den armen <strong>und</strong> demütigen<br />

Christus zu bezeugen“ (24), den „armen <strong>und</strong><br />

gekreuzigten Christus“ (1; 15; 29; 36; 57), den<br />

„armen, demütigen <strong>und</strong> gekreuzigten Christus“<br />

(17). Dies ist die Identität <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s in Ausbildung.<br />

Dies ist die Perspektive <strong>und</strong> <strong>der</strong> Horizont<br />

für die Ausbildung.<br />

Ich glaube, dass wir hiermit den Schlüssel für eine<br />

Ausbildung in <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden erhalten.<br />

Die Nachfolge Jesu gibt dem Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Bedeutung, den<br />

Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> miteinschließend. Deshalb ist es das<br />

erste Anliegen <strong>der</strong> Ausbildung, Nachfolger, Jünger<br />

Jesu heranzubilden. Aus <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Perspektive ist Ausbildung in <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden das Gleiche wie das För<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ausbildung<br />

in <strong>und</strong> für die Nachfolge Jesu.<br />

Was erfor<strong>der</strong>t daher eine Ausbildung aus <strong>der</strong><br />

Perspektive <strong>des</strong> Jüngers? Sie for<strong>der</strong>t mehr als nur<br />

Gr<strong>und</strong>sätze, Ideen <strong>und</strong> Werte zu lernen, die mit<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden verb<strong>und</strong>en sind. Sie hat<br />

mit <strong>der</strong> aktiven <strong>und</strong> persönlichen Nachfolge <strong>des</strong><br />

Einen zu tun, <strong>der</strong> gerecht <strong>und</strong> friedfertig ist. Nur<br />

durch die Nachfolge wird <strong>der</strong> einzelne gebildet <strong>und</strong><br />

geformt, nicht durch eine rein ideologische Beleh-


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

rung, auch nicht durch eine vom Willen erzwungene<br />

Praxis o<strong>der</strong> durch oberflächliche Nachahmung.<br />

Ansonsten laufen <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

Gefahr, in Ideologie o<strong>der</strong> Voluntarismus abzugleiten.<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden sind keine von<br />

einem Bru<strong>der</strong> angestoßene Initiative, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

die Fortsetzung <strong>der</strong> Sendung Jesu. Sie besteht<br />

nicht nur in einem Programm von Aktivitäten.<br />

Statt<strong>des</strong>sen ist sie vor allem die persönliche Identifizierung<br />

mit dem gekreuzigten Auferstandenen in<br />

Solidarität mit allen, die mit ihren Hoffnungen <strong>und</strong><br />

ihren Verzweiflungen gekreuzigt worden sind.<br />

2. Eine Spiritualität,<br />

Gott in den Opfern zu betrachten<br />

Ich will einige Aussagen <strong>der</strong> RATIO herausgreifen.<br />

Die Person in Ausbildung soll „eine kontemplative<br />

Haltung annehmen“, die in ihrem Alltag „auf Gott<br />

hören kann“ (60), einen „Sinn für die Gegenwart<br />

Gottes in <strong>der</strong> Welt“ entwickelt (56,2b) <strong>und</strong> „in<br />

<strong>der</strong> Welt das Gute entdeckt, das Gott darin verwirklicht“<br />

(32; vgl. Medellin E 52). Gültig für alle Ausbildung<br />

bleibt, was die Ratio über die ständige<br />

Fortbildung sagt: sie ist „ein Weg <strong>des</strong> ganzen<br />

Lebens, sowohl <strong>des</strong> persönlichen wie <strong>des</strong> gemeinschaftlichen,<br />

in <strong>der</strong> Entdeckung <strong>des</strong> armen, demütigen<br />

<strong>und</strong> gekreuzigten Christus in sich selbst, in den<br />

Brü<strong>der</strong>n, im Dienst, in <strong>der</strong> eigenen Kultur <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> ganzen zeitgenössischen Wirklichkeit“ (57). In<br />

Nr. 33 sagt sie: „Um <strong>der</strong> eigenen Berufung treu zu<br />

bleiben, inkarnieren sich die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> in den<br />

konkreten Situationen <strong>des</strong> Volkes, in dem sie leben,<br />

entdecken darin die verschiedenen Antlitze Christi<br />

<strong>und</strong> finden darin die entsprechende franziskanische<br />

Lebensform.“ Und wo werden die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

jene verschiedenen Züge <strong>des</strong> armen <strong>und</strong> gekreuzigten<br />

Christus entdecken? Einfach in den armen <strong>und</strong><br />

gekreuzigten Glie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Menschen, unter denen<br />

sie leben, in all den entstellten Antlitzen von heute,<br />

in denen die Ehre, das Leiden <strong>und</strong> die Hartnäckigkeit<br />

eines Gottes zugleich verborgen <strong>und</strong> geoffenbart<br />

wird, <strong>der</strong> ihnen nahe <strong>und</strong> für sie eingenommen<br />

ist.<br />

Der Bru<strong>der</strong> in Ausbildung muss sein Herz <strong>und</strong> seinen<br />

Blick mit dem Gesicht Christi, <strong>des</strong> Gekreuzigten,<br />

<strong>und</strong> seinen vielen Gesichtern vertraut machen.<br />

Das ist die evangelische <strong>und</strong> franziskanische Weise,<br />

die Gegenwart Gottes in <strong>der</strong> Welt zu erkennen.<br />

Dieser Blick ist ein tiefreichen<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong><br />

Spiritualität wie gleichzeitig ein Ziel <strong>und</strong> Mittel<br />

<strong>der</strong> Ausbildung: Das Ziel <strong>der</strong> Ausbildung besteht<br />

darin, diesen Blick entwickeln zu helfen, <strong>und</strong> es ist<br />

dieser Blick, <strong>der</strong> den Bru<strong>der</strong> gestaltet. Für den<br />

Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> ein Jünger Jesu <strong>und</strong> ein Glauben<strong>der</strong><br />

ist, handelt es sich nicht einfach darum,<br />

die Welt aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Armen zu sehen;<br />

son<strong>der</strong>n es geht auch darum, in <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> im<br />

Armen die Gegenwart Gottes zu erkennen. Das ist<br />

die Weise „authentisch zu sein“ (J. Sobrino), die<br />

Weise, treu zu sein zur Welt als <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

Gottes, weil Gott beschrieben wird als einer, <strong>der</strong> das<br />

Elend sieht, die Klageschreie hört <strong>und</strong> das Leiden<br />

<strong>der</strong> Opfer kennt (vgl. Ex 3,7).<br />

Der Mensch unserer Zeit fragt nicht, wer Gott ist<br />

o<strong>der</strong> ob er existiert, son<strong>der</strong>n: wo ist Gott? Wo ist<br />

Gott in Auschwitz, in El Salvador <strong>und</strong> in Ruanda?<br />

Nun ist Gott immer „außerhalb <strong>der</strong> Stadt“ mit<br />

denen, die draußen sind, gekreuzigt mit den<br />

Gekreuzigten. Der Gott, <strong>der</strong> die Opfer ansieht,<br />

schaut auf uns aus den Gesichtern <strong>der</strong> Opfer <strong>und</strong><br />

wünscht, in ihnen gesehen zu werden. Die Ungerechtigkeit,<br />

die Opfer verursacht, verhüllt Gott;<br />

aber in einer Welt, in <strong>der</strong> es Opfer gibt, will Gott<br />

nur in ihnen gesucht <strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en werden. Es ist<br />

nicht einfach eine Frage <strong>des</strong> Glaubens an Gott,<br />

son<strong>der</strong>n eines „Glaubens an Gott aus (<strong>der</strong> Wirklichkeit)<br />

<strong>der</strong> Opfer“ (J. Sobrino). Daraus folgt, dass<br />

die Nähe zu den Opfern <strong>und</strong> die Option zu ihren<br />

Gunsten, mit an<strong>der</strong>en Worten, die Option für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden, die „christliche Gelegenheit<br />

für die Erfahrung Gottes“ ist.<br />

Christliche Spiritualität besteht nicht darin, Gewissheit<br />

über die Existenz Gottes o<strong>der</strong> Wissen über<br />

Gottes Natur zu erwerben; vielmehr besteht sie in<br />

<strong>der</strong> aufrichtigen <strong>und</strong> existentiellen Erfahrung, dass<br />

Gott eine Vorliebe für die Armen hat. Deshalb<br />

besteht Ausbildung nicht darin, jemanden vorzubereiten,<br />

<strong>der</strong> Welt von heute zu beweisen, dass<br />

Gott existiert; vielmehr besteht sie in <strong>der</strong> mentalen,<br />

aufrichtigen <strong>und</strong> existentiellen Vorbereitung,<br />

sagen zu können, „dass Gott die Armen liebt“<br />

(G. Gutierrez).<br />

3. Eine inkarnierte<br />

<strong>und</strong> praktische Spiritualität<br />

Die Ratio bekräftigt, dass „die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> sich<br />

in den konkreten Situationen <strong>des</strong> Volkes, in dem sie<br />

41


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

leben, inkarnieren <strong>und</strong> darin die verschiedenen<br />

Antlitze Christi entdecken“ (33). Gemäß dem<br />

berühmten Ausspruch von D. Bonhoeffer, „ergreift<br />

Christus den Menschen mitten im Leben"; nicht an<br />

den Rän<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n im Herzen <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Lebens, nicht in stillen, offenen Räumen, son<strong>der</strong>n<br />

im Kampf gegen Ungerechtigkeit <strong>und</strong> im Konflikt<br />

für den Frieden. Ausbildung im Geist von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden wird durch eine Spiritualität<br />

angeregt <strong>und</strong> unterstützt, die im Leben mit all<br />

seinen Ungerechtigkeiten <strong>und</strong> Konflikten, Hoffnungen<br />

<strong>und</strong> Projekten wurzelt.<br />

Wir besitzen hier ein entscheiden<strong>des</strong> Kriterium für<br />

menschliche <strong>und</strong> geistliche Ausbildung. Wenn Gott<br />

sich selbst in die Mitte unseres Lebens inkarniert,<br />

dann können wir nur aus <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> Lebens, <strong>der</strong><br />

Welt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschheit heraus die umwandelnde<br />

Erfahrung fortsetzen, Gott zu begegnen. Darum<br />

geht es in <strong>der</strong> Spiritualität. Eine inkarnierte Spiritualität,<br />

die aufmerksam ist für die Wirklichkeit,<br />

dort wo sie sich ereignet <strong>und</strong> Gott begegnet. Nicht<br />

eine intime Spiritualität, son<strong>der</strong>n eine, die offen ist<br />

für an<strong>der</strong>e; nicht eine nach innen blickende Spiritualität,<br />

son<strong>der</strong>n eine, die sich <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en bewusst<br />

ist. Nicht eine abgehobene Spiritualität, son<strong>der</strong>n<br />

eine <strong>des</strong> Engagements. Nicht eine beruhigende o<strong>der</strong><br />

auf sich selbst bezogene Spiritualität, son<strong>der</strong>n eine<br />

engagierte <strong>und</strong> aktive; nicht spiritualistisch, son<strong>der</strong>n<br />

spirituell <strong>und</strong> von dem Geist genährt, <strong>der</strong> lebendig<br />

macht <strong>und</strong> verwandelt; eine Spiritualität, die in<br />

dem Grad persönlicher ist, als sie in die Gesellschaft<br />

einbezogen ist. Sie ist in dem Grad tiefer <strong>und</strong> innerlicher,<br />

als sie offener nach außen <strong>und</strong> von außen ist.<br />

All dies erfor<strong>der</strong>t eine Verbindung zwischen Spiritualität<br />

<strong>und</strong> lebendiger Alltagspraxis. Ziel ist nicht,<br />

den Inhalt von Spiritualität in Aktivismus zu verlieren,<br />

son<strong>der</strong>n sie zu öffnen <strong>und</strong> zu einer Quelle <strong>der</strong><br />

Verwandlung zu machen. Was die RATIO allgemein<br />

über die Ausbildung sagt, ist in gleicher Weise für<br />

Spiritualität gültig: sie ist „erfahrungsorientiert, das<br />

heißt, sie achtet auf das Leben <strong>und</strong> die Gaben je<strong>der</strong><br />

einzelnen Person, för<strong>der</strong>t die konkrete Erfahrung<br />

<strong>des</strong> eigenen Lebensstils <strong>und</strong> <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Werte im Alltag“ (47); <strong>und</strong> sie ist „praxisbezogen,<br />

insofern sie darauf abzielt, das, was man lernt, auch<br />

in die Tat umzusetzen“ (48). Sie betont die Notwendigkeit<br />

einer Ausbildung, die vom Leben <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> konkreten Erfahrung herkommt, sowohl in<br />

42<br />

Bezug auf die Postulanten (128,3), wie auch in<br />

Bezug auf die Novizen (142), die Brü<strong>der</strong> mit zeitlicher<br />

Profess (153) <strong>und</strong> jenen, die sich auf jedweden<br />

kirchlichen Dienst vorbereiten (175; 177). Reine<br />

Lehren <strong>und</strong> eine bloße Identifizierung mit dem<br />

Ideal bilden nicht. Bildung entsteht aus dem Kontakt<br />

mit <strong>der</strong> Wirklichkeit, die durch den Glauben<br />

erleuchtet <strong>und</strong> im Glauben gelebt wird. Eine<br />

Spiritualität, die aus <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

entspringt, macht uns zu staunenden Dienern <strong>des</strong><br />

Lebens in all seinen Formen, vor allem <strong>der</strong> Lebensformen,<br />

die am stärksten bedroht sind.<br />

II. Einige Ziele <strong>der</strong> Ausbildung<br />

„für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />

Es ist wichtig, auf diese spirituellen Gr<strong>und</strong>sätze<br />

hinzuweisen, an denen sich Ausbildung orientiert.<br />

Doch ist es ebenso notwendig, genauer <strong>und</strong> konkreter<br />

zu sein. In diesem zweiten Teil schaue ich auf<br />

die Ziele, welche die RATIO <strong>der</strong> Ausbildung<br />

zuspricht <strong>und</strong> die mit <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in<br />

Verbindung stehen.<br />

In einer Welt, in <strong>der</strong> alle Revolutionen fehlgeschlagen<br />

zu sein scheinen <strong>und</strong> alle Utopien verflogen<br />

sind, in <strong>der</strong> Skeptizismus, das Gefühl von Verwirrung,<br />

die Empfindung von Ohnmacht <strong>und</strong> die<br />

„Ideologie <strong>des</strong> Unvermeidbaren“ wachsen, muss<br />

franziskanische Ausbildung bestrebt sein, Brü<strong>der</strong><br />

heranzubilden, die das Evangelium in <strong>der</strong> Welt<br />

von heute wirksam inkarnieren. Und dieses Ziel ist<br />

nicht nur ein weiteres unter den an<strong>der</strong>en Zielen<br />

<strong>der</strong> Ausbildung; statt<strong>des</strong>sen macht dieses Ziel die<br />

an<strong>der</strong>en authentisch <strong>und</strong> verleiht ihnen Bedeutung.<br />

Konkreter gesagt, franziskanische Ausbildung muss<br />

sich bemühen, unter den Brü<strong>der</strong>n eine dreifache<br />

Haltung <strong>und</strong> Aktivität zu entfachen: eine Weltsicht<br />

aus franziskanischer Perspektive, ein tatsächliches<br />

<strong>und</strong> wirksames Mitgefühl gegenüber den Ärmsten,<br />

<strong>und</strong> ein Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> in Frieden <strong>und</strong><br />

für Frieden in <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

1. Die Sicht <strong>der</strong> Wirklichkeit aus<br />

<strong>der</strong> Perspektive <strong>des</strong> Armen<br />

Die RATIO drückt das gut in einem kurzen Artikel<br />

aus, <strong>der</strong> sich auf das Noviziat bezieht, aber auf<br />

alle Phasen <strong>der</strong> Ausbildung übertragbar ist: „Der<br />

Novize entwickle die Fähigkeit, die Wirklichkeit


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

kennenzulernen, sie kritisch zu beurteilen <strong>und</strong> aus<br />

franziskanischer Perspektive an ihr teilzunehmen“<br />

(143). Was ist die franziskanische Perspektive?<br />

Zweifellos jene, die von Jesus <strong>und</strong> Franziskus bevorzugt<br />

wurde, die jener, die in dieser Welt eines<br />

Anwalts o<strong>der</strong> eines Verbündeten beraubt sind. Wie<br />

alle Perspektiven ist sie parteiisch, doch es ist die<br />

Parteinahme Gottes, die Jesus als Gute Nachricht<br />

verkündete <strong>und</strong> Franziskus in eine Lebensform goss.<br />

„Die Wirklichkeit kennenlernen, sie kritisch beurteilen,<br />

an ihr teilnehmen“ aus jener Perspektive: das<br />

ist das Ziel franziskanischer Ausbildung.<br />

Die Weise ist wichtig, in <strong>der</strong> wir die Wirklichkeit<br />

betrachten, kennenlernen <strong>und</strong> beurteilen. Es ist<br />

zutreffend, dass wir in einer Zeit radikaler Unsicherheit<br />

<strong>und</strong> allgemeiner Orientierungslosigkeit leben,<br />

<strong>und</strong> instinktiv ziehen wir globale Urteile über die<br />

Wirklichkeit in Zweifel. Dies kann auch eine Versuchung<br />

werden; die Versuchung, auf jede Art von<br />

Kriterium zu verzichten. Es ist zutreffend, wir<br />

leben in einer „Galaxie von Komplexität“ (J. Garcia<br />

Roca). Wir müssen Vereinfachungen meiden <strong>und</strong><br />

wollen nicht zu dogmatischen Sicherheiten, ideologischen<br />

Lehren o<strong>der</strong> alles verstehenden Systemen<br />

zurückkehren. Gleichzeitig ist es ein Gebot <strong>des</strong><br />

Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s an sich selbst, „eine kritische Sicht<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt zu haben“ (162) <strong>und</strong>,<br />

wie in <strong>der</strong> RATIO entwickelt wird, eine „Sensibilität<br />

gegenüber <strong>der</strong> Wirklichkeit zu entwickeln, um die<br />

Probleme zu sehen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Ursachen zu verstehen“<br />

(180) <strong>und</strong>: „Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> macht sich die<br />

franziskanische Vision <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>des</strong> Menschen<br />

zu eigen <strong>und</strong> entwickelt ein ausgewogenes kritisches<br />

Urteil bezüglich den Ereignissen“ (32). Ein „ausgewogenes<br />

Urteil“ ist kein unparteiisches o<strong>der</strong> neutrales<br />

Urteil, das bewusst o<strong>der</strong> unbewusst Situationen<br />

von Ungerechtigkeit hinnimmt <strong>und</strong> unterstützt.<br />

Vielmehr ist es ein Urteil, das von <strong>der</strong> Klarheit <strong>und</strong><br />

Parteilichkeit <strong>des</strong> Evangeliums geprägt ist. Die<br />

RATIO sagt auch, dass die Ausbildung sich bemühen<br />

muss, den Brü<strong>der</strong>n die Fähigkeit zu vermitteln, die<br />

„Zeichen <strong>der</strong> Zeit zu verstehen“ (56,1c). Das große<br />

Zeichen <strong>der</strong> Zeit ist die wachsende Kluft zwischen<br />

dem Reichtum einer Min<strong>der</strong>heit <strong>und</strong> dem Elend<br />

<strong>der</strong> Mehrheit. Ausbildung versucht, dem Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong><br />

eine klare <strong>und</strong> kritische Sicht <strong>der</strong> Welt zu<br />

vermitteln <strong>und</strong> sie zu vertiefen; nicht eine neutrale,<br />

son<strong>der</strong>n eine parteiische Sicht aus <strong>der</strong> Perspektive<br />

<strong>der</strong> Armen; eine Sicht, die in <strong>der</strong> Welt auf Gott<br />

schaut <strong>und</strong> die mit den Augen Gottes auf die Welt<br />

schaut.<br />

Wir müssen diese Ziele ähnlich verstehen wie das,<br />

was die RATIO zu den theologischen Studien <strong>des</strong><br />

Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s aussagt: „Seinen Glauben mit den<br />

Problemen <strong>der</strong> zeitgenössischen Welt zu konfrontieren“,<br />

„Licht in die persönliche <strong>und</strong> soziale ‚Praxis‘<br />

<strong>des</strong> Glaubens zu bringen <strong>und</strong> diese zu för<strong>der</strong>n“<br />

(165), „ein Verständnis <strong>der</strong> zeitgenössischen Welt<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen Person“ (151) zu ermöglichen.<br />

Wir wollen die mo<strong>der</strong>ne Welt <strong>und</strong> die<br />

menschliche Person in ihr nur in dem Grade verstehen,<br />

dass Elend <strong>und</strong> Hunger in dem Maße<br />

ungerechter sind, als sie vermeidbar wären. Angesichts<br />

<strong>der</strong> Ungerechtigkeit bleibt kein Raum für<br />

eine unparteiische Theologie.<br />

In diesem Sinn ist es wert, einige Züge <strong>der</strong> Theologie<br />

beson<strong>der</strong>s zu erwähnen, die sie gemäß den<br />

Nr. 166 <strong>und</strong> 167 <strong>der</strong> RATIO besitzen sollte: „Eine<br />

Theologie, die eng mit dem Gebet verb<strong>und</strong>en ist;<br />

eine Theologie, die lebensnah <strong>und</strong> auf das konkrete<br />

Handeln ausgerichtet ist“ (166); „eine Theologie<br />

<strong>der</strong> Schöpfung, die das Lob <strong>des</strong> Schöpfers bekräftigt,<br />

den Menschen die Achtung vor dem Geschaffenen<br />

lehrt, in die ökologischen Probleme unserer<br />

Zeit ein Licht <strong>des</strong> Glaubens bringt; eine Theologie<br />

<strong>und</strong> eine Christologie, die Gottes Heil <strong>und</strong> Befreiung<br />

als Antwort auf den Hilfeschrei <strong>und</strong> die Nöte<br />

<strong>der</strong> Armen von heute aktualisieren; eine Theologie,<br />

die anleitet zur Achtung vor dem Menschen <strong>und</strong><br />

seinen Rechten; eine Theologie, die abzielt auf die<br />

Errichtung einer brü<strong>der</strong>lichen Welt (<strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden, Ökumenismus) (vgl. Med E 59); eine<br />

Theologie, die in einer eschatologischen Vision<br />

verankert ist <strong>und</strong> in ihr die Kraft für den täglichen<br />

Einsatz findet“ (167).<br />

2. Ein tatsächliches Mitgefühl<br />

für die Ärmsten<br />

L. Feuerbach urteilte zutreffend, dass „Leiden dem<br />

Denken vorausgeht“. In <strong>der</strong> Tat ist nur das, was<br />

erlitten wurde, erkannt, o<strong>der</strong> exakter, das was<br />

gemeinschaftlich erlitten wurde. Unsere Welt<br />

benötigt mehr denn je einen „mitfühlenden<br />

Verstand“ (J. Sobrino). In diesem Sinn habe ich<br />

in einem vorausgehenden Punkt erklärt, dass wir<br />

die heutige Welt nur dann kennenlernen, wenn<br />

wir den Schmerz <strong>des</strong> Armen auf uns nehmen.<br />

43


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

Aber wir müssen auch das Gegenteil feststellen:<br />

Kenntnis muss ebenso Mitgefühl mitbringen, das<br />

Leiden jenes „Teils <strong>der</strong> Bevölkerung auf sich zu nehmen<br />

<strong>und</strong> zu tragen“ (I. Ellacuría), <strong>der</strong> jeden Tag<br />

wachsenden Mehrheit auf unseren Planeten.<br />

Im franziskanischen Wortschatz wird dieses Mitgefühl<br />

als MINDERSEIN bezeichnet. Die Ratio zitiert<br />

Franziskus <strong>und</strong> die Generalkonstitutionen <strong>und</strong> ruft<br />

uns in Erinnerung, dass die Brü<strong>der</strong> berufen sind,<br />

um „als Min<strong>der</strong>e unter den Armen <strong>und</strong> Schwachen<br />

zu leben“ (10; NbReg 9,2), „in Armut, Demut<br />

<strong>und</strong> Maßhalten, inmitten <strong>der</strong> Kleinsten, ohne<br />

Macht <strong>und</strong> Privileg“ zu leben, „als Pilger <strong>und</strong><br />

Fremdling … als Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Kreatur untertan“<br />

(22); dass die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> „dem Beispiel<br />

<strong>des</strong> hl. Franziskus folgen, … , indem sie das Leben<br />

<strong>und</strong> die Situation <strong>der</strong> Armen wählen, sich mit ihnen<br />

identifizieren, den Unterdrückten, den Bedrängten<br />

<strong>und</strong> den Kranken dienen <strong>und</strong> sich von ihnen evangelisieren<br />

lassen“ <strong>und</strong> dass sie „ausdrücklich Option<br />

für die Armen“ ergreifen, „indem sie zur Stimme<br />

<strong>der</strong>er werden, die keine Stimme haben, als Werkzeug<br />

<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (25).<br />

Insbeson<strong>der</strong>e erinnert die Ratio daran, dass Ausbildung<br />

sicherstellen muss, dass die Brü<strong>der</strong> „im<br />

Geist … <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins, <strong>der</strong> Einfachheit <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Teilens, vor allem mit den Geringen <strong>und</strong> den<br />

Armen dieser Welt“ (159) ihre Arbeit wählen <strong>und</strong><br />

auf sich nehmen. Und wie Liebe nur wirklich ist,<br />

wenn sie konkret ist, <strong>und</strong> konkret ist, wenn sie bei<br />

dem wirklich Nächsten geübt wird, so muss das<br />

Mitgefühl für die Unbedeutenden <strong>und</strong> die Option<br />

für die Armen zuerst in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft selbst<br />

beginnen <strong>und</strong> sich ausdrücken, in Bezug auf die<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, die es am meisten benötigen.<br />

Unter diesem Blickwinkel erklärt die RATIO im<br />

Abschnitt über das Noviziat, dass „Achtung <strong>und</strong><br />

Sorge für die älteren, kranken <strong>und</strong> schwachen Brü<strong>der</strong>“<br />

(144) <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft ein Unterscheidungskriterium<br />

darstellt für die Eignung <strong>des</strong> Novizen zur<br />

ersten Profess.<br />

Da dieses Min<strong>der</strong>sein-Mitgefühl ein wesentliches<br />

Element <strong>der</strong> Identität <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s ist, stellt<br />

es auch ein gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> Ziel franziskanischer<br />

Ausbildung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden dar. Die<br />

Ausbildung muss in dem Bru<strong>der</strong> jene Identifizierung<br />

in Urteil <strong>und</strong> Gefühl, in Verstand <strong>und</strong> Herz<br />

mit den letzten von allen anregen: mit <strong>der</strong> Dritten<br />

44<br />

Welt, mit <strong>der</strong> Vierten Welt <strong>und</strong> mit jenem sozialen<br />

Rand, <strong>der</strong> jeden Tag größer wird, <strong>und</strong> identifiziert<br />

werden kann durch das, was J. Garcia Roca „Verw<strong>und</strong>barkeit“<br />

nennt, d.h. all jene, die we<strong>der</strong> völlig<br />

aus <strong>der</strong> Gesellschaft ausgegrenzt, noch völlig<br />

integriert sind, die vielmehr eine unsichere Existenz<br />

haben: unsichere Arbeit, unsichere emotionale<br />

Beziehungen, ein Gefühl von Unsicherheit in ihren<br />

Leben.<br />

Die Option für die Armen muss, um evangeliumsgemäß<br />

<strong>und</strong> franziskanisch zu sein, ihren Impuls<br />

nicht von Motivationen moralischer Art noch von<br />

ideologischen Überzeugungen herleiten, son<strong>der</strong>n<br />

von einem Mitgefühl, das aus dem Herzen kommt<br />

<strong>und</strong> die ganze Person erreicht <strong>und</strong> verwandelt.<br />

Dann wird diese Option eine Erfahrung von Gnade<br />

<strong>und</strong> kann authentisch gelebt werden als Ausdruck<br />

einer ungeschuldeten Liebe: „es wurde mir in Süße<br />

<strong>der</strong> Seele <strong>und</strong> <strong>des</strong> Leibes verwandelt“. In <strong>der</strong> Tat<br />

„gibt es eine Form <strong>der</strong> Liebe zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, die<br />

unter <strong>der</strong> Gefahr leidet, die Menschen nicht zu<br />

lieben“.<br />

Innerhalb <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins-Mitgefühls, das ein<br />

gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> Ziel <strong>der</strong> Ausbildung darstellt, können<br />

wir einen Kernaspekt <strong>des</strong> franziskanischen<br />

Charismas einschließen, die „Achtung vor <strong>der</strong><br />

Schöpfung“. Dieser Ausdruck wird oft in <strong>der</strong> RATIO<br />

wie<strong>der</strong>holt: 21; 56,3c; 156; 162. Was bedeutet<br />

„Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung“? Es bedeutet Staunen<br />

<strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung für alles, was existiert, weil es ein<br />

Geschöpf Gottes ist <strong>und</strong> die Würde eines Bru<strong>der</strong>s<br />

besitzt, <strong>und</strong> weil in ihm Christus gegenwärtig ist<br />

<strong>und</strong> angetroffen werden kann (vgl. 12). Die RATIO<br />

erklärt, dass „Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung“ ein Kriterium<br />

für die Eignung eines Bru<strong>der</strong>s zur feierlichen<br />

Profess darstellt (156). Ausbildung soll entdecken<br />

helfen, dass Ökologie we<strong>der</strong> eine Frage egoistischer<br />

Sorge einer reichen Gesellschaft ist, noch die oberflächliche<br />

Äußerung einer bürgerlichen Spiritualität,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr etwas, das in die Mitte<br />

franziskanischen Glaubens gehört: das Verständnis<br />

<strong>der</strong> Geschöpfe als Subjekte <strong>und</strong> nicht als bloße<br />

Objekte <strong>der</strong> Manipulation <strong>und</strong> <strong>des</strong> menschlichen<br />

Konsums, <strong>und</strong> das Gefühl <strong>der</strong> Achtung vor dem<br />

unverletzbaren Recht je<strong>der</strong> Kreatur. Ausbildung<br />

sollte entdecken helfen, dass es bei dem ökologischen<br />

Problem genau um das Recht auf Existenz<br />

einer jeden Kreatur <strong>und</strong> um das Recht auf Überle-


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

ben jener Generationen geht, die nach uns auf<br />

Mutter Erde kommen.<br />

Hierin liegen die existentiellen Vorlieben von<br />

Verstand <strong>und</strong> Herz, welche die Ausbildung in den<br />

Brü<strong>der</strong>n anregen <strong>und</strong> stärken sollte. Dafür ist es<br />

unerläßlich, eine Pädagogik festzulegen, die konkret,<br />

anwendbar, kohärent <strong>und</strong> Teil eines Prozesses<br />

ist, den die RATIO nicht leisten kann. Wie können<br />

wir sicherstellen, dass das Kriterium <strong>der</strong> Beurteilung<br />

<strong>und</strong> die praktischen Optionen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in Ausbildung<br />

geprägt von Min<strong>der</strong>sein-Mitgefühl sind? Wie<br />

können wir es umsetzen, die mehr als oberflächlichen<br />

Idealisierungen vieler Kandidaten zu reinigen<br />

<strong>und</strong> authentisch werden zu lassen?<br />

Wie können wir den Blick <strong>und</strong> die Gewohnheiten<br />

<strong>der</strong> in unserer Welt Privilegierten än<strong>der</strong>n <strong>und</strong> sie<br />

durch die Prioritäten Jesu <strong>und</strong> <strong>des</strong> Franziskus ersetzen?<br />

Wie können diese Prioritäten vom Noviziat an<br />

motiviert <strong>und</strong> spirituell gefestigt werden? Vermitteln<br />

wir während <strong>des</strong> Zeitraums <strong>der</strong> zeitlichen<br />

Gelübde Erfahrung <strong>und</strong> wirkliche Begegnung mit<br />

den Ärmsten, sodass diese Option im Alltagsleben<br />

Wurzel schlagen kann? Das sind Lebensfragen für<br />

die Ausbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> für die, die in Ausbildung stehen.<br />

An<strong>der</strong>enfalls laufen <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

Gefahr, zu einer vagen Sehnsucht o<strong>der</strong> zu einer<br />

leeren Formel reduziert zu werden, wie es oft<br />

geschieht.<br />

3. Handeln zugunsten von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

in Frieden <strong>und</strong><br />

zugunsten von Frieden in <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Handeln für Frieden<br />

sind untrennbar. Sie sind ein <strong>und</strong> dasselbe.<br />

Sie bilden ein einziges Ziel <strong>und</strong> können in <strong>der</strong> Ausbildung<br />

unmöglich getrennt werden. Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>,<br />

erklärt die RATIO, „arbeitet für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> achtet die Schöpfung“ (21); er<br />

muss sich zu einem „Werkzeug <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ bekehren (25; 32), zu einem<br />

„Boten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Versöhnung“ (180a). Darauf zielt franziskanische<br />

Ausbildung, daran wird sie gemessen. „Suche nach<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ (56,2b) findet sich<br />

unter den Aspekten christlichen Wachstums für den<br />

Bru<strong>der</strong> in Ausbildung; <strong>der</strong> „Sinn für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Achtung <strong>des</strong> Geschaffenen“ (156) wird<br />

als ein Kriterium für die Eignung zur feierlichen<br />

Profess aufgeführt. Das „Bemühen, die Gesellschaft<br />

im Sinne <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung umzugestalten“ (162),<br />

ist unter den Zielen <strong>der</strong> Allgemeinbildung eingeschlossen.<br />

Kurz gesagt, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden,<br />

gemeinsam mit <strong>der</strong> Achtung vor <strong>der</strong> Schöpfung,<br />

stellen ein Prinzip, ein Kriterium <strong>und</strong> ein Ziel <strong>der</strong><br />

Ausbildung dar. Auf <strong>der</strong> Linie <strong>der</strong> RATIO möchte<br />

ich das noch spezifischer ausführen.<br />

Einerseits: Handeln zugunsten von <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

In dem Maße, in dem die Ausgegrenzten <strong>und</strong> das<br />

„Verw<strong>und</strong>bare“ in unserer Welt <strong>und</strong> unserer Gesellschaft<br />

Opfer von Ungerechtigkeit sind, muss sich<br />

das Mitgefühl mit ihnen in Handeln gegen Ungerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> wandeln.<br />

Die Ratio stellt klar, dass „<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong><br />

einfühlsam ist <strong>und</strong> arbeitet, um jede Form von<br />

Ungerechtigkeit <strong>und</strong> die entmenschlichenden<br />

Strukturen in <strong>der</strong> Welt zu beseitigen“ (25); <strong>und</strong> dass<br />

„<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> bereit ist, kraftvoll alles anzuklagen,<br />

was <strong>der</strong> Würde <strong>des</strong> Menschen wi<strong>der</strong>spricht“<br />

(34). Dieses Element gehört auch zu den wesentlichen<br />

Zielen <strong>der</strong> Ausbildung. Doch versäumt es die<br />

RATIO nicht, auch eine Linie <strong>des</strong> Handelns für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> aufzuzeigen, an die je<strong>der</strong>zeit zu erinnern<br />

ist <strong>und</strong> die umgesetzt werden sollte; es ist nämlich<br />

wichtig, „sich um die Empfänger <strong>der</strong> christlichen<br />

Nächstenliebe zu kümmern, damit sie Protagonisten<br />

ihres menschlichen Vorankommens <strong>und</strong><br />

ihrer Befreiung werden“ (180a).<br />

So ist die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht von <strong>der</strong><br />

Arbeit für Frieden zu trennen, genauso wie die<br />

Arbeit für Frieden untrennbar ist von <strong>der</strong> Arbeit<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>. Wenn „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>der</strong> Name<br />

für Friede“ ist (Paul VI.), dann ist Friede <strong>der</strong><br />

Name für eine voll verwirklichte <strong>Gerechtigkeit</strong>. Die<br />

RATIO betont in ihrem ersten Teil, dass <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong><br />

berufen ist, „ein Mann <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (28),<br />

ein „Bote <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ (3) zu<br />

sein, „versöhnt <strong>und</strong> friedliebend“ (22) zu leben; er<br />

„trägt als Herold <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> diesen im Herzen <strong>und</strong><br />

bietet ihn den an<strong>der</strong>en an (34; vgl. GG.CC. 68,2).<br />

„Einsatz für Versöhnung <strong>und</strong> Vergebung“ (56,3c)<br />

sollte das Wachstums eines Bru<strong>der</strong>s in franziskanischer<br />

Ausbildung kennzeichnen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> „Geist<br />

<strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versöhnung“ (156) ist<br />

ein Kriterium für die Eignung zur feierlichen<br />

Profess.<br />

45


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

Natürlich ist ein „Geist <strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Versöhnung“ nicht gleichbedeutend damit, in<br />

Situationen von Konflikt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit<br />

kleinmütig zu sein. Ausbildung zum „Mann <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong>“ o<strong>der</strong> zum „Boten <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“ meint<br />

nicht, jemanden zu lehren, Konflikte zu vermeiden,<br />

son<strong>der</strong>n im Gegenteil ihn vorzubereiten, Konflikten<br />

mutig zu begegnen. Die Ausbildung muss dafür<br />

Sorge tragen, dass einer in Ausbildung weiterhin<br />

die „Fähigkeit zur Kommunikation <strong>und</strong> Konfliktbewältigung“<br />

(56,1b) erwirbt, angefangen mit <strong>der</strong><br />

eigenen Bru<strong>der</strong>schaft. Die eigene Bru<strong>der</strong>schaft ist<br />

<strong>der</strong> erste Ort, in dem die Brü<strong>der</strong> diese Fähigkeit zur<br />

Kommunikation <strong>und</strong> zur „Konfliktlösung“ (64)<br />

för<strong>der</strong>n müssen.<br />

Schließlich ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass<br />

<strong>der</strong> Kampf für <strong>Gerechtigkeit</strong> in Frieden <strong>und</strong> für<br />

Frieden in <strong>Gerechtigkeit</strong> eine Aufgabe voller Risiken<br />

ist <strong>und</strong> anfällig dafür, Fehler zu machen. Wer<br />

immer ein Werkzeug <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong> sein will, muss lernen, Komplexität <strong>und</strong><br />

Unsicherheit, ebenso Zweideutigkeit <strong>und</strong> Fehler auf<br />

sich zu nehmen. Er muss lernen, in einen Konflikt<br />

einzusteigen, ohne ein Bündnis mit <strong>der</strong> Ungerechtigkeit<br />

einzugehen <strong>und</strong> ohne einem Gefühl von<br />

Hass <strong>und</strong> Rache nachzugeben. Dies erfor<strong>der</strong>t große<br />

innere Freiheit <strong>und</strong> Mut <strong>des</strong> Geistes. Aber diese<br />

Kraft ist nicht das Spezifikum von Helden, son<strong>der</strong>n<br />

von jenen, die anerkennen, dass sie arm sind <strong>und</strong><br />

Vergebung benötigen, bedürftig <strong>und</strong> mit Gnade<br />

beschenkt.<br />

III. Einige Räume <strong>und</strong> Ausbildungsinstanzen,<br />

die „sich aus <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden ergeben"<br />

Nachdem ich, <strong>der</strong> RATIO folgend, aufgezeigt habe,<br />

dass <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden eine spirituelle<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> ein Ziel <strong>der</strong> Ausbildung darstellen,<br />

möchte ich im dritten Teil unterstreichen, dass<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden einen Ort <strong>und</strong> ein Mittel<br />

<strong>der</strong> Ausbildung bezeichnen. Wenn jede Spiritualität,<br />

wie je<strong>des</strong> Wissen <strong>und</strong> Handeln, von dem Ort<br />

<strong>und</strong> dem Umfeld abhängt, muss das Gleiche auch<br />

von <strong>der</strong> Ausbildung gesagt werden. Ausbildung ist<br />

keine Übermittlung von Ideen, son<strong>der</strong>n von Leben.<br />

Auch ist Ausbildung kein Informationsprogramm,<br />

46<br />

son<strong>der</strong>n ein Weg zur Verwandlung. Im Letzten ist<br />

Ausbildung wie Spiritualität eine Weise zu leben.<br />

Und Leben wird vor allem durch Aneignung <strong>und</strong><br />

Kontakt, durch Intuition <strong>und</strong> Zuneigung gelehrt<br />

<strong>und</strong> gelernt. Letztendlich wird sie von einem<br />

Lebensstil her aufgebaut. In diesem dritten Teil<br />

will ich drei Züge von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

als einem Ort herausstellen, durch den <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong><br />

gebildet wird: Treue zur Welt, Einglie<strong>der</strong>ung-<br />

Inkulturation, Dialog.<br />

1. Treue zur Welt von heute<br />

In <strong>der</strong> RATIO begegnen wir oft Ausdrücken wie<br />

„Welt von heute“, „Menschen unserer Zeit“ (3; 15;<br />

35; 66; 132; 137; 144; ...), <strong>und</strong> „Treue zu den<br />

Erwartungen <strong>der</strong> Welt von heute“, „Treue zu den<br />

Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ (Vorwort), o<strong>der</strong> einfach „Treue<br />

zum Menschen <strong>und</strong> zu unserer Zeit“ (15).<br />

Was besagt diese Treue? An erster Stelle zeigt sie<br />

„Aufmerksamkeit“ an. In <strong>der</strong> Formulierung von<br />

POPULORUM PROGRESSIO, die von <strong>der</strong> RATIO<br />

übernommen wird, for<strong>der</strong>t sie von den Brü<strong>der</strong>n<br />

Achtsamkeit gegenüber „dem Menschen, dem<br />

ganzen Menschen <strong>und</strong> allen Menschen“ (157); diese<br />

Ausbildung sollte „auf die erneuerten Appelle <strong>der</strong><br />

Welt“ (50) achten, dass <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> in Ausbildung<br />

„aufmerksam auf die Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ ist (26; 32);<br />

dass das Ausbildungshaus „auf die Welt <strong>und</strong> ihre<br />

Geschichte, auf die bestimmte soziale Wirklichkeit“<br />

achtet (79). Treue zur Welt <strong>und</strong> zu den Menschen<br />

von heute ist selbstverständlich keine servile <strong>und</strong><br />

unkritische Anhänglichkeit, son<strong>der</strong>n eine wachsame<br />

<strong>und</strong> aufnahmebereite Haltung. Sie bedeutet nicht<br />

Konformismus o<strong>der</strong> schnelle Anpassung, son<strong>der</strong>n<br />

ein wachsames Hören auf die Stimmen, Schreie <strong>und</strong><br />

For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Menschen von heute.<br />

Treue meint ebenso eine Antwort auf die aktuellen<br />

Bedürfnisse <strong>der</strong> Welt. In <strong>der</strong> Beschreibung <strong>des</strong> Ausbildungsprogramms<br />

<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> mit zeitlichen<br />

Gelübden wird gesagt, dass wir auf „die Erwartungen<br />

<strong>und</strong> Bedürfnisse <strong>der</strong> zeitgenössischen Welt“ antworten<br />

müssen (150), <strong>und</strong> dies setzt ein „Verständnis<br />

<strong>der</strong> zeitgenössischen Welt“ voraus (151,3), ein<br />

Hinhören, eine verstehende Antwort. Und mehr<br />

noch: Gemeinschaft. Die Ausbildung muss eine in<br />

die Tiefe gehende Gemeinschaft mit <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong><br />

den Menschen von heute anstoßen. Im Abschnitt<br />

über das Noviziat spricht die RATIO davon, dass ein<br />

Novize sich vorbereitet, „theoretisch <strong>und</strong> praktisch


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

eine tiefere Gemeinschaft mit den Menschen von<br />

heute in ihrer geschichtlichen, sozialen, politischen,<br />

kulturellen <strong>und</strong> religiösen Wirklichkeit zu leben“<br />

(137; vgl. GG.CC. 127,3; 130). Ausbildung im<br />

Geist von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden for<strong>der</strong>t ein<br />

aufmerksames Hinhören, eine positive Antwort,<br />

eine herzliche Gemeinschaft mit <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong><br />

wir leben, entgegen jenen häufigen Versuchungen<br />

zu tadeln <strong>und</strong> zu missbilligen. Wir müssen uns in<br />

<strong>der</strong> Ausbildung eher um Harmonie mit den Menschen<br />

von heute bemühen als sie zu verurteilen,<br />

eher darum, mit ihnen zu gehen als uns aufzudrängen,<br />

ihnen eher Weggefährten zu sein als lehrhafte<br />

Warnungen zu erteilen.<br />

Treue zur wirklichen Welt erfor<strong>der</strong>t schließlich von<br />

den Ausbil<strong>der</strong>n wie von den Auszubildenden ein<br />

ständiges kreatives Bemühen. Die RATIO unterstreicht,<br />

dass die Brü<strong>der</strong> sich kreativ mühen, neue<br />

Wege zu entdecken, die Werte <strong>des</strong> Evangeliums zu<br />

för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> zu verbreiten (39). Dies ist, so die<br />

RATIO, <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> für die Notwendigkeit ständiger<br />

Fortbildung. Ausbildung bedeutet, sich zu öffnen<br />

„für neue Formen <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes“<br />

(50) <strong>und</strong> „sich ständig den Notwendigkeiten <strong>der</strong><br />

Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> geschichtlichen Augenblicks anzupassen“<br />

(180a).<br />

Das Evangelium ist immer neuartig, weil es immer<br />

unbekannte Neuigkeit ist <strong>und</strong> weil es Verkündigung<br />

<strong>und</strong> Hören auf eine menschliche Geschichte ist, die<br />

sich beständig än<strong>der</strong>t. Sie ist noch verän<strong>der</strong>licher in<br />

einer Zeit beschleunigter Wandlungen, wo die<br />

Schemata <strong>und</strong> Lösungen von gestern heute schon<br />

versagt haben, wo jede neue Wandlung auch neue<br />

Ungerechtigkeiten mit sich bringt <strong>und</strong> wo jede<br />

Ungerechtigkeit globale Dimensionen annimmt. In<br />

dieser Art von Welt muss Ausbildung helfen, unsere<br />

Augen offen zu halten <strong>und</strong> unsere ganze Existenz<br />

frei <strong>und</strong> kreativ zu bewahren, im Dienst an den<br />

an<strong>der</strong>en.<br />

2. Einglie<strong>der</strong>ung in das Leben <strong>und</strong><br />

die Kultur eines Volkes<br />

Die RATIO betont, dass das Leben in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> geeignete Ort <strong>und</strong> das<br />

beste Mittel <strong>der</strong> Ausbildung ist. „Die franziskanische<br />

Ausbildung erfolgt in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> realen Welt“ (43). Für eine evangeliumsgemäße<br />

<strong>und</strong> franziskanische Sicht ist die unmittelbarste<br />

Wirklichkeit <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> wir leben, <strong>der</strong> Kon-<br />

trast zwischen dem Reichtum <strong>der</strong> einen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Armut <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Franziskanische Ausbildung<br />

for<strong>der</strong>t daher ein Sichhineinbegeben – das sehr<br />

verschieden sein mag, das aber authentisch sein<br />

muss – in die Wirklichkeit <strong>der</strong> Ärmsten in <strong>der</strong> Welt,<br />

in ihre Umgebung <strong>und</strong> in die Bru<strong>der</strong>schaft selbst.<br />

Der Bru<strong>der</strong> in Ausbildung muss „sich aktiv in das<br />

soziale <strong>und</strong> gemeinschaftliche Leben“ einbringen<br />

(45).<br />

Dieses Merkmal gilt in allen Phasen <strong>der</strong> Ausbildung,<br />

aber beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> zeitlichen Profess:<br />

„Der Bru<strong>der</strong> mit zeitlichen Gelübden glie<strong>der</strong>e<br />

sich ein <strong>und</strong> sei solidarisch mit <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong><br />

Welt <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Problematik <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, in welchem<br />

er seine Berufung zu leben gerufen ist“ (155).<br />

„Die praktische Ausbildung zu jedwedem kirchlichen<br />

Dienst verwirklicht sich vor allem in <strong>der</strong> täglichen<br />

Erfahrung <strong>des</strong> Lebens in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft,<br />

in <strong>der</strong> kirchlichen Gemeinschaft, in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> im beson<strong>der</strong>en unter den Armen“ (177). Die<br />

Worte „im beson<strong>der</strong>en unter den Armen“ bezeichnen<br />

immer das, was kennzeichnend ist für Jesus <strong>und</strong><br />

Franziskus, <strong>und</strong> das daher konsequenterweise auch<br />

einen beson<strong>der</strong>en Aspekt für den Ort franziskanischer<br />

Ausbildung darstellt. Franziskanische Ausbildung<br />

hat nicht nur ihren Ort im Geist <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins,<br />

son<strong>der</strong>n kommt auch aus <strong>der</strong> Erfahrung <strong>des</strong><br />

Min<strong>der</strong>seins.<br />

Natürlich mag die Weise <strong>des</strong> Sicheinfügens sehr<br />

unterschiedlich sein, aber eine wirksame Nähe zu<br />

<strong>und</strong> eine Erfahrung <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> Welt, in<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> in Ausbildung lebt, ist eine Bedingung<br />

<strong>und</strong> ein Mittel wie auch ein Ziel <strong>der</strong> Ausbildung,<br />

die für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden ist <strong>und</strong> von<br />

diesen herkommt. Dies hat seine beson<strong>der</strong>e Gültigkeit<br />

für die ständige Fortbildung: „Die ständige<br />

Fortbildung geschieht im Kontext <strong>des</strong> täglichen<br />

Lebens <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s, im Gebet <strong>und</strong> bei <strong>der</strong><br />

Arbeit, in seinen Beziehungen sowohl innerhalb als<br />

auch außerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, <strong>und</strong> in seiner<br />

Beziehung zur kulturellen, sozialen <strong>und</strong> politischen<br />

Welt, in <strong>der</strong> er sich bewegt“ (58). Die Erfahrung<br />

wirklichen Lebens in <strong>der</strong> realen Welt ist letzten<br />

En<strong>des</strong> das, was bildet.<br />

Wie können wir dieses Kriterium anwenden <strong>und</strong> in<br />

Praxis umsetzen? Die Ratio nennt verständlicherweise<br />

keine Einzelheiten. Auf jeden Fall ist es inter-<br />

47


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

essant zu betonen, dass sie die Möglichkeit „kleiner<br />

Ausbildungsbru<strong>der</strong>schaften unter den Armen“ (80)<br />

in Erwägung zieht.<br />

Eine <strong>der</strong> f<strong>und</strong>amentalen Erfor<strong>der</strong>nisse dieses<br />

Sicheinfügens ist die Inkulturation. Die Ratio formuliert<br />

den folgenden Gr<strong>und</strong>satz: „Franziskanische<br />

Ausbildung ist inkulturiert in die Lebensbedingungen,<br />

in die Bedingungen <strong>der</strong> Umgebung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Zeit, in denen sie sich vollzieht“ (49). Sie sagt weiterhin,<br />

dass die Ausbildung eines Bru<strong>der</strong>s mit zeitlicher<br />

Profess eine „Einführung in das Verständnis<br />

<strong>der</strong> eigenen Kultur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Religiosität <strong>des</strong> Volkes“<br />

(151,3) einschließen muss; <strong>und</strong> die Vorbereitung<br />

eines Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s auf den Dienst <strong>der</strong> Evangelisierung<br />

erfor<strong>der</strong>t eine „Bereitschaft zur Inkulturation<br />

<strong>und</strong> zur Wertschätzung <strong>der</strong> Volksfrömmigkeit,<br />

... Nähe zum Leben <strong>und</strong> zur Sprache <strong>des</strong> Volkes,<br />

die Kenntnis <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen <strong>und</strong> Kulturen<br />

<strong>und</strong> den Dialog mit ihnen“ (179). All dies stellt eine<br />

offensichtliche For<strong>der</strong>ung an die Ausbil<strong>der</strong>: „Die<br />

Ausbil<strong>der</strong> sollen versuchen, ihre Arbeit in den kulturellen<br />

Kontext, in welchem sie zu dienen berufen<br />

sind, zu integrieren“ (100).<br />

Kultur ist die Gesamtsumme aller Sinnbezüge,<br />

Verhaltenswerte <strong>und</strong> symbolischen Horizonte, die<br />

das Leben von Individuen <strong>und</strong> Völkern gestalten<br />

48<br />

<strong>und</strong> motivieren; Kultur ist <strong>der</strong> Boden, den wir mit<br />

den uns Nächsten teilen, aber gleichzeitig auch<br />

das, was es uns erlaubt, uns den Entferntesten<br />

anzunähern <strong>und</strong> sie zu verstehen, das, was es uns<br />

gestattet, in einen Dialog einzutreten <strong>und</strong> in eine<br />

Suche von Gemeinsamkeiten. Es ist möglich <strong>und</strong><br />

notwendig, sich selbst von seiner eigenen Kultur her<br />

für die <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu öffnen. Schließlich ist es die<br />

Kultur eines an<strong>der</strong>en Volkes, die es uns ermöglicht,<br />

uns selbst tiefer zu verstehen. Kultur ist <strong>des</strong>halb<br />

nicht eine bloße Aneignung, son<strong>der</strong>n ein Vordringen<br />

zu den lebendigen Wurzeln von Individuen <strong>und</strong><br />

Völkern, das uns fähig macht, nicht nur das Evangelium<br />

zu verkünden, son<strong>der</strong>n es auch von ihnen zu<br />

empfangen. Diese Begegnung ist <strong>der</strong> bevorzugte<br />

Ort für eine Ausbildung, die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden dienstbar sein möchte.<br />

3. Dialog <strong>und</strong> Achtung <strong>der</strong> Verschiedenheit<br />

Die RATIO besteht auf dem Dialog, innerhalb wie<br />

außerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft: ein Bru<strong>der</strong> lebt „im<br />

Hören <strong>und</strong> im Dialog“ (23), in <strong>der</strong> „Achtung <strong>der</strong><br />

Verschiedenheit“ (75) innerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />

<strong>und</strong> „im Dialog mit den Menschen <strong>der</strong> eigenen<br />

Zeit“ (33). Er „pflegt die Haltung <strong>des</strong> Wohlwollens<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> Dialoges gegenüber den verschiedenen Kulturen<br />

<strong>und</strong> Religionen“ (26). Im Ausbildungshaus<br />

sollte „eine Atmosphäre <strong>des</strong> Vertrauens, <strong>des</strong> Dialogs<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Höflichkeit“ vorherrschen (76). Der Ausbil<strong>der</strong><br />

soll „die Fähigkeit besitzen, mit den an<strong>der</strong>en<br />

Brü<strong>der</strong>n zusammenzuarbeiten, Gespräche zu führen<br />

<strong>und</strong> ihnen zuzuhören“ (84). „Training zum aktiven<br />

Hören“ (163) ist eines <strong>der</strong> wichtigen Ziele <strong>des</strong> Studiums<br />

<strong>der</strong> Humanwissenschaften. Eines <strong>der</strong> Ziele<br />

<strong>der</strong> theologischen Ausbildung besteht darin, „mit<br />

den an<strong>der</strong>en Christen, mit den an<strong>der</strong>en Religionen<br />

<strong>und</strong> mit den Agnostikern Gespräche zu führen“<br />

(165). „Kenntnis <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen <strong>und</strong><br />

Kulturen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dialog mit ihnen“ (179) ist eines<br />

<strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>nisse für den kirchlichen Dienst.<br />

Je<strong>der</strong> Ort in <strong>der</strong> Welt, an dem wir leben, ist zunehmend<br />

mehr eine Straßenkreuzung, wo wir uns<br />

in <strong>der</strong> unersetzbaren <strong>und</strong> nicht reduzierbaren<br />

Gegenwart von an<strong>der</strong>en vorfinden, an<strong>der</strong>er mit<br />

ihrer Sprache <strong>und</strong> Logik, Religion <strong>und</strong> Moral,<br />

Ethik <strong>und</strong> Politik. Wir leben in einer Welt, die<br />

täglich mehr zu einem Dorf wird, aber trotzdem<br />

immer pluralistischer ist. Die sogenannte Postmo<strong>der</strong>ne<br />

ist wesentlich das Ergebnis <strong>des</strong> radikalen


■ <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Ration Formationis<br />

Pluralismus unserer Gesellschaften. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

werden wir heute mit Religionen <strong>und</strong> Kulturen<br />

konfrontiert, die über Jahrh<strong>und</strong>erte unbekannt<br />

waren <strong>und</strong> die durch unseren christlichen Westen<br />

<strong>und</strong> durch unsere eurozentrische Kirche verbannt<br />

gewesen waren. Es sind Kulturen <strong>und</strong> Religionen,<br />

die keinesfalls auf das reduziert werden können,<br />

was wir bereits kannten o<strong>der</strong> annahmen, dass sie<br />

seien. Es sind Kulturen <strong>und</strong> Religionen, die unsere<br />

Sicherheiten stören <strong>und</strong> unseren Ansprüchen<br />

wi<strong>der</strong>sprechen; so bekehren sie uns <strong>und</strong> spornen<br />

uns an, auf eine menschlichere Weise an einen<br />

menschlicheren Gott zu glauben.<br />

Pluralismus ist eine <strong>der</strong> größten Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

für Ausbildung: zu helfen, diesen Pluralismus auf<br />

eine positive Weise anzunehmen; mehr noch, auf<br />

eine solche Weise zu helfen, dass dieser Pluralismus<br />

verwandelt wird zu einem Ansporn <strong>und</strong> einem Mittel<br />

<strong>der</strong> Ausbildung, zu einer Übung zum Wachstum<br />

<strong>und</strong> zur gemeinsamen Suche, ohne in Skeptizismus<br />

o<strong>der</strong> Dogmatismus zu verfallen, ohne Relativismus<br />

o<strong>der</strong> Intoleranz zu dulden. Der enge Weg, dem wir<br />

folgen müssen, besteht im Dialog, <strong>der</strong> uns gestattet,<br />

dass Kreuzungen zu Begegnungsstätten werden,<br />

dass Unterschied zum Dialog wird, dass Verschiedenheit<br />

zu einer gemeinsamen Straße wird, <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden entgegen.<br />

Abschließend sei gesagt: Ausbildung trägt zu<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in <strong>der</strong> Welt bei, indem sie<br />

die Brü<strong>der</strong> in eine Spiritualität einführt, die die<br />

Nachfolge Jesu <strong>und</strong> den Glauben an einen parteinehmenden<br />

Gott inkarniert. Sie führt die Brü<strong>der</strong><br />

dazu, die Welt mit den Augen Gottes zu sehen <strong>und</strong><br />

sich mit ihm zu verbinden, d.h. mit dem Mitgefühl<br />

<strong>des</strong> Gekreuzigten. Sie lehrt die Brü<strong>der</strong>, als Menschen<br />

wie als Gläubige ausgehend vom Standpunkt <strong>des</strong><br />

Sicheinfügens in die Welt <strong>und</strong> durch den Dialog mit<br />

den Menschen zu reifen.<br />

José Arregui <strong>OFM</strong><br />

49


FÜR GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN


Themen<br />

von beson<strong>der</strong>em Interesse<br />

Wie wir schon in <strong>der</strong> Einführung gesagt haben, werden in diesem zweiten Teil sieben beson<strong>der</strong>e<br />

Themen behandelt, die in unserer Zeit von großem sozialen <strong>und</strong> kirchlichen Interesse sind.<br />

Es hätten mehr Themen sein können, doch um das Handbuch nicht zu umfangreich werden<br />

zu lassen, haben wir die Themen ausgewählt, die uns am passendsten <strong>und</strong> interessantesten<br />

erscheinen für die Ausgestaltung unseres Charismas heute.<br />

Je<strong>des</strong> Thema hat eine kurze theoretische Einführung, die nicht beansprucht, erschöpfend zu sein,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr eine Vorstellung <strong>des</strong> Themas geben will, um Reflexion <strong>und</strong> Handeln anzuregen.<br />

Diese theoretische Einführung zu jedem Thema wird vervollständigt durch Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Zeugnisse <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> ganzen Welt.<br />

Da die theoretische Einführung je<strong>des</strong> Themas von einem an<strong>der</strong>en Autor abgefasst worden ist,<br />

kann es zu Wie<strong>der</strong>holungen kommen. Wir wollten diese Überschneidungen belassen, weil dieser<br />

Abschnitt nicht in einem Zug gelesen werden soll; vielmehr sollte je<strong>des</strong> Kapitel für sich nachgeschlagen<br />

<strong>und</strong> eigenständig bearbeitet werden.<br />

Am Ende eines jeden Themas ist ein langer Fragebogen zu finden. Der Gr<strong>und</strong> dafür liegt im<br />

instrumentalen Charakter <strong>des</strong> Buches. Wenn diese Kapitel für Treffen <strong>der</strong> Ausbildung, sei es<br />

<strong>der</strong> anfänglichen wie <strong>der</strong> ständigen, o<strong>der</strong> in Reflexionsgruppen mit Laien benutzt werden,<br />

möchte die lange Liste <strong>der</strong> Fragen den Gruppen die Reflexion erleichtern.<br />

1. Option für die Armen<br />

2. Frieden stiften<br />

3. Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung – <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

4. Leben<br />

5. Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

6. Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

7. Der ökumenische, interreligöse <strong>und</strong> interkulturelle Dialog<br />

53


Option für die Armen


■ Option für die Armen<br />

Option für die Armen<br />

§ 1 Franziskus wurde vom Herrn unter die Aussätzigen<br />

geführt; wie er sollen die Brü<strong>der</strong> zusammen<br />

<strong>und</strong> einzeln die Option für die an den Rand<br />

Gedrängten leben, für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten,<br />

Entwürdigten <strong>und</strong> Kranken, in Freude<br />

unter ihnen leben <strong>und</strong> ihnen Barmherzigkeit<br />

erweisen.<br />

§ 2 In brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft mit allen kleinen<br />

Leuten <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> mit Blick auf die heutigen<br />

Folgen <strong>der</strong> Armutssituation sollen die Brü<strong>der</strong><br />

daran arbeiten, dass die Armen selbst sich ihrer<br />

eigenen menschlichen Würde voll bewusst werden,<br />

sie hüten <strong>und</strong> mehren.<br />

<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 97<br />

Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus ...<br />

Seine Umarmung <strong>des</strong> Aussätzigen, <strong>der</strong> ausgegrenzten<br />

Person schlechthin in <strong>der</strong> mittelalterlichen<br />

Gesellschaft, war für Franziskus <strong>der</strong> Augenblick<br />

seiner Bekehrung (Test). Nach dieser Erfahrung verließ<br />

Franziskus die Welt, um unter den Aussätzigen<br />

zu leben, <strong>und</strong>, was ihm zuvor bitter gewesen war,<br />

wurde ihm nun süß <strong>und</strong> leicht (Test). Seine Identifizierung<br />

mit den Aussätzigen war mehr als Mitleid<br />

o<strong>der</strong> sozialer Protest. Der Aussätzige half Franziskus,<br />

seinen Platz im Leben, seinen Platz vor Gott zu<br />

verstehen. Er erkannte sich als Armer, wie jede Person<br />

nackt geboren wird <strong>und</strong> nackt stirbt, sine proprio<br />

(ohne Eigenes) vor Gott. Die Brü<strong>der</strong> seiner<br />

Gemeinschaft sollten als Min<strong>der</strong>e bekannt werden,<br />

Männer, die lebten, ohne sich irgendetwas anzueignen.<br />

Tatsächlich entschied sich Franziskus, mit<br />

den Armen, als einer von ihnen, durch das Leben<br />

zu gehen. Er begleitete sie <strong>und</strong> all jene, die ihre<br />

Identität als völlig von Gott abhängig begreifen<br />

konnten. Keiner sollte über einen an<strong>der</strong>en<br />

herrschen.<br />

Das Bedauern, einen Bettler abgewiesen zu haben,<br />

während er im Geschäft seines Vaters arbeitete,<br />

brachte Franziskus zu dem Entschluss, „für einen<br />

so großen Herrn Gefor<strong>der</strong>tes künftig nicht mehr<br />

abzuschlagen“ (DreiGef 3). Franziskus hatte eine<br />

tiefe Liebe <strong>und</strong> Achtung vor den Armen <strong>und</strong> sah in<br />

ihnen das Bild Christi, den „Sohn <strong>der</strong> armen Herrin“<br />

(2 Cel 83). Als ein Bru<strong>der</strong> einen Armen barsch<br />

anfuhr, sagte Franziskus zu dem Bru<strong>der</strong>: „Wer einen<br />

Armen schmäht, beleidigt Christus, <strong>des</strong>sen edles<br />

Abzeichen jener trägt; denn er hat sich um unseretwillen<br />

arm gemacht in dieser Welt“ (1 Cel 76).<br />

Wenn er jemanden in Not sah, wurde er betrübt;<br />

in Zeiten großer Kälte erbat er einen Mantel von<br />

Reichen, um ihn an einen Armen weiterzugeben.<br />

Franziskus lud einen Armen ein, ihn zu segnen,<br />

sooft sein Vater ihn mit Verwünschungen überhäufte<br />

(2 Cel 12). Wenn Franziskus materiell nicht<br />

helfen konnte, „schenkte er seine Liebe“ <strong>und</strong><br />

bekräftigte, dass die Armen ein Anrecht auf Almosen<br />

besäßen (LegMai VIII,5). Franziskus bat die<br />

Reichen, die Armen <strong>und</strong> Hungrigen an Weihnachten<br />

zu speisen (2 Cel 200). Franziskus tadelte einen<br />

Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> lieblos zu einem Armen gesprochen<br />

hatte; <strong>der</strong> Poverello sagte, dass Armut <strong>und</strong> Krankheit<br />

eines Menschen „ein Spiegel sind, in dem wir<br />

die Armut <strong>und</strong> die Schwäche unseres Herrn Jesus<br />

Christus liebend betrachten sollten, die er in seinem<br />

Leib erlitten hat, um die Menschheit zu erlösen“<br />

(LegPer 89).<br />

Die Liebe <strong>des</strong> Franziskus zu den Armen bedeutete<br />

nicht, dass er die Reichen verachtete. Tatsächlich<br />

warnte Franziskus die Brü<strong>der</strong> davor, jene „nicht zu<br />

verachten, noch zu verurteilen, die sie weiche <strong>und</strong><br />

farbenfrohe Klei<strong>der</strong> tragen <strong>und</strong> sich auserlesener<br />

Speisen <strong>und</strong> Getränke bedienen sehen“ (BReg<br />

2,17). Alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft sind gleich,<br />

ungeachtet aus welcher sozialen o<strong>der</strong> ökonomischen<br />

Schicht sie kommen; keiner sollte innerhalb <strong>der</strong><br />

Bru<strong>der</strong>schaft an einem Amt kleben (LegPer 83). Er<br />

bezeichnete sie als „Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>“ –<br />

55


■ Option für die Armen<br />

<strong>der</strong> geringeren Brü<strong>der</strong> – auf dass sie jedem untertan<br />

sein sollten (1 Cel 38).<br />

Option für die Armen<br />

Durch die Jahrh<strong>und</strong>erte waren Franziskaner herausgefor<strong>der</strong>t,<br />

sich die Worte <strong>des</strong> Franziskus zu eigen<br />

zu machen: „Regel <strong>und</strong> Leben <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />

ist dieses, nämlich unseres Herrn Jesu Christi heiliges<br />

Evangelium zu beobachten durch ein Leben in<br />

Gehorsam, ohne Eigentum <strong>und</strong> in Keuschheit“<br />

(BReg 1,1). Während je<strong>des</strong> Gelübde seine beson<strong>der</strong>en<br />

Schwierigkeiten bereitete, ist es unzweifelhaft<br />

sicher, dass die Armut die größte Anzahl an Debatten<br />

<strong>und</strong> die schärfsten Polemiken hervorgerufen<br />

hat. Über die Jahre hat sich die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

auf die Frage konzentriert, ob es möglich ist o<strong>der</strong><br />

nicht, die radikale Armut Jesu Christi zu leben, wie<br />

sie Franziskus <strong>und</strong> seine ersten Jünger gelebt hatten.<br />

Die intellektuelle Diskussion schenkte <strong>der</strong> konkreten<br />

Situation <strong>der</strong> Armen wenig Aufmerksamkeit,<br />

weil dieses Problem nicht als wesentlich für die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

angesehen wurde.<br />

Gegenwärtige Entwicklungen haben es jedoch<br />

lebenswichtig gemacht, die Armen in die Reflexion<br />

über die Bedeutung <strong>des</strong> Gelüb<strong>des</strong> <strong>der</strong> Armut miteinzuschließen.<br />

Der beständige Schrei aus <strong>der</strong> Dritten<br />

Welt, <strong>der</strong> für verschiedene Dokumente <strong>des</strong><br />

Zweiten Vatikanischen Konzils <strong>und</strong> einige päpstliche<br />

Erklärungen als Katalysator diente, macht uns<br />

die entmenschlichende Armut bewusst, die für die<br />

Situation so vieler unserer Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern<br />

auf <strong>der</strong> Welt kennzeichnend ist. Der Orden <strong>der</strong><br />

Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> ist durch diesen Aufschrei bewegt<br />

worden <strong>und</strong> befindet sich gegenwärtig in einem<br />

Prozess, sein Leben <strong>und</strong> seine Sendung vom Standpunkt<br />

<strong>der</strong> Geringsten <strong>des</strong> Volkes Gottes aus neu<br />

zu bestimmen.<br />

In den 1987 promulgierten Generalkonstitutionen<br />

hebt <strong>der</strong> Orden die Notwendigkeit hervor, die<br />

Armen zu einem integralen Teil unseres Lebens <strong>und</strong><br />

unserer Arbeit zu machen. Artikel 66,1 sagt: „Um<br />

dem Erlöser in <strong>der</strong> Selbstentäußerung nachdrücklicher<br />

zu folgen <strong>und</strong> sie deutlicher vor Augen zu<br />

führen, sollen die Brü<strong>der</strong> das Leben <strong>und</strong> den Stand<br />

<strong>der</strong> kleinen Leute in <strong>der</strong> Gesellschaft teilen <strong>und</strong><br />

56<br />

stets als die Min<strong>der</strong>en unter ihnen sein; durch diese<br />

soziale Haltung arbeiten sie am Kommen <strong>des</strong> Gottesreiches<br />

mit.“ Artikel 78,1 stellt fest: „Die Brü<strong>der</strong><br />

haben von <strong>der</strong> Regel her die Freiheit, ihre Arbeiten<br />

zu wählen. Sie sollen jedoch nach Zeit, Gegend <strong>und</strong><br />

Dringlichkeit solche bevorzugen, bei denen das<br />

Zeugnis <strong>des</strong> franziskanischen Lebens stärker aufleuchtet;<br />

<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s sollen sie Arbeiten suchen,<br />

bei denen die Solidarität mit den Armen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Dienst an ihnen zutage treten.“ Artikel 97,1 u. 2<br />

bekräftigt: „Franziskus wurde vom Herrn unter die<br />

Aussätzigen geführt; wie er sollen die Brü<strong>der</strong> zusammen<br />

<strong>und</strong> einzeln die Option für die an den Rand<br />

Gedrängten leben, für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten,<br />

Entwürdigten <strong>und</strong> Kranken, in Freude unter<br />

ihnen leben <strong>und</strong> ihnen Barmherzigkeit erweisen. In<br />

brü<strong>der</strong>licher Gemeinschaft mit allen kleinen Leuten<br />

<strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> mit Blick auf die heutigen Folgen <strong>der</strong><br />

Armutssituation sollen die Brü<strong>der</strong> daran arbeiten,<br />

dass die Armen selbst sich ihrer eigenen menschlichen<br />

Würde voll bewusst werden, sie hüten <strong>und</strong><br />

mehren.“ An vielen an<strong>der</strong>en Stellen for<strong>der</strong>n die<br />

Konstitutionen die Brü<strong>der</strong> auf, sich <strong>der</strong> Armen<br />

bewusst zu sein <strong>und</strong> sie bei <strong>der</strong> Ausarbeitung unseres<br />

gemeinsamen Lebens miteinzuschließen. In <strong>der</strong><br />

zeitgenössischen Terminologie wird dieser Einschluss<br />

<strong>der</strong> Armen als „vorrangige Option für die<br />

Armen“ bezeichnet. Was bedeutet diese „Option“,<br />

die für die franziskanische Lebensform so zentral<br />

geworden ist?<br />

In THE NEW DICTIONARY OF CATHOLIC SOCIAL<br />

THOUGHT (Liturgical Press, 1994) behandelt<br />

Donal Dorr das Thema „vorrangige Option für<br />

die Armen“. Er erklärt, dass eine solche Option<br />

ein Engagement ist, das gegen „Ungerechtigkeit,<br />

Unterdrückung, Ausbeutung <strong>und</strong> Ausgrenzung von<br />

Menschen, die beinahe jeden Aspekt öffentlichen<br />

Lebens durchdringen, Wi<strong>der</strong>stand leistet. Es ist ein<br />

Engagement, das die Gesellschaft in einen Ort verwandeln<br />

will, an dem die Menschenrechte <strong>und</strong> die<br />

Würde aller geachtet werden.“ Sie wird im Allgemeinen<br />

von denen vollzogen, die nicht arm sind<br />

<strong>und</strong> die sich ihres relativen Wohlstands <strong>und</strong> Prestiges<br />

bewusst geworden sind. Sie entscheiden, letztlich<br />

einen Teil dieses Wohlstands o<strong>der</strong> Prestiges<br />

aufzugeben <strong>und</strong> sich mit den Unterprivilegierten<br />

zu identifizieren. Eine solche Wahl basiert oft auf<br />

einem tieferen Verständnis <strong>des</strong> christlichen Glaubens.<br />

Sie schließt eine politische Dimension mit


■ Option für die Armen<br />

ein, da Einzelne dazu kommen, die Ungleichheiten<br />

in <strong>der</strong> Gesellschaft zu sehen, <strong>und</strong> dafür optieren,<br />

sich auf die Seite <strong>der</strong> relativ Machtlosen zu stellen.<br />

Wenn die Brü<strong>der</strong> einmal sehen, dass diese Option<br />

für jene getroffen wurde, die relativ machtlos sind,<br />

dann ist es nur ein kleiner Schritt, diese Option<br />

auf jene auszuweiten, die im wörtlichen Sinn die<br />

„Armen“ sind, d.h. die ökonomisch Benachteiligten,<br />

bis zu all jenen hin, die f<strong>und</strong>amentaler politischer,<br />

kultureller o<strong>der</strong> religiöser Rechte beraubt<br />

sind. In diese Definition können wir Frauen, Opfer<br />

rassistischer Diskriminierung <strong>und</strong> all diejenigen,<br />

die unter struktureller Ungerechtigkeit leiden,<br />

einschließen.<br />

Dorr unterstreicht, dass Individuen, die diese Option<br />

für die Armen treffen, aus Mitgefühl heraus so<br />

handeln. Dies erfor<strong>der</strong>t vor allem die Haltung <strong>der</strong><br />

Solidarität mit den Armen in ihren Leiden. Praktisch<br />

hat es mit unserem Lebensstil zu tun: „Die Art<br />

<strong>der</strong> Nahrung, die wir essen, die Kleidung, die wir<br />

tragen, die Weise, wie unsere Häuser ausgestattet<br />

sind“. Aber noch bedeutsamer berührt es die Fragen<br />

<strong>des</strong> „Bereichs, in dem wir leben, <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>schaften,<br />

die wir pflegen, die Art <strong>der</strong> Arbeit, die wir ausüben,<br />

<strong>und</strong> die Haltungen <strong>und</strong> den Stil, den wir<br />

beim Tun all dieser Dinge an den Tag legen.“ Mitgefühl<br />

for<strong>der</strong>t aber auch das Engagement zu einem<br />

Handeln, das strukturelle Ungerechtigkeit zu überwinden<br />

versucht. Wirksames Handeln schließt die<br />

sorgfältige Analyse <strong>der</strong> Situation mit ein, ein bewusstes<br />

Abstandnehmen von denen, die für die Ungerechtigkeit<br />

verantwortlich sind, sowie ein geplantes<br />

<strong>und</strong> gemeinschaftliches Handeln auf politischer<br />

Ebene, um die Ungerechtigkeit zu überwinden <strong>und</strong><br />

dann realistische Alternativen zu erarbeiten.<br />

Schließlich muss beim Prozess <strong>der</strong> Option für die<br />

Armen große Sorgfalt darauf verwendet werden,<br />

dass die Armen nicht zu Objekten unseres Handelns<br />

werden, gleich mit welchen guten Absichten<br />

dies geschieht. Es ist <strong>der</strong> Kampf <strong>der</strong> Armen; sie<br />

müssen die Subjekte dieses Kampfes sein. Unsere<br />

Rolle wird immer in Bezug auf diese zentrale Wirklichkeit<br />

zu definieren sein.<br />

Franziskus als Modell<br />

Franziskaner sind immer zu Franziskus als Quelle<br />

<strong>der</strong> Inspiration <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erneuerung zurückgekehrt.<br />

Wenn wir versuchen, die „Option für die Armen“<br />

in unsere Auffassung von Leben <strong>und</strong> Dienst zu integrieren,<br />

dann stellt sich die Frage, ob Franziskus als<br />

Modell für unsere Suche dienen kann? Die Antwort<br />

lautet: Ja <strong>und</strong> Nein.<br />

Arnaldo Fortini stellt in seinem Buch FRANCIS OF<br />

ASSISI (Crossroad, 1992) sorgfältig bis ins Detail<br />

die soziale Struktur <strong>der</strong> Welt <strong>des</strong> Franziskus dar.<br />

Die Ära war von einem monumentalen Wandel<br />

betroffen. Die feudalen Strukturen wurden langsam<br />

von denen <strong>des</strong> beginnenden Kapitalismus verdrängt.<br />

Feudalismus war gekennzeichnet durch die<br />

maiores <strong>und</strong> die minores, die Größeren <strong>und</strong> die<br />

Kleineren. Diese lateinischen Ausdrücke wurden<br />

verwendet, um Macht, Kraft, Würde <strong>und</strong> die Autorität<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zu messen <strong>und</strong> zu klassifizieren. Die Feudalherren<br />

herrschten durch Lan<strong>der</strong>werb, <strong>und</strong> die Bildung<br />

großen Gr<strong>und</strong>besitzes bedeutete, dass die meisten<br />

Menschen in sklavische Abhängigkeit vom Land<br />

gerieten. Doch mit <strong>der</strong> wachsenden Bedeutung <strong>der</strong><br />

Städte <strong>und</strong> <strong>des</strong> Handels wie auch <strong>des</strong> unerbittlichen<br />

Wachstums <strong>der</strong> Geldwirtschaft wurden die Feudalherren<br />

zunehmend beunruhigt über das Aufsteigen<br />

<strong>der</strong> MINORES, die Kaufleute, Handwerker <strong>und</strong> Feldarbeiter<br />

umfassten. Diese niedrigeren Klassen leisteten<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen die von den MAIORES erhobenen<br />

Zölle <strong>und</strong> gegen das verhasste System <strong>der</strong><br />

Zwangsarbeit. Franziskus gehörte zu einer wohlhabenden<br />

Mittelklassefamilie Assisis, die ihr Vermögen<br />

dem Klei<strong>der</strong>handel verdankte. In seiner Jugend<br />

beteiligte sich Franziskus an dem sozialen Aufstand<br />

seiner Zeit. 1198 erlebte Franziskus im Alter von<br />

sechzehn Jahren den Fall <strong>der</strong> Rocca Maggiore, <strong>der</strong><br />

Burg, die den Feudalismus in Assisi symbolisierte.<br />

Das folgende Jahrzehnt war von Blutvergießen <strong>und</strong><br />

Gewalt geprägt, als die MAIORES darum kämpften,<br />

ihre Herrschaft trotz wachsend schwieriger Umstände<br />

zu sichern.<br />

Zu jener Zeit vernahm Franziskus den Ruf Gottes,<br />

dem wahren Herrn zu folgen. Als er versuchte zu<br />

entdecken, was Gott von ihm wollte, zeigte Franziskus,<br />

<strong>und</strong> darin stimmen alle Biographen überein,<br />

eine beson<strong>der</strong>e Zärtlichkeit für die Armen, mit dem<br />

57


■ Option für die Armen<br />

Vorzug für die Ärmsten <strong>der</strong> Armen, die Aussätzigen.<br />

Leonardo Boff vertritt in seinem Buch ZÄRTLICH-<br />

KEIT UND KRAFT. FRANZ VON ASSISI, MIT DEN<br />

AUGEN DER ARMEN GESEHEN (Düsseldorf 1983) die<br />

Auffassung, dass die erste Bekehrung <strong>des</strong> Heiligen<br />

den Armen galt, den von <strong>der</strong> Gesellschaft Gekreuzigten,<br />

<strong>und</strong> dann später dem gekreuzigten Jesus<br />

Christus. An verschiedenen Stellen seiner Lebensbeschreibungen<br />

bezeugt Thomas von Celano das<br />

Mitgefühl <strong>des</strong> Franziskus für die Armen <strong>und</strong> seine<br />

zärtliche Sorge für die Aussätzigen; Celano fügt<br />

hinzu, dass die ersten Brü<strong>der</strong> in die Fußstapfen ihres<br />

Grün<strong>der</strong>s traten. Der Weg <strong>des</strong> Franziskus ließ ihn<br />

die feudalen Strukturen auf zweifache Weise herausfor<strong>der</strong>n.<br />

Zunächst lehnte er es ab, den Wohlstand<br />

<strong>und</strong> das Privileg anzunehmen, das verb<strong>und</strong>en war<br />

mit <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu den maiores. Statt<strong>des</strong>sen<br />

teilte er das Los <strong>der</strong> Armen, die gehasst <strong>und</strong> unterdrückt<br />

waren, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aussätzigen, die durch die<br />

Gesellschaft verabscheut, ausgegrenzt <strong>und</strong> dann<br />

übersehen wurden. Franziskus schaute auf den<br />

Armen nicht vom Standpunkt <strong>des</strong> Reichen aus,<br />

son<strong>der</strong>n durch die Augen <strong>des</strong> Armen selbst. Dies<br />

ermöglichte ihm, den Wert <strong>des</strong> Armen zu entdecken.<br />

In seiner Auffassung gemeinschaftlichen<br />

Lebens versuchte er die feudale Hierarchie dadurch<br />

zu brechen, dass er alle Mitglie<strong>der</strong> als „Brü<strong>der</strong>“<br />

behandelte. In 2 Cel 191 verdeutlichte Franziskus,<br />

dass er in seiner Gruppe MAIORES <strong>und</strong> MINORES,<br />

Weise <strong>und</strong> Einfache vereinen wollte. Sein Stil war<br />

nicht theoretisch, son<strong>der</strong>n einfühlend, <strong>und</strong> er<br />

drückte seinen Wi<strong>der</strong>stand gegen die Aufteilung<br />

in Klassen darin aus, dass er alle seine Jünger zu<br />

„Brü<strong>der</strong>n“ auf gleicher Ebene machte.<br />

Wie Fortini <strong>und</strong> Boff deutlich machen, war die<br />

Option <strong>des</strong> Franziskus für die „MINORES“ seiner<br />

Zeit nicht eine Option für die MINORES, die eine<br />

neue soziale Gruppe bildeten. Die MINORES umfassten,<br />

wie oben angemerkt, Kaufleute, Handwerker<br />

<strong>und</strong> Feldarbeiter. Als soziale Klasse waren sie<br />

genau so begierig wie die maiores darauf, Reichtum<br />

anzuhäufen <strong>und</strong> auf Macht, die <strong>der</strong> Reichtum mit<br />

sich bringt. Fortini rät im 8. Kapitel seines Buches<br />

zur Vorsicht bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Beziehung<br />

zwischen <strong>der</strong> franziskanischen Bewegung <strong>und</strong> dem<br />

wachsenden Interesse an <strong>der</strong> Gründung eines<br />

Gemeinwesens in Assisi. Bei <strong>der</strong> Kommentierung<br />

<strong>des</strong> Sozialpaktes von 1210, <strong>der</strong> Jahre <strong>der</strong> Feindschaft<br />

zwischen den unterschiedlichen Klassen<br />

58<br />

Assisi beendete, behauptet Fortini erstens, dass er<br />

nicht das Ergebnis <strong>des</strong> Geistes <strong>der</strong> Harmonie sei,<br />

den Franziskus <strong>und</strong> seine ersten Jünger inspiriert<br />

hätten, son<strong>der</strong>n dass er vielmehr davon bestimmt<br />

war, die Macht <strong>des</strong> Gemeinwesens anwachsen zu<br />

lassen. Zweitens stellt er fest, dass es falsch sei, die<br />

franziskanische Bewegung als Ergebnis <strong>des</strong> Aufstands<br />

<strong>der</strong> MINORES anzusehen. Vielmehr: „Die<br />

neue bürgerliche Gesellschaft entsprang ... dem<br />

Wunsch nach kommerzieller Expansion. Im Krieg<br />

sieht sie das Mittel, dies zu erreichen. Dabei stehen<br />

sich <strong>der</strong> Stolz <strong>der</strong> Kaufleute <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stolz <strong>der</strong> Feudalherren<br />

gegenüber. Sie gründet ihre hauptsächliche<br />

soziale Kraft auf Wohlstand <strong>und</strong> Gewerbe. Sie<br />

sanktioniert die Rache gegen die, die sie beleidigen.<br />

Sie war grausam im Verteilen von Strafen. Diese<br />

Gesellschaft von habgierigen, gewalttätigen,<br />

streitsüchtigen, ehrgeizigen <strong>und</strong> brutalen Menschen<br />

war die vollkommene Antithese zur franziskanischen<br />

Bewegung, wie Franziskus die Antithese <strong>des</strong><br />

Pietro Bernadone war.“ Die Verwendung <strong>des</strong> Ausdrucks<br />

MINORES zur Beschreibung seiner Brü<strong>der</strong><br />

durch Franziskus leitete sich nicht ab von dem<br />

Namen einer Klasse o<strong>der</strong> Fraktion, son<strong>der</strong>n kam<br />

vielmehr von dem Adjektiv her, das die „niedrigsten,<br />

die untersten, jene, die Befehle entgegennehmen<br />

anstatt sie zu geben“ bezeichnete. Boff fügt<br />

hinzu, dass Franziskus entschied, seine soziale<br />

Klasse zu wechseln, indem er aus <strong>der</strong> Position eines<br />

reichen Bürgers sich dahin bewegte, mit den Armen<br />

<strong>und</strong> wie ein Armer zu leben.<br />

Franziskaner <strong>und</strong> <strong>der</strong> erneute Ruf<br />

zur Option für die Armen<br />

Schon zu Lebzeiten <strong>des</strong> Franziskus war es in <strong>der</strong><br />

Frage <strong>der</strong> Armut zum Streit unter den Brü<strong>der</strong>n<br />

gekommen. Es überrascht daher nicht, dass nur<br />

dreißig Jahre nach dem Tod <strong>des</strong> Franziskus, als<br />

Bonaventura zum Generalminister <strong>des</strong> Ordens<br />

gewählt worden war, dieser bald in den Streit hineingezogen<br />

wurde <strong>und</strong> es für notwendig fand, die<br />

Tugend zu verteidigen, die seinem geistlichen Vater<br />

so sehr am Herzen gelegen hatte. In seinem ersten<br />

R<strong>und</strong>brief rief Bonaventura die Brü<strong>der</strong> zur Pflicht:<br />

„Brü<strong>der</strong> sind zu eifrig, das Feld <strong>der</strong> Bestattungen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Erbschaften zu betreten. Die Häuser <strong>der</strong><br />

Brü<strong>der</strong> sind häufig <strong>und</strong> mit großem Aufwand


■ Option für die Armen<br />

verän<strong>der</strong>t worden … (was) Launenhaftigkeit verrät<br />

<strong>und</strong> unsere Armut kompromittiert … So steigen<br />

die Ausgaben auf schwindelerregende Weise.“ In<br />

seinen INSTRUKTIONEN FÜR NOVIZEN ruft Bonaventura<br />

seinen Lesern in Erinnerung, dass Armut<br />

die „erste Gr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> ganzen geistlichen Gebäu<strong>des</strong>“<br />

ist. Er ermutigt die Brü<strong>der</strong> weiterhin, „die<br />

Armut zu umarmen mit all eurer Kraft, denn wie<br />

die Schrift bezeugt, ist sie <strong>der</strong> Lebensbaum für die,<br />

die nach ihr greifen <strong>und</strong> wer sie festhält, ist glücklich<br />

zu preisen (vgl. Spr 3,18). Wenn ihr so an <strong>der</strong><br />

Armut bis ans Ende festhaltet, werdet ihr in das<br />

Himmelreich eingehen, denn die Wahrheit selbst<br />

hat versprochen: Selig, die arm sind vor Gott; denn<br />

ihnen gehört das Himmelreich (Mt 5,3).“<br />

Doch bei all seiner Sorge unterschied sich Bonaventura<br />

in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Armutsfrage von Franziskus.<br />

Die Bekehrung <strong>des</strong> Franziskus war durch<br />

den Kontakt mit denen ausgelöst, die zu den Verachtetsten<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft gehörten. Seine Berufung<br />

wurde getragen durch die ständige Begegnung<br />

mit dem gekreuzigten <strong>und</strong> armen Jesus Christus in<br />

<strong>und</strong> durch die Armen <strong>der</strong> Welt, die ähnlich wie er<br />

gekreuzigt waren. Er hatte einen beziehungsmäßigen<br />

Zugang zur Armut, einen, bei dem diejenigen,<br />

die an den Auswirkungen konkreter Armut in ihrem<br />

Leben litten, eine wesentliche Rolle spielten. Im<br />

Gegensatz dazu war die von Bonaventura verteidigte<br />

Armut mehr eine Größe in sich, eine, die ohne<br />

Bezug zu den Armen <strong>der</strong> Welt gemessen werden<br />

konnte. Sie eignete sich für die gelehrte Diskussion.<br />

So wurde die Bühne vorbereitet für eine Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

dauernde Debatte über das Konzept <strong>der</strong><br />

Armut, die wenig Aufmerksamkeit denen schenkte,<br />

die tatsächlich arm waren <strong>und</strong> Armut an ihrem<br />

Leib erfahren mussten.<br />

Heute besteht für Franziskaner eine neue Dringlichkeit,<br />

das Thema <strong>der</strong> Armut wie<strong>der</strong> zu betrachten,<br />

o<strong>der</strong> auf zeitgenössischere Weise ausgedrückt, eine<br />

„vorrangige Option für die Armen“ zu treffen.<br />

Angesichts <strong>der</strong> enormen Massenarmut unserer<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern auf <strong>der</strong> ganzen Welt sind<br />

wir Franziskaner herausgefor<strong>der</strong>t, den Geist <strong>des</strong><br />

Franziskus in unserer Mitte zu erneuern. Wir werden<br />

durch die Schreie aus Lateinamerika, Afrika<br />

<strong>und</strong> Asien, durch die Unterweisungen von Kirchenführern<br />

wie Johannes XXIII., Paul VI. <strong>und</strong> Johannes<br />

Paul II. <strong>und</strong> durch viele Dokumente unseres<br />

Ordens eingeladen, diesen Schritt zu tun. Franziskus<br />

antwortete auf die Bedingung <strong>der</strong> Armut seiner<br />

Zeit mit einer buchstäblichen <strong>und</strong> unmittelbaren<br />

Umarmung <strong>der</strong>er, die arm waren. Wir sind aufgerufen,<br />

nichts Geringeres zu tun.<br />

Wie können wir diese zeitgenössische „Option für<br />

die Armen“ gestalten? Ein mögliches Modell ist das<br />

<strong>der</strong> „Begleitung“. In dem Buch ST. FRANCIS AND<br />

THE FOOLISHNESS OF GOD (Dennis, Nangle,<br />

Moe-Lobeda and Taylor; Orbis 1993) bekräftigen<br />

die Autoren, dass unsere beste Antwort auf die<br />

Bedingungen <strong>der</strong> bestehenden Armut, auf den Zorn<br />

<strong>und</strong> die Trauer, die sie anstiften, auf die Gnade<br />

<strong>und</strong> Güte, die wir unter den Armen finden, auf<br />

die Notwendigkeit <strong>der</strong> Analyse <strong>und</strong> alternativer<br />

Strukturen am besten in dem Wort „Begleitung“<br />

zusammengefasst werden kann. In ihren Worten<br />

bedeutet dies: „von an<strong>der</strong>en Wegen für eine Weile<br />

(<strong>und</strong> dann für immer) abzuweichen, mit den Randexistenzen<br />

zu gehen, mit ihnen zu sein, sie gehen<br />

zu lassen. Durch diese Begegnung mit Christus an<br />

den Rän<strong>der</strong>n können wir, die wir mit Franziskus<br />

den Armen einst nur als den „an<strong>der</strong>en“, den<br />

Gefürchteten, als Objekt <strong>der</strong> Furcht, dann als<br />

Objekt <strong>des</strong> Mitleids <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe sahen, als einzelne<br />

wie als Gesellschaft eine tiefe, ständige, Geist<br />

geleitete Bekehrung <strong>des</strong> Herzens, <strong>der</strong> Seele <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> Geistes erleben. Langsam bewegen sich unsere<br />

Schwerpunkte aus uns heraus <strong>und</strong> wir finden uns<br />

plötzlich tanzend mit dem Poverello <strong>und</strong> seinen<br />

verachteten Fre<strong>und</strong>en an unbekannten Plätzen <strong>und</strong><br />

mit großer Freude.“ Für Franziskus war die Entscheidung,<br />

von seinem Pferd herabzusteigen <strong>und</strong><br />

den Aussätzigen zu umarmen, jene zu begleiten, die<br />

am Rand <strong>der</strong> Gesellschaft lebten, schwierig <strong>und</strong><br />

langwierig. Einmal getroffen gab sie ihm für den<br />

Rest seines Lebens Orientierung <strong>und</strong> brachte ihn in<br />

Kontakt mit <strong>der</strong> Quelle <strong>des</strong> Lebens. Eine Entscheidung<br />

unsererseits, mit den Ausgeschlossenen <strong>der</strong><br />

Gesellschaft zu gehen, wird uns in Kontakt mit dem<br />

leidenden Jesus bringen, <strong>der</strong> durch seinen Tod am<br />

Kreuz Leben brachte, <strong>und</strong> wird in uns die Sehnsucht<br />

beleben, den Fußspuren <strong>des</strong> Poverello zu<br />

folgen.<br />

Joseph G. Rozansky <strong>OFM</strong><br />

59


■ Option für die Armen<br />

Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />

Für den Außenstehenden verkörpern die Gestalten<br />

<strong>des</strong> hl. Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> hl. Klara vielleicht deutlicher<br />

als alle an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Kirchengeschichte das<br />

Konzept, eins mit den Armen zu werden, indem sie<br />

<strong>der</strong>en Lebenserfahrung teilten. „Il Poverello“, als<br />

<strong>der</strong> Franziskus noch heute in Italien bekannt ist,<br />

<strong>und</strong> die Grün<strong>der</strong>in <strong>der</strong> armen Klarissen waren in<br />

ihrer Zeit umstrittene Charaktere wegen ihres<br />

Selbstverständnisses als minores <strong>und</strong> ihrer Offenheit<br />

für Menschen wie die Aussätzigen, die als die<br />

Geringsten <strong>der</strong> Gesellschaft angesehen wurden.<br />

Das Thema <strong>der</strong> Armut ist durchweg ein Punkt <strong>der</strong><br />

Erneuerung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Spaltung innerhalb <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie gewesen. Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

entdeckten die Freiheit, die ein Leben SINE PROPRIO<br />

begleitet. Ihre Armut war nicht ein Engagement<br />

für Genügsamkeit, son<strong>der</strong>n sie war eine Wahl, eine<br />

Leidenschaft <strong>der</strong> Seele, die sie freimachte, großzügig<br />

in Gottes Schöpfung zu leben, nicht jemanden o<strong>der</strong><br />

etwas als sein o<strong>der</strong> ihr Eigentum zu beanspruchen.<br />

Der Einsatz <strong>des</strong> Franziskus für diese Lebensweise<br />

war durch den armen Christus motiviert.<br />

Auch heute ist diese radikale Option für die Armen<br />

weiterhin eine umstrittene Wahl, sowohl im Umfeld<br />

einer zunehmend materialistischen <strong>und</strong> am Erfolg<br />

orientierten Gesellschaft als auch innerhalb <strong>der</strong><br />

franziskanischen Familie selbst. Wenn Brü<strong>der</strong>,<br />

Schwestern <strong>und</strong> Laien sich bemühen, den Fußspuren<br />

ihrer Grün<strong>der</strong> zu folgen, werden sie mit <strong>der</strong><br />

komplexen Frage konfrontiert, inwieweit sie sich<br />

mit den Armen <strong>der</strong> heutigen Welt identifizieren<br />

können o<strong>der</strong> sollen. Einige Brü<strong>der</strong> sehen ihre Sendung<br />

darin, innerhalb <strong>der</strong> traditionellen Gemeinschaftsstrukturen<br />

zu bleiben, in denen sie in geeigneter<br />

Weise für die Armen arbeiten können. An<strong>der</strong>e<br />

glauben, dass sie berufen sind, an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />

Armen zu wirken, um ihnen wichtige Dienste in<br />

Barackensiedlungen, Slums <strong>und</strong> abgelegenen ländlichen<br />

Gebieten zu leisten. Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e treten<br />

dafür ein, sich in je<strong>der</strong> möglichen Weise mit den<br />

Armen zu identifizieren, in dem man ihre Lebenssituation,<br />

ihre Unterdrückung – <strong>und</strong> sogar ihren<br />

Tod teilt.<br />

In einigen Län<strong>der</strong>n wurde die radikale Option für<br />

die Armen den Brü<strong>der</strong>n durch Regierungen o<strong>der</strong><br />

60<br />

Umstände, die außer ihrer Kontrolle lagen, aufgezwungen.<br />

In Vietnam zum Beispiel wurden alle<br />

Häuser durch die kommunistischen Herrscher<br />

konfisziert, die 1975 die Herrschaft im ganzen Land<br />

übernahmen. Viele Brü<strong>der</strong> sehen jetzt diese offensichtliche<br />

Härte als einen Akt <strong>der</strong> Vorsehung an, <strong>der</strong><br />

sie zwang, ihren „komfortablen“ Lebensstil aufzugeben<br />

<strong>und</strong> eine bewusste Entscheidung zu treffen, das<br />

Leben <strong>der</strong> Menschen dort zu teilen. Durch die<br />

Übergabe <strong>der</strong> größeren Häuser an die Regierung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Teilnahme an Brigaden <strong>der</strong> Handarbeit<br />

wurden sich die Brü<strong>der</strong> gewisser franziskanischer<br />

Werte mehr bewusst <strong>und</strong> waren fähig, diese in einer<br />

neuen Weise zu bezeugen. Heute sieht sich die Kirche<br />

in Vietnam mit <strong>der</strong> erneuten Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

konfrontiert, wie sie den Menschen am besten<br />

dienen kann in einem Land, das radikale Schritte<br />

in Richtung Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>und</strong> freier Marktwirtschaft<br />

unternimmt. ALEXIS TRAN DUC HAI,<br />

Provinzialminister <strong>der</strong> Provinz <strong>des</strong> hl. Franziskus in<br />

Vietnam, <strong>der</strong> 1975, dem Jahr <strong>der</strong> kommunistischen<br />

„Revolution“ zum Priester geweiht worden war,<br />

beschäftigt sich zunehmend mit <strong>der</strong> Frage, welche<br />

Rolle Franziskaner in seiner sich schnell wandelnden<br />

Heimat spielen können. So wie das Land sich<br />

in Richtung Mo<strong>der</strong>nisierung bewegt, sagt er: „Ich<br />

bin überzeugt, dass die Kirche in Vietnam sich mit<br />

an<strong>der</strong>en Sektoren <strong>der</strong> Gesellschaft messen kann,<br />

nicht durch die Bereitstellung einer glücklichen<br />

Fassade, son<strong>der</strong>n indem sie die moralischen <strong>und</strong><br />

menschlichen Dimensionen unserer Volkes stärkt.“<br />

Unter den Brü<strong>der</strong>n, die sich für die radikalste Option<br />

entschieden hatten, finden wir DIEGO URIBE,<br />

<strong>der</strong> sich einer Guerillagruppe anschloss, die dafür<br />

kämpfte, ihr Land von Ungerechtigkeiten <strong>und</strong><br />

sozialer Ungleichheit zu befreien. Diego wirkte<br />

immer mit <strong>der</strong> Sehnsucht, seinem Volk zu dienen<br />

<strong>und</strong> treu seine Gelübde zu leben. Er nahm schließlich<br />

einen hohen Rang in seiner Guerillagruppe ein,<br />

bis er am 2. Dezember 1981 vom Militär in<br />

Kolumbien ermordet wurde. Schon vor <strong>der</strong> Ablegung<br />

seiner feierlichen Profess war er sehr aufgewühlt<br />

durch die extreme Armut <strong>und</strong> Ungerechtigkeit,<br />

die er um sich herum wahrnahm, während er<br />

in Bogotá Theologie studierte, <strong>und</strong> diese mit dem<br />

privilegierten Leben jener verglich, die innerhalb<br />

<strong>der</strong> Konventsmauern lebten. Inspiriert von dem<br />

tiefen Wandel in <strong>der</strong> Haltung, die das Zweite<br />

Vatikanische Konzil eingeleitet hatte, entschieden


■ Option für die Armen<br />

Uribe <strong>und</strong> einige an<strong>der</strong>e franziskanische Studenten,<br />

ihre komfortablen Quartiere in den Seminarien zu<br />

verlassen <strong>und</strong> sich in die ärmsten Zonen <strong>der</strong> Stadt<br />

zu begeben. Nach seiner Priesterweihe wurde er zur<br />

Arbeit in die westliche Küstenregion gesandt, einem<br />

<strong>der</strong> feuchtesten <strong>und</strong> unwirtlichsten Gegenden <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong>. Diese Region ist von Nachkommen afrikanischer<br />

Gruppen besiedelt, die vor zwei o<strong>der</strong> drei<br />

Jahrh<strong>und</strong>erten als Sklaven dorthin gebracht worden<br />

waren, um die alten Goldminen auszubeuten, die<br />

jetzt ausgeschöpft sind. Und viele leben <strong>und</strong> arbeiten<br />

heute noch als Sklaven. Im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />

begann Diego immer tiefer die existierenden Gesellschaftsstrukturen<br />

<strong>und</strong> die Bedeutung seiner eigenen<br />

Sendung zu hinterfragen. 1974 kehrte er zurück,<br />

um in einem <strong>der</strong> Randgebiete Bogotás zu arbeiten.<br />

Hier kam er zum ersten Mal mit Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Nationalen Befreiungsarmee in Kontakt. „Diego<br />

war eine bescheidene <strong>und</strong> liebenswürdige Person“,<br />

sagt sein Bru<strong>der</strong> Fernando Uribe, <strong>der</strong> heute am<br />

Antonianum in Rom unterrichtet. „Wir waren acht<br />

Geschwister, fünf Jungen <strong>und</strong> drei Mädchen, <strong>und</strong> er<br />

war <strong>der</strong> liebenswerteste von uns allen. Doch seine<br />

Fre<strong>und</strong>lichkeit erstickte nicht seine tiefe Sensibilität<br />

für die armen Menschen <strong>und</strong>, in seiner Sehnsucht<br />

etwas Wirksames für die Armen zu tun, meinte er,<br />

dass <strong>der</strong> bewaffnete Kampf <strong>der</strong> einzige Weg war, um<br />

sie aus Unterdrückung zu befreien.“ Fernando sagt,<br />

dass die Nationale Befreiungsarmee, <strong>der</strong> sich Diego<br />

Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre anschloss, in den letzten zehn<br />

o<strong>der</strong> fünfzehn Jahren eine heftige Entwicklung<br />

durchmachte, beson<strong>der</strong>s hinsichtlich <strong>der</strong> Methoden,<br />

sich zu finanzieren <strong>und</strong> ihr Anliegen voranzutreiben.<br />

Fernando war <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> um die<br />

Entscheidung seines Bru<strong>der</strong>s, sich dieser Gruppe<br />

anzuschließen, wusste – „immer respektiert, aber<br />

niemals geteilt“. Er war auch <strong>der</strong> Einzige, <strong>der</strong> Ende<br />

Dezember 1981 in die Berge ging, um den<br />

Leichnam seines Bru<strong>der</strong>s zu identifizieren. „Diego<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e seiner Gefährten waren ermordet worden,<br />

während sie ein Arbeitstreffen mit zwei an<strong>der</strong>en<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe auf einem Bauernhof in den<br />

Bergen abhielten. Die Überlebenden <strong>der</strong> Gruppe <strong>und</strong><br />

die Bewohner <strong>des</strong> Hauses, Kin<strong>der</strong> eingeschlossen,<br />

waren gefoltert worden. In jener Zeit war das Handeln<br />

Diegos eine Ursache von Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

unter den Franziskanern Kolumbiens, aber die<br />

Generalkurie in Rom respektierte angesichts <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>en Situation <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> seine persönlichen<br />

Optionen.“<br />

Die Brü<strong>der</strong> in Kolumbien setzen sich noch heute<br />

für die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten ein, die weiterhin<br />

auch heute Opfer <strong>des</strong> Missbrauchs ihrer Menschenrechte<br />

sind, was aber nicht immer durch die<br />

Presse bekannt gemacht wird. Die von <strong>der</strong> interkongregationalen<br />

Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden Kolumbiens erstellten Statistiken<br />

zeigen, dass annährend 9.500 Personen Opfer von<br />

Gewalt wurden. Der Bericht <strong>des</strong> amerikanischen<br />

Außenministeriums über die Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

in Kolumbien von 1996 zeigt, dass<br />

<strong>der</strong> bewaffnete Konflikt <strong>und</strong> das wahllose Töten<br />

weiterhin die Gesellschaft zerstört; die Polizei <strong>und</strong><br />

die Armee sind zum großen Teil für diese Gewalt<br />

verantwortlich.<br />

In vielen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt bedeutet die Option für<br />

die Armen, sich auf die Seite <strong>der</strong> Verfolgten zu stellen.<br />

Im heutigen Heiligen Land bedeutet dies das<br />

Risiko, in das Kreuzfeuer <strong>des</strong> gewaltsamen Konflikts<br />

zu geraten, in dem Araber <strong>und</strong> Juden sich gegenüberstehen,<br />

seit <strong>der</strong> Staat Israel vor einem halben<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert gegründet wurde. Unter <strong>der</strong> israelischen<br />

Besatzung <strong>der</strong> Westbank <strong>und</strong> <strong>des</strong> Gazastreifens,<br />

mussten min<strong>des</strong>tens eine Million Palästinenser<br />

ihre ehemaligen Häuser verlassen <strong>und</strong> in verwahrloste<br />

<strong>und</strong> überfüllte Flüchtlingslager fliehen, wo<br />

viele von ihnen unter unmenschlichen Bedingungen<br />

überleben. Sie benötigen alles, vom frischen<br />

Wasser bis zu medizinischem Beistand, von Schulerziehung<br />

bis zu Beschäftigung. Vor allem benötigen<br />

sie eine dauerhafte politische Lösung für die<br />

ganze Region, die Hoffnung auf eine bessere <strong>und</strong><br />

friedlichere Zukunft bringt. Franziskaner sind seit<br />

den Zeiten <strong>des</strong> hl. Franziskus im Heiligen Land<br />

präsent, was sie zu <strong>der</strong> ältesten legal bestehenden<br />

Organisation in <strong>der</strong> Region macht. Im Laufe <strong>der</strong><br />

Jahrh<strong>und</strong>erte standen sie selbst im Zentrum vieler<br />

„heiliger Kriege“, welche die Region zerstörten. Traditionellerweise<br />

waren sie die Hüter <strong>der</strong> heiligen<br />

Stätten; sie gaben ein beständiges Zeugnis christlicher<br />

Nächstenliebe inmitten <strong>der</strong> Machtkämpfe, die<br />

um sie herum wüteten. „Das ist auch heute noch<br />

<strong>der</strong> sichtbarste Aspekt franziskanischer Präsenz“,<br />

sagt GUISEPPE NAZARRO, <strong>der</strong> ehemalige Kustos <strong>des</strong><br />

Heiligen Lan<strong>des</strong>. Hinter den Kulissen arbeiten<br />

mehr als 300 Brü<strong>der</strong> aus 32 verschiedenen Län<strong>der</strong>n<br />

auf unterschiedliche Weise, um das Leben <strong>der</strong><br />

Armen, Christen wie Nichtchristen, zu verbessern.<br />

Ihre Sendung erstreckt sich über die Gebiete, in<br />

61


■ Option für die Armen<br />

denen die Flüchtlinge sich nie<strong>der</strong>gelassen haben,<br />

Israel, Jordanien, Ägypten, Syrien, Libanon, Zypern<br />

<strong>und</strong> Rhodos. Sie unterhalten 16 Schulen <strong>und</strong> Institute<br />

für über 10.000 Schüler, genau so wie Waisenhäuser,<br />

Kliniken, Arbeitsstätten, Altersheime <strong>und</strong><br />

Pfarrzentren für Jugendliche. Sie geben ihnen eine<br />

Alternative zu <strong>der</strong> Gewalt, die sie seit ihrer Kindheit<br />

erlebt haben. In dem Bemühen, den ständigen<br />

Wegzug <strong>der</strong> Christen aus dem Heiligen Land einzudämmen,<br />

haben die Brü<strong>der</strong> freie Unterkünfte für<br />

H<strong>und</strong>erte von Familien geschaffen, ebenso wie Ausbildungsstipendien,<br />

um junge Menschen zu ermutigen,<br />

ihre Studien im Nahen Osten fortzusetzen.<br />

In Italien ist die Option für die Armen, <strong>der</strong> Franziskus<br />

<strong>und</strong> Klara den Weg gebahnt hatten, für die<br />

Arbeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> durch die Jahrh<strong>und</strong>erte kennzeichnend<br />

geblieben. In <strong>der</strong> Toskana sind die<br />

Franziskaner verantwortlich für die Errichtung <strong>des</strong><br />

ersten Geldverleihsystems zugunsten <strong>der</strong> Armen.<br />

Diese frühen Pfandhäuser, bekannt als MONS<br />

PIETATIS, wurden 1462 von zwei Brü<strong>der</strong>n begonnen,<br />

BERNARDINO von Feltre <strong>und</strong> BARNABA von<br />

Terni. Trotz <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>stands vieler Schichten <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, an<strong>der</strong>e Orden eingeschlossen, entwickelten<br />

die Brü<strong>der</strong> einen sicheren Weg, Geld zu<br />

niedrigen Zinsraten zu verleihen, damit die Armen<br />

ihre Schulden bezahlen konnten <strong>und</strong> nicht in die<br />

Hände von Wucherern fielen. Im Jahr 1515 wurde<br />

diesen sich selbst tragenden Leihgeschäften durch<br />

Leo X. im Gefolge <strong>des</strong> fünften Laterankonzils die<br />

offizielle päpstliche Anerkennung gewährt. Ähnliche<br />

Kreditinstitute begannen zunächst in Norditalien<br />

zu entstehen, <strong>und</strong> dann im ganzen Land,<br />

Vorläufer unserer mo<strong>der</strong>nen Banken.<br />

Vor kurzem haben die Brü<strong>der</strong> in Italien das Thema<br />

<strong>der</strong> Armut auf internationaler Ebene aufgeworfen.<br />

Die Konferenz <strong>der</strong> Provinzialminister <strong>der</strong> italienischen<br />

Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> (COMPI) unternahm den<br />

innovativen Schritt, das Dokument GLOBALE<br />

HERAUSFORDERUNGEN DER ÖKONOMISCHEN ETHIK<br />

zu veröffentlichen. Dieses Dokument for<strong>der</strong>t eine<br />

größere Aufmerksamkeit für das internationale<br />

Schuldenproblem <strong>und</strong> für die Weise, wie es direkt<br />

das Leben <strong>der</strong> Armen berührt.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Methode, die Probleme <strong>der</strong> Armen<br />

in verschiedenen Zonen <strong>der</strong> gegenwärtigen Welt<br />

vorzustellen, ist die gegenseitiger Besuche, wobei<br />

62<br />

Franziskaner in einem Land aus erster Hand an<br />

den Bemühungen <strong>und</strong> Erfahrungen von Gemeinschaften<br />

an<strong>der</strong>er Nationen teilnehmen können.<br />

Während einer solchen Reise besuchten sieben<br />

koreanische Brü<strong>der</strong> eine <strong>der</strong> ärmsten Zonen r<strong>und</strong><br />

um die philippinische Hauptstadt Manila. Als sie<br />

später ihre Erfahrung reflektierten, sagten die koreanischen<br />

Brü<strong>der</strong>, dass sie von ihren philippinischen<br />

Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schwestern ungewöhnlich beeindruckt<br />

waren, die in Armut mit den Menschen in<br />

solchen städtischen Randgebieten leben. H<strong>und</strong>erttausende<br />

von Familien kämpfen, um in den<br />

Barackensiedlungen r<strong>und</strong> um Manila zu überleben;<br />

sie leben mit <strong>der</strong> täglichen Bedrohung von Zwangsräumung<br />

<strong>und</strong> dem erzwungenen Abriss ihrer Notunterkünfte<br />

durch den Plan <strong>der</strong> Regierung, diese<br />

Zone zu restrukturieren. Ähnliches geschieht in den<br />

Vereinigten Staaten, wo das Fortbildungsprogramm<br />

<strong>der</strong> Provinz von Kalifornien eine Zeit in Guatemala<br />

einschließt, bei <strong>der</strong> die Brü<strong>der</strong> aus erster Hand das<br />

Leben <strong>und</strong> das Leiden einer <strong>der</strong> ärmsten Bevölkerung<br />

in Zentralamerika erfahren können.<br />

In Japan verursacht die radikale Option für die<br />

Armen durch PIO (Tetsuro) HONDA weiterhin eine<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung unter vielen seiner Mitbrü<strong>der</strong>.<br />

Während seiner Zeit als Provinzialminister hielt <strong>der</strong><br />

Orden 1985 seinen Ordensrat in Bahia ab; ein<br />

Ereignis, das einen tiefen <strong>und</strong> andauernden Eindruck<br />

auf Pio machte. Mit dem Eifer <strong>des</strong> Neubekehrten<br />

mühte er sich ab, sicherzustellen, dass die<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong> Provinz ein prophetisches Leben mit den<br />

Armen leben könnten. Sein Enthusiasmus steckte<br />

einige Brü<strong>der</strong> an, bereitete aber an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Provinz Schwierigkeiten. Nach einer stürmischen<br />

Amtsperiode als Provinzialminister ging<br />

Pio in ein Gebiet mit Namen Kamagasaki, in <strong>der</strong><br />

Stadt Osaka, um als Tagelöhner zu arbeiten. Sie<br />

stellen eine <strong>der</strong> am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen<br />

in dieser nach außen so blühenden<br />

<strong>und</strong> erfolgreichen Nation dar. Kamagasaki ist einer<br />

<strong>der</strong> vier größten Sammelpunkte für arbeitslose<br />

Arbeiter. Tausende von ihnen waren dorthin zugewan<strong>der</strong>t,<br />

als Japan sich aggressiv von einer landwirtschaftlichen<br />

zu einer industrie- <strong>und</strong> technologiebasierten<br />

Gesellschaft entwickelte. Die Tauglichen<br />

unter ihnen sammeln sich jeden Morgen um<br />

vier Uhr in <strong>der</strong> Hoffnung, einen Tageslohn in oft<br />

gefährlichen <strong>und</strong> schwierigen Jobs zu verdienen.<br />

Über Jahre wurden diese Arbeiter als die Arbeits-


■ Option für die Armen<br />

reserve <strong>der</strong> boomenden japanischen Wirtschaft<br />

angesehen, die eine beständige Quelle für Handarbeiter<br />

darstellte, ohne jede Verpflichtung für die<br />

Arbeitgeber. Als die Wirtschaft erlahmte, litten auch<br />

die Tagelöhner. Statistiken zeigen einen dramatischen<br />

Rückgang in <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> zur Verfügung stehenden<br />

Jobs. Immer mehr wurden die Männer aus<br />

ihren kleinen gemieteten Zimmern auf die Straßen<br />

getrieben <strong>und</strong> lebten von Almosen. Auch wenn sie<br />

die Kosten für das Zimmer noch zahlen konnten,<br />

mussten sie Schikanen von Seiten <strong>der</strong> Polizei <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> örtlichen Behörden ertragen, die „die Menschen<br />

oft wie Tiere behandelten“; so die Darstellung örtlicher<br />

Bewohner. Die medizinische Fürsorge für<br />

diese Arbeiter ist notorisch schlecht, trotz <strong>der</strong><br />

alarmierend hohen Zahl von arbeitsbedingten<br />

Erkrankungen. Auch heute lebt Pio noch zusammen<br />

mit an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n unter den Armen von<br />

Kamagasaki. Sie haben eine Tageseinrichtung<br />

eröffnet, in <strong>der</strong> arbeitslose Männer eine Mahlzeit,<br />

einen kostenlosen Haarschnitt erhalten o<strong>der</strong> einfach<br />

kommen können, um sich in einer einladenden<br />

Atmosphäre zu begegnen.<br />

Auch in den europäischen Län<strong>der</strong>n treffen Brü<strong>der</strong><br />

zunehmend die Option, an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Armen zu<br />

leben, denen sie zu dienen versuchen. Für viele Brü<strong>der</strong><br />

ist dieses Engagement auch durch die Ereignisse<br />

<strong>der</strong> Geschichte mitverursacht. Während <strong>des</strong> zweiten<br />

Weltkriegs waren die meisten Priester <strong>und</strong> Ordensleute<br />

zur Arbeit in Fabriken <strong>und</strong> Industrieanlagen<br />

gezwungen worden. Viele dieser Ordensleute fanden<br />

als Arbeiter den täglichen Kontakt mit ihren<br />

Arbeitskollegen – oft unzufriedene Christen, die die<br />

Kirche verlassen hatten, – sehr lohnend. Ein soziales<br />

Evangelium wurde lebendig <strong>und</strong> spiegelte sich im<br />

Wie<strong>der</strong>aufleben <strong>des</strong> Glaubens vieler Arbeiter. Am<br />

Ende <strong>des</strong> Krieges setzten viele dieser Ordensleute<br />

ihren Dienst fort, indem sie als „Arbeiterpriester“<br />

das Evangelium lebten <strong>und</strong> auf den Marktplätzen<br />

verkündeten. Bis zu seinem Tod 1997 lebte in<br />

Frankreich PIERRE ALLART vier Jahrzehnte als aktiver<br />

Arbeiterpriester unter den städtischen Armen.<br />

Er <strong>und</strong> zwei Brü<strong>der</strong> lebten in den Randbezirken<br />

von Paris, wo sie zunehmend mit den Problemen<br />

<strong>der</strong> neuen Immigranten aus Afrika konfrontiert<br />

wurden. In Deutschland leben KARL MÖHRING<br />

<strong>und</strong> JOACHIM STOBBE ebenfalls als Arbeiterpriester.<br />

Wie Pierre sehen sie in dem von ihnen gewählten<br />

Lebensstil ein Zeugnis für das Charisma <strong>des</strong> Fran-<br />

Gott hat die Schwachen auserwählt,<br />

um die Starken zu beschämen.<br />

ziskus <strong>und</strong> glauben, dass die Zusammenarbeit mit<br />

an<strong>der</strong>en franziskanischen Gemeinschaften <strong>und</strong><br />

ähnlich gesinnten Partnerorganisationen ein<br />

wesentlicher Bestandteil ihres Dienstes ist. Pierre<br />

verweist auf das Beispiel, dass seine Gemeinschaft<br />

sich an <strong>der</strong> Internationalen Kampagne zur Ächtung<br />

<strong>der</strong> Landminen beteiligt, <strong>und</strong> sagt, dass in Partnerschaft<br />

mit an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Stimme <strong>der</strong> Armen größerer<br />

Glaube geschenkt wird.<br />

In den USA haben viele ältere Pfarreien bestehende<br />

Strukturen umgestaltet, um sich dem Problem <strong>der</strong><br />

städtischen Armut zu stellen. Um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />

erblühten diese großen Pfarreien durch einwan<strong>der</strong>nde<br />

katholische Familien, wurden aber nach<br />

<strong>und</strong> nach verlassen, als diese Familien in wohlhaben<strong>der</strong>e<br />

Siedlungen zogen. In Städten von New<br />

York bis San Francisco, von New Orleans bis Detroit<br />

<strong>und</strong> Chicago bieten die Brü<strong>der</strong> in diesen Pfarreien<br />

nun eine breite Palette unterschiedlichster Dienste<br />

an, für Alkohol- <strong>und</strong> Drogenabhängige, für<br />

Obdachlose <strong>und</strong> an Aids Erkrankte.<br />

Als JOE NANGLE 1970 New York verließ, um nach<br />

Peru zu gehen, war dies <strong>der</strong> Anfang einer Bekehrungserfahrung,<br />

die sein Herz <strong>und</strong> seinen Lebensstil<br />

63


■ Option für die Armen<br />

verän<strong>der</strong>te. Während seiner Dienstjahre in einer<br />

Pfarrei <strong>der</strong> höheren Mittelklasse kam er dazu, den<br />

krassen Unterschied zwischen den Reichen – auf die<br />

die kirchliche Arbeit zum Großteil zielte – <strong>und</strong> den<br />

Armen, die unter unmenschlichen Bedingungen<br />

leben, zu sehen. Ein entscheiden<strong>der</strong> Moment für<br />

Joe kam, als sich die lateinamerikanischen Bischöfe<br />

in Medellin (Kolumbien) trafen <strong>und</strong> in ihrem<br />

Schlussdokument die radikale Option <strong>der</strong> Kirche<br />

zugunsten <strong>der</strong> Armen hervorhoben. Heute lebt Joe<br />

im Assisi-Haus inmitten eines ökonomisch notleidenden<br />

Gebietes von Washington DC. Er setzte<br />

sich dafür ein, dass eine kleine franziskanische<br />

Gemeinschaft von Männern <strong>und</strong> Frauen, Ordensleuten<br />

<strong>und</strong> Laien gebildet wurde, die sich aktiv um<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden mühen, – ein Zeugnis<br />

für Armut <strong>und</strong> geteiltes Leben. Joe ist <strong>der</strong> Direktor<br />

<strong>des</strong> Franciscan Mission Service (FMS), einer Organisation,<br />

die eine beson<strong>der</strong>e Betonung auf die Rolle<br />

<strong>der</strong> „umgekehrten Mission“ legt, die stattfindet,<br />

wenn ihre Freiwilligen in die USA zurückkehren.<br />

Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gegend <strong>der</strong> großen Seen in Afrika setzen<br />

ihre lebenswichtige Unterstützung für diejenigen<br />

fort, die alles in den ethnischen Konflikten verloren<br />

haben, die Bur<strong>und</strong>i, Ruanda <strong>und</strong> Zaire heimsuchten.<br />

Ihre Präsenz unter den Flüchtlingen ist ein<br />

sprechen<strong>des</strong> Zeugnis ihres Einsatzes, unter den<br />

Ärmsten <strong>der</strong> Armen zu leben. VJEKO CURIC erzählt<br />

ein bewegen<strong>des</strong> Beispiel von Solidarität, das sich an<br />

einem Weihnachtstag in Ruanda zutrug. „Über<br />

Weihnachten hatten wir Tausende von Flüchtlingen,<br />

die aus Tansania zurückkehrten. Die Diözese<br />

setzte alle ihre Fahrzeuge ein, um die Erschöpftesten<br />

unter ihnen nach Hause transportieren zu helfen.<br />

Ein medizinisches Team unseres Krankenhauses<br />

war ständig im Einsatz, <strong>und</strong> eine Reihe von Frauen<br />

gebaren ihre Kin<strong>der</strong> auf den Lastwagen bzw. am<br />

Straßenrand. Wir sahen außerordentliche Akte <strong>der</strong><br />

Solidarität, als Menschen die letzte Nahrung <strong>und</strong><br />

Kleidung, die sie besaßen, hergaben. Einige unserer<br />

Arbeiter spendeten ihr Weihnachtsgeld. Der Bischof<br />

selbst ging häufig auf die Straße, um mit den Menschen<br />

zu sprechen, ihre Situation einzuschätzen <strong>und</strong><br />

jede ihm mögliche Hilfe anzubieten. Die wichtigsten<br />

internationalen Organisationen wie die UNO,<br />

das Rote Kreuz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hochkommissar <strong>der</strong> UN<br />

für Flüchtlinge waren in dieser Situation tiefsten<br />

Elends nicht vor Ort. Die ganze Straße von Kigali<br />

nach Kabgayi <strong>und</strong> Butare war vollgestopft von<br />

64<br />

Menschen in Bewegung. Doch die Christen dort<br />

hatten das Gespür, dass Jesus entlang <strong>der</strong> Straße<br />

ging; je<strong>der</strong> gab Nahrung, Kleidung o<strong>der</strong> Geld nach<br />

dem Weihnachtsgottesdienst. Anschließend gingen<br />

die Verantwortlichen hinaus, um die Gaben zu<br />

verteilen. Die schönsten Geschenke kamen wie<br />

immer von den Kin<strong>der</strong>n: sie hatten so viele Dinge<br />

gesammelt (Süßigkeiten, Avocados, Süßkartoffeln,<br />

Bohnen, Erbsen <strong>und</strong> Feuerholz zum Kochen <strong>und</strong><br />

Heizen), um es weniger begünstigten Kin<strong>der</strong>n als<br />

sie selbst zu geben.“ Vjeko wurde 1998 in Ruanda<br />

erschossen.<br />

ANASTASIO RIBEIRO ist einer von vielen Brü<strong>der</strong>n, die<br />

mit den landlosen Menschen in Brasilien arbeiten.<br />

Er lebte die letzten beiden Jahrzehnte in ländlichen<br />

Gebieten. Während <strong>der</strong> letzten sieben Jahre arbeitete<br />

er in verschiedenen Staaten im Nordosten Brasiliens<br />

<strong>und</strong> begleitete über zweitausend Familien bei<br />

<strong>der</strong> Landbesetzung, um möglicherweise das brachliegende<br />

Land legal in Besitz zu nehmen. Dieser<br />

Prozess ist lang, schwierig <strong>und</strong> oft gefährlich, aber<br />

er ist in Brasilien zu einem Schlüssel im Kampf <strong>der</strong><br />

Armen um die Befreiung geworden. Wie die Juden<br />

<strong>des</strong> Alten Testaments in ein neues Land geführt<br />

wurden, in dem sie Rettung finden sollten, so versuchen<br />

die Brü<strong>der</strong> die landlosen Menschen in eine<br />

neue Heimat zu führen, wo sie eine Familie aufbauen<br />

<strong>und</strong> erziehen können <strong>und</strong> lernen an den<br />

demokratischen Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft teilzunehmen.<br />

Regelmäßig werden diese Gruppen<br />

bedroht, die sich auf einem Stück ungenutzten<br />

Lan<strong>des</strong> nie<strong>der</strong>lassen, oft werden sie vertrieben <strong>und</strong><br />

manchmal getötet. Sie begeben sich dann auf ein<br />

an<strong>der</strong>es Stück Land <strong>und</strong> besetzen dies. Unter<br />

Umständen bewirtschaften sie das Land mit Feldfrüchten<br />

<strong>und</strong> beginnen einen langen <strong>und</strong> heftig<br />

umkämpften Rechtsstreit, damit die Regierung das<br />

Land konfisziert <strong>und</strong> an die Landlosen verteilt.<br />

Anastácio wurde regelmäßig von den brasilianischen<br />

Behörden belästigt, verhaftet <strong>und</strong> mit langen<br />

Haftstrafen bedroht. Internationale Kampagnen<br />

zu seiner Unterstützung haben geholfen, dass<br />

Anastásio unbehelligt blieb.<br />

JUSTUS WIRTH, <strong>der</strong> in Texas, USA, nahe an <strong>der</strong><br />

mexikanischen Grenze lebt, liefert ein an<strong>der</strong>es Beispiel,<br />

wie Brü<strong>der</strong> die Armen in ihrem Kampf um<br />

einen angemessenen Lebensstandard unterstützen<br />

können. Er hat unzählige Artikel für verschiedene


■ Option für die Armen<br />

Publikationen geschrieben, <strong>der</strong>en Ziel es ist, auf die<br />

Notlage <strong>der</strong> Menschen in Mexiko <strong>und</strong> den umliegenden<br />

Gebieten Nord- <strong>und</strong> Südamerikas hinzuweisen.<br />

Jüngst arbeitete er intensiv daran, auf die<br />

schädlichen Auswirkungen <strong>des</strong> nordamerikanischen<br />

Freihandelsabkommens (NAFTA) auf die Menschen<br />

in Norden Mexikos aufmerksam zu machen.<br />

Justus besorgte auch die gr<strong>und</strong>legende Dokumentation<br />

für die interfranziskanische Delegation beim<br />

Welternährungsgipfel <strong>der</strong> UNO, <strong>der</strong> im November<br />

1996 in Rom stattfand. Er verwies auf die Notlage<br />

von ungefähr 15 Millionen Mexikanern, die von<br />

ihrem traditionellen Ackerland verdrängt wurden<br />

(was sich wie<strong>der</strong>um in dem Problem <strong>der</strong> Urbanisierung<br />

in ganz Lateinamerika wi<strong>der</strong>spiegelt), um die<br />

Organisation für Ernährung <strong>und</strong> Landwirtschaft<br />

(FAO) <strong>der</strong> UNO zu ermutigen, ihre Politik fortzusetzen,<br />

das Selbstvertrauen <strong>der</strong> sich entwickelnden<br />

Nationen zu unterstützen, ihre gr<strong>und</strong>legenden Nahrungsmittel<br />

selbst zu produzieren. Die Erstellung<br />

zuverlässigen Dokumentationsmaterials von den<br />

Menschen, mit denen wir leben, ist ein Hauptbestandteil<br />

<strong>der</strong> Lobbyarbeit auf internationaler Ebene,<br />

die Zusammenstellung gut dokumentierter Information,<br />

die Regierungen oft nicht zu liefern bereit<br />

sind.<br />

Hinweise auf die Generalkonstitutionen<br />

Artikel 8,1-3; 32,3; 34,2; 66,1-2; 72,1-3; 78,1-2;<br />

87,1+3; 93,1; 132.<br />

65


■ Option für die Armen<br />

Fragen für die Diskussion<br />

1. Wer war <strong>der</strong> letzte arme Mensch, <strong>der</strong> dein<br />

Leben merklich beeinflusst hat? Was war die<br />

Wirkung?<br />

2. Hast du jemals Ausgrenzung erlebt? Was lehrte<br />

dich diese Erfahrung über dich selbst, über<br />

die Bru<strong>der</strong>schaft, über deine Gesellschaft?<br />

3. Hat unsere örtliche Gemeinschaft einen direkten<br />

Kontakt o<strong>der</strong> Bezug zu armen Menschen?<br />

Wenn nicht, wie könnte sie ihn bekommen?<br />

4. Wie gehen wir mit den Armen um, die an<br />

unsere Tür klopfen o<strong>der</strong> uns per Telefon anrufen?<br />

5. Unterstützt unsere Gemeinschaft Provinzinitiativen<br />

hinsichtlich unserer Option für<br />

die Armen? Gibt es ökonomische <strong>und</strong>/o<strong>der</strong><br />

moralische Unterstützung?<br />

6. Hat die Arbeit mit den Armen die Identität<br />

unserer Ordensprovinz geprägt? In welcher<br />

Weise?<br />

7. Hast du jemals gegen die Misshandlung von<br />

Armen in Zeitungen protestiert, indem du<br />

deine Sichtweise in Zeitschriften o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Medien zum Ausdruck gebracht hast?<br />

Durch deine Stimmabgabe?<br />

8. Hat die Option für die Armen dich jemals in<br />

Konflikt mit Mitglie<strong>der</strong>n deiner eigenen<br />

Familie gebracht? Wie bist du mit dieser<br />

Schwierigkeit umgegangen?<br />

9. In welcher Phase befinden wir uns selbst,<br />

persönlich wie gemeinschaftlich, in unserer<br />

Beziehung zu den Armen? Welche konkreten<br />

Maßnahmen würden uns helfen, diese<br />

Beziehung zu vertiefen <strong>und</strong> zu entwickeln?<br />

66<br />

10. Welches reale Gewicht hat in unserem brü<strong>der</strong>lichen<br />

Leben (Gebet, Sendung, Gespräch,<br />

Lebensstil) unsere Option für die Armen?<br />

11. Was können wir in unserer Bru<strong>der</strong>schaft vor<br />

Ort bereits tun, um das Prinzip <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorliebe für die Armen <strong>und</strong><br />

Ausgegrenzten umzusetzen?<br />

12. Wie ist, auf persönlicher <strong>und</strong> gemeinschaftlicher<br />

Ebene, unsere Haltung gegenüber dem<br />

Konsum?<br />

13. Ist es vernünftig zu bitten, dass sich Brü<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> politischen <strong>und</strong> sozialen Strukturen<br />

bewusst werden, die Situationen <strong>der</strong> Ungerechtigkeit<br />

auf dieser Welt verursachen? O<strong>der</strong><br />

ist es ausreichend, sich direkt für die Armen<br />

einzusetzen?<br />

14. War es für Franziskus leichter, seine radikale<br />

Option für die Armen im dreizehnten Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zu fällen, als für uns heute am<br />

Beginn <strong>des</strong> 21. Jahrh<strong>und</strong>erts?<br />

15. Kennst du zeitgenössische Brü<strong>der</strong>, die eine<br />

vorrangige Option für die Armen getroffen<br />

haben? Was stützt ihr Werk? Was denkst du<br />

über sie <strong>und</strong> ihren Dienst?


Frieden stiften


■ Frieden stiften<br />

Frieden stiften<br />

§ 1 Die Brü<strong>der</strong> sollen in dieser Welt als Anwälte<br />

<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> als Herolde <strong>und</strong> Bauleute<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> leben, die das Böse durch das Gute<br />

besiegen.<br />

§ 2 Mit dem M<strong>und</strong>e sollen sie den Frieden verkünden,<br />

mehr noch ihn tief im Herzen tragen, so dass<br />

niemand zu Zorn <strong>und</strong> Ärgernis provoziert wird,<br />

son<strong>der</strong>n alle durch die Brü<strong>der</strong> zu Frieden,<br />

Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Wohlwollen aufgerufen<br />

werden.<br />

<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 68<br />

Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus ...<br />

Aus dem Gruß, von dem Franziskus sagt, dass er<br />

ihm von Gott offenbart worden sei, wird offensichtlich,<br />

dass er ein <strong>Friedens</strong>stifter war: „Der Herr gebe<br />

dir den Frieden“ (Test 23). Das Gespür <strong>der</strong> Solidarität<br />

<strong>des</strong> Franziskus mit allem von Gott Geschaffenen<br />

umgibt all seine Bemühungen um Frieden.<br />

Die Demut <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> dafür,<br />

dass sie Frieden innerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft pflegten<br />

(1 Cel 38) <strong>und</strong> sich um Frieden <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>lichkeit<br />

mit allen bemühten (1 Cel 41). Franziskus ermahnte<br />

seine Brü<strong>der</strong> auf Reisen „nicht zu streiten, noch<br />

sich in Wortgezänk einzulassen, noch an<strong>der</strong>e zu<br />

richten. Vielmehr sollen sie milde, friedfertig <strong>und</strong><br />

bescheiden, sanftmütig <strong>und</strong> demütig sein <strong>und</strong><br />

anständig reden mit allen, wie es sich gehört“ (BReg<br />

3,11). Seine eigene Predigt verkündete Frieden <strong>und</strong><br />

Erlösung, so dass er „viele zum wahren Frieden<br />

führte, die vorher von Christus getrennt <strong>und</strong> darum<br />

dem Heile fern waren“ (LegMai III,2). Franziskus<br />

sagte, dass die „in Wahrheit friedfertig sind, die bei<br />

allem, was sie in dieser Welt erleiden, um <strong>der</strong> Liebe<br />

unseres Herrn Jesus Christus willen in Geist <strong>und</strong><br />

Leib den Frieden bewahren“ (Erm 15). Franziskus<br />

war ein <strong>Friedens</strong>stifter auf Gr<strong>und</strong> seiner Rechtschaffenheit,<br />

seines Glaubens, nach dem Gr<strong>und</strong>satz:<br />

„Was <strong>der</strong> Mensch vor Gott ist, das ist er <strong>und</strong> nicht<br />

mehr“ (Erm 19). Denn „wo Ruhe ist <strong>und</strong> Betrachtung,<br />

da ist nicht Aufregung <strong>und</strong> unsteter Geist“<br />

(Erm 27). Franziskus erbat für jeden den wahren<br />

Frieden vom Himmel. Er drängte seine Brü<strong>der</strong>, ihre<br />

Nächsten wie sich selbst zu lieben. Wenn sie dies<br />

nicht tun könnten, sollten sie zumin<strong>des</strong>t ihren<br />

Nächsten Gutes tun <strong>und</strong> ihnen nicht schaden (BrGl<br />

II,26-27).<br />

Franziskus war in verschiedenen italienischen Städten<br />

ein <strong>Friedens</strong>stifter. In Arezzo ließ er Bru<strong>der</strong> Sylvester<br />

beten, damit die Dämonen, die zivilen Streit<br />

verursacht hatten, die Stadt verließen (LegPer 81).<br />

Mit <strong>der</strong> Hilfe <strong>des</strong> Franziskus schlossen die Bürger<br />

von Gubbio einen <strong>Friedens</strong>vertrag mit dem Wolf,<br />

<strong>der</strong> sie zuvor terrorisiert hatte (Fior XXI). Sicherlich<br />

behandelte <strong>der</strong> Sultan Franziskus mit Hochachtung,<br />

weil er in Franziskus einen <strong>Friedens</strong>boten erkannte<br />

(1 Cel 57). Als Antwort auf den Streit zwischen<br />

dem Bischof <strong>und</strong> dem Bürgermeister von Assisi fügte<br />

Franziskus seinem SONNENGESANG zwei Strophen<br />

an:<br />

Gepriesen seist du, mein Herr,<br />

durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen<br />

<strong>und</strong> Schwachheit ertragen <strong>und</strong> Drangsal.<br />

Selig jene, die solches ertragen in Frieden,<br />

denn von dir, Erhabenster, werden sie gekrönt.<br />

Auf einer an<strong>der</strong>en Ebene sind <strong>der</strong> Ablass von Assisi,<br />

den er vom Papst erhielt für die Menschen, die in<br />

Portiunkula beteten, <strong>und</strong> die sehr bekannte<br />

Geschichte vom Wolf von Gubbio zwei <strong>der</strong> sprechendsten<br />

Beispiele für den Einsatz <strong>des</strong> Franziskus<br />

um Frieden. Die Geschichte vom Wolf von Gubbio<br />

enthält für uns viele Lehren – auch wenn wir anerkennen<br />

sollten, dass sie nur in späteren Quellen<br />

überliefert wird, die historisch zweifelhaft sind (vgl.<br />

Fioretti, Kapitel 21).<br />

69


■ Frieden stiften<br />

Wir wollen die Abfolge <strong>der</strong> Ereignisse <strong>der</strong> Geschichte<br />

<strong>des</strong> Wolfes von Gubbio prüfen:<br />

■ Ein grimmiger Wolf terrorisiert die Bewohner<br />

von Gubbio. Er greift Tiere <strong>und</strong> Menschen an.<br />

Sie wagen es nicht, die Stadt zu verlassen.<br />

■ Franziskus befindet sich in <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong> hat<br />

Mitleid mit den Menschen.<br />

■ Er geht mit einem Gefährten hinaus, um den<br />

Wolf zu treffen; einige Bauern gehen mit ihnen,<br />

ziehen sich aber schnell zurück.<br />

■ Der Wolf nähert sich grimmig.<br />

■ Franziskus macht über dem Wolf das Zeichen<br />

<strong>des</strong> Kreuzes; worauf dieser sich beruhigt.<br />

■ Franziskus spricht den Wolf als „Bru<strong>der</strong>“ an,<br />

schilt ihn wegen seiner Grausamkeit <strong>und</strong> macht<br />

einen Vertrag mit ihm.<br />

■ Sie gehen gemeinsam zur Stadt.<br />

■ Franziskus for<strong>der</strong>t die Menschen zur Bekehrung<br />

auf; <strong>der</strong> Vertrag wird öffentlich erneuert <strong>und</strong><br />

die Stadtbewohner versprechen, den Wolf zu<br />

ernähren.<br />

■ Der Pakt wird eingehalten <strong>und</strong> beide Seiten<br />

sind glücklich.<br />

An <strong>der</strong> Geschichte können wir aufzeigen:<br />

■ den Mut <strong>des</strong> Franziskus, <strong>der</strong> anerkennt: „Christus<br />

ist <strong>der</strong> Herr aller Geschöpfe“, <strong>und</strong> <strong>der</strong> all<br />

sein Vertrauen auf die Macht Christi setzt;<br />

■ die nicht bedrohende Annäherung durch Franziskus,<br />

<strong>der</strong> ohne Waffen kommt, statt<strong>des</strong>sen im<br />

Zeichen <strong>des</strong> Kreuzes;<br />

■ sein Mut, den Wolf klar mit seinen Verbrechen<br />

zu konfrontieren, <strong>und</strong> gleichzeitig sein Verständnis<br />

dafür, warum <strong>der</strong> Wolf diese begangen<br />

hat;<br />

■ sein Freimut, auch die Stadtbewohner auf ihre<br />

Sünden hinzuweisen, doch auch Verständnis zu<br />

zeigen für ihr Bedürfnis nach Sicherheit <strong>und</strong> für<br />

das Bedürfnis <strong>des</strong> Wolfes nach Nahrung.<br />

■ seine Beharren, einen Vertrag öffentlich abzuschließen.<br />

70<br />

Franziskus als <strong>Friedens</strong>stifter<br />

In einigen Kulturen galt für Jahrh<strong>und</strong>erte: wenn ein<br />

Besucher kommt <strong>und</strong> „Frieden“ (Schalom, Salam)<br />

sagt, dann bedeutet dieses Wort, dass er keine Waffen<br />

mit sich trägt <strong>und</strong> als Fre<strong>und</strong> kommt.<br />

Dem Franziskus wurde geoffenbart zu sagen: Der<br />

Herr gebe dir Frieden, <strong>und</strong> er begann seine Predigten<br />

mit diesen Worten. Seit über acht Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

wird in <strong>der</strong> franziskanischen Familie <strong>der</strong> Gruß<br />

Friede <strong>und</strong> alles Gute/Friede <strong>und</strong> Heil verwendet.<br />

Je<strong>der</strong> Gruß kann eine leere Formel werden, ohne<br />

innere Teilnahme <strong>des</strong> Menschen, <strong>der</strong> ihn verwendet.<br />

Der Friede, den Franziskus wünschte, kam aus seinem<br />

inneren Frieden <strong>und</strong> seiner tiefen Ehrfurcht<br />

vor jedem Geschöpf, das aus <strong>der</strong> Hand Gottes<br />

kommt. Derjenige, <strong>der</strong> Frieden wünscht, aber nicht<br />

Samen dieses <strong>Friedens</strong> in sich trägt, ist ein <strong>Friedens</strong>wünscher,<br />

nicht ein <strong>Friedens</strong>stifter. Ein solcher<br />

Mensch übermittelt nicht ein von Gott empfangenes<br />

Geschenk. Das Geheimnis <strong>des</strong> Franziskus<br />

als <strong>Friedens</strong>stifter besteht darin, dass er Gott in sich<br />

jenen, die ihm begegneten, Frieden bringen ließ.<br />

Als <strong>der</strong> Wolf von Gubbio ihm grimmig entgegenrannte,<br />

machte Franziskus das Zeichen <strong>des</strong> Kreuzes<br />

über das wilde Tier <strong>und</strong> nannte ihn „Bru<strong>der</strong>“. Diese<br />

zwei Handlungen bringen den Wolf zurück an seinen<br />

Platz innerhalb <strong>der</strong> Familie <strong>der</strong> Geschöpfe<br />

Gottes, versöhnt durch die Liebe Christi, die sich<br />

im Kreuz manifestiert. Durch seine grausamen<br />

Aktionen hatte sich <strong>der</strong> Wolf von <strong>der</strong> Familie Gottes<br />

getrennt. Nachdem er die Gabe <strong>der</strong> Erlösung<br />

empfangen hatte, beruhigte er sich <strong>und</strong> war bereit,<br />

den Tadel <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong> seine For<strong>der</strong>ung nach<br />

einem Vertrag mit den Bewohnern von Gubbio<br />

anzuhören.<br />

Franziskus stellt sich den Konflikten<br />

Irrtümlicherweise bezeichnen manche Menschen<br />

diejenigen als <strong>Friedens</strong>stifter, die nette <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>liche<br />

Menschen sind, die sich mit allen vertragen.<br />

Psychologen sagen uns, dass einige dieser umgänglichen<br />

Menschen nur <strong>des</strong>halb mit allen übereinstimmen,<br />

weil sie Konflikte fürchten, <strong>und</strong> nicht, weil ihr<br />

Friede mit Gott überströmt. Franziskus lud seine<br />

Brü<strong>der</strong> ein, in ihren Predigten nicht in Dispute zu


■ Frieden stiften<br />

verfallen, son<strong>der</strong>n fre<strong>und</strong>lich, friedfertig, bescheiden,<br />

höflich <strong>und</strong> demütig zu sein; das sind f<strong>und</strong>amentale<br />

Charakteristika <strong>und</strong> müssen integraler Teil<br />

<strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>seins sein. Jedoch bedeutet dies<br />

nicht Furcht vor <strong>der</strong> Wahrheit, wie Franziskus sich<br />

auch nicht scheut, herausfor<strong>der</strong>nd zu sein. Voller<br />

Hochachtung, aber unbeugsam wi<strong>der</strong>steht er dem<br />

Papst <strong>und</strong> seinen Beratern, die die Regel abmil<strong>der</strong>n<br />

wollen; er wi<strong>der</strong>setzt sich den Kreuzfahrern <strong>und</strong><br />

ihrem sündigen Handeln; er sagt dem Sultan, dass<br />

er den wahren Gott nicht kenne; er wi<strong>der</strong>setzt sich<br />

den eigenen Brü<strong>der</strong>n, die sich ein weniger rauhes<br />

Leben wünschen; er wirft die Dachziegel eines Klosters<br />

weg, das er ablehnt; <strong>und</strong> dem Wolf von Gubbio<br />

zählt er seine Verbrechen auf, ohne jede Zweideutigkeit.<br />

Franziskus ist kein mit Zuckerguss überzogener<br />

Mensch. Er gibt sich bestimmt <strong>und</strong> spricht<br />

die Wahrheit aus, auch wenn sie hart anzuhören ist.<br />

Seine Herausfor<strong>der</strong>ung ist jedoch nicht bedrohend.<br />

Er ist entwaffnend durch das Fehlen je<strong>der</strong> Zweideutigkeit<br />

<strong>und</strong> durch seine höfliche Stärke. Er achtet<br />

nicht nur die Heiligkeit seiner Gegner, son<strong>der</strong>n er<br />

versucht sogar, ihnen ihre eigene göttliche Würde<br />

bewusst zu machen, die sie oft vergessen o<strong>der</strong> verachtet<br />

haben. Franziskus kann so sein, weil er es<br />

nicht nötig hat, sein Eigentum, seinen Ruf o<strong>der</strong> sein<br />

Ego zu verteidigen. Er hat nichts zu schützen, außer<br />

die Ehre <strong>und</strong> Liebe Gottes, die sich danach sehnt,<br />

die Gewalttätigen zu verwandeln <strong>und</strong> sie wie<strong>der</strong> in<br />

die Gemeinschaft aller Geschöpfe, „seiner“<br />

Geschöpfe zu integrieren. Franziskus läßt sich durch<br />

den Mantel <strong>der</strong> Sünde <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bosheit nicht verleiten;<br />

durch das Finstere dieser Hülle sieht Franziskus<br />

die heilige Gegenwart Gottes in den Menschen.<br />

Sein geistliches Auge gestattet es ihm, die göttliche<br />

Gegenwart im an<strong>der</strong>en zu sehen <strong>und</strong> zu erreichen,<br />

während viele sie nur töten würden: „Lasst uns diesen<br />

grausamen Wolf töten! Lasst uns diesen ungläubigen<br />

Sultan töten!“, schreien sie überzeugt.<br />

Ist das Beispiel <strong>des</strong> Franziskus<br />

für die heutige, komplexe Welt<br />

von Bedeutung?<br />

Ist das Beispiel <strong>des</strong> Franziskus für uns von Bedeutung?<br />

Wie können wir in die Konflikte <strong>der</strong> Welt<br />

Frieden bringen, <strong>und</strong> wird unsere eigener Friede<br />

irgendeinen Einfluss auf anonyme Kräfte haben?<br />

Viele unserer zeitgenössischen Konflikte entstehen<br />

aus einer Kultur, die sich Menschen einer an<strong>der</strong>en<br />

Kultur aufdrängt. Stolz, Ethnizismus, Nationalismus<br />

<strong>und</strong> ökonomische Interessen spielen eine dramatische<br />

Rolle in vielen <strong>der</strong> gegenwärtigen Auseinan<strong>der</strong>setzungen.<br />

Aber auf beson<strong>der</strong>s subtile Weise<br />

sind die meisten Kulturen unseres Planeten von <strong>der</strong><br />

westlichen Kultur angegriffen <strong>und</strong> beherrscht,<br />

beson<strong>der</strong>s von <strong>der</strong> Nordamerikanischen. Das Eindringen<br />

geschieht heimlich. Es beginnt mit <strong>der</strong><br />

Werbung für bestimmte Getränke o<strong>der</strong> Speisen, für<br />

Filme, die zur Information o<strong>der</strong> Unterhaltung<br />

gekauft werden, die aber eine Lebensweise för<strong>der</strong>n.<br />

Eine neue Weise <strong>des</strong> Denkens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Verhaltens<br />

gewinnt Boden. Die Gr<strong>und</strong>lage dieser neuen,<br />

erobernden Kultur ist die Vorstellung, ein fast schon<br />

religiöser Glaube, alles mit Hilfe von Zahlen darstellen<br />

<strong>und</strong> beurteilen zu müssen. Mathematische<br />

Modelle regieren. Ja weiter noch: die neue Kultur<br />

stellt die Mechanismen <strong>des</strong> freien Marktes als universales<br />

<strong>und</strong> quasi-göttliches Gesetz hin.<br />

Gewalt, die uns herausfor<strong>der</strong>t<br />

Jünger Christi <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> Franziskus sind<br />

beson<strong>der</strong>s von folgen<strong>der</strong> durchdringen<strong>der</strong> Gewalt<br />

herausgefor<strong>der</strong>t: dem Wandel <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong><br />

Kulturen. Es ist gewalttätig <strong>und</strong> ungerecht, Menschen<br />

<strong>des</strong>sen zu berauben, was ihnen ihre eigene<br />

Kultur gibt: die Bezugspunkte für ihren Lebensweg.<br />

Um menschlich zu bleiben <strong>und</strong> inmitten <strong>der</strong> Kämpfe<br />

gegen Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Gewalt ein <strong>Friedens</strong>stifter<br />

zu werden, ist es unerlässlich, dass wir unsere<br />

eigene Heiligkeit anerkennen <strong>und</strong> die Heiligkeit<br />

<strong>der</strong>er, denen wir begegnen. Im Gegensatz dazu<br />

bewertet das, was wir Kultur <strong>des</strong> Marktes nennen,<br />

jede Wirklichkeit unter <strong>der</strong> Sonne nach <strong>der</strong> Quantität,<br />

beson<strong>der</strong>s nach <strong>der</strong> Quantität <strong>des</strong> Wohlstands.<br />

Die Gesetze <strong>des</strong> freien Marktes, die eine dynamische<br />

Wirtschaft entstehen lassen, werden uns als<br />

moralische Basis einer neuen Kultur aufgedrängt:<br />

<strong>der</strong> Kultur <strong>des</strong> Marktes. Beliebigkeit durchdringt in<br />

einer solchen Kultur alles, <strong>und</strong> die Heiligkeit droht<br />

zu verschwinden. Wenn eine Kultur vorrangig von<br />

<strong>der</strong> Frage nach monetärem Gewinn bewegt wird,<br />

wenn Ressourcen <strong>der</strong> Menschheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schöpfung<br />

als Mittel angesehen werden, um Reichtümer<br />

anzuhäufen, dann ist das Ergebnis <strong>der</strong> Verlust <strong>des</strong><br />

71


■ Frieden stiften<br />

Gespürs für das Heilige. Leben ist entwertet. Die<br />

politischen Strukturen mögen verschieden sein,<br />

doch das Übel haust im Herzen <strong>der</strong> Kultur.<br />

Ehrfurcht vor <strong>der</strong> Heiligkeit je<strong>der</strong> Person<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> gesamten Schöpfung<br />

Es ist eine furchteinflößende Herausfor<strong>der</strong>ung an<br />

uns, die Heiligkeit in jedem Menschen zu verehren:<br />

in einem Banditen, einem Kriegsverbrecher, einem<br />

Folterer, einem Diktator, einem erbarmungslosen<br />

Landbesitzer o<strong>der</strong> einem Spekulanten, <strong>der</strong> durch<br />

sein gewinnbringen<strong>des</strong> Spiel H<strong>und</strong>erten von Millionen<br />

Menschen den Hunger bringt. Es ist schwierig,<br />

weil viele Gegner Vertreter unpersönlicher Strukturen<br />

<strong>und</strong> anonymer Interessen sind. Diese Interessen<br />

sind manchmal eindeutig zu verachten, die beteiligten<br />

Menschen aber nicht. Es ist ebenso eine ungeheure<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung, die Heiligkeit jeden<br />

Geschöpfs zu achten inmitten <strong>der</strong> ökologischen<br />

Krise, welche die Erde in die Zerstörung führt. Das<br />

Problem besteht nicht nur darin, gegenüber einem<br />

grimmigen Wolf, den Pflanzen in unserem Garten,<br />

dem fließenden Wasser entlang unseres Weges ehrfürchtig<br />

<strong>und</strong> brü<strong>der</strong>lich zu sein. Es ist die Heiligkeit<br />

<strong>der</strong> Luft, <strong>des</strong> Wassers, <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arten auf<br />

<strong>der</strong> Ebene unseres Planeten, die uns anfragt. Die<br />

Schätze <strong>der</strong> Erde gehören <strong>der</strong> gesamten Menschheit,<br />

<strong>und</strong> wir sind auf dramatische Weise daran beteiligt,<br />

sie zu verschmutzen <strong>und</strong> zu zerstören. Es ist eine<br />

ungeheuer große Herausfor<strong>der</strong>ung, sich <strong>der</strong> nuklearen<br />

Bedrohung zu stellen <strong>und</strong> all denen, die mit<br />

einer Macht Reichtümer anhäufen, <strong>der</strong>en unkalkulierbare<br />

Konsequenzen heute nicht zu beherrschen<br />

sind <strong>und</strong> vermutlich nie beherrschbar sein werden .<br />

Es ist eine unglaubliche Herausfor<strong>der</strong>ung zuzuschauen,<br />

wie die Habgier alle Schätze <strong>der</strong> Erde zerstört:<br />

Pflanzen, Tiere, Mineralien, das bebaubare<br />

Land <strong>und</strong> sogar die Schönheit <strong>der</strong> Erde, die für die<br />

menschliche Entwicklung so nötig ist. Alle diese<br />

Geschöpfe haben ihre Aufgabe in <strong>der</strong> Auferbauung<br />

<strong>des</strong> kosmischen Christus, einer Gemeinschaft <strong>der</strong><br />

freien Wesen, die zu überleben vermögen, um<br />

gemeinsam die Güte Gottes zu bezeugen. Wie<br />

können wir die Verantwortlichen supranationaler<br />

Unternehmen o<strong>der</strong> von Regierungen wachrütteln,<br />

wenn sie in unverantwortlicher Weise gegenüber <strong>der</strong><br />

Menschheit handeln, indem sie ihre Zukunft<br />

72<br />

gefährden <strong>und</strong> bereits in <strong>der</strong> Gegenwart über viele<br />

Leid bringen? Wie können sie ihr Herz öffnen <strong>und</strong><br />

je<strong>des</strong> Geschöpf achten? Unsere Herzen sind von<br />

Gott geöffnet worden, <strong>und</strong> Gott wird die ihrigen<br />

öffnen, wenn wir sie nicht verurteilen <strong>und</strong> durch<br />

unseren vornehmen <strong>und</strong> unerschütterlichen Kampf<br />

zur Bekehrung aufrufen. Gott wird ihnen letztlich<br />

zeigen, wo die Weisheit ist <strong>und</strong> dass ein tiefer Wandel<br />

in ihrem eigenen Interesse liegt.<br />

Wenn wir unsere eigene Würde nicht anerkennen,<br />

wenn wir nicht in einem engen Kontakt mit dem<br />

dreieinen Gott stehen, <strong>der</strong> in uns wohnt, wenn wir<br />

von <strong>der</strong> Weise angesteckt sind, alles als Objekt<br />

anzusehen, d.h. als Objekt, das wir zählen können,<br />

dann hört selbst Liebe auf, ein wertvolles Geheimnis<br />

zu sein, <strong>und</strong> wird zu einer Sache. Die Gegenwart<br />

<strong>des</strong> Einen, <strong>der</strong> Liebe ist, <strong>der</strong> uns heilige Würde verleiht,<br />

wird dann schwer anzuerkennen sein.<br />

Die Dreifaltigkeit als Modell <strong>und</strong><br />

Quelle <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit<br />

Die Gewaltlosigkeit <strong>der</strong> Dreifaltigkeit zeigt sich in<br />

<strong>der</strong> tiefen Achtung Gottes vor dem Geheimnis <strong>des</strong><br />

Menschen, mit dem Gott selbst seine eigene Heiligkeit<br />

geteilt hat. Gott anerkennt nicht nur seine göttliche<br />

Gegenwart in uns, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Achtung vor<br />

unserem Weg versucht Gott geduldig, in uns die<br />

Erkenntnis wachzurufen, dass wir einzigartig <strong>und</strong><br />

wertvoll sind <strong>und</strong> jene göttliche Natur in uns tragen!<br />

In seinem Leben <strong>und</strong> Tod hat uns Jesus dieses<br />

machtvolle Zeugnis <strong>der</strong> gewaltfreien Beziehung zu<br />

den Menschen gegeben.<br />

Aktive Gewaltlosigkeit bildet ihre Methodik nach<br />

<strong>der</strong> Gewaltlosigkeit Gottes aus. Ihre erste Gr<strong>und</strong>lage<br />

ist <strong>der</strong> Dialog zweier Heiligkeiten: einzelne o<strong>der</strong><br />

eine Gruppe von Menschen, die die Sklaverei <strong>der</strong><br />

Gewalt verworfen haben <strong>und</strong> in Berührung sind<br />

mit <strong>der</strong> Mitte ihrer Existenz (dem Wahren an sich),<br />

for<strong>der</strong>n ihre Gegner auf, das Göttliche in sich selbst<br />

wie<strong>der</strong> zu entdecken, <strong>und</strong> nutzen diese Wie<strong>der</strong>entdeckung,<br />

um die Konflikte zu lösen, in denen sie<br />

stehen. Nicht alle Gewalttätigen unternehmen jene<br />

innere Reise, welche die Freiheit <strong>des</strong> Willens erfor<strong>der</strong>t.<br />

Sie müssen erst durch die Gewaltlosen<br />

gedrängt werden, anzuerkennen, dass die innere


■ Frieden stiften<br />

Stärke eine Macht ist, die ihrer Macht zu wi<strong>der</strong>stehen<br />

vermag, <strong>und</strong> dass es in ihrem eigenen Interesse<br />

liegt, einige <strong>der</strong> Bedingungen ihrer Gegner anzunehmen.<br />

Sonst werden sie durch die Fortsetzung<br />

<strong>der</strong> Gewalt mehr verlieren. Sie werden mit Mut,<br />

Liebe <strong>und</strong> Standfestigkeit konfrontiert, die ihre<br />

Kraft von einer nicht materiellen Quelle erhalten.<br />

Die Klugheit <strong>der</strong> gewaltfreien Methode wird, gut<br />

eingesetzt, ihnen oft ihren Schutz wegnehmen <strong>und</strong><br />

sie aus ihrer sicheren Logik herausreißen.<br />

Wir möchten darauf bestehen: die gewaltfreie Kraft<br />

kommt von Gott, aber Gott wird keine W<strong>und</strong>er<br />

wirken, wenn wir nicht aktiv werden. Viele von uns<br />

Franziskanern erkennen noch nicht, dass <strong>der</strong> größte<br />

Teil von Gewalt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit Elemente<br />

eines komplexen Netzwerkes von Ursachen sind,<br />

die in hohem Maße miteinan<strong>der</strong> verknüpft sind.<br />

Die meisten offenen Konflikte, militärischer o<strong>der</strong><br />

ökonomischer Art, sind von einer solchen Größenordnung<br />

<strong>und</strong> so weit entwickelt, dass es naiv <strong>und</strong><br />

unverantwortlich wäre, nur auf die Liebe weniger<br />

Individualisten mit reinem Herzen zu vertrauen,<br />

die ihre Heiligkeit bezeugen <strong>und</strong> jene herausfor<strong>der</strong>n,<br />

die für den Augenblick das Göttliche in einem<br />

verborgenen Teil ihrer selbst vergessen o<strong>der</strong><br />

begraben haben.<br />

Mit <strong>der</strong> Methodik aktiver Gewaltlosigkeit<br />

vertraut werden<br />

Wenn wir <strong>Friedens</strong>stifter sein wollen, müssen wir<br />

wissen, wie die Methode aktiver Gewaltlosigkeit<br />

eingesetzt wird, müssen wissen, ob es an einer<br />

ungenügenden Analyse <strong>der</strong> Situation lag, wenn<br />

gewaltfreie Aktionen fehlschlagen, o<strong>der</strong> daran, dass<br />

einzelne Phasen <strong>des</strong> gewaltlosen Prozesses abgekürzt<br />

wurden. Wo Gewaltlosigkeit Erfolg hatte, ging<br />

meist eine lange Vorbereitung dem Ergebnis voran:<br />

technische wie spirituelle Vorbereitung. Nur eine<br />

oberflächliche Sicht macht glauben, dass es ein reines<br />

Eingreifen Gottes gewesen ist! Gott wird nicht<br />

die Herzen <strong>der</strong> Entscheidungsträger än<strong>der</strong>n, wenn<br />

wir nicht unsere Aufgaben wahrnehmen, d.h. Gott<br />

ein deutliches Signal geben, dass wir wirklich einen<br />

solchen Wandel wünschen. Wir müssen weise handeln.<br />

Wir müssen Gottes Handeln vorbereiten,<br />

sogar Gottes Überraschungen. Durch unseren Mut<br />

in <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> gewaltfreien Methode werden<br />

wir zu Kanälen <strong>der</strong> Heiligkeit Gottes, von<br />

Gottes unbeugsamer Geduld, von Gottes Wunsch<br />

an die Übeltäter, ihr Tun zu stoppen. Unser lieben<strong>der</strong><br />

Gott sorgt für den, <strong>der</strong> Gutes tut, wie für den<br />

<strong>der</strong> Schlechtes tut: beide sind seine Kin<strong>der</strong>. Er weiß,<br />

dass seine Heiligkeit in beiden wohnt, <strong>und</strong> er will,<br />

dass beide Früchte <strong>der</strong> Gemeinschaft tragen <strong>und</strong><br />

nicht bittere Früchte <strong>der</strong> Zerstörung ihrer selbst<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> neuen Schöpfung. Sein Leib wächst seiner<br />

Vollendung entgegen. In vielen Kämpfen dämonisieren<br />

unsere Verbündeten das an<strong>der</strong>e Lager, um die<br />

Energien ihrer eigenen Anhänger zu mobilisieren.<br />

Es ist allgemeine Praxis, die Gegenseite zu verleumden,<br />

sie als böse, pervers, unfähig zur Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>und</strong> unwürdig je<strong>der</strong> Achtung hinzustellen. Diese<br />

Aufteilung in „gute Menschen“ <strong>und</strong> „schlechte<br />

Menschen“ ist für einen Jünger Christi nicht hinnehmbar.<br />

Je<strong>der</strong> von uns ist eine gespaltene Person,<br />

teils gut <strong>und</strong> teils schlecht; unsere Gegner sind in<br />

gleicher Weise teils schlecht <strong>und</strong> teils gut. Wenn wir<br />

Gottes Mitgefühl teilen wollen, dann benötigen wir<br />

ein Mitgefühl für beide, für die Opfer <strong>der</strong> Gewalt<br />

<strong>und</strong> für jene, die durch ihre eigene Gewalt <strong>und</strong><br />

Ungerechtigkeit versklavt sind. Wir müssen darum<br />

beten, dass unsere augenblickliche, relative Befreiung<br />

von solcher Gewalt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit morgen<br />

nicht aufhört; wenn nämlich Gott seine Hilfe<br />

zurückzieht, können wir so schlecht sein wie die<br />

Schlechtesten unserer Gegner.<br />

Die Notwendigkeit von Armut,<br />

um authentische <strong>Friedens</strong>stifter zu sein<br />

Oben haben wir ausgeführt, dass Franziskus for<strong>der</strong>te<br />

ohne zu bedrohen, weil er keine Angst hatte,<br />

etwas zu verlieren. Er besaß nichts, was er sein Eigenes<br />

nannte. <strong>Friedens</strong>stifter zu werden steht in direkter<br />

Beziehung dazu, Furcht zu überwinden, die<br />

Furcht vor dem tatsächlichen Tod, <strong>des</strong> Verlustes<br />

unseres physischen Lebens, o<strong>der</strong> eines Quasi-To<strong>des</strong><br />

(den man als teilweisen Tod bezeichnen kann)<br />

durch Verlust <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit, <strong>des</strong> guten Rufes, von<br />

Fre<strong>und</strong>en, von materiellen Gütern, Privilegien o<strong>der</strong><br />

auch <strong>der</strong> Furcht, dass die Liebe, die uns Stärke gibt,<br />

verschwinden könnte <strong>und</strong> uns versagen ließe …<br />

<strong>und</strong> zu hassen. Wir wissen, dass wir, wenn wir nur<br />

wenige Habseligkeiten <strong>und</strong> Privilegien haben, nicht<br />

73


■ Frieden stiften<br />

zu fürchten brauchen, sie zu verlieren. Wenn wir<br />

nicht an ein Selbstbild geb<strong>und</strong>en sind, sind wir freier,<br />

die Verteidigung <strong>der</strong>er zu übernehmen, <strong>der</strong>en<br />

Würde o<strong>der</strong> Leben gefährdet ist. Einige unserer<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern haben uns im Laufe <strong>der</strong><br />

Jahrh<strong>und</strong>erte gezeigt, dass ihre Furchtlosigkeit mit<br />

ihrer Armut, ihrem Leben mit den Armen wuchs.<br />

Ihr wahrer Reichtum ist die Kraft <strong>der</strong> Liebe, die aus<br />

<strong>der</strong> Seitenw<strong>und</strong>e Jesu am Kreuz fließt.<br />

Der gewaltfreie Kampf ist die Waffe <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> liebenden Menschen. Er ist die Waffe <strong>der</strong>er, die<br />

es ablehnen, Einzelkämpfer zu sein; sie haben das<br />

Vertrauen in einen kollektiven <strong>und</strong> gemeinschaftlichen<br />

Kampf. Dies schließt nicht aus, „klug wie die<br />

Schlangen zu sein“.<br />

Je<strong>des</strong> Geschöpf, Mensch o<strong>der</strong> nicht Mensch, ist<br />

unser Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwester. Dies ist nicht metaphorisch<br />

gemeint. Dies ist nicht rührselig. Gott lädt<br />

uns <strong>und</strong> die gesamte Schöpfung ein, Teil dieser Fülle<br />

(PLEROMA) zu sein, <strong>der</strong>en Haupt Christus ist, in<br />

<strong>der</strong> die Achtung vor <strong>der</strong> göttlichen Gegenwart jede<br />

Beziehung verwandelt. Unsere Ehrfurcht vor <strong>der</strong><br />

Gegenwart Gottes in den an<strong>der</strong>en wird den wahren<br />

Frieden <strong>und</strong> die Achtung vor <strong>der</strong> Unversehrtheit <strong>der</strong><br />

Schöpfung verbreiten.<br />

Dann werden wir ansteckende <strong>Friedens</strong>stifter sein.<br />

74<br />

Alain Richard <strong>OFM</strong><br />

Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> ...<br />

Nirgendwo ist die Notwendigkeit authentischer<br />

<strong>Friedens</strong>arbeit heute dringlicher als in vielen vom<br />

Krieg zerrissenen Nationen Afrikas. Bezeichnen<strong>der</strong>weise<br />

ließen sich GIACOMO BINI, <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitige<br />

Generalminister, <strong>und</strong> zwei an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> in dem<br />

kleinen ostafrikanischen Staat Ruanda nie<strong>der</strong>, als<br />

sie in den frühen 80er Jahren die neue franziskanische<br />

Präsenz auf dem Kontinent eröffneten. Sie<br />

bauten ihr eigenes einfaches Haus im lokalen Stil<br />

<strong>und</strong> begannen ihren Dienst, <strong>der</strong> sich langsam auf<br />

acht Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Region ausbreitete (Ruanda,<br />

Bur<strong>und</strong>i, Kenia, Uganda, Sambia, Malawi, Tansania,<br />

Madagaskar). Das Ziel dieser ersten Gemeinschaft,<br />

die in Nairobi (Kenia) ihren Sitz hat, besteht<br />

heute darin, die vielen Berufungen unter den Afrikanern<br />

aus unterschiedlichen Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> verschiedenem<br />

ethnischen Hintergr<strong>und</strong> zu unterstützen<br />

<strong>und</strong> eine wirklich internationale <strong>und</strong> multikulturelle<br />

Gemeinschaft aufzubauen, ein tägliches Zeugnis<br />

für die Werte <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong> Brückenschlags,<br />

die in <strong>der</strong> Region so dringend benötigt werden.<br />

Einige Brü<strong>der</strong> haben teuer für diesen beständigen<br />

Einsatz für den Frieden bezahlt: 1986 wurde<br />

KEVIN LAWLOR, ein Mitbru<strong>der</strong> von 33 Jahren, in<br />

Uganda getötet. Als <strong>der</strong> Völkermord 1994 in Ruanda<br />

begann, wurde <strong>der</strong> Minister einer neuen Fraternität<br />

<strong>der</strong> Franziskanischen Gemeinschaft ermordet.<br />

Im April <strong>des</strong> gleichen Jahres wurde GEORGE<br />

GASHUGI, 32 Jahre alt <strong>und</strong> Tutsi, wenige Monate<br />

vor seiner feierlichen Profess brutal zu Tode geprügelt.<br />

Im April 1996 entging VJEKO CURIC nur<br />

knapp dem Tod, als er allein in das franziskanische<br />

Haus von Kivumu, 20 km außerhalb Kigalis,<br />

zurückkehrte. Drei mit einem Gewehr <strong>und</strong> langen<br />

Messern bewaffnete Männer for<strong>der</strong>ten von ihm<br />

Geld <strong>und</strong> befahlen ihm, sich an die Wand zu stellen.<br />

Curic behielt klaren Kopf <strong>und</strong> floh durch die<br />

offene Tür <strong>des</strong> Speiseraumes. Es war nicht das erste<br />

Mal, dass er von Extremisten bei<strong>der</strong> Seiten, Hutus<br />

wie Tutsis, bedroht worden war, weil er beiden ethnischen<br />

Gruppen ohne Voreingenommenheit half.<br />

Er versprach, seine Sendung fortzuführen, auch<br />

wenn dies bedeutete, „das Leben zu riskieren, wie<br />

die an<strong>der</strong>en Menschen hier auch“. Am 31. Januar<br />

1998 wurde Vjeko vor <strong>der</strong> Kirche <strong>der</strong> hl. Familie in<br />

Kigali (Ruanda) erschossen. Papst Johannes Paul II.<br />

erwies ihm seine Anerkennung, als er sagte: „Ein<br />

weiteres Opfer ist <strong>der</strong> langen Liste <strong>der</strong> Missionare


■ Frieden stiften<br />

hinzugefügt worden, die mit dem Opfer ihres<br />

Lebens ihre Liebe zu Christus <strong>und</strong> zu den Völkern<br />

Afrikas besiegelten.“<br />

An<strong>der</strong>swo auf dem Kontinent stehen die Brü<strong>der</strong> im<br />

Zentrum <strong>des</strong> komplexen Prozesses <strong>der</strong> Heilung <strong>und</strong><br />

Versöhnung, so im neuen, demokratischen Südafrika.<br />

Als Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> vielen Wahrheits- <strong>und</strong><br />

Versöhnungskommissionen im ganzen Land, welche<br />

die Opfer <strong>und</strong> die Täter anhören, die ihre<br />

Wahrheit über das Apartheid-Regime erzählen, helfen<br />

die Brü<strong>der</strong> Einzelpersonen <strong>und</strong> Gemeinschaften,<br />

sich von mehr als vier Jahrzehnten Unterdrückung<br />

<strong>und</strong> Brutalität zu erholen.<br />

„Es ist eine traumatisierte Nation, die in ihre Seele<br />

blickt, <strong>und</strong> langsam <strong>und</strong> unter Schmerzen wie<strong>der</strong>geboren<br />

wird.“ Das sind die Worte <strong>des</strong> irischen Bru<strong>der</strong>s<br />

PADDY NOONAN, <strong>der</strong> die letzten 25 Jahre in<br />

einer <strong>der</strong> am stärksten benachteiligten Townships<br />

südlich von Johannesburg tätig war, wo Gewalt <strong>und</strong><br />

Ungerechtigkeit zum täglichen Leben gehörten. Er<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Franziskaner lebten in einem Gebiet<br />

nahe bei Boipatong, das durch ein Massaker<br />

bekannt wurde, bei dem er <strong>der</strong> Erste war, <strong>der</strong> den<br />

Schauplatz erreichte <strong>und</strong> Zeuge <strong>des</strong> schrecklichen<br />

Blutba<strong>des</strong> wurde, das während <strong>der</strong> Nacht stattgef<strong>und</strong>en<br />

hatte. „<strong>Friedens</strong>arbeit stand in deinem Geist<br />

nicht gerade an <strong>der</strong> obersten Stelle, wenn Massaker<br />

wie dieses um dich herum geschehen“, erklärt er in<br />

seinem fre<strong>und</strong>lich klingenden irischen Akzent.<br />

(Den Großteil <strong>der</strong> Arbeit verrichtet er in dem lokalen<br />

Dialekt <strong>der</strong> Township, weil er glaubt, dass dies<br />

<strong>der</strong> einzige Weg wirklicher Kommunikation mit<br />

den Menschen ist). „Der erste Gedanke, <strong>der</strong> dir<br />

durch den Kopf geht, lautet: Wer steckt hinter all<br />

diesem? Es gab so viele unsichtbare Kräfte, die es<br />

erschwerten, das Apartheid-Regime zu Fall zu bringen<br />

<strong>und</strong> in diesem Land Frieden zu schaffen.“ Empfand<br />

er es nicht als schwierig, inmitten einer solchen<br />

Gewalt <strong>und</strong> Unterdrückung voller Hoffnung zu<br />

bleiben? Er schaut auf die Zeit zurück, als er nach<br />

dem Boipatong-Massaker von 1992 die Baracken<br />

besuchte: „Nachdem ich St<strong>und</strong>en verbracht hatte,<br />

alle diese gebrochenen <strong>und</strong> übel zugerichteten Körper<br />

anzuschauen <strong>und</strong> ihren Familien zuzuhören,<br />

kam ein Mann auf <strong>der</strong> Straße auf mich zu <strong>und</strong> flüsterte:<br />

‚Pater, wir wissen, dass <strong>der</strong> Herr hier ist.‘<br />

Welches Recht haben wir Kirchenleute zu zweifeln,<br />

wenn das einfache Volk eine solche Hoffnung<br />

lebendig halten konnte?“ Noonan war auch ein<br />

enger Fre<strong>und</strong> von einigen Führern <strong>des</strong> Anti-Apartheid-Kampfes,<br />

die jetzt verantwortliche Positionen<br />

in <strong>der</strong> neuen Regierung einnehmen. „Es war Teil<br />

unseres Dienstes, mit einigen dieser politischen<br />

Straßenkämpfer zu sprechen, aber wir wussten, dass<br />

sie anständige Menschen waren <strong>und</strong> nicht die kommunistischen<br />

Rebellen, die man aus ihnen machte.“<br />

Eine solche Innensicht <strong>der</strong> Situation in Südafrika<br />

brachte die Kirchen dazu, zunehmend eine aktive<br />

Rolle in <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Anti-Apartheid-<br />

Bewegung zu übernehmen. „Wir haben immer als<br />

eine geschlossene christliche Front gearbeitet“,<br />

betont Noonan. „Wenn politische o<strong>der</strong> zivile Gruppen<br />

gebannt o<strong>der</strong> ins Exil geschickt wurden, füllten<br />

die Kirchen das entstandene Vakuum.“ Er verweist<br />

auf das Beispiel <strong>des</strong> Miets- <strong>und</strong> Versorgungsboykotts,<br />

<strong>der</strong> sich über einige Jahre hinzog. „Alle franziskanischen<br />

Pfarreien nahmen daran teil <strong>und</strong> lehnten<br />

es ab, irgendwelche städtischen Gebühren zu<br />

zahlen, denn dies war eines <strong>der</strong> wirksamsten Mittel<br />

<strong>des</strong> gewaltfreien Protestes.“ Als die städtischen<br />

Behörden damit drohten, die Stadtbeleuchtung<br />

abzuschalten, gingen er <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Ordensobere,<br />

um zu versuchen, einen Ausweg aus dieser Situation<br />

auszuhandeln. Ihre Bemühungen hatten keinen<br />

Erfolg, <strong>und</strong> Polizei wurde gerufen, um die Gruppe<br />

festzunehmen. Eine solche persönliche Erfahrung<br />

<strong>des</strong> Kampfes für den Frieden machte die endgültige<br />

Befreiung Südafrikas zu einem Ereignis unbeschreibbarer<br />

Freude für Noonan. Er war in <strong>der</strong> gleichen<br />

Township dabei, um die ersten demokratischen<br />

Wahlen zu überwachen, die im April 1994<br />

stattfanden. Paddy <strong>und</strong> ULRICH ZANKANELLA aus<br />

Österreich hatten offizielle Positionen als Wahlbeobachter,<br />

Paddy als ein lokaler Beobachter <strong>und</strong><br />

Ulrich auf Einladung <strong>der</strong> südafrikanischen<br />

Bischofskonferenz als internationaler Wahlbeobachter.<br />

„In Bezug auf meine franziskanische Sendung<br />

empfand ich die Beobachtung dieser Wahlen wie<br />

das Gehen <strong>der</strong> letzten Kilometer an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />

Menschen. Es war eine Geste <strong>des</strong> mit ihnen Seins,<br />

als sie eine neue Ära <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Demokratie<br />

einleiteten nach <strong>der</strong> Hölle <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sünde <strong>der</strong><br />

Apartheid-Jahre.“<br />

DAVID BARNARD von <strong>der</strong> Provinz Unserer Frau<br />

Königin <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> (Südafrika) stellte sich einer<br />

machtvollen Erfahrung während seines Sabbatjahres<br />

75


■ Frieden stiften<br />

in England. Dort hatte er die Möglichkeit, über<br />

Rassen- <strong>und</strong> Stammesvorurteile zu reflektieren, die<br />

Südafrika immer noch quälen. Zum ersten Mal in<br />

seinem Leben konnte er über die Leidenszeit diskutieren,<br />

wie er sich als schwarzer afrikanischer Bru<strong>der</strong><br />

in einer überwiegend weißen Gemeinschaft gefühlt<br />

hatte. Durch diese wichtige internationale Erfahrung<br />

konnte er seinen Zorn mitteilen <strong>und</strong> die Kraft<br />

<strong>der</strong> Vergebung innerhalb <strong>der</strong> größeren franziskanischen<br />

Familie bei seiner Rückkehr in seine Heimat<br />

entdecken.<br />

Die Erfahrung <strong>der</strong> Versöhnung in Südafrika war für<br />

den Landpastor PETER WILSON ganz an<strong>der</strong>s. Im<br />

Gefängnis kam Peter dazu „weiße Menschen anzunehmen,<br />

ihnen zu vergeben“ <strong>und</strong> sich frei von Bitterkeit<br />

zu spüren. „Es war ein w<strong>und</strong>erbares Gefühl.<br />

Schließlich ist es Teil <strong>der</strong> afrikanischen Kultur,<br />

jeden anzunehmen. Ich wollte nicht weiter von<br />

Schwarzen <strong>und</strong> Weißen sprechen. Buren sind lange<br />

Zeit ein Teil Afrikas gewesen. Mein eigenes Volk<br />

wollte niemals Rache. Wir wollten <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Wir kämpften gegen ihre Politik, nicht gegen sie als<br />

Menschen.“<br />

Auch in Lateinamerika <strong>und</strong> Asien haben sich Brü<strong>der</strong><br />

in ihren Gemeinschaften für Frieden eingesetzt<br />

<strong>und</strong> haben beobachtet, wie unterdrückerische Regime<br />

überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zerbrechliche Demokratien<br />

begründet wurden. Auf den Philippinen standen<br />

sie an vor<strong>der</strong>ster Front im Kampf um <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden während <strong>der</strong> langen Diktatur von Ferdinand<br />

Marcos, <strong>der</strong> schließlich durch den Volksaufstand<br />

1986 gestürzt wurde. Während dieser Volkserhebung<br />

hatten die Brü<strong>der</strong> eine Schlüsselrolle<br />

dabei, dass die Proteste gewaltfrei abliefen, trotz <strong>der</strong><br />

außerordentlichen Unterdrückung, die <strong>der</strong> Großteil<br />

<strong>des</strong> Volkes lange Zeit erlitten hatte. Auch in dem<br />

Jahrzehnt, nachdem Marcos von <strong>der</strong> Macht vertrieben<br />

war, for<strong>der</strong>ten die Brü<strong>der</strong> größere soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> für die Menschen. Auch wenn sich<br />

die Wirtschaft <strong>der</strong> bevölkerungsreichen Inselnation<br />

langsam von den Verwüstungen <strong>der</strong> Marcos-Jahre<br />

zu erholen beginnt, bedeutet die Hinterlassenschaft<br />

<strong>des</strong> Diktators in Verbindung mit <strong>der</strong> fortdauernden<br />

Korruption <strong>und</strong> einer Reihe von Naturkatastrophen,<br />

dass Armut <strong>und</strong> Gewalt auch heute noch viele<br />

Teile <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> plagen. Auf <strong>der</strong> südlichen Insel<br />

Mindanao hat sich die Regierung unfähig gezeigt,<br />

die Probleme <strong>der</strong> großen Gemeinschaft <strong>der</strong> Musli-<br />

76<br />

me zu lösen, <strong>der</strong>en Führer eine Art von Autonomie<br />

für die Region for<strong>der</strong>n. Manchmal werden Brü<strong>der</strong><br />

in den Strudel <strong>der</strong> Gewalt um sie herum hineingerissen.<br />

Im Oktober 1992 wurde zum Beispiel<br />

AUGUSTINE FRASZCZAK gekidnappt <strong>und</strong> für mehr<br />

als zwei Monate von muslimischen Extremisten<br />

gefangen gehalten. In <strong>der</strong> Stellungnahme, mit <strong>der</strong><br />

die Brü<strong>der</strong> die Freilassung ihres Bru<strong>der</strong>s mitteilten,<br />

sagten sie: „Der wichtigste Schritt um das Verbrechen<br />

<strong>des</strong> Kidnapping auszurotten besteht darin, die<br />

sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen von<br />

Basilan zu verbessern.“<br />

In Japan ergriffen die Brü<strong>der</strong> PHILIPP HAMADA <strong>und</strong><br />

JOB TODA die Initiative, eine tiefere Versöhnung<br />

<strong>und</strong> Verstehen unter den Völkern <strong>der</strong> asiatischen<br />

Pazifikregion voranzutreiben. Im August 1995, als<br />

man in Japan <strong>des</strong> 50. Jahrestages <strong>des</strong> En<strong>des</strong> <strong>des</strong><br />

zweiten Weltkrieges gedachte, verfassten sie eine<br />

Stellungnahme, in <strong>der</strong> sie die Menschen Koreas um<br />

Vergebung baten für die vielen aggressiven Akte, die<br />

mehr als 20 Millionen Menschenleben in <strong>der</strong> Region<br />

gekostet hatten. In dem Schreiben erkennen die<br />

Brü<strong>der</strong> die vielen Schwierigkeiten an, mit denen die<br />

katholische Kirche in Japan in <strong>der</strong> Zeit vor dem<br />

Krieg konfrontiert war. Aber sie bitten für das Versagen<br />

<strong>der</strong> Kirche um Verzeihung, die zur Regierung<br />

gehalten hatte, <strong>und</strong> nehmen jene in Schutz, die vor<br />

allem in China <strong>und</strong> Korea so brutal unterdrückt<br />

worden waren.<br />

In an<strong>der</strong>en Nachkonfliktsituationen, wie in Bosnien-Herzegowina<br />

<strong>und</strong> Kroatien, bemühen sich die<br />

Brü<strong>der</strong> um Versöhnung, als einer Vorbedingung für<br />

dauerhaften Frieden. Die Franziskaner sind in dieser<br />

Region seit mehr als 700 Jahren präsent; drei Brü<strong>der</strong><br />

wurden in den jüngsten Konflikten getötet,<br />

während an<strong>der</strong>e verw<strong>und</strong>et o<strong>der</strong> zur Flucht aus<br />

ihrer Heimat gezwungen wurden, als Konvente,<br />

Kirchen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e franziskanische Zentren in den<br />

Kämpfen zerstört wurden.<br />

Als Teil <strong>der</strong> Bemühungen, diese Narben zu heilen,<br />

haben BOZE VULETA <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

franziskanischen Familie das Franziskanische Institut<br />

für <strong>Friedens</strong>kultur gegründet. Es wurde im April<br />

1996 in Split eröffnet, mit Zentren für den interethnischen<br />

<strong>und</strong> interreligiösen Dialog in <strong>der</strong> bosnischen<br />

Hauptstadt Sarajewo. Seine Zielsetzung<br />

besteht darin, eine ausführliche Studie aller Themen


■ Frieden stiften<br />

zu erstellen, die mit dem Frieden in <strong>der</strong> Region zu<br />

tun haben, den Dialog zwischen den früheren Feinden<br />

zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> vor allem darin, Erziehungsprogramme<br />

zum Frieden für junge Menschen bereitzustellen.<br />

Boze ist optimistisch hinsichtlich <strong>des</strong> Erfolgs<br />

<strong>des</strong> Instituts. „Wenn die Menschen in Bosnien <strong>und</strong><br />

Kroatien bereit sind, heute auf jemanden zu hören,<br />

dann sind es die Franziskaner“, sagt er mit einem<br />

gequälten Lächeln. „Sie vertrauen uns, <strong>des</strong>halb müssen<br />

wir ihr Vertrauen effektvoll einsetzen bei <strong>der</strong><br />

Suche nach Frieden <strong>und</strong> Versöhnung. Unser Ziel<br />

besteht auch darin, zukünftige Konflikte zu verhin<strong>der</strong>n<br />

durch den Aufbau gegenseitigen Verständnisses<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Achtung <strong>der</strong> unterschiedlichen Kulturen<br />

<strong>und</strong> Religionen – etwas, was unter <strong>der</strong> kommunistischen<br />

Herrschaft völlig zerstört worden war.“<br />

Die Brü<strong>der</strong> organisierten auch eine breit publizierte<br />

Konferenz über Vergebung, zu <strong>der</strong> sie Wissenschaftler,<br />

Psychologen, Sozialarbeiter, Katecheten <strong>und</strong><br />

Experten <strong>des</strong> interreligiösen Dialogs zusammenbrachten.<br />

Die Tagung war so erfolgreich, dass die<br />

Brü<strong>der</strong> nun ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht<br />

haben, das bei denen breite Verwendung findet,<br />

die sich mit den Problemen <strong>der</strong> Nachkriegstraumata<br />

befassen.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Anstrengung zur För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>:<br />

die Brü<strong>der</strong> von Herzegowina, die während <strong>des</strong><br />

Krieges Verw<strong>und</strong>ete versorgten, haben ein Projekt<br />

entwickelt, jenen beizustehen, die als Folge von<br />

Landminen Gliedmaßen verloren haben. Die Brü<strong>der</strong><br />

stellten die Verbindung zu einer orthopädischen<br />

Fabrik in Deutschland her <strong>und</strong> konnten so allein im<br />

Jahr 1996 204 Menschen mit Prothesen versorgen.<br />

Im gleichen Jahr leistete eine ähnlich strukturierte<br />

Zahnarztpraxis die notwendige Zahnbehandlung<br />

für 1.286 Menschen.<br />

Franziskanische Missionare aus Irland standen<br />

regelmäßig an vor<strong>der</strong>ster Front bei den Bemühungen<br />

um Frieden in Asien, Afrika <strong>und</strong> Lateinamerika.<br />

Unsere Brü<strong>der</strong> kehrten jedoch paradoxerweise erst<br />

kürzlich nach Nordirland zurück, nach Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

<strong>der</strong> Abwesenheit, die auf die protestantische<br />

Reformation zurückgeht. 1984 schloss sich LIAM<br />

MCCARTHY drei weiteren irischen Franziskanern an,<br />

die auf die Anfrage nach Begleitung durch eine<br />

Gruppe von Klarissen geantwortet hatten, <strong>und</strong><br />

gründeten die erste „neue“ Gemeinschaft an <strong>der</strong> St.<br />

Josefs-Kirche im industriellen Hafenviertel von Bel-<br />

fast. Für Liam stellte dies ein lange überfälliges<br />

Ereignis in <strong>der</strong> irischen franziskanischen Geschichte<br />

dar <strong>und</strong> eine w<strong>und</strong>erbare Gelegenheit, den Prozess<br />

<strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> Vergebung unter den Konfessionsgemeinschaften<br />

Nordirlands zu konsolidieren.<br />

<strong>Friedens</strong>- <strong>und</strong> Versöhnungsgruppen entstanden<br />

überall, einschließlich <strong>der</strong> interreligiösen Shalom<br />

Prayer Group. 1993 eröffneten die Brü<strong>der</strong> ein zweites<br />

Haus, eine „Fraternität“ in Ballymurphy, die den<br />

Menschen in West-Belfast ein weitreichen<strong>des</strong> Programm<br />

anbietet, eine überwiegend republikanische<br />

<strong>und</strong> katholische Gemeinschaft. Ihre Offenheit<br />

ermutigt den Dialog zwischen den Franziskanischen<br />

Gemeinschaften (FG) <strong>der</strong> protestantischen wie <strong>der</strong><br />

römisch-katholischen Tradition. Ihre Anwesenheit<br />

half die ökumenischen Initiativen für Frieden in<br />

Nordirland zu stärken.<br />

In einem leerstehenden Kloster in Cori, Italien, hat<br />

die römische <strong>OFM</strong>-Provinz ein Ausbildungsprogramm<br />

für junge Menschen mit dem Titel „Junge<br />

Erzieher für den Frieden“ begonnen. Nach PAOLO<br />

MAIELLO sind viele junge Menschen von den<br />

Lebenswegen <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Klara <strong>und</strong><br />

vom Zeugnis <strong>der</strong> Franziskaner heute berührt <strong>und</strong><br />

suchen nach neuen Wegen, um in ihrer eigenen<br />

Gesellschaft aktive <strong>Friedens</strong>stifter zu werden.<br />

Franziskanische Zusammenarbeit für Frieden<br />

schließt oft Anstrengungen ein, die zwischen den<br />

Provinzen <strong>und</strong> den Konferenzen auf internationaler<br />

Ebene unternommen wurden. Im Sommer 1995<br />

sammelten zwei Brü<strong>der</strong> aus Toledo (Spanien),<br />

EMILIO ROCHA <strong>und</strong> JULIÁN MARTIN ARAGON, zwei<br />

Lastwagen mit medizinischen Hilfsmitteln aus spanischen<br />

Chemieunternehmen, die sie an Flüchtlinge<br />

in Bosnien verteilten. In Solidarität <strong>und</strong> zur<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Region lebten<br />

Emilio <strong>und</strong> Julián auch einige Wochen in dem<br />

Konvent von Fojnica in Bosnien, in dem die<br />

Brü<strong>der</strong> LEON MATE MIGIC <strong>und</strong> NIKOLA (NIKICA)<br />

MILICEVIC am 13. November 1993 von Mitglie<strong>der</strong>n<br />

einer muslimischen Miliz umgebracht worden<br />

waren.<br />

In Nordamerika ist die Antiatom-Bewegung, <strong>und</strong><br />

im Beson<strong>der</strong>en die Nevada-Wüsten-Erfahrung, ein<br />

Beispiel, wie Brü<strong>der</strong> gemeinsam mit an<strong>der</strong>en<br />

Ordensleuten <strong>und</strong> Laien von unterschiedlichstem<br />

Hintergr<strong>und</strong>, die sich für Frieden engagieren,<br />

77


■ Frieden stiften<br />

zusammenarbeiten. Ausbildung in <strong>der</strong> U.S. Airforce<br />

ist nicht <strong>der</strong> typische Hintergr<strong>und</strong> für einen Antiatom-Aktivisten,<br />

doch für LOUIS VITALE bilden seine<br />

Erfahrung im amerikanischen Militär <strong>und</strong> seine<br />

Betroffenheit durch die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Zweiten<br />

Vatikanischen Konzils den Hintergr<strong>und</strong> für sein<br />

Engagement bei den Franziskanern wie <strong>der</strong> <strong>Friedens</strong>bewegung<br />

insgesamt. Nach einem akademischen<br />

Abschluss in Soziologie wurde Louis gebeten,<br />

nach Las Vegas zu gehen <strong>und</strong> dort das diözesane<br />

Büro für soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> aufzubauen. Allmählich<br />

wurde er auf den Stützpunkt für atomare Tests<br />

in Nevada aufmerksam, auf dem die U.S.– wie die<br />

britische Regierung unterirdische Atomexplosionen<br />

durchführten. Er begann sich zu fragen, warum so<br />

wenig Interesse für das bestand, was er später als<br />

„die vielleicht größte Umweltkatastrophe aller Zeiten“<br />

beschreiben sollte.<br />

„Es war uns klar“, sagt Louis, „dass <strong>der</strong> Wettlauf <strong>der</strong><br />

Aufrüstung weitergehen würde, solange die Regierung<br />

neue Waffensysteme testen <strong>und</strong> entwickeln<br />

würde. Wir engagierten uns, um auf die Tests in<br />

Nevada aufmerksam zu machen, Proteste <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Veranstaltungen zu organisieren, um das begrenzte<br />

Ziel eines umfassenden Testverbots zu erreichen.“<br />

Durch eine Reihe von jährlichen Gebetswachen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> wachsenden Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en<br />

christlichen Gruppen <strong>und</strong> Gruppen von indigenen<br />

Amerikanern, begannen die Teilnehmer schrittweise<br />

zu begreifen, dass je<strong>der</strong> Test die lokale Umwelt <strong>und</strong><br />

den Lebensraum <strong>des</strong> indigenen Shoshone-Stammes<br />

schädigte. Trotz <strong>des</strong> wissenschaftlichen Nachweises<br />

<strong>der</strong> Schäden, welche die Tests verursachten, trafen<br />

die jährlichen Wachen auf schroffen Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong><br />

lokalen <strong>und</strong> <strong>der</strong> nationalen Behörden. Die Zahl <strong>der</strong><br />

beteiligten Menschen, die an dem Schauplatz festgenommen<br />

wurden, wuchs in den 80er Jahren ständig.<br />

Doch die Bewegung wurde gestärkt durch die<br />

Unterstützung, die sie von Menschen aus aller Welt<br />

empfing. Nach seiner Wahl zum Generalminister<br />

1991 begab sich HERMANN SCHALÜCK an den Testplatz<br />

in <strong>der</strong> Wüste von Nevada, um dort auf seinem<br />

ersten Pilgerweg als Generalminister zu beten. Besuche<br />

von Regierungsvertretern, Bischöfen <strong>und</strong> Vertretern<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Religionen bilden den<br />

Höhepunkt <strong>des</strong> gleichbleibenden Drucks, den<br />

Zeugnis auf das öffentliche Bewusstsein ausübt.<br />

Langsam lernten Arbeiter <strong>des</strong> Testgelän<strong>des</strong> einige<br />

78<br />

<strong>Friedens</strong>aktivisten auf persönlicher Ebene kennen,<br />

<strong>und</strong> die Spannungen <strong>der</strong> ersten Jahre klangen ab.<br />

Nach dem Ende <strong>der</strong> Sowjetunion wurde ein umfassen<strong>der</strong><br />

Atomtest-Sperrvertrag möglich. Doch die<br />

<strong>Friedens</strong>bewegung setzt ihren Einsatz fort, um<br />

einen Teststopp für alle Waffensysteme zu erreichen.<br />

ALOYSIUS FLORIO von <strong>der</strong> Kustodie <strong>des</strong> Heiligen<br />

Lan<strong>des</strong> erinnert an den praktischen Einsatz <strong>der</strong><br />

Brü<strong>der</strong> während <strong>des</strong> Golfkriegs 1991, als die franziskanische<br />

Gemeinschaft auf Seiten <strong>der</strong> lokalen<br />

Bevölkerung stand, als viele an<strong>der</strong>e flohen. „Unsere<br />

friedfertige Präsenz unter den Menschen aller Glaubensgruppen,<br />

sie zu verköstigen, ihre Geschichten<br />

anzuhören <strong>und</strong> die Toten zu begraben, war ein<br />

greifbares Zeichen unseres seit 800 Jahren dauernden<br />

Einsatzes für die Bewohner <strong>des</strong> Heiligen Lan<strong>des</strong>.“<br />

Dieser Einsatz wurde ein weiteres Mal deutlich,<br />

als das Massaker an über 20 betenden Palästinensern<br />

1994 in <strong>der</strong> Moschee von Hebron verübt<br />

wurde. Die Kustodie veröffentlichte eine Verurteilung<br />

<strong>des</strong>sen, was sie als einen „kriminellen Akt“,<br />

verübt von einem jüdischen Siedler, bezeichnete.<br />

CLAUDIO BARATTO, <strong>der</strong> Vertreter <strong>des</strong> Kustos,<br />

ALBERT ROCK, PAOLO MASTRANGELI, HALIM NOU-<br />

JAIM, GEORGE ABU KHAZEN besuchten sofort den<br />

Stadtrat von Hebron <strong>und</strong> die H<strong>und</strong>erte von Verw<strong>und</strong>eten.<br />

Sie verstanden diesen Besuch als Teil<br />

ihrer fortdauernden <strong>Friedens</strong>sendung unter den<br />

Palästinensern, die sich von Christen <strong>des</strong> Westens<br />

oft „vergessen <strong>und</strong> unbeachtet“ erleben.<br />

Generalkonstitutionen<br />

Artikel 1,2: Sie müssen „Buße <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>sein<br />

bezeugen, in <strong>der</strong> Liebe zu allen Menschen die Botschaft<br />

<strong>des</strong> Evangeliums in die ganze Welt tragen<br />

<strong>und</strong> durch ihr Tun von Versöhnung, Frieden <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> künden“.<br />

Weitere Hinweise: Artikel 33,1; 39; 69,1-2; 70;<br />

95,1-3; 96,2; 98,1-2.


■ Frieden stiften<br />

Fragen für die Diskussion<br />

1. Wie hast du erfahren, ein <strong>Friedens</strong>stifter<br />

zu sein? In deinem apostolischen Wirken, in<br />

deiner Gemeinschaft, deiner Familie, deiner<br />

Provinzgemeinschaft?<br />

2. Was sind die größten Hin<strong>der</strong>nisse für Frieden<br />

in <strong>der</strong> Stadt, in dem Land, in dem du lebst?<br />

3. Welchen Beitrag zum Frieden kannst du in<br />

<strong>der</strong> Stadt leisten, in <strong>der</strong> du lebst? Welchen<br />

Beitrag könnte eure örtliche Gemeinschaft<br />

leisten?<br />

4. Haben die Bischöfe eures Lan<strong>des</strong> o<strong>der</strong> eurer<br />

Region Prioritäten <strong>der</strong> <strong>Friedens</strong>arbeit festgelegt?<br />

Wie kannst du persönlich diese<br />

Bemühungen unterstützen? Wie könnte sich<br />

eure örtliche Gemeinschaft, eure Provinzgemeinschaft<br />

beteiligen?<br />

5. Was sind die wichtigsten persönlichen<br />

Merkmale eines <strong>Friedens</strong>stifters? Nehmen<br />

diese Merkmale in deinem Leben zu?<br />

6. Hast du eine bevorzugte Geschichte über<br />

den hl. Franziskus als <strong>Friedens</strong>stifter? Hat dir<br />

diese Geschichte in deinen Bemühungen<br />

um Frieden geholfen?<br />

7. Haben wir nicht nur für die Opfer von Gewalt<br />

<strong>und</strong> Ungerechtigkeit Mitgefühl, son<strong>der</strong>n<br />

auch für jene, die aus Leidenschaft o<strong>der</strong><br />

Blindheit, an<strong>der</strong>en Leid durch Gewalt <strong>und</strong><br />

Ungerechtigkeit zufügen? Beten wir für sie?<br />

Wollen wir sie ohne Anmaßung befreien,<br />

indem wir das Risiko auf uns nehmen, sie zu<br />

konfrontieren <strong>und</strong> uns än<strong>der</strong>n zu müssen?<br />

8. Erkennen wir den „Wolf“ in uns, bereit zu<br />

verschlingen? Ist <strong>der</strong> Wolf dabei gezähmt<br />

zu werden?<br />

9. Ist es möglich, dass die Furcht, arm mit den<br />

Armen zu sein, unser größtes Hin<strong>der</strong>nis darstellt,<br />

am gewaltfreien Kampf teilzunehmen?<br />

10. Besteht in unserem persönlichen <strong>und</strong><br />

gemeinschaftlichen Lebensstil ein Gespür für<br />

die Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Menschlichkeit, Befreiung <strong>und</strong> Frieden?<br />

11. Meinst du, dass deine Gemeinschaft irgendwelche<br />

Aktionen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

veranlassen o<strong>der</strong> an einer von an<strong>der</strong>en<br />

initiierten Aktion teilnehmen könnte? Denkst<br />

du, dass dies das Leben unserer Bru<strong>der</strong>schaft<br />

o<strong>der</strong> das unserer Gruppen o<strong>der</strong> christlichen<br />

Gemeinschaften „verkomplizieren“ könnte<br />

<strong>und</strong> es daher besser wäre, sich herauszuhalten?<br />

12. Welchen Platz nehmen die Dimensionen von<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschlichkeit/ <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Friede im Projekt <strong>der</strong> Evangelisierung in<br />

eurer Bru<strong>der</strong>schaft/ eurer Provinz ein? Was<br />

sollte getan werden durch Planung o<strong>der</strong> Ausbau<br />

bestehen<strong>der</strong> Strukturen?<br />

13. Was weißt du über Gewaltlosigkeit? Meinst<br />

du, dass sie ein wirksames Instrument für<br />

unseren Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

darstellt, wie die Generalkonstitutionen uns<br />

vorschlagen?<br />

14. Werte die Wahrnehmung aus <strong>und</strong> die Antwort,<br />

die du in Konfliktsituationen gegeben<br />

hast. Wie haben deine Berufung <strong>und</strong> die Art<br />

deiner Erziehung dich auf diesem Gebiet<br />

beeinflusst?<br />

15. Beobachte deine Umgebung als Fraternität<br />

<strong>und</strong> bezeichne die Samen von Gewalt, die du<br />

wahrnimmst. Analysiere die verschiedenen<br />

Arten von Antworten, die auftauchen.<br />

79


Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung /<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

für die Umwelt<br />

In den Fußstapfen <strong>des</strong> heiligen Franziskus sollen die<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong> heute von allen Seiten bedrohten Natur<br />

gegenüber Sinn für Ehrfurcht an den Tag legen <strong>und</strong> so<br />

die Natur wie<strong>der</strong> ganz als ihre Schwester sehen, allen<br />

Menschen zum Wohl <strong>und</strong> zur Verherrlichung <strong>des</strong><br />

Schöpfers.<br />

<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 71<br />

Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />

Die tiefe Liebe <strong>des</strong> Franziskus gegenüber Gott <strong>und</strong><br />

gegenüber <strong>der</strong> gesamten Schöpfung Gottes hat im<br />

SONNENGESANG einen machtvollen Ausdruck<br />

gef<strong>und</strong>en. Celano erzählt: „In jedem Kunstwerk<br />

lobte er den Künstler; was er in <strong>der</strong> geschaffenen<br />

Welt fand, führte er zurück auf den Schöpfer. Er<br />

frohlockte in allen Werken <strong>der</strong> Hände <strong>des</strong> Herrn,<br />

<strong>und</strong> durch das, was sich seinem Auge an Lieblichem<br />

bot, schaute er hindurch auf den lebensspendenden<br />

Urgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Dinge. Er erkannte im Schönen den<br />

Schönsten selbst; alles Gute rief ihm zu: Der uns<br />

erschaffen hat, ist <strong>der</strong> Beste!“ (2 Cel 165). Bonaventura<br />

fügt hinzu: „Er benützte alle Dinge als Leiter,<br />

auf <strong>der</strong> er emporsteigen <strong>und</strong> den umfassen konnte,<br />

<strong>der</strong> ganz liebenswert ist“ (LegMai IX,1).<br />

Franziskus befahl seinen Brü<strong>der</strong>n, einen Baum<br />

nicht völlig abzuhauen; er wies die Gärtner an,<br />

einen Rasenstreifen um den Garten zu lassen; er ließ<br />

im Winter den Bienen Honig <strong>und</strong> Wein hinstellen<br />

<strong>und</strong> er nannte die Tiere Brü<strong>der</strong>. „Jene Urgüte, die<br />

einst alles in allem sein wird, verklärte ja in diesem<br />

Heiligen schon hienieden alles in allem“ (2 Cel 165;<br />

in kursiv Zitate aus 1 Kor 12,6). Ein Vogel blieb in<br />

den Händen <strong>des</strong> Franziskus sitzen (2 Cel 167), ein<br />

Falke kündigte ihm die Gebetszeiten an (2 Cel<br />

168), ein Fasan ließ sich bei Franziskus nie<strong>der</strong> (2<br />

Cel 170) <strong>und</strong> die Grille sang Loblie<strong>der</strong> auf ihren<br />

Schöpfer (2 Cel 171). Er wünschte, dass man an<br />

Weihnachten Ochs <strong>und</strong> Esel mehr Korn <strong>und</strong> Heu<br />

gebe als sonst, dass man Weizen <strong>und</strong> Korn auf die<br />

Wege streue, um den Vögeln, vor allem den Lerchen<br />

Nahrung zu geben (2 Cel 200). Die Gefährten<br />

<strong>des</strong> Franziskus sahen, „wie er großen Gr<strong>und</strong> zu<br />

innerer <strong>und</strong> äußerer Freude in allen Geschöpfen<br />

fand; er liebkoste <strong>und</strong> betrachtete sie mit Wonne, so<br />

sehr, dass sein Geist im Himmel <strong>und</strong> nicht auf<br />

Erden zu leben schien“ (LegPer 51).<br />

Ökologische <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

Reflexion über Ökologie hat eine neue Phase<br />

erreicht <strong>und</strong> endgültig das Stadium von einfachem<br />

Bewahren <strong>und</strong> Schutz <strong>der</strong> Natur hinter sich gelassen.<br />

Jetzt wird die Umwelt in ihren vielfältigen<br />

Beziehungen betrachtet, was sowohl die natürliche<br />

Umwelt wie auch die menschliche Kultur <strong>und</strong><br />

Gesellschaft umfasst. In ihrer umfassenden Betrachtungsweise<br />

hebt die soziale Ökologie die möglichen<br />

Interaktionen zwischen allen Wesen hervor, seien sie<br />

lebend o<strong>der</strong> nichtlebend, natürlich o<strong>der</strong> kulturell.<br />

Sie gibt uns die notwendigen Gr<strong>und</strong>lagen, um ein<br />

dynamisches Gleichgewicht im gesamten Ökosystem<br />

wie<strong>der</strong> herzustellen. Innerhalb dieser Suche<br />

nach einem Gleichgewicht im gesamten Ökosystem<br />

muss die Frage <strong>der</strong> ökologischen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

angesiedelt werden. Ferner muss die Frage gestellt<br />

werden, ob die Achtung <strong>der</strong> Menschenrechte auch<br />

die Rechte <strong>der</strong> Erde miteinschließt <strong>und</strong> umgekehrt?<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten, wie sind soziale <strong>und</strong> ökologische<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en? Und<br />

wie schließt in unserer franziskanischen Perspektive<br />

unser Engagement für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

auch die Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung mit ein?<br />

83


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

A. Einige Prinzipien franziskanischer<br />

„Öko-<strong>Gerechtigkeit</strong>“<br />

Die franziskanische Sicht <strong>des</strong> Lebens ist gleichzeitig<br />

theozentrisch <strong>und</strong> global. Je<strong>des</strong> lebende <strong>und</strong> nicht<br />

lebende Wesen ist Teil von Subjektivität (<strong>und</strong> ist<br />

nicht einfach ein Objekt) <strong>und</strong> besitzt einen inneren<br />

Wert, eine Sendung. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist es ein<br />

Beziehungswesen: es ist in ständiger Beziehung mit<br />

seinem Schöpfer <strong>und</strong> mit den an<strong>der</strong>en Wesen.<br />

Das Sakrament <strong>der</strong> Welt<br />

Eines <strong>der</strong> bedeutendsten Kennzeichen <strong>der</strong> Spiritualität<br />

<strong>des</strong> hl. Franziskus liegt in seinem feinen Gespür<br />

für die Gegenwart Gottes in <strong>der</strong> Schöpfung <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> menschlichen Geschichte. Je<strong>des</strong> Wesen, jede<br />

Sache ist ein Geschenk Gottes. Franziskus ermahnte<br />

seine Brü<strong>der</strong>, nichts sich selber zuzuschreiben,<br />

nichts für sich zu behalten, <strong>und</strong> zu je<strong>der</strong> Zeit <strong>und</strong><br />

an jedem Ort Gott die Ehre zu geben für die<br />

„W<strong>und</strong>er, die Gott tut“, in uns <strong>und</strong> im Universum.<br />

„Und alles Gute wollen wir dem Herrn, dem erhabensten<br />

<strong>und</strong> höchsten Gott, zurückerstatten <strong>und</strong><br />

alles Gute als sein Eigentum anerkennen <strong>und</strong> ihm<br />

für alles Dank sagen, von dem alles Gute herkommt“<br />

(NbReg 17,17).<br />

Je<strong>des</strong> Ding spricht zu uns von Gott <strong>und</strong> verweist<br />

uns an Gott zurück. Das Universum in seiner Einheit<br />

wie in seiner Verschiedenheit ist ein Sakrament<br />

Gottes, eine „Leiter“, die uns zum Schöpfer führt<br />

(vgl. 2 Cel 165; LegMai IX,1). „Hinsichtlich <strong>des</strong><br />

ersten ist die ganze Welt ein Schatten, ein Weg <strong>und</strong><br />

eine Spur, ist sie ein Buch, das draußen geschrieben<br />

ist“, schreibt Bonaventura (HEXAEM. 12, Nr. 14).<br />

Für Franziskus wie für Bonaventura ist Gott überall<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig ist er nirgendwo. Gott steht am<br />

Ende <strong>des</strong> Weges <strong>der</strong> Gleichförmigkeit mit Christus<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> ekstatischen Schau. Aber er ist auch hier<br />

auf dem Weg, dem nahe, <strong>der</strong> ihn sucht, auch in <strong>der</strong><br />

Tiefe eines jeden Geschöpfes <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s in<br />

unserer eigenen Tiefe. In jedem Ding <strong>und</strong> in jedem<br />

Ereignis ist Gott gegenwärtig. „Gott aber ist einem<br />

jeden geschaffenen Ding zuinnerst vertraut“<br />

(Bonaventura, DE SCIENTIA CHRISTI, q. 2, ad. 11).<br />

Die Erde ist heilig.<br />

Jene außerordentliche Liebe, die Franziskus Wesen<br />

<strong>und</strong> Dingen entgegenbrachte, kommt von daher. Er<br />

84<br />

trat in eine geschwisterliche <strong>und</strong> ehrfurchtsvolle<br />

Gemeinschaft mit allem, was lebt, <strong>und</strong> allem, was<br />

ist. Für diese in höchstem Maße christliche Seele<br />

war die Liebe zu den Werken Gottes <strong>und</strong> die Liebe<br />

zu Gott das Gleiche.<br />

Von daher kommt, oft in Lob- <strong>und</strong> Danklie<strong>der</strong>n<br />

ausgedrückt, jene Verw<strong>und</strong>erung vor <strong>der</strong> Verschiedenheit<br />

<strong>und</strong> dem Geschenk <strong>der</strong> Schöpfung, die<br />

ihren Ursprung in <strong>der</strong> Überfülle <strong>der</strong> dreifaltigen<br />

Liebe findet. Thomas von Celano schrieb: „Jene<br />

Urgüte, die einst alles in allem sein wird, verklärte ja<br />

in diesem Heiligen schon hienieden alles in allem“<br />

(2 Cel 165). Diese ästhetische <strong>und</strong> religiöse Sicht<br />

steht im Gegensatz zu rein wissenschaftlichen <strong>und</strong><br />

materialistischen Vorstellungen <strong>der</strong> Welt, in all<br />

ihren verschiedenen Formen.<br />

Das Universum ist ein Ganzes<br />

Franziskus hat eine umfassende Sicht <strong>des</strong> Lebens.<br />

Das Universum, das in Harmonie <strong>und</strong> für Harmonie<br />

geschaffen wurde, ist wie eine große Familie,<br />

<strong>der</strong>en Elemente in ihrer Verschiedenheit voneinan<strong>der</strong><br />

abhängen <strong>und</strong> eine einzigartige universale<br />

Bru<strong>der</strong>schaft bilden. Diese Vorstellung <strong>der</strong> Einheit<br />

<strong>der</strong> Welt ist tief verwurzelt in <strong>der</strong> biblischen Sicht<br />

<strong>der</strong> Schöpfung.<br />

Auf <strong>der</strong> einen Seite umfasst die Heilsgeschichte<br />

die menschliche Geschichte, aber auch den gesamten<br />

Kosmos in seiner Offenheit für die göttlichen<br />

Verheißungen: „Denn wir wissen, dass die gesamte<br />

Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt <strong>und</strong> in<br />

Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22). Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite ist <strong>der</strong> Mensch selbst aus Erde geschaffen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Name „Adam“ (ADAMAH) erinnert sie an<br />

ihre irdische Herkunft. Und durch „unsern Bru<strong>der</strong>,<br />

den leiblichen Tod, dem kein Mensch lebend<br />

entrinnen kann“ werden sie eines Tages zur Mutter<br />

Erde zurückkehren, die sie ans Licht kommen<br />

sah, gemäß dem ewigen Gesetz <strong>des</strong> Lebens aller<br />

Geschöpfe. Die Menschheit hat im Leben wie im<br />

Tod mit <strong>der</strong> Natur Gemeinschaft (vgl. Gen 1-3;<br />

SONNENGESANG).<br />

Diese Konzeption wi<strong>der</strong>setzt sich den verschiedenen<br />

metaphysischen Philosophien <strong>und</strong> religiösen F<strong>und</strong>amentalismen,<br />

die zum Nachteil <strong>des</strong> Natürlichen<br />

zuviel Nachdruck auf das Übernatürliche legen.


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

Konsequenterweise sollte die Menschheit Ethik <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> auf die Natur ausdehnen, auf alle<br />

Völker, die auf <strong>der</strong> Erde leben, denn in <strong>der</strong> Zerstörung<br />

<strong>der</strong> Umwelt zerstören sie ihre eigene<br />

Lebensgr<strong>und</strong>lage. Die Güter <strong>der</strong> Schöpfung dürfen<br />

nicht allein auf die ökonomischen Interessen <strong>der</strong><br />

Menschheit reduziert werden; sie sind für die universale<br />

Harmonie aller Wesen bestimmt. „Gott sah<br />

alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“<br />

(Gen 1,31). Das Adjektiv „gut“ muss hier in seinem<br />

umfassenden Sinn verstanden werden, alles umfassend,<br />

d.h. ontologisch, moralisch, vital, ästhetisch<br />

<strong>und</strong> nicht einfach in dem ausschließlichen Sinn<br />

eines ökonomischen Gutes.<br />

Ehrfurcht vor <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit<br />

Für Franziskus hatte je<strong>des</strong> Ding <strong>und</strong> je<strong>des</strong> menschliche<br />

Wesen einen Wert in sich, eine „Individualität“,<br />

die es zu achten <strong>und</strong> zu lieben gilt. Steine,<br />

Pflanzen, Vögel <strong>des</strong> Himmels, Würmer <strong>der</strong> Erde,<br />

Aussätzige <strong>und</strong> Bettler am Wege … alle Geschöpfe<br />

Gottes hatten ein Recht auf Existenz <strong>und</strong> keines<br />

von ihnen gehörte vollständig uns: sie waren „verschieden“,<br />

„an<strong>der</strong>s“, gegenüber <strong>und</strong> in Konsequenz<br />

dazu nicht Objekte unserer Beherrschung. Bonaventura<br />

<strong>und</strong> Duns Scotus werden dieses Konzept<br />

<strong>der</strong> Einzigartigkeit jeden Dinges in ihrer Lehre<br />

<strong>der</strong> Individuation entwickeln. Dem Beispiel ihres<br />

Ordensvaters folgend werden sie je<strong>des</strong> Ding auf dieser<br />

Welt in seiner reichen <strong>und</strong> inneren Subjektivität,<br />

in seiner HAECCEITAS betrachten, d.h. in dem, was<br />

das Wesen zu dem macht, was es ist, <strong>und</strong> zu nichts<br />

an<strong>der</strong>em. Der letzte Gr<strong>und</strong> für diese Einzigartigkeit,<br />

die jedem Ding eingeschrieben ist, liegt „im Willen<br />

Gottes“, sagte Duns Scotus. Die An<strong>der</strong>sartigkeit <strong>der</strong><br />

Geschöpfe verweist uns zurück auf den unendlich<br />

An<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> Gott ist.<br />

Eine franziskanische, ökologische Spiritualität stellt<br />

uns vor die Herausfor<strong>der</strong>ung, uns selbst zu überschreiten,<br />

um in die universale Gemeinschaft allen<br />

Seins einzutreten. In seinen komplexen Beziehungen<br />

mit dem Universum weitet unser Leben unseren<br />

Sinn <strong>der</strong> Verantwortlichkeit gegenüber uns<br />

selbst <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en. Dies erfor<strong>der</strong>t eine einbeziehende<br />

Haltung gegenüber allem, dem wir auf<br />

unserem Weg begegnen, die natürliche Welt eingeschlossen<br />

<strong>und</strong> zur gleichen Zeit den betrachtenden<br />

Blick <strong>des</strong> Staunens, wenn wir <strong>der</strong> Verschiedenheit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> geheimnisvollen Einzigartigkeit eines jeden<br />

von ihnen betrachtend gegenüberstehen. Ein Einbeziehen<br />

ohne jede Aneignung, eine Solidarität,<br />

die eine tiefe Achtung vor <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit einschließt.<br />

Franziskanische Spiritualität stellt eine umfassende<br />

Sicht von Leben, die Würde <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> den<br />

inneren Wert je<strong>des</strong> Wesens im Universum in die<br />

Mitte <strong>und</strong> lehnt es ab, die natürliche Welt <strong>und</strong> den<br />

Menschen nur als Kapital zu betrachten, das auszubeuten<br />

ist. Wir müssen uns distanzieren sowohl<br />

von einem unverantwortlichen Sakramentalismus,<br />

<strong>der</strong>, nicht im konkreten Leben verankert, je<strong>der</strong><br />

sozialen Wirkung beraubt ist, als auch von <strong>der</strong> Idee<br />

<strong>des</strong> grenzenlosen Fortschritts, den die Erde <strong>und</strong> ihre<br />

Lebenssysteme nicht verkraften können.<br />

B. Ökologische <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

auf praktischer Ebene<br />

Drei praktische Optionen entsprechen ungefähr<br />

den drei Prinzipien:<br />

Option für das Leben <strong>und</strong><br />

die gegenseitige Abhängigkeit <strong>des</strong> Lebens<br />

a) „Herr, sei gepriesen, weil du mich erschaffen<br />

hast“ (Thomas von Celano, LEBEN DER HEILIGEN<br />

KLARA, 46). Vor ihrem Tod dankte Klara ihrem<br />

Gott für das Geschenk <strong>des</strong> Lebens. Der SONNEN-<br />

GESANG <strong>des</strong> Franziskus war ebenfalls ein Konzert<br />

<strong>des</strong> Lobes <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dankes <strong>des</strong> gesamten Universums<br />

für die Berufung zum Leben: „Gepriesen seist<br />

du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen.“<br />

Je<strong>des</strong> Sein hat ein Recht auf Leben. Eine wilde<br />

Turteltaube, eine kleine unbedeutende Blume, eine<br />

arme leidende Frau, ein alter blin<strong>der</strong> Mann, usw.,<br />

alles ist ins Sein gerufen worden, um an dem gleichen<br />

Abenteuer <strong>der</strong> Liebe teilzunehmen. Franziskus<br />

hatte eine Vorliebe für die kleinsten <strong>und</strong> demütigsten<br />

unter den Geschöpfen. „Vom Wege las er die<br />

Würmchen auf, dass sie nicht mit den Füßen zertreten<br />

würden“ (2 Cel 165). Auf den von <strong>der</strong> Menschheit<br />

geschaffenen Pfaden gibt es keinen Mangel<br />

an Passanten, die Leben zerstören.<br />

Die Erde, wie die Menschen <strong>und</strong> die Tiere, die<br />

auf ihr leben, haben ein Recht auf Regeneration.<br />

85


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

Es ist Gegenstand <strong>des</strong> Sabbatgesetzes, dass eine Zeit<br />

<strong>der</strong> Ruhe für die Erneuerung <strong>des</strong> Lebens notwendig<br />

ist (vgl. Lev 25,1-7; 19,9-10). Gottes Schöpfung<br />

endete nicht am sechsten Tag mit <strong>der</strong> Erschaffung<br />

<strong>der</strong> Menschheit. Menschheit ist nicht das Ende <strong>der</strong><br />

Schöpfung; diese wird vielmehr durch den siebten<br />

Tag, den Sabbat, gekrönt, an dem Gott ruht <strong>und</strong><br />

betrachtet (vgl. Gen 1-2). Er ist <strong>der</strong> Schöpfer, d.h.<br />

Anfang <strong>und</strong> Ende aller Dinge. Je<strong>der</strong> Franziskaner ist<br />

ein Prophet <strong>des</strong> Lebens. Im Namen <strong>des</strong> lebendigen<br />

Gottes prangern sie die Kultur <strong>des</strong> To<strong>des</strong> an,<br />

suchen, die Qualität <strong>des</strong> Lebens, allen Lebens zu<br />

schützen, <strong>und</strong> werden in <strong>der</strong> Wüste <strong>der</strong> Welt überall<br />

<strong>und</strong> immer Zeichen <strong>der</strong> Erneuerung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Hoffnung.<br />

b) Sie sind gleicherweise aufmerksam auf die<br />

gegenseitige Abhängigkeit <strong>der</strong> Lebewesen. Kein<br />

Wesen lebt nur aus sich <strong>und</strong> für sich. Das Überleben<br />

<strong>der</strong> Menschen, <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Armen,<br />

hängt auch vom Überleben <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> von <strong>der</strong><br />

Qualität <strong>des</strong> Lebens <strong>des</strong> gesamten Universums ab,<br />

<strong>und</strong> umgekehrt. Franziskus war sich <strong>der</strong> Geschenke<br />

<strong>der</strong> Erde, durch welche die Menschen ernährt<br />

werden, bewusst. „Gepriesen seist du, mein Herr,<br />

durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns<br />

ernährt <strong>und</strong> lenkt, <strong>und</strong> mannigfaltige Frucht<br />

hervorbringt <strong>und</strong> bunte Blumen <strong>und</strong> Kräuter“<br />

(SONNENGESANG). Für ihren Teil sollten die Menschen<br />

sich um die Erde sorgen <strong>und</strong> die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> Früchte, Blumen <strong>und</strong> Kräuter bewahren. Die<br />

Monokultur für die Bedürfnisse <strong>der</strong> industrialisierten<br />

Welt wie die grenzenlose Ausbeutung <strong>der</strong> Erde<br />

bringen <strong>der</strong> Erde selbst den Tod <strong>und</strong> auch den<br />

Armen, die sich systematisch ihrer Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />

beraubt sehen. Tausende von „Landlosen“,<br />

die an Hunger sterben, <strong>und</strong> Tausende von Hektar<br />

Wald, die in Brasilien <strong>und</strong> an<strong>der</strong>swo auf unserem<br />

Planeten zerstört werden, sind die verhängnisvollen<br />

Konsequenzen dieser einseitigen ökonomischen<br />

Politik.<br />

Option für ein Leben sine proprio (NbReg 1,1)<br />

In seiner prägnanten Weise ermahnte Franziskus<br />

seine Brü<strong>der</strong>, ein einfaches, armes Leben im Geist<br />

<strong>der</strong> Selbsthingabe zu führen: „Behaltet darum<br />

nichts von euch für euch zurück“ (BrOrd 29)<br />

<strong>und</strong> im alltäglichen Leben auf alles Überflüssige<br />

zu verzichten <strong>und</strong> mit dem bloßen Notwendigen<br />

86<br />

glücklich zu sein: „Und wenn irgendeinmal Not<br />

über sie kommt, soll es allen Brü<strong>der</strong>n, wo auch<br />

immer sie sein mögen, erlaubt sein, sich aller Speisen<br />

zu bedienen, die Menschen essen können …<br />

Ebenso dürfen auch alle Brü<strong>der</strong> mit dem für sie<br />

Notwendigen in Zeit offenk<strong>und</strong>iger Not verfahren,<br />

gleichwie ihnen <strong>der</strong> Herr die Gnade schenkt“<br />

(NbReg 9,13.16; vgl. NbReg 15).<br />

Diese franziskanische Armut ist nicht nur individuell,<br />

son<strong>der</strong>n sie ist auch sozial <strong>und</strong> birgt in sich eine<br />

prophetische Dimension. Im Verzicht auf Eigentum<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> Option, arm unter<br />

den Armen zu leben, verwarf Franziskus das ökonomische<br />

<strong>und</strong> politische System seiner Zeit. Seine<br />

Option, in Armut zu leben, übersetzt die Option<br />

für die Armen auf eine praktische Ebene. Er steht<br />

im Gegensatz sowohl zur feudalen Mentalität,<br />

die auf Landbesitz <strong>und</strong> Ausbeutung <strong>der</strong> Bauern<br />

beruht, als auch zur Konsumgesellschaft, die durch<br />

die neue soziale Klasse, die bürgerliche, eingeführt<br />

wird.<br />

Als er eines Tages von Siena zurückkehrte, traf Franziskus<br />

einen armen Mann. Wegen seiner Krankheit<br />

trug er selbst über dem Habit noch einen kleinen<br />

Mantel. Er sah das Elend <strong>des</strong> armen Mannes <strong>und</strong><br />

konnte sich nicht zurückhalten. Er sagte zu seinem<br />

Gefährten: „Wir müssen den Mantel diesem Armen<br />

zurückgeben, denn er gehört ihm“ (LegMai VIII,5).<br />

Die Option für ein Leben sine proprio muss mit<br />

<strong>der</strong> Liebe verb<strong>und</strong>en sein, denn ohne sie hat Armut<br />

keinen Sinn. Für Franziskus ist Aneignung ein<br />

wirkliches Hin<strong>der</strong>nis für brü<strong>der</strong>liche Liebe. Sie<br />

weckt in uns den Willen, über an<strong>der</strong>e zu herrschen.<br />

Die Geschichte <strong>des</strong> Novizen, dem es angetrieben<br />

von Besitzgier an Achtung vor an<strong>der</strong>en mangelte,<br />

ist ein Beispiel für diesen inneren Zusammenhang<br />

zwischen Armut <strong>und</strong> Bru<strong>der</strong>schaft (vgl. LegPer 70;<br />

72-73). Die Versuchung, die Erde zu beherrschen,<br />

bringt uns dazu, an<strong>der</strong>e zu beherrschen, beson<strong>der</strong>s<br />

die Armen <strong>und</strong> Hilflosen. Die Anhäufung <strong>des</strong><br />

Reichtums bei einigen wenigen bringt als Folge<br />

mit sich, dass an<strong>der</strong>e verarmen <strong>und</strong> sogar zerstört<br />

werden. Franziskus ermahnt seine Brü<strong>der</strong>, vor dieser<br />

Gefahr auf <strong>der</strong> Hut zu sein: „Hüten sollen sich die<br />

Brü<strong>der</strong>, wo auch immer sie in Einsiedeleien o<strong>der</strong><br />

an an<strong>der</strong>en Orten sind, dass sie sich einen<br />

Ort aneignen <strong>und</strong> einem an<strong>der</strong>en streitig machen“<br />

(NbReg 7,13).


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

Er hat das F<strong>und</strong>ament <strong>der</strong> Erde fest begründet.<br />

Marx stellte einen Verbindung her zwischen <strong>der</strong><br />

Ausbeutung <strong>der</strong> Arbeiter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausbeutung <strong>der</strong><br />

Erde in dem System <strong>der</strong> kapitalistischen Produktion,<br />

wenn er in DAS KAPITAL schrieb: „Und je<strong>der</strong><br />

Fortschritt <strong>der</strong> kapitalistischen Agrikultur ist nicht<br />

nur ein Fortschritt in <strong>der</strong> Kunst, den Arbeiter, son<strong>der</strong>n<br />

zugleich in <strong>der</strong> Kunst den Boden zu berauben,<br />

je<strong>der</strong> Fortschritt in <strong>der</strong> Steigerung seiner Fruchtbarkeit<br />

für eine gegebene Zeitfrist ist zugleich ein<br />

Fortschritt im Ruin <strong>der</strong> dauernden Quellen dieser<br />

Fruchtbarkeit. … Die kapitalistische Produktion<br />

entwickelt daher nur die Technik <strong>und</strong> Kombination<br />

<strong>des</strong> gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem<br />

sie zugleich die Springquellen allen Reichtums<br />

untergräbt: die Erde <strong>und</strong> den Arbeiter“ (K. Marx,<br />

Das Kapital, Bd. 1, Buch 1, Sektion 4, Kap. 13,<br />

§ 10, in: Marx/Engels, Werke, Bd. 23, Berlin 1962,<br />

529-530). Ökologische <strong>und</strong> soziale <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

sind untrennbar.<br />

Handwerker <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> sein<br />

Achtung vor dem Leben <strong>und</strong> <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit<br />

allen Seins bedeutet auch eine Verantwortlichkeit<br />

für Frieden. Nicht nur friedfertig zu sein, d.h. friedlich<br />

in seinem eigenen Haus zu leben, son<strong>der</strong>n auch<br />

den Frieden inmitten einer Gesellschaft zu bauen,<br />

die von Gewalt <strong>und</strong> Ungerechtigkeit gekennzeichnet<br />

ist. Als Franziskus <strong>und</strong> Klara die Stadtmauern<br />

Assisis, ein Symbol für Macht <strong>und</strong> Ruhm, hinter<br />

sich ließen, wollten sie die Ketten zerbrechen, die<br />

die Herzen <strong>der</strong> Menschen innerhalb ihrer Gesellschaft<br />

in einem Teufelskreis von Selbstsucht <strong>und</strong><br />

Misstrauen festhielten. Sie kamen von ihren Höhen<br />

herunter, um mit den Niedrigsten <strong>und</strong> Geringsten<br />

zu sein, den Aussätzigen <strong>und</strong> den Bettlern am Wege.<br />

Sie wollten mit <strong>der</strong> Welt Frieden schließen <strong>und</strong> mit<br />

dem gesamten Universum. Das Kloster <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />

ist die ganze Welt, in <strong>der</strong> je<strong>des</strong> Geschöpf Gottes seine<br />

Wohnstätte hat (vgl. SC 63); es gibt keine hohen<br />

Mauern, denn die Brü<strong>der</strong> haben nichts zu verteidigen,<br />

außer die Würde <strong>und</strong> die Bru<strong>der</strong>schaft allen<br />

Seins. „Und mag zu ihnen kommen, wer da will,<br />

Fre<strong>und</strong> o<strong>der</strong> Feind, Dieb o<strong>der</strong> Räuber, so soll er<br />

gütig aufgenommen werden“ (NbReg 7,14).<br />

Franziskus vergaß nicht, dass <strong>der</strong> Friede unter<br />

den Menschen nur ein Aspekt <strong>der</strong> universalen<br />

Versöhnung zwischen Menschen <strong>und</strong> Erde ist <strong>und</strong><br />

zwischen diesen <strong>und</strong> ihrem Schöpfer. Er fügte<br />

seinem SONNENGESANG eine Strophe über Vergebung<br />

zwischen den Menschen an: „Gepriesen seist<br />

du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner<br />

Liebe willen.“ Liebe ist noch möglich trotz aller<br />

To<strong>des</strong>schatten, die uns bedrücken. Wenn alle<br />

Vernunftgründe nicht ausreichen, um Frieden zu<br />

bringen, dann gibt es keine an<strong>der</strong>en Pfade mehr,<br />

denen man folgen könnte, außer dem <strong>der</strong> Vergebung.<br />

Es ist die Vergebung, die <strong>der</strong> Liebe ihre Klarheit<br />

zurückgibt <strong>und</strong> die Würde <strong>der</strong> Person wie<strong>der</strong>bringt.<br />

Im Bewusstsein, dass Waffen den Frieden<br />

nicht wie<strong>der</strong> herstellen können <strong>und</strong> dass sie nicht<br />

nur den Tod <strong>der</strong> Menschen, son<strong>der</strong>n auch die<br />

radikale Zerstörung <strong>der</strong> Umwelt verursachen,<br />

ziehen die Brü<strong>der</strong> durch die Welt, prangern jeden<br />

Angriff auf die Unversehrtheit <strong>der</strong> Schöpfung an,<br />

bezeugen durch Gewaltlosigkeit das Erbarmen<br />

Gottes <strong>und</strong> wirken mit an <strong>der</strong> universalen Versöhnung.<br />

Ambrose Van Si <strong>OFM</strong><br />

87


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />

Der Schutz <strong>der</strong> Unversehrtheit <strong>der</strong> Schöpfung<br />

gehörte immer in die Mitte franziskanischer Spiritualität.<br />

Doch haben in den letzten Jahren die<br />

Themen <strong>der</strong> Umweltgerechtigkeit die romantische<br />

Vorstellung, für Pflanzen <strong>und</strong> Tiere zu sorgen,<br />

hinter sich gelassen <strong>und</strong> haben sich zu einem drängenden<br />

Anliegen für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> weiterentwickelt.<br />

Beson<strong>der</strong>s in Lateinamerika wird das<br />

Recht, sich nie<strong>der</strong>zulassen <strong>und</strong> sich um das Land<br />

zu sorgen, zunehmend als ein erster gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />

Schritt angesehen, den Armen Gewicht zu geben<br />

<strong>und</strong> die unterdrückenden Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zu überwinden. Über den Kontinent verteilt<br />

leben Brü<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Armen, entwickeln<br />

kreative Wege, die Umwelt zu schützen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n<br />

die Selbstversorgung <strong>der</strong> indigenen Gemeinschaften.<br />

Lei<strong>der</strong> finden sich noch zu selten Brü<strong>der</strong>, die sich<br />

vollständig dieser Art von Arbeit widmen können.<br />

Eine Ausnahme stellt JIM LOCKMANN (USA) dar,<br />

<strong>der</strong> in Ökologie promoviert ist <strong>und</strong> daran arbeitet,<br />

Methoden nachhaltiger Entwicklung in <strong>der</strong> Nähe<br />

<strong>der</strong> Stadt Belem im Amazonasbecken zu för<strong>der</strong>n.<br />

Seine Spezialität ist die Biologie <strong>der</strong> lokalen Baumarten,<br />

<strong>und</strong> er versucht, mehr über die Bäume<br />

zu erfahren, die am besten zu einem nachhaltigen<br />

Schutz <strong>der</strong> Umwelt beitragen. Die Gegend im<br />

Nordosten Brasiliens ist extrem arm, bewohnt<br />

von verschleppten Familien, die durch die Militärs<br />

zwangsweise in diese Gegend gebracht worden<br />

waren. Daher wissen sie nichts über ihre neue<br />

Heimat <strong>und</strong> erhalten we<strong>der</strong> finanziellen Hilfe noch<br />

erzieherische Unterstützung von <strong>der</strong> Regierung,<br />

für ihre neue Umwelt Sorge zu tragen. Normalerweise<br />

dauert es nur etwa fünf Jahre, bis eine kleine<br />

Gemeinschaft alle Bäume gefällt <strong>und</strong> das Stück<br />

Land völlig ausgebeutet hat, sodass sie gezwungen<br />

sind, an einen an<strong>der</strong>en Ort weiterzuziehen. Lockmann<br />

lebt mit einer Gemeinschaft von Arbeitern<br />

<strong>und</strong> hilft ihnen, eine längere Sicht ihrer Umwelt<br />

zu entwickeln. „Leben ist für diese Menschen sehr<br />

schwer“, sagt er, „<strong>und</strong> es verlangt Zeit, ihr Vertrauen<br />

zu gewinnen. Doch nach einer Weile kommen sie<br />

zur Einsicht, dass sie für ihre Kin<strong>der</strong> eine bessere<br />

Zukunft bauen können.“<br />

88<br />

Lockmann führt eine Tradition fort, die von JOSI<br />

MARIANO DA CONCEIÇAO VELOSO, einem Bru<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, begonnen wurde, <strong>der</strong> heutzutage<br />

weithin als „Vater <strong>der</strong> brasilianischen Botanik“<br />

verehrt wird. Er war 1741 in Vila Sao José (Brasilien)<br />

als Sohn portugiesischer <strong>und</strong> brasilianischer<br />

Eltern geboren worden <strong>und</strong> am 11. April 1761 in<br />

den Orden eingetreten. Er arbeitete eng mit den<br />

Mitglie<strong>der</strong>n lokaler, indigener Stämme zusammen<br />

<strong>und</strong> verbrachte fast ein gesamtes Jahrzehnt damit,<br />

mehr als 2000 Pflanzenarten zu untersuchen <strong>und</strong><br />

zu katalogisieren. Seine Forschung dehnte sich auch<br />

auf Landwirtschaft <strong>und</strong> ländliche Ökonomie,<br />

Erhaltung <strong>des</strong> Wal<strong>des</strong>, Zoologie, Mineralogie <strong>und</strong><br />

lokale Dialekte aus; sein Erbe dient zahllosen<br />

brasilianischen Brü<strong>der</strong>n als Inspiration, die seitdem<br />

für Umweltgerechtigkeit in dieser Region gearbeitet<br />

haben.<br />

Heute entwickelt RODRIGO DE CASTRO AMÉDÉE<br />

PÉRET einen neuen <strong>und</strong> kreativen Weg, diese Arbeit<br />

fortzuführen, in dem er arme Bauern befähigt, ihre<br />

Rechte zu verteidigen <strong>und</strong> die lokalen Arten an<br />

Pflanzen <strong>und</strong> Feldfrüchten zu schützen. Eine beson<strong>der</strong>e<br />

Initiative, die er im Staat Minas Gerais, Brasilien,<br />

angeregt hat, ist die Errichtung von Samenbanken.<br />

Freiwillige sammeln, kultivieren <strong>und</strong> verteilen<br />

Saaten von vielen verschiedenen lokalen Bäumen<br />

<strong>und</strong> Pflanzen <strong>und</strong> verringern auf diese Weise<br />

die Abhängigkeit <strong>der</strong> Bauern von fremden Mischsamen.<br />

Sie versuchen den Trend umzukehren, große<br />

Landflächen in Monokulturen für die Produktion<br />

von Kaffee, Weizen, Sojabohnen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e für<br />

den Verkauf bestimmte Feldfrüchte zu verwandeln.<br />

Durch seine Arbeit in <strong>der</strong> Agro-ökologischen<br />

Pflanzschule <strong>des</strong> Hl. Franziskus von Assisi befähigen<br />

Rodrigo <strong>und</strong> seine Mitarbeiter Kleinbauern, ihre<br />

Familien zu versorgen <strong>und</strong> gleichzeitig eine nachhaltige<br />

Stabilität <strong>der</strong> Umwelt zu bewahren. Hohe<br />

Priorität in <strong>der</strong> Pflanzschule genießt die Forschung<br />

zur Bewirtschaftung von Boden <strong>und</strong> Wasserreserven<br />

<strong>und</strong> die Umkehr <strong>der</strong> Bodenerosion. Freiwillige<br />

katalogisieren auch sorgfältig die pharmazeutischen<br />

Eigenschaften <strong>der</strong> lokalen Bäume, Früchte <strong>und</strong><br />

Naturkräuter, damit sie einmal wirksam zur<br />

Behandlung vieler Arten von Krankheiten verwendet<br />

werden können, <strong>und</strong> stellen auf diese Weise<br />

sicher, sie in das regionale Ökosystem wie<strong>der</strong> einzuführen.


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

Auf ähnliche Weise widmete in El Salvador<br />

GEARÓID FRANCISCO Ó CONAIRE viel Zeit <strong>und</strong><br />

Energie, die einheimischen Menschen zu ermutigen,<br />

alte bio-energetische Techniken <strong>und</strong> Heilkräuter<br />

bei Krankheiten <strong>und</strong> Leiden anzuwenden. Warum?<br />

Weil sie zu unterrichten, die natürlichen Mittel,<br />

die ihnen zur Verfügung stehen, besser zu verwenden,<br />

bedeutet, sie zu befähigen, mehr über die<br />

sie befallenden Krankheiten zu verstehen <strong>und</strong> so<br />

ihre Abhängigkeit von Ärzten <strong>und</strong> großen pharmazeutischen<br />

Unternehmen zu verringern. Es bedeutet<br />

auch, einen Teil <strong>der</strong> lokalen Kultur zu schützen, die<br />

Menschen mit preisgünstigen <strong>und</strong> leicht erhältlichen<br />

Arzneien zu versorgen, die sie zu Hause produzieren<br />

<strong>und</strong> anwenden können. Doch Franciscos<br />

Einsatz für Umweltgerechtigkeit endet nicht damit.<br />

Er hat seine Kampagne für Versorgung mit sauberem<br />

Wasser für seine Pfarrei San Bartolo direkt<br />

neben <strong>der</strong> Nationalversammlung El Salvadors<br />

gestartet. Ein Unterstützungskomitee von Brü<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> Gemeindeleitern reichte bei den Abgeordneten<br />

Bittschriften ein <strong>und</strong> kämpfte in lokalen Radiostationen<br />

solange, bis etwas unternommen wurde, um<br />

die Wasserversorgung in <strong>der</strong> Barackensiedlung an<br />

<strong>der</strong> Peripherie von San Salvador zu verbessern. Francisco<br />

schloss sich auch den United Ecological<br />

Groups von El Salvador (UNES) an, um die Zerstörung<br />

<strong>des</strong> Naturwal<strong>des</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> Naturschutzgebietes<br />

El Espino zu stoppen, <strong>der</strong> „letzten Lunge von<br />

El Salvador“, wie sie auch genannt wird. Der Schutz<br />

von El Espino ist eine Gelegenheit, nicht nur mehr<br />

als eine Million Bäume zu retten, son<strong>der</strong>n auch eine<br />

klare Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte zu unterbinden.<br />

Denn 500 Familien sind von Zwangsräumung<br />

bedroht, wenn das Urbanisierungsprojekt vorangetrieben<br />

wird. Die Brü<strong>der</strong> sind häufig kritisiert<br />

worden, sich in das politische Leben einzumischen.<br />

Sie haben To<strong>des</strong>drohungen erhalten von früheren<br />

militärischen To<strong>des</strong>schwadronen, die sich jetzt<br />

unter dem Befehl <strong>der</strong> reichen Landbesitzer <strong>der</strong><br />

Region in Wachgruppen neu organisiert haben.<br />

Einige <strong>der</strong> zentralamerikanischen Brü<strong>der</strong> sind<br />

entschlossen, ihre Lobby- <strong>und</strong> Anwaltstätigkeit<br />

fortzusetzen. Sie meinen, dass die Umweltgerechtigkeit<br />

ein Schlüssel für die Ermächtigung armer<br />

Menschen überall auf <strong>der</strong> Welt ist.<br />

Als ein Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koalition SAVE M.E.<br />

(Samar Alliance of Vigilant Endeavors for Mother<br />

Earth) hat JOSI CALVIN BUGHO sein Leben aufs<br />

Spiel gesetzt, als er sich den Brü<strong>der</strong>n PASTOR ALTA<br />

<strong>und</strong> ALBERTO BALDO <strong>und</strong> den Pfarrmitglie<strong>der</strong>n von<br />

Tinambacan, Nord-Samar, Philippinen, anschloss.<br />

Ihr Kampf richtete sich darauf, den Abbruch einer<br />

mit Bäumen bedeckten Kalksteinformation zu verhin<strong>der</strong>n,<br />

um auf dem Gebiet <strong>der</strong> Pfarrgemeinschaft<br />

eine nachhaltige ökologische Vielfalt zu erhalten.<br />

Eine jüngste interfranziskanische Kampagne gegen<br />

den APEC-Gipfel 1996 auf den Philippinen betonte<br />

die beständige Notwendigkeit, die Verschlechterung<br />

<strong>der</strong> Umweltsituation aus einer mehr die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> einschließenden Perspektive zu sehen.<br />

In einer hoch industrialiserten Region Polens hat<br />

die franziskanische Gemeinschaft das Musikfestival<br />

ECOSONG etabliert, das einer Gegend Hoffnung<br />

bringen möchte, die voll ist von Spuren einer 50<br />

Jahre dauernden, unfähigen staatlichen Herrschaft.<br />

In Makarska, Kroatien, hat JURE RADIC (1920-<br />

1990) von <strong>der</strong> Franziskanerprovinz von Split nach<br />

Jahren <strong>der</strong> wissenschaftlichen Erforschung <strong>der</strong> Flora<br />

<strong>und</strong> Fauna Südkroatiens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Adriatischen Meeres<br />

1963 ein Seemuseum gegründet. Er sammelte<br />

auch zahlreiche Meeresmuscheln aus <strong>der</strong> ganzen<br />

Welt <strong>und</strong> begann ein beeindrucken<strong>des</strong> Herbarium<br />

<strong>und</strong> eine paläontologische Sammlung. Als Professor<br />

für Liturgie, als Wissenschaftler <strong>und</strong> Franziskanerbru<strong>der</strong><br />

glaubte er fest an die Notwendigkeit, Gottes<br />

Schöpfung zu bewahren. Um das Bewusstsein für<br />

diese Themen zu wecken, gründete er auch das<br />

sogenannte Berg- <strong>und</strong> Seeinstitut, das viele wissenschaftlichen<br />

Konferenzen organisiert <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en<br />

internationalen wissenschaftlichen Instituten<br />

zusammenarbeitet.<br />

An <strong>der</strong> Grenze zwischen Mexiko <strong>und</strong> den USA<br />

haben JOE BAUR, LUIS BALDONADO, LIZ CUMMINS<br />

gemeinsam mit an<strong>der</strong>en Laien ein Projekt erarbeitet,<br />

das als SWEEP o<strong>der</strong> Southwest Environmental<br />

Equity Projekt bekannt ist, um eine Gesetzgebung<br />

zu verhin<strong>der</strong>n, die Unternehmen erlaubt, giftige<br />

Abfälle abzulagern, ohne die Orte gründlich vorzubereiten.<br />

Viele dieser giftigen Müllablagerungen<br />

befinden sich neben afro-amerikanischen <strong>und</strong><br />

hispanischen Ansiedlungen entlang <strong>der</strong> Grenze<br />

zwischen Mexiko <strong>und</strong> den USA. Die Bewohner<br />

werden nicht auf die bestehenden Gefahren hingewiesen<br />

<strong>und</strong> es fehlt ihnen die politische Macht, die<br />

Auswahl <strong>der</strong> Orte zu beeinflussen. Die Verbreitung<br />

89


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

von Krebs <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Krankheiten ist in diesen<br />

Gegenden höher als im Bevölkerungsdurchschnitt.<br />

SWEEP bringt weiterhin Kirchenleute aus Phoenix<br />

dazu, Familien in Nogales, Arizona, zu besuchen,<br />

wo die Verbreitung von Krebs <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Krankheiten<br />

beständig dokumentiert worden ist. Die<br />

Einglie<strong>der</strong>ung von Themen sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

in die mehr traditionelle „grüne Bewegung“ ist<br />

ein bemerkenswertes Beispiel von SWEEP’s franziskanischem<br />

Kern.<br />

In Appalachien, Kentucky, USA, war MAYNARD<br />

TETREAULT ein führen<strong>der</strong> Anwalt für die lokale<br />

Bevölkerung in ihrem Kampf um Umweltgerechtigkeit.<br />

Von dem Rest <strong>der</strong> Vereinigten Staaten durch<br />

die Bergkette <strong>der</strong> Appalachen getrennt, war die<br />

Bevölkerung von Appalachien oft alleingelassen<br />

worden, sich gegen starke Bergbauinteressen zu<br />

wehren. Der Tagebau führte zu einer Verschlechterung<br />

eines Großteils <strong>des</strong> einst unverdorbenen Ökosystems<br />

von Appalachien. Die Abhängigkeit eines<br />

hohen Prozentsatzes <strong>der</strong> einheimischen Bevölkerung<br />

von <strong>der</strong> Kohleindustrie führte ebenso zu sozialen<br />

<strong>und</strong> ökonomischen Problemen. Maynard <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>e arbeiten daran, die Gegend mit umweltverträglicher<br />

Industrie zu versorgen <strong>und</strong> die so zahlreichen<br />

natürlichen Resourcen <strong>der</strong> Gegend zu<br />

schützen.<br />

In einer verarmten hispanischen Gemeinde in<br />

Oakland, Kalifornien, USA, hat KEITH WARNER<br />

sich bemüht, das Bewusstsein für die wechselseitige<br />

Abhängigkeit zwischen Umweltverschmutzung <strong>und</strong><br />

Armut auf <strong>der</strong> Welt zu wecken. „Menschen werden<br />

sich nicht um die tropischen Regenwäl<strong>der</strong> in Brasilien<br />

o<strong>der</strong> Mikronesien sorgen“, sagt Keith, „solange<br />

sie kein Gespür für einen Zusammenhang mit ihrer<br />

lokalen Situation haben.“ Leute vom Land hatten<br />

ein größeres Verständnis für die Bewirtschaftung<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>. Mit <strong>der</strong> erschreckenden Umsiedlung<br />

von Menschen von ländliche in städtische Gebiete<br />

heute, haben die Menschen jene Beziehung zur<br />

Natur verloren. Keith glaubt, dass man den städtischen<br />

Menschen ein Gespür für die Gaben <strong>der</strong><br />

Natur vermitteln kann durch kleine Schritte, wie<br />

Gemeinschaftsgärten, Recycling, das Pflanzen von<br />

Bäumen. So kann eine mehr praktische <strong>und</strong> ganzheitliche<br />

Umweltethik erreicht werden. Kürzlich hat<br />

die Stadt Oakland eine Kampagne begonnen, um<br />

die Entsorgung verbrauchten Motorenöls in das<br />

90<br />

städtische Abwassersystem, eine sehr gebräuchliche<br />

Praxis in <strong>der</strong> Nachbarschaft <strong>des</strong> St. Elisabeth-<br />

Klosters, zu bekämpfen. In seinem Bemühen, das<br />

Motoröl-Recycling zu för<strong>der</strong>n, hat Keith eine<br />

Modellstraße hinter <strong>der</strong> Kirche St. Elisabeth aufgebaut,<br />

wo die Kin<strong>der</strong> <strong>des</strong> Ortes Zeugen werden,<br />

welchen Einfluss die Entsorgung <strong>des</strong> Motorenöls<br />

auf die gesamte Gegend <strong>der</strong> San Francisco Bucht<br />

hat. „In einem armen Stadtteil wie diesem, <strong>der</strong> sich<br />

zusammensetzt aus Menschen von El Salvador,<br />

Mexiko <strong>und</strong> vielen Fremden ohne Pass, hat die<br />

Stadtverwaltung einfach nicht den Respekt, die<br />

strukturellen Möglichkeiten <strong>und</strong> die sprachlichen<br />

Fähigkeiten, das Problem anzupacken“, sagt<br />

Keith. „Die Menschen <strong>der</strong> Nachbarschaft fürchten<br />

die Regierung, vor allen den Einwan<strong>der</strong>ungs- <strong>und</strong><br />

Immigrationsdienst, <strong>und</strong> haben wenig Zeit für die<br />

Belange <strong>der</strong> Umwelt, mit denen sich die reichen<br />

Nordkalifornier beschäftigen.“<br />

Allzu oft haben politische <strong>und</strong> ökonomische Angelegenheiten<br />

Vorrang vor den Belangen <strong>der</strong> Umwelt<br />

<strong>und</strong> den Rechten <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung. Inmitten<br />

<strong>des</strong> politischen Aufruhrs in Israel hat <strong>der</strong><br />

vormalige Kustos <strong>des</strong> Heiligen Lan<strong>des</strong>, GIUSEPPE<br />

NAZZARO, versucht, Pläne zu bekämpfen, welche<br />

die Konfiszierung großer Landflächen in <strong>der</strong> Nähe<br />

von Betlehem vorsahen, um ein großangelegtes,<br />

luxuriöses Touristenzentrum zu bauen. Seit 1967 ist<br />

mehr als 60% <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>der</strong> Region von <strong>der</strong> israelischen<br />

Regierung konfisziert <strong>und</strong> zur Militärzone<br />

erklärt worden. Betlehem ist inzwischen fast völlig<br />

von jüdischen Siedlungen <strong>und</strong> Umgehungsstraßen<br />

umgeben. Touristenbusse bewegen sich rasch in<br />

die Stadt <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> heraus <strong>und</strong> verhin<strong>der</strong>n einen<br />

Kontakt mit den ortsansässigen Christen. In einem<br />

bereits explosiven politischen Umfeld bedeutet die<br />

weitere Konfiszierung von Land den Verlust <strong>des</strong><br />

Lebensunterhaltes für einige tausend Familien,<br />

die Zerstörung von sehr altem Siedlungsgebiet <strong>des</strong><br />

palästinensischen Volkes <strong>und</strong> größeren Wi<strong>der</strong>stand<br />

gegenüber dem zerbrechlichen <strong>Friedens</strong>prozess.<br />

In an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, in denen ein politischer Wandel<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat, findet sich ein wachsen<strong>des</strong><br />

Gespür für Umweltgerechtigkeit. In Südafrika<br />

bedeutete das Apartheidsystem, dass große Landstriche<br />

für profitable Naturparks <strong>und</strong> Siedlungen<br />

<strong>der</strong> Weißen reserviert wurden, während die Homelands<br />

<strong>der</strong> Stämme <strong>und</strong> die Barackensiedlungen <strong>der</strong>


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

schwarzen Mehrheit in einem Zustand völliger<br />

Verwahrlosung gelassen wurden. Ein Projekt mit<br />

dem Ziel, den schwarzen Kommunen bei <strong>der</strong><br />

Bekämpfung <strong>der</strong> Abforstung durch die Pflanzung<br />

schnell wachsen<strong>der</strong> Gehölze wie Eukalyptusbäume<br />

zu helfen, zeigt jetzt seine schlimmen Auswirkungen<br />

auf die lokale Umwelt. In einem Land, das für seinen<br />

Wassermangel bekannt ist, kann ein Hain von<br />

100 Eukalyptusbäumen täglich über 50.000 Liter<br />

Wasser absorbieren <strong>und</strong> so die umliegenden Gebiete<br />

in eine tatsächliche Wüste verwandeln. CRISPIN<br />

CLOSE war bis zu seinem Tod Wegbereiter in dem<br />

Bemühen, die Haine <strong>der</strong> Eukalyptusbäume zu fällen<br />

<strong>und</strong> sie durch verschiedene, einheimische Bäume<br />

zu ersetzen, die aus Samen wachsen.<br />

In an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n quer über den Globus för<strong>der</strong>n<br />

Brü<strong>der</strong> die Erhaltung einheimischer Pflanzen <strong>und</strong><br />

alter Bebauungstechniken als den besten Weg, um<br />

Kleinbauern in ihrem Kampf gegen Regierungen<br />

zu unterstützen, die weite Flächen Land in Anbaugebiete<br />

für Monokulturen verwandeln wollen.<br />

In Papua-Neuguinea haben die Brü<strong>der</strong> gegen die<br />

Zunahme <strong>der</strong> Monokultur durch Palmölplantagen<br />

protestiert. Die Bäume werden wegen ihrer Frucht<br />

angebaut, <strong>der</strong>en Fleisch <strong>und</strong> Samen Öl liefern, das<br />

auf ausländische Märkte verkauft wird. Wie<strong>der</strong> einmal<br />

ist die ökologische Vielfalt <strong>der</strong> Gegend <strong>und</strong> die<br />

Lebensgr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> einheimischen Bevölkerung<br />

durch diese Art nicht umweltverträglicher Entwicklung<br />

bedroht.<br />

Das Atrisco Environmental Learning Projekt<br />

(AELP) ist ein gemeinnütziges Nachschul- <strong>und</strong><br />

Sommerprogramm, das bei <strong>der</strong> Pfarrei <strong>der</strong> Heiligen<br />

Familie in Albuquerque, New Mexico, USA, angesiedelt<br />

ist. JACK CLARK ROBINSON, Pfarrer <strong>der</strong><br />

Pfarrei Heilige Familie, half, das AELP aufzubauen,<br />

als eine praktische Weise, den sich rasch verän<strong>der</strong>nden<br />

Familienleben <strong>und</strong> -strukturen in <strong>der</strong> umgebenden<br />

hispanischen Gemeinde zu begegnen. Kin<strong>der</strong>,<br />

Jugendliche <strong>und</strong> Großeltern kommen zusammen,<br />

um einen schattigen Garten <strong>und</strong> ein Gewächshaus<br />

zu bauen <strong>und</strong> zu unterhalten. Projektleiterin BER-<br />

NADETTE ORTEGA stellt fest: „Indem sie an <strong>der</strong> Sorge<br />

für unseren Garten <strong>und</strong> seiner Erhaltung teilhaben,<br />

lernen junge <strong>und</strong> alte Menschen mehr darüber,<br />

wie die Freigebigkeit <strong>der</strong> Natur uns versorgt, <strong>und</strong><br />

über die Notwendigkeit, die heimischen Überlieferungen<br />

zu erhalten, die vor <strong>der</strong> Industrialiserung<br />

das South Valley von Albuquerque zu einem fruchtbaren<br />

Ort gemacht hatten. AELP ermöglicht es<br />

ökonomisch <strong>und</strong> sozial benachteiligten Jugendlichen,<br />

in ein positives, Selbstachtung aufbauen<strong>des</strong><br />

Erziehungsprogramm einbezogen zu werden, wobei<br />

es sich an einige <strong>der</strong> sozialen <strong>und</strong> kulturellen Belange<br />

<strong>der</strong> Nachbarschaft wendet. Das letztliche Ziel<br />

unseres Programms“, sagt Bernadette, „liegt darin,<br />

Kin<strong>der</strong>n die gr<strong>und</strong>legenden Philosophien <strong>der</strong> Achtung,<br />

<strong>der</strong> Sorge <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mitgefühls zu vermitteln.<br />

In <strong>der</strong> Entwicklung dieser gr<strong>und</strong>legenden menschlichen<br />

Werte, meinen wir, werden die Kin<strong>der</strong> lernen,<br />

Achtung vor sich, vor ihrer Umwelt <strong>und</strong> vor<br />

jeden an<strong>der</strong>en zu haben.“<br />

Generalkonstitutionen<br />

Artikel 9,1 u. 4: Die ehelose Keuschheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />

schließt ein „ungeteiltes Herz“ mit ein, das „auf die<br />

Sache <strong>des</strong> Herrn bedacht“ ist (1). Die Brü<strong>der</strong> sollen<br />

„die Geschöpfe in Demut <strong>und</strong> Ehrfurcht anschauen,<br />

im Bewusstsein, dass sie zur Verherrlichung<br />

Gottes geschaffen sind“ (4).<br />

Weitere Hinweise: Artikel 20,1-2; 127,3; 131,1.<br />

91


■ Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung / <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Umwelt<br />

Fragen für die Diskussion<br />

1. Was sind die größten Gefährdungen <strong>der</strong><br />

Umwelt in deiner Stadt, in deinem Land,<br />

auf <strong>der</strong> Welt?<br />

2. Was hast du persönlich, was deine örtliche<br />

Gemeinschaft <strong>und</strong> was deine Provinzgemeinschaft<br />

im Hinblick auf Frage 1 getan?<br />

3. Nutzt deine örtliche Gemeinschaft das<br />

Recycling, wann immer es möglich ist?<br />

4. Sind Fragen <strong>der</strong> Umweltgerechtigkeit in<br />

deiner apostolischen Tätigkeit (täglichen<br />

Aufgaben, Gesprächen, Predigten usw.)<br />

berücksichtigt?<br />

5. Viele Menschen betrachten den hl. Franziskus<br />

als einen prominenten Verbündeten in ihren<br />

Bemühungen um Umweltgerechtigkeit.<br />

Unterstützt du dies? Auf welche Weise?<br />

6. Verwen<strong>des</strong>t du in deiner apostolischen Tätigkeit<br />

ökologische Beispiele, um die Tatsache<br />

zu unterstreichen, dass alle Menschen auf<br />

diesem Planeten miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en<br />

sind? Hast du jemals den SONNENGESANG<br />

in einem öffentlichen Gebet verwendet, um<br />

diese Tatsache zu unterstreichen?<br />

7. Hast du das Gefühl, dass ihr, du persönlich<br />

<strong>und</strong> deine Gemeinschaft, genügend Gespür<br />

für <strong>und</strong> Wissen um ökologische Probleme<br />

habt? Erachtest du die Teilnahme von Franziskanern<br />

an Aktionen <strong>und</strong> Bewegungen auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> Ökologie für angemessen?<br />

92<br />

8. Was wür<strong>des</strong>t du in deinem Leben <strong>und</strong> in<br />

dem Leben deiner Gemeinschaft hinsichtlich<br />

<strong>des</strong> Gespürs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verantwortlichkeit für<br />

Ökologie kritisieren: den übertriebenen<br />

Verbrauch von Energie, die Zerstörung von<br />

Materialien, die recycelt werden könnten?<br />

Denkst du, dass ein je<strong>der</strong> von uns in gleicher<br />

Weise schuldig ist an Konsumismus <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

so genannten Entwicklung?<br />

9. Vom Standpunkt <strong>der</strong> Option für die Armen<br />

aus gesehen, welche Schritte könnten wir<br />

unternehmen zu einer wirksameren Verantwortlichkeit<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Ökologie?<br />

10. Glaubst du, dass das heutige Bewusstsein<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Ökologie eine neue Lektüre<br />

<strong>des</strong> SONNENGESANGS verlangt? Deine Gemeinschaft<br />

könnte dieses Gebet mit einem Kommentar<br />

aus <strong>der</strong> Sicht eines <strong>der</strong> Themen dieses<br />

Kapitels gemeinsam lesen.


Leben


■ Leben<br />

Leben<br />

Ein großer Teil <strong>der</strong> Menschen lebt noch in Not,<br />

Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Unterdrückung; darum sollen<br />

die Brü<strong>der</strong> sich mit allen Menschen guten Willens<br />

für die Erneuerung <strong>der</strong> Gesellschaft zu <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Befreiung <strong>und</strong> Frieden im auferstandenen Christus<br />

einsetzen, die Ursachen <strong>der</strong> einzelnen Situationen<br />

durchdenken <strong>und</strong> sich entsprechend an Unternehmungen<br />

<strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> internationalen<br />

Solidarität beteiligen.<br />

<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Art. 96,2<br />

Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus ...<br />

Weil Franziskus die ganze Schöpfung auf den<br />

Schöpfer zurückführte (2 Cel 165), war <strong>der</strong> Arme<br />

aus Assisi ein gr<strong>und</strong>legend froher Mensch. Nur<br />

Sünde sollte ihn betrüben, aber auch dann sollten<br />

die Brü<strong>der</strong> nicht über die Sünde <strong>des</strong> an<strong>der</strong>en zornig<br />

werden (BReg 7). Im Gegensatz zu den Albigensern,<br />

die den Geist als gut, die Materie als schlecht<br />

ansahen, betrachtete Franziskus die gesamte Schöpfung<br />

als von Gott gesegnet. Daher drängte Franziskus<br />

die Menschen, die Sakramente zu empfangen,<br />

sichtbare Zeichen <strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> Gnade Gottes<br />

(BrGl II,22). Der Poverello sang manchmal auf<br />

Französisch <strong>und</strong> verwendete einmal zwei Holzstücke,<br />

um Geige <strong>und</strong> Bogen zu imitieren<br />

(2 Cel 127).<br />

Da Franziskus zuerst lebte, was er predigte, konnte<br />

er vertrauensvoll predigen, die zuvor verhärteten<br />

Herzen zur Buße bewegen <strong>und</strong> ihnen Ges<strong>und</strong>heit<br />

für Seele <strong>und</strong> Leib verleihen (LegMai XII,8).<br />

Celanos MIRAKELBUCH (3 Cel) erinnert nur an<br />

wenige W<strong>und</strong>er, die Franziskus gewirkt hat o<strong>der</strong> die<br />

seiner Fürbitte zugeschrieben werden. Franziskus<br />

behandelte kranke Menschen immer mit großem<br />

Mitgefühl.<br />

Und Franziskus bedrängte die Brü<strong>der</strong>, „sie mögen<br />

sich hüten, sich nach außen hin traurig <strong>und</strong> wie<br />

düstere Heuchler zu zeigen; sie sollen sich vielmehr<br />

als solche zeigen, die sich im Herrn freuen <strong>und</strong><br />

heiter <strong>und</strong> liebenswürdig sind, wie es sich geziemt“<br />

(NbReg 7,16). Gegen Ende seines Lebens sagte<br />

Franziskus: „Brü<strong>der</strong>, nun wollen wir anfangen,<br />

Gott dem Herrn zu dienen; denn bis jetzt haben<br />

wir kaum, sogar wenig – nein, gar keinen Fortschritt<br />

gemacht“ (1 Cel 103). Franziskus schrieb<br />

einem Minister, <strong>der</strong> Schwierigkeiten mit gewissen<br />

Brü<strong>der</strong>n hatte: „Es darf keinen Bru<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Welt<br />

geben, mag er auch gesündigt haben, soviel er nur<br />

sündigen konnte, <strong>der</strong> deine Augen gesehen hat <strong>und</strong><br />

dann von dir fortgehen müsste ohne dein Erbarmen,<br />

wenn er Erbarmen sucht. Und sollte er nicht<br />

Erbarmen suchen, dann frage du ihn, ob er Erbarmen<br />

will“ (BrMin 9-10). Erbarmen, Buße <strong>und</strong><br />

Werke <strong>des</strong> Mitgefühls hielten die Liebe <strong>des</strong> Franziskus<br />

zum Leben sehr lebendig.<br />

Franziskanische Perspektiven<br />

Der britische Autor G.K. Chesterton hat beobachtet,<br />

dass ein Teil <strong>des</strong> Genius <strong>des</strong> Franziskus von<br />

Assisi in <strong>der</strong> Art <strong>und</strong> Weise bestand, wie er sich<br />

auf die konkrete Person vor sich konzentrierte.<br />

Es war ein Zeichen seiner Höflichkeit, dass<br />

Franziskus niemals eine Person wegen einer an<strong>der</strong>en<br />

ignorierte, son<strong>der</strong>n einer jeden seine Aufmerksamkeit<br />

schenkte <strong>und</strong> ihre Bedeutung würdigte – vom<br />

Aussätzigen bis zum Sultan, von Frau Jacoba bis<br />

zum Bettler. In seinem bekannten SONNENGESANG<br />

zeigte Franziskus, dass seine Aufmerksamkeit <strong>und</strong><br />

Achtung nicht nur den Menschen galt, son<strong>der</strong>n<br />

allen Aspekten <strong>der</strong> Schöpfung. Und <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><br />

für die Haltung <strong>des</strong> Franziskus gegenüber an<strong>der</strong>en<br />

liegt genau darin, dass Gott sie geschaffen hat<br />

<strong>und</strong> dass Gott durch sie gepriesen werden<br />

konnte.<br />

95


■ Leben<br />

Die poetische Intuition <strong>und</strong> die kreative Einsicht<br />

<strong>des</strong> Franziskus wurden von einem an<strong>der</strong>en Genius<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Tradition aufgegriffen.<br />

Bonaventura baut in <strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong> philosophischen<br />

<strong>und</strong> theologischen Gr<strong>und</strong>lagen seines<br />

Denkens auf <strong>der</strong> spirituellen Erfahrung <strong>des</strong> Franziskus<br />

auf. Ein Bild <strong>der</strong> Schöpfung , das Bonaventura<br />

während seines Lebens durchgängig verwendete,<br />

war dem Buch Kohelet (1,7) entnommen: eine<br />

kleine Quelle lässt einen Fluss entspringen, <strong>der</strong> das<br />

Land durchfließt <strong>und</strong> dann zu seinem Ausgangspunkt<br />

zurückkehrt. Für Bonaventura kommt alles<br />

Leben aus einer göttlichen Quelle, geht von Gott<br />

aus, um Frucht zu bringen, <strong>und</strong> kehrt dann zu Gott<br />

zurück. In Bonaventuras System wird den vielen<br />

Geschaffenen durch den Einen Ungeschaffenen<br />

Existenz verliehen (Emanation, Hervorgang);<br />

die Geschöpfe geben für ihren Schöpfer Zeugnis<br />

(Abbildhaftigkeit) <strong>und</strong> werden zu ihrem Schöpfer<br />

zurückgeführt (Vollendung). Als solche ist die<br />

gesamte Schöpfung, beson<strong>der</strong>s die belebte Schöpfung,<br />

als wertvoll zu verstehen, weil alle Schöpfung<br />

aus Gott, dem höchsten Wert, stammt, o<strong>der</strong> wie<br />

Franziskus im Gebet formuliert, dem „Erhabensten“<br />

<strong>und</strong> „höchstem Gut“.<br />

Duns Scotus, <strong>der</strong> sich in Methode <strong>und</strong> Inhalt<br />

deutlich von Bonaventura unterscheidet, hat mit<br />

dem Doctor Seraphicus nichts<strong>des</strong>totrotz die<br />

Inspiration <strong>des</strong> Franziskus gemeinsam. Wie<br />

bekannt, prägt <strong>und</strong> dominiert bei Scotus nicht die<br />

Sünde, son<strong>der</strong>n die Güte die Sicht <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

Weil Gott frei ist, hat die Schöpfung keinen an<strong>der</strong>en<br />

Gr<strong>und</strong> zu sein, außer in <strong>der</strong> göttlichen Gnade.<br />

Gottes Liebe zeigt sich in <strong>der</strong> Schöpfung <strong>und</strong><br />

am deutlichsten in <strong>der</strong> Menschwerdung. All dies<br />

braucht nicht zu sein, son<strong>der</strong>n, dass etwas existiert,<br />

verdankt es allein <strong>der</strong> Liebe Gottes, die es in Existenz<br />

bringt. Sie gibt dem Existierenden eine<br />

Bedeutung <strong>und</strong> Würde, <strong>und</strong> daher ist die Heilsgeschichte<br />

die Geschichte, wie Gott in Freiheit mit<br />

beson<strong>der</strong>en Personen an konkreten Orten <strong>und</strong><br />

Zeiten ins Gespräch tritt. Das individuelle<br />

Geschöpf in <strong>der</strong> Einzigartigkeit seiner historischen<br />

Situation ist Teil <strong>der</strong> Geschichte von Gottes aktiver<br />

Gegenwart. Während natürlich die Inkarnation<br />

den Höhepunkt <strong>der</strong> Schöpfung darstellt, dient sie<br />

auch dazu, den Wert <strong>der</strong> geschaffenen Welt zu<br />

bekräftigen. Fleisch, Körperlichkeit, die historisch<br />

zufällige Materialität – dies ist nicht zu meiden,<br />

96<br />

son<strong>der</strong>n anzunehmen, wie Gott es annimmt.<br />

Scotus drückt seine Betonung mit dem Terminus<br />

HAECCEITAS aus, dem „unaustauschbaren So-Sein“<br />

einer Sache. HAECCEITAS, die etwas einzigartig <strong>und</strong><br />

verschieden von an<strong>der</strong>en macht, die seine Natur<br />

teilen, unterstreicht den Wert <strong>der</strong> kontingenten,<br />

speziellen Wirklichkeit, weil je<strong>des</strong> Wesen etwas<br />

besitzt, das es allein offenbaren kann.<br />

Bedrohungen <strong>und</strong> Ablehnungen<br />

<strong>des</strong> Wertes erschaffenen Lebens<br />

Mit seiner Betonung auf innere Würde <strong>und</strong> Wert<br />

je<strong>des</strong> Geschöpfes steht die franziskanische Sicht<br />

<strong>des</strong> Lebens in scharfen Kontrast zu vielen an<strong>der</strong>en<br />

Anschauungen in unserer mo<strong>der</strong>nen Welt. Einige<br />

dieser alternativen Sichtweisen stehen in direkten<br />

Gegensatz zur franziskanischen Sicht; an<strong>der</strong>e sind<br />

Verzerrungen <strong>und</strong> Übertreibungen von Anschauungen,<br />

die in sich betrachtet, dem Leben dienen.<br />

Jede Sicht stellt, implizit o<strong>der</strong> explizit, eine Hierarchie<br />

von Werten vor. Menschliches Handeln spiegelt<br />

normalerweise die praktischen Werte wi<strong>der</strong>,<br />

die eine Person o<strong>der</strong> eine Kultur anwendet. Wichtig<br />

für das Verständnis ist, dass man auf die praktizierten<br />

(nicht die bek<strong>und</strong>eten) Werte schaut, weil<br />

viele Menschen in <strong>der</strong> Theorie christliche, auch<br />

spezifisch franziskanische Werte gutheißen. Doch<br />

das moralische Handeln einer Person <strong>und</strong> <strong>der</strong> aktuell<br />

von einer Kultur bewahrte Wert unterscheiden<br />

sich beträchtlich von den bek<strong>und</strong>eten Werten. Das<br />

ist nicht nur eine Frage <strong>der</strong> Heuchelei (eine Sache<br />

zu sagen <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>e zu tun) o<strong>der</strong> moralischer<br />

Schwäche (nicht den eigenen Ansprüchen gerecht<br />

werden), son<strong>der</strong>n moralischer Blindheit (nicht<br />

selbstkritisch genug zu sein, um die Diskrepanz<br />

zwischen Glauben <strong>und</strong> Handeln wahrzunehmen).<br />

Das Heilmittel liegt nicht darin, die Menschen zu<br />

schelten <strong>und</strong> zu verurteilen, son<strong>der</strong>n ihnen beizustehen,<br />

in ihrem eigenen Leben <strong>und</strong> in ihren Gesellschaften<br />

die Kräfte aufzudecken, die wirklich Verhalten<br />

lenken <strong>und</strong> motivieren. Es folgt ein Kommentar<br />

auf einige <strong>der</strong> problematischsten Anschauungen,<br />

die in unserer Welt wirksam sind.


■ Leben<br />

Perfektionismus<br />

Diese Sicht <strong>des</strong> Lebens legt großes Gewicht auf den<br />

Wert <strong>des</strong> Lebens, insofern es keine Hin<strong>der</strong>nisse <strong>und</strong><br />

Rückschläge für Erfolg, Popularität <strong>und</strong> Autonomie<br />

hat. Konfrontiert mit den Unvollkommenheiten<br />

<strong>der</strong> menschlichen Existenz kann diese Weltsicht<br />

nicht mehr die gr<strong>und</strong>legende Güte <strong>und</strong> Würde <strong>der</strong><br />

geschaffenen Ordnung akzeptieren. So werden<br />

Schwäche <strong>und</strong> Krankheit angesehen, als würden sie<br />

Menschen ihrer Würde berauben, ihre Rolle im<br />

sozialen Leben an den Rand drängen, sie unserer<br />

Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Bedeutung unwürdig machen.<br />

Die Behandlung eines Kranken, beson<strong>der</strong>s eines<br />

Sterbenden, spiegelt oft das Unbehagen wi<strong>der</strong>, das<br />

Menschen spüren, wenn sie mit dem Schwinden<br />

von Kraft <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit konfrontiert sind. Bewegungen<br />

in vielen Gesellschaften für einen vom Arzt<br />

begleiteten Suizid o<strong>der</strong> für eine Gesetzgebung <strong>des</strong><br />

Rechts auf den eigenen Tod können ein Spiegelbild<br />

<strong>der</strong> Unfähigkeit sein, ein Leben zu unterstützen, das<br />

es trotz Schmerz <strong>und</strong> Leid wert ist, gelebt zu werden.<br />

Im Bewusstsein mancher Menschen ist Leben<br />

nur dann lebenswert, wenn eine(r) die Kontrolle<br />

über ihren (seinen) Körper hat <strong>und</strong> keine physischen<br />

Begrenzungen erfährt.<br />

Die Bedeutung <strong>des</strong> Ansehens führt in mo<strong>der</strong>nen<br />

Kulturen oft zu übertriebenen Ausgaben <strong>und</strong><br />

Anstrengungen, um physische Schönheit zu erreichen<br />

<strong>und</strong> zu erhalten. Wir verbannen jene, die<br />

beeinträchtigt <strong>und</strong> nicht ansprechend sind, an die<br />

Rän<strong>der</strong> unseres Lebens; es kann viel leichter sein,<br />

Menschen behilflich zu sein, die dem kulturellen<br />

Standard von Schönheit <strong>und</strong> Attraktivität entsprechen.<br />

Oft sind junge Menschen vom Traum gefangen,<br />

zeitlose Schönheit erreichen zu können, <strong>und</strong><br />

tendieren dazu, an<strong>der</strong>e (vor allem <strong>der</strong> gleichen<br />

Gruppe) allein auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> physischen<br />

Aussehens zu bewerten. Hinsichtlich <strong>der</strong> Natur<br />

besteht die Versuchung einer „Disney-fikation“ <strong>der</strong><br />

Umwelt. Diese besteht in dem hartnäckigen Drang,<br />

die Natur „nett“ zu machen, indem man sie von<br />

allem befreit, was für einen urbanen Touristen nicht<br />

harmonisch, gefällig <strong>und</strong> bequem ist. Viele arme<br />

Nationen versuchen, ausländischen Besuchern zu<br />

gefallen, indem sie Elemente ihrer natürlichen<br />

Umwelt entfernen o<strong>der</strong> umgestalten, die Außenstehende<br />

nicht anziehen. Insekten, wilde Tiere,<br />

steile Hügel <strong>und</strong> Berge, wechselnde Küstenverläufe,<br />

einheimisches Brauchtum <strong>und</strong> ebensolche Ernährungsweise<br />

kann alles dem Ziel einer vom Menschen<br />

auferlegten Homogenität geopfert werden,<br />

die Erholung suchenden Reisenden vertraut <strong>und</strong><br />

bequem ist.<br />

Ein moralischer Perfektionismus kann uns davon<br />

abhalten, jene zu achten <strong>und</strong> zu lieben, die Süchten<br />

verfallen sind, einen problematischen Lebensstil<br />

angenommen o<strong>der</strong> schlimme Taten vollbracht<br />

haben. Es ist leicht, Beurteilung von Verhalten in<br />

Verurteilung von Personen zu verwandeln. Solche<br />

Verurteilungen können dann dahingehend ausgedehnt<br />

werden, Verurteilten die Rechte abzusprechen,<br />

z.B. durch ungerechte Verhaftung, Unterdrückung<br />

<strong>und</strong> Ausgrenzung, Folter <strong>und</strong> To<strong>des</strong>strafe.<br />

In all unserem Umgang mit Personen, selbst mit<br />

denen, die nicht bereit sind, Umkehr zu suchen,<br />

müssen wir die Maxime beherzigen, die Sünde zu<br />

hassen, aber niemals den Sün<strong>der</strong>.<br />

Franziskaner, die sich ihrer eigenen Gebrechlichkeit<br />

<strong>und</strong> Schwäche bewusst sind <strong>und</strong> dennoch wissen,<br />

dass sie von Gott geliebt sind, müssen bereit sein,<br />

ihre Liebe auf alles Leben auszudehnen, auch wenn<br />

es ihnen in solchen Formen begegnet, die die unerfüllte<br />

Verheißung <strong>und</strong> Hoffnung darstellen, die<br />

Gott erst in Zukunft zur Vollendung zu bringen<br />

verspricht.<br />

Rationales Nutzendenken<br />

In einer Zeit außerordentlicher, wissenschaftlicher<br />

Leistungen, in <strong>der</strong> W<strong>und</strong>erwerke <strong>der</strong> Technik auf<br />

den verschiedensten Fel<strong>der</strong>n vollbracht wurden,<br />

besteht das Risiko, dass eine Denkweise, die für eine<br />

Dimension <strong>des</strong> Lebens angemessen war, auf an<strong>der</strong>e<br />

Fel<strong>der</strong> ausgedehnt wird, für die sie weniger geeignet<br />

ist. Es gibt einen legitimen Sinn, in dem Elemente<br />

<strong>der</strong> geschaffenen Ordnung als Mittel verwendet<br />

werden, um ein höheres Gut zu erreichen. Aber<br />

wenn wir an<strong>der</strong>es nur aus <strong>der</strong> Perspektive betrachten,<br />

wie es unseren Zwecken dienlich ist, dann können<br />

wir Reichtum <strong>und</strong> Schönheit <strong>der</strong> Menschen<br />

<strong>und</strong> Dinge in sich selbst nicht begreifen.<br />

Eine beständige Gefahr im moralischen Leben liegt<br />

darin, dass wir uns selbst in die Mitte <strong>der</strong> Existenz<br />

97


■ Leben<br />

stellen. Unser menschliches Ego mag uns überraschen<br />

durch seinen Einfallsreichtum, sich selbst<br />

unter verschiedenen Gestalten im Laufe unseres<br />

Lebens zu behaupten. Genau <strong>des</strong>wegen, weil<br />

Franziskus eine christozentrische Sicht <strong>der</strong> Welt<br />

annahm, sollten wir fähig sein, wirksamer dem<br />

ständigen Drängen <strong>des</strong> Ego zu wi<strong>der</strong>stehen, uns<br />

selbst in die Mitte aller Dinge zu stellen. Dies<br />

meint, dass ein rationales Nutzendenken, das alle<br />

Dinge nach dem Vorteil, zu dem sie mir nützlich<br />

sind, beurteilt, nicht die vorherrschende Denkweise<br />

sein sollte. Doch rationales Nutzendenken<br />

beherrscht das Denken von Einzelnen <strong>und</strong> von<br />

Gruppen.<br />

Echte Fre<strong>und</strong>schaft ist eine Beziehung, die in<br />

einem Leben, das von rationalen Nutzendenken beherrscht<br />

wird, in Gefahr geraten kann. In vielen<br />

heutigen Gesellschaften sind jene erfolgreiche<br />

Individuen, die sich gut mit an<strong>der</strong>en zu „vernetzen“<br />

vermögen. Ob in Geschäft, im Verwaltungsdienst,<br />

den Künsten o<strong>der</strong> den Berufen, es wird großes<br />

Gewicht auf die Schaffung einer Reihe von Kontakten<br />

o<strong>der</strong> Verbündeten gelegt, die um Hilfe gebeten<br />

werden können. Fre<strong>und</strong>schaft hat Freude an <strong>der</strong><br />

Existenz <strong>des</strong> an<strong>der</strong>en als einer Präsenz im Leben<br />

eines Menschen. Rationales Nutzendenken sieht<br />

den an<strong>der</strong>en als ein Mittel, um bestimmte Zwecke<br />

zu erreichen; wenn <strong>der</strong> Zweck einmal erreicht ist,<br />

verän<strong>der</strong>t sich die Beziehung, weil die Basis <strong>der</strong><br />

Beziehung niemals die gegenseitige Sorge <strong>und</strong><br />

Freude war, die Fre<strong>und</strong>schaft begleitet. Es ist nicht<br />

zutreffend, dass rationales Nutzendenken einfach<br />

schlecht ist. Wenn es zur dominanten Denkweise<br />

wird, dann kann es gr<strong>und</strong>legende Beziehungen<br />

verzerren, die auf einer an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>lage laufen<br />

sollten.<br />

Auf Gesellschaft bezogen ist rationales Nutzendenken<br />

eindeutig eine anthropozentrische Haltung,<br />

welche den Menschen als den einzigen Wertmaßstab<br />

in <strong>der</strong> Schöpfung ansieht. Alles an<strong>der</strong>e muss<br />

dem Menschen dienen, ohne Rücksicht auf seinen<br />

je inneren Wert als Geschöpf, den es – abgesehen<br />

vom menschlichen Nutzen – besitzt. Eine Ökologie<br />

<strong>des</strong> Verwaltens kann durch Anthropozentrismus<br />

verführt werden, wenn man sich um die Umwelt<br />

nicht sorgt, weil sie Gott gehört, son<strong>der</strong>n einfach<br />

weil es dem menschlichen Wohlergehen dient, einige<br />

natürliche Resourcen zu erhalten. Zu oft for<strong>der</strong>t<br />

98<br />

uns die Sprache <strong>des</strong> Verwaltens auf, wegen unserer<br />

eigenen Interessen auf lange Sicht zu handeln,<br />

die Güter <strong>der</strong> Erde klug zu verwenden, damit wir<br />

in Zukunft nicht in Probleme geraten, z.B. wegen<br />

Verschmutzung, Raubbau an den Ölresourcen o<strong>der</strong><br />

am Waldbestand. So betrachtet, ist es noch möglich,<br />

an die Umwelt nur unter dem Aspekt ihres<br />

Gebrauchs für den Menschen zu denken. Aber eine<br />

christozentrische Sicht ruft uns über das rationale<br />

Nutzendenken hinaus auf, in <strong>der</strong> geschaffenen Welt<br />

ihren inneren Wert zu erkennen, weil sie von Gott<br />

geschaffen, Teil <strong>des</strong> größeren Plans <strong>des</strong> Schöpfers ist<br />

<strong>und</strong> nicht einfach das Rohmaterial zur Verfügung<br />

<strong>der</strong> Verwalter, wie sie es wünschen.<br />

Logik <strong>des</strong> Marktes<br />

Keine Ideologie ist vielleicht so verallgemeinert,<br />

d.h. auf Bereiche ausgedehnt worden, für die sie<br />

nicht gedacht war, wie die <strong>des</strong> freien Marktes.<br />

Wie Johannes Paul II. angedeutet hat, kann ein<br />

richtig regulierter, aber freier Markt ein wirksames<br />

Mittel sein, um Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen zur<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Wohlergehens zu produzieren <strong>und</strong><br />

zu verteilen. Märkte können zu Kreativität, Unternehmertum,<br />

Vielfalt <strong>und</strong> Wohlstand ermutigen.<br />

Märkte ohne geeignete Beschränkungen können<br />

auch zu schädlichen Ungleichheiten, ökologischem<br />

Schaden, ruinösem Wettbewerb <strong>und</strong> zur Ausbeutung<br />

<strong>der</strong> Schwachen führen.<br />

Während man die Vorteile <strong>und</strong> die Risiken <strong>des</strong><br />

Marktes für das ökonomische Leben nicht leugnet,<br />

gibt es einen an<strong>der</strong>en Aspekt <strong>des</strong> Marktdenkens,<br />

den Franziskaner erkennen müssen: die Ausdehnung<br />

<strong>der</strong> Logik <strong>des</strong> Marktes auf an<strong>der</strong>e als den<br />

ökonomischen Bereich. Das Ergebnis ist ein Reduktionismus,<br />

die den Menschen nur als HOMO OECO-<br />

NOMICUS sieht <strong>und</strong> den Rest <strong>des</strong> Lebens als etwas,<br />

das nur als Ware einen Wert besitzt. Ein Kritiker<br />

hat es folgen<strong>der</strong>maßen ausgedrückt: „Der Markt<br />

kennt den Preis je<strong>der</strong> Sache, aber nicht den Wert<br />

einer einzigen.“ Eine Gefahr <strong>des</strong> Marktdenkens<br />

liegt darin, dass die Gesellschaft einen finanziellen<br />

Wert für Dinge festlegt, die nicht gekauft <strong>und</strong> verkauft<br />

werden sollten. Die politischen <strong>und</strong> bürgerlichen<br />

Freiheiten <strong>der</strong> Staatsbürger, die gr<strong>und</strong>legenden<br />

sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Güter, die für die


■ Leben<br />

menschliche Würde notwendig sind, Liebesbeziehungen<br />

in Familien <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaften, Ehre,<br />

Wahrhaftigkeit <strong>und</strong> Achtung unter den Menschen<br />

sollten nicht zum Kauf anstehen.<br />

Die Logik <strong>des</strong> Marktes kann das ästhetische Gespür<br />

auslöschen, das sich an Schönheit um ihrer selbst<br />

willen erfreut. Den Wert eines Gemäl<strong>des</strong>, die<br />

Gefälligkeit <strong>der</strong> Musik, die Ansicht eines Sonnenuntergangs<br />

über dem Wasser, den Rhythmus eines<br />

Gedichtes auf das zu reduzieren, wofür es auf dem<br />

Markt verkauft werden kann, verhin<strong>der</strong>t die Wertschätzung<br />

<strong>der</strong> Dinge auf Gr<strong>und</strong> ihres eigenen inneren<br />

Wertes. Eines <strong>der</strong> Geschenke dieser tieferen<br />

Betrachtungsweise besteht darin, dass sie im Subjekt<br />

die Fähigkeit för<strong>der</strong>t, Aspekte <strong>der</strong> Schöpfung in<br />

an<strong>der</strong>en Kategorien als <strong>der</strong> Marktnützlichkeit zu<br />

sehen. Gebet hat einen Wert in sich, unabhängig<br />

davon, was <strong>der</strong> Markt sagt. Es gibt viel mehr in <strong>der</strong><br />

franziskanischen Sicht, das geschätzt <strong>und</strong> geachtet<br />

wird, nicht weil es Geld wert ist, son<strong>der</strong>n weil es<br />

Gott die Ehre gibt <strong>und</strong> unsere Wertschätzung<br />

<strong>des</strong>sen steigert, was Gott getan hat, indem er allen<br />

Geschöpfen in ihrem verschiedenen Glanz Leben<br />

gab.<br />

Ken Himes <strong>OFM</strong><br />

Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />

Das Leben <strong>und</strong> die Würde eines jeden Individuums<br />

zu feiern ist fester Bestandteil <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Sicht seit <strong>der</strong> Zeit <strong>des</strong> hl. Franziskus. Zum einem<br />

besteht heute ein größeres Bewusstsein <strong>der</strong> individuellen<br />

Menschenrechte, wie man an den vielen<br />

Interessensgruppen, Nichtregierungsorganisationen<br />

<strong>und</strong> den Bewegungen-für-das-Leben sehen kann.<br />

Zum an<strong>der</strong>en ist aber unsere Konsumgesellschaft<br />

zunehmend von einem alternativen Wertesystem<br />

beherrscht, das Geld, Schönheit, Erfolg <strong>und</strong> Selbst-<br />

Belohnung über alles stellt. Es ist leicht, Beispiele<br />

von Brü<strong>der</strong>n zu finden, die in unterschiedlichen<br />

Län<strong>der</strong>n für eine För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> „Kultur <strong>des</strong><br />

Lebens“ unter den am meisten benachteiligten<br />

Schichten <strong>der</strong> Gesellschaft arbeiten. Es ist schwieriger,<br />

die geduldigen Anstrengungen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> ausfindig<br />

zu machen, die zu einer neuen Begeisterung<br />

für das Leben unter den mehr profaneren Ereignissen<br />

<strong>des</strong> Alltagslebens ermutigen. Schriftsteller,<br />

Künstler o<strong>der</strong> Musiker teilen diesen Lebenshunger<br />

durch ihr Werk mit, begnadete Prediger geben sie<br />

an die Teilnehmer ihrer Versammlungen weiter,<br />

Lehrer helfen jungen Menschen, einen ges<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> positiven Blick auf das Leben zu entwickeln.<br />

In Merchants Quay, einer benachteiligten Zone von<br />

Dublin, Irland, arbeitet SEAN CASSIN an <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

einer „Kultur <strong>des</strong> Lebens“ unter HIV-Infizierten<br />

<strong>und</strong> AIDS-Kranken. Sean war zunächst als junger<br />

Student in Rom betroffen durch die Berührung<br />

mit Drogenabhängigkeit. Die täglichen Begegnungen<br />

mit den vielen Drogenabhängigen, die in Rom<br />

auf den Straßen übernachteten, bedrückten ihn so<br />

sehr, dass er Schwierigkeiten hatte, sein Studienprogramm<br />

durchzuhalten. Von den Worten <strong>des</strong> Matthäusevangeliums<br />

(25,35-36) inspiriert, begann er<br />

sich den „Straßenmenschen“ Roms zuzuwenden.<br />

Als er nach Irland zurückgekehrt war, konzentrierte<br />

er seine Bemühungen auf die Drogenabhängigen,<br />

die sich oft in den Nachbarvierteln r<strong>und</strong> um Merchants<br />

Quay versammelten. Sean war zunehmend<br />

überzeugt, dass die traditionellen Drogenbehandlungsprogramme<br />

nur einen begrenzten Erfolg<br />

haben konnten, weil sie sich nicht mit den wachsenden<br />

sozialen Schwierigkeiten befassen, mit denen<br />

heute viele junge Iren konfrontiert sind. Der Mitarbeiterstab<br />

von Merchants Quay begann, neue Wege<br />

zu prüfen, um auf diese Bedürfnisse zu antworten;<br />

99


■ Leben<br />

es war zum Beispiel nutzlos, über den „Schmerz <strong>der</strong><br />

Arbeitslosigkeit“ zu diskutieren, ohne Berufsprogramme<br />

zu starten, die Abhängige mit neuen<br />

marktfähigen Kenntnissen ausstattete. Dem vermin<strong>der</strong>ten<br />

Selbstwertgefühl von Drogenabhängigen<br />

musste durch Gruppentherapie <strong>und</strong> Beratung entgegengewirkt<br />

werden. HIV-Übertragung konnte<br />

eingedämmt werden durch die Versorgung mit sauberen<br />

Nadeln, eine Lösung, die bei außenstehenden<br />

Beobachtern oft auf Ablehnung stößt. Viele langjährige<br />

Fre<strong>und</strong>e von Merchants Quay sind noch<br />

entsetzt über das ausgedehnte Engagement <strong>des</strong> Zentrums<br />

für soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> unter den Armen.<br />

Für Sean gibt es keinen wichtigeren Dienst, seit er<br />

die Verän<strong>der</strong>ungen sieht, die das Zentrum im Leben<br />

so vieler Menschen bewirken konnte.<br />

In den Nie<strong>der</strong>landen geraten ebenfalls viele junge<br />

Menschen, die zum Studium nach Amsterdam<br />

kommen, in Drogenabhängigkeit; Prostitution wird<br />

oft als <strong>der</strong> einzige Weg angesehen, durch die sie diese<br />

Sucht finanzieren können. Die Verbindung von<br />

unreinen Nadeln <strong>und</strong> „unsafe sex“ führt unvermeidlich<br />

zu HIV-Infektionen <strong>und</strong> AIDS. Durch seine<br />

Arbeit unter den „vergessenen Jugendlichen“<br />

Amsterdams vermochte LOUIS BOHTE einigen dieser<br />

Menschen Unterstützung anzubieten <strong>und</strong> praktische<br />

Möglichkeiten zu vermitteln, dass sie es fertigbrachten,<br />

ihre Abhängigkeit zu überwinden <strong>und</strong> ein<br />

neues Leben zu beginnen.<br />

Bei seiner Arbeit in einem <strong>der</strong> ärmsten Slums von<br />

Karachi in Pakistan begegnet KEN VIEGAS vielen<br />

Menschen, die jede Hoffnung auf ein besseres<br />

Leben verloren haben. Etwa Dreiviertel <strong>der</strong> Menschen<br />

seiner Pfarrei haben kein fließen<strong>des</strong> Wasser,<br />

sehr wenige haben ein regelmäßiges Einkommen,<br />

viele haben wenig o<strong>der</strong> kein Gespür für ihren eigenen<br />

Wert. Krankheit, Arbeitslosigkeit, Wucherzinsen<br />

<strong>und</strong> Drogenmissbrauch sind die harten Lebensumstände<br />

<strong>der</strong> meisten Familien dort. Deswegen ist<br />

die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden so wichtig<br />

für Viegas. „Es ist nicht sosehr ein Hobby“, sagt er,<br />

„dies ist eine richtige Leidenschaft, die ich so stark<br />

fühle. Und wenn du nach <strong>Gerechtigkeit</strong> dürstest<br />

<strong>und</strong> hungerst, beginnst du die Leiden(schaft) Jesu<br />

klarer zu erkennen.“ Wenn er die bedürftigsten <strong>und</strong><br />

benachteiligsten Häuser besucht, versucht er die<br />

Menschen zu ermutigen, wie<strong>der</strong> ein Gespür für ihre<br />

eigene Würde <strong>und</strong> ihre Talente zu entdecken. „Ich<br />

100<br />

versuche fünf Häuser pro Tag zu besuchen <strong>und</strong> ich<br />

sage den Menschen, dass ich nicht komme, um mit<br />

ihnen zu essen o<strong>der</strong> zu trinken, damit sie keine<br />

Betriebsamkeit entwickeln, um Lebensmittel zu<br />

kaufen <strong>und</strong> sie für mich zuzubereiten. Wenn sie das<br />

verstehen, dass du zu ihnen kommst, um ihnen<br />

zuzuhören <strong>und</strong> nicht um zu sehen, was sie anzubieten<br />

haben, dann kannst du ihnen sehr nahe kommen.“<br />

Ein an<strong>der</strong>er Bru<strong>der</strong>, YOUNIS WALTER, arbeitet mit<br />

geistig behin<strong>der</strong>ten Kin<strong>der</strong>n in Karatschi. Er versucht<br />

die tiefsitzenden Vorurteile <strong>und</strong> den Aberglauben<br />

zu bekämpfen, welche die Probleme in diesem<br />

Teil <strong>der</strong> Welt noch verschlimmern. Viele Familien<br />

glauben, dass ein behin<strong>der</strong>tes Kind Zeichen <strong>der</strong><br />

Strafe Gottes ist. In dem Zentrum, das er aufzubauen<br />

geholfen hat, liegt <strong>der</strong> Schwerpunkt nicht nur<br />

auf einer qualitativ guten Sorge für die Kin<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

auch auf Erziehung <strong>und</strong> Vorsorge. Eltern werden<br />

über den Zusammenhang zwischen Behin<strong>der</strong>ung<br />

<strong>und</strong> Armut, schlechter Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> dem<br />

verbreiteten Brauch, innerhalb <strong>der</strong> gleichen Familie<br />

zu heiraten, unterrichtet. Das Zentrum ist gleichermaßen<br />

offen für Christen <strong>und</strong> Muslime, in einem<br />

Land, in dem die Bekehrung zum Christentum als<br />

Kapitalverbrechen angesehen wird. Viele Familien<br />

aus beiden Glaubenstraditionen kommen, um ein<br />

neues Verstehen zu teilen, indem sie gemeinsam<br />

kochen, essen <strong>und</strong> für ihre Kin<strong>der</strong> sorgen.<br />

In Indien hilft JESU IRUDAYAM ebenfalls Kin<strong>der</strong>n,<br />

sich an einem besseren Leben zu erfreuen. Er arbeitet<br />

speziell mit Straßenkin<strong>der</strong>n in Madras in verschiedenen<br />

Projekten, die er seit 1991 entwickelt<br />

hat. Im Januar jenes Jahres hat er die Nichtregierungsorganisation<br />

mit Namen SEEDS (Street Elfin<br />

Education and Development Society) gegründet.<br />

Vor Ort ist die Organisation besser unter dem<br />

Namen NESAKKARAM bekannt, einem tamilischen<br />

Ausdruck, <strong>der</strong> „fre<strong>und</strong>liche Hände“ bedeutet. Einigen<br />

Kin<strong>der</strong>n wird geholfen durch ein Programm<br />

mit Heimplätzen, an<strong>der</strong>e werden an bestehende<br />

Einrichtungen vermittelt, an<strong>der</strong>e erhalten Verpflegung,<br />

medizinische Hilfe <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Dienstleistungen<br />

durch Außenposten, die bei einer örtlichen<br />

Eisenbahnstation in Madras angesiedelt sind.<br />

In Brasilien haben Geschosse <strong>und</strong> To<strong>des</strong>drohungen<br />

nicht vermocht, MARIANO GIJSEN aus seiner Arbeit


■ Leben<br />

mit den Straßenkin<strong>der</strong>n von Belo Horizonte zu vertreiben.<br />

Als Mariano 1989 in den Straßen von Rio<br />

de Janeiro arbeitete, wurde er von einem Jungen<br />

angeschossen <strong>und</strong> schwer verw<strong>und</strong>et. Der Junge<br />

handelte auf Befehl seines „Eigentümers“ <strong>und</strong> hatte<br />

die „Wahl“, den Bru<strong>der</strong> zu töten o<strong>der</strong> selbst getötet<br />

zu werden. Marianos Arbeit wird als eine ernste<br />

Bedrohung angesehen für die Zuhälter <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Bosse, die Straßenkin<strong>der</strong> für ihre Sexgeschäfte <strong>und</strong><br />

als Drogenkuriere missbrauchen. Nach seiner Genesung<br />

begab sich Mariano 1990 von Rio nach Belo<br />

Horizonte, um seine Arbeit mit den Straßenkin<strong>der</strong>n<br />

dort fortzusetzen. In Brasilien gibt es Zehntausende<br />

von verlassenen o<strong>der</strong> weggelaufenen Kin<strong>der</strong>n, von<br />

denen einige schon wie<strong>der</strong> eigene Kin<strong>der</strong> haben. Sie<br />

überleben auf <strong>der</strong> Straße durch Diebstahl <strong>und</strong><br />

schnüffeln Klebstoff, um ihren Hunger zu unterdrücken.<br />

In seiner geduldigen Arbeit über Jahre hat<br />

sich Mariano mit H<strong>und</strong>erten dieser Straßenkin<strong>der</strong><br />

angefre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> vielen geholfen, den schwierigen<br />

Schritt in Heime zu wagen, wo sie bessere Überlebenschancen<br />

haben. Kein Kind wird gedrängt, die<br />

Straße zu verlassen <strong>und</strong> je<strong>des</strong> einzelne wird als Individuum<br />

geachtet.<br />

In vielen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt, von Korea über Vietnam<br />

bis Guinea Bissao, kümmern sich Brü<strong>der</strong> um<br />

Menschen, die an Aussatz leiden – <strong>und</strong> folgen darin,<br />

so eng sie können, den Fußspuren <strong>des</strong> Franziskus<br />

selbst nach. In den USA arbeiten Brü<strong>der</strong> in dem<br />

Aussätzigenheim von Louisiana, dem einzigen auf<br />

die Hansen-Krankheit, wie sie auch genannt wird,<br />

spezialisierten Krankenhaus im Land. In Vietnam<br />

sind es die Kin<strong>der</strong> von aussätzigen Eltern, denen die<br />

Arbeit von FIDELIS LE TRONG NHUNG zugute<br />

kommt, <strong>der</strong> in den Außenbezirken von Saigon, heute<br />

Ho-Chi-Minh-Stadt, tätig ist. Auch wenn die<br />

Aktivitäten <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in Vietnam durch die Regierung<br />

eingeengt sind, genießt <strong>der</strong> Orden eine hohe<br />

Achtung bei den Menschen, wegen seiner Entscheidung,<br />

während <strong>des</strong> Bürgerkriegs <strong>und</strong> auch nach <strong>der</strong><br />

Übernahme <strong>der</strong> Macht durch die Kommunisten in<br />

Südvietnam im Jahr 1975 nicht zu fliehen. Vor dem<br />

Krieg unterhielten die Brü<strong>der</strong> zwei Aussätzigenheime,<br />

eines in Nha Trang <strong>und</strong> das an<strong>der</strong>e im Mekongdelta.<br />

Da diese Zentren durch die neue Regierung<br />

beschlagnahmt wurden, begann Fidelis im Jahr<br />

1983 erneut mit einer kleinen medizinischen Station.<br />

Langsam wuchs sein Werk <strong>und</strong> schloss auch<br />

Katechismusunterricht, Lesen <strong>und</strong> Schreiben <strong>und</strong><br />

Nähen für mehr als 120 Kin<strong>der</strong> ein. Da den Brü<strong>der</strong>n<br />

offiziell nicht gestattet ist, Schulen zu unterhalten,<br />

läuft <strong>der</strong> Unterricht als „Son<strong>der</strong>unterricht“<br />

für Aussätzige <strong>und</strong> ihre Kin<strong>der</strong>, denen <strong>der</strong> Besuch<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Schule nicht erlaubt ist o<strong>der</strong> die<br />

keinen Kontakt mit Menschen haben dürfen, die<br />

noch in Furcht vor dieser Krankheit leben.<br />

Ein ausgebildeter Akupunkturmeister <strong>und</strong> Befürworter<br />

<strong>der</strong> traditionellen Medizin, DIEGO KIM,<br />

begann seine Berufung zugunsten <strong>der</strong> Ausgegrenzten<br />

wahrzunehmen, während er Patienten im<br />

„Sacred Heart“-Aussätzigendorf behandelte, das von<br />

den koreanischen Brü<strong>der</strong>n unterhalten wurde. Wie<br />

bei Franziskus führte <strong>der</strong> Kontakt mit den Aussätzigen<br />

Diego zu einer Bekehrung <strong>des</strong> Herzens <strong>und</strong><br />

einem tieferen Verständnis für das Bedürfnis nach<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Als <strong>der</strong> Orden Freiwillige für den<br />

Dienst in einer früheren Sowjetrepublik in Zentralasien<br />

suchte, schloss sich Diego einer Franziskanerin<br />

aus <strong>der</strong> Slowakei an, um eine höchst notwendige<br />

Klinik im ländlichen Kasachstan aufzubauen.<br />

Dort konnte er seine Fähigkeiten in Akupunktur<br />

einsetzen, um eine alternative Medizin anzubieten,<br />

die beson<strong>der</strong>s die große koreanische Bevölkerungsgruppe<br />

in Kasachstan anspricht. Die Klinik behandelt<br />

jeden Hilfesuchenden unabhängig von Rasse,<br />

Glaube, ethnischer o<strong>der</strong> nationaler Herkunft. Eine<br />

kleine franziskanische Gemeinschaft (FG) ist ebenfalls<br />

entstanden, die an dem gleichen Engagement<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> menschliche Würde teilnimmt,<br />

das Diego als den wesentlichen Kern <strong>des</strong><br />

Franziskanerseins ansieht.<br />

In <strong>der</strong> Navajo-Siedlung von Tohatchi in New Mexico,<br />

USA, haben sich JOHN MITTLESTADT <strong>und</strong> MIKE<br />

HAIG mit Franziskanerinnen, einem Diakon <strong>der</strong><br />

Navajo <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Laien zusammengetan, um<br />

eine kreative <strong>und</strong> weitumfassende Seelsorge unter<br />

diesen indigenen Menschen zu entwickeln. Die<br />

Mission an St. Michael’s umfasst ein Gebiet von<br />

3000 Quadratmeilen <strong>und</strong> ist die Heimat von 8.000<br />

Navajos. Der Schwerpunkt <strong>des</strong> Zentrums liegt auf<br />

seinem Leben inmitten <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> Hoffnungslosigkeit<br />

so vieler Menschen mit ihren chronischen<br />

Alkoholproblemen. Im zentralen „Powerhouse“<br />

werden H<strong>und</strong>erte von Menschen wegen Alkoholismus<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Suchtprobleme behandelt. Sie<br />

treffen sich wöchentlich, um sich mit ihrem Gefühl<br />

<strong>der</strong> Isolation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hoffnungslosigkeit auseinan-<br />

101


■ Leben<br />

<strong>der</strong>zusetzen. Die Franziskanerinnen aus Oldenburg,<br />

Indiana, in <strong>der</strong> Nachbarschaft koordinieren ein<br />

Son<strong>der</strong>programm für Navajos, die an einem fötalen<br />

Alkoholsyndrom leiden.<br />

Mit Hilfe von ANDRIJA BILOKAPIC hat die Diözese<br />

von Zadar in Kroatien ein „Pro-Vita“-Büro eingerichtet,<br />

um Frauen zu beraten, die an Abtreibung<br />

denken. Den Frauen wird nicht nur vertrauliche<br />

Beratung <strong>und</strong> Unterstützung angeboten, wenn sie<br />

vor dieser schwierigen Entscheidung stehen. Sie<br />

erhalten auch praktische <strong>und</strong> finanzielle Hilfe durch<br />

die Caritas <strong>und</strong> durch Vereinigungen von Frauen<br />

<strong>und</strong> jungen Menschen in den örtlichen Pfarreien,<br />

wenn sie sich entscheiden, das Kind auszutragen.<br />

Seit das Büro von einer bedeutenden Erfolgsrate<br />

berichtete, hat sich diese Initiative auch auf an<strong>der</strong>e<br />

Städte Kroatiens ausgedehnt.<br />

Während <strong>des</strong> Krieges in Bosnien-Herzegowina<br />

<strong>und</strong> Kroatien arbeiteten FRANJO GREBENAR <strong>und</strong><br />

ZORAN LIVANEIC zusammen, um ein Hospital<br />

innerhalb <strong>des</strong> Kirchengebäu<strong>des</strong> <strong>der</strong> Heilig-Geist-<br />

Kirche in Nova Bila aufzubauen. Die bemerkenswerte<br />

Umwandlung fand Anfang 1993 über Nacht<br />

statt, als muslimische Milizen die ortsansässige<br />

kroatische Bevölkerung angriffen. Die Verletzten<br />

baten Zoran um Hilfe, weil <strong>der</strong> Konflikt es ihnen<br />

nicht erlaubte, durch feindliche Linien zum nächsten<br />

Hospital zu reisen. Innerhalb von St<strong>und</strong>en half<br />

medizinisches Personal den Brü<strong>der</strong>n, eine Notaufnahme<br />

einzurichten. Im Laufe <strong>des</strong> Krieges wurden<br />

mehrere h<strong>und</strong>ert Menschenleben durch das Team<br />

gerettet. Doch trotz ihrer lebenswichtigen Hilfe<br />

erinnert sich Zoran traurig: „Wir mussten soviele<br />

Beerdigungen halten, dass niemand Zeit zum Klagen<br />

hatte.“<br />

Die Option für das Leben bedeutet für DAVID<br />

SCHLATTER in den USA, täglich mit denen in Kontakt<br />

zu kommen, die einem sicheren Tod entgegengehen.<br />

Er ist Gefängnisseelsorger im Staat Delaware.<br />

Einige <strong>der</strong> Gefangenen sehen <strong>der</strong> To<strong>des</strong>strafe<br />

entgegen. Staatliche Stellen waren gerade dabei,<br />

die Anwendung <strong>der</strong> To<strong>des</strong>strafe wie<strong>der</strong> einzuführen,<br />

als er vor sechs Jahren diesen Dienst antrat. Zur<br />

Zeit finden min<strong>des</strong>tens ein o<strong>der</strong> zwei Hinrichtungen<br />

pro Jahr statt. Schlatter hat viele Jahre damit<br />

zugebracht, denen Seelsorge zu leisten, die dem<br />

Tod entgegensehen o<strong>der</strong> in Folge eines Suizids den<br />

102<br />

schmerzlichen Verlust eines geliebten Angehörigen<br />

o<strong>der</strong> Freun<strong>des</strong> zu tragen haben. „Viele von uns, die<br />

mit Menschen in Schmerzen dieser Art arbeiten,<br />

finden, dass wir am besten durch unsere eigenen<br />

W<strong>und</strong>en helfen können. Es ist, als ob wir Gott in<br />

Fülle wirken lassen, wenn eine W<strong>und</strong>e eine an<strong>der</strong>e<br />

W<strong>und</strong>e berührt“, erklärt Schlatter. „Es gibt ein heilsames<br />

Selbstbewusstsein unserer eigenen sündhaften<br />

Natur, die es Franziskanern gestattet, sich zu Frauen<br />

<strong>und</strong> Männern im Gefängnis zu setzen <strong>und</strong> zu sehen,<br />

dass nicht viel Abstand zu ihnen besteht. Die Tatsache,<br />

dass Franziskus selbst in Gefangenschaft war<br />

<strong>und</strong> eine Beziehung zu seinen Leidensgenossen hatte,<br />

hilft, uns mit ihnen zu identifizieren <strong>und</strong> dort<br />

Christus zu erfahren.“ Schlatter arbeitet seit kurzem<br />

mit zwei weiteren Brü<strong>der</strong>n in einem Zentrum in<br />

Wilmington, Delaware, wo sie Suchtabhängigen<br />

Unterkunft, Beratung <strong>und</strong> ein 12-Schritte-Programm<br />

anbieten, das den Menschen helfen kann,<br />

nach einem Sinn in ihrem Leben zu suchen.<br />

Ein generelles Problem für Kin<strong>der</strong> in Brasilien <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>swo in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n ist die Diarrhöe,<br />

die gewöhnlich zu Dehydration <strong>und</strong> Tod<br />

führt. KLAUS FINKAM hat in Zusammenarbeit mit<br />

<strong>der</strong> brasilianischen Bischofskonferenz <strong>und</strong> dem<br />

Kin<strong>der</strong>hilfswerk <strong>der</strong> Vereinten Nationen, UNICEF,<br />

ein erfolgreiches Rehydrationsprogramm für die<br />

Kin<strong>der</strong> in Brasilien entworfen. Tausende von<br />

jungen Leben sind durch eine einfache Salz-Zucker-<br />

Wasserlösung gerettet worden. Das Rehydrationsprogramm<br />

schult Mütter, als „medizinische Teams“<br />

in Dörfern im ganzen Land zu arbeiten, indem sie<br />

an<strong>der</strong>e erziehen, erfolgreich eine Diagnose zu stellen<br />

<strong>und</strong> die Symptome zu behandeln, bevor es zu<br />

spät ist.<br />

In Gallup, New Mexico, USA, bemüht sich<br />

MAYNARD SHURLEY unter den zumeist afro-amerikanischen,<br />

hispanischen <strong>und</strong> indigenen Menschen,<br />

die mit einem Leben auf <strong>der</strong> Straße kämpfen, das<br />

Bewusstsein für HIV <strong>und</strong> AIDS zu wecken.<br />

Maynard ist <strong>der</strong> Enkel eines Medizinmannes <strong>des</strong><br />

Navajo-Stammes <strong>und</strong> <strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> einzige Franziskaner<br />

aus diesem Stamm. Er erklärt: „Für uns [die<br />

Navajo] ist alles Leben heilig, die Sonne, die Erde,<br />

das Wasser <strong>und</strong> <strong>der</strong> Himmel, so wie beim hl. Franziskus,<br />

je<strong>der</strong> ist Mitglied unserer großen Familie.“<br />

Als Ges<strong>und</strong>heitserzieher <strong>und</strong> Streetworker, zusammen<br />

mit dem Navajo AIDS Network mit Sitz in


■ Leben<br />

Chinle, Arizona, hat Maynard herausgef<strong>und</strong>en, dass<br />

„Spiritualität <strong>der</strong> Schlüssel ist, um sich zu heilen“.<br />

Seine Mitbrü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> St. Michael’s Mission unterstützten<br />

Maynard’s Entscheidung, eine Arbeitsmethode<br />

zu entwickeln, die unkonventionell <strong>und</strong><br />

oft auch gefährlich ist. Seine ständige Präsenz auf<br />

den Straßen <strong>und</strong> seine Bereitschaft, auf die emotionalen<br />

<strong>und</strong> physischen Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschen<br />

dort zu hören, haben Maynard befähigt, die Anziehungskraft<br />

<strong>und</strong> den Einfluss <strong>der</strong> Franziskaner<br />

unter den indigenen Völkern zu verbreiten.<br />

Ein erfolgreiches AIDS-Erziehungsprogramm zu<br />

entwickeln, ist die beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung für<br />

die Brü<strong>der</strong> in Pakistan, wo islamische Gesetze die<br />

Tabus verstärken, über Sexualität zu diskutieren.<br />

Kushi Lai, aus <strong>der</strong> Provinz vom hl. Johannes dem<br />

Täufer in Pakistan, organisiert eine Reihe von<br />

populären AIDS-Bewusstsein-Workshops in verschiedenen<br />

Teilen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>und</strong> hat einige kreative<br />

Wege aufgezeigt, um mit den Beschränkungen<br />

<strong>der</strong> Regierung zurechtzukommen. In Pakistan<br />

arbeiten die meisten Friseure nicht in Geschäften,<br />

son<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong> Straße <strong>und</strong> schneiden Haare <strong>und</strong><br />

rasieren Männer mit einem Rasiermesser, das selten<br />

sterilisiert ist. Unterstützt von christlichen <strong>und</strong><br />

muslimischen Freiwilligen, beginnt das HIV-<br />

Bewusstseinsprogramm von Kushi damit, die Aufmerksamkeit<br />

auf die Risiken einer Infektion durch<br />

Rasiermesser <strong>und</strong> Behandlungsinstrumente von<br />

Zahnärzten zu lenken, bevor es ganz vorsichtig auf<br />

den Punkt <strong>der</strong> durch sexuelle Betätigung übertragenen<br />

Krankheiten kommt.<br />

Viele Brü<strong>der</strong> über die ganze Welt haben eine beson<strong>der</strong>e<br />

Verpflichtung für das Leben übernommen<br />

durch ihre Arbeit mit jungen Menschen aller Rassen,<br />

Religionen <strong>und</strong> sozialen Milieus. Von Sizilien<br />

bis Kolumbien arbeiten Brü<strong>der</strong> in Schulen, Jugendgruppen<br />

o<strong>der</strong> einfach in Pfarreien, um junge Menschen<br />

zu ermutigen, einen mutigen Standpunkt<br />

gegen Drogen, die Kultur <strong>des</strong> To<strong>des</strong> einzunehmen.<br />

Mit jugendlichen Ausreißern auf den Straßen New<br />

Yorks, USA, zu arbeiten, ist die persönliche Sendung<br />

von PLACID STROIK geworden. In dem<br />

Covenant House, wo Placid als seelsorglicher Direktor<br />

arbeitet, wird Jugendlichen Herberge <strong>und</strong> Sorge<br />

angeboten, die sie benötigen, um vom Leben auf<br />

<strong>der</strong> Straße wegzukommen. Beratung <strong>und</strong> Unterstützung<br />

sind zwei Aspekte von Placid’s seelsorglichem<br />

Wirken unter den jungen Menschen, die den Weg<br />

nach New York gewählt haben <strong>und</strong> die dabei oft zu<br />

Prostitution <strong>und</strong> Drogenabhängigkeit gezwungen<br />

wurden. Ihr Zustand <strong>der</strong> Verarmung ist oft nur das<br />

äußere Zeichen eines Lebens von Missbrauch <strong>und</strong><br />

Vernachlässigung. Viele begegnen in Placid <strong>und</strong> seinen<br />

Mitarbeitern den ersten Erwachsenen, denen<br />

sie wirklich vertrauen können. Seine Stellung<br />

gestattet es Placid, auch für die Beratung <strong>des</strong> Mitarbeiterstabes<br />

von Covenant House, oft selbst „Veteranen“<br />

<strong>der</strong> Straße, zu sorgen. In Zusammenarbeit<br />

mit an<strong>der</strong>en Fachleuten aus dem Sozialbereich <strong>und</strong><br />

dem Ges<strong>und</strong>heitswesen engagiert sich Placid als<br />

Anwalt zugunsten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

Amerikas, die, wie er sagt, „durch Drogen, Armut,<br />

Pornographie <strong>und</strong> die kulturellen Modelle, die ständig<br />

in Reklame <strong>und</strong> TV begegnen, kulturell ausgebeutet<br />

sind“.<br />

Generalkonstitutionen<br />

Artikel 7,3: Die Brü<strong>der</strong> „sollen durch die Liebe <strong>des</strong><br />

Geistes einan<strong>der</strong> freiwillig dienen <strong>und</strong> gehorchen“<br />

<strong>und</strong> dabei auf Anzeichen <strong>des</strong> Willens unseres Herrn<br />

<strong>und</strong> Gottes achten.<br />

Artikel 89,1: „Durch ihr Leben als Min<strong>der</strong>e in<br />

<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft bekennen“ die Brü<strong>der</strong>, „Christen<br />

zu sein“, <strong>und</strong> in diesem Tun beginnen sie ihre<br />

gemeinsame Verkündigung <strong>des</strong> Gottesreiches.<br />

Weitere Hinweise: Artikel 66,1-2; 67; 69,2; 71;<br />

96,1-3; 97,1-2; 98,2; 132.<br />

103


■ Leben<br />

Fragen für die Diskussion<br />

1. Welches sind in deiner Stadt die größten<br />

Hin<strong>der</strong>nisse, um die Achtung vor dem Leben<br />

in allen Phasen (von <strong>der</strong> Empfängnis bis<br />

zum natürlichen Tod) zu för<strong>der</strong>n?<br />

2. Erfahren Menschen dich als Verteidiger <strong>des</strong><br />

menschlichen Lebens, beson<strong>der</strong>s <strong>des</strong> Lebens<br />

<strong>der</strong> am meisten verletzlichen Mitglie<strong>der</strong><br />

deiner Gesellschaft?<br />

3. Besuchst du Brü<strong>der</strong>, die im Krankenhaus<br />

liegen o<strong>der</strong> chronisch krank sind?<br />

4. Erachtest du den hemmungslosen Konsumismus<br />

als Bedrohung für die Achtung <strong>des</strong><br />

Lebens in allen Phasen? Wenn ja, nimmst<br />

du darauf in deiner apostolischen Tätigkeit<br />

Bezug?<br />

5. Wie zeigt deine örtliche Gemeinschaft o<strong>der</strong><br />

Provinzgemeinschaft ihre Achtung vor dem<br />

<strong>und</strong> ihre Freude über das Leben?<br />

104<br />

6. Nehmen Anfragen über begleiteten Suizid in<br />

deiner Gesellschaft zu? Wie antwortest du<br />

darauf als Einzelner, als lokale Gemeinschaft,<br />

als Provinz?<br />

7. Unterstützen wir die Verteidigung <strong>des</strong><br />

Lebens, vom Augenblick seiner Empfängnis<br />

im Mutterleib bis zu seinem natürlichen<br />

Ende?<br />

8. Arbeiten wir mit an <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong><br />

Lebensqualität, damit sie wächst <strong>und</strong> eine<br />

für die Würde <strong>der</strong> menschlichen Person<br />

angemessene Höhe erreicht?<br />

9. Was sind die Angriffe auf das Leben, die<br />

in deinem Lebensumfeld am häufigsten<br />

vorkommen?


Individuelle <strong>und</strong><br />

kollektive Menschenrechte


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

Individuelle <strong>und</strong><br />

kollektive<br />

Menschenrechte<br />

§ 1 Wenn sie die Rechte <strong>der</strong> Unterdrückten verteidigen,<br />

sollen die Brü<strong>der</strong> auf Gewalttätigkeit verzichten<br />

<strong>und</strong> auf Mittel zurückgreifen, die auch sonst den<br />

Schwächeren zur Verfügung stehen.<br />

<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 69<br />

§ 3 Auch innerhalb <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> im Orden sollen<br />

die Brü<strong>der</strong> demütig <strong>und</strong> unbeirrt darauf hinwirken,<br />

dass die Rechte <strong>und</strong> die Menschenwürde aller anerkannt<br />

<strong>und</strong> beachtet werden.<br />

Artikel 96<br />

Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />

Die bereits im ersten Kapitel (Option für die<br />

Armen) dieses Teils gegebenen Beispiele sind auch<br />

hier passend, weil die marginalisierten Mitglie<strong>der</strong><br />

einer jeden Gesellschaft am stärksten <strong>der</strong> Gefahr<br />

ausgesetzt sind, dass ihre individuellen <strong>und</strong> kollektiven<br />

Menschenrechte beiseite geschoben werden.<br />

Vor seiner Bekehrung behandelte Franziskus auf<br />

genau diese Weise jene, die an Aussatz litten. Dies<br />

alles än<strong>der</strong>te sich eines Tages, als Franziskus einen<br />

Aussätzigen auf <strong>der</strong> Straße traf, (vom Pferd) herabstieg,<br />

ihm etwas Geld gab <strong>und</strong> ihn dann küsste.<br />

Einige Tage später besuchte Franziskus die Wohnorte<br />

<strong>der</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> tat das Gleiche. „In dieser<br />

Weise zog er das Bittere dem Süßen vor“ (2 Cel 9).<br />

Franziskus bestimmte, dass die Brü<strong>der</strong> Minister<br />

nichts befehlen durften, was gegen das Gewissen <strong>der</strong><br />

Brü<strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Regel verstoße. Die Brü<strong>der</strong> sollten<br />

mit ihren Ministern so sprechen können, wie Herren<br />

mit Knechten sprechen (BReg 10,5). Brü<strong>der</strong><br />

können jede ehrbare Arbeit übernehmen, die Arbeiten<br />

ausgenommen, die sie in irgendeinem Haus in<br />

leitende Positionen bringen würden (NbReg 7,1).<br />

Und ohne Zögern sollen die Brü<strong>der</strong> einan<strong>der</strong> ihre<br />

Nöte offenbaren (BReg 6,8). Obere unter den Brü<strong>der</strong>n<br />

sollen nicht an ihrem Amt kleben (Erm 4). Als<br />

eines Nachts ein Bru<strong>der</strong> schrie, dass er vor Hunger<br />

sterbe, stand Franziskus auf <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te die an<strong>der</strong>en<br />

Brü<strong>der</strong> auf, mit ihm <strong>und</strong> dem Bru<strong>der</strong> zu essen,<br />

<strong>der</strong> geschrien hatte. Dann sprach er zu ihnen über<br />

die Tugend <strong>der</strong> Klugheit <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te sie auf, dem<br />

Leib nicht das Nötige zu entziehen (2 Cel 22).<br />

Die Regierenden sollen sich in Erinnerung rufen,<br />

dass sie eines Tages von Gott gerichtet werden <strong>und</strong><br />

dass sie <strong>des</strong>wegen nicht von den Geboten Gottes<br />

abweichen, son<strong>der</strong>n ihren Untergebenen helfen sollen,<br />

Gott in Ehren zu halten (BrLenk). Bru<strong>der</strong> Leo<br />

wird ermutigt, den Weg zu nehmen, <strong>der</strong> Gott am<br />

meisten gefällt <strong>und</strong> „seinen Fußspuren <strong>und</strong> seiner<br />

Armut zu folgen“ (BrLeo). Wenn ein erst vor einer<br />

St<strong>und</strong>e aufgenommener Novize sein Guardian<br />

würde, würde <strong>der</strong> Poverello diesem Novizen freudig<br />

gehorchen (LegMai VI,4). Die Achtung <strong>des</strong><br />

Franziskus vor je<strong>der</strong> Person erstreckte sich selbst<br />

auf Ungläubige <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ige Feinde <strong>des</strong><br />

Evangeliums Christi.<br />

Reflexion<br />

Vergangene <strong>und</strong> heutige<br />

Entwicklungen<br />

in den Menschenrechten<br />

Menschenrechte, ein gängiger Begriff in jüngster<br />

Zeit, sind Ausdruck einer kollektiven Bewusstwerdung<br />

<strong>und</strong> Symbol <strong>des</strong> Kampfes vieler sozialer Bewegungen<br />

<strong>und</strong> ganzer Völker. Obgleich ihre juristische<br />

<strong>und</strong> politische Formulierung jüngeren Ursprungs<br />

ist, finden sich ihre Wurzeln in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />

menschlichen Zivilisation. Auch primitive Völker<br />

organisieren ihr Zusammenleben um Werte wie<br />

Leben, Familie, Ehre, Arbeit <strong>und</strong> Besitz <strong>und</strong> schaffen<br />

ihre Bräuche, Normen <strong>und</strong> religiösen Riten.<br />

Offiziell anerkannt in weltweiten Deklarationen,<br />

107


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

Konventionen <strong>und</strong> nationalen Verfassungen sind<br />

die Menschenrechte wie <strong>der</strong> Zusammenfluss vieler<br />

Wasser, aus dem fortwährend neue Freiheiten,<br />

Rechte <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten für individuelle<br />

Personen <strong>und</strong> Völker in <strong>der</strong> gesamten Welt entspringen.<br />

Da juristisch bekräftigt, trotz <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit<br />

in Interpretationen, schützen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n<br />

Menschenrechte das Wohlergehen aller Bürger, ihre<br />

Freiheiten, Leben, Sicherheit, Erziehungsbedingungen,<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Arbeit. Sie organisieren <strong>und</strong><br />

regulieren die wechselseitigen Beziehungen zwischen<br />

Individuen <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> die Beziehungen<br />

zwischen Nationen. Als ein Prototyp, als<br />

Rahmen <strong>der</strong> Menschenrechte werden heute die<br />

Unabhängigkeitserklärung von Nordamerika 1776<br />

<strong>und</strong> die Erklärung <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> Bürger <strong>der</strong><br />

französischen Revolution von 1789 verwendet.<br />

Die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

sind für unabsehbare Zeiten diesen<br />

Deklarationen eingeprägt. Erst nach den Schrecken,<br />

<strong>der</strong> Zerstörung <strong>und</strong> dem Opfer vieler Millionen<br />

Menschen im Zweiten Weltkrieg wurden die Menschenrechte<br />

weltweit anerkannt, von den Vereinten<br />

Nationen ratifiziert <strong>und</strong> von fast allen Regierungen<br />

unterzeichnet.<br />

In einem liberalen Geist übernimmt die „Universale<br />

Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte“ die Verteidigung<br />

<strong>und</strong> den Schutz aller Menschen, schützt ihre Freiheiten<br />

<strong>und</strong> Rechte gegenüber je<strong>der</strong> Diskriminierung,<br />

gemäß <strong>der</strong> Gleichheit vor dem Gesetz in<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> angewandt. Die Deklaration umfasst<br />

die Rechte auf Privatsphäre, Besitz <strong>und</strong> demokratische<br />

Teilhabe (1948). Unter dem starken Einfluss<br />

<strong>des</strong> Sozialismus <strong>und</strong> nach vielen Diskussionen hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> primären kollektiven Rechte, wurde<br />

<strong>der</strong> politische, ökonomische, soziale <strong>und</strong> kulturelle<br />

Pakt zwischen Nationen formuliert <strong>und</strong> bekräftigt<br />

(1966). Mit <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> Souveränität <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> inneren Selbstbestimmung eines jeden Lan<strong>des</strong>,<br />

verpflichteten sich die Beitrittslän<strong>der</strong> Gleichheit<br />

zwischen Frauen <strong>und</strong> Männern, das Recht auf<br />

Arbeit, ökonomische Entwicklung, sichere <strong>und</strong><br />

hygienische Bedingungen für die Arbeiter, Freiheit<br />

für Zusammenschlüsse, das Recht auf soziale<br />

Sicherheit, beson<strong>der</strong>s für arbeitende Mütter <strong>und</strong><br />

Frauen sowie Verbesserung <strong>des</strong> Wohlstands <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Erziehung auf je<strong>der</strong> Ebene sicherzustellen. An<strong>der</strong>e<br />

108<br />

internationale Konventionen vertieften diese<br />

Rechte, verdeutlichten sie <strong>und</strong> schlossen durchweg<br />

die Dringlichkeit hinsichtlich <strong>der</strong> Bedeutung eines<br />

besseren Umgangs mit <strong>der</strong> Schöpfung mit ein.<br />

Menschenrechte in südlichen Län<strong>der</strong>n<br />

Beim Blick auf die Welt aus <strong>der</strong> Perspektive Lateinamerikas,<br />

ist die erste Reaktion auf ein Gespräch<br />

über Menschenrechte eine Erschütterung über den<br />

abgr<strong>und</strong>tiefen Kontrast zwischen „Theorie <strong>und</strong><br />

Praxis“, zwischen dem leuchtendem Ideal <strong>und</strong> dem<br />

Leben von Millionen von Leidenden. Dieser Kontrast<br />

for<strong>der</strong>t weiterhin eine verantwortliche menschlicher<br />

Teilhabe heraus, die Kluft zu überbrücken.<br />

Die tatsächliche Welt ist nicht wie ein ordentlich<br />

hergerichtetes Vogelnest, von eifrigen Vögeln gut<br />

versorgt, mit Unterkunft, Verpflegung <strong>und</strong> Flugfreiheit<br />

für alle. Im Gegenteil ist sie eine Gesellschaft<br />

grausiger Gegensätze <strong>und</strong> Ungerechtigkeit,<br />

mangeln<strong>der</strong> Solidarität <strong>und</strong> blindem Egoismus,<br />

Reichtümern <strong>und</strong> Luxus neben Massen von Armen<br />

<strong>und</strong> armseligen Menschen; das Erwachen von Millionen<br />

Menschen <strong>und</strong> ihr Hunger nach Freiheit <strong>und</strong><br />

Leben inmitten von Sklaverei <strong>und</strong> unnatürlichem<br />

Tod. Millionen von Kin<strong>der</strong>n fallen dem gegenwärtig<br />

herrschenden System <strong>der</strong> Arbeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Konsums<br />

zum Opfer. Um wenige Gruppen reicher zu<br />

machen, wird die Natur erbarmungslos ausgebeutet<br />

zum Schaden <strong>der</strong> Armen, <strong>und</strong> es werden Land,<br />

Wasser <strong>und</strong> Luft verschmutzt, alles notwendige<br />

Dinge für das menschliche Überleben.<br />

Menschenrechte gelten für alle Menschen o<strong>der</strong> sie<br />

verlieren ihre Gültigkeit. Die alten Römer unterschieden<br />

zwischen IUS IN RE <strong>und</strong> IUS IN SPE, den<br />

aktuellen Rechten, die das Volk tatsächlich hatte,<br />

<strong>und</strong> den Rechten, die eine Hoffnung waren, ein<br />

noch nicht verwirklichtes Ideal. In Wirklichkeit<br />

besitzen Millionen in unserer Welt nur geringe<br />

Hoffnung, dass sie diese Rechte erhalten werden.<br />

Je mehr die Globalisierung in unserer Gesellschaft<br />

Platz greift <strong>und</strong> sich auf <strong>der</strong> ganzen Welt durchsetzt,<br />

umso offensichtlicher wird das schreiende Unrecht<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> deutliche Abstand zwischen den sozialen<br />

Klassen hinsichtlich Macht, Besitz, Freiheit, den<br />

Bedingungen <strong>des</strong> Wohlergehens <strong>und</strong> Überlebens,<br />

Erziehung, Sicherheit, sozialen Ges<strong>und</strong>heits-


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

diensten usw.. Friede ohne <strong>Gerechtigkeit</strong> zeigt sich<br />

vor allem als Verschleierung für eine ungerechte<br />

menschliche Wirklichkeit, in <strong>der</strong> Millionen von<br />

Personen, – Männer, Frauen, Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> ältere<br />

Menschen –, Opfer sind.<br />

Franziskus, franziskanische Tradition<br />

<strong>und</strong> Menschenrechte<br />

In <strong>der</strong> weiten Sphäre <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Menschenrechte<br />

scheint die Inspiration, die Franziskus von Assisi<br />

seinen Brü<strong>der</strong>n mitgeteilt hat, ein frem<strong>des</strong>, unübliches<br />

<strong>und</strong> nutzloses, um nicht zu sagen antiquiertes<br />

Werkzeug zu sein. Es ist ein schwieriges Unterfangen,<br />

eine Brücke über sieben Jahrh<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> zwischen<br />

zwei Welten zu schlagen, die so unterschiedlich<br />

sind wie die mittelalterliche <strong>und</strong> die mo<strong>der</strong>ne,<br />

post-mo<strong>der</strong>ne Welt. „Menschenrechte“ sind keine<br />

Theorie, son<strong>der</strong>n ein Programm persönlichen <strong>und</strong><br />

kollektiven Lebens, das einerseits zum Handeln<br />

motiviert <strong>und</strong> führt, das an<strong>der</strong>erseits mehr <strong>und</strong><br />

mehr Verletzungen erleidet, die schwer hinzunehmen<br />

sind.<br />

Die ersten Christen hatten niemals von Menschenrechten<br />

gehört. Der Begriff gehört nicht zum Wortschatz<br />

<strong>des</strong> Franziskus, dieses armen Mannes Jesu.<br />

Er war jedoch kein Mensch, <strong>der</strong> in einem Grab<br />

o<strong>der</strong> Reliquienschrein lebte. Die Bewegung, die er<br />

anstieß, setzt sich noch heute stark <strong>und</strong> lebendig<br />

in <strong>der</strong> Welt fort. Die Vitalität dieses Christen, <strong>der</strong><br />

treu zur Kirche stand, inspiriert weiterhin viele<br />

mo<strong>der</strong>ne Menschen, auch solche außerhalb <strong>des</strong><br />

Christentums.<br />

Der arme Mann aus Assisi strahlt mit den Stigmata,<br />

als ob sie ein Zeichen Christi wären, noch heute den<br />

Geist <strong>des</strong> Wortes in die Welt, das Fleisch annahm<br />

<strong>und</strong> unter uns wohnte, voller Liebe <strong>und</strong> Wahrheit.<br />

Sicherlich war Franziskus geprägt vom historischen,<br />

politischen <strong>und</strong> kirchlichen Umfeld seiner Zeit;<br />

doch er überwand diese Begrenzungen durch seine<br />

Lektüre <strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong> seinen Mut, es als seine<br />

persönliche Lebensweise <strong>und</strong> seinen Lebensstil in<br />

<strong>der</strong> Welt zu nehmen. Seine offene Kommunikation<br />

mit den Aussätzigen <strong>und</strong> Fürsten, Führern <strong>und</strong><br />

Bettlern, Eliten <strong>und</strong> Armen <strong>und</strong> die tiefe Achtung,<br />

mit <strong>der</strong> er alle Geschöpfe behandelte, waren eine<br />

ungewohnte menschliche Erfahrung. Dieser Mann<br />

ist fähig, neue Generationen zu motivieren, sich<br />

dem Leiden von Menschen ohne f<strong>und</strong>amentale<br />

Menschenrechte zu stellen: schöne Rechte, auf dem<br />

Papier angenommen <strong>und</strong> formuliert, geschmückt<br />

mit vielen bedeutenden Unterschriften, doch in<br />

Wirklichkeit nicht praktiziert.<br />

Der Narr genannt, wusste Franziskus von Assisi<br />

nichts von sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Indikatoren,<br />

Tabellen, Statistiken, die in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Welt zirkulieren. Doch er durchdrang tief die<br />

Wirklichkeit seiner Zeit <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>te sie. Der<br />

Ausdruck „Die Liebe wird nicht geliebt“ vermittelt<br />

gut <strong>und</strong> ohne jede Sentimentalität die Klarheit <strong>des</strong><br />

Glaubens, in <strong>der</strong> er seine Gesellschaft als eine von<br />

Großen <strong>und</strong> Kleinen, Reichen <strong>und</strong> Armen, Mächtigen<br />

<strong>und</strong> Ohnmächtigen, freien Bürgern <strong>und</strong> Ausgeschlossenen<br />

analysierte <strong>und</strong> bewertete. In dieser<br />

Klarheit deutete er auch die vielen Konflikte,<br />

Gewalthandlungen <strong>und</strong> Kriege seiner Zeit.<br />

Das Evangelium war für ihn jedenfalls nicht eine<br />

Frage <strong>des</strong> Wissens, son<strong>der</strong>n vielmehr ein Leben <strong>des</strong><br />

Handelns, das mit dem Dienst an den Aussätzigen<br />

<strong>und</strong> dem Schleppen <strong>der</strong> Steine <strong>und</strong> <strong>des</strong> Zements für<br />

die Restaurierung alter Kapellen begann. In Gottes<br />

Plan lief dies auf eine Bewegung von vielen Männern<br />

<strong>und</strong> Frauen hinaus, die im Gegensatz zur<br />

„Welt“ kleine, arme <strong>und</strong> besitzlose Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Schwestern wurden, frei, um allen in Demut zu<br />

dienen <strong>und</strong> durch das Zeugnis ihres Lebens das<br />

Evangelium bis an die Enden <strong>der</strong> Erde zu verkünden.<br />

Von <strong>der</strong> päpstlichen <strong>und</strong> <strong>der</strong> kaiserlichen Macht<br />

dominiert, stellte das Mittelalter kein günstiges<br />

Klima dar für die Formulierung von Rechten einer<br />

jeden menschlichen Person. Die Sprache, die in<br />

Philosophie <strong>und</strong> Theologie vorherrschte, war allgemein<br />

<strong>und</strong> universal, mit geringem Interesse am<br />

Konkreten, am zufällig Vorhandenen o<strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />

Vielfalt <strong>der</strong> Formen. Zwei Franziskaner halfen, diese<br />

Denkform zu brechen. Die Zeichen <strong>der</strong> Zeit lesend<br />

betonte Duns Scotus die Individualität von Menschen<br />

<strong>und</strong> Dingen, geschaffen gemäß dem Bilde<br />

Christi. Die Liebe Gottes arbeitet nicht mit Konzepten<br />

<strong>und</strong> abstrakten Kategorien, son<strong>der</strong>n mit<br />

Individuen, die Namen <strong>und</strong> Antlitz haben. Wenn<br />

109


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

wir abstraktes Theoretisieren über Natur o<strong>der</strong><br />

gemeinsame menschliche Würde überwinden wollen,<br />

sind wir verpflichtet, die Kluft zwischen Menschen<br />

hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, Rechte <strong>und</strong><br />

Verantwortlichkeiten zu schließen. Wilhelm von<br />

Ockham führt diese Stoßrichtung fort. In seiner<br />

Sicht erschafft Gott Menschen <strong>und</strong> Dinge einzeln<br />

<strong>und</strong> verschieden in voller Freiheit. Die empirische<br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> Wirklichkeit in ihrer Unterschiedlichkeit<br />

bekommt Vorrang <strong>und</strong> bildet die<br />

Gr<strong>und</strong>lage für ethisches Handeln mit seinem Licht<br />

<strong>und</strong> Schatten. Im Wi<strong>der</strong>stand gegen die Konzentration<br />

<strong>der</strong> Macht wurde Ockham <strong>der</strong> „Vater <strong>der</strong><br />

konziliaren Kirche“, <strong>der</strong> den Gläubigen <strong>und</strong> ihren<br />

Vertretern eine hörbare Stimme beim Aufbau <strong>des</strong><br />

Leibes Christi auf Erden gab.<br />

Für die Brü<strong>der</strong> ist Franziskus <strong>der</strong> Weg, das Evangelium<br />

zu leben, d.h. dem Herrn Jesus (zu folgen).<br />

Offene Solidarität mit allen, um alle zu retten,<br />

kennzeichnete das Leben Jesu. Er tat allen Gutes<br />

<strong>und</strong>, durch die Gnade Gottes, gab er sich in den<br />

Tod zugunsten aller Menschen (Mk 7,37; Hebr<br />

2,9). Von den Toten auferweckt begann er das große<br />

Werk <strong>der</strong> Unterordnung, durch die Mitarbeit <strong>der</strong><br />

gesamten Schöpfung. Wenn schließlich alles Christus<br />

unterworfen sein wird, wird sich Christus, <strong>der</strong><br />

einzige Sohn, Gott unterwerfen, <strong>und</strong> Gott wird<br />

alles in allem sein (Röm 8,18-25; 1 Kor 15,28).<br />

Innerhalb dieses weiten Panoramas von Liebe, Hingabe<br />

<strong>und</strong> Dienst findet die franziskanische Bewegung<br />

den Gr<strong>und</strong> ihrer Lebendigkeit <strong>und</strong> ihrer<br />

Arbeit. Es ist offensichtlich, dass die Brü<strong>der</strong> die<br />

Normen <strong>der</strong> zivilen Gesetze in <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

beachten müssen, wenn an<strong>der</strong>e für die Bru<strong>der</strong>schaft<br />

arbeiten (GG.CC. 80,2). Es ist ebenso klar, dass das<br />

Kirchenrecht die Rechte <strong>der</strong> Gläubigen, Laien <strong>und</strong><br />

Kleriker <strong>und</strong> ihrer Vereinigungen regelt (CIC, §§<br />

208-329). Die leidende menschliche Welt ist jedoch<br />

viel größer als Orden <strong>und</strong> katholische Kirche.<br />

Franziskanische Sendung<br />

zur Arbeit für die Menschenrechte<br />

Als Diener Christi <strong>und</strong> Verwalter <strong>der</strong> Geheimnisse<br />

Gottes auf ihrer Reise durch die Welt arbeiten die<br />

Brü<strong>der</strong> daran, alle Dinge im Himmel <strong>und</strong> auf Erden<br />

durch Christus mit Gott zu versöhnen (1 Kor 4,1;<br />

110<br />

Eph 1,10; Kol 1,20). Durch Christus, den Weg,<br />

die Wahrheit <strong>und</strong> das Leben (Joh 14,6), wurde <strong>der</strong><br />

Stand <strong>des</strong> Menschen radikal verän<strong>der</strong>t. Aber <strong>der</strong><br />

Weg aus Unterdrückung zu neuer Freiheit, zu<br />

Friede <strong>und</strong> wahrer <strong>Gerechtigkeit</strong> ist auf die Hilfe<br />

<strong>der</strong>jenigen angewiesen, die in <strong>der</strong> Nachfolge ihres<br />

Meisters den Pilgernden auf ihrer Reise beistehen.<br />

Sie sind in beson<strong>der</strong>er Weise gerufen, den Armen,<br />

Bedürftigsten <strong>und</strong> Ausgegrenzten zu helfen, ihre<br />

Häupter zu erheben <strong>und</strong> ihre Würde zu erlangen,<br />

indem sie <strong>der</strong>en Rechte sichern. Trotz ihrer säkularen<br />

Ausformulierung schließen die Menschenrechte<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong> Gottes <strong>und</strong> die christliche Hoffnung<br />

ein <strong>und</strong> treffen damit <strong>der</strong>en gr<strong>und</strong>legende<br />

<strong>und</strong> überweltliche Bedeutung, d.h. die noch an den<br />

Leiden dieser Zeit stöhnende Schöpfung zu retten<br />

(Röm 8).<br />

Die Globalisierung <strong>der</strong> ökonomischen <strong>und</strong> politischen<br />

Macht, konzentriert in den Händen weniger<br />

Menschen, bildet eine beständige Quelle für Verletzungen<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte gegen das Leben <strong>und</strong><br />

Wohlergehen <strong>der</strong> Mehrheit, die mehr <strong>und</strong> mehr<br />

gewalttätige Reaktionen hervorruft. Doch selbst<br />

reiche Län<strong>der</strong> beginnen, arme, ausgegrenzte,<br />

arbeitslose, drogenabhängige <strong>und</strong> junge Menschen<br />

ohne Zukunft zu entdecken. Der Prozentsatz ist<br />

unterschiedlich von Land zu Land, von Gegend zu<br />

Gegend. Eine Großstadt in Lateinamerika, eine<br />

frühere Kolonie in Afrika, ein muslimisches o<strong>der</strong><br />

ein buddhistisches Land haben ihre je eigenen<br />

menschlichen Probleme <strong>und</strong> bieten beson<strong>der</strong>e<br />

Lebensstile <strong>und</strong> eine evangeliumsgemäße Praxis für<br />

die Brü<strong>der</strong>, gemäß <strong>der</strong> Inspiration <strong>des</strong> Herrn.<br />

Weil die franziskanischen Gemeinschaften vor Ort<br />

leben, genügt es nicht, die Dokumente <strong>der</strong> UNO,<br />

<strong>der</strong> Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation usw. zu haben.<br />

Jede Gemeinschaft muss über die lokale Situation<br />

<strong>der</strong> Menschen nachdenken <strong>und</strong> die Bedingungen<br />

<strong>und</strong> Möglichkeiten <strong>des</strong> Handelns in ihrer Gegend<br />

studieren, um zu vermeiden, angesichts <strong>der</strong> globalen<br />

Statistiken in lähmen<strong>des</strong> Nichtstun zu verfallen.<br />

Deshalb beginnt Bewusstseinsarbeit dort, wo die<br />

Brü<strong>der</strong> als För<strong>der</strong>er sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong> inmitten <strong>der</strong> Armen, Unterdrückten <strong>und</strong><br />

Schwächsten leben <strong>und</strong> arbeiten. Frei von je<strong>der</strong><br />

Furcht <strong>und</strong> als <strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong> Versöhnung sind die<br />

Brü<strong>der</strong> gerufen, für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

zu arbeiten, die bis heute den Unterdrückten


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

verweigert worden sind. In enger Nachahmung <strong>der</strong><br />

tiefen Liebe <strong>des</strong> Franziskus zur gesamten Schöpfung,<br />

von Bru<strong>der</strong> Sonne bis zu Schwester Ameise,<br />

sollen die Brü<strong>der</strong> dazu beitragen, Ehrfurcht vor<br />

Mutter Natur zu entwickeln, damit sie das Wohlergehen<br />

aller Menschen zu sichern vermag (GG.CC.<br />

69-71).<br />

In <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne verging viel Zeit, bis die Kirche<br />

wie<strong>der</strong> einen Dialog mit <strong>der</strong> Welt begann. Enzykliken,<br />

soziale <strong>und</strong> politische Botschaften von Leo<br />

XIII., Pius XI. <strong>und</strong> Pius XII. sind bekannt. Doch<br />

erst mit Johannes XXIII. griff das Lehramt die Menschenrechte<br />

explizit auf, in Verbindung mit an<strong>der</strong>en<br />

damit zusammenhängenden Rechten <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten,<br />

<strong>und</strong> stellte sie in den Kontext <strong>des</strong><br />

Evangelium <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong> Christen auf<br />

<strong>der</strong> Erde (PACEM IN TERRIS, 1963). Das Zweite<br />

Vatikanische Konzil fügte zwei bedeutende Dokumente<br />

hinzu: Die Kirche in <strong>der</strong> Welt von heute<br />

(„GAUDIUM ET SPES“) <strong>und</strong> die ERKLÄRUNG ÜBER<br />

DIE RELIGIONSFREIHEIT („DIGNITATIS HUMANAE“).<br />

Paul VI. <strong>und</strong> Johannes Paul II. führten diese Entwicklung<br />

weiter in Antwort auf neue Probleme <strong>der</strong><br />

heutigen Welt. Trotz großen Wi<strong>der</strong>stands wurden<br />

die Menschenrechte ein integraler Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Soziallehre <strong>der</strong> Kirche wie auch <strong>der</strong> Praxis vieler<br />

katholischer Laien.<br />

Heutzutage werden abstrakte Namen wie Kapitalismus,<br />

Neoliberalismus, Entwicklung <strong>und</strong> Globalisierung<br />

verwendet, um die weiter wachsende Kluft in<br />

Wissen, Macht, Gütern <strong>und</strong> Besitz zwischen reichen<br />

<strong>und</strong> armen Nationen, zwischen Nord <strong>und</strong> Süd<br />

zu verschleiern. Ein Gemeinschaftsbewusstsein <strong>und</strong><br />

Gespür für Solidarität ist schwach entwickelt. Die<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> Franziskus von Assisi können nicht warten,<br />

bis das über die Menschenrechte Geschriebene<br />

tot ist <strong>und</strong> seine Opfer nur weiter ausgegrenzt sind.<br />

Der hl. Franziskus warnte, dass die Diener Gottes<br />

über die Ungerechtigkeit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en nicht betrübt<br />

o<strong>der</strong> verärgert sein, son<strong>der</strong>n dass sie sich in Solidarität<br />

auf die Seite <strong>der</strong> Schwachen <strong>und</strong> Armen stellen<br />

sollten, damit diese eine menschliche Stellung in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft gewännen. Zwei Jahrtausende<br />

Evangelisierung bezeugen, wie langsam dieses Ferment<br />

die menschlichen Massen durchdringt. Die<br />

Verwirklichung <strong>der</strong> Menschenrechte erfor<strong>der</strong>t<br />

Geduld <strong>und</strong> Durchhaltevermögen. Auschwitz,<br />

Hiroshima <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gulag bleiben Zeichen, dass die<br />

Straße zu ihrer Realisierung we<strong>der</strong> breit noch<br />

eben ist. Jene, die bis zum Ende standhaft bleiben,<br />

werden gerettet (vgl. Mk 13,13).<br />

Gemäß dem Modell <strong>des</strong> Franziskus leben die<br />

Brü<strong>der</strong> nicht für sich, son<strong>der</strong>n für an<strong>der</strong>e innerhalb<br />

<strong>und</strong> außerhalb <strong>der</strong> institutionellen Kirche. In diesem<br />

Leben <strong>des</strong> Dienstes ohne Grenzen, helfen uns<br />

die Menschenrechte, die menschlichen Bedürfnisse<br />

in den Gesichtern <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> leidenden Menschen<br />

zu entdecken. Für jene, die sich dem Evangelium<br />

verpflichten, ist die vorrangige Option für<br />

die Armen nicht eine Verzierung, son<strong>der</strong>n eine<br />

Verpflichtung. Das Kriterium <strong>des</strong> letzten Gerichts<br />

über die Menschheit ist unsere Solidarität mit den<br />

geringsten unserer Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern. Je<strong>des</strong><br />

Mal, wenn du den geringsten meiner Schwestern<br />

<strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>, den Kleinen, Armen, Verlassenen,<br />

Kranken, an den Rand Gedrängten <strong>und</strong> aus <strong>der</strong><br />

Gesellschaft Ausgeschlossenen Gutes getan hast,<br />

hast du es mir getan (vgl. Mt 25,31-46). Wo Menschenrechte<br />

verletzt werden, zeigt sich Sünde in<br />

ihrer ganzen Bösartigkeit. Doch die Gnade Gottes<br />

wird noch überfließen<strong>der</strong> sein durch die vermittelnde<br />

Hingabe <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> (vgl. Röm 5,20).<br />

Das Eintreten in die Sphäre <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

zugunsten <strong>der</strong> Armen, Misshandelten <strong>und</strong> Marginalisierten<br />

zu lernen ist nicht leicht. Franziskaner sind<br />

nicht gewohnt, ohne Unterkunft, Arbeit, Nahrung,<br />

Dienstleistungen, Schule <strong>und</strong> Geld zu sein. Auch<br />

wenn es gegen unseren Willen sein mag, erwarten<br />

wir leicht Privilegien, Geld für unsere Arbeit, wohlwollende<br />

Hilfe <strong>und</strong> soziale Unterstützung im Fall<br />

eines Gerichtsprozesses o<strong>der</strong> eines Gefängnisaufenthalts,<br />

die sich aus den Kämpfen ergeben können,<br />

an denen wir auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Armen teilnehmen.<br />

In Län<strong>der</strong>n mit wenigen Priestern sind viele Franziskaner<br />

durch die Amtsaufgaben in <strong>der</strong> kleinen Welt<br />

<strong>der</strong> örtlichen Pfarrei absorbiert. Um Solidarität mit<br />

den sozialen Klassen zu entwickeln, die an den<br />

Rän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gesellschaft leben, muss <strong>der</strong> Komfort<br />

<strong>der</strong> Mittelklasse durchbrochen werden, die an den<br />

Türen unserer Konvente lebt.<br />

Die franziskanische Mentalität, die „außer unsere<br />

Laster <strong>und</strong> Sünden“ nichts ihr Eigentum nennen<br />

will (NbReg 17,7), öffnet die Tür für die gewöhnliche<br />

Arbeit in Welt <strong>und</strong> Kirche, in Zusammenarbeit<br />

mit lokalen Bewegungen, Nichtregierungs-<br />

111


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

Organisationen <strong>und</strong> offiziellen staatlichen Diensten<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Menschenrechte, Lebensqualität,<br />

Ökologie <strong>und</strong> weltweiter Politik. Da die<br />

Probleme, die die Menschheit quälen, nicht jeman<strong>des</strong><br />

Eigentum sind, bleiben auch ihre Lösungen<br />

nicht das Monopol einer einzigen Größe. Selbst<br />

in katholischen Län<strong>der</strong>n hat die Kirche nicht die<br />

Macht, angemessene Antworten auf die menschlichen<br />

Bedürfnisse <strong>der</strong> armen Menschen, <strong>der</strong>er<br />

ohne Macht, zu geben. Die drei Schritte „Sehen,<br />

Urteilen, Handeln“ erfor<strong>der</strong>n, dass die Brü<strong>der</strong> die<br />

unmenschliche Wirklichkeit <strong>der</strong> Armen analysieren,<br />

ausführbare Optionen entwickeln <strong>und</strong> Pläne ausarbeiten,<br />

die den Kreis von paternalistischer Hilfe<br />

brechen. Die Hauptsubjekte jeden Handelns sind<br />

die Opfer, die in ihren gr<strong>und</strong>legenden Menschenrechten<br />

verletzt sind. Arme Menschen sagen,<br />

„Möge Gott gepriesen werden“.<br />

Menschenrechte, Ergebnis einer langen Geschichte<br />

<strong>der</strong> Menschheit, kennen keinen Stillstand <strong>der</strong> Entwicklung,<br />

we<strong>der</strong> in Theorie noch in Praxis. Angesichts<br />

<strong>der</strong> Proteste <strong>und</strong> Demonstrationen <strong>des</strong> Aufruhrs,<br />

politischer Propaganda <strong>und</strong> bewaffneter<br />

Kämpfe tauchen neue Rechte auf <strong>und</strong> werden fest<br />

im Bewusstsein <strong>der</strong> Allgemeinheit verankert. Im<br />

Gefolge ihres ständigen Entstehens bilden sich in<br />

vielen Län<strong>der</strong>n neue soziale Subjekte, Gruppen,<br />

Vereine <strong>und</strong> Nichtregierungs-Organisationen <strong>und</strong><br />

versuchen ihren berechtigten Platz durch Anerkennung<br />

<strong>und</strong> Wachsen zu erreichen. Arbeiter, Frauen,<br />

Jugendliche, Ältere, benachteiligte Menschen, Min<strong>der</strong>heiten<br />

<strong>und</strong> an den Rand gedrängte Gruppen<br />

kämpfen um die Verbesserung ihrer Situation,<br />

damit sie als Menschen mit vollen Rechten anerkannt<br />

werden. For<strong>der</strong>ungen nach sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden, Arbeit, Sicherheit, neuer ökonomischer<br />

Ordnung, Demokratie <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Natur erheben sich auf <strong>der</strong> ganzen Welt. „Brü<strong>der</strong>,<br />

nun wollen wir anfangen“ (1 Cel 103).<br />

112<br />

Bernardino Leers <strong>OFM</strong><br />

Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />

Wenn du gegenüber irgendjemandem in Brasilien<br />

heute das Thema <strong>der</strong> Menschenrechte erwähnst,<br />

wird sehr wahrscheinlich <strong>der</strong> Name eines Mannes<br />

genannt werden. Im letzten Viertel <strong>des</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

ist KARDINAL PAULO EVARISTO ARNS als einer<br />

<strong>der</strong> größten Verteidiger <strong>der</strong> Menschenrechte <strong>der</strong><br />

Armen <strong>und</strong> Unterdrückten in Lateinamerika<br />

bekannt geworden, <strong>der</strong> mutig gegen die schlimmsten<br />

Exzesse <strong>des</strong> 21 Jahre herrschenden Militärregimes<br />

aufstand, das 1985 endete.<br />

Während dieser zwei Jahrzehnte <strong>der</strong> Unterdrückung<br />

<strong>und</strong> Furcht expandierte die brasilianische Ökonomie<br />

mit Hilfe von billigen ausländischen Anleihen,<br />

was Millionen von hoffnungsvollen Menschen veranlasste,<br />

auf <strong>der</strong> Suche nach Arbeit in Städte wie<br />

Sao Paulo zu ziehen. Doch es zeigte sich bald, dass<br />

das ökonomische Wachstum nur einer kleinen Elite<br />

zugute kam, während die Lebensbedingungen <strong>der</strong><br />

breiten Bevölkerungsmehrheit absanken. Die von<br />

Arns angestoßene Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden von Sao Paulo veröffentlichte 1976 ein<br />

Buch, das im Detail die Verbindungen zwischen<br />

ökonomischen Wachstum, institutionalisierter<br />

Gewalt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Armut <strong>der</strong> Menschen aufzeigte.<br />

Schon lange zuvor hatte Arns <strong>der</strong> Erzdiözese seinen<br />

Stempel aufgedrückt, indem er Ordensleute <strong>und</strong><br />

ausgebildete Laien ermutigte, das Evangelium aus<br />

den wohlhabenden Innenstadt-Pfarreien heraus in<br />

die verarmten Slums zu bringen, die an <strong>der</strong> Peripherie<br />

entstanden. Dieser volkstümliche Schritt in den<br />

60er Jahren legte die Gr<strong>und</strong>lagen für die Basisgemeinden,<br />

die das neue Gesicht <strong>der</strong> Kirche in Brasilien<br />

prägten, wie auch an<strong>der</strong>swo in Lateinamerika.<br />

Von den ersten Tagen als Weihbischof im Norden<br />

Sao Paulos an, zeigte sich Arns den Rechten <strong>der</strong><br />

Armen verpflichtet. Er wurde schnell bekannt als<br />

„Bischof, <strong>der</strong> den Bus benutzte“. Während er so<br />

durch die Diözese reiste, sah er aus erster Hand, was<br />

getan werden musste, um die Notlage einer wachsenden<br />

Zahl von Familien zu verbessern, die in<br />

äußerster Armut <strong>und</strong> Verwahrlosung lebten. Als<br />

er 1970 Erzbischof <strong>der</strong> Stadt wurde, schockte er<br />

viele in <strong>der</strong> Kirche durch den Verkauf <strong>des</strong> Bischofspalastes<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> umgebenden Parkes. Er bestimmte<br />

den Erlös für den Bau von Gemeinschaftszentren in<br />

den verarmten Zonen. Die Sicht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Enthusias-


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

mus von Arns waren stark geprägt von <strong>der</strong> Arbeit<br />

<strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils, wie auch von<br />

seinen eigenen Erfahrungen in den FAVELAS von Rio<br />

de Janeiro während seiner ersten Priesterjahre. Don<br />

Paulo führt sein erstes Interesse an den Menschenrechten<br />

auf die Jahre zurück, als er unmittelbar nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg in Paris studierte. Dort traf<br />

er ehemalige Kriegsgefangene, die in Deutschland<br />

unter <strong>der</strong> Naziherrschaft gefoltert worden waren,<br />

eine Erfahrung, die er in seinem eigenen Land<br />

während <strong>der</strong> schlimmsten Jahre <strong>der</strong> Militärdiktatur<br />

wie<strong>der</strong> erleben sollte. Als in den 70er Jahren die<br />

Repression gegen politische Gegner beständig<br />

zunahm, wurde Arns durch seine ausgesprochene<br />

Verurteilung dieser Missbräuche international<br />

bekannt. Er besuchte selbst regelmäßig politische<br />

Gefangene <strong>und</strong> bot den Folteropfern <strong>und</strong> den Familien<br />

<strong>der</strong> von (durch die Regierung bezahlten) To<strong>des</strong>schwadronen<br />

Ermordeten persönliche Unterstützung<br />

an. Einer seiner bedeutendsten Beiträge im<br />

Kampf um die Menschenrechte in Brasilien war das<br />

geheime Archiv, in dem er ungefähr 2.000 detaillierte<br />

Berichte über Folter durch die Militärs zusammentrug.<br />

Ein kleines Team von Rechtsanwälten half<br />

ihm bei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schrift dieser genauen Berichte<br />

über Opfer <strong>und</strong> ihre Folterer, indem sie Abschriften<br />

<strong>der</strong> Militärgerichtsverfahren kopierten <strong>und</strong> dann<br />

aus Brasilien heraus schmuggelten. Das vollständige<br />

Dokument mit dem Titel BRAZIL NUNCA MAIS!<br />

(FOLTER IN BRASILIEN) wurde 1985 veröffentlicht.<br />

Auch nach <strong>der</strong> Rückkehr Brasiliens unter zivile<br />

Herrschaft setzte Arns seine revolutionäre Menschenrechtsarbeit<br />

zugunsten <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> Ohnmächtigen<br />

fort. Er for<strong>der</strong>te Achtung für die indigenen<br />

Völker Brasiliens <strong>und</strong> unterstützte afro-brasilianische<br />

Gruppen auf ihrer Suche nach Anerkennung<br />

ihrer Kultur innerhalb <strong>der</strong> Kirche. Er gründete<br />

Hilfsprojekte für AIDS-Kranke <strong>und</strong> ihre Familien<br />

<strong>und</strong> sprach sich deutlich für die Umweltschutz- <strong>und</strong><br />

Landlosenbewegung in Brasilien aus. Er war auch<br />

aktiv in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kampagne <strong>der</strong> Bischöfe<br />

für Erziehung, die Menschen ermutigt, sich politisch<br />

zu organisieren, um soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

erlangen. Als LEONARDO BOFF vom Vatikan wegen<br />

seiner Arbeit über die Befreiungstheologie vorgeladen<br />

wurde, reisten Arns <strong>und</strong> Kardinal ALOIS LOR-<br />

SCHEIDER, ebenfalls Franziskaner, nach Rom, um zu<br />

seinen Gunsten zu intervenieren. In den vergangenen<br />

50 Jahren seit seiner Priesterweihe hat Arns<br />

hartnäckig an seinen Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Achtung <strong>der</strong> Menschenrechte festgehalten<br />

– innerhalb <strong>und</strong> außerhalb <strong>der</strong> Kirche. Auch wenn<br />

er offiziell zurückgetreten ist, ist er weiterhin eine<br />

<strong>der</strong> klarsten Stimmen für die Stimmlosen im heutigen<br />

Lateinamerika.<br />

In Südafrika sind die Vorstellungen von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Würde <strong>und</strong> Menschenrechten inzwischen in<br />

die Verfassung <strong>der</strong> neuen „Regenbogen“-Nation<br />

aufgenommen, die mit <strong>der</strong> Überwindung <strong>des</strong> vormaligen<br />

Apartheid-Regimes Gestalt annahm. Das<br />

Wort „Gleichheit“ ist auf je<strong>der</strong>manns Lippen, <strong>und</strong><br />

innerhalb weniger Jahre mögen viele die weitverbreitete<br />

Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Diskriminierung zu<br />

vergessen beginnen, welche die Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

für mehr als vier Jahrzehnte erlitt. In diesem<br />

Zeitraum gab es viele engagierte Christen, schwarze<br />

<strong>und</strong> weiße, ortsansässige <strong>und</strong> fremde, die hart für<br />

die Menschenrechte von Einzelnen wie <strong>der</strong> gesamten<br />

schwarzen <strong>und</strong> farbigen Volksgruppe arbeiteten.<br />

Ein solcher Mann ist SEAMUS BRENNAN o<strong>der</strong> Vater<br />

Stan, wie er liebevoll von Tausenden von Menschen<br />

genannt wird, die durch sein Pfarrzentrum gingen,<br />

das er in den 60er Jahren gründete. Stan kam 1965<br />

aus dem Bezirk Roscommon in Irland nach Südafrika<br />

als „Pastor für die farbige Bevölkerung“ in ein<br />

heruntergekommenes Gebiet mit Namen REIGER<br />

PARK außerhalb von Johannesburg. Als er sich eines<br />

Tages mit einem schwer angetrunkenen Nachbarn<br />

unterhielt, bekam <strong>der</strong> „neue Priester“ seinen ersten<br />

Einblick in das Leben <strong>der</strong> nicht-weißen Mehrheit:<br />

als er seinen Frust losgeworden war, erzählte ihm<br />

<strong>der</strong> Mann, dass er seine Schulprüfungen nicht<br />

bestanden hatte <strong>und</strong> sich nicht die notwendigen<br />

Bücher leisten konnte, um seine Studien fortzusetzen.<br />

„Es ist alles in Ordnung für euch Weiße“, sagte<br />

er, „ihr könnt in eine Bibliothek gehen <strong>und</strong><br />

bekommt jede Hilfe, die ihr benötigt. Aber niemand<br />

tut etwas für uns.“ Diese Begegnung führte<br />

1966 zur Eröffnung einer kleinen Bibliothek; Ausbildungskurse<br />

für erwachsene Menschen aller Rassen<br />

folgten – ein revolutionärer Schritt in jener<br />

streng getrennten Nation. Jahr für Jahr stieg die<br />

Zahl <strong>der</strong> Studenten, die in das St. Antony-Pfarrzentrum<br />

strömten, von einigen H<strong>und</strong>ert bis zu mehreren<br />

Tausend. Dem folgten schnell Klassenräume,<br />

wie auch Wissenschaftsräume, Sprachlabors <strong>und</strong> ein<br />

Computerraum. Als die Popularität von Stan’s Zentrum<br />

wuchs, meldete sich Wi<strong>der</strong>stand seitens <strong>der</strong><br />

lokalen Regierungsbeamten, die den Bru<strong>der</strong> wissen<br />

113


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

ließen, dass er das Gesetz breche, weil er schwarze<br />

Studenten in einem „nur für Farbige“ erlaubten<br />

Gebiet duldete. Nur seiner Kreativität, seinen Kontakten<br />

<strong>und</strong> seiner Kenntnis <strong>der</strong> lokalen Regierungsbürokratie<br />

war es zu verdanken, dass Stan<br />

Schließung, Deportation <strong>und</strong> möglicherweise<br />

Schlimmeres zu vermeiden vermochte. Während<br />

<strong>der</strong> Aufstände in Soweto im Juni 1976 war St.<br />

Antony die einzige schwarze Schule dieser Gegend,<br />

die nicht geschlossen wurde. Die erwachsenen Studenten<br />

dort sahen ihre Studien als einen integralen<br />

<strong>und</strong> wirksamen Teil ihres Kampfes um Gleichheit<br />

an. Das Zentrum bot jedoch nicht nur Menschen,<br />

die ansonsten eine düstere Zukunft gehabt hätten,<br />

solche Ausbildungsmöglichkeiten an, son<strong>der</strong>n es<br />

weitete sich sogar mit Hilfe <strong>der</strong> lokalen Geschäftswelt<br />

aus <strong>und</strong> schloss sportliche <strong>und</strong> soziale Aktivitäten,<br />

einen Jugendklub, ein Zentrum für ältere Menschen,<br />

medizinische Dienste, handwerkliche Kurse<br />

für Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>und</strong> ein Restaurant ein.<br />

Alle diese arbeiteten auf nicht-rassistischer Basis.<br />

Jüngere Zuwächse sind das „House of Mercy“, ein<br />

Behandlungszentrum für Alkohol- <strong>und</strong> Drogenabhängige,<br />

die kostenlos aufgenommen werden, auch<br />

wenn sie den bescheidenen Beitrag nicht zahlen<br />

können, <strong>und</strong> das „St. Francis House“ für die unheilbar<br />

Kranken. Stan erkannte die Notwendigkeit für<br />

ein solches Hospiz, nachdem er Zeuge <strong>des</strong> einsamen<br />

<strong>und</strong> qualvollen To<strong>des</strong> geworden war, den viele<br />

AIDS-Patienten erleiden, die von ihren Familien,<br />

Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Gemeinschaften ausgestoßen wurden.<br />

Sein Glaube an die Rechte <strong>und</strong> die Würde<br />

je<strong>des</strong> Individuums <strong>und</strong> ihre Verteidigung sind für<br />

viele an<strong>der</strong>e Schulen <strong>und</strong> Pfarrzentren im Kampf<br />

um die Überwindung <strong>des</strong> schrecklichen Erbes <strong>der</strong><br />

Apartheidjahre zum Modell geworden.<br />

In den frühen 60er Jahren war OSWALD GILL zufrieden<br />

damit, irische Seminaristen in Griechisch <strong>und</strong><br />

Latein zu unterrichten. Doch insgeheim hegte er<br />

auch eine Berufung, in Lateinamerika zu arbeiten.<br />

Als ihm das Angebot gemacht wurde, eine Pfarrei<br />

von 35.000 Menschen in Santiago, Chile, zu übernehmen,<br />

ergriff er die Chance. In dieser Pfarrei<br />

wurde auf diözesaner Ebene ein völlig neuer katechetischer<br />

Weg entwickelt. Für Oswald war es <strong>der</strong><br />

Beginn einer persönlichen Entdeckungsreise zu den<br />

Unterschieden zwischen „Nord“ <strong>und</strong> „Süd“, zu den<br />

Lebensbedingungen in <strong>der</strong> sogenannten Dritten<br />

Welt <strong>und</strong> zu den Gründen, die solch strenge Armut<br />

114<br />

entstehen ließen. Oswald sah selbst, wie Menschen<br />

ohne Zugang zu Land, natürlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />

o<strong>der</strong> Erziehung unfähig waren, ihre persönlichen<br />

<strong>und</strong> ökonomischen Fähigkeiten zu entwickeln.<br />

Zwei Ereignisse hinterließen einen dauerhaften<br />

Eindruck auf Oswalds Vorstellungen: seine<br />

Erfahrung während <strong>des</strong> gewaltsamen Staatsstreiches<br />

gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador<br />

Allende <strong>und</strong> die Vollversammlungen <strong>der</strong> lateinamerikanischen<br />

Bischofskonferenz (CELAM) in<br />

Medellin <strong>und</strong> Puebla. Diese Erfahrungen halfen<br />

ihm, die Armut aus <strong>der</strong> Perspektive seiner Pfarrmitglie<strong>der</strong><br />

zu verstehen, „als Unsicherheit: d.h. die<br />

Unfähigkeit, eine Unterkunft zu besitzen, deine<br />

Familie zu ernähren, deine Kin<strong>der</strong> zu erziehen“.<br />

Dieser Unsicherheit begegnete Oswald wie<strong>der</strong>,<br />

während er mit wan<strong>der</strong>nden Landarbeitern in Kalifornien<br />

arbeitete. Die Mexikaner <strong>und</strong> Philippino-<br />

Amerikaner seiner Pfarrei arbeiteten inmitten einer<br />

<strong>der</strong> fruchtbarsten Ackerbaugebiete <strong>der</strong> Welt, <strong>und</strong><br />

doch lebten sie verarmt <strong>und</strong> als Bürger zweiter Klasse.<br />

Reiche Obst- <strong>und</strong> Gemüsebauern zogen den<br />

Nutzen aus ihrer zermürbenden Arbeit während <strong>der</strong><br />

Erntesaison, unterdrückten ihre Versuche, auch nur<br />

die gr<strong>und</strong>legendsten Sozialdienste zu organisieren<br />

<strong>und</strong> versuchten, ihnen die US-Staatsbürgerschaft<br />

abzustreiten. Oswalds Sendung unter diesen Arbeitern<br />

konzentrierte sich zunehmend darauf, ihre<br />

menschliche Würde durch Verteidigung ihrer bürgerlichen<br />

<strong>und</strong> legalen Rechte wie<strong>der</strong> herzustellen. In<br />

<strong>der</strong> Reflexion seiner Arbeit wählt Oswald, die Worte<br />

Paul VI. frei wie<strong>der</strong>zugeben: „Bitte, bitte höre auf<br />

über Frieden zu sprechen, wenn du nicht bereit bist,<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> zu arbeiten.“<br />

Als sich 1985, nach einem einjährigen provinzweiten<br />

Entscheidungsprozess, die Provinz <strong>der</strong> hl. Barbara,<br />

Kalifornien, USA, zur Zufluchtsstätte für zentralamerikanische<br />

Flüchtlinge erklärte, war je<strong>der</strong><br />

Bru<strong>der</strong> aufgefor<strong>der</strong>t, etwas dafür zu tun. Einige<br />

sammelten einfach Decken o<strong>der</strong> schrieben Briefe an<br />

ihre Kongressabgeordneten; an<strong>der</strong>e gingen ein<br />

größeres Risiko ein, indem sie illegalen Immigranten<br />

Arbeit o<strong>der</strong> einen Schlafplatz anboten. Die<br />

Arbeiterpfarrei St. Ann in Spokane, Washington,<br />

war von <strong>der</strong> Geschichte einer Flüchtlingsfrau aus<br />

El Salvador <strong>und</strong> ihren neun Kin<strong>der</strong> tief bewegt.<br />

Sie hatte von unaussprechlichen Horrortaten gegen<br />

ihre Familie Zeugnis abgelegt. Die Pfarrei lud sie<br />

ein, in das Kellergeschoss <strong>der</strong> Kirche zu ziehen.


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

Nach einigen Monaten ließ die Immigrations- <strong>und</strong><br />

Einbürgerungsbehörde wissen, dass sie Kenntnis<br />

habe, wo die Familie versteckt werde, <strong>und</strong> beabsichtige,<br />

diese nach El Salvador zurückzubringen. St.<br />

Ann antwortete mit einer öffentlichen Pressekonferenz,<br />

auf <strong>der</strong> die Leitung <strong>der</strong> Pfarrei erklärte, dass<br />

die US-Regierung zunächst sie deportieren müsse,<br />

bevor sie „ihre Familie aus Salvador“ anrühren könne.<br />

Nach ED DUNN, „begannen die Pfarrmitglie<strong>der</strong><br />

die umfassende Verbindung ihres Glaubens zu<br />

erkennen. Ein Flüchtling aus El Salvador hat soviel<br />

Recht auf ihr Mitgefühl wie die ihnen nächstsitzende<br />

Person in <strong>der</strong> Bank beim Sonntagsgottesdienst.<br />

Dies war ein außerordentlicher Schritt“, macht Ed<br />

deutlich. „Menschen nahmen Risiken gegenüber<br />

ihrer eigenen Regierung auf sich, Risiken, die ihr<br />

eigenes Wohlergehen gefährdeten.“ Das vielleicht<br />

dramatischste Ergebnis <strong>der</strong> „Sanctuary-Bewegung“,<br />

die zeitweise 50 Kirchen im amerikanischen Westen<br />

umfasste, war, dass die Entscheidungen ganz normaler<br />

Bürger Verän<strong>der</strong>ungen im sozialen Gewissen<br />

<strong>der</strong> Christen überall in den USA bewirkten.<br />

„Es genügte nicht länger zu sagen, dass du an die<br />

menschliche Würde <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en glaubst“, fügt Ed<br />

hinzu, „als Katholik musstest du bereit sein, dein<br />

eigenes Leben zugunsten ihrer gr<strong>und</strong>legenden<br />

Menschenrechte einzusetzen.“<br />

Die interfranziskanische Kommission für GFBS in<br />

Spanien hat lange Zeit ihre Arbeit zugunsten <strong>der</strong><br />

Immigranten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fremden ohne Dokumente<br />

als einen wesentlichen Bestandteil ihres Bemühens<br />

um die Menschenrechte angesehen. Statistiken belegen,<br />

dass heute ungefähr 600.000 legale Immigranten<br />

<strong>und</strong> 80.000 Fremde ohne Dokumente in Spanien<br />

leben, ganze 2% <strong>der</strong> Bevölkerung. Mit ihrem<br />

wachsenden Wunsch, zur „ersten Reihe“ <strong>der</strong><br />

europäischen Län<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Währungsunion zu<br />

gehören, unternimmt die spanische Regierung<br />

zunehmend diskriminierende Aktionen gegen alle<br />

Immigranten. Die spanischen Franziskaner antworteten<br />

darauf mit einer Reihe praktischer Programme,<br />

welche die gr<strong>und</strong>legende Würde eines jeden<br />

Immigranten betonen. Brü<strong>der</strong> arbeiteten mit an<strong>der</strong>en<br />

ähnlich denkenden Gruppen zusammen, um<br />

ein größeres, öffentliches Bewusstsein <strong>der</strong> Probleme<br />

in franziskanischen Pfarreien <strong>und</strong> Schulen zu<br />

wecken. Beson<strong>der</strong>e Beschäftigungsprojekte wurden<br />

entwickelt <strong>und</strong> Anwaltstätigkeit zugunsten <strong>der</strong><br />

Immigranten wurde auf die Bedürfnisse <strong>der</strong>er<br />

abgestimmt, die darum kämpfen, sich in ihre neue<br />

kulturelle Umgebung einzufügen. An<strong>der</strong>e bemerkenswerte<br />

Initiativen waren die aktive För<strong>der</strong>ung<br />

multikultureller Erziehung <strong>und</strong> interreligiösen Dialogs<br />

<strong>und</strong> Bemühungen, sicherzustellen, dass die<br />

Rechte <strong>der</strong> Immigranten durch spanisches Recht<br />

geschützt werden. VICENTE FELIPE erinnert daran,<br />

dass seine eigene Gemeinschaft „vier guatemaltekischen<br />

Flüchtlingsfamilien durch Fre<strong>und</strong>schaft, professionelle<br />

Beratung <strong>und</strong> materielle Unterstützung“<br />

zu Hilfe kam.<br />

Die erste dokumentierte franziskanische Präsenz im<br />

Südwesten <strong>der</strong> USA geht auf 1539 zurück, obgleich<br />

die organisierte Missionstätigkeit in dieser Gegend<br />

erst mit <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> St. Michael’s Mission<br />

im Nordosten Arizonas 1898 begann. Beson<strong>der</strong>s<br />

ein Bru<strong>der</strong>, ANSELM WEBER, erlangte die Achtung<br />

<strong>des</strong> Navajo-Stammes durch Erlernen <strong>der</strong> lokalen<br />

Sprache <strong>und</strong> seine Bereitschaft, h<strong>und</strong>erte von Meilen<br />

auf dem Pferd zurückzulegen, um jeden Stammesältesten<br />

zu treffen. Für den deutsch-amerikanischen<br />

Bru<strong>der</strong> war das größte Thema hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Navajos die Verletzung ihres heiligen Lan<strong>des</strong><br />

durch die US-Regierung. Sein Gespür dafür, dass<br />

die Navajos den franziskanischen Einsatz als<br />

„treuhän<strong>der</strong>ische Verwalter <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>“ anerkannten,<br />

führte ihn dazu, aktiv für ihre Anliegen zu<br />

arbeiten; er wurde oft gerufen, um bei Siedlungsstreitigkeiten<br />

zwischen <strong>der</strong> US-Regierung <strong>und</strong><br />

dem indigenen Stamm zu helfen. Er benutzte die<br />

neuen Technologien mo<strong>der</strong>ner Landvermessung,<br />

um Akten anzulegen <strong>und</strong> For<strong>der</strong>ungen nach<br />

Heimstätten für landlose Familien durchzusetzen.<br />

Er reiste jährlich in den Anliegen <strong>der</strong> Navajos nach<br />

Washington D.C., um sich mit den Leitern <strong>des</strong><br />

Büros für Angelegenheiten <strong>der</strong> Indianer zu treffen<br />

<strong>und</strong> ihre zahllosen Ansprüche auf Land zu unterstützen.<br />

Bei seinem Tod 1921 hatte er erreicht, dass<br />

das Siedlungsgebiet <strong>der</strong> Navajos um 1,5 Millionen<br />

Acres (1 Acre = 4047 qm) gewachsen war. Im gleichen<br />

Jahr halfen die Brü<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Errichtung <strong>des</strong><br />

Navajo-Tribal-Council, <strong>der</strong> sich als ein wesentlicher<br />

Bestandteil für die Führung <strong>des</strong> Stammes im restlichen<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert bewähren sollte.<br />

Im Jahr 1902 kam ein an<strong>der</strong>er franziskanischer<br />

Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Anthropologe BERARD HAILE, zur<br />

St. Michael’s Mission, um als Kaplan in <strong>der</strong> Missionsschule<br />

zu arbeiten. Sein leidenschaftliches<br />

115


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

Interesse an <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Navajos sollte einen<br />

ähnlich starken Einfluss auf das Leben <strong>der</strong> indigenen<br />

Menschen dort haben. In Zusammenarbeit mit<br />

MARCELLUS TROESTER <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n an <strong>der</strong><br />

Konstruktion einer speziellen Schreibmaschine, entwickelte<br />

Berard das erste Alphabet unter Verwendung<br />

griechischer Schriftzeichen, um die Lautung<br />

<strong>der</strong> Navajo-Sprache darzustellen. Zur gleichen Zeit<br />

modifizierte <strong>und</strong> erweiterte Marcellus den „Pfarrcensus“,<br />

um sich einen umfassenden Überblick über<br />

Kultur, Familienstrukturen, Clanzugehörigkeiten,<br />

Geburten, To<strong>des</strong>fälle, soziale wie religiöse Gebräuche<br />

<strong>der</strong> Navajos zu verschaffen, die ansonsten für<br />

immer verloren gegangen wären. Wie Anselm<br />

Weber verbrachte Berard viele Tage im Sattel, um<br />

zu entfernten Navajo-Gemeinschaften zu reisen, wo<br />

er Aufzeichnungen machen konnte von Zeremonien<br />

<strong>und</strong> ursprünglichen Mythen. „Es schien mir,<br />

dass man ihre Gebräuche, ihre Ansichten über das<br />

Leben <strong>und</strong> das Universum, ihre Vorstellungen vom<br />

Ursprung <strong>des</strong> Menschen, <strong>der</strong> Pflanzen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Tiere studieren musste, bevor man sich ihnen mit<br />

religiösen Themen nähern konnte“, argumentierte<br />

Berard, nicht selten angesichts <strong>des</strong> Spottes einiger<br />

seiner Mitbrü<strong>der</strong>.<br />

Ausgehend von Einzelinitiativen zur Verteidigung<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte haben die Franziskaner seit<br />

kurzem begonnen, Strategien für wirksamere<br />

Anwaltstätigkeit <strong>und</strong> Handeln auf internationaler<br />

Ebene zu entwickeln. Seit <strong>der</strong> Konferenz über<br />

Menschenrechte in Wien im Juni 1993 haben sich<br />

die Franziskaner mit FRANCISCANS INTERNATIONAL<br />

verb<strong>und</strong>en, um eine zunehmend aktivere Rolle bei<br />

<strong>der</strong> UNO <strong>und</strong> ihren Organisationen zu spielen.<br />

IGNACIO HARDING <strong>und</strong> MICHAEL SURUFKA haben<br />

sich beson<strong>der</strong>s bemüht, die Teilnahme <strong>der</strong> Franziskaner<br />

an UN-Konferenzen <strong>und</strong> Gipfeltreffen zu<br />

entwickeln. Im Rückblick auf seine zweijährige<br />

Tätigkeit als <strong>OFM</strong> Animator für FRANCISCANS<br />

INTERNATIONAL kommentiert Michael: „Obwohl<br />

die UNO sicherlich ihre Grenzen hat, ist sie <strong>der</strong><br />

einzige Ort, an dem sich die internationale<br />

Gemeinschaft trifft. Hier geschieht das weltweite<br />

Gespräch. Es wird mit o<strong>der</strong> ohne uns weitergehen,<br />

doch wir sind eingeladen daran teilzunehmen,<br />

<strong>und</strong> als Franziskaner haben wir etwas zu sagen <strong>und</strong><br />

zu hören.“<br />

AGOSTINHO DIEKMANN, ein Mitglied <strong>des</strong> Teams<br />

116<br />

von FRANCISCANS INTERNATIONAL auf <strong>der</strong> Konferenz<br />

über menschliche Ansiedlungen, Habitat II, in<br />

Istanbul legte das Ziel dieses relativ neuen Aktionsbereichs<br />

dar: „Die Konfrontation mit an<strong>der</strong>en Kulturen,<br />

Sprachen <strong>und</strong> Ansichten wie auch das Studium<br />

<strong>der</strong> sozialen, politischen <strong>und</strong> ökonomischen<br />

Themen weitete meinen Horizont beträchtlich.<br />

Gemeinsam mit meinen Kollegen <strong>der</strong> FI-Delegation<br />

entdeckte ich, was die Worte <strong>des</strong> hl. Franziskus<br />

‚gemeinsam durch die Welt gehen‘ <strong>und</strong> ‚unser<br />

Kloster ist die Welt‘ heute bedeuten können. Wir<br />

müssen uns einmischen zugunsten <strong>der</strong> Armen als<br />

Anwälte für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Harmonie<br />

unter allen Geschöpfen. Dem Beispiel <strong>des</strong> Franziskus<br />

folgend, reflektierten wir über unsere Gr<strong>und</strong>erfahrungen<br />

<strong>und</strong> wandten uns an die Regierenden<br />

unserer Län<strong>der</strong> mit den Bedürfnissen <strong>der</strong> Armen,<br />

um denen eine Stimme zu geben, die durch Ungerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> Unterdrückung zum Schweigen<br />

gebracht worden sind.“<br />

Generalkonstitutionen<br />

Artikel 69,1-2: „Wenn sie die Rechte <strong>der</strong> Unterdrückten<br />

verteidigen“, sollen die Brü<strong>der</strong> auf gewaltfreie<br />

Mittel zurückgreifen (1). Die Brü<strong>der</strong> sollen<br />

„jede Art kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzungen … als<br />

schlimmste Plage für die Welt <strong>und</strong> schwerste Verletzung<br />

<strong>der</strong> Armen anprangern“; sie sollen „we<strong>der</strong><br />

Arbeit noch Mühen scheuen, am Gottesreich <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong> zu bauen“ (2).<br />

Weitere Hinweise: Artikel 32,3; 92,2; 96,1-3; 97,2;<br />

109,1; 129,1 <strong>und</strong> 185,1.


■ Individuelle <strong>und</strong> kollektive Menschenrechte<br />

Fragen für die Diskussion<br />

1. Gehörst du einer nationalen o<strong>der</strong> internationalen<br />

Menschenrechtsgruppe an? Solltest<br />

du dazugehören? Gibst du positive Hinweise<br />

auf solche Gruppen in deiner apostolischen<br />

Tätigkeit?<br />

2. Schließt du Verletzungen <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

in dein privates Gebet mit ein, in das<br />

Gebet deiner lokalen Gemeinschaft, in das<br />

Gebet bei Provinztreffen o<strong>der</strong> Versammlungen?<br />

3. Welche Gruppen in deiner Gesellschaft<br />

laufen die größte Gefahr, dass ihre Rechte<br />

ignoriert werden?<br />

4. Hast du selbst den Bruch f<strong>und</strong>amentaler<br />

Menschenrechte erlebt? Wenn nicht, kennst<br />

du jemanden, <strong>der</strong> eine solche Erfahrung<br />

gemacht hat? Wie hat sich dies auf dich o<strong>der</strong><br />

jene Person ausgewirkt?<br />

5. Wie behandelt dein Land das Thema Immigration?<br />

Hast du jemals öffentlich die Haltung<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> zu diesem Thema unterstützt<br />

o<strong>der</strong> dagegen protestiert?<br />

6. Wie wirksam stellt sich deine Provinzgemeinschaft<br />

den wichtigsten Menschenrechtsthemen<br />

deines Lan<strong>des</strong>? Durch Erklärungen,<br />

Aktionen o<strong>der</strong> bei<strong>des</strong>?<br />

7. Welche Menschenrechte werden in deinem<br />

Land verletzt <strong>und</strong> welche auf internationaler<br />

Ebene?<br />

8. Was sind die Ursachen für die Verletzungen<br />

dieser Menschenrechte: ökonomische,<br />

politische, psychologische …?<br />

9. Woran liegt es, dass je<strong>der</strong> von uns sensibler<br />

ist für die Verletzung bestimmter Arten<br />

von Menschenrechten <strong>und</strong> weniger für die<br />

Verletzung an<strong>der</strong>er?<br />

10. Die Bewusstseinsbildung <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> das<br />

Handeln <strong>der</strong> Kirche zugunsten <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

– kann dies als ein Zeichen <strong>der</strong><br />

Zeit betrachtet werden?<br />

11. Welche Beziehung besteht zwischen Evangelisierung<br />

<strong>und</strong> Menschenrechten? Was ist<br />

angemessener: dass die christliche Gemeinschaft<br />

ihre eigenen Organisationen für die<br />

Menschenrechte hat o<strong>der</strong> dass sich Christen<br />

an sozialen Organisationen gemeinsam mit<br />

an<strong>der</strong>en Männern <strong>und</strong> Frauen guten Willens<br />

beteiligen?<br />

12. Welche Art <strong>des</strong> Handelns erachtest du als<br />

am angemessensten für Franziskaner in <strong>der</strong><br />

Verteidigung <strong>der</strong> Menschenrechte?<br />

Checkliste für zukünftige,<br />

örtliche Menschenrechtskampagnen<br />

Wenn du auf Menschenrechtsverletzungen antworten<br />

<strong>und</strong> eine Kampagne starten willst:<br />

■ Besitzt du eine klare <strong>und</strong> prägnante Zusammenfassung<br />

<strong>der</strong> Ereignisse, die sich zugetragen<br />

haben?<br />

■ Kannst du erklären, wie die franziskanische<br />

Gemeinschaft sich beteiligt?<br />

■ Hast du eine schriftliche Unterstützung <strong>der</strong><br />

örtlichen (franziskanischen) Kommission für<br />

GFBS?<br />

■ Haben <strong>der</strong> örtliche franziskanische Obere<br />

<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bischof ihre Unterstützung zum<br />

Ausdruck gebracht?<br />

■ Hast du eine schriftliche Unterstützung <strong>des</strong><br />

franziskanischen Oberen <strong>und</strong> <strong>des</strong> Bischofs?<br />

■ Besitzt du die Namen <strong>und</strong> Nummern von<br />

denen (Richter, Politiker, usw.), mit denen<br />

Kontakt aufzunehmen ist?<br />

■ Besitzt du Photographien von denen, die<br />

du zu unterstützen suchst?<br />

■ Hast du die Möglichkeit <strong>und</strong> die Kenntnis,<br />

ein Faxgerät <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> e-Mail zu nutzen?<br />

■ Hast du einen Koordinator für die Kampagne<br />

bestimmt, <strong>der</strong> auf alle Nachfragen zur Kampagne<br />

antwortet?<br />

■ Besitzt du eine Presseliste <strong>der</strong> Personen <strong>und</strong><br />

Organisationen, die bereit sind, deinen Aufruf<br />

zu unterstützen?<br />

■ Hast du eine Presseerklärung vorbereitet mit<br />

klarer Information, deutlicher Richtung,<br />

„Kontakt-Adressen“ <strong>und</strong> den Namen <strong>des</strong><br />

Koordinators deiner Kampagne?<br />

117


Frauen <strong>und</strong> die Charismen von<br />

Franziskus <strong>und</strong> Clara


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

Frauen <strong>und</strong><br />

die Charismen<br />

von Franziskus<br />

<strong>und</strong> Klara<br />

Da die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> mitten im Volk Gottes<br />

stehen, müssen sie auf neue Zeichen <strong>der</strong> Zeit achten<br />

<strong>und</strong> auf die Situationen einer sich wandelnden<br />

Welt reagieren.<br />

<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 4,1<br />

Der Erste Orden hat die geistliche Einheit mit<br />

den Klosterfrauen <strong>des</strong> Zweiten <strong>und</strong> Dritten Ordens<br />

zu wahren, zu schützen <strong>und</strong> ihre Fö<strong>der</strong>ationen zu<br />

för<strong>der</strong>n, ohne jedoch die rechtmäßige Selbständigkeit<br />

ihres Lebens, zumal <strong>der</strong> Leitung, anzutasten.<br />

Artikel 56,2<br />

Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />

Franziskus for<strong>der</strong>te höflich, aber entschieden viele<br />

Vorurteile seiner Gesellschaft heraus, beson<strong>der</strong>s<br />

auch die über die Frauen. Er fühlte, dass Klara<br />

Recht hatte, eine religiöse Lebensform für Frauen<br />

ohne feste Pachteinnahmen zu beginnen. Es<br />

dauerte mehr als 40 Jahre, bis <strong>der</strong> Papst definitiv<br />

das „Privileg <strong>der</strong> Armut“ in <strong>der</strong> endgültigen Regel<br />

<strong>der</strong> hl. Klara bestätigte <strong>und</strong> dann (doch) nur auf<br />

die Armen Klarissen von San Damiano ausdehnte!<br />

Gemäß dem Franziskanergelehrten Ignatius Brady<br />

können vor dem IV. Laterankonzil Klara <strong>und</strong> ihre<br />

Schwestern Franziskus <strong>und</strong> seine Brü<strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />

Pflege <strong>der</strong> Aussätzigen unterstützt haben. Franziskus<br />

gab ein von den Brü<strong>der</strong>n genutztes Neues Testament<br />

<strong>der</strong> Mutter von zwei Brü<strong>der</strong>n; sie war gekom-<br />

men, um ein Almosen zu erbitten (2 Cel 91). Ein<br />

an<strong>der</strong>es Mal gab er einer armen Frau einen Mantel<br />

(2 Cel 92). Viele W<strong>und</strong>er wurden zugunsten von<br />

Frauen gewirkt (3 Cel).<br />

Obwohl Franziskus den Brü<strong>der</strong>n verbot, „Verdacht<br />

erregende Beziehungen“ zu Frauen zu haben (BReg<br />

11,1), zeigen doch die Beispiele seiner eigenen<br />

Beziehungen mit Klara <strong>und</strong> Herrin Jakoba, dass<br />

nicht alle Beziehungen „Verdacht erregend“ sind.<br />

Franziskus bezog verheiratete wie unverheiratete<br />

Frauen in die Gruppe <strong>der</strong>er ein, die die Brü<strong>der</strong> einladen<br />

sollten, „im wahren Glauben <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Buße<br />

auszuharren“ (NbReg 23,7).<br />

Franziskus zögerte nicht, weibliche Bil<strong>der</strong> auf sich<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> anzuwenden. In <strong>der</strong> Beschreibung<br />

seiner eigenen Gemeinschaft erzählte er einmal<br />

dem Papst von einer Frau, die von einem König<br />

zahlreiche Kin<strong>der</strong> habe <strong>und</strong> sie von Fall zu Fall<br />

sandte, um ihr rechtmäßiges Erbe einzufor<strong>der</strong>n<br />

(LegMai III,10). In <strong>der</strong> REGEL FÜR EINSIEDELEIEN<br />

teilt er die Brü<strong>der</strong> in Marta- <strong>und</strong> Maria-Gruppen,<br />

die ihre Rollen nach vereinbarten Zeitabschnitten<br />

wechselten (RegEins). „Wenn eine Mutter ihren<br />

leiblichen Sohn nährt <strong>und</strong> liebt, um wieviel sorgfältiger<br />

muss einer seinen geistlichen Bru<strong>der</strong> lieben<br />

<strong>und</strong> nähren“ (BReg 6,8). Das Gesetz <strong>der</strong> Klausur<br />

war nicht gültig, als „Bru<strong>der</strong> Jakoba“ den sterbenden<br />

Franziskus besuchte (LegPer 101).<br />

Reflexion<br />

Unterschiedliche Kontexte<br />

Der Enthusiasmus, den unsere Wertschätzung für<br />

den gewaltigen spirituellen Genius <strong>des</strong> Franziskus<br />

von Assisi hervorruft, befähigt uns, Aspekte seines<br />

Lebens <strong>und</strong> Wirkens zu finden, um zahllose Hoffnungen<br />

<strong>und</strong> Wünsche zu unterstützen. Gleichzeitig<br />

kann dieser Enthusiasmus uns zu <strong>der</strong> Illusion<br />

führen, dass Franziskus (o<strong>der</strong> Klara in diesem Fall)<br />

uns Modelle für jede Situation anbieten können, die<br />

uns heute herausfor<strong>der</strong>t. Wenn wir von Franziskus<br />

in seiner Beziehung zu Frauen sprechen, den Frauen<br />

seiner Familie, seiner Stadt <strong>und</strong> seiner Bewegung,<br />

wird diese Gefahr beson<strong>der</strong>s deutlich. Es ist schwierig,<br />

die Wirklichkeit seiner Beziehung zu Frauen aus<br />

121


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

den primären Quellen genau zu erheben <strong>und</strong> die<br />

Interpretationsschichten zu entdecken, die diese<br />

Dokumente erfahren haben. Es ist genauso schwierig<br />

zu erkennen, welche Teile unserer Fragen sich<br />

einer Weltsicht verdanken, die durch die mo<strong>der</strong>ne<br />

Philosophie <strong>und</strong> Wissenschaft möglich wurde.<br />

Diese Weltsicht, die unser Bemühen begleitet, das<br />

franziskanische Ideal in unserer Zeit wie<strong>der</strong> lebendig<br />

werden zu lassen, enthält viele Elemente, die<br />

Franziskus sich mit Verw<strong>und</strong>erung <strong>und</strong>, nach allem,<br />

was wir wissen, mit Entsetzen die Haare raufen<br />

ließen.<br />

Der Franziskaner, <strong>der</strong> heute die Frage stellt, bewegt<br />

sich, lebt <strong>und</strong> atmet in einer Welt, in <strong>der</strong> man die<br />

Anliegen <strong>und</strong> den Einsatz von <strong>und</strong> für Frauen überall<br />

aufeinan<strong>der</strong>zulaufen sieht. Auf Weltebene haben<br />

wir das Zeugnis <strong>der</strong> Weltfrauenkonferenz <strong>der</strong> UNO<br />

in Peking 1995. Teilnehmerinnen kehrten in ihre<br />

Heimatlän<strong>der</strong> mit faszinierenden Geschichten über<br />

die Einheit in <strong>der</strong> Verschiedenheit zurück, die von<br />

Tausenden von teilnehmenden Frauen erfahren <strong>und</strong><br />

gefeiert wurden. Innerhalb <strong>der</strong> Kirche sehen wir<br />

neue Bemühungen von Papst Johannes Paul II.,<br />

sich den Anliegen <strong>der</strong> Frauen zuzuwenden: sein<br />

BRIEF AN FRAUEN (1995) <strong>und</strong> MULIERIS DIGNITA-<br />

TEM, eine 1988 veröffentlichte Enzyklika. Zusätzlich<br />

haben regionale Bischofskonferenzen, Vereinigungen<br />

<strong>der</strong> Höheren Ordensoberen <strong>und</strong> Laienorganisationen<br />

Dokumente abgefasst o<strong>der</strong> Studien<br />

durchgeführt, die sowohl Frauen zugefügte Ungerechtigkeiten<br />

anprangern wie die Notwendigkeit<br />

betonen, diese innerhalb <strong>der</strong> verschiedenen kulturellen<br />

Situationen zu korrigieren. Es ist für das<br />

Verständnis wichtig, dass in einer solchen Veröffentlichung<br />

wie dieser eine allgemeine Prüfung <strong>des</strong><br />

Themas innerhalb kultureller Umfel<strong>der</strong>, die sich<br />

deutlich unterscheiden, kritisch besprochen werden<br />

muss. Brü<strong>der</strong>, die in Regionen arbeiten, in denen<br />

patriarchale Institutionen vorherrschen, treffen eine<br />

an<strong>der</strong>e Mentalität <strong>und</strong> Realität an als Brü<strong>der</strong>, die<br />

in Kulturen wirken, in denen matriarchale Gr<strong>und</strong>lagen<br />

weiterhin Glauben <strong>und</strong> Verhalten beeinflussen.<br />

Mit diesen Hinweisen im Bewusstsein, wollen wir<br />

zur Geschichte <strong>des</strong> Franziskus zurückkehren <strong>und</strong><br />

fragen, wie er Frauen begegnete, als er versuchte,<br />

den Fußspuren Jesu zu folgen.<br />

122<br />

Der kulturelle Kontext <strong>des</strong> Franziskus<br />

Die kirchliche Welt, in <strong>der</strong> Franziskus aufwuchs,<br />

kannte nur eine geringe Wertschätzung <strong>der</strong> menschlichen<br />

Natur. Menschheit wurde verstanden als voll<br />

von Schwäche <strong>und</strong> Ver<strong>der</strong>btheit, die blindlings ihrer<br />

Verdammnis entgegenstürzte, mit nur einem Hoffnungsschimmer,<br />

dass in <strong>der</strong> Zerbrechlichkeit <strong>des</strong><br />

Lebens Erlösung gewonnen <strong>und</strong> bewahrt werden<br />

könne. Klösterliche Schriftsteller, die die wachsende<br />

Bedeutung <strong>des</strong> Klerikerzölibats für die Kirche zu<br />

unterstützen versuchten, verfassten schädliche Traktate,<br />

die Frauen als Inkarnation Evas vorstellten –<br />

Mutter <strong>der</strong> Sünde <strong>und</strong> <strong>des</strong> Verrats. Römische Gesetzesstrukturen<br />

verweigerten Frauen aktive Rollen im<br />

zivilen Leben <strong>und</strong> sprachen private Tugend <strong>und</strong><br />

Treue zu Vater, Ehemann <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>n heilig. So<br />

war die Freiheit <strong>der</strong> Frauen in Gegenden, wo römisches<br />

Recht herrschte, sehr eingeschränkt, <strong>und</strong><br />

Frauen waren oft darauf festgelegt, den Wünschen<br />

<strong>der</strong> männlichen Familien- <strong>und</strong> Clanoberhäupter zu<br />

dienen. Zur gleichen Zeit erließ die Kirche einige<br />

Schutzbestimmungen gegen erzwungene Heiraten<br />

<strong>und</strong> für eine Option für das geweihte Leben. Die<br />

neu entstehende Troubadour-Kultur im mittelalterlichen<br />

Europa för<strong>der</strong>te auch eine Verfeinerung <strong>des</strong><br />

Geschmacks <strong>und</strong> das Gespür, das zumin<strong>des</strong>t in <strong>der</strong><br />

Theorie die Stellung <strong>der</strong> Frau in <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

adelte. Franziskus wurde in diesem schizophrenen<br />

Umfeld groß, das Frauen entwe<strong>der</strong> erhöhte<br />

o<strong>der</strong> dämonisierte.<br />

Wenn wir seine Biographien studieren, stellen wir<br />

uns die Frage: Wie viele Frauen spielten eine bedeutende<br />

Rolle im Leben <strong>des</strong> Franziskus? Drei tauchen<br />

sofort auf: seine Mutter Pica, Klara <strong>und</strong> Herrin<br />

Jakoba. Wenn wir jedoch unsere Suche fortsetzen,<br />

finden wir zahlreiche an<strong>der</strong>e Frauen, die als DRAMA-<br />

TIS PERSONAE seiner Geschichte gelten können,<br />

doch sie gehen oft ohne Namen <strong>und</strong> ohne eigene<br />

Stimme über die Bühne. Achte auf die Frauen von<br />

Greccio, die er wie verlautet bew<strong>und</strong>erte, die Nonnen<br />

von San Severino, Praxe<strong>des</strong> von Rom, die fünf<br />

Kandidatinnen, die er Klara für ihren Orden vorstellte.<br />

Und was ist mit <strong>der</strong> gesamten Gemeinschaft<br />

von San Damiano, die ihn verehrte <strong>und</strong> in den letzten<br />

Jahren gespannt auf seine seltenen Besuche <strong>und</strong><br />

Predigten wartete? Wenn wir unsere Untersuchung<br />

fortsetzen, nehmen wir wahr, wie häufig Frauen im<br />

Zentrum <strong>der</strong> WUNDERTRAKTATE stehen. Wie viele


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

Frauen antworteten auf sein Klopfen, wenn er in<br />

Assisi o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Dörfern bettelte? Wie viele<br />

Frauen standen in den Kathedralen o<strong>der</strong> auf den<br />

Piazzas vor ihm? Sprach er sie nie an? Gab es keine<br />

Gespräche mit H<strong>und</strong>erten von Frauen, die zu den<br />

frühen Schwestern <strong>der</strong> Buße wurden?<br />

Die Bedeutung von Klara <strong>und</strong><br />

Jakoba für Franziskus<br />

Was immer wir über diese weite Welt <strong>der</strong> Frauen<br />

erschließen, wir wissen, dass zwei Frauen eine zentrale<br />

Rolle <strong>der</strong> Beziehung zu <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft mit<br />

Franziskus besaßen: Klara <strong>und</strong> Jakoba. Was lernen<br />

wir aus diesen Beziehungen, die eindeutig ein Leben<br />

lang dauerten? Vielleicht ist das bedeutendste<br />

Zeugnis <strong>der</strong> Beziehung zu Klara in <strong>der</strong> LEBENSFORM<br />

<strong>und</strong> dem VERMÄCHTNIS FÜR DIE HEILIGE KLARA<br />

enthalten. In diesen beiden kurzen Stellungnahmen<br />

bekräftigt Franziskus, dass er Klara als ihm gleichwertig<br />

in Berufung <strong>und</strong> Hingabe versteht. Er verfügt<br />

eine einzigartige Gleichheit in <strong>der</strong> Behandlung<br />

von Klara <strong>und</strong> ihren Schwestern <strong>und</strong> stellt die Sorge<br />

für sie auf die gleiche Ebene wie die Sorge um die<br />

Bru<strong>der</strong>schaft. Klara war sich <strong>der</strong> gewaltigen Kraft<br />

dieser Gegenseitigkeit <strong>und</strong> dieses Versprechens so<br />

bewusst, dass sie diese beiden Schriftstücke in die<br />

Mitte ihrer eigenen Regel aufnahm (Kapitel VI).<br />

Weil Jesus das Modell für alles war, das Franziskus<br />

lebte, fand er Hilfe in jenen Begegnungen, in denen<br />

Jesus im Umgang mit Frauen die Grenzen <strong>des</strong><br />

Herkömmlichen überschritt, <strong>und</strong> in gleicher Weise<br />

Richtlinien in jenen Passagen, die von Frauen<br />

erzählten, die Jesus nachfolgten <strong>und</strong> ihm dienten?<br />

Gaben diese Hinweise, dass Jesus bereit war, in seinem<br />

Dienst Missbilligung wegen seiner Beziehungen<br />

zu Frauen zu riskieren, Franziskus die Freiheit,<br />

die er benötigte, um auf die Weise zu glauben<br />

<strong>und</strong> sich zu verhalten, wie er es tat?<br />

Die Beziehung <strong>des</strong> Franziskus zu Frauen –<br />

das Positive <strong>und</strong> die Schwierigkeiten<br />

Die Biographien lassen uns auch erkennen, dass die<br />

Beziehung <strong>des</strong> Franziskus zu Frauen nicht immer<br />

ruhig, erfreulich <strong>und</strong> ungetrübt waren. Einige <strong>der</strong><br />

überlieferten Geschichten schil<strong>der</strong>n uns warme <strong>und</strong><br />

sympathische Begegnungen. Die LEGENDA PERU-<br />

SINA erzählt von einem Besuch in San Damiano zur<br />

Behandlung <strong>und</strong> seine Komposition <strong>des</strong> AUDITE,<br />

eine liebliche Unterweisung voll zärtlicher Sorge<br />

(LegPer 42-43). Die Fioretti bewahren die w<strong>und</strong>ervolle,<br />

Parabel-gleiche Geschichte <strong>des</strong> Mahles, das<br />

bei Portiunkula gefeiert wurde (Fior 15). Wir wissen<br />

um seine Besuche bei Jakoba in Rom aus seiner<br />

letzten Bitte an sie. Ein bemerkenswertes Zeugnis<br />

<strong>der</strong> Kraft dieser Beziehung ist festgehalten durch<br />

das Aufstellen ihrer sterblichen Gebeine direkt<br />

gegenüber seinem Grab in <strong>der</strong> Grabkapelle <strong>der</strong><br />

Basilika San Francesco.<br />

Wir dürfen jedoch nicht jene Geschichten übergehen,<br />

die uns ein an<strong>der</strong>es Bild zeichnen, einen<br />

Franziskus, <strong>der</strong> ängstlich, hartherzig <strong>und</strong> gefühllos<br />

gegenüber seinen Fre<strong>und</strong>innen erscheint. Wir erinnern<br />

an die Predigt, die er in San Damiano hielt,<br />

welche den Schwestern den Trost, den sie erwarteten,<br />

zu verweigern scheint, als er Asche über sich<br />

streut, das MISERERE betet <strong>und</strong> dann in Stille weggeht<br />

(2 Cel 207). Es gibt negative Aussagen über<br />

Frauen, die ihm zugesprochen werden, die deutlich<br />

die frauenfeindlichen Tendenzen <strong>der</strong> klerikalen<br />

Literatur jener Zeit wi<strong>der</strong>spiegeln (2 Cel 112). Wir<br />

wissen auch, dass die Bewahrung <strong>der</strong> Keuschheit für<br />

Franziskus ein Kampf war <strong>und</strong> dass sein Schwanken<br />

in seiner leidenschaftlichen Natur <strong>und</strong> ihrem sündigen<br />

Potential ihn heftig beschäftigte. Dieser innere<br />

Kampf dürfte Franziskus eine rosige Sicht <strong>der</strong> Beziehung<br />

zu Frauen unmöglich gemacht haben. Dass<br />

dies ihn nicht davon abhielt, Beziehungen von<br />

radikaler Gleichheit <strong>und</strong> zärtlicher Bew<strong>und</strong>erung<br />

zu unterhalten, ist seinerseits ein W<strong>und</strong>er <strong>der</strong> Gnade<br />

<strong>des</strong> Evangeliums.<br />

Wir können daher bekräftigen, dass Franziskus<br />

ein außerordentlicher Mensch war, <strong>der</strong> nicht völlig<br />

frei war von <strong>der</strong> frauenfeindlichen Propaganda <strong>der</strong><br />

Kirche seiner Zeit <strong>und</strong> einer allgemein negativen<br />

Sicht <strong>der</strong> menschlichen Natur – beson<strong>der</strong>s ihrer<br />

sexuellen Dimension –, einem beherrschenden Zug<br />

<strong>der</strong> christlichen Lehre <strong>und</strong> <strong>des</strong> Vorurteils von <strong>der</strong><br />

Zeit <strong>des</strong> Augustinus bis ins Mittelalter. Franziskus<br />

schuf eine Lebensform, die den Zölibat erfor<strong>der</strong>te,<br />

aber auf den Schutz <strong>der</strong> klösterlichen Klausur<br />

verzichtete. Sein zunehmen<strong>der</strong> Kummer über das<br />

123


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

Verhalten von Brü<strong>der</strong>n, die weniger begnadet <strong>und</strong><br />

klar in ihrer Hingabe waren, spiegelt sich in seiner<br />

REGEL <strong>und</strong> seinen Biographien. Der neue Einfluss<br />

höfischer Literatur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Troubadour-Musik<br />

wendet sich an den Möchtegern-Ritter; seine Sprache<br />

<strong>und</strong> seine Bildwelt leihen sich Feinheit <strong>und</strong><br />

Zauber dieser Vorstellung von Männern <strong>und</strong> Frauen,<br />

die aus edlen Gründen zärtliche Verbindungen<br />

eingegangen waren. Die Kraft <strong>und</strong> die heroische<br />

Evangeliumstreue mancher Frauen in seinem Leben<br />

entlockte ihm Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> hingebungsvolle<br />

Fre<strong>und</strong>schaft, die öffentlich <strong>und</strong> deutlich ausgesprochen<br />

ist. Er bezog Frauen in seine Bewegung mit<br />

ein, um das Evangelium als Norm allen menschlichen<br />

Mühens gr<strong>und</strong>zulegen. Er heißt diese Frauen<br />

nicht weniger als ihre männlichen Gegenüber willkommen<br />

<strong>und</strong> schließt sie ausdrücklich in seine Bildungspläne<br />

ein (Brief an die Gläubigen).<br />

Franziskus ist uns so<br />

auf folgende Weise behilflich:<br />

1. Er schenkt eine tiefe geistliche Einsicht über die<br />

Wechselbeziehung aller Lebewesen in weiblichen<br />

<strong>und</strong> männlichen Begriffen (SONNENGESANG).<br />

2. Er zeigt eine Fähigkeit, kulturelle Barrieren<br />

auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Wahrheit <strong>des</strong> Evangeliums<br />

zu überwinden.<br />

3. Er hinterlässt uns die Erinnerung an seine<br />

tiefe Fre<strong>und</strong>schaft mit Klara <strong>und</strong> Jakoba; dies ist<br />

kein kleiner Trost in unserem Suchen.<br />

Wir müssen an<strong>der</strong>erseits verstehen lernen,<br />

dass Franziskus für einige unserer<br />

Schwierigkeiten keine Antworten liefert:<br />

1. Die Entwicklung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Frau in <strong>der</strong> industrialisierten,<br />

westlichen Welt, das neue Bewusstsein<br />

<strong>der</strong> Frauen in allen Kulturen, die ursprünglichsten<br />

ausgenommen, <strong>und</strong> die noch nicht erfassten<br />

Lebenswelten in den postmo<strong>der</strong>nen <strong>und</strong> den postmarxistischen<br />

Gesellschaften bleibt unser Problem,<br />

das es zu lösen gilt. Franziskus lebte nicht, wo wir<br />

heute leben müssen. Die wirkliche Entfaltung <strong>des</strong><br />

Bewusstseins von <strong>der</strong> sexuellen Natur menschlichen<br />

Lebens <strong>und</strong> die beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit, die dies<br />

124<br />

in allen Medien erfährt, stellen noch nie dagewesene<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen für uns dar.<br />

2. Die Schwierigkeiten, denen Frauen in <strong>der</strong> Kirche<br />

begegnen, wo patriarchalische <strong>und</strong> sexistische Vorurteile<br />

oft ihr Personsein erniedrigt <strong>und</strong> ihr Mitwirken<br />

reduziert haben, schaffen in manchen Gegenden<br />

ernste Brüche. Der Ruf <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> Franziskus,<br />

eine Quelle <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

für Frauen zu sein, ist dringlich in <strong>der</strong> kirchlichen<br />

Gemeinschaft heute.<br />

Schließlich sollten wir bekräftigen, dass die Zunahme<br />

an Strukturen <strong>und</strong> Gelegenheiten, bei denen<br />

franziskanische Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern Seite an<br />

Seite arbeiten, ein Zeichen <strong>der</strong> schöpferischen Treue<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Familie in unserer Zeit ist. Wir<br />

sehen heute viel Arbeit in internen Projekten <strong>der</strong><br />

Kooperation unserer Orden <strong>und</strong> in ihren Strukturen<br />

auf internationaler <strong>und</strong> kontinentaler Ebene,<br />

was uns gemeinsam danach streben lässt, unsere<br />

Berufung zu leben <strong>und</strong> unsere Stimme in <strong>der</strong> Weltgemeinschaft<br />

zu Gehör zu bringen. Für all das,<br />

wofür uns Franziskus ein Modell <strong>und</strong> die Inspiration<br />

bietet, lasst uns dankbar sein. Um unsere eigene<br />

Verantwortung zu erkennen, welche evangelische<br />

Energie wir benötigen, um zu gehen wie einst Franziskus<br />

<strong>und</strong> Klara im lo<strong>der</strong>nden Garten von Portiunkula,<br />

lasst uns Verantwortung übernehmen.<br />

Margaret Carney O.S.F.


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Schwestern …<br />

Wenn Franziskus heute zurückkehren <strong>und</strong> in einem<br />

<strong>der</strong> vielen Seminare <strong>und</strong> internationalen Konferenzen<br />

über die Rolle <strong>der</strong> Frau in Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

sitzen würde, würde er wahrscheinlich eher<br />

Verständnisschwierigkeiten haben! Nirgendwo<br />

haben sich die kulturellen Parameter mehr verän<strong>der</strong>t<br />

in den Jahrh<strong>und</strong>erten, seitdem er <strong>und</strong> die<br />

hl. Klara ihre Gemeinschaften gegründet haben,<br />

als auf dem Gebiet <strong>der</strong> „Frauenrechte“.<br />

Brü<strong>der</strong> in Asien haben die Führung übernommen<br />

bei dem Bemühen, sich diesen Verhaltensän<strong>der</strong>ungen<br />

zuzuwenden. Die Konferenzen <strong>der</strong> Franziskaner<br />

Asiens <strong>und</strong> Ozeaniens (FCAO) entschieden, sich<br />

zwei Jahre lang <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Frauen in jenem<br />

Teil <strong>der</strong> Welt zu stellen <strong>und</strong> einen Bericht über ihre<br />

Erkenntnisse zu veröffentlichen. Dieser zweijährige<br />

Untersuchungsprozess, auf dem <strong>der</strong> Bericht beruht,<br />

wird als einer <strong>der</strong> weitsichtigsten <strong>und</strong> konstruktivsten<br />

Schritte angesehen, <strong>der</strong> jemals auf Konferenzebene<br />

unternommen wurde, um das Verständnis <strong>und</strong><br />

das Handeln auf dem Feld <strong>der</strong> Frauenrechte zu<br />

för<strong>der</strong>n. Die Brü<strong>der</strong> aus dreizehn Provinzen versandten<br />

detaillierte Fragebögen, um Informationen<br />

über den Status <strong>und</strong> die sozialen Bedingungen <strong>der</strong><br />

Frauen in ihren Län<strong>der</strong>n zusammenzutragen. Je<strong>der</strong><br />

dieser Berichte wurde dann wie<strong>der</strong> von drei verschiedenen<br />

Frauen jener Region überprüft. Die<br />

Ergebnisse bildeten die Gr<strong>und</strong>lage für ein Seminar<br />

in Sydney, Australien, an dem die dreizehn Provinzialminister<br />

<strong>der</strong> FCAO <strong>und</strong> Gäste aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n<br />

teilnahmen. Fünf Frauen aus verschiedenen<br />

Nationen Asiens <strong>und</strong> zwei aus Australien nahmen<br />

an den Diskussionen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> teil. Die zweite<br />

Hälfte <strong>des</strong> Treffens richtete das Augenmerk auf den<br />

Beitrag von Franziskus <strong>und</strong> Klara für die Anfänge<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Bewegung wie auch auf den<br />

Beitrag <strong>der</strong> Frauen für die Zukunft <strong>des</strong> franziskanischen<br />

Lebens. Wegen <strong>der</strong> unterschiedlichen Kulturen<br />

unter den Nationen <strong>der</strong> FCAO ergaben sich<br />

sowohl verschiedene als auch gemeinsame Probleme,<br />

die von den Frauen <strong>und</strong> den Brü<strong>der</strong>n aus allen<br />

Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Region angesprochen wurden. Ökonomische<br />

Ungerechtigkeiten, Bürgerrecht zweiter<br />

Klasse, Mangel an Achtung <strong>und</strong> Mangel an Bewusstsein<br />

wurden praktisch in jedem Bericht<br />

erwähnt. Die Reflexionen <strong>der</strong> Frauen, die auf den<br />

Bericht antworteten, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Frauen, die an dem<br />

Treffen teilnahmen, verstärkten in sehr persönlicher<br />

Weise die Ansichten <strong>und</strong> den Schmerz, <strong>der</strong> in den<br />

Provinzberichten zum Ausdruck kam, <strong>und</strong> for<strong>der</strong>ten<br />

die Brü<strong>der</strong> heraus, auf kreative Weise zu antworten.<br />

Die Vorschläge reichten von sehr praktischen<br />

wie Kursen für Kin<strong>der</strong>pflege, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

handwerkliche Fertigkeiten, zu einer vollständigen<br />

Revision <strong>der</strong> traditionellen <strong>und</strong> unterdrückenden<br />

Bibelinterpretationen, die über Jahrh<strong>und</strong>erte verwendet<br />

wurden, um die Unterdrückung <strong>der</strong> Würde<br />

<strong>der</strong> Frau zu erhalten. Die Berichte betonen, dass<br />

Mitleid für die Notlage <strong>der</strong> Frauen, die in Armut,<br />

Prostitution <strong>und</strong> unterdrückenden Beziehungen<br />

gefangen sind, nicht genügt. Brü<strong>der</strong> müssen den<br />

Weg weisen in Richtung wirklicher Befähigung <strong>und</strong><br />

Kooperation, indem sie ihr persönliches Verhalten<br />

gegenüber Frauen, mit denen sie in ihrem Alltagsleben<br />

zu tun haben, einer gr<strong>und</strong>legenden Prüfung<br />

unterziehen.<br />

Der Bericht schließt mit zwei Geschichten von<br />

ANTONIO EGIGUREN, <strong>der</strong> im St. Clare’s Hospiz für<br />

Sterbende in Lamsai, Thailand, arbeitet. Eine<br />

Geschichte erzählt von einer muslimischen Frau,<br />

die von ihrem Ehemann, einem LKW-Fahrer, zu<br />

Drogenkonsum <strong>und</strong> Prostitution in Bangkok<br />

gezwungen wurde. Verlassen von ihrer Familie, liegt<br />

sie allein an AIDS sterbend in Lamsai. Die an<strong>der</strong>e<br />

Geschichte berichtet von einer jungen Frau chinesischer<br />

Herkunft, die auch einen LKW-Fahrer in<br />

Bangkok heiratete <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> Drogenabhängigkeit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holten Untreue ihres Mannes<br />

nicht bewusst war. Innerhalb eines Jahres starb ihr<br />

einziger Sohn an AIDS, dem ihr Ehemann im Alter<br />

von 31 Jahren folgte. Sie selbst hat nicht mehr lange<br />

zu leben. Als sie über ihr Verhalten ihrem Mann<br />

gegenüber befragt wurde, sagte sie: „Mir wurde<br />

von meiner Mutter von Kindheit an beigebracht, zu<br />

akzeptieren, dass Männer promiskuitiv <strong>und</strong> zu<br />

schwach sind, ihre sexuellen Begierden zu beherrschen.<br />

Ich entsprach diesen Weisungen <strong>und</strong> es verletzt<br />

mich nicht zu erfahren, dass mein Ehemann<br />

gerne zu an<strong>der</strong>en Mädchen ging.“<br />

Franziskanerinnen <strong>und</strong> Franziskaner, Laien <strong>und</strong><br />

Ordensleute werden sich zunehmend bewusst, dass<br />

die Erziehung <strong>der</strong> Schlüssel zur Verän<strong>der</strong>ung solchen<br />

Verhaltens ist, eine Erziehung, die oft in Gegensatz<br />

zu vorherrschenden religiösen <strong>und</strong> kulturellen Über-<br />

125


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

Matthäus 11, 58<br />

lieferungen stehend erscheinen mag. Für zu lange<br />

Zeit, sagen sie, stand <strong>der</strong> Beitrag <strong>der</strong> hl. Klara für das<br />

franziskanische Charisma verborgen im Schatten <strong>des</strong><br />

hl. Franziskus, – eine Tatsache, die erst während <strong>der</strong><br />

jüngsten 800-Jahrfeierlichkeiten deutlich zu werden<br />

begann. Bis diese Tatsache anerkannt ist, werden<br />

Frauen nie die gleiche Anerkennung <strong>und</strong> Verantwortlichkeit<br />

erreichen, die sie im Leben <strong>der</strong> Kirche<br />

suchen. Die Franziskanerin MARIA ELENA MARTI-<br />

NEZ ist eine Frau, die vom sich wandelnden Verhalten<br />

gegenüber Frauen in <strong>der</strong> Kirche profitiert hat.<br />

Seit kurzem Novizenmeisterin bei den SISTERS OF<br />

ST. FRANCIS OF PENANCE AND CHRISTIAN CHARITY<br />

in Kalifornien, USA, wurde Maria Elena als Kind<br />

mexikanisch-amerikanischer Eltern geboren. Mit ca.<br />

20 Jahren trat sie einer franziskanischen Gemeinschaft<br />

bei <strong>und</strong> wurde zu einer Ausbildung als geistliche<br />

Begleiterin geschickt. Sie lernte viel über die<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen multikulturellen Lebens. Später<br />

unterrichtete Maria Elena an einer Highschool in<br />

Los Angeles. Sie wurde angefragt, ob sie als geistliche<br />

Begleiterin in einer örtlichen Postulatsgemeinschaft<br />

Dienst tun wolle, da kein Bru<strong>der</strong> für diese Aufgabe<br />

gef<strong>und</strong>en werden konnte. Maria Elena nahm an. Sie<br />

126<br />

konnte zwar nicht mit den Brü<strong>der</strong>n leben, doch sie<br />

konnte täglich mit ihnen essen, als geistliche Begleiterin<br />

arbeiten <strong>und</strong> Unterricht geben. Als spanisch<br />

sprechende Männer aus El Salvador <strong>und</strong> Mexiko<br />

zum ersten Mal in dieser Zeit in größerer Zahl in das<br />

Noviziat eintraten, setzte Maria Elena ihre Arbeit als<br />

Mitglied <strong>des</strong> Ausbildungsteams <strong>der</strong> Provinz für weitere<br />

zwölf Jahre fort. Nach Aussagen Maria Elenas<br />

war die Arbeit mit den spanisch sprechenden Männern<br />

beson<strong>der</strong>s dankbar, „weil sie auf Gr<strong>und</strong> ihrer<br />

Beziehungen zu ihren Müttern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Frauen<br />

in ihrem Leben, offener <strong>und</strong> verletzlicher sind in <strong>der</strong><br />

Gegenwart einer vertrauensvollen Frau. Für viele <strong>der</strong><br />

anglo-amerikanischen Männer war dies schwieriger.<br />

Es war ein Prozess, sie zu begleiten <strong>und</strong> ihnen beson<strong>der</strong>s<br />

bei den Themen zuzuhören, bei denen ich<br />

imstande war, zwischen den Konflikten <strong>der</strong> englischen<br />

<strong>und</strong> spanischen Kulturen zu vermitteln.“<br />

Schließlich übernahm Maria Elena auch die Koordination<br />

<strong>der</strong> „Guatemala-Erfahrung“, einem Orientierungsprogramm<br />

<strong>der</strong> Provinz. Nach dem Noviziat<br />

begeben sich die Brü<strong>der</strong> in die Außenbezirke von<br />

Guatemala City, wo sie in einer armen Pfarrei arbeiten,<br />

die von <strong>der</strong> zentralamerikanischen Provinz<br />

betreut wird, <strong>und</strong> in einem Haus leben, das im wörtlichen<br />

Sinn auf einer Müllhalde errichtet ist. Bevor<br />

die Brü<strong>der</strong> diese Erfahrung beginnen, arbeitet Maria<br />

Elena in kleinen Gruppen mit ihnen <strong>und</strong> behandelt<br />

mit ihnen Probleme wie Ärger, Alleinsein <strong>und</strong><br />

Sexualität – Probleme, die ihnen sicherlich begegnen<br />

werden, während sie in einem fremden Land leben.<br />

Nachdem die Brü<strong>der</strong> einige Monate in Guatemala<br />

gelebt haben, trifft sich Maria Elena mit jedem von<br />

ihnen einzeln. Ihr direkter, offener Stil ist ein großer<br />

Segen für viele, die offen ihre Zweifel <strong>und</strong> Bedenken<br />

ausdrücken können. Nach ihrer Rückkehr in die<br />

USA setzt Maria Elena ihre Arbeit als geistliche<br />

Begleiterin für diejenigen fort, die ihre Erfahrungen<br />

aus Guatemala anzuwenden versuchen auf neue<br />

Denkweisen über <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in ihren eigenen<br />

Gemeinschaften. Auch wenn später manche Brü<strong>der</strong><br />

auf bequeme Positionen innerhalb <strong>der</strong> Provinz<br />

rücken <strong>und</strong> weniger offen werden gegenüber <strong>der</strong><br />

Idee <strong>des</strong> Dialogs mit Frauen, glaubt Maria Elena,<br />

dass es wesentlich ist, sie in ständiger Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

zu halten – wie Klara Franziskus herausgefor<strong>der</strong>t<br />

hat hinsichtlich <strong>des</strong> Verhaltens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fähigkeit,<br />

in gegenseitiger Achtung vor allen Frauen <strong>und</strong><br />

Männern zu leben.


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

„Einige Männer sind tief betroffen, an<strong>der</strong>e jedoch<br />

akzeptieren nicht das Bedürfnis <strong>der</strong> Frauen nach<br />

Stärkung ihrer Position, weil sie fürchten, ihre Macht<br />

zu verlieren, beson<strong>der</strong>s in manchen Traditionen <strong>und</strong><br />

Kulturen.“ Das ist die Erfahrung von ROSE FERNAN-<br />

DO, <strong>der</strong> Koordinatorin für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

<strong>der</strong> FRANCISCAN MISSIONARIES OF MARY<br />

(FMM). Sie stammt aus Sri Lanka, dem ersten<br />

Land, das schon in den 50er Jahren eine Frau zur<br />

Premierministerin wählte. Rose verbringt viel Zeit<br />

auf Reisen, um Workshops zu Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden zu halten. Bekleidet mit ihrem<br />

knielangen grauen Habit <strong>und</strong> Schleier, ihre Hände<br />

zurückhaltend in ihrem Schoß gefaltet, entspricht sie<br />

nicht im entferntesten dem Stereotyp einer radikalen<br />

kirchlichen Feministin, die die Priesterweihe für<br />

Frauen for<strong>der</strong>n. Doch wenn sie zur För<strong>der</strong>ung von<br />

Frauen befragt wird, erzählen ihre Worte <strong>und</strong> ihr<br />

begeisterter Gesichtsausdruck eine ganz an<strong>der</strong>e<br />

Geschichte. Sie sagt: „Überall, wohin ich komme,<br />

sehe ich Frauen, die sich ihrer Situationen bewusster<br />

werden <strong>und</strong> sie mutig ansprechen, auch in solchen<br />

Kulturen, in denen Frauen bis heute in Schweigen<br />

gehalten wurden. Wohin ich auch gehe, bestehe ich<br />

sehr auf einer gemeinsamen Erziehung von Männern<br />

<strong>und</strong> Frauen; dies ist wirklich <strong>der</strong> Schlüssel zur Verän<strong>der</strong>ung.“<br />

Und die Dinge än<strong>der</strong>n sich zum Besseren –<br />

wenn auch langsam – selbst innerhalb <strong>der</strong> Kirche, so<br />

Rose. Sie verweist auf das Beispiel einer 91 Jahre<br />

alten Schwester aus Australien, die jüngst begonnen<br />

hat, während <strong>der</strong> täglichen Psalmen <strong>und</strong> Gebete die<br />

inklusive Sprachform zu verwenden.<br />

Wenn sie zu ihrer Erfahrung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

unter Brü<strong>der</strong>n, Schwestern <strong>und</strong> franziskanischen<br />

Laien auf internationaler Ebene gefragt wird, antwortete<br />

Rose: „Ich ging als ein Mitglied <strong>der</strong> Nichtregierungsorganisation<br />

FRANCISCANS INTERNATIO-<br />

NAL zur Weltfrauenkonferenz <strong>der</strong> UNO nach<br />

Peking <strong>und</strong> ich bin mir nicht sicher, wie viele<br />

Männer wirklich verstanden, was wir zu sagen versuchten<br />

– dass alles, was wir wünschen, eine Partnerschaft<br />

ist, in <strong>der</strong> Gesellschaft wie in <strong>der</strong> Kirche.“<br />

Ihre eigene persönliche Erfahrung <strong>der</strong> Lobbyarbeit<br />

auf dieser Ebene war sehr positiv, sowohl im September<br />

1995 in Peking als auch in Rom beim Gipfel<br />

<strong>der</strong> FAO über Hungerprobleme im November<br />

1996. FRANCISCANS INTERNATIONAL ist eine neue<br />

<strong>und</strong> konkrete Einsatzmöglichkeit, zusammen an<br />

gemeinsamen Themen zu arbeiten.<br />

Dänemark ist ein Land, in dem diese Art Kooperation<br />

auch auf nationaler Ebene geschieht, so MARI-<br />

ANNE POWELL, Koordinatorin für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden für den Internationalen Rat <strong>der</strong> Franziskanischen<br />

Gemeinschaft (FG). Als ehemalige Universitätsprofessorin<br />

für Englisch arbeitet sie jetzt im<br />

Bereich Erziehung für die Diözese Kopenhagen, <strong>der</strong><br />

einzigen katholischen Diözese in Dänemark. Die<br />

kleine katholische Bevölkerungsgruppe wie <strong>der</strong><br />

Mangel an Priestern sind aus ihrer Sicht <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>,<br />

warum Laien, Frauen <strong>und</strong> Männer, in diesem Teil<br />

<strong>der</strong> Welt gelernt haben, so gut zusammenzuarbeiten.<br />

Sie selbst war am Aufbau <strong>der</strong> Franziskanischen<br />

Gemeinschaft in Dänemark in den frühen 80er Jahren<br />

beteiligt. In den 15 Jahren seither sind sieben<br />

Gemeinschaften mit über 50 Mitglie<strong>der</strong>n entstanden;<br />

doch ihre kleine Zahl erfor<strong>der</strong>t eine Zusammenarbeit<br />

mit Ordensleuten, wenn sie wirkungsvoll<br />

arbeiten wollen. Auf internationaler Ebene half sie<br />

mit, einen Überblick über die FG in an<strong>der</strong>en Teilen<br />

<strong>der</strong> Welt zusammenzutragen. „Die Erkenntnisse<br />

waren unterschiedlich; in einigen Län<strong>der</strong>n sind die<br />

Laien gut mit ihren franziskanischen Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Schwestern organisiert. In an<strong>der</strong>en gibt es keine<br />

offiziellen Strukturen, aber Franziskaner arbeiten in<br />

Gremien diözesaner Kommissionen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden zusammen. Meine Rolle besteht<br />

darin, ein größeres Bewusstsein unter diesen Gruppen<br />

zu wecken für Themen, in denen sie kooperieren<br />

können.“ Auf dem Feld von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden, meint sie, biete sich die Zusammenarbeit<br />

natürlich an, doch sie gesteht: „Diese Sicht wird von<br />

vielen Männern <strong>und</strong> Frauen in einem Großteil <strong>der</strong><br />

Entwicklungslän<strong>der</strong> noch lange nicht geteilt.“<br />

Der ehemalige Bru<strong>der</strong> KENGO KOBAYASHI war in<br />

Japan als Unterstützer <strong>der</strong> Frauenrechte bekannt,<br />

im Beson<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Rechte <strong>der</strong> dort am stärksten<br />

benachteiligten Frauen, <strong>der</strong> Immigrantinnen. Viele<br />

tausend Frauen verlassen je<strong>des</strong> Jahr die Philippinen<br />

<strong>und</strong> kommen nach Japan auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

Arbeit, die sie in die Lage versetzen könnte, ihre um<br />

ihre Existenz kämpfenden Familien zu Hause zu<br />

unterstützen. Einige werden in das Unterhaltungsgeschäft<br />

gezogen, an<strong>der</strong>e als Ehefrauen an wohlhabende<br />

Japaner verkauft, an<strong>der</strong>e arbeiten als Haushaltshilfen,<br />

aber alle laufen Gefahr, durch skrupellose<br />

Unternehmer o<strong>der</strong> „Besitzer“ ausgebeutet zu<br />

werden. Als Vorsitzenden <strong>des</strong> Yokohama Solidaritätszentrums<br />

für Migranten kann man Kengo<br />

127


■ Frauen <strong>und</strong> die Charismen von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

manchmal sehen, wie er auf den Straßen für die<br />

Interessen dieser Frauen demonstriert. Um ihnen zu<br />

helfen, sich selbst zu organisieren <strong>und</strong> zu stärken,<br />

hat er auch ein umfassen<strong>des</strong> Handbuch für Migranten<br />

zusammengestellt, das ihre Rechte im japanischen<br />

Recht auflistet <strong>und</strong> die Organisationen, an<br />

die sie sich um Hilfe wenden können. Das 1996<br />

veröffentlichte Buch deckt alle Gebiete ab, von <strong>der</strong><br />

Einreise <strong>und</strong> Aufenthaltserlaubnis bis zu Arbeit <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsthemen, im Beson<strong>der</strong>en die Sexualhygiene<br />

<strong>der</strong> Frauen, wie auch die Gesetze zu Ehe,<br />

Scheidung <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung. Kengo hat die<br />

Arbeit mit diesen armen Frauen zu einer unerwarteten<br />

Bekehrung geführt: die Welt aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong><br />

armen Frauen zu sehen <strong>und</strong> sie mehr zu begleiten<br />

als zu führen.<br />

Fragen zur Diskussion<br />

1. Haben Franziskanerinnen die Wertschätzung<br />

deiner franziskanischen Berufung ausgeweitet?<br />

Haben Frauen <strong>der</strong> FG dasselbe getan?<br />

2. Haben franziskanische Frauen (Ordensschwestern<br />

o<strong>der</strong> Laien <strong>der</strong> FG) blinde Flecken<br />

in deiner franziskanischen Sicht herausgefor<strong>der</strong>t?<br />

Wenn ja, wie hast du ihr/ihnen<br />

geantwortet?<br />

3. Sind franziskanische Frauen dir gleichwertig?<br />

Beeinflusst dies deine apostolische Tätigkeit,<br />

die tägliche Unterhaltung o<strong>der</strong> das tägliche<br />

Leben in deiner Gemeinschaft?<br />

4. Arbeitet deine örtliche Gemeinschaft mit<br />

Franziskanerinnen in <strong>der</strong> Nachbarschaft<br />

zusammen? Tut dies deine Provinzgemeinschaft?<br />

5. Hat deine Provinz in jüngster Zeit eine Franziskanerin<br />

eingeladen, um auf einer Provinzversammlung<br />

zu sprechen o<strong>der</strong> Provinzexerzitien<br />

zu leiten?<br />

6. Haben du o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> Franziskanerinnen<br />

als geistliche Begleiterinnen? Wie hat<br />

dies dein/euer Leben in <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Berufung beeinflusst?<br />

128<br />

Generalkonstitutionen<br />

Artikel 56,1: Die Brü<strong>der</strong> sollen im Bewusstsein <strong>des</strong>selben<br />

Charismas <strong>und</strong> gegenseitiger Bindungen den<br />

Klosterfrauen vom Zweiten <strong>und</strong> Dritten Orden <strong>des</strong><br />

heiligen Franziskus immer liebevolle Sorge <strong>und</strong> Aufmerksamkeit<br />

zuwenden.<br />

Weitere Hinweise: Artikel 51 <strong>und</strong> 58.<br />

7. Welchen Beitrag vermag dir Klara für dein<br />

Verstehen <strong>und</strong> Leben <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Berufung zu geben?<br />

8. Welchen Beitrag leisten Frauen für den Glauben<br />

unserer christlichen Kirchen heute?<br />

9. Welchen Beitrag leisten Frauen <strong>der</strong> Kirche<br />

für das Ordensleben heute?<br />

10. Was sind die weiblichen Beiträge für Gottes<strong>und</strong><br />

Kirchenbild? Welchen beson<strong>der</strong>en<br />

Beitrag können Frauen für unseren Eintritt in<br />

die Welt <strong>der</strong> Armen leisten?<br />

11. Gibt es weibliche Werte, welche die verschiedenen<br />

Weisen <strong>der</strong> Jesusnachfolge bereichern?<br />

12. Gibt die Situation <strong>der</strong> Frauen in <strong>der</strong> Kirche<br />

ihnen einen Vorteil, das Leben nach dem<br />

Evangelium zu verstehen <strong>und</strong> zu leben?<br />

13. Können Frauen eine bedeutende Rolle<br />

übernehmen, mit Zärtlichkeit <strong>und</strong> Einfühlungsvermögen<br />

zu evangelisieren? Welche<br />

einzigartigen Beiträge können christliche<br />

Frauen zur Erneuerung <strong>der</strong> Kirche leisten?


Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong><br />

interkultureller Dialog


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

Ökumenischer,<br />

interreligiöser<br />

<strong>und</strong> interkultureller<br />

Dialog<br />

§ 1 Der ökumenische Geist muss überall geför<strong>der</strong>t werden,<br />

<strong>und</strong> wenn die Verhältnisse es erlauben, sollen<br />

Wege <strong>und</strong> Mittel <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit allen an<strong>der</strong>en<br />

Christen gesucht werden ...<br />

§ 2 In Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Ehrerbietung sollen die<br />

Brü<strong>der</strong> unter den Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen präsent<br />

sein <strong>und</strong> mit ihnen zusammen am Aufbau <strong>des</strong><br />

Volkes arbeiten, das Gott für sich geschaffen hat.<br />

<strong>OFM</strong> Generalkonstitutionen, Artikel 95,1-2<br />

Aus dem Leben <strong>des</strong> Franziskus …<br />

Es kann vermutlich auf kein besseres Beispiel für<br />

Franziskus als Mann <strong>des</strong> Dialogs verwiesen werden,<br />

als auf die extrem positive Antwort <strong>der</strong> religiösen<br />

Führer <strong>der</strong> Welt auf die Einladung Papst Johannes<br />

Paul II., am 27. Oktober 1986 nach Assisi zu kommen,<br />

um für den Frieden zu beten. Die Demut <strong>und</strong><br />

Ehrerbietung, die Franziskus gegenüber je<strong>der</strong><br />

Person zeigte, sind Schlüsselfaktoren für jeglichen<br />

Dialog, sei er sozial, politisch o<strong>der</strong> religiös.<br />

Als Franziskus seinen ersten Brü<strong>der</strong>n erzählte, dass<br />

bald Franzosen, Spanier, Deutsche <strong>und</strong> Englän<strong>der</strong><br />

unter ihnen sein würden (1 Cel 27), bereitete er sie<br />

auf die Notwendigkeit <strong>des</strong> Dialogs vor! Wenn sich<br />

die ersten Brü<strong>der</strong> auf Kapitel trafen, dann führten<br />

sie einen Dialog über das, was Gott bereits durch sie<br />

gewirkt hatte, <strong>und</strong> über das neue Werk, das Gott<br />

wohl durch sie wirken wollte. So brachen die Brü<strong>der</strong><br />

nach Deutschland auf – zweimal (Jordan von<br />

Giano, NACH DEUTSCHLAND UND ENGLAND, 5 <strong>und</strong><br />

17). Das Erlernen <strong>der</strong> fremden Sprache war eine<br />

Voraussetzung für einen wirkungsvollen Dialog!<br />

An einer Stelle rühmt Celano die Einheit <strong>der</strong> Seelen<br />

<strong>und</strong> die Harmonie <strong>des</strong> Verhaltens <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> (1 Cel<br />

46). Franziskus zeigte einen Geist <strong>des</strong> Dialogs<br />

während seines Besuches beim Sultan Melek-el-<br />

Kamel (1 Cel 57). Jene, die unter die Ungläubigen<br />

gehen, haben zwei Optionen: a) Zank <strong>und</strong> Streit<br />

vermeiden <strong>und</strong> je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur um<br />

Gottes Willen untertan sein, o<strong>der</strong> b) das Wort Gottes<br />

offen verkünden (NbReg 16). Jene, die Streit vermeiden<br />

<strong>und</strong> anständig handeln (BReg 3), haben die<br />

Chance, dialogfähig zu sein. Die Demut <strong>des</strong> Franziskus<br />

hat bewirkt, dass ein großer Baum [Papst Innozenz<br />

III.] sich nie<strong>der</strong>beugte <strong>und</strong> einen kleinen Baum<br />

emporhob [Franziskus, als er den Papst bat, die<br />

Lebensweise <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft zu bestätigen] (Drei-<br />

Gef 53). Wenn Franziskus predigte, „redete er mit<br />

gleichem Freimut zu groß <strong>und</strong> klein. … Je<strong>des</strong> Alter<br />

<strong>und</strong> Geschlecht waren begierig, den neuen Menschen,<br />

den <strong>der</strong> Himmel gesandt hatte, zu sehen <strong>und</strong><br />

zu hören“ (LegMai XII,8). Franziskus sagte den Brü<strong>der</strong>n,<br />

dass die Menschen für ihre Bedürfnisse aufkommen<br />

würden, solange sie ihnen ein gutes Beispiel<br />

gäben. Wenn die Brü<strong>der</strong> es unterließen, ein solches<br />

Beispiel zu geben, würde <strong>der</strong> Vertrag gebrochen<br />

(2 Cel 70). Der „Dialog <strong>des</strong> Lebens“ geht weiter!<br />

Reflexion<br />

Einführung<br />

Können wir an einen Dialog zwischen den Religionen<br />

glauben, im Blick auf das, was 1994 im Nahen<br />

Osten, in Osteuropa <strong>und</strong> in vielen an<strong>der</strong>en Teilen<br />

<strong>des</strong> Planeten geschah? Doch <strong>der</strong> Dialog besteht<br />

bereits, diskret, geduldig <strong>und</strong> vertrauensvoll,<br />

zwischen den offiziellen Vertretern <strong>der</strong> Religionen.<br />

Zwei gemeinsame Punkte verbinden sie: eine verständnisvolle<br />

Neugierde <strong>und</strong> das heilige Versprechen,<br />

keine Proselytenmacherei zu betreiben.<br />

Die nichtchristlichen Religionen haben nicht leicht<br />

Interesse an diesem Dialog gezeigt: jede von ihnen<br />

glaubt, dass sie den „wahren Gott“ besitzt, gut<br />

inkulturiert. Was kann man von an<strong>der</strong>en lernen<br />

131


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

o<strong>der</strong> was kann man an<strong>der</strong>e lehren? Friedliche Koexistenz<br />

genügt. Zwei Vorfestlegungen belasten die<br />

Christen, die die Initiative zu diesen Begegnungen<br />

ergriffen haben: Die erste, treu zu sein gegenüber<br />

dem Auftrag <strong>des</strong> Herrn: „Lehrt alle Völker <strong>und</strong> tauft<br />

sie.“ Die zweite: in welchem Sinn können wir<br />

bekennen, dass Christus <strong>der</strong> einzige Erlöser <strong>der</strong><br />

Menschheit ist.<br />

Um auf diese zwei Fragen zu antworten, denken<br />

Christen, brauchen sie die an<strong>der</strong>en Religionen;<br />

voller Achtung hat man begonnen, den Dialog<br />

zeitweise fortzusetzen. Dies sollte auf vier Ebenen<br />

bedacht werden:<br />

■ in einem gr<strong>und</strong>legenden Dialog aus <strong>der</strong> Tatsache,<br />

ihn gemeinsam zu leben.<br />

■ in einem gr<strong>und</strong>legenden Dialog zur Bewahrung<br />

<strong>und</strong> Entwicklung <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

menschlichen Werte.<br />

■ im Teilen spiritueller, d.h. mystischer Erfahrungen.<br />

■ im theologischen Austausch <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gegenüberstellung<br />

<strong>des</strong> Sprechens über Gott.<br />

Das Zweite Vatikanische Konzil erklärte, dass die<br />

an<strong>der</strong>en Religionen „Samen <strong>des</strong> Wortes“ seien.<br />

Johannes Paul II. sprach in prophetischer Weise:<br />

„Wenn ein Mensch betet, ist es <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> ihn<br />

beten lässt.“<br />

Einige Frauen <strong>und</strong> Männer haben ihre Spuren in<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Kirche hinterlassen, durch ihr<br />

Zeugnis <strong>der</strong> Treue zu Gott <strong>und</strong> <strong>des</strong> Glaubens an die<br />

Menschheit. Unter diesen Zeugen war Franziskus<br />

von Assisi <strong>und</strong> er ist es auch weiterhin, ein Symbol<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

für die vielen Menschen, die ihn überall auf <strong>der</strong><br />

Welt verehren.<br />

A) Dialog im Leben<br />

<strong>des</strong> Franziskus von Assisi<br />

Franziskus war Zeit seines Lebens nicht nur ein<br />

Mann <strong>des</strong> Gebets, son<strong>der</strong>n auch ein Mann <strong>des</strong> Dialogs.<br />

Er bevorzugte diese Weise <strong>der</strong> Anwesenheit in<br />

<strong>der</strong> Welt, um mit Gott, Männern, Frauen, seinen<br />

Brü<strong>der</strong>n, seinen Schwestern <strong>und</strong> <strong>der</strong> gesamten<br />

Schöpfung in Beziehung zu treten.<br />

132<br />

Es ist leicht, Augenblicke seines Lebens aufzuzeigen,<br />

in denen <strong>der</strong> Dialog eine zentrale Rolle spielt, wenn<br />

er Handelnden den Weg zu Versöhnung, Frieden<br />

<strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit weist. Wir wollen hier keine ins<br />

Einzelne gehende Aufzählung geben, weil diese zu<br />

umfangreich würde, doch wir wollen einige Situationen<br />

vorstellen, die mit unterschiedlichen Formen<br />

<strong>des</strong> Dialogs verb<strong>und</strong>en sind.<br />

■ Ein Dialog, <strong>der</strong> bekehrt: „Was willst du,<br />

Herr, das ich tun soll?“ (LegMai I,3).<br />

■ Ein Dialog, <strong>der</strong> befreit: Wie <strong>der</strong> hl. Franziskus<br />

einen Aussätzigen auf w<strong>und</strong>ersame Weise<br />

an Leib <strong>und</strong> Seele heilte (Fior 25).<br />

■ Ein Dialog <strong>der</strong> Frieden schafft: Wie <strong>der</strong> hl.<br />

Franziskus mit Hilfe göttlicher Kraft einen<br />

grimmigen Wolf zähmte (Fior 21).<br />

■ Ein Dialog, <strong>der</strong> das Herz öffnet: Wie <strong>der</strong> hl.<br />

Franziskus Br. Leo erklärte, was vollkommene<br />

Freude sei (Fior 8).<br />

■ Ein Dialog, <strong>der</strong> auf Praxis gründet: Seine<br />

Kenntnis <strong>der</strong> Schrift; sein prophetischer Geist<br />

(vgl. LegMai XI,1).<br />

■ Ein Geist, <strong>der</strong> sich gegenüber dem Fremden<br />

öffnet: Die Begegnung mit dem Sultan (vgl.<br />

LegMai IX,8).<br />

■ Ein Dialog, <strong>der</strong> heilt: Den Aussätzigen (1 Cel<br />

146). Taube <strong>und</strong> Stumme (1 Cel 147-148).<br />

■ Ein Dialog, <strong>der</strong> verwandelt: Wie <strong>der</strong> hl. Franziskus<br />

drei Raubmör<strong>der</strong> bekehrte (Fior 26).<br />

B) Im Dialog evangelisieren<br />

Ein neuer Dienst für den Dialog in <strong>der</strong> Generalkurie<br />

<strong>OFM</strong>.<br />

RICHTLINIEN<br />

Beweggründe<br />

1. Evangelisierung, die beim hl. Franziskus einen<br />

beson<strong>der</strong>en dialogischen Zug hatte, ist ein wesentliches<br />

Element <strong>der</strong> Berufung <strong>des</strong> Ordens. Dem Auftrag<br />

<strong>der</strong> Generalkapitel von 1991 <strong>und</strong> 1997 folgend,<br />

erachtet das Generaldefinitorium es <strong>des</strong>halb<br />

als dringlich, den Einsatz <strong>des</strong> Ordens für Evangelisierung<br />

zu vertiefen, zu unterstützen <strong>und</strong> zu för<strong>der</strong>n.<br />

Durch die Errichtung von Strukturen soll<br />

den Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n geholfen werden, in einen


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

positiven <strong>und</strong> brü<strong>der</strong>lichen Kontakt mit allen Menschen<br />

zu treten, ohne Hin<strong>der</strong>nisse religiöser<br />

<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> kultureller Art, um das Evangelium unter<br />

Anerkennung <strong>und</strong> Achtung <strong>der</strong> Werte <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

Kulturen zu verkünden.<br />

2. Ermutigt durch diesen Auftrag <strong>und</strong> mit dem<br />

Wunsch, Kapitel V <strong>der</strong> Generalkonstitutionen konkreter<br />

zu füllen, hat das Generaldefinitorium die<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> vorausgehenden Konsultationen <strong>und</strong><br />

Entscheidungen gesammelt, um sie zu einer einheitlichen<br />

Sicht <strong>der</strong> kontemplativen <strong>und</strong> evangelisierenden<br />

Dimension unserer franziskanischen Berufung<br />

zu bündeln. Gleichzeitig unterstreicht es die<br />

gemeinschaftlichen, brü<strong>der</strong>lichen <strong>und</strong> offenen<br />

Merkmale franziskanischer Evangelisierung <strong>und</strong><br />

die Unmöglichkeit, Ausbildung von Handeln,<br />

Zeugnis von Verkündigung zu trennen.<br />

3. Während das Generaldefinitorium die Früchte<br />

<strong>der</strong> bisherigen Arbeit sammelt <strong>und</strong> im Dokument<br />

„Die ganze Welt mit dem Evangelium Christi erfüllen“<br />

(1 Cel 97) zusammenfasst, lädt es die Brü<strong>der</strong><br />

ein, ihre Berufung innerhalb <strong>des</strong> breiteren Horizonts<br />

einer Weltsituation zu betrachten, die sich<br />

ständig entfaltet.<br />

4. Die Situation <strong>der</strong> menschlichen Beziehungen<br />

an <strong>der</strong> Schwelle <strong>des</strong> dritten Jahrtausends <strong>und</strong> die<br />

jüngeren Dokumente <strong>des</strong> kirchlichen Lehramts stellen<br />

den Dialog in den Mittelpunkt <strong>der</strong> Aufmerksamkeit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Tätigkeit jener, die den Frieden<br />

<strong>und</strong> das Wohlergehen <strong>der</strong> Menschheit suchen.<br />

5. Auch die fortwährenden Bezugnahmen <strong>des</strong><br />

Papstes <strong>und</strong> <strong>der</strong> autorisierten Vertreter von Kirchen<br />

<strong>und</strong> Religionen auf unseren Ordensvater als För<strong>der</strong>er<br />

<strong>der</strong> Versöhnung, <strong>des</strong> Dialogs <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />

<strong>und</strong> ihre drängende <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>holte Auffor<strong>der</strong>ung<br />

an die Brü<strong>der</strong>, die Sendung <strong>des</strong> Franziskus in die Tat<br />

umzusetzen, wandeln den Einsatz für den Dialog in<br />

eine Voraussetzung <strong>des</strong> franziskanischen Charismas.<br />

In <strong>der</strong> Tat zeigt sich in <strong>der</strong> wachsenden Zahl <strong>der</strong>er,<br />

die sich für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Versöhnung <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> einsetzen, deutlich <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong><br />

die menschliche <strong>und</strong> christliche Erfahrung <strong>des</strong><br />

hl. Franziskus beseelte.<br />

6. Der hl. Franziskus war <strong>und</strong> ist wahrhaftig ein<br />

Mensch <strong>des</strong> Dialogs im strengen Sinn <strong>des</strong> Wortes.<br />

Er ist durch seine sehr intensive <strong>und</strong> tiefgreifende<br />

christliche Erfahrung ein universaler Mensch, versöhnt<br />

mit Gott, mit sich selbst, mit allen Menschen<br />

<strong>und</strong> mit <strong>der</strong> gesamten Schöpfung. Er brachte allen<br />

die evangelische Botschaft in Demut <strong>und</strong> Liebe.<br />

7. Da <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus für die Menschen<br />

von heute so bedeutsam ist, sollte er auch <strong>der</strong><br />

Geist aller Franziskaner sein <strong>und</strong> ihr evangelisieren<strong>des</strong><br />

Wirken kennzeichnen <strong>und</strong> beseelen.<br />

8. Tatsächlich geben franziskanische Kultur <strong>und</strong><br />

Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit eine glaubwürdige Antwort<br />

auf die entstehenden Probleme in den verschiedenen<br />

Kulturen <strong>und</strong> eine gut begründete Hoffnung,<br />

sie zu lösen. In einer Welt gekennzeichnet<br />

von Missklängen, welche Menschen in ihrer Beziehung<br />

zur Schöpfung <strong>und</strong> in den gegenseitigen<br />

Beziehungen zwischen Personen <strong>und</strong> Völkern<br />

unmittelbar betreffen, ist die franziskanische Evangelisierung<br />

fähig, eine hoffnungsvolle Antwort zu<br />

geben, indem sie eine Kultur <strong>der</strong> Nähe, eine ökologische<br />

<strong>und</strong> kosmische Kultur, eine Kultur <strong>des</strong> Dialogs<br />

anbietet; sie ist dabei selbst gegründet in ihrer<br />

eigenen Spiritualität, in <strong>der</strong> franziskanischen Sicht<br />

<strong>der</strong> Präsenz Gottes <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Menschheit Christi<br />

sowie <strong>der</strong> Sicht <strong>des</strong> einsichtsvollen Menschen. Sie ist<br />

<strong>der</strong> Weg, <strong>der</strong> das Evangelium in die Herzen <strong>des</strong> heutigen<br />

Menschen einzupflanzen vermag (vgl. die<br />

Ansprache von Johannes Paul II. im Antonianum,<br />

mit dem Auftrag an den Orden, Verkün<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Hoffnung zu sein). Der Fortschritt in Technologie<br />

<strong>und</strong> Wissenschaft, das Anwachsen <strong>und</strong> die Verbreitung<br />

<strong>der</strong> Kommunikationsmittel, <strong>der</strong> wechselseitige<br />

Einfluss <strong>der</strong> Kulturen, das Informationstempo, die<br />

neue Welt <strong>der</strong> Computer haben neue Situationen<br />

geschaffen, die von uns Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n, wenn<br />

wir unserer Berufung treu sein wollen, eine Antwort<br />

verlangen, die uns gestattet, unter Voraussetzung<br />

<strong>der</strong> bestehenden Werte das auszuschalten, was die<br />

menschliche Würde verletzen könnte. Dem Beispiel<br />

<strong>des</strong> Franziskus folgend, <strong>der</strong> allen Menschen das zum<br />

Leben gewordene Evangelium bringen wollte, muss<br />

unsere Lebensform auf die neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Menschheit in einer Haltung <strong>des</strong> Dialogs<br />

antworten.<br />

9. Die universale religiöse Erfahrung <strong>des</strong> hl. Franziskus<br />

<strong>und</strong> sein Verhalten gegenüber den muslimischen<br />

Führern bieten ein Beispiel <strong>des</strong> Dialogs mit<br />

Mitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Religionen, das die Möglichkeit<br />

aufgezeigt hat, Vertreter aller Glaubensrichtungen<br />

vom Dialog zu überzeugen <strong>und</strong> in ihn einzubeziehen.<br />

10. Die Erfahrung <strong>der</strong> Versöhnung, die Einpflanzung<br />

<strong>des</strong> Wortes Gottes, die Beziehung zur Schöpfung<br />

<strong>und</strong> das Modell franziskanischer Gemeinschaft<br />

als ein Stil kirchlichen Lebens machen die franziska-<br />

133


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

nische Erfahrung zu einem Bezugspunkt für ökumenischen<br />

Dialog.<br />

11. Aus allen diesen Elementen ergibt sich die<br />

gemeinsame Berufung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> zu Ökumene <strong>und</strong><br />

Dialog. Eben <strong>des</strong>halb will <strong>der</strong> Generalminister den<br />

Orden verpflichten, mit neuem Antrieb <strong>und</strong> in neuen<br />

Formen zu evangelisieren. Das Generaldefinitorium<br />

unterstützt diesen erneuerten Einsatz durch<br />

die Errichtung eines Organismus, <strong>der</strong> Zeichen eines<br />

aktiven Willens, Gelegenheit zur Hilfe <strong>und</strong> Einbeziehung<br />

aller im Augenblick eingesetzten Kräfte auf<br />

den Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong> Evangelisierung<br />

sein will, damit die Anordnungen <strong>des</strong> Generalministers<br />

nicht einfach nur Papier bleiben.<br />

Struktur<br />

12. Der Dienst für den Dialog (SD) ist eingerichtet,<br />

eingesetzt auf drei Fel<strong>der</strong>n:<br />

■ den ökumenischen Dialog<br />

■ den interreligiösen Dialog<br />

■ den Dialog mit den Kulturen.<br />

Kommission für den ökumenischen Dialog<br />

(CED)<br />

Beweggründe<br />

1. Nicht nur das Zweite Vatikanische Konzil verpflichtet<br />

die katholische Kirche <strong>und</strong> jeden Christen<br />

zum Weg <strong>der</strong> Ökumene <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dialogs (vgl. die<br />

Dokumente UNITATIS REINTEGRATIO <strong>und</strong> NOSTRA<br />

AETATE). Auch <strong>der</strong> jetzige Papst hat durch drei<br />

Dokumente in jüngster Zeit die Notwendigkeit <strong>und</strong><br />

die Dringlichkeit <strong>des</strong> Einsatzes für die Einheit <strong>der</strong><br />

Christen im Blick auf die Einheit aller Menschen<br />

unterstrichen ( vgl. die Apostolischen Schreiben<br />

TERTIO MILLENNIO ADVENIENTE <strong>und</strong> ORIENTALE<br />

LUMEN <strong>und</strong> die Enzyklika UT UNUM SINT).<br />

2. Der Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> kann sich diesem<br />

neuen Bewusstsein <strong>und</strong> dieser neuen Orientierung<br />

nicht entziehen. In <strong>der</strong> Tat hat die Leitung <strong>des</strong><br />

Ordens, seit den ersten Schritten bei <strong>der</strong> Errichtung<br />

unserer Präsenz in den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

unabhängiger Staaten (GUS), die Prinzipien <strong>des</strong><br />

Dialogs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit befolgt, wie sie<br />

von <strong>der</strong> Katholischen Kirche verkündet werden.<br />

Das Ergebnis <strong>der</strong> guten Beziehungen mit den wich-<br />

134<br />

tigsten orthodoxen Patriarchen ist Frucht eines<br />

bescheidenen <strong>und</strong> überzeugten Einsatzes am Dienst<br />

für den Dialog.<br />

3. Die neue Situation an <strong>der</strong> Schwelle <strong>des</strong> dritten<br />

Jahrtausends ist gekennzeichnet durch bisher nicht<br />

gekannte Anfragen, die for<strong>der</strong>n, dass <strong>der</strong> ökumenische<br />

Einsatz <strong>des</strong> Ordens an Festigkeit <strong>und</strong> Beständigkeit<br />

gewinnt, um allen Brü<strong>der</strong>n die Gelegenheit<br />

zu ökumenischem Verständnis <strong>und</strong> entsprechen<strong>der</strong><br />

Ausbildung zu geben.<br />

Kommission für den interreligiösen Dialog<br />

(CID)<br />

Beweggründe<br />

1. Die Kirche beobachtet aufmerksam ihre<br />

Beziehung zu Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen. Sie<br />

sucht Gemeinsamkeiten, um unsere Bemühungen<br />

zur Errichtung einer großen Gemeinschaft zu einen,<br />

weil „alle Völker ja eine einzige Gemeinschaft“<br />

bilden <strong>und</strong> denselben Ursprung haben, „da Gott<br />

das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten<br />

Erdkreis wohnen ließ“ (NA 1).<br />

2. „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem<br />

ab, was in diesen Religionen wahr <strong>und</strong> heilig<br />

ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene<br />

Handlungs- <strong>und</strong> Lebensweisen. … Deshalb mahnt<br />

sie ihre Söhne, dass sie mit Klugheit <strong>und</strong> Liebe,<br />

durch Gespräch <strong>und</strong> Zusammenarbeit mit den<br />

Bekennern an<strong>der</strong>er Religionen sowie durch ihr<br />

Zeugnis <strong>des</strong> christlichen Glaubens <strong>und</strong> Lebens<br />

jene geistlichen <strong>und</strong> sittlichen Güter <strong>und</strong> auch die<br />

sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden,<br />

anerkennen, wahren <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n“ (NA 2).<br />

3. Die Kirche ermahnt uns, die gegnerischen<br />

Erfahrungen <strong>der</strong> vergangene Jahrh<strong>und</strong>erte zwischen<br />

Christen <strong>und</strong> Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen zu<br />

überwinden, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen<br />

zu bemühen <strong>und</strong> gemeinsam einzutreten für<br />

Schutz <strong>und</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

<strong>der</strong> sittlichen Güter <strong>und</strong> nicht zuletzt <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Freiheit für alle Menschen“ (NA 3).<br />

4. Die Geschichte <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> ist voll<br />

von Begegnungen mit Mitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Religionen,<br />

beson<strong>der</strong>s mit den sogenannten historischen<br />

Religionen: Judentum, Islam, Hinduismus <strong>und</strong><br />

Buddhismus. Eine beson<strong>der</strong>e Verbindung besteht


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

zum Judentum. Die Kirche bekennt, dass alle<br />

Christgläubigen in die Berufung <strong>des</strong> Patriarchen<br />

Abraham eingeschlossen sind. Sie vergisst nicht,<br />

dass sie die Offenbarung <strong>des</strong> Alten Testamentes<br />

durch das jüdische Volk empfangen hat, mit dem<br />

Gott den Alten B<strong>und</strong> geschlossen hat; aus diesen<br />

Gründen wollen wir zu gegenseitigem Kennenlernen,<br />

zu Wertschätzung <strong>und</strong> brü<strong>der</strong>lichem Dialog<br />

ermutigen (NA 4).<br />

5. Was den Islam betrifft, wurde eine beachtliche<br />

Anstrengung unternommen, unsere franziskanische<br />

Präsenz fortzusetzen <strong>und</strong> die Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern<br />

zu unterstützen, die in islamischen Län<strong>der</strong>n<br />

arbeiten. Seit 1982 unterstützt das Generaldefinitorium<br />

diesen Aspekt <strong>des</strong> interreligiösen Dialogs<br />

durch die internationale Kommission <strong>OFM</strong> für die<br />

Beziehungen zu den Muslimen. „In <strong>der</strong> Gefolgschaft<br />

<strong>des</strong> heiligen Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> ersten Missionare<br />

<strong>des</strong> Ordens sollen die Brü<strong>der</strong> starkes Interesse<br />

daran haben, demütig unter die Völker mit<br />

islamischer Religion zu gehen <strong>und</strong> hingebungsvoll<br />

bei ihnen zu leben; für sie gibt es ja ebenfalls keinen<br />

Allmächtigen außer Gott“ (GG.CC. 95,3).<br />

6. „In Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Ehrerbietung sollen die<br />

Brü<strong>der</strong> unter den Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen<br />

präsent sein <strong>und</strong> mit ihnen zusammen am Aufbau<br />

<strong>des</strong> Volkes arbeiten, das Gott für sich geschaffen<br />

hat“ (GG.CC. 95,2). Deswegen möchte das Generaldefinitorium<br />

die interreligiöse Ausbildung <strong>der</strong><br />

Brü<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n durch die Errichtung einer Kommission<br />

für den interreligiösen Dialog .<br />

Kommission für den Dialog<br />

mit den Kulturen (CDC)<br />

Beweggründe<br />

1. Evangelisierung ist ein wesentlicher Bestandteil<br />

<strong>des</strong> Lebens <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>. Wir evangelisieren,<br />

weil es notwendig ist, <strong>der</strong> menschlichen Person<br />

zu helfen, Wege zu finden für eine Antwort auf seine<br />

Sorgen. Das Hauptziel <strong>der</strong> Evangelisierung ist<br />

<strong>der</strong> einzelne Mensch, nicht das Anwachsen <strong>der</strong> Zahl<br />

<strong>der</strong> Gläubigen. Auch die Liebe Christi für den Menschen<br />

drängt die Kirche <strong>und</strong> daher den Orden, seine<br />

Sendung fortzuführen.<br />

2. Evangelisierung dringt nicht in die Tiefen <strong>der</strong><br />

menschlichen Person ein, wenn sie nicht den innersten<br />

Teil <strong>der</strong> Kultur erreicht, in <strong>der</strong> diese lebt. 1 Ein<br />

Glaube, <strong>der</strong> sich nicht selbst zu Kultur macht, ist<br />

kein voll angenommener, kein vollständig durchdachter<br />

o<strong>der</strong> treu gelebter Glaube. 2<br />

3. Die Evangelisierung <strong>der</strong> Kulturen hat als eine<br />

Konsequenz die Inkulturation <strong>des</strong> Evangeliums. Die<br />

Synthese von Kultur <strong>und</strong> Glaube ist nicht nur eine<br />

For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kultur, son<strong>der</strong>n auch <strong>des</strong> Glaubens.<br />

Dieser ist nicht mit irgendeiner Kultur identisch<br />

<strong>und</strong> ist unabhängig von allen Kulturen, doch<br />

gleichzeitig ist er berufen, alle Kulturen zu inspirieren<br />

<strong>und</strong> zu prägen.<br />

4. Die tiefe Inkulturation <strong>des</strong> Glaubens wird<br />

christliche Werte hervorbringen, die ihr F<strong>und</strong>ament<br />

in <strong>der</strong> Liebe Gottes <strong>und</strong> <strong>des</strong> Nächsten haben, dem<br />

1 Wir verwenden als Definition von Kultur folgende Stellungnahme <strong>der</strong> Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 53: „Unter Kultur im<br />

allgemeinen versteht man alles, wodurch <strong>der</strong> Mensch seine vielfältigen geistigen <strong>und</strong> körperlichen Anlagen ausbildet <strong>und</strong> entfaltet;<br />

wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis <strong>und</strong> Arbeit zu unterwerfen sucht; wodurch er das gesellschaftliche Leben in <strong>der</strong> Familie <strong>und</strong><br />

in <strong>der</strong> ganzen bürgerlichen Gesellschaft im moralischen <strong>und</strong> institutionellen Fortschritt menschlicher gestaltet; wodurch er endlich seine<br />

großen geistigen Erfahrungen <strong>und</strong> Strebungen im Lauf <strong>der</strong> Zeit in seinen Werken vergegenständlicht, mitteilt <strong>und</strong> ihnen Dauer verleiht –<br />

zum Segen vieler, ja <strong>der</strong> ganzen Menschheit.“<br />

2 Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer <strong>des</strong> Nationalkongresses <strong>der</strong> kirchlichen Bewegung für Kulturarbeit, 10. Januar 1982,<br />

Nr. 2. Die Verschiedenheit <strong>der</strong> Völker, Rassen, Religionen <strong>und</strong> Kulturen, mit denen die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> auf Gr<strong>und</strong> ihrer Berufung<br />

in Beziehung stehen, erfor<strong>der</strong>t eine beson<strong>der</strong>e Vorbereitung, die ein fruchtbareres Wirken erleichtert.<br />

135


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

Kern <strong>des</strong> gesamten christlichen Lebens. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> wird <strong>der</strong> CDC innerhalb <strong>des</strong> Dienstes für<br />

den Dialog (SD) auf solche Weise arbeiten, dass die<br />

Brü<strong>der</strong> „dieses Werk <strong>der</strong> Inkulturation gern unterstützen<br />

<strong>und</strong> för<strong>der</strong>n“ wollen (GG.CC. 92,2), d.h.<br />

dass es alles pastorale Handeln <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> prägen<br />

soll.<br />

5. Viele kulturellen Elemente <strong>der</strong> Völker sind<br />

Manifestationen <strong>der</strong> „Samen <strong>des</strong> Wortes“ (vgl.<br />

GG.CC. 92,2). Doch <strong>der</strong>en Anwesenheit bedeutet<br />

nicht, dass die Kulturen schon evangelisiert wären.<br />

Der Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> hat in seiner Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

alten Tradition immer wie<strong>der</strong> die Dringlichkeit<br />

bekräftigt, das Evangelium zu allen Zeiten,<br />

in allen Gebieten <strong>und</strong> allen Kulturen zu verkünden.<br />

Die Anwesenheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, die die Kulturen<br />

achten, ist eine geschichtliche Erfahrung unserer<br />

Gemeinschaft. Die Unterschiedlichkeit von Völkern,<br />

Rassen, Religionen <strong>und</strong> Kulturen, mit denen<br />

die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> auf Gr<strong>und</strong> ihrer Berufung in<br />

Beziehung stehen, erfor<strong>der</strong>t von ihnen eine beson<strong>der</strong>e<br />

Vorbereitung, die ihnen helfen wird, leichter<br />

eine fruchtbare Tätigkeit zu entfalten.<br />

6. Durch ihre Berufung sind die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />

aufgerufen, in je<strong>der</strong> Generation „meine Kirche wie<strong>der</strong>herzustellen“.<br />

Dieses Bestreben wird nur durch<br />

Evangelisierung erreicht. Dieses Handeln kann nur<br />

durch eine ehrliche Evangelisierungstätigkeit verwirklicht<br />

werden, welche die Existenz eines Organismus<br />

rechtfertigt, <strong>der</strong> dem Generalminister <strong>und</strong><br />

seinem Definitorium hilft, dieses Unterfangen<br />

anzuregen, das einen wesentlichen Teil <strong>der</strong> Berufung<br />

bildet, die wir vom Herrn empfangen haben.<br />

7. Wenn ihnen ihre eigene Identität klar ist, die<br />

aus einem vollständig evangelischem Leben entsteht,<br />

werden die Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> imstande sein,<br />

die Werte <strong>der</strong> authentischen Kulturen zu erkennen,<br />

<strong>und</strong> zwar in einer Weise, die jeden Synkretismus<br />

vermeidet <strong>und</strong> Gegenwerte zurückweist, welche<br />

eine falsche Kultur o<strong>der</strong> Gegenkulturen unter den<br />

verschiedenen Völkern einführen wollen. Gleichzeitig<br />

erfor<strong>der</strong>t die Inkulturation <strong>des</strong> Evangeliums<br />

Rücksicht auf die verschiedenen Weisen, in denen<br />

sich die Kultur <strong>des</strong>sen, <strong>der</strong> evangelisiert, Ausdruck<br />

verschafft; im Augenblick, da er das Evangelium<br />

bringt, bereichern die Kulturen den Min<strong>der</strong>en Bru<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> lassen ihn <strong>und</strong> seine religiöse Gemeinschaft<br />

wachsen. Der Orden zeigt in <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit<br />

<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, die aus verschiedenen Kulturen<br />

kommen, die Vielfalt, in <strong>der</strong> es möglich ist, dem<br />

136<br />

empfangenen Charisma treu zu bleiben.<br />

Den Fußspuren <strong>des</strong> Franziskus folgend konzentrierte<br />

sich <strong>der</strong> Ex-Generalminister HERMANN<br />

SCHALÜCK auf den notwendigen Dialogs, wenn er<br />

in die verschiedenen Län<strong>der</strong> reiste, um die religiösen<br />

Führer <strong>der</strong> ganzen Welt zu treffen. Dieses praktische<br />

Beispiel wird von den Brü<strong>der</strong>n unterstrichen,<br />

die sich selbst in einem konstruktiven Dialog<br />

zusammen mit Mitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>en Glaubens <strong>und</strong><br />

ethnischer Gruppen einzubringen versuchen – vor<br />

allem in Situationen, wo diese Unterschiedlichkeiten<br />

Ursache für Spannungen, Konflikte <strong>und</strong> Kriege<br />

waren, wie in dem Gebiet <strong>der</strong> Großen Seen in Afrika<br />

o<strong>der</strong> im früheren Jugoslawien.<br />

<strong>OFM</strong> Kommission für interreligiösen Dialog


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

Beispiele aus dem Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> …<br />

In <strong>der</strong> heutigen, multikulturellen Welt ist <strong>der</strong> Dialog<br />

zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen<br />

ein wesentlicher Schlüssel zum Frieden. Wenige<br />

Menschen verstehen dies besser als FRANÇOIS<br />

PAQUETTE, <strong>der</strong> ehemalige Vorsitzende <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Kommission für Beziehungen zu den Muslimen.<br />

Als Neuropsychologe in Montreal, Kanada,<br />

ausgebildet, hatte er, in dem Ges<strong>und</strong>heitszentrum,<br />

in dem er arbeitete, bevor er 1987 in den Orden<br />

eintrat, zunehmend mit Patienten aus Sri Lanka,<br />

Indien, China <strong>und</strong> Vietnam zu tun. Er war<br />

fasziniert von den unterschiedlichen Kulturen <strong>und</strong><br />

Religionen, die schnell zu einem festen Bestandteil<br />

seiner Heimatstadt wurden. Aus Neugierde begann<br />

er, als Freiwilliger in einem lokalen, interkulturellen<br />

Zentrum auszuhelfen.<br />

Doch erst während seines Noviziates entdeckte<br />

Paquette wirklich die Kraft solcher interreligiöser<br />

Aktivitäten. Ein Bru<strong>der</strong> plante ein lokales Treffen,<br />

um den Geist <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>gebetes in Assisi von<br />

1986 zu reflektieren, <strong>und</strong> Paquette half ihm. Mit<br />

einem Lächeln erinnert er sich: „Für mich war es<br />

eine Art W<strong>und</strong>er, ich war überwältigt, die Führer<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Religionen in Montreal kommen<br />

zu sehen, um für Frieden zu beten, anstatt einan<strong>der</strong><br />

zu bekämpfen.“ Paquettes Augen leuchten, wenn er<br />

erklärt, wie die jährliche Initiative unter seiner<br />

Beteiligung weiter gewachsen ist. „Jetzt haben wir<br />

ungefähr h<strong>und</strong>ert verschiedene Delegationen von<br />

indigenen Völkern, von Bahais, Hindus aus Sri Lanka,<br />

vietnamesischen, tibetanischen, laotischen <strong>und</strong><br />

kambodschanischen Buddhisten, zwei Gruppen von<br />

Juden, schiitischen <strong>und</strong> sunnitischen Moslems, von<br />

Sikhs <strong>und</strong> Christen aus sechzehn verschiedenen<br />

Konfessionen – zusammen ungefähr tausend Personen,<br />

die in unseren Konvent in Montreal kommen,<br />

um für Frieden zu beten! Die Umstände sind sehr<br />

einfach, ein schlichtes Kreuz, auf das wir die Fahnen<br />

<strong>der</strong> verschiedenen teilnehmenden Religionen legen<br />

<strong>und</strong> ein großes Bild einer Taube als <strong>Friedens</strong>symbol.<br />

Wir wollen, dass sich alle wohl fühlen, <strong>und</strong> anschließend<br />

sind alle eingeladen, ein vegetarisches<br />

Mahl zu teilen.“ Dieses jährliche Treffen, das von<br />

Radio <strong>und</strong> Fernsehen live übertragen wird, ist <strong>der</strong><br />

sichtbarste Höhepunkt franziskanischer Aktivitäten<br />

in Montreal. Doch auch das Jahr über sind Paquette<br />

<strong>und</strong> seine Mitbrü<strong>der</strong> an allen Arten praktischer<br />

Aktionen beteiligt, um Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> vielen in <strong>der</strong><br />

Stadt anwesenden an<strong>der</strong>en Glaubensrichtungen zu<br />

unterstützen. Dazu gehört, für den Bau einer vietnamesischen<br />

Pagode um Land zu bitten, gegen eine<br />

Gruppe von Skinheads zu protestieren, die jüdische<br />

Gräber beschmieren, ein islamisch-christliches<br />

Begräbnis zu organisieren, o<strong>der</strong> einzugreifen, um<br />

Gewalttätigkeiten zwischen Sikhs <strong>und</strong> Muslimen an<br />

einer örtlichen Sek<strong>und</strong>arschule aufzulösen. Paquette<br />

sagt: „Dieses letzte Beispiel zeigt wirklich, wie wir<br />

eine Unterscheidung machen können für die<br />

Zukunft unserer Gesellschaft. Durch die Zusammenarbeit<br />

mit einem Führer <strong>der</strong> Sikhs <strong>und</strong> einem<br />

Imam konnten wir den Kin<strong>der</strong>n die vielen Aspekte<br />

ihrer Kulturen aufzeigen, die sie mit Menschen<br />

an<strong>der</strong>en Glaubens gemeinsam haben. Wenn sie<br />

anfangen, einan<strong>der</strong> eher als tatsächliche Menschen<br />

denn als Teil einer festgelegten Gruppe zu sehen,<br />

dann können sie die Vorurteile hinter sich lassen,<br />

die ihnen beigebracht wurden, <strong>und</strong> sogar beginnen,<br />

die Verhaltensweisen ihrer eigenen Eltern herauszufor<strong>der</strong>n.“<br />

Es gibt viele Beispiele von Franziskanern, die Dialog<br />

<strong>und</strong> Frieden unter jungen Menschen för<strong>der</strong>n,<br />

manchmal durch Erziehungsprogramme, zumeist<br />

aber einfach dadurch, dass sie Familien verschiedener<br />

ethnischer Gruppen in täglichen Kontakt miteinan<strong>der</strong><br />

bringen. Ein interreligiöser Kin<strong>der</strong>garten<br />

in Bosnien o<strong>der</strong> eine Schule für Moslems <strong>und</strong> Christen<br />

im Südlibanon helfen Kin<strong>der</strong>n in diesen aufgewühlten<br />

Teilen <strong>der</strong> Welt, mit einer größeren Achtung<br />

vor den Gewohnheiten <strong>und</strong> Überlieferungen<br />

von Menschen an<strong>der</strong>en Glaubens groß zu werden.<br />

Ein jährliches interreligiöses Medien- <strong>und</strong> Filmfestival<br />

in Kairo beeinflusst Tausende von jungen Menschen<br />

<strong>und</strong> hilft ihnen, Vorurteile <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

zu überwinden. Das Ziel <strong>der</strong> Franziskaner besteht<br />

nicht darin, als „Organisatoren“ dieser Ereignisse<br />

o<strong>der</strong> Aktivitäten angesehen zu werden, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

diejenigen zu sein, die diesen „Dialog <strong>des</strong> täglichen<br />

Lebens“ erleichtern.<br />

In Marokko, wo die Bevölkerung überwiegend<br />

muslimisch ist, sind sich die Brü<strong>der</strong> dieser Weise <strong>des</strong><br />

Zeugnisses voll bewusst, das ihre fortwährende Präsenz<br />

darstellt. BERTRAND COUTURIER hat die Hälfte<br />

seines Lebens unter den Menschen in Marokko verbracht<br />

<strong>und</strong> viele junge Muslime aufwachsen sehen,<br />

die eine Arbeit gef<strong>und</strong>en haben, nachdem sie von<br />

137


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

den Franziskanern angebotene Kurse besucht hatten.<br />

Im Atlasgebirge, bekannt durch die Tragödie<br />

<strong>der</strong> sieben Trappistenmönche in Algerien, lehren<br />

eine Handvoll Brü<strong>der</strong> zusammen mit Schwestern<br />

<strong>der</strong> FRANCISCAN MISSIONARIES OF MARY (FMM)<br />

einheimische Jungen Fertigkeiten im Zimmermannshandwerk,<br />

während die Mädchen Stickerei<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e nützliche Fertigkeiten lernen, um<br />

gestaltende Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft zu werden.<br />

Die Schwestern stellen jungen Frauen auch Raum<br />

zur Verfügung, um bei ihnen zu gebären <strong>und</strong> Dinge<br />

wie Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Erziehung zu lernen, was<br />

ihnen auch hilft, ihre menschliche Würde zu för<strong>der</strong>n.<br />

In <strong>der</strong> Stadt Meknes, Marokko, unterhalten drei<br />

Brü<strong>der</strong> das St. Antoine Center, eine Bibliothek <strong>und</strong><br />

ein Kulturzentrum, das für über 600 ortsansässige<br />

Studenten Kurse über islamische Kultur <strong>und</strong> Literatur,<br />

Sprachunterricht <strong>und</strong> Sportaktivitäten anbietet.<br />

Sie werden von einem Team von zwölf Freiwilligen<br />

unterstützt, die aus dem Zentrum hervorgegangen<br />

sind <strong>und</strong> jetzt die Arbeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> unterstützen<br />

wollen. GUSTAVO SANCHEZ ist ein junger Bru<strong>der</strong><br />

aus Mexiko, <strong>der</strong> zwei Jahre in den Bergen <strong>des</strong> Atlas<br />

<strong>und</strong> vier weitere am St. Antoine Center in <strong>der</strong><br />

Arbeit mit den Studenten verbracht hat. Wenn er<br />

seine Studien in Rom abgeschlossen hat, möchte er<br />

wie<strong>der</strong> nach Marokko zurückkehren, um seine<br />

Arbeit fortzusetzen. Er erklärt: „Das Projekt wird<br />

durch die Studenten selbst unterhalten. Jeden<br />

Monat treffen wir uns, um zu entscheiden, was wir<br />

tun <strong>und</strong> wie wir arbeiten wollen <strong>und</strong> wie wir den<br />

Studenten helfen können, ihre Kultur besser zu verstehen<br />

<strong>und</strong> zu schätzen. Beispielsweise än<strong>der</strong>n wir<br />

während <strong>des</strong> Monats Ramadan den St<strong>und</strong>enplan<br />

<strong>der</strong> Kurse <strong>und</strong> arbeiten tagsüber, ohne für das Mittagessen<br />

zu unterbrechen. Das gestattet uns, zusammen<br />

mit den Muslimen zu fasten, <strong>und</strong> gibt ihnen<br />

die Zeit, die beson<strong>der</strong>en Mahlzeiten gemeinsam mit<br />

ihren Familien vorzubereiten.“<br />

Trotz <strong>der</strong> fortdauernden Spannungen zwischen<br />

Kroaten, Moslems <strong>und</strong> Serben im früheren Jugoslawien<br />

gab <strong>der</strong> zehnte Jahrestag <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>gebetes<br />

von Assisi (1986) Anlass zu verschiedenen<br />

Bemühungen mit dem Ziel, den interreligiösen<br />

Dialog in Sarajewo, Mostar <strong>und</strong> Split zu för<strong>der</strong>n. In<br />

Sarajewo wurde in <strong>der</strong> Akademie <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Kunst Bosnien-Herzegowinas eine Podiumsdis-<br />

138<br />

kussion zum Thema <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Flüchtlinge<br />

als Vorbedingung eines dauerhaften <strong>Friedens</strong> abgehalten.<br />

Daran nahmen die internationale Organisation<br />

für Migration, <strong>der</strong> Hochkommissar für Flüchtlinge<br />

<strong>der</strong> UNO <strong>und</strong> offizielle Vertreter <strong>der</strong> bosnischen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> kroatischen Regierung teil. Auch ein<br />

interreligiöses Gebet wurde auf dem Friedhof von<br />

Sarajewo abgehalten, unter Teilnahme einer Delegation<br />

von franziskanischen Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schwestern<br />

aus Assisi, die einen Ölbaum als Zeichen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

überreichten, <strong>der</strong> in Sarajewo gepflanzt werden<br />

sollte. MARCO ORSOLIC hat schwer dafür gearbeitet,<br />

auf diesen Initiativen in sehr praktischer Weise aufzubauen,<br />

um in Sarajewo im Dezember 1996 ein<br />

kulturelles Zentrum <strong>und</strong> eine Bibliothek zu eröffnen.<br />

Das kurdische Volk in Iran, Irak, Türkei <strong>und</strong><br />

Syrien hat lange nach einem vereinten Heimatland<br />

gesucht nach Jahrh<strong>und</strong>erten <strong>der</strong> Herrschaft durch<br />

unterdrückende Herrscher. Ihre wachsenden<br />

Gemeinschaften im Exil in Deutschland haben zu<br />

neuen Möglichkeiten <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Zusammenarbeit geführt. Als Mitglied <strong>der</strong> GFBS-<br />

Kommission <strong>der</strong> deutschen Brü<strong>der</strong> haben JÜRGEN<br />

NEITZERT <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> mit sieben an<strong>der</strong>en<br />

<strong>Friedens</strong>gruppen in <strong>der</strong> deutschen „Kampagne<br />

gegen Rüstungsexporte“ gearbeitet. Gemeinsam mit<br />

den an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>n dieser Kampagne haben<br />

sie begonnen, Bewusstsein zu wecken für den inneren<br />

Zusammenhang zwischen dem Verkauf deutscher<br />

Rüstungsgüter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Notlage <strong>des</strong> kurdischen<br />

Volkes in Irak <strong>und</strong> Türkei. Jürgen Neitzert ist<br />

bei zahlreichen Gelegenheiten gemeinsam mit kurdischen<br />

Fre<strong>und</strong>en in die Türkei gereist, um humanitäre<br />

Hilfe <strong>und</strong> den Menschen, die in behelfsmäßigen<br />

Hütten in den Slums von Adana, Diyarbakir,<br />

Istanbul o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en türkischen Städten leben,<br />

eine kleine Ahnung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu bringen. Mehr<br />

als 3000 Dörfer sind jetzt Geistersiedlungen auf<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Zwangsräumung, mit <strong>der</strong> das türkische<br />

Militär die kurdische Bevölkerung unterdrückt. Die<br />

Stadt Diyarbakir allein hat sich seit 1980 um das<br />

Vierfache vergrößert. Die sich in langen Jahren<br />

selbst versorgenden kurdischen Slumbewohner sind<br />

oft gezwungen, ihre Nahrung auf Müllhalden zu<br />

suchen, <strong>und</strong> viele leiden während <strong>des</strong> rauhen Winters<br />

an Bronchialinfektionen. Jürgen <strong>und</strong> seine Kollegen<br />

ermutigen zu Begegnungen zwischen Kurden<br />

<strong>und</strong> Türken, die in Deutschland leben, <strong>und</strong> leisten


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

Lobbyarbeit bei den deutschen Politikern, um den<br />

Waffenhandel zu stoppen. Als Franziskaner fühlt<br />

sich Jürgen in beson<strong>der</strong>er Weise berufen, zu gewaltfreien<br />

Lösungen <strong>und</strong> zu christlich-muslimischer<br />

Zusammenarbeit <strong>und</strong> Dialog zwischen Deutschen,<br />

Türken <strong>und</strong> Kurden zu ermutigen.<br />

In <strong>der</strong> gemeinsamen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden entdecken Menschen aus unterschiedlichen<br />

christlichen Traditionen oft die gleiche tiefe Verantwortung<br />

für an<strong>der</strong>e als einen integralen Bestandteil<br />

ihres Glaubens. Ungefähr vor sieben Jahren begannen<br />

die irischen Franziskaner einen Dienst für Frieden<br />

<strong>und</strong> Versöhnung unter Katholiken <strong>und</strong> Protestanten<br />

in Rossnowlagh, Irland. Rossnowlagh ist<br />

eines von drei „Häusern mit spezifischen Aufgaben“<br />

<strong>der</strong> irischen Brü<strong>der</strong> (die an<strong>der</strong>en sind ein Haus <strong>des</strong><br />

Gebets in Killarney <strong>und</strong> <strong>der</strong> Merchants Quay Komplex<br />

in Dublin). Es liegt günstig in Donegal, nahe<br />

<strong>der</strong> Grenze zwischen <strong>der</strong> Republik Irland <strong>und</strong> Nordirland.<br />

Das Zentrum kann 30 Personen beherbergen<br />

<strong>und</strong> ist ein Ort, an dem Katholiken <strong>und</strong> Protestanten<br />

aus ganz Irland sich begegnen, miteinan<strong>der</strong><br />

beten <strong>und</strong> über Versöhnung nachdenken können.<br />

Regelmäßig werden Konferenzen mit Gastrednern<br />

organisiert, um die normalen Aktivitäten zu steigern.<br />

JOHN O’KEEFE, <strong>der</strong> Leiter <strong>des</strong> Zentrums, hat<br />

mitgeholfen, ein Netzwerk aus „Experten“ in Gebet<br />

<strong>und</strong> Versöhnung einzurichten, die informell Rossnowlagh<br />

angeschlossen sind. Das Zentrum hat<br />

kürzlich eine Bibliothek fertiggestellt, die an das<br />

Besinnungshaus angeschlossen ist <strong>und</strong> eine beson<strong>der</strong>e<br />

Sammlung von Material über interreligiösen<br />

Dialog <strong>und</strong> <strong>Friedens</strong>arbeit enthält.<br />

Mehr als zehn Jahre lang war ROBERT SEAY, ein<br />

bekannter Gegner <strong>der</strong> To<strong>des</strong>strafe, als Pastor <strong>der</strong><br />

Kirche „Our Lady of Charity“ in Brooklyn, New<br />

York, USA, an Bemühungen beteiligt, schwierige<br />

Situationen mit rassischen <strong>und</strong> ethnischen Spannungen<br />

friedlich zu lösen. Während <strong>des</strong> „Howard<br />

Beach-Vorfalls“ wurde ein junger Afro-Amerikaner<br />

von einer Gang weißer Jugendlicher umgebracht.<br />

Er war <strong>der</strong> Sohn eines von Roberts Pfarrmitglie<strong>der</strong>n.<br />

Der Mord verursachte schweren rassischen<br />

Aufruhr in <strong>der</strong> Stadt New York. Robert arbeitete im<br />

Bemühen, Frieden zu schaffen, auf vielfältige Weise<br />

mit politischen <strong>und</strong> religiösen Führern zusammen<br />

<strong>und</strong> stand <strong>der</strong> Familie <strong>des</strong> ermordeten Jugendlichen<br />

als Berater bei. Die Schlichtheit <strong>und</strong> Würde <strong>des</strong><br />

Begräbnisses, das Robert organisiert hatte, war ein<br />

bedeutsames Element, die rassischen Spannungen<br />

vor dem Explodieren zu bewahren.<br />

In einem an<strong>der</strong>en Vorfall, bekannt als „Crown<br />

Heights-Aufruhr“, wurde ein chassidischer Jude von<br />

einem Afro-Amerikaner getötet. Robert <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Geistliche wurden in den Polizeibezirk gerufen, um<br />

die Situation zu entschärfen. Robert arbeitete mit<br />

dem damaligen Bürgermeister von New York,<br />

David Dinkins, zusammen <strong>und</strong> sorgte für moralische<br />

Unterstützung für <strong>des</strong>sen Bemühungen,<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> rassische Harmonie sicherzustellen.<br />

Als Nachwirkung <strong>des</strong> „Crown Heights-Aufruhrs“<br />

wurde eine Koalition gebildet, die dauerhafte<br />

Wege prüfen sollte, einen bedeutsamen Dialog zwischen<br />

den unterschiedlichen ethnischen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Gruppen in <strong>der</strong> Stadt zu för<strong>der</strong>n.<br />

Auch das Programm „Pastoren für den Frieden“, das<br />

mithalf, enorme Mengen an Gr<strong>und</strong>versorgung <strong>und</strong><br />

Baumaterialien zu den Menschen in El Salvador<br />

<strong>und</strong> Nicaragua zu transportieren, wurde in ökumenischer<br />

Zusammenarbeit gegründet. In über<br />

zwanzig Jahren Gemeindeorganisation hat ED<br />

DUNN herausgef<strong>und</strong>en, dass Zusammenarbeit zwischen<br />

Christen ein wesentlicher Baustein für Initiativen<br />

zu Frieden <strong>und</strong> sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong> ist.<br />

Kürzlich schlossen sich ein presbyterianischer Geistlicher,<br />

Chris Hartmire, <strong>und</strong> ein ortsansässiger Projektkoordinator,<br />

Ellen Rogers, zusammen, um eine<br />

„Partnerstadt-Feier“ in Sacramento, Kalifornien, zu<br />

organisieren. Das Treffen, „Hoffnung feiern“<br />

genannt, war <strong>der</strong> Höhepunkt einer zehnjährigen<br />

Zusammenarbeit zwischen den Menschen von<br />

Sacramento <strong>und</strong> <strong>der</strong> „neuen Stadt“ San Bartolo in<br />

El Salvador. Durch seine Unterstützung für das San<br />

Bartolo-Partnerstadt-Projekt <strong>und</strong> durch seine<br />

beständige Koordination <strong>des</strong> zentralamerikanischen<br />

Pilgerweges hat Ed H<strong>und</strong>erte von Franziskanern<br />

<strong>und</strong> ihre Pfarrmitglie<strong>der</strong> dazu gebracht, mehr über<br />

das Leben <strong>und</strong> das dauerhafte Zeugnis <strong>der</strong> Märtyrer<br />

Zentralamerikas zu lernen. Für Ed sind solche<br />

gemeinsamen Bemühungen für <strong>Gerechtigkeit</strong> am<br />

wirksamsten, wenn sie Teil eines geteilten Glaubens<br />

sind.<br />

PHILIPPE SCHILLINGS ist zu <strong>der</strong> Überzeugung<br />

gekommen, dass die Franziskaner beson<strong>der</strong>e Gaben<br />

haben, um überall auf <strong>der</strong> Welt für Menschen<br />

unterwegs zu arbeiten. Er war zwanzig Jahre lang<br />

139


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

Missionar in Brasilien gewesen, bevor er 1985 in<br />

seine Heimat Belgien zurückkehrte, um mit portugiesischen<br />

Immigranten zu arbeiten. Als Direktor<br />

<strong>des</strong> Europäischen Büros <strong>der</strong> „International Catholic<br />

Migration Commission“ in Brüssel wurde Philippe<br />

von einem kurdischen Immigranten angesprochen:<br />

„Unsere Vereinigung benötigt einen Kaplan <strong>und</strong> wir<br />

wollen, dass du es machst.“ Philippe antwortete:<br />

„Warum ich? Ich bin katholisch <strong>und</strong> ihr seid Moslems.“<br />

Der kurdische Mann antwortete: „Aber du<br />

bist Franziskaner, ihr seid eine Brücke zwischen<br />

Moslems <strong>und</strong> Katholiken.“ Philippe ist überzeugt<br />

von <strong>der</strong> Notwendigkeit, eine Spiritualität für diese<br />

Rolle als „Brückenbauer“ zu entwickeln. Während<br />

die osteuropäischen Län<strong>der</strong> darum ringen, ihre<br />

Ökonomien <strong>und</strong> sozialen Strukturen nach Jahrzehnten<br />

zentralistischer kommunistischer Kontrolle<br />

in Ordnung zu bringen, klopfen heute Tausende<br />

von Menschen an die Türen <strong>der</strong> westeuropäischen<br />

Nationen, um politisches Asyl zu erbitten o<strong>der</strong> einfach<br />

eine bessere Lebensweise zu suchen. Statt nur<br />

auf die Probleme <strong>und</strong> den negativen Einfluss <strong>der</strong><br />

Migration zu starren, bemerkt Philippe ergänzend:<br />

„Wir müssen die positiven Aspekte <strong>der</strong> Ankunft<br />

dieser Neuankömmlinge in unserer Mitte betonen.<br />

Oft sind Franziskaner dabei, Flüchtlinge <strong>und</strong> Menschen<br />

unterwegs in ihren unmittelbaren Bedürfnissen<br />

mit Nahrung, Kleidung <strong>und</strong> Unterkunft zu versorgen.<br />

Es ist entscheidend, die internationale Aufmerksamkeit<br />

auf die zugr<strong>und</strong>eliegenden Ursachen<br />

<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung zu legen, ehe alle Menschen sich<br />

<strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden Rechte erfreuen können, ein<br />

annehmbares Leben in ihren Heimatlän<strong>der</strong>n zu<br />

führen.“<br />

Der Wunsch, das tägliche Leben mit <strong>der</strong> lokalen<br />

Hindu-Bevölkerung intensiver zu teilen, führte<br />

SCARIA VARANATH <strong>und</strong> SWAMI DAYANAND dazu, aus<br />

ihrem traditionellen Konvent in Indien auszuziehen<br />

<strong>und</strong> 300 Kilometer nördlich von Bangalore<br />

eine eigene Ashram-Gemeinschaft zu gründen. In<br />

völliger Abhängigkeit von den Gaben, die die ortsansässige<br />

Bevölkerung vorbeibringt, leben die beiden<br />

Männer ein schlichtes Leben <strong>des</strong> Gebets <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Meditation. Das Haus, in dem sie leben, wurde<br />

ihnen vom Ortsbischof zur Verfügung gestellt. Es<br />

steht immer offen für jeden, <strong>der</strong> kommt, um mit<br />

den Brü<strong>der</strong>n zu sprechen, zu lernen, zu meditieren<br />

o<strong>der</strong> einfach ein Mahl mit ihnen zu teilen. Scaria<br />

sagt: „Viele einfachen Menschen kommen, um mit<br />

140<br />

Am Ende <strong>der</strong> Tage wird es geschehen …<br />

dann liegt <strong>der</strong> Wolf beim Lamm …<br />

Jesaja<br />

uns einige Tage im Ashram zu verbringen; auch<br />

wohlhabende Menschen kommen, um Licht <strong>und</strong><br />

Bedeutung für ihr Leben zu suchen.“ Scaria erinnert<br />

sich noch, wie er gelehrt wurde, an<strong>der</strong>e Religionen<br />

zu fürchten, als er in den Tagen vor dem Zweiten<br />

Vatikanischen Konzil in einer sehr traditionell<br />

katholischen Familie aufwuchs. „Von meinen Eltern<br />

<strong>und</strong> den kirchlichen Führern wurde mir beigebracht,<br />

nicht mit Menschen an<strong>der</strong>en Glaubens zu<br />

sprechen o<strong>der</strong> etwa in Hindu-Tempel zu gehen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>en Götter anzuschauen!“ Heute sagt er, dass seine<br />

Studien <strong>der</strong> Hindu-Schriften ihn zu größerer<br />

Einsicht in seine eigene franziskanische Weltsicht<br />

geführt haben. „Hinduismus basiert auf einer tiefen<br />

spirituellen Sicht <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Wirklichkeit, in<br />

<strong>der</strong> Flüsse, Seen, je<strong>des</strong> Leben eine Manifestation <strong>des</strong><br />

Göttlichen sind <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb mit Achtung behandelt<br />

werden müssen.“<br />

Den Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus in das Leben <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Kulturen <strong>und</strong> Religionen zu bringen,<br />

war die Idee bei <strong>der</strong> Errichtung eines Besinnungshauses<br />

in <strong>der</strong> Nähe von Bangkok in Thailand im


■ Ökumenischer, interreligiöser <strong>und</strong> interkultureller Dialog<br />

Jahr 1985. Auch heute noch bietet das Zentrum<br />

einen Ort für Meditation <strong>und</strong> Gebet, doch es wurde<br />

ausgebaut durch die Errichtung eines Hospizes für<br />

AIDS-Kranke, vor allem Buddhisten, die keinen<br />

Ort haben, wohin sie gehen könnten, um in Frieden<br />

zu sterben. Es ist eines von vielen weltweiten<br />

Beispielen <strong>des</strong> Dialogs durch praktisches Handeln<br />

mehr als durch intellektuelle Vorstellungen. Einer<br />

<strong>der</strong> dort arbeitenden Brü<strong>der</strong>, ANTONIO EGIGUREN,<br />

erinnert daran, wie die meisten einheimischen Menschen<br />

den hl. Franziskus mit dem hl. Antonius verwechseln:<br />

„Es gibt nur zwei Statuen in katholischen<br />

Kirchen zu sehen! Wir wollten den Menschen durch<br />

unseren einfachen Lebensstil <strong>und</strong> unseren Dienst an<br />

den Bedürftigsten das Antlitz <strong>des</strong> hl. Franziskus zeigen.“<br />

Das Hospiz kann zehn Patienten aufnehmen<br />

<strong>und</strong> hat viel dafür getan, die Ängste <strong>und</strong> Vorurteile<br />

zu bekämpfen, die solche Art <strong>der</strong> Sorge für an AIDS<br />

sterbende Menschen umgeben. Die Brü<strong>der</strong> sind<br />

nicht daran interessiert, ihren Patienten das Christentum<br />

aufzudrängen, aber sie erzählen die be-<br />

wegende Geschichte einer jungen Mutter von zwei<br />

Kin<strong>der</strong>n, die in das Hospiz kam, nachdem ihr<br />

Mann an AIDS gestorben war. Nicht lange, bevor<br />

auch sie an <strong>der</strong> Krankheit starb, erzählte sie einem<br />

<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, dass ME PRA (Maria) sie in <strong>der</strong> Nacht<br />

besucht <strong>und</strong> getröstet habe. „Aber du bist Buddhistin“,<br />

antwortete <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>. „Ja“, sagte sie, „aber<br />

ME PRA weiß, was es heißt, eine Mutter zu sein, die<br />

leidet.“<br />

Generalkonstitutionen<br />

Artikel 70: Die Brü<strong>der</strong> sollen „zum Einan<strong>der</strong>-<br />

Annehmen <strong>und</strong> zu gegenseitiger Gutwilligkeit unter<br />

den Menschen animieren <strong>und</strong> so <strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong><br />

von Jesus Christus am Kreuz erwirkten Versöhnung<br />

sein“.<br />

Weitere Hinweise: Artikel 68,1-2; 93,1; 94; 95,1-3;<br />

96,1-3 <strong>und</strong> 127,3.<br />

141


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

Fragen für die Diskussion<br />

1. Welche sind neben <strong>der</strong> römisch-katholischen<br />

Kirche die größten christlichen Gruppen in<br />

deinem Land? Trefft ihr sie je zum Gebet,<br />

zum Dialog, zu Werken <strong>der</strong> Barmherzigkeit?<br />

2. Welche sind die größten nichtchristlichen<br />

Gruppen in deinem Land? Hast du dich<br />

jemals mit ihnen getroffen zum Gebet um<br />

den Weltfrieden o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Anliegen,<br />

zum Dialog, zu Werken <strong>der</strong> Barmherzigkeit?<br />

3. Wie wird <strong>der</strong> hl. Franziskus von den christlichen<br />

<strong>und</strong> nichtchristlichen Gruppen in deinen<br />

Land betrachtet? Wenn positiv, hast du<br />

das als möglichen Ausgangspunkt für einen<br />

Dialog genutzt?<br />

4. Beteiligt sich deine lokale Gemeinschaft o<strong>der</strong><br />

Provinzgemeinschaft an ökumenischen o<strong>der</strong><br />

interreligiösen Dialogen im Geist <strong>des</strong> Treffens<br />

vom Oktober 1986 in Assisi, bei dem die religiösen<br />

Führer <strong>der</strong> Welt für den Weltfrieden<br />

beteten? Ermutigt dich die Geschichte <strong>der</strong><br />

Begegnung zwischen Franziskus <strong>und</strong> dem<br />

Sultan, am interreligiösen Dialog teilzunehmen?<br />

Mit welcher Haltung?<br />

5. Welche Hin<strong>der</strong>nisse für den Dialog wirst du<br />

vorbringen, wird deine lokale Gemeinschaft<br />

einbringen, wird deine Provinzgemeinschaft<br />

erleben?<br />

6. Kannst du an<strong>der</strong>e Formen <strong>des</strong> Dialogs im<br />

Leben <strong>des</strong> hl. Franziskus feststellen, die über<br />

die oben dargestellten hinausgehen?<br />

142<br />

7. Welche wie<strong>der</strong>kehrenden Anzeichen kann<br />

ich in <strong>der</strong> Art feststellen, wie Franziskus von<br />

Assisi den Dialog beginnt? Was sind seine<br />

entscheidenden Bemühungen den Dialog zu<br />

för<strong>der</strong>n?<br />

8. Welche Art von Dialog for<strong>der</strong>t mich am<br />

meisten?<br />

9. Wann gibt es Gelegenheiten, in denen ich<br />

in meinem Alltag Dialog för<strong>der</strong>n kann?<br />

10. Was sind die Faktoren, die mich dazu<br />

motivieren können?<br />

11. Welche Menschen o<strong>der</strong> Umstände könnte ich<br />

in den Dialog einbeziehen?<br />

12. Wo, unter welchen Umständen <strong>und</strong> wie?<br />

13. Was sind meine Befürchtungen <strong>und</strong> was<br />

ist <strong>der</strong> Anruf an mich?<br />

14. Was sind meine eigenen Stärken, <strong>und</strong> was<br />

kann mir helfen, einen Dialog anzustoßen?<br />

15. Hast du in deiner Gemeinschaft<br />

Treffen/Begegnungen mit Mitglie<strong>der</strong>n<br />

an<strong>der</strong>er christlicher Konfessionen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>er Religionen? Was ist <strong>der</strong> Zweck dieser<br />

Treffen/Begegnungen? Gebet, Dialog o<strong>der</strong><br />

Reflexion? Welche sind deine Erfahrungen<br />

mit diesen Treffen/Begegnungen?<br />

16. Arbeitest du mit in Kampagnen o<strong>der</strong> Aktionen<br />

zugunsten <strong>der</strong> Armen, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Umwelt?


KAMPF UND KONTEMPLATION


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

Anregungen für die Praxis<br />

Dieser dritte Teil umfasst zwei Abschnitte. Der erste beschreibt die Strukturen <strong>des</strong> Ordens in Bezug<br />

auf <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung. Der zweite Abschnitt stellt Ideen <strong>und</strong><br />

Initiativen vor, wie GFBS in den unterschiedlichen Diensten präsent sein kann. Diesem zweiten Abschnitt<br />

ist ein Kapitel über die Analyse <strong>der</strong> Wirklichkeit vorangestellt, weil unserem Tun <strong>und</strong> Handeln,<br />

gleich welcher Art, diese Analyse vorausgehen muss, um besser zu unterscheiden, was Gott von uns for<strong>der</strong>t.<br />

Themen:<br />

1. Die Bewegung für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Kontext<br />

<strong>der</strong> nachkonziliaren Entwicklung <strong>des</strong> Ordens: Kapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

2. Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

3. Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />

4. Soziale Analyse<br />

5. <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

im Kontext einzelner Apostolate<br />

– Im täglichen Leben<br />

– In <strong>der</strong> Mission „Ad Gentes“<br />

– Im Pfarrapostolat<br />

– In <strong>der</strong> Wortverkündigung<br />

– In <strong>der</strong> Erziehungsarbeit<br />

– In <strong>der</strong> Ordensausbildung<br />

145


■ Anregungen für die Praxis


■ Nachkonziliare Entwicklung<br />

Die Bewegung<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden im Kontext<br />

<strong>der</strong> nachkonziliaren<br />

Entwicklung <strong>des</strong> Ordens:<br />

Kapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

1. Vom Zweiten Vatikanischen Konzil<br />

verursachte Verän<strong>der</strong>ungen<br />

in <strong>der</strong> Spiritualität<br />

Es ist nicht übertrieben, festzustellen, dass die Spiritualität<br />

vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil nach<br />

innen gerichtet <strong>und</strong> auf sich selbst bezogen war; mit<br />

folgenden Kennzeichen:<br />

■ Erlösung ist etwas persönliches, etwas für die<br />

Seele <strong>und</strong> für das Leben nach dem Tod; christliche<br />

Praxis zielt darauf, Erlösung zu gewinnen.<br />

■ Die Welt ist verdächtig (<strong>der</strong> Feind <strong>der</strong> Seele);<br />

„Flucht aus <strong>der</strong> Welt“ wird als ein Weg <strong>der</strong> Vollkommenheit<br />

vorgeschlagen.<br />

■ Heiligung besteht in Reinigung <strong>und</strong> innerer<br />

Vervollkommnung durch Mittel religiösen,<br />

asketischen <strong>und</strong> moralischen Handelns <strong>und</strong><br />

einem Leben <strong>der</strong> Werke <strong>der</strong> Barmherzigkeit.<br />

Kurz gesagt, es gab eine Vorstellung von Gott, von<br />

christlicher Erlösung <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong> Kirche,<br />

die Menschen von <strong>der</strong> Beschäftigung mit sozialen<br />

Problemen, vom Einsatz für sozialen Wandel<br />

abhielt. Diese Spiritualität hoffte darauf, dass Gott<br />

zu seiner Zeit eingreifen würde, um das Böse in <strong>der</strong><br />

Welt zu bessern. So bestand das einzige, was man<br />

tun musste, darin, um das Eingreifen Gottes zu<br />

beten.<br />

Sicherlich gab es auch vor dem Zweiten Vatikanischen<br />

Konzil, insbeson<strong>der</strong>e seit RERUM NOVARUM,<br />

einen bemerkenswerten Wandel in dieser Art von<br />

Spiritualität, <strong>und</strong> die Kirche sorgte sich zunehmend<br />

um die Lösung sozialer <strong>und</strong> politischer Probleme.<br />

Doch erst in GAUDIUM ET SPES wurde klar ausgesprochen,<br />

dass <strong>der</strong> Einsatz im sozialen <strong>und</strong> politischen<br />

Bereich direkt mit <strong>der</strong> Sendung verb<strong>und</strong>en<br />

ist, welche die Kirche von Christus empfangen hat:<br />

„Die ihr eigene Sendung, die Christus <strong>der</strong> Kirche<br />

übertragen hat, bezieht sich zwar nicht auf den politischen,<br />

wirtschaftlichen o<strong>der</strong> sozialen Bereich: das<br />

Ziel, das Christus ihr gesetzt hat, gehört ja <strong>der</strong> religiösen<br />

Ordnung an. Doch fließen aus eben dieser<br />

religiösen Sendung Auftrag, Licht <strong>und</strong> Kraft, um<br />

<strong>der</strong> menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau <strong>und</strong><br />

Festigung nach göttlichem Gesetz behilflich zu<br />

sein“ (GS 42).<br />

Unter den vielen Beiträgen <strong>des</strong> Konzils an die<br />

Kirche, ist einer <strong>der</strong> bedeutendsten <strong>und</strong> einer, <strong>der</strong><br />

bereits viele an<strong>der</strong>e beeinflusst <strong>und</strong> geleitet hat, ihre<br />

Haltung gegenüber <strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> Geschichte <strong>und</strong><br />

den sozialen Problemen. Das Konzil richtete den<br />

Blick <strong>der</strong> Kirche erfolgreich auf die Welt <strong>und</strong> ihre<br />

Geschichte. In GAUDIUM ET SPES findet sich eine<br />

positive Beurteilung <strong>der</strong> Welt als etwas, das von<br />

Gott geschaffen, durch Christus erlöst <strong>und</strong> zur<br />

Erfüllung berufen wurde, <strong>und</strong> eine Beurteilung <strong>der</strong><br />

historischen Wirklichkeit als Ort, an dem sich Gott<br />

selbst als Erlöser <strong>der</strong> Menschen offenbart. Das Konzil<br />

leitet die gesamte Kirche <strong>und</strong> jeden Christen<br />

zum Weltdienst an für den Aufbau <strong>des</strong> Reiches.<br />

Diese Orientierung ist in dem bekannten Eröffnungssatz<br />

von GAUDIUM ET SPES beschrieben:<br />

„Freude <strong>und</strong> Hoffnung, Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong> Menschen<br />

von heute, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong><br />

Bedrängten aller Art, sind auch Freude <strong>und</strong> Hoffnung,<br />

Trauer <strong>und</strong> Angst <strong>der</strong> Jünger Christi“ (GS 1).<br />

Durch die Menschwerdung wird das Reich Gottes<br />

als Verwandlung <strong>der</strong> Geschichte betrachtet. In <strong>der</strong><br />

Geschichte, geführt durch den Geist ist das Reich<br />

Gottes am Wachsen durch den Dienst <strong>der</strong> Kirche.<br />

So wurde ein Weg in folgende Richtungen eröffnet:<br />

Hören auf die Welt: die Zeichen <strong>der</strong> Zeit lesen, während<br />

man mitten in <strong>der</strong> Welt steht, an ihren Freuden<br />

<strong>und</strong> Sorgen teilnimmt. Auf diese Weise gab es ein<br />

Hinausgehen <strong>der</strong> Kirche zu den Ausgegrenzten.<br />

Das Aufnehmen <strong>der</strong> Sehnsüchte, <strong>der</strong> Werte, <strong>der</strong><br />

Klageschreie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erfolge <strong>der</strong> Welt: Freiheit,<br />

Gleichheit, Teilhabe, Pluralismus, Demokratie <strong>und</strong><br />

Sorge um <strong>Gerechtigkeit</strong>. Dies stellt eine Evangeliumspraxis<br />

dar, die auf gelebtem Zeugnis, Dienst,<br />

Zusammenarbeit <strong>und</strong> Solidarität gründet.<br />

147


■ Nachkonziliare Entwicklung<br />

Seit <strong>der</strong> Lehre <strong>des</strong> Konzils ist eine Reihe von theologischen<br />

Fortschritten erzielt worden: in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> als einen wesentlichen<br />

Bestandteil <strong>des</strong> Evangeliums (Synode 1971) <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> engen evangeliumsgemäßen <strong>und</strong> theologischen<br />

Beziehung zwischen Evangelisierung <strong>und</strong> menschlicher<br />

Entfaltung (EN): Es ist „unmöglich hinzunehmen,<br />

dass das Werk <strong>der</strong> Evangelisierung die<br />

äußerst schwierigen <strong>und</strong> heute so stark erörterten<br />

Fragen vernachlässigen kann <strong>und</strong> darf, die die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, die Befreiung, die Entwicklung<br />

<strong>und</strong> den Frieden in <strong>der</strong> Welt betreffen. Wenn das<br />

eintreten würde, so hieße das, die Lehre <strong>des</strong> Evangeliums<br />

von <strong>der</strong> Liebe zum leidenden <strong>und</strong> bedürftigen<br />

Nächsten vergessen“ (EN 31). Es genügt, an<br />

Synoden, Sozialenzykliken, bischöfliche Stellungnahmen,<br />

an die politische <strong>und</strong> die Befreiungstheologie<br />

zu erinnern. Bei all dem wurde ernsthafte<br />

Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Orientierung geschenkt, die<br />

Johannes Paul II. viele Male seit Beginn seines Pontifikats<br />

wie<strong>der</strong>holt hat: „Der Mensch in <strong>der</strong> vollen<br />

Wahrheit seiner Existenz, seines persönlichen <strong>und</strong><br />

zugleich gemeinschaftsbezogenen <strong>und</strong> sozialen<br />

Seins … dieser Mensch ist <strong>der</strong> erste Weg, den die<br />

Kirche bei <strong>der</strong> Erfüllung ihres Auftrags beschreiten<br />

muss“ (RH 14).<br />

Als eine Folge <strong>des</strong> Drängens <strong>des</strong> Konzils an die Kirche,<br />

sich in beson<strong>der</strong>er Weise um die Welt zu sorgen,<br />

hat Paul VI. 1967 die päpstliche Kommission<br />

„Iustitia et Pax“ eingesetzt, entsprechend dem<br />

Wunsch von GS 90: „Aber angesichts <strong>der</strong> zahllosen<br />

Drangsale, unter denen <strong>der</strong> größere Teil <strong>der</strong><br />

Menschheit auch heute noch leidet, hält es das Konzil<br />

für sehr zweckmäßig, ein Organ <strong>der</strong> Gesamtkirche<br />

zu schaffen, um die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Liebe<br />

Christi den Armen in aller Welt zuteil werden zu<br />

lassen. Seine Aufgabe soll es sein, die Gemeinschaft<br />

<strong>der</strong> Katholiken immer wie<strong>der</strong> anzuregen, den Aufstieg<br />

<strong>der</strong> notleidenden Gebiete <strong>und</strong> die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> unter den Völkern zu för<strong>der</strong>n.“<br />

2. Die zentrale Bedeutung <strong>der</strong> Arbeit<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in<br />

<strong>der</strong> neuen Theologie <strong>des</strong> Ordenslebens<br />

Angesichts <strong>der</strong> Situation, dass das Ordensleben von<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft getrennt war, ihm eine signifikante<br />

148<br />

<strong>und</strong> prophetische Kraft fehlte <strong>und</strong> es sich in überholten<br />

Formen darstellte, plante das Zweite Vatikanische<br />

Konzil als eine angemessene Erneuerung:<br />

„ständige Rückkehr zu den Quellen je<strong>des</strong> christlichen<br />

Lebens (die im Evangelium dargelegte Nachfolge<br />

Christi) <strong>und</strong> zum Geist <strong>des</strong> Ursprungs <strong>der</strong> einzelnen<br />

Institute, zugleich aber <strong>der</strong>en Anpassung an<br />

die verän<strong>der</strong>ten Zeitverhältnisse. … Die Institute<br />

sollen dafür sorgen, dass ihre Mitglie<strong>der</strong> die Lebensverhältnisse<br />

<strong>der</strong> Menschen, die Zeitlage sowie die<br />

Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>der</strong> Kirche wirklich kennen, damit sie<br />

die heutige Welt im Licht <strong>des</strong> Glaubens richtig<br />

beurteilen <strong>und</strong> den Menschen mit lebendigem apostolischem<br />

Eifer wirksamer helfen können“ (PC 2).<br />

Orden, Kongregationen <strong>und</strong> Institute folgten<br />

sogleich dem Ruf <strong>des</strong> Konzils. Anhand <strong>der</strong> Dokumente<br />

<strong>der</strong> Generalkapitel, Ordensräte <strong>und</strong> Generalkonstitutionen<br />

können wir erkennen, wie die<br />

Dokumente <strong>des</strong> Konzils <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Dokumente<br />

<strong>des</strong> kirchlichen Lehramts, insbeson<strong>der</strong>e EVANGELII<br />

NUNTIANDI <strong>und</strong> die Sozialenzykliken, einen großen<br />

Einfluss auf die Neuformulierung <strong>des</strong> Ordenslebens<br />

ausübten. Evangelisierung <strong>und</strong> prophetische Kennzeichen<br />

sind nun gr<strong>und</strong>legend, wie sie es auch für<br />

die gesamte Kirche sind. Mit dem Ende <strong>des</strong> Konzils<br />

begannen gewisse gr<strong>und</strong>legende <strong>und</strong> eher generelle<br />

Tendenzen im Ordensleben sichtbar zu werden:<br />

Die Option für die Armen <strong>und</strong> für die tatsächliche<br />

Armut wurde in den Instituten <strong>und</strong> Gemeinschaften<br />

ernst genommen.<br />

In Orden <strong>und</strong> Kongregationen wurde <strong>der</strong> Einsatz<br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> zur Verteidigung<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte als Teil ihrer Sendung<br />

verstanden.<br />

Um diese Verpflichtung Wirklichkeit werden zu<br />

lassen, gab es eine Bewegung hin zu kleinen<br />

Gemeinschaften, die in Armenvierteln lebten, die<br />

Lebensbedingungen <strong>der</strong> Armen teilten <strong>und</strong> an<br />

ihren Schwierigkeiten <strong>und</strong> Kämpfen teilnahmen.<br />

Die traditionellen Aufgaben, die viele Ordensinstitute<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Erziehung, <strong>des</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesens,<br />

<strong>der</strong> Waisenhäuser usw. hatten, begann<br />

man in Frage zu stellen. Es entstand eine Strömung<br />

zu Gunsten eines Abschieds von eigenen Einrichtungen<br />

mit dem Vorschlag, dass Ordensfrauen <strong>und</strong><br />

Ordensmänner ihren Dienst in Institutionen außerhalb<br />

ihrer eigenen Institute leisten sollten, seien<br />

diese kirchlich o<strong>der</strong> säkular <strong>und</strong> zivil.


■ Nachkonziliare Entwicklung<br />

Diese Tendenzen wurden 1980 durch die Kongregation<br />

für die Ordens- <strong>und</strong> Säkularinstitute in ihrem<br />

Dokument DAS ORDENSLEBEN UND DIE FÖRDE-<br />

RUNG DES MENSCHEN bekräftigt. Es bietet Unterscheidungskriterien<br />

über die Bedeutung <strong>und</strong> die<br />

Dringlichkeit einer angemessenen Teilnahme <strong>der</strong><br />

Ordensleute an <strong>der</strong> ganzheitlichen För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong><br />

Menschen. Wir finden die gleichen Vorstellungen<br />

im nachsynodalen apostolischen Schreiben über<br />

das geweihte Leben <strong>und</strong> seine Sendung in Kirche<br />

<strong>und</strong> Welt, VITA CONSECRATA (1996), vor allem in<br />

Kapitel III.<br />

3. Nachkonziliare Entwicklung<br />

<strong>des</strong> Ordens: Kapitel, Ordensräte,<br />

Generalkonstitutionen<br />

Seit dem Konzil <strong>und</strong> den Generalkonstitutionen<br />

von 1967 wurde unter den Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>n eine<br />

gewaltige Anstrengung unternommen, ihre Berufung<br />

in <strong>der</strong> heutigen Welt zu verstehen. Seitdem hat<br />

ein Entwicklungsprozess stattgef<strong>und</strong>en, <strong>der</strong> zu den<br />

Generalkonstitutionen von 1987 geführt hat, in<br />

denen die Option für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

ganz deutlich zu Tage tritt. In diesem Prozess gab es<br />

einige Schlüsselmomente. Werfen wir einen Blick<br />

darauf:<br />

Der erste bedeutende Augenblick war das Generalkapitel<br />

von Medellin (1971). In seinem Dokument<br />

ERZIEHUNG UND AUSBILDUNG IM ORDEN DER<br />

MINDERBRÜDER stellt es fest, dass Erneuerung zu<br />

einem großen Teil von <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />

abhängt. Nr. 7 besagt, dass das Konzept <strong>des</strong> Franziskus<br />

den Bedürfnissen <strong>und</strong> Wünschen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Welt entspricht. Nr. 8 hält fest, dass „wir arm werden<br />

müssen mit den Armen <strong>und</strong> min<strong>der</strong> mit den<br />

Min<strong>der</strong>en“ (demütig). Nr. 10 spricht von unserer<br />

Einglie<strong>der</strong>ung in die Welt von heute <strong>und</strong> unserem<br />

Einsatz für ihre großen Anliegen (vgl. OCTOGESIMA<br />

ADVENIENS, Nr. 5 u. 48). Nr. 11 fragt: „Sind wir die<br />

Menschen, die wir sein sollten? Fühlen wir uns<br />

wirklich berufen, nach den Nöten <strong>der</strong> Welt Ausschau<br />

zu halten?“ <strong>und</strong> schließt: „Dies ruft uns ganz<br />

sicher zu einer fortdauernden Bekehrung unserer<br />

selbst, einzeln wie in Gemeinschaft.“ In Nr. 26<br />

spricht das Dokument vom Min<strong>der</strong>sein als Kennzeichen<br />

franziskanischen Lebens, dass nämlich<br />

„Min<strong>der</strong>sein jeden Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> die Gemeinschaft zu<br />

einem Werkzeug <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> macht“.<br />

In Kapitel V., „Dimensionen <strong>der</strong> Ausbildung“,<br />

Abschnitt 4 „Ausbildung für Kommunikation mit<br />

<strong>der</strong> Welt“ spricht Nr. 52 davon, „in <strong>der</strong> Welt präsent<br />

zu sein“, weil franziskanisches Leben keine<br />

Flucht aus <strong>der</strong> Welt ist; vielmehr ist es, dem Beispiel<br />

<strong>des</strong> menschgewordenen Wortes folgend, ein Leben<br />

in <strong>der</strong> Welt, um Zeugnis zu geben von <strong>der</strong> Gewissheit<br />

<strong>der</strong> transzendenten Wirklichkeit <strong>und</strong> um die<br />

guten Dinge zu entdecken, die Gott in sie hineingegeben<br />

hat. Nr. 53 merkt dann als eine Konsequenz<br />

an, dass wir „aufmerksam gegenüber <strong>der</strong> sozialen<br />

Wirklichkeit“ sein sollten.<br />

Über diese Zitationen hinaus begann das Kapitel<br />

von Medellin von <strong>der</strong> Notwendigkeit zu sprechen,<br />

uns <strong>der</strong> Welt von heute zu stellen, auf ihre Nöte zu<br />

antworten. Doch hatte es nicht viel zu sagen <strong>und</strong>,<br />

mit einem gewissen Maß an Zweideutigkeit <strong>und</strong><br />

Furcht, stellte es die Probleme nicht fest, auf die<br />

geantwortet werden sollte.<br />

Bereits das an<strong>der</strong>e Dokument <strong>des</strong> Kapitels, „Der<br />

Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>orden <strong>und</strong> die Mission“, Kapitel V.<br />

(„Wir sind Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“), stellt fest:<br />

„In Treue zu unserer Mission <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, sind wir<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, nicht aber<br />

<strong>des</strong> Kompromisses; denn <strong>der</strong> Friede, dem wir<br />

dienen, muss die Frucht wahrer <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Liebe sein.“ Darin liegt eine ausschließliche<br />

Option für das Zeugnis.<br />

Der zweite große Moment war das Dokument <strong>des</strong><br />

Generalkapitels von Madrid: DIE BERUFUNG<br />

UNSERES ORDENS HEUTE (1973). Hier liegt <strong>der</strong><br />

Akzent auf dem „heute“. Denn wenn das Leben<br />

<strong>und</strong> die Regel <strong>des</strong> Franziskus – die Berufung <strong>des</strong><br />

Ordens eine bekannte Größe ist <strong>und</strong> davon abgeleitet<br />

auch unsere Identität geklärt ist, so bedarf es<br />

trotzdem <strong>der</strong> Klärung, <strong>der</strong> Konkretisierung dieser<br />

Berufung im Hier <strong>und</strong> Jetzt. Dieses Gesetz <strong>der</strong><br />

Inkarnation ist gr<strong>und</strong>legend für die gesamte Christenheit.<br />

Ohne es, ohne Einsatz für den Menschen<br />

<strong>und</strong> die Welt, ist es unmöglich, ein Sakrament <strong>der</strong><br />

Erlösung zu sein.<br />

Kapitel VII. ist überschrieben mit „Kün<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong> in unserer Welt“. Dies ist sein Inhalt:<br />

149


■ Nachkonziliare Entwicklung<br />

Nr. 31: Unsere wesentliche Sendung besteht darin,<br />

unseren Lebensplan zu verwirklichen: eine Gemeinschaft<br />

<strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes zu leben <strong>und</strong> aufzubauen<br />

<strong>und</strong> für alle offen zu sein, in Armut <strong>und</strong><br />

Arbeit zu leben, die Hoffnungen <strong>der</strong> Armen zu teilen.<br />

Unser Beitrag für die Kirche <strong>und</strong> die Menschheit<br />

besteht in erster Linie darin: Zeugnis abzulegen<br />

durch unser Leben.<br />

Nr. 33: „Wir wollen inmitten <strong>des</strong> Gesellschaft eine<br />

brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft aufbauen … Das hat<br />

dann – ob man es nun will o<strong>der</strong> nicht – soziale <strong>und</strong><br />

politische Auswirkungen.“ Und wir werden vor Parteienwirtschaft<br />

gewarnt <strong>und</strong> aufgefor<strong>der</strong>t, die Seligpreisungen<br />

konsequent zu leben.<br />

Nr. 34: Von diesem Ausgangspunkt aus wird es möglich<br />

sein, an den politischen Problemen <strong>und</strong> den<br />

sozialen Kämpfen von heute wirklich Anteil zu nehmen.<br />

Mit dem Ziel: Wir müssen genaue Informationen<br />

haben, die uns eine objektive Analyse <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

erlauben; um unsere Stimme mit <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Unterdrückten zu vereinen, müssen wir an <strong>der</strong> Arbeit<br />

<strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> Ausgegrenzten teilnehmen. Wir<br />

müssen uns einfügen in ihre Art <strong>und</strong> Weise zu leben.<br />

Das Generalkapitel von 1979. Mit diesem Generalkapitel<br />

traf <strong>der</strong> Orden eine entschiedene Option<br />

für den Einsatz zu Gunsten von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden. Von den sieben Prioritäten, die das Kapitel<br />

für den Orden für die nächsten sechs Jahre bestimmte,<br />

for<strong>der</strong>te die fünfte, dass die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

am Aufbau <strong>der</strong> Welt mitarbeiten, indem sie an ihren<br />

Problemen Anteil nähmen <strong>und</strong> in vielfältiger <strong>und</strong><br />

intensiver Weise in ihnen präsent seien. Die sechste<br />

Priorität besagt: „Im Bewusstsein unserer Position<br />

als För<strong>der</strong>er von Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, wollen<br />

wir auf <strong>der</strong> Seite jener stehen, die Verfolgungen <strong>und</strong><br />

vielfältige Machenschaften erleiden; wir sollen auf<br />

eine solche Weise leben, dass unser Leben <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden för<strong>der</strong>t.“<br />

Am Ende <strong>des</strong> Kapitels wurde ein Dokument vorbereitet<br />

<strong>und</strong> angenommen, in dem ausdrücklich auf<br />

die zahlreichen drängenden Probleme hingewiesen<br />

wurde <strong>und</strong> auf die Schwierigkeit, sie zu lösen: Hunger,<br />

Armut, Mangel an Unterkünften <strong>und</strong> Arbeit,<br />

Ungerechtigkeit, Probleme <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

alten Menschen, Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte,<br />

die erschreckende Gefahr <strong>der</strong> Nuklearwaffen, die<br />

Verschmutzung <strong>der</strong> Atmosphäre … wie auch <strong>der</strong><br />

konkreten augenblicklichen Probleme in verschie-<br />

150<br />

denen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt (Nicaragua, Vietnam-<br />

Flüchtlinge, Brasilien, Rho<strong>des</strong>ien).<br />

Als Antwort auf dieses Kapitel behandelte <strong>der</strong> erste<br />

Brief <strong>des</strong> Generaldefinitoriums an den Orden, vom<br />

10. September 1979, die tragische Situation von<br />

Flüchtlingen, beson<strong>der</strong>s in Südost-Asien. Bei dieser<br />

Gelegenheit wurde die Errichtung einer Kommission<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im Orden<br />

angekündigt, welche die „franziskanische Anteilnahme“<br />

an diesen Problemen verdeutlichte, entsprechend<br />

den vom Generalkapitel aufgestellten<br />

Prioritäten. In seinem Leitprogramm kündigte das<br />

Generaldefinitorium ebenfalls an, dass jede Provinzialenkonferenz<br />

eine Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden ernennen o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t mit solchen<br />

Kommissionen zusammenarbeiten sollte, die<br />

bereits in ihrer Region bestünden.<br />

Ordensrat von Bahia (1983). Seit den frühen 80er<br />

Jahren gab es ein klares Bewusstsein im Orden, dass<br />

unsere Sendung darin besteht, in <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong><br />

wir leben, zu evangelisieren, <strong>und</strong> dass wir klar<br />

erkennen müssten, ob wir wirklich wünschen, eine<br />

Antwort auf ihre Probleme <strong>und</strong> Bedürfnisse zu<br />

geben.<br />

Wegen <strong>der</strong> Bedeutung <strong>des</strong> Themas Evangelisierung<br />

an sich <strong>und</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>des</strong> Ordens, noch<br />

tiefer zu erfassen <strong>und</strong> zu unterscheiden, wie Franziskaner<br />

„Mittler zwischen den (franziskanischen)<br />

Werten <strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Kultur<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft“ sein können, wurde dies zum<br />

zentralen Thema auf dem Ordensrat von 1983 in<br />

Bahia, Brasilien. Dort wurde ein gedanklich interessantes<br />

Dokument verabschiedet: DAS EVANGELIUM<br />

FORDERT UNS HERAUS. Zusammen mit den Dokumenten<br />

<strong>der</strong> Generalkapitel von Medellin <strong>und</strong><br />

Madrid hatte dieser Text den größten Einfluss auf<br />

die Generalkonstitutionen von 1987. Dies ist daran<br />

zu erkennen, wie die Anmerkungen <strong>der</strong> Artikel,<br />

welche die Generalkonstitutionen diesem Thema<br />

widmen, beständig auf diese drei Dokumente Bezug<br />

nehmen. Um die Botschaft zu verstehen, welche<br />

die gegenwärtigen Generalkonstitutionen vermitteln<br />

wollen, ist es wesentlich, sie im Licht dieser<br />

drei Dokumente zu lesen.<br />

Im Dokument von Bahia werden wir an unsere<br />

Pflicht erinnert, an <strong>der</strong> Evangelisierung <strong>der</strong> Kirche<br />

teilzunehmen (Kap. 1) <strong>und</strong> zum Aufbau von


■ Nachkonziliare Entwicklung<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden beizutragen (Kap. 4).<br />

Wir werden ebenfalls an die Lebensweise <strong>des</strong><br />

Evangeliums <strong>und</strong> <strong>des</strong> hl. Franziskus erinnert, an <strong>der</strong><br />

wir uns orientieren sollen, weil wir Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong><br />

sind, „als Brü<strong>der</strong> gesandt“ (Kap. 2) <strong>und</strong> „als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

unter den Armen“ (Kap. 3).<br />

Im Kapitel 4 („<strong>Werkzeuge</strong> für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden“) ist Nr. 38 <strong>der</strong> originellste Abschnitt, <strong>der</strong><br />

sich auf die vorausgehenden Dokumente bezieht.<br />

Hier werden konkrete Initiativen vorgeschlagen, die<br />

Brü<strong>der</strong> ergreifen sollten. Wir werden diese zusammen<br />

mit den Vorschlägen zum konkreten Handeln<br />

auflisten, welche das Generalkapitel von 1985 für<br />

die kommenden sechs Jahre aufgestellt hat. Diese<br />

fassen die an<strong>der</strong>en Dokumente ähnlicher Art<br />

zusammen, verweisen jedoch mehr auf das Handeln<br />

als auf Theorie. Generalminister John Vaughn sagte<br />

in seiner Eröffnungsansprache <strong>des</strong> Ordensrates von<br />

1983: „Wir haben die Information <strong>und</strong> wir haben<br />

die Dokumente. Wir haben auch die Inspiration<br />

vieler apostolischer Brü<strong>der</strong>, die uns vorausgegangen<br />

sind. Was uns heute zu mangeln scheint, ist die<br />

Vorstellungskraft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Antrieb, uns wirklich den<br />

Gefahren <strong>und</strong> den enormen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

zu stellen, welche <strong>der</strong> Herr, die Kirche <strong>und</strong> die Welt<br />

uns vorlegen“:<br />

a) Zu beten, dass wir Männer <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> mit Gott<br />

<strong>und</strong> den Menschen werden; Gebet <strong>und</strong> Fasten zu<br />

einem Teil unserer <strong>Friedens</strong>bemühungen zu<br />

machen.<br />

b) Bewegungen zu unterstützen, die Frieden in<br />

unserer Gesellschaft för<strong>der</strong>n, indem wir uns persönlich<br />

daran beteiligen.<br />

c) Sich gewaltfreien Bewegungen um Frieden<br />

anzuschließen, indem wir denen Unterstützung<br />

gewähren, die sich aus Gewissensgründen Kriegen,<br />

beson<strong>der</strong>s den atomaren Kriegen wi<strong>der</strong>setzen, <strong>und</strong><br />

denen, die sich dem Rüstungswettlauf <strong>und</strong> dem Waffenhandel<br />

wi<strong>der</strong>setzen; jene zu unterstützen, die<br />

wegen ihrer Überzeugungen <strong>und</strong> ihren Bemühungen<br />

um <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden inhaftiert werden.<br />

d) Eine <strong>Friedens</strong>pädagogik zu entwickeln, beson<strong>der</strong>s<br />

für die Jugendlichen in unseren Seminarien<br />

<strong>und</strong> Schulen.<br />

e) Nach Wegen zu suchen, um Ungerechtigkeiten<br />

in unserer Mitte zu beseitigen. Dieses Thema sollte<br />

in den Hauskapiteln ein Jahr lang diskutiert werden:<br />

so for<strong>der</strong>n es die Prioritäten <strong>des</strong> Kapitels von<br />

1985, damit wir glaubwürdige Zeugen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

Christi sein können.<br />

f) Jede Provinz sollte eine Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden haben <strong>und</strong>, wenn möglich,<br />

Brü<strong>der</strong>, die sich hauptamtlich für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden einsetzen, wobei man Brü<strong>der</strong><br />

unterstützt, die bereits in Kommissionen für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden arbeiten. Die Vertreter<br />

<strong>der</strong> Provinzen sollen eine Versammlung für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden innerhalb <strong>der</strong> Konferenz bilden.<br />

Dies ist die Wegstrecke, die <strong>der</strong> Orden nach dem<br />

Konzil beschritten hat, bis die gegenwärtigen Generalkonstitutionen<br />

vom Generalkapitel 1985 angenommen<br />

wurden. In ihnen sind die Themen von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden deutlich vertreten, vor<br />

allem in den Kapiteln IV. <strong>und</strong> V.<br />

Das Generalkapitel 1985: Neben <strong>der</strong> Annahme<br />

<strong>des</strong> Textes <strong>der</strong> Generalkonstitutionen veröffentlichte<br />

das Generalkapitel von 1985 in einer kurzen Botschaft<br />

mit dem Titel „DAS EVANGELIUM HEUTE<br />

LEBEN. VORSCHLÄGE ZUM KONKRETEN HANDELN“<br />

einen Sechs-Jahres-Plan (1985-1991). Das Kapitel<br />

war <strong>der</strong> Auffassung, dass in den Generalkonstitutionen<br />

<strong>und</strong> den jüngeren franziskanischen Dokumenten<br />

drei Themen beständig <strong>und</strong> vorrangig wie<strong>der</strong>kehrten:<br />

die kontemplative Dimension unseres<br />

Lebens; die Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> unsere Bildung im missionarischen<br />

Geist – Evangelisierung. Diese wurden im<br />

Orden schnell als unsere „drei Prioritäten“ bekannt.<br />

Nr. 23 dieses Dokuments listet neun konkrete<br />

Vorschläge im Bereich von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden auf. Einige von ihnen sind oben zitiert.<br />

Reflexion über diese Vorschläge, vor allem auf unseren<br />

Kapiteln (General-, Provinz- <strong>und</strong> Hauskapiteln)<br />

würde uns wertvolles Material geben für das Nachdenken<br />

über wesentliche Elemente unseres Erbes,<br />

eine nützliche Gewissenserforschung <strong>und</strong> einen<br />

Ansporn, die Vorschläge in Handeln umzusetzen.<br />

Drei Jahre nach dem Generalkapitel 1985 traf sich<br />

<strong>der</strong> Ordensrat 1988 in Bangalore, Indien. Auch dieser<br />

Ordensrat veröffentlichte ein Dokument, das<br />

den Titel DIENER DES WORTES … DIENER ALLER<br />

trägt. Der Ordensrat nahm mit Genugtuung wahr,<br />

dass es im gesamten Orden „einen wirklichen<br />

Enthusiasmus für die drei Prioritäten <strong>des</strong> letzten<br />

Generalkapitels“ gab (Nr. 14). Der Rat behandelte<br />

151


■ Nachkonziliare Entwicklung<br />

die zweite Priorität (<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden) in<br />

den Nr. 33-44. Der Rat stellte mit Genugtuung<br />

fest, dass das Interesse <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> für diese Themen<br />

sich „auf <strong>der</strong> richtigen Spur“ befinde (34). „Für eine<br />

ständig wachsende Zahl von Brü<strong>der</strong>n ist <strong>der</strong> Arme<br />

nicht nur ein Bru<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n ein bevorzugter Bru<strong>der</strong>“<br />

(36). Armut wird nicht nur als ein Gelübde<br />

gesehen, son<strong>der</strong>n als Solidarität mit dem Armen mit<br />

Blick auf seine vollständige Befreiung (vgl. Nr. 36).<br />

Eine wachsende Zahl von Provinzen hat zumin<strong>des</strong>t<br />

eine Fraternität in armen Gebieten o<strong>der</strong> unter den<br />

Ausgegrenzten. Einige Gemeinschaften haben ihre<br />

Konventsgebäude zur Verfügung gestellt als Zentren<br />

für die Behandlung von Alkoholkranken, Drogenabhängigen<br />

o<strong>der</strong> ähnliche Fälle (vgl. Nr. 37). Der<br />

Rat stellt fest, dass Brü<strong>der</strong> sich in vielen Teilen <strong>der</strong><br />

Welt an friedlichen Kampagnen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden beteiligen <strong>und</strong> stellt mit Befriedigung<br />

fest, dass auch die Probleme <strong>der</strong> Ökologie eine<br />

wachsende Zahl von Brü<strong>der</strong>n beschäftigen (vgl. Nr.<br />

39). Der Rat erinnert an die Schaffung von Kommissionen<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden in vielen<br />

Provinzen <strong>und</strong> Konferenzen <strong>und</strong> beobachtet mit<br />

beson<strong>der</strong>er Genugtuung, dass das Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden an <strong>der</strong> Generalkurie „beständig<br />

die Arbeit <strong>der</strong> Animation <strong>und</strong> Koordination durchführt<br />

… indem es über Modelle <strong>und</strong> Projekte auf<br />

diesem Gebiet informiert <strong>und</strong> Vorschläge macht“,<br />

für den Orden, für die franziskanische Familie <strong>und</strong><br />

für an<strong>der</strong>e Bereiche <strong>der</strong> Kirche (vgl. 40).<br />

Das Generalkapitel 1991 beschloss, die drei Prioritäten<br />

<strong>des</strong> Sechs-Jahres-Planes <strong>des</strong> Kapitels von<br />

1985 ausführlicher zu behandeln, indem man sie<br />

in den Kontext <strong>der</strong> Generalkonstitutionen stellte.<br />

Das Kapitel fügte <strong>der</strong> zweiten Priorität (<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden) die Worte „<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung“ hinzu. Das Kapitel for<strong>der</strong>t in Nr. 26<br />

<strong>des</strong> Dokuments DER ORDEN UND DIE EVANGELISIE-<br />

RUNG HEUTE: „Die Entitäten <strong>des</strong> Ordens mögen<br />

die konkreten Schritte prüfen, die sie in ihrer<br />

Option für die Armen <strong>und</strong> in ihrem Einsatz für eine<br />

Gesellschaft <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung gemacht haben <strong>und</strong><br />

die noch zu machen sind.“ Dies ist ein geeignetes<br />

Thema für eine Gewissenserforschung, beson<strong>der</strong>s<br />

auf unseren Kapiteln.<br />

1996 veröffentlichte <strong>der</strong> Generalminister Hermann<br />

Schalück ein Dokument zum Thema Evangelisie-<br />

152<br />

rung, „Die ganze Welt mit dem Evangelium Christi<br />

erfüllen“. In diesem Dokument bekräftigte er den<br />

Einsatz zur Verteidigung <strong>des</strong> Lebens in dem evangelisierenden<br />

Wirken <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> (Kapitel III,<br />

1c), er betonte die Option für die Armen (Kapitel<br />

III, 2c), den Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden,<br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (Kapitel III, 2d) <strong>und</strong><br />

den ökumenischen <strong>und</strong> interreligiösen Dialog<br />

(Kapitel III, 2e) in <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> Prioritäten.<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach dem Willen Gottes in <strong>der</strong> Hl.<br />

Schrift, in unseren Quellen, in den Ereignissen <strong>der</strong><br />

letzten sechs Jahre, in <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Gesichter<br />

sovieler Menschen, in <strong>der</strong> Wirklichkeit „<strong>der</strong> Zeichen<br />

<strong>der</strong> Zeit“ beschloss das Generalkapitel 1997<br />

einen DIENST FÜR DEN DIALOG einzurichten, <strong>der</strong> in<br />

drei Kommissionen unterteilt ist: ökumenischer<br />

Dialog, interreligiöser Dialog <strong>und</strong> Dialog mit den<br />

Kulturen. Auch wurden die Konferenzen aufgefor<strong>der</strong>t<br />

zu prüfen, in welcher Form eine solche Initiative<br />

im eigenen Gebiet durchgeführt werden kann<br />

(VON DER ERINNERUNG ZUR PROPHETIE, Nr. 7,1-<br />

2). Das Kapitel ratifizierte die bevorzugte Option<br />

für die Armen (Nr. 8,2); es „regt dazu an, auf Konferenzebene<br />

<strong>und</strong> in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie ein konkretes Engagement<br />

zugunsten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu leisten, ein Engagement,<br />

das aus unserer Spiritualität erwachsen <strong>und</strong><br />

den franziskanischen Beitrag zum neuen Jahrtausend<br />

bilden soll“ (Nr. 8,3). Es bat „das Generaldefinitorium,<br />

mit Hilfe <strong>des</strong> Büros für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Zusammenarbeit<br />

mit allen Konferenzen <strong>und</strong> Provinzen,<br />

ein Netz von Helfern <strong>und</strong> Hilfsmitteln zu schaffen,<br />

um den Bedürfnissen <strong>der</strong> Flüchtlinge wirksamer<br />

begegnen zu können“ (Nr. 8,4).<br />

Pat McCloskey <strong>OFM</strong>


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

Strukturen für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung im Orden<br />

<strong>OFM</strong> GFBS Strukturen<br />

Internationales Büro (Generalkurie, Rom)<br />

Exekutiv-Komitee <strong>des</strong> ICJPIC<br />

Internationaler Rat<br />

Kommissionen <strong>der</strong> Konferenzen<br />

Provinzkommissionen<br />

Interfranziskanische Kommission<br />

1) Provinzebene<br />

2) Konferenzebene<br />

3) Internationale Ebene<br />

Der Orden hofft, „wo immer es möglich ist, Brü<strong>der</strong><br />

hauptamtlich für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden einzusetzen<br />

<strong>und</strong> alle jene Brü<strong>der</strong> zu unterstützen, die<br />

in den Justitia et Pax-Initiativen <strong>des</strong> Ordens <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Provinzen arbeiten“ (DAS EVANGELIUM<br />

FORDERT UNS HERAUS: ÜBERLEGUNGEN ZUR EVAN-<br />

GELISIERUNG, Bahia 1983, Nr. 38,5). Während<br />

<strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> GFBS-Arbeit in je<strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong><br />

Kultur spezifisch ist, sind einige allgemeine<br />

Empfehlungen hinsichtlich <strong>der</strong> Strukturen von<br />

GFBS auf Provinz- <strong>und</strong> Konferenzebene nützlich.<br />

1) Provinzebene<br />

Einige Provinzen ernennen einen Animator o<strong>der</strong><br />

ein Team für GFBS in je<strong>der</strong> örtlichen Bru<strong>der</strong>schaft.<br />

Viele Provinzen haben ein Komitee von Brü<strong>der</strong>n<br />

(mit weiteren Vollzeit- o<strong>der</strong> Teilzeitaufgaben), das<br />

zu Themen von GFBS arbeitet. An<strong>der</strong>e Provinzen<br />

haben ein Büro für GFBS mit einem Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> in<br />

Vollzeit arbeitet, <strong>und</strong> <strong>der</strong> in manchen Fällen von<br />

Laienmitarbeitern unterstützt wird.<br />

Die Hauptarbeit <strong>des</strong> Provinzkoordinators besteht<br />

darin, die Brü<strong>der</strong> seiner Provinz in den Bereichen<br />

von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> ökologischen Anliegen<br />

anzuregen. Er sorgt für die Verbreitung von<br />

Information, er entwickelt den Prozess einer sozialen<br />

Analyse innerhalb <strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> nimmt an<br />

Aktionen teil, die auf soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> hinzielen.<br />

Er nimmt teil am GFBS-Rat/Kommission<br />

seiner Konferenz.<br />

Der Ordensrat 1983 in Bahia ermutigte zum<br />

Vollzeitmodell, wo immer möglich; die Treffen <strong>des</strong><br />

Internationalen Rates für GFBS 1993, 1995 <strong>und</strong><br />

1997 bekräftigten diesen Wunsch.<br />

Brü<strong>der</strong> im Dienst von GFBS einer Provinz benötigen<br />

eine klare, schriftliche Aufgabenbeschreibung,<br />

die folgen<strong>des</strong> einschließen sollte:<br />

1. Eine Erklärung über die Sendung <strong>der</strong><br />

GFBS-Arbeit in <strong>der</strong> Provinz.<br />

2. Eine klare Beschreibung <strong>der</strong> Richtlinien <strong>der</strong><br />

Vollmacht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rechenschaftspflicht gegenüber<br />

<strong>der</strong> Provinzverwaltung, Einbeziehung in die Programme<br />

<strong>der</strong> anfänglichen <strong>und</strong> ständigen Fortbildung,<br />

Verbindung zum Kommunikationsbüro, usw.<br />

3. Eine politische Erklärung über die Kompetenzen<br />

<strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s/<strong>der</strong> Kommission/<strong>des</strong> Büros, öffentliche<br />

Stellungnahmen zu Themen von GFBS abzugeben.<br />

4. Eine Beschreibung <strong>der</strong> Mitgliedschaft in <strong>der</strong><br />

GFBS-Kommission/Büro <strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> ihrer<br />

Tätigkeit.<br />

5. Klare Erwartungen in Bezug auf Projekte <strong>der</strong><br />

Animation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anwaltsfunktion (Lobbyarbeit).<br />

6. Ein Entwurf <strong>der</strong> Programmarten, die von interfranziskanischer<br />

Zusammenarbeit erwartet werden.<br />

7. Angemessene Finanzmittel.<br />

8. Erwartungen <strong>der</strong> Koordination mit an<strong>der</strong>en<br />

sozialen <strong>und</strong> kirchlichen Organen (z.B. interreligiösen<br />

GFBS-Gruppen, diözesanen GFBS-Kommissio-<br />

153


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

nen, Menschenrechtsorganisationen, Caritas,<br />

Greenpeace, Amnesty International, usw.).<br />

Es ist zu wünschen, dass die beauftragten Brü<strong>der</strong><br />

haben:<br />

1. Interesse an GFBS-Themen.<br />

2. Erfahrung mit Armen.<br />

3. Glaubwürdigkeit in <strong>der</strong> Provinz.<br />

4. Zeit <strong>und</strong> Unterstützung von Seiten <strong>der</strong> Provinz,<br />

um ihre Arbeit wirkungsvoll zu leisten.<br />

5. Zugang zu den Brü<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> zur Provinzverwaltung.<br />

6. Kommunikationsfähigkeit.<br />

7. Gute Ges<strong>und</strong>heit.<br />

8. Örtliche GFBS-Vertreter in den Konventen.<br />

9. GFBS-Beziehungen innerhalb <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie.<br />

Die Erfahrung im Orden zeigt, dass die interfranziskanische<br />

Zusammenarbeit nicht die <strong>OFM</strong>-GFBS-<br />

Kommissionen o<strong>der</strong> Büros auf Provinz- <strong>und</strong> Konferenzebene<br />

ersetzen kann.<br />

2) Konferenzebene<br />

GFBS-Räte o<strong>der</strong> Kommissionen auf Konferenzebene<br />

sind eine Entwicklung <strong>des</strong> Artikels 114 <strong>der</strong><br />

Generalkonstitutionen <strong>und</strong> <strong>des</strong> Artikels 164 <strong>der</strong><br />

Generalstatuten. Es bestehen ähnliche Strukturen<br />

für die Bereiche <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong> <strong>der</strong> missionarischen<br />

Evangelisierung. Der GFBS-Rat/-Kommission<br />

<strong>der</strong> Konferenz setzt sich zusammen aus den<br />

GFBS-Koordinatoren je<strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Entität<br />

dieser beson<strong>der</strong>en Konferenz.<br />

a) Vorsitzen<strong>der</strong>, Präsident, Koordinator <strong>des</strong> GFBS-<br />

Rates/-Kommission <strong>der</strong> Konferenz<br />

Er benötigt die Zeit, um nicht nur auf <strong>der</strong> Ebene<br />

seiner Provinz zu arbeiten, son<strong>der</strong>n auch die GFBS-<br />

Arbeit auf Konferenzebene zu koordinieren <strong>und</strong> die<br />

Projekte <strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen den Konferenzen<br />

zu entwickeln.<br />

b) Rat / Kommission<br />

Er/sie benötigt Statuten, die klar die Mitgliedschaft,<br />

den Auftrag, Finanzen, Richtlinien <strong>der</strong> Vollmacht<br />

<strong>und</strong> die Kommunikation zwischen dem Rat <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> Provinzialminister beschreiben.<br />

154<br />

Es folgt als Beispiel das Statut <strong>der</strong> englisch-sprachigen<br />

Konferenz (Kanada, USA, England, Irland,<br />

Malta).<br />

STATUTEN DES GFBS-RATES<br />

DER ENGLISCH-SPRACHIGEN KONFERENZ<br />

Einsetzung<br />

Der Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung (Rat) ist ein ständiger Rat <strong>der</strong> englisch-sprachigen<br />

Konferenz <strong>des</strong> Ordens <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en<br />

Brü<strong>der</strong> (Konferenz). Er setzt sich zusammen aus<br />

den Vertretern für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (GFBS) <strong>der</strong> Provinzen,<br />

Vize-Provinzen <strong>und</strong> Kustodien <strong>der</strong> Konferenz.<br />

Der Rat trifft sich regelmäßig für<br />

drei Hauptziele:<br />

1. Er dient <strong>der</strong> Konferenz als Quelle, die ihr hilft,<br />

Bewusstsein für GFBS-Anliegen zu schaffen <strong>und</strong><br />

Projekte für die Verwirklichung zu entwickeln.<br />

„Ein großer Teil <strong>der</strong> Menschen lebt noch in Not,<br />

Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Unterdrückung; darum sollen<br />

die Brü<strong>der</strong> sich mit allen Menschen guten Willens<br />

für die Erneuerung <strong>der</strong> Gesellschaft zu <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Befreiung <strong>und</strong> Frieden im auferstandenen<br />

Christus einsetzen, die Ursachen <strong>der</strong> einzelnen<br />

Situationen durchdenken <strong>und</strong> sich entsprechend an<br />

Unternehmungen <strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> internationalen Solidarität beteiligen.“ (Generalkonstitutionen<br />

<strong>OFM</strong>, Artikel 96,2)<br />

2. Er stellt Möglichkeiten zur Verfügung, um<br />

Fachkenntnis zu entwickeln, um Information <strong>und</strong><br />

Mittel zu teilen <strong>und</strong> den Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en an<br />

GFBS-Aufgaben beteiligten Menschen wechselseitige<br />

Unterstützung zu ermöglichen.<br />

„In klarer Erkenntnis <strong>der</strong> Bedeutung <strong>und</strong> Schwere<br />

sozialer Probleme sollen die Brü<strong>der</strong> die Lehre<br />

<strong>der</strong> Kirche über die soziale Ordnung, die Familie<br />

<strong>und</strong> die menschliche Person nach Kräften sich<br />

aneignen <strong>und</strong> weitergeben. Auch sollen sie an<strong>der</strong>e<br />

kulturelle Elemente auf ihre Eignung zum Dialog<br />

über eine christliche Antwort kritisch durchleuchten.“<br />

(Generalkonstitutionen <strong>OFM</strong>,<br />

Artikel 96,1)


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

3. Er nimmt an gemeinsamen Erfahrungen teil <strong>und</strong><br />

reflektiert darüber, indem er soziales Bewusstsein<br />

weckt <strong>und</strong> gelegentlich prophetische Aktionen<br />

unternimmt. „… Die Verkündigung <strong>des</strong> Reiches<br />

Gottes ist nicht zu trennen von Aktionen zugunsten<br />

<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Teilnahme an <strong>der</strong><br />

Verwandlung <strong>der</strong> Welt“ (Bischofssynode 1971).<br />

„Angesichts <strong>der</strong> schrecklichen Gefahren, die die<br />

Menschheit bedrohen, sollen die Brü<strong>der</strong> auch jede<br />

Art kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>und</strong> den<br />

Rüstungswettlauf als schlimmste Plage für die Welt<br />

<strong>und</strong> schwerste Verletzung <strong>der</strong> Armen mit Entschiedenheit<br />

anprangern; <strong>und</strong> sie sollen we<strong>der</strong> Arbeit<br />

noch Mühen scheuen, am Gottesreich <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

zu bauen.“ (Generalkonstitutionen <strong>OFM</strong>, Artikel<br />

69,2)<br />

Statuten <strong>und</strong> Durchführungsbestimmungen<br />

I. Der Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung (Rat) ist ein eingesetztes Komitee<br />

<strong>der</strong> englisch-sprachigen Konferenz <strong>des</strong> Ordens<br />

<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> (Konferenz).<br />

a) Der Rat dient als Organ <strong>der</strong> Konferenz.<br />

b) Soziales Bewusstsein <strong>und</strong> die Entwicklung von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

(GFBS) sind seine normalen Arbeitsbereiche<br />

für die Konferenz.<br />

c) Ein von <strong>der</strong> Konferenz ernannter Vertreter dient<br />

als Verbindungsmann zwischen Rat <strong>und</strong> Konferenz.<br />

d) Ein jährlicher Bericht über die Aktivitäten <strong>des</strong><br />

Rates wird <strong>der</strong> Konferenz zur Überprüfung auf<br />

ihrem Oktobertreffen vorgelegt.<br />

e) Der Rat steht dem Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung <strong>des</strong> Ordens <strong>der</strong><br />

Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong> (<strong>OFM</strong>) in Rom als Mittel zur<br />

Verfügung <strong>und</strong> nimmt am Internationalen Rat <strong>des</strong><br />

Ordens für GFBS teil.<br />

f) Der Rat verleiht jährlich den Martin J. Wolf-Preis<br />

einer Person (o<strong>der</strong> Personen), die gemäß dem Geist<br />

<strong>des</strong> Evangeliums lebt (leben).<br />

g) Der Rat ist ein Forum <strong>der</strong> interfamiliären<br />

Zusammenarbeit<br />

II. Mitgliedschaft<br />

A. Mitglie<strong>der</strong><br />

Jede Rechtsperson <strong>der</strong> Konferenz bestimmt einen<br />

o<strong>der</strong> mehrere GFBS-Vertreter, um als Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Rates tätig zu sein. Der Verbindungsmann <strong>der</strong><br />

Konferenz ist ebenfalls Mitglied.<br />

B. Außerordentliche Mitglie<strong>der</strong><br />

Jede <strong>der</strong> verschiedenen franziskanischen Familien,<br />

z.B. Kapuziner, Konventualen, TOR, Franziskanische<br />

Fö<strong>der</strong>ation, Franziskanische Gemeinschaft<br />

(FG), Klarissen, usw. ist eingeladen, einen Vertreter<br />

zu bestimmen, <strong>der</strong> als außerordentliches Mitglied<br />

am Rat teilnimmt. Eine ähnliche Einladung wird<br />

ausgesprochen an den interprovinziellen Rat für<br />

missionarische Evangelisierung, den interprovinziellen<br />

Ausbildungsrat, Franciscans International <strong>und</strong><br />

den franziskanischen Missionsdienst.<br />

C. An<strong>der</strong>e Teilnehmer<br />

Im Ermessensfall können an<strong>der</strong>e geeignete Personen<br />

zu Treffen <strong>des</strong> Rates eingeladen werden.<br />

„Die Brü<strong>der</strong> sollen Einigkeit <strong>und</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen allen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie för<strong>der</strong>n, damit das Evangelium wirkungsvoller<br />

verkündet werden kann.“ (Generalkonstitutionen<br />

<strong>OFM</strong>, Artikel 88)<br />

III. Strukturen<br />

A. Vorsitzende<br />

Der Vorsitzende wird vom Rat gewählt <strong>und</strong> hat eine<br />

dreijährige Amtszeit. Der Vorsitzende kann für weitere<br />

drei Jahre wie<strong>der</strong>gewählt werden. Der Rat kann<br />

beschließen, die Zahl <strong>der</strong> Amtsperioden über zwei<br />

hinaus auszuweiten. Die Aufgabenbeschreibung <strong>des</strong><br />

Vorsitzenden wird vom Rat festgelegt.<br />

Wenn <strong>der</strong> Vorsitzende dienstunfähig ist, bestimmt<br />

das Exekutiv-Komitee in Absprache mit dem Verbindungsmann<br />

<strong>der</strong> Konferenz einen vorläufigen<br />

Vorsitzenden, <strong>der</strong> bis zum nächsten Treffen <strong>des</strong><br />

Rates den Dienst übernimmt.<br />

B. Verbindungsmann <strong>der</strong> Konferenz<br />

Der Verbindungsmann <strong>der</strong> Konferenz ist ein offizielles<br />

Mitglied <strong>des</strong> Rates, von <strong>der</strong> Konferenz bestimmt.<br />

Er vertritt die Konferenz bei Treffen <strong>des</strong><br />

155


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

Rates <strong>und</strong> berichtet <strong>der</strong> Konferenz im Auftrag <strong>des</strong><br />

Rates.<br />

C. Sekretär<br />

Der Vorsitzende ernennt einen Sekretär zur Erstellung<br />

<strong>des</strong> Protokolls <strong>des</strong> Treffens <strong>des</strong> Rates, Der<br />

Sekretär muss nicht Mitglied <strong>des</strong> Rates sein.<br />

D. Schatzmeister<br />

Der Rat soll einen Schatzmeister wählen, <strong>der</strong> die<br />

Finanzbücher <strong>des</strong> Rates überwacht. Der Schatzmeister<br />

ist verantwortlich für den jährlichen Finanzbericht<br />

an den Rat <strong>und</strong> an die Konferenz.<br />

Die Wahl <strong>des</strong> Schatzmeisters erfolgt gleichzeitig<br />

mit <strong>der</strong> Wahl <strong>des</strong> Vorsitzenden. Wenn kein Schatzmeister<br />

gewählt wird, übernimmt <strong>der</strong> Vorsitzende<br />

diese Aufgabe.<br />

E. Komitees<br />

1. Exekutiv-Komitee<br />

Der Rat wählt ein Exekutiv-Komitee, bestehend aus<br />

zwei o<strong>der</strong> mehr Mitglie<strong>der</strong>n. Einer von ihnen ist <strong>der</strong><br />

Vorsitzende, <strong>der</strong> den Vorsitz <strong>des</strong> Komitees führt.<br />

Die Aufgabenbeschreibung <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees<br />

wird vom Rat bestimmt.<br />

2. An<strong>der</strong>e Komitees<br />

Komitees werden bei Bedarf vom Rat eingesetzt.<br />

Mitglie<strong>der</strong> wie außerordentliche Mitglie<strong>der</strong> können<br />

Komitees angehören. Außerordentliche Mitglie<strong>der</strong><br />

haben aktives Stimmrecht in <strong>der</strong> Arbeit <strong>und</strong> den<br />

Entscheidungen <strong>der</strong> Komitees. Je<strong>des</strong> Komitee wählt<br />

einen Vorsitzenden <strong>und</strong> erstattet dem Rat Bericht.<br />

IV. Treffen<br />

A. Häufigkeit<br />

Der Rat trifft sich gewöhnlich zweimal im Jahr.<br />

B. Ziel<br />

Je<strong>des</strong> Treffen versucht die folgenden Ziele zu beachten<br />

<strong>und</strong> wahrzunehmen:<br />

1. Erstellung <strong>und</strong> Entwicklung von Empfehlungen<br />

<strong>und</strong> Vorschlägen zu GFBS-Themen für die Konferenz<br />

<strong>und</strong> für die ihr angehörenden Rechtspersonen.<br />

2. Gegenseitige Unterstützung <strong>und</strong> Ausbildung für<br />

Mitglie<strong>der</strong>, außerordentliche Mitglie<strong>der</strong> <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Teilnehmer.<br />

156<br />

3. Resolutionen <strong>und</strong> prophetische Aktionen zu<br />

GFBS-Themen.<br />

C. Abstimmung<br />

1. Der Rat handelt normalerweise durch Übereinstimmung<br />

seiner Mitglie<strong>der</strong><br />

2. Bei Bedarf kann eine entscheidende Abstimmung<br />

vorgenommen werden, bei <strong>der</strong> jede beteiligte<br />

Rechtsperson eine Stimme hat. Die einfache<br />

Mehrheit ist für die Annahme notwendig.<br />

3. Je<strong>der</strong>zeit können alle Anwesenden an einer beratenden<br />

Abstimmung teilnehmen.<br />

V. Finanzen<br />

Jede Entität ist aufgefor<strong>der</strong>t, durch ihre GFBS-<br />

Strukturen ihren Beitrag auf Dollarbasis zu leisten,<br />

um die normale Arbeit <strong>des</strong> Rates zu finanzieren. Er<br />

basiert auf <strong>der</strong> jährlichen Zählung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Konferenz.<br />

VI. Än<strong>der</strong>ungsanträge<br />

A. Die Statuten <strong>und</strong> die Durchführungsbestimmungen<br />

unterliegen <strong>der</strong> Verantwortlichkeit <strong>des</strong><br />

Rates. Än<strong>der</strong>ungsanträge müssen auf einem Treffen<br />

vorgeschlagen <strong>und</strong> auf dem nächsten Treffen entschieden<br />

werden.<br />

B. Än<strong>der</strong>ungsanträge unterliegen den Bestimmungen<br />

<strong>des</strong> Abschnitts IV.C (oben) mit <strong>der</strong> Ausnahme,<br />

dass bei einer entscheidenden Abstimmung die<br />

Zwei-Drittel-Mehrheit <strong>der</strong> Stimmen <strong>der</strong> anwesenden<br />

Rechtsgrößen für die Annahme nötig ist. Än<strong>der</strong>ungsanträge<br />

müssen dann durch die Konferenz<br />

bestätigt werden.<br />

Konstitutionen <strong>und</strong> Durchführungsbestimmungen<br />

wurden durch die Provinzialminister <strong>der</strong> englischsprachigen<br />

Konferenz auf ihrem Treffen im Oktober<br />

1997 angenommen.


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

3) Internationale Ebene<br />

a) GFBS-Büro, Rom<br />

Das internationale GFBS-Büro in Rom wurde 1981<br />

eingerichtet. Es soll „den Generalminister <strong>und</strong> sein<br />

Definitorium in Fragen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung unterstützen, entsprechend<br />

den Entscheidungen <strong>der</strong> Generalkapitel<br />

<strong>und</strong> Ordensräte unter Wahrung <strong>des</strong> Geistes <strong>der</strong><br />

Generalkonstitutionen <strong>und</strong> Statuten“. Der Mitarbeiterstab<br />

<strong>des</strong> Büros wird vom Generaldefinitorium<br />

ernannt. Ursprünglich wurde das Büro „Kommission<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ genannt. Seit<br />

1985 wird in den Generalstatuten <strong>des</strong> Ordens <strong>der</strong><br />

Begriff Büro verwendet (Artikel 120,1).<br />

Die Direktoren <strong>des</strong> Büros waren: Marco Malagola<br />

(Provinz von Turin, Italien, 1981-1983), Ken Viegas<br />

(Provinz von Pakistan, 1983-1985), Gerard<br />

Heesterbeek (Holländische Provinz, 1985-1988)<br />

<strong>und</strong> John Quigley (Provinz <strong>des</strong> hl. Johannes <strong>des</strong><br />

Täufers, USA, 1988-1997). Im Juli 1997 wurde<br />

Peter Schorr, Generaldefinitor für Zentral- <strong>und</strong><br />

Westeuropa, zum Direktor <strong>des</strong> Büros <strong>und</strong> im September<br />

1997 Gearóid Francisco O’Conaire (Zentralamerika)<br />

zum stellvertretenden Direktor<br />

ernannt.<br />

Der Direktor/stellvertretende Direktor nimmt an<br />

Treffen teil, spricht zu Provinzialsgruppen <strong>und</strong> reist<br />

in die Konferenzen. Um die Kommunikation zwischen<br />

<strong>der</strong> zentralen Leitung <strong>des</strong> Ordens, den Konferenzen<br />

<strong>und</strong> den Provinzen aufzubauen, unterhält<br />

das Personal <strong>des</strong> internationalen Büros Kontakte zu<br />

den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong> Internationalen Rates GFBS<br />

(Post <strong>und</strong> e-mail), organisiert Treffen, schreibt <strong>und</strong><br />

veröffentlicht Dokumentationen <strong>und</strong> Informationen<br />

<strong>und</strong> unterhält eine Datenbank für die verschiedenen<br />

Adressaten <strong>des</strong> Büros. Das Büro bemüht sich<br />

ebenso darum, Bewusstsein <strong>und</strong> Methodik von<br />

GFBS in die Ausbildungsprogramme <strong>des</strong> Ordens zu<br />

integrieren.<br />

Das GFBS-Büro hat Initiativen koordiniert, die<br />

Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern unterstützen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n,<br />

die wegen ihres Glaubens, ihrer Überzeugungen<br />

o<strong>der</strong> Aktivitäten für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung leiden. Einige Initiativen<br />

waren für inhaftierte Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> früheren Tschechoslowakei<br />

(1986), für Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern in<br />

Bosnien (1992), Franziskaner in Ruanda (1994),<br />

aus Anlass <strong>der</strong> Konfiszierung von palästinischchristlichem<br />

Land in Betlehem (1994), für Brü<strong>der</strong>,<br />

die in Brasilien mit Landlosen arbeiten (1996), <strong>und</strong><br />

für Franziskaner, die sich in Kolumbien für Menschenrechte<br />

einsetzen (1997). Das Büro schrieb <strong>und</strong><br />

sprach mit Regierungen <strong>und</strong> Nichtregierungsorganisationen;<br />

es initiierte Briefkampagnen; unternahm<br />

Interventionen bei <strong>der</strong> UN-Kommission für<br />

Menschenrechte (Genf) <strong>und</strong> initiierte die franziskanische<br />

<strong>Friedens</strong>mission in Kroatien <strong>und</strong> Kolumbien.<br />

b) Internationaler Rat<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (ICJPIC)<br />

„Der Internationale Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />

(ICJPIC) ist ein beraten<strong>des</strong> Organ, eingesetzt<br />

durch das Generaldefinitorium, um den Direktor<br />

<strong>des</strong> GFBS-Büros, das Generaldefinitorium <strong>und</strong> die<br />

Konferenzen in diesem bedeutsamen Einsatz für<br />

Ausbildung, Bewusstseinsbildung, Animation <strong>und</strong><br />

Engagement <strong>des</strong> Ordens in den Bereichen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu<br />

unterstützen.“ (Statuten <strong>des</strong> ICJPIC, bestätigt am 7.<br />

Juli 1989, überarbeitet am 9. November 1994 <strong>und</strong><br />

erneut durch das Generaldefinitorium bestätigt im<br />

März 1999). Die Versammlung <strong>des</strong> ICJPIC wird<br />

einmal in zwei Jahren durch den Direktor <strong>des</strong><br />

GFBS-Büros zusammengerufen; außerordentliche<br />

Treffen können mit <strong>der</strong> vorausgehenden Zustimmung<br />

<strong>des</strong> Generaldefinitoriums stattfinden.<br />

Die Zusammensetzung <strong>und</strong> die Verantwortlichkeiten<br />

<strong>des</strong> Internationalen Rates werden in Artikel 2<br />

<strong>und</strong> 3 <strong>der</strong> Statuten beschrieben (siehe unten): „Die<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> ICJPIC sind die Delegierten <strong>der</strong><br />

Konferenzen <strong>der</strong> Provinzialminister, einer für jede<br />

<strong>der</strong> 15 Konferenzen, gewählt von den Konferenzen<br />

entsprechend ihren Partikularstatuten <strong>und</strong> den Normen<br />

<strong>des</strong> ICJPIC; die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Exekutiv-<br />

Komitees; <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e, die durch den Generalminister<br />

ernannt werden.“<br />

Um als Delegierter <strong>des</strong> ICJPIC gewählt zu werden,<br />

ist es notwendig, <strong>der</strong> Promotor für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden in einer Konferenz o<strong>der</strong> Provinz zu<br />

sein, o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t beson<strong>der</strong>e Fachkenntnisse auf<br />

diesem Gebiet zu besitzen.<br />

157


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

Der ICJPIC hat sich bisher fünfmal getroffen:<br />

■ 1987 in Rom, Italien. Thema war „<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> Ausbildung“. Im Mittelpunkt<br />

stand das Ausbildungsprogramm, das in<br />

<strong>der</strong> Provinz <strong>der</strong> Philippinen unter den Armen<br />

von Manila stattfindet.<br />

■ 1991, Jerusalem, Israel. Thema war „Gewaltlosigkeit“,<br />

Begegnungen mit den Brü<strong>der</strong>n <strong>des</strong><br />

Heiligen Lan<strong>des</strong> <strong>und</strong> mit den zivilen Verantwortlichen<br />

<strong>der</strong> jüdischen <strong>und</strong> palästinensischen<br />

Bevölkerungsgruppe. Studium <strong>der</strong> Situation<br />

Israels-Palästinas.<br />

■ 1993 New York <strong>und</strong> Washington D.C. Themen<br />

in New York: unsere Beteiligung an Franciscans<br />

International bei <strong>der</strong> UNO; die Identität<br />

<strong>des</strong> Internationalen Rates; in Washington:<br />

Vorstellung <strong>der</strong> katholischen Kirche <strong>der</strong> USA<br />

(Bischofskonfernz <strong>der</strong> USA in Washington).<br />

Einige internationale GFBS-Projekte für den<br />

Orden wurden dem Generaldefinitorium vorgeschlagen<br />

<strong>und</strong> angenommen (z.B. das Kroatien-<br />

Projekt; Schwerpunkt auf Ökologie; Unterstützung<br />

von Franciscans International <strong>und</strong> die<br />

Ernennung eines <strong>OFM</strong>-Bru<strong>der</strong>s (Michael<br />

Surufka) für die Mitarbeit bei Franciscans International;<br />

die Veröffentlichung von PAX ET<br />

BONUM <strong>und</strong> CONTACT durch das Büro in Rom.<br />

Zum Abschluss <strong>des</strong> Treffens stellte das ICJPIC<br />

fest, dass es „meint, dass die Zeit für uns <strong>und</strong><br />

unsere Gesellschaften reif ist für Brü<strong>der</strong>, die ausgebildet<br />

<strong>und</strong> in Vollzeit auf den Gebieten <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung tätig<br />

sind. Der Rat tritt stark für die Entwicklung eines<br />

internationalen Teams von Brü<strong>der</strong>n ein, die in<br />

Vollzeit in den Bereichen <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung arbeiten. Je<strong>der</strong><br />

dieser Brü<strong>der</strong> sollte für einen bestimmten Kompetenzbereich<br />

ausgewählt <strong>und</strong> ausgebildet werden,<br />

z.B. für Menschenrechte, Ökologie, Flüchtlingsarbeit.<br />

Diese Brü<strong>der</strong> müssen nicht in Rom leben.<br />

Statt<strong>des</strong>sen sollte man es vorziehen, dass sie überall<br />

auf <strong>der</strong> Welt leben <strong>und</strong> in Koordination mit dem<br />

Büro in Rom zusammenarbeiten.“<br />

■ 1995, Seoul, Korea. Dieses Treffen regte verschiedene<br />

Projekte an, die dem Generaldefinitorium<br />

zur Bestätigung vorgelegt wurden. Die<br />

meisten waren Weiterentwicklungen <strong>der</strong> 1993<br />

vom ICJPIC angestoßenen Projekte. Zum Beispiel:<br />

die erfolgreiche Erfahrung <strong>der</strong> in das<br />

Kroatienprojekt einbezogenen Brü<strong>der</strong> während<br />

158<br />

<strong>des</strong> Krieges führte zur Entwicklung <strong>des</strong> Konzepts<br />

<strong>der</strong> „franziskanischen <strong>Friedens</strong>mission“,<br />

das Brü<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n einschließen<br />

könnte, die internationale Hilfe o<strong>der</strong> Aufmerksamkeit<br />

während eines örtlichen zivilen Konflikts<br />

benötigten. Der Rat rief zur Abfassung<br />

eines GFBS-Handbuches auf <strong>und</strong> gab unserer<br />

Arbeit im Bereich Ökologie einen deutlicheren<br />

Akzent durch die Bezeichnung als Umweltgerechtigkeit.<br />

Der Rat gab auch seine Unterstützung<br />

dazu, Ausbildungsmöglichkeiten<br />

für Brü<strong>der</strong> in internationalen Erfahrungen zu<br />

för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> fortzusetzen.<br />

■ 1997 Rom, Italien. Der ICJPIC gab 11 Empfehlungen<br />

an das Generaldefinitorium. Viele<br />

davon sprachen sich für Fortsetzung <strong>und</strong><br />

Stärkung von Projekten aus, die auf früheren<br />

ICJPIC-Treffen vorgeschlagen worden waren.<br />

Zum Beispiel, die Zustimmung zur franziskanischen<br />

<strong>Friedens</strong>mission in Kolumbien; die Fertigstellung<br />

<strong>des</strong> Handbuches <strong>und</strong> das Projekt<br />

„Jubiläum 2000“.<br />

Statuten <strong>des</strong> Internationales Rates<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung (ICJPIC)<br />

Art. 1:<br />

Der Internationale Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />

(ICJPIC) ist ein beraten<strong>des</strong> Organ, eingesetzt<br />

durch das Generaldefinitorium, um den Direktor<br />

<strong>des</strong> GFBS-Büros, das Generaldefinitorium <strong>und</strong> die<br />

Konferenzen in diesem bedeutsamen Einsatz für<br />

Ausbildung, Bewusstseinsbildung, Animation <strong>und</strong><br />

Engagement <strong>des</strong> Ordens in den Bereichen <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu<br />

unterstützen.<br />

Art. 2:<br />

§ 1 Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> ICJPIC sind die Koordinatoren<br />

(Delegierte) <strong>der</strong> Konferenzen, einer für jede Konferenz,<br />

gewählt von den Konferenzen entsprechend<br />

ihren Partikularstatuten <strong>und</strong> den Normen <strong>des</strong><br />

ICJPIC; Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong>, die durch den Generalminister<br />

ernannt werden.<br />

§ 2 GFBS-Koordinatoren sind als Delegierte <strong>des</strong><br />

ICJPIC wählbar, wenn sie an Aktivitäten <strong>der</strong> Förde-


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

rung von GFBS in den Konferenzen arbeiten, o<strong>der</strong><br />

Fachkenntnisse auf diesem Gebiet besitzen.<br />

Art. 3: Die Aufgaben <strong>des</strong> ICJPIC sind:<br />

§ 1 Kenntnis <strong>und</strong> Anwendung <strong>der</strong> Dokumente <strong>der</strong><br />

Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> Ordens in Bezug auf GFBS zu för<strong>der</strong>n;<br />

§ 2 Zusammenarbeit mit dem Sekretariat für Ausbildung<br />

<strong>und</strong> Studien, dem Sekretariat für missionarische<br />

Evangelisierung <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en Organen<br />

<strong>der</strong> Generalkurie im Hinblick auf GFBS <strong>und</strong> franziskanische<br />

Spiritualität in <strong>der</strong> Anfangsausbildung<br />

<strong>und</strong> ständigen Fortbildung.<br />

§ 3 Aspekte von GFBS in <strong>der</strong> Tradition <strong>des</strong> franziskanischen<br />

Charismas zu analysieren <strong>und</strong> ihre<br />

Anwendung in <strong>der</strong> heutigen Welt;<br />

§ 4 Dokumentation <strong>und</strong> Information betreffs GFBS<br />

zu sammeln <strong>und</strong> weiterzugeben, beson<strong>der</strong>s in Hinsicht<br />

auf die Aktivitäten <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>;<br />

§ 5 Anregungen, Vorschläge <strong>und</strong> Projekte zur Anregung<br />

<strong>des</strong> Ordens in den Bereich GFBS dem Generalminister<br />

<strong>und</strong> seinem Definitorium zu unterbreiten;<br />

§ 6 Anregungen, Vorschläge <strong>und</strong> Projekte den Konferenzen<br />

<strong>und</strong> Provinzen zu unterbreiten;<br />

§ 7 Aktivitäten <strong>der</strong> Koordinatoren zu unterstützen<br />

<strong>und</strong> zu ermutigen;<br />

§ 8 Zu reflektieren über Reichweite <strong>und</strong> Priorität,<br />

die aus <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> ICJPIC-Versammlung entstehen,<br />

<strong>und</strong> angemessene Bewertungen zu erstellen für<br />

die Anwendbarkeit auf das Leben <strong>und</strong> die Tätigkeit<br />

<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>;<br />

§ 9 Verän<strong>der</strong>ungen für die Partikularstatuten <strong>des</strong><br />

ICJPIC zur Bestätigung durch das Generaldefinitorium<br />

vorzuschlagen;<br />

§ 10 Die Liste <strong>der</strong> Kandidaten für die Mitgliedschaft<br />

im Exekutiv-Komitee zu unterbreiten.<br />

Art. 4:<br />

§ 1 Der Direktor <strong>des</strong> Büros beruft die Versammlung<br />

<strong>des</strong> ICJPIC einmal in zwei Jahren ein; außerordentliche<br />

Treffen können mit <strong>der</strong> vorausgehenden<br />

Zustimmung <strong>des</strong> Generaldefinitoriums einberufen<br />

werden.<br />

§ 2 Die Versammlung folgt <strong>der</strong> Tagesordnung <strong>und</strong><br />

dem Arbeitsprogramm, das dieselbe Versammlung<br />

zu Beginn angenommen hat <strong>und</strong> das vom Exekutiv-<br />

Komitee vorgeschlagen worden war.<br />

Art. 5:<br />

§ 1 Der Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros schlägt nach<br />

Beratung im ICJPIC dem Generalminister <strong>und</strong><br />

Empfangt den Heiligen Geist.<br />

Wem ihr die Schuld vergebt, dem ist sie vergeben.<br />

seinem Definitorium das Exekutiv-Komitee zur<br />

Bestätigung vor. Besagtes Komitee setzt sich zusammen<br />

aus: dem Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros, dem stellvertretenden<br />

Direktor <strong>und</strong> zumin<strong>des</strong>t vier weiteren<br />

Personen.<br />

§ 2 Das Exekutiv-Komitee muss dem ICJPIC über<br />

seine Arbeit berichten.<br />

§ 3 Das Exekutiv-Komitee bleibt für vier Jahre im<br />

Amt; die Hälfte <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> wird nach jeweils<br />

zwei Jahren ernannt.<br />

§ 4 Das Exekutiv-Komitee trifft sich min<strong>des</strong>tens<br />

zweimal pro Jahr.<br />

Art. 6: Die Aufgaben <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees sind:<br />

§ 1 Den Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros in <strong>der</strong> Ausführung<br />

<strong>der</strong> Projekte <strong>und</strong> Vorschläge zu unterstützen,<br />

die von <strong>der</strong> Versammlung <strong>des</strong> ICJPIC gemacht<br />

<strong>und</strong> durch das Generaldefinitorium gebilligt wurden;<br />

§ 2 Tagesordnung <strong>und</strong> Programm <strong>der</strong> ICJPIC-<br />

Versammlung vorzubereiten, die vom Generaldefinitorium<br />

gebilligt werden müssen;<br />

§ 3 Neue Projekte <strong>und</strong> Initiativen auf dem Gebiet<br />

GFBS vorzuschlagen <strong>und</strong> zu ermutigen;<br />

159


■ Strukturen für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Orden<br />

§ 4 Gemeinsam mit dem Direktor <strong>des</strong> Büros GFBS<br />

einen jährlichen Bericht über die GFBS-Aktivitäten<br />

im Orden zu erstellen, <strong>der</strong> allen Provinzen zugänglich<br />

gemacht wird.<br />

c) Exekutiv-Komitee <strong>des</strong><br />

Internationalen Rates für GFBS<br />

„Der Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros schlägt nach Beratung<br />

im ICJPIC das Exekutiv-Komitee dem Generalminister<br />

<strong>und</strong> seinem Definitorium zur Bestätigung<br />

vor. Besagtes Komitee setzt sich zusammen<br />

aus: dem Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros, dem stellvertretenden<br />

Direktor <strong>und</strong> zumin<strong>des</strong>t vier weiteren<br />

Personen.“ (Artikel 5,1 <strong>der</strong> Statuten ICJPIC).<br />

160<br />

Die wichtigsten Aufgaben <strong>des</strong> Exekutiv-Komitees<br />

sind folgende: Den Direktor <strong>des</strong> GFBS-Büros in <strong>der</strong><br />

Ausführung <strong>der</strong> Projekte <strong>und</strong> Vorschläge zu unterstützen,<br />

die von <strong>der</strong> Versammlung <strong>des</strong> ICJPIC<br />

gemacht <strong>und</strong> durch das Generaldefinitorium gebilligt<br />

wurden; Tagesordnung <strong>und</strong> Programm für die<br />

ICJPIC-Versammlung vorzubereiten, die <strong>der</strong><br />

Zustimmung <strong>des</strong> Generaldefinitoriums bedürfen;<br />

neue Projekte <strong>und</strong> Initiativen auf dem Gebiet GFBS<br />

vorzuschlagen <strong>und</strong> zu ermutigen (Artikel 6 <strong>der</strong> Statuten<br />

<strong>des</strong> ICJPIC).<br />

GFBS-Büro, Rom


■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />

Interfranziskanische<br />

Zusammenarbeit<br />

für GFBS<br />

1. Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />

<strong>der</strong> interfranziskanischen<br />

Zusammenarbeit<br />

Die Konstitutionen aller drei franziskanischen<br />

Orden widmen ein Kapitel den Beziehungen<br />

innerhalb <strong>der</strong> gesamten franziskanischen Familie.<br />

Unsere Generalkonstitutionen widmen Titel II<br />

von Kapitel III diesem Thema.<br />

Artikel 55,2: „Die volle Entfaltung dieses franziskanischen<br />

Charismas sollen die Brü<strong>der</strong> bei allen vom<br />

Geist <strong>des</strong> heiligen Franziskus Durchdrungenen nach<br />

Kräften zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> zu steigern suchen <strong>und</strong> bei<br />

Zusammenkünften die Gelegenheit zu gemeinsamen<br />

Vorhaben wahrnehmen.“<br />

Es ist deutlich zu sehen, dass es seit dem Zweiten<br />

Vatikanischen Konzil eine Bewegung gegeben hat,<br />

einan<strong>der</strong> zu begegnen, sich gegenseitig kennenzulernen<br />

<strong>und</strong> sich im Gefolge davon wertzuschätzen,<br />

<strong>und</strong> dass eine Zusammenarbeit zwischen <strong>der</strong> großen<br />

Zahl franziskanischer Zweige begonnen hat: <strong>des</strong><br />

ersten Ordens, <strong>der</strong> armen Klarissen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er<br />

kontemplativer Frauengemeinschaften, <strong>der</strong> Franziskanischen<br />

Gemeinschaft (FG) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielzahl von<br />

Gruppen <strong>des</strong> TOR.<br />

Das Familiengefühl ist die Frucht einer neuen kulturellen<br />

<strong>und</strong> kirchlichen Sensibilität, die universaler<br />

<strong>und</strong> ökumenischer ist, <strong>und</strong> eines tieferen Durchdringens<br />

<strong>der</strong> Schriften <strong>des</strong> hl. Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> hl.<br />

Klara. Die jüngsten Regel <strong>des</strong> regulierten Dritten<br />

Ordens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Franziskanischen Gemeinschaft,<br />

wie auch die Konstitutionen <strong>des</strong> ersten <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

zweiten Ordens, welche die beständigen Werte <strong>der</strong><br />

Regel <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Klara auf die heutige<br />

Situation anwenden, haben die gr<strong>und</strong>legenden<br />

Werte franziskanischen Lebens erfolgreich dargestellt.<br />

Die gr<strong>und</strong>legenden franziskanischen Werte,<br />

die wir alle teilen, erlauben es uns, eine einzige<br />

Berufung <strong>und</strong> ein einziges Charisma zu besitzen<br />

<strong>und</strong> uns als eine Familie zu fühlen.<br />

Diese Bewegung <strong>der</strong> Gemeinschaft, die auf niedrigeren<br />

Ebenen anzutreffen ist, verbreitet unter uns<br />

das Gefühl von Familie. Sie findet sich in gleicher<br />

Weise auf den höchsten Verantwortungsebenen zwischen<br />

den verschiedenen franziskanischen Gruppen,<br />

die aus verschiedenen Anlässen gemeinsame Dokumente<br />

veröffentlicht <strong>und</strong> 1996 offiziell die Konferenz<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Familie gegründet haben<br />

(CFF; bestehend aus OFS, <strong>OFM</strong>, Konventualen<br />

[<strong>OFM</strong> Conv], Kapuzinern [<strong>OFM</strong> Cap]; CFI-TOR<br />

<strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> TOR).<br />

Diese Bewegung <strong>der</strong> Gemeinschaft, obgleich noch<br />

ziemlich begrenzt, wird Wirklichkeit durch Zusammenarbeit<br />

in <strong>der</strong> Anfangsausbildung <strong>und</strong> <strong>der</strong> ständigen<br />

Fortbildung, in <strong>der</strong> historisch-spirituellen<br />

Forschung, in <strong>der</strong> pastoralen Tätigkeit, in missionarischer<br />

Aktivität <strong>und</strong> im Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

2. Interfranziskanische<br />

Zusammenarbeit für GFBS<br />

a) Interfranziskanische Kommissionen<br />

für GFBS<br />

Die wachsende interfranziskanische Zusammenarbeit,<br />

obgleich noch sehr begrenzt, wird vielleicht in<br />

intensivster Weise auf dem Gebiet <strong>des</strong> Einsatzes für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Verteidigung <strong>der</strong> Natur<br />

erbracht. Dies liegt an einer Vielfalt von Faktoren:<br />

■ Wir verstehen diese Werte als zentral für<br />

unser Charisma<br />

■ Sie sind Teil <strong>der</strong> Zeichen <strong>der</strong> Zeit<br />

■ Sie bieten konkrete Möglichkeiten <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

an<br />

■ Die für diese Werte wirklich sensiblen Brü<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Schwestern sind normalerweise weniger<br />

161


■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />

Apostelgeschichte 10, 35<br />

an ihre eigenen Ideen geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> offener<br />

für die Zusammenarbeit mit allen, beson<strong>der</strong>s<br />

mit denen, die gemäß den gleichen Richtlinien<br />

arbeiten.<br />

■ Es ist auch möglich, dass die Franziskaner, die<br />

sich in diesen Bereichen engagieren <strong>und</strong> noch<br />

eine Min<strong>der</strong>heit in dem je eigenen Zweig sind,<br />

das Bedürfnis verspüren, zusammenzugehen,<br />

um eine größere Kraft, Fähigkeit <strong>und</strong> auch<br />

größeren Einfluss zu haben, innerhalb unserer<br />

Familie <strong>und</strong> innerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft. Die<br />

interfranziskanische Arbeit in diesen Bereichen<br />

geht in <strong>der</strong> Tat schon über einige Jahre. In einigen<br />

Län<strong>der</strong>n ist die franziskanische Bewegung<br />

für GFBS „interfranziskanisch“ entstanden.<br />

Auch wenn diese interfranziskanische Arbeit sehr<br />

positiv gewesen ist, beson<strong>der</strong>s was unsere Präsenz in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft betrifft, dürfen wir die Notwendigkeit<br />

nicht aus den Augen verlieren, eine Animation<br />

für unsere Brü<strong>der</strong> in jedem Zweig auf <strong>der</strong> Basis dieser<br />

Werte einer Option für die Armen, <strong>der</strong> Arbeit<br />

für Frieden <strong>und</strong> für den Schutz <strong>der</strong> Umwelt voranzubringen.<br />

An einigen Orten ist es geschehen, dass<br />

162<br />

die interfranziskanische Arbeit von Min<strong>der</strong>heitengruppen<br />

die Notwendigkeit <strong>der</strong> Animation in den<br />

je eigenen Zweigen <strong>und</strong> Provinzen vergessen hat.<br />

b) Die interfranziskanische Kommission<br />

für GFBS in Rom<br />

Seit 1981 besteht die interfranziskanische Kommission<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden (CIFJP) in Rom.<br />

Sie setzt sich zusammen aus den sechs Delegierten<br />

<strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> franziskanischen Familie (CFF),<br />

das sind: die Franziskanische Gemeinschaft (OFS),<br />

die Brü<strong>der</strong> von <strong>OFM</strong>, Konventualen (<strong>OFM</strong> Conv)<br />

<strong>und</strong> Kapuzinern (<strong>OFM</strong> Cap), die internationale<br />

franziskanische Konferenz <strong>des</strong> regulierten Dritten<br />

Ordens (CFI-TOR) <strong>und</strong> die Brü<strong>der</strong> <strong>des</strong> TOR. Diese<br />

Kommission trifft sich gewöhnlich dreimal im Jahr.<br />

Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kommission suchen zu erforschen,<br />

wie sie die von je<strong>der</strong> Gruppe geleistete Arbeit<br />

unterstützen können. Sie antworten auch auf die<br />

Fragen <strong>und</strong> Appelle, die Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern aus<br />

<strong>der</strong> gesamten Welt ihnen zusenden. Während <strong>der</strong><br />

vergangenen fünf Jahre schrieb die Kommission eine<br />

gemeinsame Erklärung „Die Kennzeichen franziskanischer<br />

Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie“.<br />

1995 verfassten sie einen Vorschlag für die<br />

Umstrukturierung von Franciscans International<br />

(FI), ein Vorschlag, <strong>der</strong> <strong>der</strong> CFF <strong>und</strong> dem internationalen<br />

Exekutiv-Komitee von FI vorgelegt wurde.<br />

3. Franciscans International<br />

Franciscans International ist bis heute das einzige<br />

gemeinsame internationale Projekt <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie für Evangelisierung. Es wurde als<br />

interfranziskanisches Projekt 1983 in den USA<br />

begonnen. Die Mitgliedschaft war individuell <strong>und</strong><br />

freiwillig, <strong>und</strong> es wurde ein kleiner jährlicher<br />

Beitrag erhoben. Ein Büro mit Personal wurde in<br />

New York errichtet. Am 3. Februar 1989 wurde<br />

Franciscans International als Nichtregierungsorganisation<br />

(NGO) bei <strong>der</strong> Abteilung für öffentliche<br />

Information (DPI) <strong>der</strong> UNO registriert. In einer<br />

Gr<strong>und</strong>satzerklärung drückte es seine Absicht aus,<br />

in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> UNO <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Nichtregierungsorganisationen zugunsten<br />

<strong>der</strong> Armen, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung zu arbeiten.


■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />

In den frühen 90er Jahren wurde ein internationales<br />

Exekutiv-Komitee gebildet. Es bewarb sich um<br />

einen beratenden Status beim Ecosoc (dem Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Sozialrat) <strong>der</strong> UNO, <strong>der</strong> Franciscans<br />

International am 4. August 1994 zugestanden wurde.<br />

Dies gestattet uns mit aktiver <strong>und</strong> direkter Stimme,<br />

Fragen für die Tagesordnung vorzuschlagen,<br />

Informationen zu Fragen <strong>des</strong> internationalen Lebens<br />

zu übermitteln, unsere Sorgen <strong>und</strong> Lösungen<br />

zu dringenden sozialen Problemen zu unterbreiten.<br />

Während dieser Jahre wurde Franciscans International<br />

in vielen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> verschiedenen Kontinente<br />

durch persönliche Mitgliedschaft organisiert. FI<br />

nahm an den großen Versammlungen <strong>der</strong> UNO<br />

teil: dem Gipfel zu Umwelt <strong>und</strong> Entwicklung<br />

(1992) in Rio de Janeiro; <strong>der</strong> Weltkonferenz über<br />

Menschenrechte (1993) in Wien; <strong>der</strong> Weltkonferenz<br />

über Bevölkerung <strong>und</strong> Entwicklung (1994) in<br />

Kairo; dem Weltgipfel über soziale Entwicklung<br />

(1995) in Kopenhagen; <strong>der</strong> vierten Weltfrauenkonferenz<br />

(1995) in Peking; <strong>der</strong> zweiten Konferenz<br />

<strong>der</strong> UNO über menschliche Siedlungen (1996)<br />

in Istanbul; dem Weltgipfel über Ernährung (1996)<br />

in Rom.<br />

1995 unterbreitete die CIFJP dem Internationalen<br />

Exekutiv-Komitee einen Vorschlag, <strong>der</strong> die Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Generalminister <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorsitzenden<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Familie erhielt. Die zentralen<br />

Punkte <strong>des</strong> Vorschlags waren:<br />

1) Da Franciscans International im Namen <strong>der</strong><br />

Franziskaner weltweit spricht, sollte es in irgendeiner<br />

Weise gegenüber den gewählten Oberen <strong>der</strong><br />

franziskanischen Familie rechenschaftspflichtig sein.<br />

2) Es ist notwendig, das Modell <strong>der</strong> individuellen<br />

Mitgliedschaft zu überdenken, weil viele Franziskaner<br />

die Notwendigkeit nicht einsehen, Teil einer<br />

Organisation zu werden, die in ihrem Namen<br />

spricht <strong>und</strong> <strong>der</strong> sie als Mitglie<strong>der</strong> angehören.<br />

3) Durch die Erteilung <strong>des</strong> UNO-Status an FI<br />

erklärt die internationale Gemeinschaft den Franziskanern,<br />

dass sie Aktionen von unserer Seite erwartet.<br />

Wir müssen größere <strong>und</strong> konzentriertere<br />

Anstrengungen unternehmen, mit <strong>der</strong> UNO <strong>und</strong><br />

ihren verschiedenen Organen zusammenzuarbeiten<br />

(UNESCO, Hochkommission <strong>der</strong> UNO für<br />

Flüchtlinge – UNHCR, Kommission <strong>der</strong> UNO für<br />

Menschenrechte, FAO). Diese Anstrengung erfor<strong>der</strong>t<br />

den Einsatz <strong>und</strong> die aktive Teilnahme <strong>der</strong><br />

gesamten franziskanischen Familie.<br />

Nach ihrer Gründung übernahm die Konferenz <strong>der</strong><br />

franziskanischen Familie (CFF) im Oktober 1996<br />

die Verantwortung für Franciscans International<br />

<strong>und</strong> setzte eine Arbeitsgruppe ein, die neue Statuten<br />

<strong>und</strong> einen zukünftigen Plan für FI diskutieren <strong>und</strong><br />

vorschlagen sollte. Die Diskussion zwischen Franciscans<br />

International <strong>und</strong> <strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie, unterstützt durch die Arbeitsgruppe,<br />

wird die zukünftige Richtung von FI<br />

festlegen <strong>und</strong> bestimmen, wem sie innerhalb <strong>des</strong><br />

Rahmens <strong>der</strong> franziskanischen Familie <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

UNO Rechenschaft ablegen sollen.<br />

4. Mit den Dominikanern in Genf<br />

Für einige Jahre bemühte sich Franciscans International<br />

um Präsenz in Genf, wo viele politische Entscheidungen<br />

zu den Themen Menschenrechte,<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> Flüchtlinge diskutiert <strong>und</strong><br />

gefällt werden. Die Diskussion über die Möglichkeit,<br />

ein Büro einzurichten, intensivierte sich in den<br />

zurückliegenden fünf Jahren, als das internationale<br />

Exekutiv-Komitee von FI das europäische Exekutiv-<br />

Komitee anfragte, eine praktische Möglichkeit für<br />

eine Nie<strong>der</strong>lassung von FI in Genf zu prüfen. 1996<br />

wurde dieses Thema vom europäischen Exekutiv-<br />

Komitee diskutiert <strong>und</strong> angenommen. Zur gleichen<br />

Zeit fragten Timothy Radcliffe OP, <strong>der</strong> Ordensmeister<br />

<strong>des</strong> Dominikanerordens, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Koordinator<br />

<strong>der</strong> Dominikaner für GFBS nach <strong>der</strong> Verfügbarkeit<br />

von <strong>OFM</strong>-Brü<strong>der</strong>n, um mit ihnen zusammen<br />

in einem gemeinsamen Büro für die Menschenrechte<br />

in Genf zu arbeiten. Unsere Antwort drückte ein<br />

großes Interesse an dieser Frage aus <strong>und</strong> unseren<br />

Wunsch, innerhalb <strong>des</strong> Umfel<strong>des</strong> von Franciscans<br />

International zu arbeiten. Im Februar 1997 stimmte<br />

das europäische Exekutiv-Komitee von FI dem Vorschlag<br />

einer Zusammenarbeit zwischen FI <strong>und</strong> den<br />

Dominikanern in einem neuen Büro in Genf zu.<br />

Wir arbeiteten auf dem Treffen <strong>der</strong> Menschenrechtskommission<br />

(März-April 1997) zusammen,<br />

an dem vier Brü<strong>der</strong> <strong>OFM</strong> aus verschiedenen Teilen<br />

<strong>der</strong> Welt teilnahmen <strong>und</strong> zu den Themen Heiliges<br />

Land, Kolumbien usw. Stellungnahmen abgaben.<br />

Wenig später, im Mai 1997, begann eine junge, in<br />

diesem Bereich ausgebildete Frau als Exekutiv-<br />

Direktorin für uns zu arbeiten. Die Arbeit für<br />

163


■ Interfranziskanische Zusammenarbeit für GFBS<br />

Menschenrechte in Genf hat sich als sehr fruchtbar<br />

erwiesen <strong>und</strong> kontinuierlich fortentwickelt.<br />

5. Abschließende Beurteilung<br />

Die Erfahrungen <strong>der</strong> letzten sechs Jahre zeigen, dass<br />

Vorteile <strong>und</strong> Schwierigkeiten, die die Zusammenarbeit<br />

in <strong>der</strong> franziskanischen Familie begleiten,<br />

zahlreich sind. Die CIFJP hat mit relativem Erfolg<br />

versucht, in einer Reihe von Projekten zusammenzuarbeiten.<br />

Der Weg ist niemals einfach, son<strong>der</strong>n<br />

kompliziert durch die Tatsache, dass wir 700 Jahre<br />

lang durch unsere wechselseitigen Unterschiede<br />

identifiziert wurden. Es ist relativ einfach, in einem<br />

einzelnen Projekt zusammenzuarbeiten, wie die<br />

164<br />

800-Jahrfeiern von Franziskus <strong>und</strong> Klara. Doch<br />

es stellt eine große Herausfor<strong>der</strong>ung dar, in Dauerprojekten<br />

zusammenzuarbeiten, die personelle<br />

<strong>und</strong> finanzielle Mittel voraussetzen, wie in einem<br />

gemeinsamen Studienhaus, einem Programm internationaler<br />

Ausbildung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Anstrengung missionarischer Evangelisierung.<br />

Franciscans International ist ein Beispiel dafür, wie<br />

vorteilhaft <strong>und</strong> wie schwierig zugleich eine gemeinsame<br />

Arbeit sein kann. Die säkulare Gesellschaft<br />

versteht nicht die Trennungen zwischen den Franziskanern<br />

<strong>und</strong> sie hofft, dass die „Franziskaner“<br />

mühelos zu Projekten <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, in <strong>der</strong> Identifizierung<br />

mit den Armen <strong>und</strong> in ihrer Sorge für die<br />

Schöpfung ihren gemeinsamen Beitrag leisten.<br />

GFBS-Büro, Rom


■ Soziale Analyse<br />

Soziale Analyse<br />

(AUS DEM HANDBUCH FÜR PROMOTOREN<br />

VON GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN,<br />

JPIC-BÜRO DER VEREINIGUNG DER HÖHEREN<br />

ORDENSOBEREN, ROM 1997)<br />

Einführung<br />

Sich um die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt zu bemühen, ist<br />

we<strong>der</strong> eine Aufgabe für naive Träumer noch eine für<br />

heißblütige Enthusiasten. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt<br />

bedeutet, dass wir etwas von <strong>der</strong> Welt kennen <strong>und</strong><br />

von dem, was <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung bedarf. Jede Einbindung<br />

in ein Handeln für <strong>Gerechtigkeit</strong> muss die<br />

bestimmten Systemen innewohnende Ungerechtigkeit<br />

erkennen, die für den Großteil <strong>des</strong> Hungers in<br />

<strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> Heimatlosigkeit, <strong>der</strong> Gewalt <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Umweltzerstörung verantwortlich ist. Ein bedeutsamer<br />

Teil eines jeden Ausbildungsprogramms für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

sollte sich mit den Systemen o<strong>der</strong> Strukturen<br />

<strong>der</strong> Ungerechtigkeit beschäftigen <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Frage,<br />

wie <strong>und</strong> warum sie funktionieren. Es bedarf einer<br />

METHODE o<strong>der</strong> eines Vorgehens, um soziale Systeme<br />

<strong>und</strong> die Symptome ihres schlechten Funktionierens<br />

zu überprüfen, die zu Ungerechtigkeit führen.<br />

Es gibt eine Reihe nützlicher Handbücher sozialer /<br />

struktureller Analyse; das vielleicht umfassendste ist<br />

SOCIAL ANALYSIS: LINKING FAITH AND JUSTICE von<br />

Holland <strong>und</strong> Henriot.<br />

Es ist notwendig, dass GFBS-Promotoren die Probleme<br />

<strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> sehr sorgfältig studieren,<br />

bevor sie zum Handeln schreiten, um diese Probleme<br />

zu lösen. Diese sorgfältige Vorbereitung ist notwendig,<br />

wenn sie die Probleme verstehen wollen,<br />

mit denen sie sich befassen. Gefor<strong>der</strong>t ist eine<br />

Methode <strong>der</strong> Prüfung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Probleme<br />

von <strong>Gerechtigkeit</strong>, weil die Gefahr besteht, dass<br />

solche Probleme sich noch weiter verschlimmern,<br />

wenn für <strong>Gerechtigkeit</strong> Handelnde sich <strong>der</strong> Wurzeln<br />

dieser Probleme nicht voll bewusst sind.<br />

Soziale Analyse ist ein verbreitetes <strong>und</strong> wirksames<br />

Werkzeug, das uns befähigt, die Strukturen <strong>der</strong><br />

Gesellschaft zu überprüfen: poltisch, wirtschaftlich,<br />

kulturell, sozial, religiös, <strong>und</strong> die tieferen Gründe<br />

sozialer Ungerechtigkeit aufzudecken. Es hilft uns,<br />

von dem, was Donal Dorr Mitgefühl aus direkter<br />

Betroffenheit nennt, weiter nach dem Wie <strong>und</strong><br />

Warum zu fragen: Wie sind diese Menschen arm<br />

geworden? Warum wächst die Arbeitslosigkeit?<br />

Soziale Analyse identifiziert jene, die die Macht<br />

besitzen, jene, die Entscheidungen treffen, jene,<br />

die in <strong>der</strong> Gesellschaft von diesen Entscheidungen<br />

profitieren <strong>und</strong> welche nicht. Sie befähigt uns, die<br />

Verbindungen <strong>und</strong> Einflüsse zu sehen, die in jedem<br />

sozialen System wirken. Diese Methode wurde<br />

durch christliche Gruppen weiter entwickelt, die<br />

sowohl christliche theologische Reflexion wie soziale<br />

Analyse anwenden, um einen Plan <strong>des</strong> Handelns<br />

zur För<strong>der</strong>ung von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu entwickeln.<br />

Soziale Analyse ist ein Aufruf, um „unsere Augen,<br />

unsere Ohren <strong>und</strong> unseren M<strong>und</strong> zu öffnen“. Markus<br />

überliefert drei W<strong>und</strong>er, die symbolisch für die<br />

Einladung Jesu stehen, unsere Ohren, unsere Augen<br />

<strong>und</strong> unseren M<strong>und</strong> zu öffnen auf unserer Suche, das<br />

Was <strong>und</strong> Wie <strong>der</strong> Sendung zu verstehen. Er tadelt<br />

seine Jünger: „Begreift <strong>und</strong> versteht ihr immer noch<br />

nicht? Ist denn euer Herz verstockt? Habt ihr denn<br />

keine Augen, um zu sehen, <strong>und</strong> keine Ohren, um zu<br />

hören? Erinnert ihr euch nicht: …“ (Mk 8,17-18).<br />

An die Heilung eines Taubstummen (Mk 7,31-37).<br />

An die Heilung eines Blinden (Mk 8,22-26; 10,<br />

46-52).<br />

An die Heilung eines Stummen (Mk 9,17-27).<br />

Soziale Analyse lädt uns ein, die Schreie <strong>der</strong> Welt, in<br />

<strong>der</strong> wir leben, zu HÖREN, zu SEHEN, ZUzuHÖREN.<br />

Die Methode<br />

Die Methode sozialer Analyse ist in <strong>der</strong> Anwendung<br />

nicht schwierig. Sie umfasst die gr<strong>und</strong>legende<br />

Methode SEHEN, URTEILEN, HANDELN <strong>der</strong> christlichen<br />

Arbeiterjugend (CAJ) <strong>und</strong> <strong>der</strong> jungen<br />

165


■ Soziale Analyse<br />

christlichen Studenten, die später von lateinamerikanischen<br />

Theologen in ihrer Arbeit mit Basisgemeinden<br />

aufgegriffen <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Theologie <strong>der</strong><br />

Befreiung reflektiert wurde.<br />

Es gibt vier Hauptschritte <strong>der</strong> sozialen Analyse.<br />

(Ein großer Teil <strong>der</strong> folgenden vier Schritte ist dem<br />

Buch WORKING FOR JUSTICE AND PEACE von Tony<br />

Byrne CSSp, Mission-Press, Zambia 1988, 57-63,<br />

entnommen)<br />

(Bevor man mit dem aktuellen Prozess sozialer Analyse<br />

beginnt, ist es hilfreich, über Werte zu diskutieren)<br />

Erster Schritt: Ausgangspunkt: die Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Gruppe erstellen eine Liste <strong>der</strong> Probleme,<br />

die zu analysieren o<strong>der</strong> zu prüfen sind.<br />

■ Sehen, ob ein Zusammenhang o<strong>der</strong> eine Verbindung<br />

zwischen den Ungerechtigkeiten<br />

besteht.<br />

■ Entscheiden, welche die schwerwiegendsten<br />

sind <strong>und</strong> sie auflisten.<br />

■ Sehen, ob es einen gemeinsamen Namen gibt,<br />

<strong>der</strong> alle diese Ungerechtigkeiten beschreibt.<br />

■ Entscheiden, bei welchem speziellen Problem<br />

die Gruppe mit <strong>der</strong> Überprüfung nach dieser<br />

Methode beginnt. Es ist wichtig daran zu erinnern,<br />

dass es meist unmöglich ist, zwei Probleme<br />

gleichzeitig zu analysieren.<br />

Zweiter Schritt: Strukturelle Analyse<br />

■ Beschreibe das Problem im Detail.<br />

■ Wann entstand das Problem?<br />

■ Warum entstand es?<br />

■ Wann wurde uns bewusst, dass es sich um ein<br />

schwerwiegen<strong>des</strong> Problem handelt?<br />

■ Was machte uns darauf aufmerksam?<br />

STRUKTUREN IM ALLGEMEINEN<br />

■ Beginne mit einer Diskussion über die Strukturen<br />

o<strong>der</strong> Organisationen in <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

■ Prüfe das vorliegende Problem in Verbindung<br />

zu den wirtschaftlichen, politischen, kulturellen,<br />

religiösen <strong>und</strong> den Klassen-Strukturen <strong>der</strong><br />

Gesellschaft.<br />

166<br />

WIRTSCHAFTLICHE STRUKTUREN<br />

■ Was ist die Ursache <strong>des</strong> Problems?<br />

■ Gibt es multinationale o<strong>der</strong> lokale Unternehmen,<br />

die wollen, dass dieses Problem weiterbesteht<br />

o<strong>der</strong> sich sogar verschlimmert, weil sie<br />

auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems finanzielle Gewinne<br />

machen?<br />

■ Gibt es Einzelpersonen o<strong>der</strong> Gruppen in dieser<br />

Gesellschaft, die dieses Problem erhalten o<strong>der</strong><br />

unterstützen wollen, weil sie finanziellen Nutzen<br />

daraus ziehen?<br />

POLITISCHE STRUKTUREN<br />

■ Wer gewinnt auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems an<br />

Macht?<br />

■ Gibt es einzelne Politiker o<strong>der</strong> politische Parteien,<br />

die dieses Problem nutzen, um Macht zu<br />

gewinnen o<strong>der</strong> sie zu erhalten?<br />

■ Wer sind die Menschen mit Autorität <strong>und</strong><br />

Macht, die dieses Problem entstehen ließen?<br />

■ Gibt es örtliche Führer, die an einem Fortbestand<br />

<strong>des</strong> Problems interessiert sind, damit sie<br />

Macht ausüben können?<br />

KLASSENSTRUKTUREN<br />

■ Trägt dieses Problem dazu bei, soziale Spaltung<br />

in <strong>der</strong> Gesellschaft zu schaffen, zu erhalten <strong>und</strong><br />

zu unterstützen?<br />

■ Gibt es bestimmte Menschen, die soziale<br />

Bedeutung o<strong>der</strong> Stellung auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems<br />

gewinnen? Wer sind sie?<br />

■ Gibt es bestimmte Einzelpersonen o<strong>der</strong> Gruppen<br />

von Menschen, die auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems<br />

soziale Bedeutung <strong>und</strong> Stellung verlieren?<br />

Wer sind sie?<br />

KULTURELLE STRUKTUREN<br />

■ Tragen unsere Kultur <strong>und</strong> unsere Überlieferungen<br />

dazu bei, dieses Problem zu schaffen, zu<br />

erhalten <strong>und</strong> zu unterstützen?<br />

■ Welche kulturellen Werte <strong>und</strong> Überlieferungen<br />

sind beteiligt, diese Problem noch zu verschärfen?<br />

■ Überprüfe das Problem im Hinblick auf Verhalten<br />

<strong>und</strong> Denkstrukturen.<br />

RELIGIÖSE STRUKTUREN<br />

■ Welche religiösen Strukturen o<strong>der</strong> kirchlichen<br />

Organisationen können an diesem Problem<br />

beteiligt sein?


■ Soziale Analyse<br />

■ Wie tragen diese religiösen Strukturen o<strong>der</strong><br />

kirchlichen Organisationen dazu bei, dieses<br />

Problem zu schaffen, zu unterstützen <strong>und</strong><br />

zu erhalten?<br />

■ Ziehen religiöse o<strong>der</strong> kirchliche Organisationen<br />

Nutzen aus diesem Problem?<br />

■ Benutzen sie das Problem, um ihre Bedeutung<br />

zu erhalten o<strong>der</strong> ihre Mitgliedschaft zu vergrößern?<br />

Denkstrukturen o<strong>der</strong> Verhalten.<br />

Ungerechtigkeit ist oft durch ungerechte Strukturen<br />

in <strong>der</strong> Gesellschaft verursacht. Selbst wenn diese<br />

Strukturen verän<strong>der</strong>t werden, bleibt das Problem<br />

<strong>der</strong> Ungerechtigkeit wegen <strong>des</strong> Verhaltens o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Denkstrukturen <strong>der</strong> Menschen noch bestehen.<br />

Dieses Verhalten, manchmal auch Denkstrukturen<br />

genannt, ist nur schwer zu än<strong>der</strong>n. Es bedarf einer<br />

Bekehrung, um Denkstrukturen o<strong>der</strong> Verhalten zu<br />

verän<strong>der</strong>n, die ungerechte Situationen schaffen.<br />

Diese Bekehrung erfor<strong>der</strong>t von den Menschen Verstand<br />

<strong>und</strong> Herzen, die „nach <strong>Gerechtigkeit</strong> hungern<br />

<strong>und</strong> dürsten“.<br />

Welche Haltungen unsererseits tragen dazu bei, dieses<br />

Problem zu schaffen, zu erhalten <strong>und</strong> zu stützen?<br />

Können wir einige Haltungen erkennen <strong>und</strong> benennen,<br />

die wir als Einzelne o<strong>der</strong> als Gemeinschaft<br />

haben, die dazu beitragen, dieses Problem zu einem<br />

schwerwiegendem zu machen?<br />

AM ENDE DES ZWEITEN SCHRITTES EMPFIEHLT ES<br />

SICH, SICH EINIGE AUGENBLICKE ZEIT ZU NEHMEN,<br />

UM DIE FOLGENDEN FRAGEN ZU BEANTWORTEN:<br />

■ Erhalten wir, als Ergebnis dieser Betrachtungen<br />

<strong>und</strong> Diskussionen, ein besseres Verständnis <strong>der</strong><br />

Ursachen <strong>des</strong> Problems?<br />

■ Was sind die bedeutsamsten Einsichten o<strong>der</strong><br />

neuen Ideen, die als Ergebnis dieser Analyse ans<br />

Licht traten?<br />

Dritter Schritt: Christliches Nachdenken<br />

über das Problem im Licht <strong>der</strong> hl. Schrift <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> Kirche.<br />

■ Herausfinden, ob die Bibel o<strong>der</strong> die Lehre <strong>der</strong><br />

Kirche helfen können, neues Licht auf das Problem<br />

zu werfen:<br />

■ Was sagt die Bibel über das Problem?<br />

■ Können wir Stellungnahmen <strong>der</strong> Kirche finden,<br />

die vom Papst, von einem Konzil o<strong>der</strong> einer<br />

Gruppe von Bischöfen gemacht wurden <strong>und</strong> die<br />

auf das Problem angewandt werden können?<br />

Vierter Schritt: Plan zum Handeln,<br />

Global denken, lokal handeln:<br />

PLAN ZUM HANDELN<br />

■ Was ist die Lösung dieses Problems?<br />

■ Was können wir, als Gruppe o<strong>der</strong> als Einzelpersonen,<br />

in Bezug auf dieses Problem tun?<br />

■ Über welche Mittel verfügen wir, um unseren<br />

Plan zum Handeln in die Praxis umzusetzen?<br />

■ Können wir mehr Mittel dafür bekommen?<br />

■ Gibt es einen Aspekt <strong>des</strong> Problems, an dem<br />

wir jetzt ansetzen können?<br />

■ Was ist <strong>der</strong> erste Schritt, den wir unternehmen<br />

sollten?<br />

● Die Verantwortlichkeiten sind unter allen<br />

Mitglie<strong>der</strong>n aufgeteilt.<br />

● Ein Zeitplan wird für jede Phase <strong>des</strong> Plans<br />

<strong>und</strong> für die Durchführung <strong>des</strong> gesamten Planes<br />

aufgestellt.<br />

● Finanzielle <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Mittel werden bedacht,<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Nutzung sorgfältig ausgearbeitet.<br />

AUSWERTEN<br />

■ Welche Ziele haben wir uns vorgenommen?<br />

■ Was haben wir getan, um sie zu erreichen?<br />

■ Was hat uns geholfen, Fortschritte zu machen?<br />

■ Was hat den Fortschritt behin<strong>der</strong>t?<br />

■ Was sollten wir jetzt tun? Ziele än<strong>der</strong>n? Methoden<br />

än<strong>der</strong>n? Unsere Mittel auffrischen?<br />

N.B. Auswertungen müssen in den verschiedenen<br />

Phasen <strong>der</strong> Durchführung <strong>des</strong> Planes gemacht werden;<br />

Feiern – liturgische Feiern eingeschlossen –<br />

müssen in den gesamten Prozess <strong>der</strong> sozialen Analyse<br />

einbezogen werden.<br />

167


■ Soziale Analyse<br />

Eine an<strong>der</strong>e Weise, diese Methode<br />

anzuwenden, ist:<br />

SEHEN<br />

Was sehen wir in unserer Umgebung?<br />

Warum sind die Dinge so, wie sie sind?<br />

URTEILEN<br />

Welches Vorurteil bringen wir bei <strong>der</strong> Beurteilung<br />

einer Situation ein? Durch welche Brille sehen wir?<br />

Welches könnte unser unbewusstes Gespür sein<br />

in Bezug auf das Thema? Welche Kenntnis <strong>und</strong><br />

Lebenserfahrung bringen wir in die Analyse <strong>des</strong><br />

Themas mit ein? Auf wessen Kenntnis nehmen<br />

wir Bezug – die <strong>der</strong> Reichen o<strong>der</strong> die <strong>der</strong> Armen?<br />

Haben wir tatsächlich eine Option für die Armen<br />

bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Situation getroffen? Hören<br />

wir in unserer Wahrnehmung <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

mehr auf die Elite als auf die Erfahrung <strong>der</strong> Armen?<br />

Wo ist die Weisheit <strong>des</strong> Evangeliums? Für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

zu arbeiten, erfor<strong>der</strong>t eine tief in <strong>der</strong> hl.<br />

Schrift verwurzelte Spiritualität; sonst wird unsere<br />

Arbeit erdrückend <strong>und</strong> unmöglich. Als Evangelisierende<br />

wie als soziale Verän<strong>der</strong>er beten wir, denken<br />

über Gottes Plan nach <strong>und</strong> suchen so das Reich<br />

Gottes zu bringen. Wir beurteilen die Situation im<br />

Lichte <strong>des</strong> Planes Gottes.<br />

HANDELN<br />

Nachdem wir uns bewusst gemacht haben, was in<br />

<strong>der</strong> Welt um uns herum vorgeht, <strong>und</strong> die Situation<br />

aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>des</strong> Evangeliums beurteilt<br />

haben, ist es notwendig zu handeln. Zusammenarbeit<br />

mit an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> Gesellschaft (NGOs, an<strong>der</strong>e<br />

religiöse Bekenntnisse, örtliche Gruppen) <strong>und</strong>, wo<br />

möglich, in einem internationalen Netzwerk ist<br />

äußerst bedeutsam <strong>und</strong> verleiht wahrscheinlich eine<br />

größere Wirksamkeit.<br />

168<br />

Ein praktischer Versuch /<br />

Herangehensweise<br />

Aktives Engagement zusammen mit armen <strong>und</strong><br />

ausgegrenzten Menschen, Einbindung in ständige<br />

soziale Analyse, beständiges Nachdenken über<br />

unser Verhalten <strong>und</strong> Handeln wird uns helfen,<br />

ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln, das<br />

notwendig ist, um zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt beizutragen.<br />

Ich<br />

bin eine schwarze Frau<br />

hochgewachsen wie eine Zypresse<br />

stark<br />

über jede Vorstellung ruhig<br />

trotzend dem Ort<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />

<strong>und</strong> den Umständen<br />

angegriffen<br />

unempfindlich<br />

unzerstörbar<br />

Schau<br />

auf mich <strong>und</strong> sei<br />

neu.<br />

Mari Evans<br />

(„I AM A BLACK WOMEN“, IN: MARGARET BUSBY, ED.,<br />

DAUGHTERS OF AFRICA, NEW YORK 1992, S. 300)<br />

„Sie schnappten mich auf <strong>der</strong> Straße. Ich versuchte<br />

mich gegen die Sicherheitspolizei zu verteidigen,<br />

doch sie schlugen mich auf den Kopf. Die Gesichter<br />

meiner Mutter <strong>und</strong> meines Vaters verfolgten mich.<br />

Es gibt eine Methode, die all die Barbarei ausdrückt,<br />

die in irakischen Gefängnissen angewendet wird.<br />

Das ist die Vergewaltigung … Nichts, was ich<br />

darüber gehört hatte, hat mich auf diese Erfahrung<br />

vorbereitet. Es lebt in mir. Ich blute immer noch<br />

sehr. Es wurde nicht nur von einem Mann getan,<br />

son<strong>der</strong>n von einer Gruppe von Männern. Sie erstickten<br />

meine Schreie <strong>und</strong> meinen Protest. Ich musste<br />

aufgeben. Und überdies wurde es zum Spektakel; es<br />

kamen viele Menschen <strong>und</strong> schauten zu.“<br />

Eine kurdische Frau<br />

(AUS: AMNESTY INTERNATIONAL,<br />

HUMAN RIGHTS ARE WOMEN’S RIGHTS, 1995, S. 85)


■ Soziale Analyse<br />

Wie in Abschnitt I erwähnt, ist Gewalt für viele<br />

Frauen eine schreckliche Tatsache <strong>des</strong> täglichen<br />

Lebens – Gewalt im Krieg, politische Gewalt, sexuelle<br />

<strong>und</strong> häusliche Gewalt. Gewalt war das Thema<br />

auf <strong>der</strong> Weltfrauenkonferenz in Peking, das sich<br />

quer über alle kulturellen <strong>und</strong> geographischen<br />

Grenzen hinwegzog. Ayesha Khanam vom Bangla<strong>des</strong>h<br />

Women’s Council stellte fest: „Gewalt gegen<br />

Frauen ist ein Thema, das globales Handeln erfor<strong>der</strong>t.“<br />

Unter den Themen <strong>der</strong> Gewalt gegen Frauen,<br />

die in Peking vorgetragen wurden, war die Genitalverstümmelung<br />

<strong>der</strong> Mädchen, die „Mitgift-Tode“ in<br />

Indien, wo Tausende von jungen Bräuten je<strong>des</strong> Jahr<br />

getötet werden, weil ihre Familien ungenügende<br />

Mitgift bezahlen, physische Misshandlung zu Hause<br />

– in den USA sterben ein Drittel <strong>der</strong> ermordeten<br />

Frauen durch die Hand ihrer Ehemänner o<strong>der</strong><br />

Fre<strong>und</strong>e –, <strong>und</strong> die Anwendung von Vergewaltigung<br />

<strong>und</strong> erzwungener Prostitution als Kriegswaffe.<br />

Diese Gewalt zu stoppen, ist eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

an uns alle – Frauen, Männer, Laien, Ordensleute,<br />

Christen <strong>und</strong> Menschen an<strong>der</strong>en Glaubens.<br />

Nachfolgend findet sich <strong>der</strong> Entwurf einer<br />

strukturellen Analyse zum Thema Frauen <strong>und</strong><br />

Gewalt:<br />

Schauplatz: Eine Pfarrgruppe diskutiert den kürzlich<br />

veröffentlichten nationalen Bericht über häusliche<br />

Gewalt. Der Bericht gibt an, dass eine von<br />

fünf Frauen Gewalt von ihrem männlichen Partner<br />

erlitten hat. 59% <strong>der</strong> Antwortenden wissen von<br />

an<strong>der</strong>en Frauen, die Opfer von Gewalt geworden<br />

sind; 13% berichteten von seelischer Grausamkeit –<br />

sie waren in ihren Zimmern eingeschlossen, von<br />

Treffen mit ihren Fre<strong>und</strong>en abgehalten, mit Worten<br />

misshandelt <strong>und</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> beraubt worden; 10%<br />

hatten schwere physische Gewalt erlitten – waren<br />

getreten, die Treppe hinabgestoßen, geschlagen, nie<strong>der</strong>gestochen<br />

<strong>und</strong> Opfer versuchter Erdrosselung<br />

geworden. An<strong>der</strong>e waren sexuell missbraucht, mit<br />

Messern <strong>und</strong> Pistolen bedroht worden. Der Herausgeber<br />

<strong>der</strong> örtlichen Zeitung schließt mit folgenden<br />

Worten:<br />

„Während die Regierung für bessere Gesetze zum<br />

Schutze von Frauen sorgen kann, ist sie nicht in<br />

<strong>der</strong> Lage, ein Programm zu entwerfen, das häusliche<br />

Gewalt reduzieren könnte, solange sie nicht<br />

die Ursachen dieser Gewalt kennt. Sie sollte sich<br />

dieses Ziel setzen, <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Zwischenzeit alles<br />

ihr Mögliche tun, um Zentren <strong>der</strong> Zuflucht,<br />

unter an<strong>der</strong>em für Vergewaltigungsopfer, zu unterstützen.“<br />

Können wir darauf antworten? Was können wir<br />

tun? Wer erleidet in dieser Pfarrei Gewalt ohne<br />

unser Wissen? Diese <strong>und</strong> ein Dutzend an<strong>der</strong>er Fragen<br />

tauchen schnell auf. Wie könnte eine solche<br />

Gruppe unter Anwendung einer Methode sozialer<br />

Analyse antworten? Es ist wichtig anzumerken, dass<br />

die Analyse eines solchen Themas min<strong>des</strong>tens zwei<br />

Sitzungen von zwei St<strong>und</strong>en Dauer erfor<strong>der</strong>t.<br />

Erster Schritt: Klärung <strong>des</strong> Themas<br />

Suche nach Information über häusliche Gewalt <strong>und</strong><br />

teile sie an<strong>der</strong>en mit. Verschaffe dir eine Kopie <strong>des</strong><br />

Berichts, lade vielleicht einen Referenten ein. Skizziere<br />

die Geschichte häuslicher Gewalt im Land.<br />

Welche politischen, wirtschaftlichen, kulturellen,<br />

sozialen <strong>und</strong> religiösen Entwicklungen in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft haben zur Gewalt gegen Frauen beigetragen?<br />

Achte auf die Verbindungen <strong>und</strong> Zusammenhänge.<br />

Welche Werte stehen hier auf dem Spiel?<br />

Zweiter Schritt: Analyse <strong>der</strong> Strukturen<br />

Sind es wirtschaftliche Gründe, die zu Gewalt gegen<br />

Frauen führen, z.B. das Mitgiftsystem, das Fehlen<br />

von rechtlichen Mitteln <strong>und</strong> Besitzrechten, Frauen<br />

als bewegliches Eigentum, Männer als Ernährer,<br />

Arbeitslosigkeit? Gibt es Kräfte in <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />

die von <strong>der</strong> wirtschaftlichen Abhängigkeit <strong>der</strong> Frauen<br />

profitieren?<br />

Wer hat Macht in den politischen Strukturen? Gibt<br />

es politische Parteien o<strong>der</strong> Gruppen, die die Anwendung<br />

physischer Gewalt gegen Frauen schweigend<br />

unterstützen? Wer zieht Nutzen daraus, dass Frauen<br />

„an ihrem Platz gehalten“ werden? Welche Ministerposten,<br />

falls überhaupt, haben Frauen in <strong>der</strong><br />

Regierung? Gibt es Gruppen, die das Entstehen <strong>des</strong><br />

Feminismus als Bedrohung ansehen? Haben Frauen<br />

überhaupt Rechte?<br />

Gibt es eine kulturelle Unterstützung für die Gewalt<br />

gegen Frauen, z.B. eine Tradition <strong>des</strong> Machismo?<br />

Welche Gestalt nimmt soziale Interaktion an – zwischen<br />

Frauen, zwischen Männern? Alkoholgenuss<br />

als ein bedeutsames männliches Ritual? Enthaltsamkeit,<br />

von den Frauen erwartet, von den Männern<br />

169


■ Soziale Analyse<br />

nicht? Wieviel Erziehung erhalten Männer, wieviel<br />

Frauen? Wie stellen die Medien Frauen dar – als<br />

Sexualobjekte, lie<strong>der</strong>lich, launisch, dumm?<br />

Ermutigen die sozialen Strukturen zu Gewalt, z.B.<br />

Arbeitgeber besitzen ihre Arbeiter <strong>und</strong> bestrafen sie<br />

dementsprechend, Wohnen in Armut, ungenügende<br />

Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge <strong>und</strong> soziale Unterstützung?<br />

Wer trifft Entscheidungen?<br />

Welche Rollen haben Frauen in religiösen Strukturen?<br />

Gibt es Lehren, Überlieferungen <strong>und</strong> Bräuche,<br />

die Frauen eine eigene Rolle zuweisen? Wie sind<br />

Frauen in <strong>der</strong> Mythologie dargestellt? In <strong>der</strong> Bibel?<br />

In <strong>der</strong> Kirche?<br />

Gibt es Verbindungen zwischen den wirtschaftlichen,<br />

politischen, sozialen, kulturellen <strong>und</strong> religiösen<br />

Strukturen, die zur Gewalt gegen Frauen<br />

beitragen?<br />

Dritter Schritt: Reflexion <strong>und</strong> Gebet<br />

Verwende eine Schriftstelle wie die von <strong>der</strong> samaritanischen<br />

Frau (Joh 4,1-42). Was sagt dieser<br />

Abschnitt <strong>und</strong> was sagt die Schrift zu diesem<br />

Thema? Wie antwortet Jesus? Gibt es Lehren <strong>der</strong><br />

Kirche, Stellungnahmen durch Papst, Bischöfe,<br />

religiöse Führer, die das Thema erhellen helfen?<br />

170<br />

Vierter Schritt: Handeln planen<br />

Welches ist die Lösung? Konkret, was möchten wir<br />

verän<strong>der</strong>t sehen? Welche Mittel haben wir in <strong>der</strong><br />

Gruppe, um auf das Problem <strong>der</strong> häuslichen Gewalt<br />

zu antworten? Welchen Aspekt <strong>des</strong> Problems können<br />

wir jetzt aufgreifen? Wie kommunizieren wir<br />

mit <strong>der</strong> übrigen Pfarrei? Welchen ersten Schritt<br />

unternehmen wir? Wer sind die Verantwortlichen<br />

für die verschiedenen Aspekte <strong>des</strong> Plans? Wann<br />

führen wir die einzelnen Schritte durch?<br />

Auswertung<br />

Es ist ungeheuer wichtig, einen Prozess <strong>der</strong> Überprüfung<br />

<strong>und</strong> Auswertung <strong>des</strong> Plans zum Handeln<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> tatsächlich stattgef<strong>und</strong>enen Handelns einzuplanen.<br />

GFBS-Handbuch<br />

<strong>der</strong> Kommission<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

<strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong><br />

höheren Ordensoberen, Rom


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung im Kontext<br />

einzelner Apostolate<br />

a) Im täglichen Leben<br />

Wir stellen dir/euch diese Optionen als praktische<br />

Vorschläge vor, wie die in den ersten beiden Teilen<br />

<strong>des</strong> Handbuches theoretisch vorgestellten Ideen<br />

konkret verwirklicht werden können. Wir wollen<br />

dies auf eine solche Weise tun, dass diese Ideen<br />

soweit wie möglich eine Angelegenheit <strong>des</strong> täglichen<br />

Lebens <strong>und</strong> eine historische Inkarnation unseres<br />

franziskanischen Lebensstils werden.<br />

Wir unterscheiden unsere Vorschläge auf zwei<br />

allgemeinen <strong>und</strong> zwei beson<strong>der</strong>en Ebenen<br />

1. Allgemeine Ebene:<br />

Provinzebene (was die Provinzverwaltung/<br />

-leitung tun kann);<br />

Lokale Ebene (was jede Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong><br />

je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> tun kann);<br />

2. Beson<strong>der</strong>e Ebene:<br />

„Ad intra“ (innerhalb unserer Strukturen);<br />

„Ad extra“ (außerhalb unserer Strukturen).<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> im Alltag<br />

A. Auf Provinzebene:<br />

1. „Ad intra“<br />

a) Diskriminiere in <strong>der</strong> Anfangsausbildung nicht<br />

die Kandidaten, die sich nicht für das Priestertum<br />

entschieden haben. Gib ihnen gleiche Chancen für<br />

Studien o<strong>der</strong> Fachausbildung.<br />

b) Erhalte das Recht <strong>der</strong> Nicht-Priester-Brü<strong>der</strong>, jede<br />

Aufgabe in <strong>der</strong> Provinz innezuhaben, <strong>und</strong> ihr Recht<br />

auf eine gewisse Anzahl von Delegierten auf dem<br />

Kapitel.<br />

c) Gewähre die größtmögliche Sorge <strong>und</strong> Hilfe,<br />

direkt <strong>und</strong> indirekt, den alten <strong>und</strong> kranken Brü<strong>der</strong>n,<br />

wenn möglich in ihren jeweiligen Gemeinschaften.<br />

Darüber hinaus sollte es eine behagliche<br />

<strong>und</strong> einladende Krankenstation für sie geben.<br />

d) Hilf den nächsten Verwandten <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> in<br />

ihren wirtschaftlichen o<strong>der</strong> strukturellen Schwierigkeiten,<br />

ja stelle einen Teil unserer Strukturen ihnen<br />

zur Verfügung.<br />

e) Zu Zeiten bürgerlicher Wahlen stelle jedem Bru<strong>der</strong><br />

durch das GFBS-Provinzbüro angemessene <strong>und</strong><br />

möglichst vollständige Informationen über die<br />

Wahlziele <strong>und</strong> die Kandidaten <strong>der</strong> verschiedenen<br />

politischen Parteien zur Verfügung.<br />

2. „Ad extra“<br />

a) Ein jährlicher Check <strong>der</strong> Konten mit <strong>der</strong> Absicht<br />

einen festgelegten Prozentsatz <strong>des</strong> Gesamteinkommens<br />

(<strong>der</strong> jährlich neu festgelegt wird) den Armen<br />

in Form eines Projektes <strong>der</strong> Verbesserung ihrer<br />

Situation zurückzugeben; wenn möglich sollten alle<br />

Brü<strong>der</strong> darüber befinden.<br />

b) Greife auf alternative Formen <strong>der</strong> Kapitalisierung<br />

<strong>und</strong> auf Sparformen zurück, wie ethische Geldanlagen<br />

<strong>und</strong> selbstverwaltete F<strong>und</strong>s zur gegenseitigen<br />

Hilfe. Verzichte auf höhere Zinsen. Verzichte auf<br />

persönlichen Gewinn.<br />

c) Verbessere zunächst die öffentlichen Räume<br />

(Gottesdienst-, Empfangsraum) noch vor den<br />

Privaträumen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, soweit sie ges<strong>und</strong> sind.<br />

d) Überprüfe direkt <strong>und</strong> persönlich in festgelegten<br />

Abständen durch das GFBS-Büro <strong>der</strong> Provinz, ob<br />

ein politischer Kandidat weiterhin das Vertrauen<br />

verdient o<strong>der</strong> nicht.<br />

171


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

B. Auf lokaler Ebene:<br />

1. „Ad intra“<br />

a) Ermögliche soweit wie möglich eine gleiche Verteilung<br />

<strong>der</strong> Verantwortlichkeiten, auf solche Weise,<br />

dass alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft entsprechend<br />

ihren Charismen in <strong>der</strong> Güterverwaltung <strong>des</strong> Hauses<br />

mitverantwortlich beteiligt sind. Sorge für<br />

Wechsel, an denen alle beteiligt sind, in den gr<strong>und</strong>legenden<br />

<strong>und</strong> schweren Diensten, wie Kochen <strong>und</strong><br />

Reinigen <strong>der</strong> gemeinschaftlichen Räume.<br />

b) För<strong>der</strong>e für jeden Bru<strong>der</strong> die Möglichkeit,<br />

Urlaubszeiten zu nehmen <strong>und</strong> stelle allen Brü<strong>der</strong>n<br />

die nötigen Mittel zur Verfügung, ohne jedoch das<br />

Gelübde <strong>der</strong> Armut zu vergessen.<br />

c) Achte darauf, dass je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> seine eigenen<br />

Talente für den Dienst an <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Kirche entwickeln kann.<br />

2. „Ad extra“<br />

a) Wenn die Notwendigkeit besteht, Nicht-Franziskaner<br />

für die häusliche Arbeit anzustellen, sollte das<br />

erste Auswahlkriterium nicht seine/ ihre Leistungsfähigkeit<br />

sein, son<strong>der</strong>n das Bedürfnis <strong>des</strong> möglichen<br />

Kandidaten.<br />

b) Zahle unserem Personal einen gerechten Lohn,<br />

selbst wenn gesetzliche Vorschriften dafür fehlen,<br />

<strong>und</strong> stelle an die erste Stelle seine/ihre Sicherheit in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

c) Kaufe <strong>und</strong> verwende soweit als möglich die Produkte<br />

von gerechten <strong>und</strong> genossenschaftlichen<br />

Händlern, selbst wenn die Kosten über dem Durchschnitt<br />

liegen.<br />

d) Helfe <strong>und</strong> unterstütze religiöse <strong>und</strong> zivile Gruppen,<br />

die um <strong>Gerechtigkeit</strong> kämpfen (z.B. Amnesty<br />

International, usw.) <strong>und</strong> trete ihnen eventuell bei.<br />

e) Sei an politischem <strong>und</strong> sozialem Handeln in <strong>der</strong><br />

Gegend interessiert, indem du Gruppen zur Verteidigung<br />

<strong>der</strong> am stärksten ausgegrenzten Menschen<br />

hilfst, unterstützt <strong>und</strong> eventuell bil<strong>des</strong>t, auch auf<br />

Kosten <strong>der</strong> eigenen physischen Unversehrtheit <strong>und</strong><br />

Freiheit.<br />

f) Nimm überall <strong>und</strong> immer das Wahlrecht wahr.<br />

Wähle dann Parteien <strong>und</strong> Bewegungen, die sich um<br />

eine größere Gleichheit unter den Menschen<br />

mühen <strong>und</strong> die Freiheit <strong>des</strong> Gottesdienstes <strong>und</strong> die<br />

Würde <strong>der</strong> Person schützen.<br />

172<br />

Friede, unsere tägliche Schwester<br />

A. Auf Provinzebene:<br />

1. „Ad intra“<br />

a) För<strong>der</strong>e soviel wie möglich Augenblicke <strong>der</strong><br />

Gemeinschaft <strong>und</strong> Festlichkeiten.<br />

b) Mache soviel wie möglich „die guten Taten“<br />

<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> bekannt; för<strong>der</strong>e Kommunikation;<br />

wertschätze das Tun <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. „Kommunikation<br />

lässt Gemeinschaft wachsen“.<br />

c) Treffe die evangeliumsgemäße Option für<br />

Gewaltfreiheit <strong>und</strong> Antimilitarismus.<br />

2. „Ad extra“<br />

a) Bilde Gruppen von Brü<strong>der</strong>n als „<strong>Friedens</strong>stifter<br />

in Notsituationen“ (nach dem Vorbild <strong>der</strong> internationalen<br />

<strong>Friedens</strong>brigaden), die direkt dem Provinzialminister<br />

o<strong>der</strong> dem Provinzkoordinator für<br />

GFBS verantwortlich sind <strong>und</strong> die bereitstehen, um<br />

im Falle eines Konflikts in „heiße Zonen“ gesandt<br />

zu werden. Sie könnten durch ihre gewaltfreie<br />

Anwesenheit zum Frieden zwischen den Parteien<br />

beitragen. Solche Provinzgruppen sollten in ihrem<br />

Einsatz durch das GFBS-Büro in Rom koordiniert<br />

werden.<br />

b) Im Geist von Assisi för<strong>der</strong>e jährlich am 27. Oktober<br />

einen Tag <strong>des</strong> Fastens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Gebets für<br />

Frieden.<br />

B. Auf lokaler Ebene:<br />

1. „Ad intra“<br />

a) Bemüht euch um die Schaffung eines guten<br />

Klimas in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, grüßt euch täglich, <strong>und</strong><br />

teilt mit den Brü<strong>der</strong>n Freuden <strong>und</strong> Leiden; betet<br />

füreinan<strong>der</strong>; denkt an Geburts- <strong>und</strong> Namenstage<br />

<strong>und</strong> feiert sie.<br />

b) Versuche nicht, immer das letzte Wort zu haben.<br />

Nimm die Meinungen an<strong>der</strong>er an.<br />

c) Meine nicht, Opfer <strong>der</strong> Gemeinschaft zu sein,<br />

<strong>und</strong> mache niemanden zum Opfer.<br />

2. „Ad extra“<br />

a) Lebe Min<strong>der</strong>sein, allen untertan.<br />

b) Kritisiere nicht, richte niemanden, selbst auf<br />

Kosten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

c) Mache die Verweigerung <strong>des</strong> Militärdienstes aus<br />

Gewissensgründen <strong>und</strong> die Steuerverweigerung für<br />

Militärausgaben aus Gewissensgründen bekannt<br />

<strong>und</strong> unterstütze sie.


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

Schöpfung, unser gemeinsames Haus<br />

A. Auf Provinzebene:<br />

1. „Ad intra“<br />

a) Schule den Provinz- <strong>und</strong> die Konventsökonomen<br />

in ökologischer Gesinnung.<br />

b) In den Kursen <strong>der</strong> Anfangsausbildung wie <strong>der</strong><br />

ständigen Fortbildung sorge für Kurse in „menschengemäßer<br />

Ökologie“.<br />

2. „Ad extra“<br />

a) Kaufe Produkte in wie<strong>der</strong>verwertbaren Behältnissen;<br />

b) Veröffentliche alles auf recyceltem Papier.<br />

c) Bevorzuge Transportmittel, die Methan o<strong>der</strong><br />

Flüssiggas verbrauchen, auch wenn sie weniger wirkungsvoll<br />

sind.<br />

d) Kaufe Habitstoff, <strong>der</strong> so wenig wie möglich<br />

behandelt worden ist.<br />

B. Auf lokaler Ebene<br />

1. „Ad intra“<br />

a) Wi<strong>der</strong>setze dich dem weitverbreiteten Konsumismus,<br />

indem du einen bescheidenen Lebensstil, beson<strong>der</strong>s<br />

in Nahrung <strong>und</strong> Kleidung pflegst, <strong>und</strong> soweit<br />

wie möglich das Einfache <strong>und</strong> Natürliche wählst.<br />

b) För<strong>der</strong>e nicht, son<strong>der</strong>n WIDERSETZE dich allem,<br />

was dem „Wegwerf“-Stil entspricht.<br />

c) Trenne Abfall, beson<strong>der</strong>s Papier, Glas <strong>und</strong> Plastik.<br />

Je<strong>des</strong> Haus sollte einen o<strong>der</strong> mehrere Sammelorte<br />

haben <strong>und</strong> Personen, die für das Sammeln <strong>des</strong><br />

Materials verantwortlich sind.<br />

d) Lebe in Häusern, die mit Methan o<strong>der</strong> Naturgas<br />

beheizt werden. Wenn möglich gehe von Kohle <strong>und</strong><br />

Heizöl ab.<br />

e) Beschränke den Verbrauch an Energie <strong>und</strong> Wasser<br />

auf das unbedingt Notwendige.<br />

2. „Ad extra“<br />

a) Ermutige <strong>und</strong> unterstütze ökologische Bewegungen,<br />

welche die öffentliche Meinung gewaltfrei<br />

erziehen <strong>und</strong> Druck auf lokale, provinziale, regionale<br />

<strong>und</strong> nationale Verwaltungen ausüben, damit sie<br />

Maßnahmen zum Schutze <strong>der</strong> Schöpfung (Natur)<br />

ergreifen. Tritt ihnen bei o<strong>der</strong> bilde sie. Beispiel:<br />

Differenzierte Müllsammlung, ein ökologischeres<br />

Transport- <strong>und</strong> Industriesystem.<br />

b) Soweit möglich, verwende das Fahrrad als Transportmittel;<br />

es ist gleichzeitig ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nd<br />

<strong>und</strong> ohne Schadstoffausstoß.<br />

c) Wenn das Fahrrad nicht genutzt werden kann,<br />

nutze öffentliche Verkehrsmittel, wenn möglich<br />

solche, die elektrisch, mit Naturgas o<strong>der</strong> bleifreiem<br />

Benzin betrieben werden (in dieser Reihenfolge).<br />

d) Bebaue das Land mit natürlichen Düngemitteln<br />

unter Verzicht auf den größtmöglichen Ertrag.<br />

Achte auf saisonale Zyklen <strong>der</strong> Brache.<br />

e) Kaufe natürliche Produkte, die wenig Verschmutzung<br />

verursachen.<br />

Wie wir zu Beginn sagten, ist dies eine Liste von<br />

Vorschlägen, die nicht den Anspruch erhebt,<br />

vollständig zu sein <strong>und</strong> die sicherlich nicht alle<br />

möglichen geographischen Situationen <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

umfasst. Wir versuchten unseren Blickwinkel,<br />

soweit wir konnten, auszudehnen.<br />

Es liegt an dir, Bru<strong>der</strong>, <strong>und</strong> deinem Gewissen, die<br />

Botschaft, die wir dir im Licht <strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong><br />

unserer Gesetzgebung zu geben versuchten, in deiner<br />

Umgebung zu konkretisieren. Verwirkliche sie<br />

in deiner Umgebung <strong>und</strong> du kannst ein Zeichen <strong>der</strong><br />

Liebe Gottes werden, für die es keinen Ersatz gibt.<br />

Dieses Zeichen wird sich in einem Lebensstil ausdrücken,<br />

<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Nachfolge <strong>des</strong> hl. Franziskus<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> hl. Klara sowohl nüchtern wie auch voller<br />

Freude ist.<br />

Robert Cranchi <strong>OFM</strong><br />

173


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

b) Mission „Ad Gentes“<br />

Von Beginn an zeigt sich Ordensleben als Inkarnation<br />

von Gottes radikaler Liebe für seine Welt,<br />

als ein Zeichen <strong>der</strong> Radikalität <strong>des</strong> Evangeliums<br />

<strong>und</strong> als eine befreiende Kraft, welche die Welt verän<strong>der</strong>t.<br />

Es ist wert, daran zu erinnern, dass von<br />

seinen ersten Erscheinungsformen an Ordensleben<br />

nicht als ein Ausdruck <strong>der</strong> pastoralen o<strong>der</strong> caritativen<br />

Aktivität <strong>der</strong> Kirche definiert wurde, son<strong>der</strong>n<br />

vielmehr als ein sichtbares <strong>und</strong> lesbares Zeichen<br />

<strong>des</strong>sen, was es bedeutet, Kirche im Dienste <strong>der</strong><br />

Welt zu sein. Evangelisierung „Ad Gentes“ war,<br />

oft mit ihren dunklen wie ihren hellen Seiten,<br />

hauptsächlich das Werk <strong>der</strong> Ordensleute, Frauen<br />

<strong>und</strong> Männer, Laien <strong>und</strong> Kleriker. In je<strong>der</strong> Zeitepoche<br />

wurden beson<strong>der</strong>e Aspekte <strong>der</strong> Mission<br />

betont:<br />

■ In <strong>der</strong> Epoche <strong>der</strong> monastischen Orden könnte<br />

Mission „Ad Gentes“ so beschrieben werden,<br />

dass Zivilisation, Gesetz <strong>und</strong> Ordnung <strong>des</strong> Reiches<br />

Gottes ungebildeten, verarmten <strong>und</strong> oft<br />

gewalttätigen Menschen gebracht wurde.<br />

■ In <strong>der</strong> Epoche <strong>der</strong> Bettelorden <strong>und</strong> <strong>der</strong> Renaissance<br />

wurde Mission „Ad Gentes“ ein Projekt,<br />

um die einheimischen Menschen <strong>der</strong> Neuen<br />

Welt zu christianisieren.<br />

■ In <strong>der</strong> Zeit vom 18. Jahrh<strong>und</strong>ert bis zum Zweiten<br />

Vatikanischen Konzil bestand unsere Mission<br />

„Ad Gentes“ darin, weltweit soviele Menschen<br />

wie möglich zur Wahrheit, was für uns zu<br />

jener Zeit bedeutete, in die römisch-katholische<br />

Kirche zu bringen.<br />

Mission „Ad Gentes“ heute<br />

In den letzten dreißig Jahren haben sich nicht nur<br />

unser Lebensstil, unsere Kleidung <strong>und</strong> unser<br />

Gebetsleben verän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n auch unsere zivilen<br />

Gesellschaften haben sich mit unglaublicher<br />

Geschwindigkeit gewandelt. Innerhalb <strong>der</strong> Kirche<br />

haben starke Entwicklungen in <strong>der</strong> Bibelwissenschaft<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> theologischen Reflexion stattgef<strong>und</strong>en,<br />

wie auch eine Aufnahme <strong>der</strong> Natur- <strong>und</strong><br />

Sozialwissenschaften in unsere Theologien. Unser<br />

Verständnis von Gott, Kirche <strong>und</strong> Mission sind von<br />

diesen Verän<strong>der</strong>ungen betroffen.<br />

Vier Jahrh<strong>und</strong>erte <strong>der</strong> Beobachtung <strong>der</strong> Sonne, wie<br />

sie täglich am Horizont aufging <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>ging,<br />

gaben Menschen Anlass zu denken, dass wir <strong>der</strong><br />

174<br />

Mittelpunkt <strong>des</strong> Universums seien <strong>und</strong> dass die<br />

Sonne um uns kreise. Was als zufällige Beobachtung<br />

begann, wuchs zu einer Kosmologie, d.h. zu einer<br />

Deutung <strong>der</strong> Wahrnehmung. Aus dieser Kosmologie<br />

errichteten die christliche Kirche <strong>und</strong> die westliche<br />

Zivilisation eine vollständige Weltsicht, Gottes<br />

Plan für die menschliche Rasse, die Notwendigkeit<br />

von Erlösung, Gottesdienst, Gesetz, Ethik, Ikonographie,<br />

usw.. Die neuen Erkenntnisse Galileis<br />

waren nicht harmlose <strong>und</strong> neugierige Beobachtungen.<br />

Durch Verwendung einer einfachen neuen Linse<br />

brachte Galilei eine ungeheure Verschiebung in<br />

die Betrachtungsweise, wie Menschen ihren Standort<br />

<strong>und</strong> den unseres Sonnensystems innerhalb <strong>des</strong><br />

Universums verstanden. Die Erfahrung dieser neuen<br />

Weltsicht führte dazu, dass die vorherige Kosmologie<br />

<strong>und</strong> viele ihrer Folgesätze zusammenbrachen<br />

<strong>und</strong> neue <strong>der</strong>en Platz einnahmen. Diese Krise verlief<br />

nicht ohne ernste Probleme. Diese neue Information<br />

war eine ungeheure Bedrohung <strong>der</strong> Art <strong>und</strong><br />

Weise, wie Christen Gott, ihre Welt <strong>und</strong> ihren Platz<br />

in ihr verstanden. Die Bedrohung <strong>der</strong> kosmologischen<br />

Untermauerung <strong>der</strong> Gesellschaft war so stark,<br />

dass es nicht nur schwierig, son<strong>der</strong>n sogar gefährlich<br />

war, mit den Bischöfen darüber zu reden <strong>und</strong> zu<br />

versuchen, sie zu überzeugen, die Wirklichkeit auf<br />

neue Weise zu sehen.<br />

Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Krisenzeit,<br />

in <strong>der</strong> unsere kosmologischen Annahmen sich<br />

än<strong>der</strong>n. Vielleicht ist die neue Linse, die den Beginn<br />

einer neuen Kosmologie einführt, die Linse einer<br />

Kamera, durch die wir die Erde vom Mond aus<br />

sehen. Menschen auf <strong>der</strong> ganzen Welt hatten die<br />

gemeinsame Erfahrung, an<strong>der</strong>e Menschen das<br />

Gesetz <strong>der</strong> Schwerkraft brechen, sich in den Weltraum<br />

bewegen <strong>und</strong> unseren Planeten vom Mond<br />

aus wahrnehmen zu sehen, unseren kreisenden Planeten,<br />

<strong>der</strong> wie leuchten<strong>der</strong> Weihnachtsschmuck am<br />

schwarzen Himmel aufgehängt ist. Gemeinsam<br />

beobachteten wir uns selbst <strong>und</strong> unseren Planeten,<br />

einen Globus ohne Grenzen, zerbrechlich, allein<br />

<strong>und</strong> glänzend, von einer Kamera aufgenommen, die<br />

280.000 Meilen entfernt auf dem Mond stand.<br />

Heute definiert die eine Hälfte <strong>der</strong> Menschheit, die<br />

Frauen, sich <strong>und</strong> ihre Rechte im Gegensatz zur<br />

an<strong>der</strong>en Hälfte, <strong>der</strong> Männer. Dies ist vermutlich<br />

eine <strong>der</strong> bedeutsamsten Diskussionen in <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>der</strong> menschlichen Familie. Die Welt


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

wird zu einem globalen Dorf, in dem sich mehr<br />

Menschen für Spiritualität interessieren, sich aber<br />

nicht mit einer Religion identifizieren. Je mehr wir<br />

über die Schöpfung lernen <strong>und</strong> auf elektronischem<br />

Weg neue Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern in <strong>der</strong> ganzen<br />

Welt treffen, umso mehr wandelt sich unsere Wahrnehmung.<br />

Wir sehen nicht einfach die Natur <strong>und</strong><br />

einan<strong>der</strong> auf unterschiedliche Weise, son<strong>der</strong>n unser<br />

Verständnis von Gott wandelt sich. Weniger Menschen<br />

fürchten sich vor <strong>der</strong> Vorstellung von Gott.<br />

Alle Religionen werden als gut <strong>und</strong> hilfreich für den<br />

Weg <strong>der</strong> Menschen angesehen. Mehr <strong>und</strong> mehr<br />

konzentrieren sich spirituelle Bewegungen auf die<br />

Schöpfung <strong>und</strong> identifizieren sich mit dem Kampf<br />

<strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> für die Menschenrechte. Physiker,<br />

die noch vor kurzem als Feinde <strong>der</strong> Religion angesehen<br />

wurden, geben uns jetzt Vorlesungen darüber,<br />

wie Materie <strong>und</strong> Geist Aspekte <strong>der</strong> gleichen Wirklichkeit<br />

sind <strong>und</strong> dass die Gr<strong>und</strong>lage aller Materie<br />

<strong>der</strong> Geist ist.<br />

Zum ersten Mal in <strong>der</strong> Geschichte kann die gesamte<br />

menschliche Familie zur selben Zeit durch dieselbe<br />

Erfahrung ergriffen werden. Das Fernsehen hat uns<br />

um ein neues Dorffeuer versammelt. Wir sehen,<br />

wie das Weiße Haus in Moskau kritisiert wird;<br />

H<strong>und</strong>erte Millionen Menschen in jedem Land <strong>der</strong><br />

Welt halten im gleichen Augenblick den Atem an,<br />

während sie das Siegtor bei <strong>der</strong> Fußballweltmeisterschaft<br />

in Frankreich sehen. Wir können über<br />

geschlossene Grenzen hinweg Telefax versenden,<br />

über die Köpfe von Gewaltherrschern hinweg, <strong>und</strong><br />

können dadurch Menschen Hoffnung geben wie<br />

auch aktuelle Daten zu Menschenrechtsverletzungen<br />

weitergeben. Der Zugang zur Information hat<br />

die Macht von <strong>der</strong> Fabrikproduktion hin zur Information<br />

verschoben. Information gibt Menschen<br />

die Möglichkeit, Entscheidungen für ihr Leben zu<br />

treffen.<br />

In den letzten zehn Jahren sind wir Zeugen einer<br />

Verän<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Mission geworden:<br />

von einem kirchenzentrierten <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> ausschließlich<br />

christozentrischen Missionsmodell (<strong>und</strong> ebenso<br />

<strong>des</strong> Ordenslebens) zu einem Modell, das, obgleich<br />

kirchlich verwurzelt <strong>und</strong> auf wahrer Nachfolge<br />

gründend, offen ist für die Vorstellung <strong>der</strong> kommenden<br />

Welt, „den neuen Himmel <strong>und</strong> die neue<br />

Erde“, d.h. das Reich Gottes. Auf diese Weise<br />

bestimmt das Reich Gottes die Identität <strong>der</strong> Kirche<br />

<strong>und</strong> führt dazu, auch das Ordensleben in <strong>der</strong> Kirche<br />

neu zu bestimmen. Wenn die Identität <strong>der</strong> Kirche<br />

Mission ist, dann werden das Reich Gottes <strong>und</strong> seine<br />

Werte (Frieden, <strong>Gerechtigkeit</strong>, Gotteskindschaft<br />

<strong>und</strong> menschliche Gemeinschaft, bedingungslose<br />

Ehrfurcht vor allem Leben, Geschwisterlichkeit aller<br />

Völker unter einem Gott) die Ziele <strong>der</strong> kirchlichen<br />

Mission.<br />

Es scheint, dass die gegenwärtige Theologie eine<br />

große Übereinstimmung erreicht hat hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage für das Selbstverständnis <strong>der</strong> Kirche<br />

(<strong>und</strong> ebenso <strong>des</strong> Ordenslebens): Der Mittelpunkt<br />

<strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sendung Jesu war die Verkündigung<br />

<strong>des</strong> anbrechenden Reiches Gottes durch Worte,<br />

Gesten („Taten“) <strong>und</strong> vor allem durch seinen<br />

Tod <strong>und</strong> seine Auferstehung. Bibelwissenschaftler<br />

lehren uns, dass Jesu Selbstverständnis darin lag, <strong>der</strong><br />

Prophet dieser neuen Wirklichkeit zu sein, die<br />

Reich Gottes genannt wird. Er sprach von einem<br />

Gott, <strong>der</strong> sich mit jedem einzelnen Menschen verbindet,<br />

mit <strong>der</strong> gesamten Schöpfung, <strong>der</strong> Geschichte,<br />

in <strong>der</strong> <strong>und</strong> durch die seine Liebe sich ausbreitet<br />

<strong>und</strong> wächst bis ans Ende <strong>der</strong> Zeit. „Das Reich Gottes<br />

… ist die utopische Vision einer Gesellschaft <strong>der</strong><br />

Liebe, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Gleichheit, die auf <strong>der</strong><br />

inneren Verwandlung <strong>und</strong> Befähigung <strong>der</strong> Menschen<br />

beruht. Eine Vision, in <strong>der</strong> Menschen auf<br />

unterschiedliche Weise ‚handeln‘ <strong>und</strong> ‚zusammenleben‘,<br />

weil sie auf unterschiedliche Weise ‚sein‘ <strong>und</strong><br />

‚sich fühlen‘ werden“ (P. Knitter).<br />

Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Mission in<br />

das Zentrum <strong>des</strong> Selbstverständnisses <strong>der</strong> Kirche<br />

gestellt: Die Kirche ist von ihrer Natur her missionarisch.<br />

Mission gehört zu den Wesensmerkmalen<br />

<strong>der</strong> Kirche. Man könnte einfach sagen: Die Identität<br />

<strong>der</strong> Kirche ist Mission. Aus dieser Sicht entspringt<br />

Mission nicht einem beson<strong>der</strong>em Auftrag,<br />

den man von irgendeiner kirchlichen Autoritätsperson<br />

empfangen hat, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Taufe selbst,<br />

durch die je<strong>der</strong> Christ in diese „communio“ eingeführt<br />

ist. Eine „communio“, die kein geschlossener<br />

Kreis ist, son<strong>der</strong>n vielmehr ein lebendiger Organismus,<br />

<strong>des</strong>sen Natur im Akt <strong>des</strong> Teilens <strong>und</strong> Sich-hergebens<br />

besteht, d.h. fast so, wie Jesus sich um <strong>der</strong><br />

„vielen“ willen hingegeben hat. In einem sehr klarem<br />

Sinn existiert die Kirche nicht für sich selbst.<br />

Sie ist vielmehr, wie LUMEN GENTIUM erklärt, das<br />

„Sakrament“ <strong>der</strong> Gemeinschaft <strong>der</strong> Menschheit <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> gesamten Schöpfung mit Gott, das Sakrament<br />

175


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

von Gottes heilschaffendem <strong>und</strong> befreiendem Plan<br />

für seine Schöpfung.<br />

Mission <strong>und</strong> rückwirkende Mission<br />

Wenn wir über „Mission“ sprechen, ist es leicht<br />

nach einem Projekt Ausschau zu halten, ein Buch zu<br />

veröffentlichen, ein Traktat zu verfassen, einen Film<br />

zu produzieren, um den „Inhalt <strong>der</strong> Botschaft“ mitzuteilen,<br />

um das Leben an<strong>der</strong>er zum Besseren zu<br />

wandeln. Doch „Mission“ ist nicht das gleiche wie<br />

eine gewisse Menge an messbarer Information, die<br />

mitgeteilt, gelehrt o<strong>der</strong> übergeben wird. Es ist eine<br />

Haltung, gesandt zu sein, um durch Anwesenheit<br />

<strong>und</strong> vielleicht durch Wort das Reich Gottes zu<br />

verkünden.<br />

Vor 780 Jahren, in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Kreuzzüge, reiste<br />

unser Bru<strong>der</strong> Franziskus von Assisi mit <strong>der</strong> Absicht<br />

in den Osten, dem Sultan, dem Feind seines<br />

Volkes zu predigen. Wenn <strong>der</strong> Sultan sich bekehren<br />

würde, dann würde Frieden sein. Franziskus hatte<br />

Glück, denn <strong>der</strong> Sultan war ein weiser <strong>und</strong> offener<br />

Mann. Anstatt über die Predigt <strong>des</strong> Franziskus<br />

verärgert zu sein, lud ihn <strong>der</strong> Sultan ein, in seinem<br />

Lager zu leben <strong>und</strong> ihre Gespräche eine Zeitlang<br />

fortzusetzen. Franziskus erlebte eine weitere Bekehrung<br />

in seinem Leben. Er wurde zwar kein<br />

Muslim, doch er kehrte mit einer großen Ehrfurcht<br />

vor den „Sarazenen“ nach Assisi zurück. Er selbst<br />

war tiefer evangelisiert worden als <strong>der</strong> Sultan.<br />

In <strong>der</strong> nicht bullierten Regel für unser Leben<br />

schrieb Franziskus, dass die Brü<strong>der</strong>, die unter die<br />

„Sarazenen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Ungläubige“ gehen, unter<br />

diesen Menschen allen „untertan“ leben, mit niemandem<br />

streiten <strong>und</strong> durch ihr Leben Zeugnis für<br />

ihren Glauben als Christen ablegen sollten. Nur<br />

wenn <strong>und</strong> wann es Gott gefalle, sollten sie predigen<br />

<strong>und</strong> taufen.<br />

Franziskus hinterließ uns ein w<strong>und</strong>erbares Modell<br />

von Evangelisierung <strong>und</strong> Mission. Wir kommen in<br />

eine Situation, die uns fremd ist, <strong>und</strong> wir leben ehrfurchtsvoll<br />

mit Menschen, während wir ihre Bräuche<br />

verstehen lernen. Wir debattieren nicht mit<br />

ihnen <strong>und</strong> wir versuchen nicht zu predigen, bis<br />

Gott uns zeigt, dass wir es tun sollten.<br />

Mission ist so eine Haltung, ein Standpunkt, eine<br />

Erleuchtung (Buddha), die es uns gestattet zu<br />

176<br />

sehen, was tatsächlich da ist: den demütigen <strong>und</strong><br />

einfachen Gott zu sehen <strong>und</strong> zu erfahren, <strong>der</strong> unter<br />

uns lebt, o<strong>der</strong> besser ausgedrückt: uns, die wir in<br />

Gott leben. Mission ist die Entscheidung, deine<br />

Augen offen zu halten <strong>und</strong> ein Zeuge <strong>des</strong> Reiches<br />

Gottes zu sein, in dem Geist <strong>und</strong> Materie in Harmonie<br />

existieren. Mission heißt an das Reich Gottes<br />

zu glauben <strong>und</strong> auf es zu hoffen, das um uns ist, das<br />

sich unter <strong>der</strong> Oberfläche <strong>des</strong> Lebens verbirgt, das<br />

in je<strong>der</strong> Person lebt. Es ist eine entschiedene Haltung,<br />

eine Einstellung hin auf Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

eine Sehnsucht, alles so zu sehen, wie es von<br />

Gott beabsichtigt ist. Es hat die Fähigkeit, das Verborgene<br />

ans Licht zu bringen, wie <strong>der</strong> „Verwalter,<br />

<strong>der</strong> aus dem Vorrat seine Schätze hervorholt“.<br />

Mission ist eine Sicht- <strong>und</strong> Verstehensweise <strong>der</strong><br />

Welt <strong>und</strong> ihrer Menschen mit dem Glauben an die<br />

Menschwerdung von Gottes Liebe. Es gibt eine<br />

w<strong>und</strong>erbare Geschichte über den hl. Ignatius von<br />

Loyola, die diese Haltung <strong>des</strong> Glaubens beschreibt.<br />

Als <strong>der</strong> hl. Ignatius als alter Mann zurückgezogen<br />

lebte, wurde er oft beobachtet, wie er im Garten<br />

zwischen den Blumen spazierenging. Je<strong>des</strong>mal,<br />

wenn er sich schwankend einer Blume in voller<br />

Blüte näherte, stieß er sie sanft mit seinem Spazierstock<br />

an <strong>und</strong> sagte: „Ich weiß, ich weiß, mach<br />

darüber kein solches Geschrei!“<br />

Jüngerschaft –<br />

eine Gr<strong>und</strong>haltung für alle Zeiten<br />

Es war nicht nur <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> Lehre Jesu, die die<br />

Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Apostel fesselte. Es war auch<br />

sein persönliches Interesse an ihnen <strong>und</strong> sein kraftvoller<br />

Ruf. Sein Ruf an sie, die Augen zu öffnen,<br />

sich <strong>des</strong> Reiches Gottes bewusst zu werden, das in<br />

ihnen <strong>und</strong> um sie herum war, sodass sie frei sein<br />

konnten, ihr wahres Selbst authentisch zu leben.<br />

In Simon, <strong>der</strong> im Hof <strong>des</strong> Hohenpriesters vor einer<br />

Dienerin öffentlich leugnete ihn zu kennen, sah<br />

Jesus unter dem Schwanken eines Feiglings die<br />

verborgene Kraft eines großen Führers; er sah die<br />

verborgene Fre<strong>und</strong>lichkeit von Jakobus <strong>und</strong><br />

Johannes, die beide Feuer <strong>und</strong> Schwefel von Sodom<br />

<strong>und</strong> Gomorra auf die samaritanische Stadt herabrufen<br />

wollten, die ihnen keine Unterkunft für die<br />

Nacht geben hatten; es sah die verborgene Ehrlichkeit<br />

<strong>des</strong> Zachäus, <strong>der</strong> all denen Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />

versprach, die er betrogen hatte; es sah<br />

die verborgene Integrität in dem Apostel <strong>und</strong>


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

Märtyrer Matthäus, <strong>der</strong> bereit gewesen war, für<br />

den Feind zu arbeiten <strong>und</strong> Steuergel<strong>der</strong> von seinem<br />

eigenen Volk einzutreiben. Unsere Sendung besteht<br />

darin, denen zu helfen, die blind, taub <strong>und</strong> gleichgültig<br />

dafür sind, das Reich Gottes, das in ihnen<br />

<strong>und</strong> um sie herum ist, zu erfahren <strong>und</strong> darauf zu<br />

antworten.<br />

Fragen<br />

Die Ausrichtung am Reich Gottes wird viele Fragen<br />

aufwerfen über die Art <strong>und</strong> Weise, wie wir unsere<br />

Aufgabe wahrnehmen, wenn wir zur Mission aufbrechen:<br />

Zum Beispiel, was bedeutet es für uns als<br />

Ordensleute, in China zu sein o<strong>der</strong> in Zukunft nach<br />

China zu gehen? Was wäre die Absicht einer solchen<br />

Mission? Die Chinesen haben die älteste Zivilisation<br />

<strong>der</strong> Welt. Wir glauben, dass Gott für Tausende von<br />

Jahren das chinesische Volk geliebt, dass er unter<br />

ihnen gelebt <strong>und</strong> gearbeitet hat. Warum also fühlen<br />

wir uns berufen, unter ihnen zu leben? Was könnten<br />

wir ihnen mitteilen o<strong>der</strong> von ihnen erfragen?<br />

Welche Lehren ziehen wir aus unserer jüngsten<br />

Erfahrung <strong>der</strong> Evangelisierung in Ruanda? In an<strong>der</strong>en<br />

Teilen Afrikas? Was sagen wir zur Notwendigkeit,<br />

dass religiöse Gemeinschaften als aktive<br />

NGO’s bei den Vereinten Nationen tätig sind? Wie<br />

können wir unseren Glauben an den gestorbenen,<br />

auferstandenen <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>kommenden Christus<br />

vor <strong>der</strong> UNO predigen <strong>und</strong> bezeugen?<br />

Wenn wir die Kirche o<strong>der</strong> unsere Ordensgemeinschaften<br />

in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n einpflanzen, wie<br />

beweglich, flexibel <strong>und</strong> arm sind wir? Wie ehrfurchtsvoll<br />

ist unser Verhalten gegenüber <strong>der</strong> Kultur<br />

<strong>und</strong> den Bräuchen unserer Gastgeber? Behalten wir<br />

den Besitzanspruch auf Strukturen <strong>und</strong> auf die jungen<br />

lokalen Kirchen? Ist jetzt nicht die Zeit gekommen,<br />

dass die „jungen“, von unseren Gemeinschaften<br />

entwickelten Kirchen selbst aktiv werden <strong>und</strong><br />

Missionare „senden“? Warum gibt es nicht mehr<br />

Missionare aus Afrika, Asien <strong>und</strong> Lateinamerika?<br />

Evangelisieren wir durch unser Zeugnis für die<br />

evangelische Würde <strong>und</strong> Gleichheit untereinan<strong>der</strong><br />

– Laien <strong>und</strong> Kleriker, Männer <strong>und</strong> Frauen – wo wir<br />

doch alle durch die gleiche gr<strong>und</strong>legende Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Evangelisierung verb<strong>und</strong>en sind? Exportieren<br />

wir unsere alten Probleme <strong>und</strong> Trennungen in die<br />

jungen Kirchen?<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

Was ist über die Erneuerung <strong>des</strong> Ordenslebens <strong>und</strong><br />

unserer Mission „Ad Gentes“ zu sagen? Damit wir<br />

uns nicht selbst betrügen, müssen wir uns daran<br />

erinnern, dass in <strong>der</strong> Natur die Erneuerung zumeist<br />

durch den Tod geschieht. Wenn <strong>der</strong> Samen nicht in<br />

die Erde fällt <strong>und</strong> stirbt, wird er kein Weizenkorn<br />

hervorbringen. Der Tod öffnet uns die Möglichkeit<br />

<strong>des</strong> Fortschritts <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entwicklung, eine Wie<strong>der</strong>geburt<br />

zu Leben, das sehr verschieden ist vom vorhergehenden<br />

Zustand. Vielleicht sollten wir vorbereitet<br />

sein für die nächste Aussaat, <strong>und</strong> wie <strong>der</strong> Same<br />

können wir nur glauben <strong>und</strong> hoffen, dass die unbekannte<br />

Zukunft in uns ist. Vielleicht werden wir<br />

gerade jetzt über die Schwelle in die nächste Periode<br />

gezogen. Oft gibt es Wi<strong>der</strong>stand, wenn die Schöpfung<br />

in eine grenzüberschreitende Entwicklung eintritt.<br />

Neue Energie entsteht durch Reibung, verursacht<br />

durch den Wi<strong>der</strong>stand gegenüber dem evolutionären<br />

Vorwärtsdrängen. Diese neue Energie hilft<br />

dazu, die Schöpfung zu ihrer nächsten Stufe voranzutreiben.<br />

Alle unsere Gemeinschaften, die daheim wie die<br />

im Ausland, müssen sich an die Aufgaben anpassen,<br />

die uns umgeben: die Herausfor<strong>der</strong>ung, kleinere<br />

Gruppen von Christen zu bilden, die ein am Evangelium<br />

orientiertes Leben unter Menschen leben,<br />

die gegenüber dem Reich Gottes gleichgültig, blind<br />

o<strong>der</strong> feindlich eingestellt sind; zu lernen, in internationalen<br />

<strong>und</strong> interkulturellen Gemeinschaften zu<br />

leben, nicht wegen <strong>der</strong> Notwendigkeit, son<strong>der</strong>n<br />

als ein öffentliches Zeugnis für die Solidarität <strong>der</strong><br />

menschlichen Rasse; gemeinsam zu arbeiten, Männer<br />

mit Frauen, Frauen mit Männern; auf einer<br />

geregelten Gr<strong>und</strong>lage mit Menschen an<strong>der</strong>er Religionen<br />

zu leben <strong>und</strong> zu arbeiten; mit <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

<strong>der</strong> Wissenschaft die Botschaft zu teilen,<br />

dass Gott Teil <strong>der</strong> Schöpfung geworden ist; für die,<br />

die keine Stimme haben, auf öffentlichen Treffen<br />

wie dem Weltgipfel über soziale Entwicklung<br />

(Kopenhagen), <strong>der</strong> Weltfrauenkonferenz (Peking),<br />

<strong>der</strong> Weltkonferenz über Wohnen (Habitat) (Türkei)<br />

zu sprechen.<br />

Lehren über die Erneuerung <strong>des</strong> Ordenslebens <strong>und</strong><br />

unserer Mission „Ad Gentes“ können wir aufnehmen<br />

von unseren kleinen Schwestern <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>n,<br />

den Wasserstoff- <strong>und</strong> Sauerstoffmolekülen; auch<br />

wenn sie als einzelne noch so klar begrenzt <strong>und</strong><br />

177


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

nützlich sind, finden sie doch durch Verschmelzung<br />

neues Leben, indem sie sich selbst verlieren <strong>und</strong> zu<br />

unserer Schwester Wasser werden, die Franziskus<br />

uns als nützlich, demütig, kostbar <strong>und</strong> keusch<br />

besingt. Im Wasser finden Wasserstoff <strong>und</strong> Sauerstoff<br />

eine zeitweilige <strong>und</strong> nützliche Erfüllung, die<br />

nicht vorhersehbar war. Doch ein je<strong>der</strong> muss sich<br />

än<strong>der</strong>n, bekehren, verlieren, um sich zu vereinen,<br />

etwas Neues zu werden. In ihrer frühen Geschichte<br />

wan<strong>der</strong>te die Botschaft <strong>der</strong> Inkarnation aus ihrer<br />

jüdischen Heimat in den Westen; nach Griechenland<br />

<strong>und</strong> Rom, wo es zu einer Fusion zwischen <strong>der</strong><br />

Botschaft <strong>des</strong> Ostens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kultur <strong>des</strong> Westens<br />

kam. Auf vielerlei Weisen ist dieser Austausch o<strong>der</strong><br />

diese Vereinigung <strong>der</strong> Fusion von Wasserstoff <strong>und</strong><br />

Sauerstoff ähnlich, welche unsere fre<strong>und</strong>liche<br />

Schwester Wasser hervorbringen. Eine Frage an uns:<br />

Sind wir persönlich o<strong>der</strong> institutionell vorbereitet,<br />

das Molekül unserer Welt zu bringen <strong>und</strong> es vollständig<br />

mit einer an<strong>der</strong>en Welt verschmelzen zu lassen,<br />

sodass ein neues Verständnis von Inkarnation<br />

<strong>und</strong> ihren Verzweigungen entstehen kann? Was<br />

wäre z.B., wenn <strong>der</strong> Westen seine Welt <strong>der</strong> Theologie<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Reflexion hergeben würde <strong>und</strong> sie von<br />

den Lehren <strong>des</strong> Konfuzius verwandeln <strong>und</strong> inkulturieren<br />

ließe, sodass eine chinesisch katholische Kirche<br />

entstünde?<br />

Viel Ordensleben, wie wir es kannten, liegt im<br />

Sterben <strong>und</strong> wandelt sich zu neuem Leben, das<br />

noch unbekannt, ja ungeahnt ist. Im nächsten<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, glaube ich, wird es verschiedene Erfahrungen<br />

<strong>des</strong> Ordenslebens in <strong>der</strong> Kirche geben.<br />

Sie werden nicht nur verschieden sein, son<strong>der</strong>n sie<br />

werden von unterschiedlichen Ekklesiologien <strong>und</strong><br />

von sehr verschiedenen sozialen Situationen ausgehen.<br />

In einigen Län<strong>der</strong>n werden Ordensgemeinschaften<br />

aufblühen, wie sie es vor fünfzig, sechzig<br />

Jahren im Norden getan haben. An an<strong>der</strong>en Orten<br />

wird die Antwort auf unser Beten, trotz unserer<br />

besten Absichten <strong>und</strong> Bemühungen, eine kleinere<br />

Zahl, ja sogar das Verschwinden einiger Gemeinschaften<br />

sein, die <strong>der</strong> Kirche in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

sehr gut dienten. Es werden auch neue Formen <strong>des</strong><br />

Ordenslebens aus <strong>der</strong> Kirche für die globale Gesellschaft<br />

hervorgebracht, Formen die mit ihren Vorläufern<br />

in Einklang stehen, aber verschieden sind,<br />

vielleicht so verschieden wie ein Samenkorn<br />

verglichen mit einem Schössling.<br />

178<br />

Wie das blühende Gemeinwesen von Assisi <strong>der</strong><br />

Katalysator für die Neuerung <strong>des</strong> Franziskus <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Klara war, so können wir erwarten, dass unsere<br />

neue Welt <strong>der</strong> Katalysator sein wird für neue geistliche<br />

Führer, neue Lebensformen, die öffentlich Gott<br />

gewidmet sind. Diese neuen Formen von „Ordensleben“<br />

werden in Frische <strong>und</strong> Kühnheit auf die<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen antworten, welche von dem<br />

sich entwickelnden globalen Dorf gestellt werden.<br />

Sie werden wahrscheinlich damit beschäftigt sein,<br />

die Augen jener zu öffnen, welche die offensichtlichen<br />

Teile <strong>des</strong> Reiches Gottes nicht sehen können.<br />

Man muss auf die Gefahr hinweisen, das Ordensleben<br />

unkorrekt zu lesen; eine Gefahr, die sowohl in<br />

den Ortskirchen <strong>des</strong> Südens wie <strong>des</strong> Nordens<br />

besteht: Einige achten nur auf den Aspekt <strong>des</strong><br />

Nutzens <strong>und</strong> verweisen so auf den Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

„Raison d’etre“, dem gr<strong>und</strong>legenden Charisma <strong>des</strong><br />

Ordenslebens, das darin besteht, ein demütiges <strong>und</strong><br />

dennoch prophetisches Zeichen von Gottes liebevoller<br />

Anwesenheit in <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> in <strong>der</strong> gesamten<br />

Schöpfung, ein Zeichen <strong>des</strong> lebendigen Geistes zu<br />

sein, <strong>der</strong> eine neue Inkarnation <strong>des</strong> Evangeliums<br />

entstehen lässt <strong>und</strong> das Kommen <strong>des</strong> Reiches Gottes<br />

in den verschiedenen Kulturen <strong>der</strong> Welt bezeugt.<br />

Ich möchte betonen, dass Ordensleben in seiner<br />

tiefsten Dimension nicht ein Mittel für den pastoralen<br />

Dienst ist. Vielmehr ist es wesentlich in sich<br />

bedeutsam, in seinem <strong>und</strong> durch sein Zeugnis für<br />

Gott <strong>und</strong> die verwandelnde Kraft <strong>des</strong> Evangeliums<br />

in <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Gesellschaft. „Das Apostolat<br />

aller Ordensleute besteht in erster Linie im<br />

Zeugnis ihres geweihten Lebens, das sie durch<br />

Gebet <strong>und</strong> Buße pflegen müssen“ (CIC 673).<br />

Zusammenfassung<br />

Einige beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

1. Der Ruf zu neuen Zielen<br />

Ordensleben lehnt Grenzen ab. (Franziskus antwortet<br />

auf die Bitte von Herrin Armut, ihm die<br />

Zellen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> zu zeigen: „Unser Kloster ist die<br />

Welt“). Öfter wi<strong>der</strong>setzt sich Ordensleben strikten<br />

Definitionen, <strong>der</strong> Benennung struktureller Elemente<br />

<strong>und</strong> geographischer Grenzziehungen. Seiner<br />

Natur nach ist es dynamisch <strong>und</strong> nicht statisch.


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

Ordensleben war oft <strong>der</strong> erste Urheber von Verän<strong>der</strong>ung<br />

in Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft. In seinem<br />

Wesen ist es ein beständiges Trachten nach dem<br />

„Letztgültigen“ in Leben <strong>und</strong> Geschichte, die fortgesetzte<br />

Suche nach <strong>der</strong> Fülle <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Geschichte. Ordensleben atmet <strong>und</strong> feiert die Endzeit<br />

schon im Heute. So ist es Verkündigung, Vorwegnahme<br />

<strong>und</strong> Prophetie. Ordensleben mit seiner<br />

Sendung „Ad Gentes“ ist ein Zeichen <strong>des</strong> Reiches<br />

Gottes mit seiner Spannung zwischen „schon“ <strong>und</strong><br />

„noch nicht“.<br />

Hier einige einfache Fragen für euer Nachdenken<br />

<strong>und</strong> Diskutieren:<br />

■ Sind wir die Anwesenheit <strong>des</strong> auferstandenen<br />

Herrn in <strong>der</strong> Welt?<br />

■ Sind wir die Stimme <strong>des</strong> Armen, die in einer<br />

strukturell ungerechten Welt gehört werden<br />

will?<br />

■ Sind wir ein Schrei nach <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>der</strong><br />

nicht leicht zum Schweigen gebracht wird?<br />

■ Sind wir Zeichen <strong>und</strong> „Sakramente“ eines mitleidenden<br />

Gottes?<br />

■ Sind wir Alternativen zu Habgier, Nationalismus,<br />

Konsumismus, Rassismus, Aufwärtsstreben?<br />

■ Sind wir <strong>Friedens</strong>stifter, bei denen <strong>der</strong> Friede<br />

zuerst in unseren eigenen Herzen <strong>und</strong> in unseren<br />

Gemeinschaften regiert?<br />

■ Sind wir ein Wort <strong>der</strong> Hoffnung, ein Lied <strong>der</strong><br />

Ermutigung <strong>und</strong> Hoffnung für jene, die Mut<br />

brauchen?<br />

■ Sind wir Verwalter unserer Mutter Erde?<br />

■ Sammeln wir den Fremden, den Auslän<strong>der</strong>, die<br />

Witwe, den Waisen, den Flüchtling, den Asylsuchenden,<br />

den Arbeitslosen, den Vergessenen?<br />

■ Sind wir Zeichen einer versöhnten Kirche<br />

(das Problem, internationale Gemeinschaften<br />

zu sein …)?<br />

■ Sind wir die beson<strong>der</strong>e Gabe an die Kirche, die<br />

sie zu ihrer anfänglichen Liebe <strong>und</strong> Jüngerschaft<br />

zurückruft?<br />

2. „Pascha“<br />

Jesu Sendung war ein persönliches „Pascha“<br />

(KENOSIS), ein Hinübergehen von dem, was<br />

vertraut <strong>und</strong> sicher ist, zu einer Welt <strong>der</strong> Sün<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> Ausgestoßenen, <strong>der</strong> Gleichgültigen, <strong>der</strong><br />

Verdorbenen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Unreinen. Eine schöpferische<br />

Nachfolge Jesu muss heute das Hinübergehen unserer<br />

Gemeinschaft in die Lebenswelt <strong>der</strong> Armen in<br />

Betracht ziehen <strong>und</strong> erfüllen; unsere Option für die<br />

Armen führt zu einer Selbstentäußerung in an<strong>der</strong>e<br />

Kontexte <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Kulturen, zu einer echten<br />

Inkulturation.<br />

3. Eine inkulturierte Kirche begründen<br />

Wir sprechen über die Notwendigkeit, aufrichtig<br />

zu handeln, um eine Kirche zu begründen, die<br />

gleichermaßen inkulturiert <strong>und</strong> international<br />

(„katholisch“) ist. Da wir heute den Vorteil <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>und</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Sozialwissenschaften<br />

haben, sollten wir nicht übereilt <strong>und</strong> blind handeln.<br />

Wir müssen sorgfältig sein, um die Gefahr <strong>der</strong><br />

Nicht-Mitteilbarkeit durch einen oberflächlichen<br />

<strong>und</strong> fehlerhaften Entwurf von Inkulturation zu vermeiden.<br />

Wir müssen auch auf <strong>der</strong> Hut sein vor<br />

einem neuen Nationalismus, <strong>der</strong> sich in <strong>der</strong> Sprache<br />

<strong>der</strong> Inkulturation <strong>und</strong> <strong>der</strong> „Ehrfurcht vor den<br />

Kulturen“ verbergen kann. Ein wesentlicher Teil<br />

unserer Mission „Ad Gentes“ besteht darin, vermeiden<br />

zu helfen, dass Menschen in die Falle <strong>der</strong><br />

zerstörerischen Elemente <strong>des</strong> Stammesdenkens<br />

gelockt zu werden. Doch bevor wir an an<strong>der</strong>e Orte<br />

gehen, um an<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schwestern Ratschläge<br />

zu geben, müssen wir sicherstellen, dass wir<br />

die gleichen menschlichen Probleme innerhalb<br />

unserer eigenen Gemeinschaften angegangen<br />

sind.<br />

4. Die Würde <strong>und</strong> Gleichheit<br />

<strong>des</strong> Evangeliums bezeugen<br />

Dieser letzte Punkt bringt mich zu <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

dass wir durch unser Zeugnis für die Würde<br />

<strong>und</strong> die Gleichheit <strong>des</strong> Evangeliums evangelisieren,<br />

die wir unter uns selbst verwirklichen. Wir haben<br />

weiterhin historische Probleme, die die Beziehungen<br />

zwischen Laien <strong>und</strong> Klerikern, zwischen Männern<br />

<strong>und</strong> Frauen betreffen, <strong>und</strong> doch sind alle<br />

untereinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en durch die gleiche gr<strong>und</strong>legende<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Evangelisierung. Es ist für uns<br />

als religiöse Gemeinschaften wichtig, uns zu überprüfen<br />

<strong>und</strong> zu fragen: Exportieren wir unsere alten<br />

Probleme <strong>und</strong> Trennungen in die jungen Kirchen?<br />

Versöhnung muss täglich unter uns stattfinden,<br />

wenn wir hoffen, Zeugen <strong>des</strong> Reiches Gottes unter<br />

an<strong>der</strong>en Nationen, Stämmen <strong>und</strong> Kulturen zu sein.<br />

179


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

Die Botschaft, die wir durch Wort <strong>und</strong> Tat predigen,<br />

muss eine inkarnierte Botschaft sein, d.h. sie<br />

muss unsere feste Überzeugung deutlich machen,<br />

dass Gott die Schöpfung <strong>und</strong> unsere Gesellschaften<br />

ernst nimmt. Mission „Ad Gentes“ muss die Klugheit<br />

<strong>und</strong> die Verpflichtung für den Kampf an <strong>der</strong><br />

Seite <strong>des</strong> Armen einschließen, wie es die Soziallehre<br />

<strong>der</strong> Kirche beschrieben hat. Unsere Arbeit für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden ist ein unerlässlicher Teil<br />

<strong>der</strong> Evangelisierung. Dialog ist ein wesentliches Element<br />

unserer Mission „Ad Gentes“ – ein Dialog,<br />

wie er auf öffentliche Weise auf dem berühmten<br />

Treffen <strong>der</strong> Weltreligionen 1986 in Assisi stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat.<br />

180<br />

Hermann Schalück <strong>OFM</strong><br />

c) <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Pfarrarbeit<br />

Im Mittelpunkt dieses Abschnittes steht die Frage,<br />

wie wir die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in die Pfarrarbeit integrieren<br />

können?<br />

Um uns in <strong>der</strong> Reflexion zu helfen, verfolgen wir<br />

das folgende Ziel: <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung sind ein gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong><br />

Teil <strong>der</strong> Pfarrarbeit <strong>und</strong> nicht die Aufgabe weniger<br />

Spezialisten.<br />

Wir hoffen, dass die folgenden Ideen <strong>und</strong> praktischen<br />

Hinweise dem pfarrlichen Engagement für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie helfen mögen.<br />

Wir betrachten folgende Fel<strong>der</strong>:<br />

1. Der dreifache Dienst Jesu<br />

2. Die sozialen <strong>und</strong> prophetischen Dienste<br />

3. Die Pfarrei <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Gruppen<br />

4. Die Ausbildung <strong>der</strong> Leiter<br />

5. Das Volk verstehen<br />

6. Die Rolle <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />

Der dreifache Dienst Jesu<br />

Jede Pfarrei versucht in unterschiedlichen Graden in<br />

ihren Strukturen <strong>und</strong> Projekten den dreifachen<br />

Dienst Jesu (prophetischer, liturgischer <strong>und</strong> sozialer<br />

Dienst) zu integrieren.<br />

Es ist schwierig, eine ausgewogene Pastoral zu entwickeln.<br />

Manchmal entwickelt sich ein Dienst zum<br />

Schaden <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Es ist leichter, die Menschen<br />

für die liturgischen <strong>und</strong> sakramentalen Dienste zu<br />

begeistern, als für die sozialen <strong>und</strong> prophetischen.<br />

Das Ziel einer ausgewogenen Pastoral liegt darin,<br />

Jesus <strong>und</strong> sein Evangelium in seiner Entschiedenheit<br />

darzustellen <strong>und</strong> nicht nur Aspekte, die uns<br />

gefallen o<strong>der</strong> die leichter zu vermitteln sind.<br />

Mit Klarheit in diesem Punkt ist es leichter, <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Ökologie in die Pfarrarbeit zu<br />

integrieren. Eine gute Koordination <strong>der</strong> Dienste ist<br />

gr<strong>und</strong>legend. Damit entstehen eine Reihe von<br />

Schwierigkeiten: Die Unabhängigkeit von Gruppen<br />

<strong>und</strong> Bewegungen, ein Zusammenbrechen <strong>der</strong> Einheit<br />

<strong>und</strong> die Unfähigkeit, gemeinsame Ziele zu verfolgen.<br />

Wir schlagen vor, dass jede Pfarrei sich um einen<br />

koordinierten <strong>und</strong> teilnehmenden Pfarrgemein<strong>der</strong>at


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

bemüht, in dem Menschen <strong>der</strong> verschiedenen kirchlichen<br />

Gruppen <strong>und</strong> Dienste vertreten sind. Im<br />

Blick auf das Tempo, die Kultur <strong>und</strong> die sozial-politische<br />

<strong>und</strong> religiöse Situation <strong>der</strong> Menschen ist es<br />

wesentlich, einen Pastoralplan mit Schwerpunkten<br />

auszuarbeiten, die ausgewertet werden können.<br />

Die sozialen <strong>und</strong> prophetischen Dienste<br />

Das Team <strong>und</strong> die Kommissionen <strong>der</strong> sozialen<br />

<strong>und</strong> prophetischen Dienste sind direkt, aber nicht<br />

ausschließlich für die För<strong>der</strong>ung von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Ökologie in <strong>der</strong> Pfarrei verantwortlich.<br />

Entsprechend <strong>der</strong> Pfarreistudie über die sozio-ökonomische<br />

<strong>und</strong> politische Wirklichkeit (Diagnose),<br />

soweit vorhanden, können diese Kommissionen<br />

Bereiche <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> verletzlichsten<br />

Gruppen ausmachen, die Aufmerksamkeit<br />

verlangen. Keine Pfarrei kann auf alle Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

antworten. Deshalb ist es notwendig,<br />

eine Liste <strong>der</strong> dringendsten Anliegen zur Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Menschen aufzustellen, die man in den<br />

Mittelpunkt stellen will, <strong>und</strong> <strong>der</strong> damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Themen, die durch die Gemeinschaften <strong>und</strong><br />

Gruppen <strong>der</strong> Pfarrei bedacht werden müssen.<br />

Ob das Problem Mangel an Wasser, Umweltverschmutzung,<br />

vertriebene Menschen o<strong>der</strong> Ablehnung<br />

einer bestimmten Gruppe heißt, es ist für die<br />

Pfarrei möglich, einen Prozess <strong>des</strong> Nachdenkens in<br />

Gang zu setzen mit dem Ziel, geeignete Aktionen<br />

vorzubereiten, welche die Situation beheben. Aktionen<br />

sollten die Frucht <strong>des</strong> Nachdenkens sein <strong>und</strong><br />

wo möglich unter Beteiligung <strong>der</strong> größtmöglichen<br />

Zahl an Pfarrmitglie<strong>der</strong>n; wenn die Arbeit ausgeführt<br />

ist, sollte sie ausgewertet werden. Oft sind die<br />

Ergebnisse weniger wichtig als <strong>der</strong> gemeinsam<br />

gestaltete Prozess. Viele Initiativen werden fehlschlagen,<br />

doch einige schließlich Erfolg haben. Projekte,<br />

an denen alle beteiligt sind <strong>und</strong> die manchmal<br />

fehlschlagen, sind besser als erfolgreiche Projekte<br />

von wenigen. Es ist besser eine Schlacht zu verlieren<br />

<strong>und</strong> den Krieg zu gewinnen.<br />

Gleichzeitig wird es aber immer beson<strong>der</strong>e Fel<strong>der</strong><br />

geben, die unmittelbares Handeln durch wenige<br />

erfor<strong>der</strong>n. Nicht die Anzahl <strong>der</strong> Initiativen o<strong>der</strong><br />

Antworten auf lokale, nationale <strong>und</strong> internationale<br />

Probleme zählt, son<strong>der</strong>n dass sie koordiniert werden<br />

<strong>und</strong> dass die gesamte Gemeinschaft in den Informationsprozess<br />

einbezogen wird.<br />

Es ist nicht ratsam, die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Ökologie auf wenige Spezialisten zu<br />

reduzieren. Wenn Menschen diese Arbeit mit einer<br />

bestimmten Gruppe identifizieren, dann liegt es in<br />

<strong>der</strong> menschlichen Natur, dass man dieser die Arbeit<br />

überlässt. Jede Arbeit wird von wenigen begonnen.<br />

Diese wenigen sollten jedoch die Weitsicht besitzen,<br />

an<strong>der</strong>e zu beteiligen, <strong>und</strong> bereit sein, Verantwortlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Führung zu übertragen, wenn es<br />

geboten ist.<br />

Die Pfarrei <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Gruppen<br />

1. Pfarreien sind nicht die Einzigen, die sich mit<br />

Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie<br />

beschäftigen. Stärke besteht in dem Maße, wie<br />

Menschen geeint sind. Die Pfarrei sollte es sich<br />

zur Aufgabe machen, alle an<strong>der</strong>en Gruppen,<br />

Organisationen <strong>und</strong> Kirchen kennenzulernen, die<br />

Leben <strong>und</strong> menschliche Würde för<strong>der</strong>n: Gemeinschaftsorganisationen,<br />

politische Parteien, Gewerkschaften,<br />

Vereine, Stadträte, protestantische <strong>und</strong><br />

orthodoxe Kirchen, an<strong>der</strong>e Konfessionen <strong>und</strong><br />

religiöse Gemeinschaften. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit<br />

sollte darauf verwandt werden, die Ziele <strong>und</strong><br />

die Projekte <strong>der</strong> lokalen Diözese zu kennen, <strong>und</strong><br />

auf die Frage, wie man sich mit diesen koordinieren<br />

kann.<br />

2. Die Ziele aller Gruppen <strong>und</strong> ihr Handeln<br />

sollten kritisch analysiert werden.<br />

3. Wenn die Werte <strong>des</strong> Evangeliums geachtet<br />

werden, ist es besser, mit diesen Gruppen zusammenzuarbeiten<br />

als mit ihnen zu konkurrieren.<br />

4. Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit die Koordination<br />

<strong>und</strong> die Ergebnisse <strong>der</strong> Arbeit auszuwerten,<br />

um Manipulation durch einzelne Gruppen zu<br />

vermeiden.<br />

5. Soweit möglich sollte die Pfarrei an<strong>der</strong>e Gruppen<br />

einladen, an ihren Initiativen mitzuarbeiten, <strong>und</strong><br />

niemanden guten Willens ausschließen.<br />

Die Ausbildung <strong>der</strong> Leiter<br />

1. Die Leiter <strong>des</strong> Dienstes für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Ökologie benötigen eine Anfangsausbildung<br />

<strong>und</strong> ständige Fortbildung: Theologie, Sozial-<br />

181


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

lehre <strong>der</strong> Kirche, franziskanische Spiritualität, organisatorischer<br />

<strong>und</strong> technischer Art, usw.<br />

2. Wir schlagen vor, dass die Leiter für eine gewisse<br />

Zeit aktiv am Leben <strong>der</strong> Pfarrei teilgenommen<br />

haben, bevor sie sich Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Ökologie unmittelbar zuwenden. Es ist<br />

leicht, überrollt zu werden <strong>und</strong> die christliche Perspektive<br />

in dieser Arbeit zu verlieren.<br />

3. Die Verantwortlichen bedürfen einer ausgewogenen<br />

Spiritualität.<br />

4. Sie sollten Kontakt mit an<strong>der</strong>en kirchlichen<br />

Gruppen gehabt haben o<strong>der</strong> sie zumin<strong>des</strong>t kennen.<br />

5. Von den Gemeinschaften geschätzt <strong>und</strong> angenommen<br />

sein.<br />

6. Klug <strong>und</strong> risikobereit sein.<br />

7. Nicht mit <strong>der</strong> Führung einer politischen Partei<br />

verb<strong>und</strong>en sein.<br />

Das Volk verstehen<br />

Normalerweise scheuen Menschen vor Themen<br />

von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ökologie zurück<br />

aus Furcht (in Län<strong>der</strong>n mit Konflikten) o<strong>der</strong><br />

aus einem dualistischen Verständnis von Heiligkeit<br />

o<strong>der</strong> wegen Projekten, die schlecht durchdacht,<br />

ärmlich unterstützt <strong>und</strong> fehlgeschlagen<br />

sind.<br />

Man muss mit dem Volk Schritt halten. Ohne eine<br />

gute religiöse <strong>und</strong> eine umfassende Erziehung kann<br />

man wenig erwarten. Wenn offensichtlich wird,<br />

dass die För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

ein gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Teil <strong>der</strong> Heiligkeit ist,<br />

dann kann einiges erreicht werden.<br />

Wie kann man Menschen begeistern?<br />

1. Zu Beginn wähle Projekte o<strong>der</strong> einfache Aktivitäten<br />

aus, die Menschen nicht überfor<strong>der</strong>n. Es gibt<br />

nichts, was mehr motiviert, als Erfolg.<br />

2. Vermeide zunächst umstrittene <strong>und</strong> riskante Projekte.<br />

3. Am Anfang ist es wichtig, dass die Projekte dem<br />

entsprechen, was die Mehrheit fühlt.<br />

4. Wähle Verantwortliche <strong>und</strong> Schlüsselpersonen<br />

aus: besser noch, wenn sie motivieren können.<br />

5. Dränge keine Projekte auf, egal wie wichtig sie<br />

sind.<br />

6. Stelle Kontinuität in <strong>der</strong> Leitung sicher.<br />

7. Kläre Ziele <strong>und</strong> werte aus.<br />

182<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />

1. Begleite den Prozess <strong>der</strong> Diagnose <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Planung <strong>der</strong> Pfarrei.<br />

2. Höre mit Ehrfurcht auf die Vorschläge<br />

<strong>der</strong> Menschen.<br />

3. Unterstütze aktiv die Initiativen <strong>der</strong> sozialen<br />

Dienste, die sich um <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung bemühen.<br />

4. Unterstützung bedeutet nicht notwendigerweise<br />

die unmittelbare Beteiligung o<strong>der</strong> die physische<br />

Anwesenheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>.<br />

5. Wirtschaftliche, logistische <strong>und</strong> motivierende<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Gruppen durch die Brü<strong>der</strong>.<br />

6. Vermeide Heldentum <strong>und</strong> das Entstehen <strong>der</strong><br />

Abhängigkeit von den Brü<strong>der</strong>n.<br />

7. Nach einer gewissen Zeit sollte die Beteiligung<br />

weniger werden.<br />

8. Wir sind nicht ewig in einer Pfarrei. Nach unserem<br />

Weggang bleibt die Pfarrgemeinschaft allein<br />

mit ihrer Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Ökologie.<br />

Geraoid Ó Conaire <strong>OFM</strong>


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

d) Wortverkündigung<br />

Wortverkündigung<br />

Seit Jahrh<strong>und</strong>erten sind Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung ein Teil <strong>der</strong><br />

Wortverkündigung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>. Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Fastenpredigten <strong>des</strong> Antonius im Jahr 1231 erließen<br />

die Bürger von Padua ein Gesetz gegen die Inhaftierung<br />

von Schuldnern. Prediger-Brü<strong>der</strong> hatten eine<br />

Rolle beim Beginn <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verbreitung <strong>der</strong> Leihhäuser,<br />

welche es den Menschen gestatteten, Kapital<br />

aufzunehmen ohne hohe Zinsen an die Banken zahlen<br />

zu müssen. Schriftsteller <strong>und</strong> Prediger haben die<br />

Rechte <strong>der</strong> einheimischen Völker in verschiedenen<br />

Kontinenten verteidigt. Brü<strong>der</strong> haben sich mit<br />

an<strong>der</strong>en Teilen <strong>der</strong> franziskanischen Familie zusammengetan,<br />

um je<strong>des</strong> <strong>der</strong> sieben GFBS-Themen<br />

zu betrachten, die in Teil II dieses Handbuches dargestellt<br />

sind.<br />

In allen Diensten stehen die Brü<strong>der</strong> vor einer<br />

doppelten Herausfor<strong>der</strong>ung, die vom hl. Franziskus<br />

in <strong>der</strong> Regel von 1223 festgelegt wird: das heilige<br />

Evangelium beobachten (Kapitel 1) durch ein<br />

leidenschaftliches Leben nach den evangelischen<br />

Räten, ohne das Recht in Anspruch zu nehmen,<br />

jene zu verurteilen, „die sie weiche <strong>und</strong> farbenfrohe<br />

Klei<strong>der</strong> tragen <strong>und</strong> sich auserlesener Speisen <strong>und</strong><br />

Getränke bedienen sehen“ (Kapitel 2). Ein Hauptgr<strong>und</strong>,<br />

warum Franziskus von Assisi seine Zeitgenossen<br />

<strong>und</strong> nachfolgende Generationen so tief<br />

beeinflusste, liegt darin, dass er die Leidenschaft<br />

für ein Leben nach dem heiligen Evangelium mit<br />

einem scharfem Gespür seiner eigenen Unvollkommenheit,<br />

dies zu tun, verband. Menschen haben<br />

<strong>des</strong>wegen Franziskus als einen vollständigen <strong>und</strong><br />

durchscheinenden Menschen angesehen, <strong>der</strong><br />

immer suchte, noch großzügiger auf Gottes überfließende<br />

Gnade zu antworten. Franziskus for<strong>der</strong>te<br />

sie dazu auf <strong>und</strong> ermutigte sie „von neuem zu<br />

beginnen“.<br />

Wenn Brü<strong>der</strong> die Notwendigkeit <strong>der</strong> Demut beachtet<br />

haben sowie die Leidenschaft, das Evangelium zu<br />

leben, dann haben sie ihre Zeitgenossen erfolgreich<br />

beeinflusst, die Bedingungen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden zu verbessern. Wenn Brü<strong>der</strong> im leidenschaftlichen<br />

Leben <strong>des</strong> Evangeliums geglänzt haben,<br />

aber es ihnen an Demut fehlte in Bezug auf ihre<br />

Unvollkommenheit, dies zu tun, dann waren jene<br />

Brü<strong>der</strong> Gegenzeichen für das Reich Gottes <strong>und</strong> hatten<br />

keinen Erfolg, die Bedingungen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden zu verbessern.<br />

Ein Ungleichgewicht von Leidenschaft <strong>und</strong> Demut<br />

hat das evangelische Zeugnis <strong>der</strong> Franziskaner in<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit gehemmt <strong>und</strong> kann es auch in<br />

<strong>der</strong> Zukunft wie<strong>der</strong> hemmen, in jedem Dienst.<br />

Praktische Erfahrung mit den Ausgegrenzten <strong>und</strong><br />

den Armen wird im Leben <strong>und</strong> im Dienst eines<br />

jeden Bru<strong>der</strong>s reiche Frucht bringen. Untenstehend<br />

sind einige wenige Möglichkeiten aufgelistet,<br />

Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung durch volkstümliche Predigt,<br />

Schriften <strong>und</strong> Radio/Fernsehen/Medien zu verbreiten,<br />

ungeachtet <strong>des</strong>sen ob die Brü<strong>der</strong> bewusst eine<br />

Verbindung herstellen zwischen Leben/Dienst<br />

<strong>und</strong> GFBS-Themen.<br />

Schriftapostolat<br />

■ Artikel auf populärwissenschaftlichen Niveau in<br />

franziskanischen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Veröffentlichungen,<br />

die Initiativen vorstellen bezüglich <strong>der</strong> sieben<br />

Themen von Teil II dieses Handbuches,<br />

■ Interviews mit Franziskanern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Prominenten in diesen sieben Bereichen,<br />

■ Leserbriefe an den Herausgeber, um gute Artikel<br />

zu GFBS-Themen zu loben o<strong>der</strong> gegen<br />

falsche Darstellungen (z.B. Karikaturen) in<br />

diesen Bereichen zu protestieren,<br />

■ Versöhnung innerhalb <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Menschheitsfamilie för<strong>der</strong>n,<br />

■ für franziskanische Veröffentlichungen: <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

für die Mitarbeiter in Bezug auf Lohn,<br />

Pension <strong>und</strong> Beför<strong>der</strong>ung sicherstellen,<br />

■ mit Brü<strong>der</strong>n, die näher an <strong>der</strong> Frontlinie dieser<br />

Themen stehen, Kontakt halten (ihre Beiträge<br />

im R<strong>und</strong>brief <strong>der</strong> Provinz, Besuche o<strong>der</strong> persönliche<br />

Briefe an <strong>und</strong> von solchen Brü<strong>der</strong>n),<br />

■ sich in Teilzeit in Diensten in einem <strong>der</strong> sieben<br />

Bereiche direkt engagieren (z.B. Gefängnisseelsorge,<br />

Suppenküche, Anwalts- <strong>und</strong> Lobbytätigkeit),<br />

<strong>und</strong><br />

■ wissenschaftliche Veröffentlichungen (Artikel<br />

o<strong>der</strong> Bücher) erarbeiten in den sieben Bereichen<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

183


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

Radio/Fernsehen/Medien<br />

■ Son<strong>der</strong>- o<strong>der</strong> ständige Sendungen zu diesen<br />

sieben Themen unter Verwendung möglichst<br />

vieler Interviews,<br />

■ einige Radiosen<strong>der</strong> haben z.B. regelmäßige<br />

Programme, um die Fähigkeit zu lesen <strong>und</strong> zu<br />

schreiben zu för<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> die Ges<strong>und</strong>heitserziehung<br />

zu verbessern,<br />

■ engagiere Brü<strong>der</strong>-Missionare <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Brü<strong>der</strong> zu Interviews,<br />

■ arbeite mit an<strong>der</strong>en, religiösen wie zivilen<br />

Gruppen zusammen, um Programme herzustellen,<br />

die diese sieben Themen verbreiten,<br />

■ erstelle Programme, die diese sieben Themen<br />

verbreiten, zur Nutzung auf Provinz- <strong>und</strong> auf<br />

Konferenzebene, <strong>und</strong><br />

■ <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Mitarbeiter in Bezug<br />

auf Lohn, Pension <strong>und</strong> Beför<strong>der</strong>ung.<br />

Volksmissionen in Pfarreien<br />

■ verweise auf Pfarrpartnerschaften (innerhalb<br />

<strong>der</strong> gleichen Diözese, Land o<strong>der</strong> auf internationaler<br />

Ebene) als etwas, was bereits getan wird<br />

o<strong>der</strong> als eine Möglichkeit, die erk<strong>und</strong>et werden<br />

kann,<br />

■ überprüfe die bereits in Gang gekommenen<br />

Gespräche; wenn möglich, nimm neues Material<br />

von einem o<strong>der</strong> mehreren <strong>der</strong> sieben Themen<br />

auf,<br />

■ persönliches Zeugnis <strong>des</strong> Predigers über seine<br />

wachsende Wertschätzung für eines o<strong>der</strong><br />

mehrere dieser sieben Themen,<br />

■ in <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong> Menschen auf das<br />

Sakrament <strong>der</strong> Versöhnung: nimm Elemente<br />

von diesen sieben Themen in die Gewissenserforschung<br />

mit auf (z.B. das Erzählen von rassistischen<br />

o<strong>der</strong> sexistischen Witzen),<br />

■ for<strong>der</strong>e die Zuhörer auf, sich besser über diese<br />

sieben Themen zu informieren,<br />

■ überlege, ob die gesamte o<strong>der</strong> ein Teil <strong>der</strong> Mission<br />

nicht mit einer Frau im Team durchgeführt<br />

werden kann,<br />

■ verwende geeignete audiovisuelle Materialien<br />

für diese Themen <strong>und</strong> weise in den Gesprächen<br />

auf die Gefahr einer privatisierten Religion hin,<br />

die keine sozialen Konsequenzen hat.<br />

184<br />

Besinnungszeiten<br />

■ entwickle Impulse, die möglichst viel von<br />

diesen sieben Themen beinhalten,<br />

■ ermutige Menschen, die an Besinnungstagen<br />

teilnehmen, den Platz dieser sieben Themen in<br />

ihren Leben zu überprüfen, beson<strong>der</strong>s das sich<br />

wandelnde Verständnis eines beson<strong>der</strong>en<br />

Themas <strong>und</strong> ihre Möglichkeiten für direktes<br />

Handeln (z.B. Freiwilligentätigkeit),<br />

■ verwende geeignete audiovisuelle Materialien<br />

für diese Themen,<br />

■ überlege, ob die gesamte Mission o<strong>der</strong> ein Teil<br />

davon nicht mit einer Frau im Team durchgeführt<br />

werden kann,<br />

■ erk<strong>und</strong>ige dich bei <strong>der</strong> Kontaktperson <strong>der</strong><br />

Gruppe über den Stand o<strong>der</strong> die jüngere<br />

Geschichte eines <strong>der</strong> sieben Themen für diese<br />

Gruppe,<br />

■ nimm, soweit möglich, Bezug auf lokale Initiativen<br />

zu den sieben Themen,<br />

■ empfehle Bücher, Zeitschriften o<strong>der</strong> Filme, um<br />

die Erziehung <strong>und</strong> das Nachdenken <strong>der</strong>er, die<br />

an Besinnungszeiten teilnehmen, hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> sieben Themen weiter zu för<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> teile<br />

persönliche Erfahrungen <strong>des</strong> Wachstums in<br />

Bezug auf diese Themen mit.<br />

Patrick McCloskey <strong>OFM</strong>


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

e) Erziehungsarbeit<br />

„Wenn wir Frieden in <strong>der</strong> Welt erreichen wollen, dann<br />

müssen wir mit den Kin<strong>der</strong>n beginnen. Und wenn sie<br />

in ihrer natürlichen Unschuld aufwachsen, dann müssen<br />

wir nicht vergeblich ideale Resolutionen billigen,<br />

son<strong>der</strong>n wir werden von Liebe zu Liebe <strong>und</strong> von Frieden<br />

zu Frieden schreiten, bis zuletzt alle Winkel <strong>der</strong><br />

Welt mit Frieden <strong>und</strong> Liebe erfüllt sind, nach denen<br />

die ganze Welt bewusst o<strong>der</strong> unbewusst hungert.“<br />

(Mahatma Gandhi)<br />

„… Die Nationen sind mit falschen Zielen groß<br />

gemacht worden. Unsere Schulbücher verherrlichen<br />

Kriege <strong>und</strong> verstecken <strong>der</strong>en Greueltaten. Sie indoktrinieren<br />

Kin<strong>der</strong> mit Hass. Ich würde lieber Frieden<br />

lernen als Hass, lieber Liebe als Krieg. Die Schulbücher<br />

müssen neu geschrieben werden. Anstatt alte<br />

Konflikte <strong>und</strong> Vorurteile fortzusetzen, müssen die<br />

Erziehungssysteme mit einem neuen Geist erfüllt<br />

werden. Unsere Erziehung beginnt in <strong>der</strong> Wiege:<br />

die Mütter <strong>der</strong> gesamten Welt haben Verantwortung<br />

dafür, ihre Kin<strong>der</strong> im Sinn eines immerwährenden<br />

<strong>Friedens</strong> zu erziehen …“ (Albert Einstein)<br />

Einführung<br />

Wir wissen, dass für die meisten Brü<strong>der</strong> Zeit <strong>und</strong><br />

Mittel schon bis zum äußersten beansprucht sind.<br />

Wir sehen, dass bereits enorme Anstrengungen in<br />

<strong>der</strong> Erziehungsarbeit unternommen werden. Trotzdem<br />

möchten wir gerne Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung innerhalb dieses Dienstes hervorheben<br />

– Themen, die irgendwie durch die Erziehungsstrukturen<br />

überall auf <strong>der</strong> Welt vernachlässigt worden<br />

sind. Da viele unserer Brü<strong>der</strong> aktiv am Lehrbetrieb<br />

teilnehmen, können sie die Themen för<strong>der</strong>n,<br />

die ein wesentlicher Bestandteil unseres franziskanischen<br />

Charismas sind. Dieses Handbuch <strong>und</strong> dieser<br />

Artikel stellen nicht den Versuch eines umfassenden<br />

Programms für weltweite Anwendung dar. Vielmehr<br />

blicken wir auf den Einsatz <strong>und</strong> die schöpferische<br />

Tätigkeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, die notwendigen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

in den Erziehungssystemen ihrer Län<strong>der</strong> zu<br />

beeinflussen, um <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Geist <strong>und</strong> Lehrpläne<br />

<strong>der</strong> Schulen aufzunehmen. Wir ermutigen Brü<strong>der</strong>,<br />

die Bedeutung von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung mitteilen zu helfen, insbeson<strong>der</strong>e<br />

im Unterrichten über an<strong>der</strong>e, beson<strong>der</strong>s<br />

über die Armen <strong>und</strong> die Menschen am Rande <strong>der</strong><br />

Gesellschaft; nachzudenken über christliche <strong>und</strong><br />

franziskanische Lehren zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Gemeinschaft<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

Allgemeine Zielsetzung<br />

In dem gegenwärtigen Klima von Spannung zwischen<br />

Nationen mit <strong>der</strong> Macht unsere Schwester,<br />

Mutter Erde, zu zerstören, ist die Notwendigkeit<br />

offensichtlich, neue Initiativen <strong>der</strong> Erziehung zu<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

zu entwickeln. Es ist nicht länger angebracht,<br />

zu lernen, wie man Konflikte vermeidet, son<strong>der</strong>n<br />

wie man die positive Weise <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>tiftens för<strong>der</strong>t;<br />

auch reicht es nicht hin, neue Technologien zu<br />

entwickeln, um die ökologischen Probleme zu<br />

lösen, es ist vielmehr wichtig, eine liebende Verantwortung<br />

für die Schöpfung zu entwickeln. Das physische<br />

Überleben <strong>des</strong> Lebens auf <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> das<br />

spirituelle Überleben <strong>der</strong> menschlichen Rasse erfor<strong>der</strong>n,<br />

dass die Erziehung zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zum Hauptthema<br />

<strong>der</strong> Erziehung wird <strong>und</strong> nicht nur ein Thema unter<br />

vielen ist. Eine solche Erziehung ist im weitesten<br />

Sinn als eine Graswurzelpädagogik zu verstehen, die<br />

in vielen verschiedenen Situationen eingesetzt werden<br />

kann. Ihr Ziel liegt darin, die Ehrfurcht vor<br />

dem An<strong>der</strong>ssein aller Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> gesamten<br />

Schöpfung zu för<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> führt in Richtung <strong>des</strong><br />

letzten Zieles, sie zu lieben. In einem Verhalten, das<br />

durch diese Art von Erziehung erworben wird, werden<br />

die REALPOLITIK politischen Denkens <strong>und</strong> politischer<br />

Bemühungen um Frieden <strong>und</strong> um eine<br />

„nachhaltige Entwicklung“ versagen, die „Wirklichkeit“<br />

authentisch zu deuten. Diese Art von Erziehung<br />

wird zu einem Ruf nach einer alternativen<br />

Politik führen, die den „Realismus“ <strong>der</strong> Realpolitik<br />

ausweitet, um die Wirklichkeit einer tiefgreifenden<br />

Versöhnung unter den Menschen <strong>und</strong> die einer<br />

„nachhaltiger Entwicklung“ zu umfassen, die das<br />

Wohl <strong>der</strong> gesamten, auch <strong>der</strong> nicht menschlichen<br />

Schöpfung im Blick hat.<br />

Es gibt viele Konflikte in den Schulen überall auf<br />

<strong>der</strong> Welt, Konflikte, die zu häufig einen zerstörerischen<br />

Verlauf nehmen. Sie bleiben ungelöst <strong>und</strong><br />

Spannungen bilden sich; Überfälle auf Kin<strong>der</strong>, Lehrer<br />

<strong>und</strong> Eigentum sind an <strong>der</strong> Tagesordnung. Erzieherische<br />

Institutionen, die ein positives Umfeld<br />

185


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

bereitstellen sollten, um dem Trend zu Gewalt zu<br />

wi<strong>der</strong>stehen, sind selten erfolgreich im Umgang mit<br />

<strong>der</strong> Ursache unsozialen Verhaltens. Sie ziehen sich<br />

oft auf Sicherheitsmaßnahmen zurück <strong>und</strong> unternehmen<br />

feindliche Aktionen gegen die Übeltäter.<br />

Doch <strong>der</strong> Versuch, Gewalt durch Methoden auszurotten,<br />

die selbst gewalttätig gegen konfliktbereite<br />

Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche sind, bestätigt diese nur<br />

darin, dass Gewalt eine akzeptierte, wenn nicht<br />

sogar vorzuziehende Methode ist, Probleme in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft zu lösen. Solche Methoden entmenschlichen<br />

<strong>und</strong> versagen darin, den Jugendlichen<br />

positive Alternativen zu gewalttätigen Verhaltensmustern<br />

aufzuzeigen. Sie lernen mehr von <strong>der</strong> Art<br />

<strong>und</strong> Weise, wie wir auf Aggression <strong>und</strong> Konflikte<br />

reagieren, als von unseren Worten. Was wir sagen<br />

ist wichtig, doch es muss mit unserem Tun übereinstimmen.<br />

Viele Menschen entwickeln niemals Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Fähigkeiten, um erfolgreich Konflikte zu<br />

meistern, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnen.<br />

Ein großer Teil ihres Wissens <strong>der</strong> Konfliktbewältigung<br />

haben sie zufällig erworben <strong>und</strong> unter<br />

Umständen, die zerstörerische Methoden betonen<br />

(Fernsehen, Video, Film). Wenn Kin<strong>der</strong> systematisch<br />

gelehrt werden, wie sie Konflikte konstruktiv<br />

handhaben können, werden sie weniger verletzbar<br />

sein gegenüber emotionaler Störung, Suizid, Gewalt<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Formen unsozialen Verhaltens. Darüber<br />

hinaus müssen wir die jüngere Generation<br />

vorbereiten, konstruktiv mit den Konflikten umzugehen,<br />

die im Nuklearzeitalter zwischen Nationen<br />

unvermeidlich entstehen.<br />

Gewaltlosigkeit besteht nicht nur darin, Kriege zu<br />

verhin<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n auch darin, in unseren eigenen<br />

Herzen Frieden zu schaffen. Frieden durch Gewaltlosigkeit<br />

zu lehren gibt den jungen Menschen die<br />

Möglichkeit, eine Philosophie <strong>der</strong> Stärke zu entwickeln:<br />

die Stärke <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>der</strong> Liebe, <strong>des</strong><br />

Teilens <strong>des</strong> Reichtums, <strong>des</strong> organisierten Wi<strong>der</strong>stands<br />

gegen korrupte Macht, die Stärke <strong>der</strong> Ideen.<br />

Schulen sollten Schüler mit Ideen ausstatten <strong>und</strong> sie<br />

mit <strong>der</strong> Geschichte <strong>und</strong> den Techniken von Gewaltlosigkeit<br />

vertraut machen <strong>und</strong> mit den Menschen,<br />

die sie praktiziert haben. Die Entscheidung nach<br />

<strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> gewaltlosen Kraft zu leben, ist<br />

die Entscheidung für Jesus anstelle Cäsars, für den<br />

186<br />

hl. Franziskus anstelle Napoleons, usw. Kurse in<br />

Gewaltlosigkeit sollten im Kin<strong>der</strong>garten beginnen<br />

<strong>und</strong> dann in Gr<strong>und</strong>-, Haupt-, Real-, Berufsschule<br />

<strong>und</strong> Gymnasium andauern.<br />

Es ist oft unrealistisch zu hoffen, Konflikte durch<br />

Gewaltlosigkeit zu lösen (Verhandlungen, Kompromiss,<br />

organisierter Wi<strong>der</strong>stand, Nicht-Zusammenarbeit,<br />

ziviler Ungehorsam, zivile Verteidigung),<br />

weil diese Methoden selten in den Schulen unterrichtet<br />

werden. Bis vor kurzem war die Unterweisung<br />

in Fertigkeiten zur gewaltlosen Konfliktlösung<br />

an private <strong>und</strong> dem Pazifismus verpflichtete Schulen<br />

verbannt. Die Auswirkung davon, dass Schulen<br />

Kurse in Frieden vernachlässigen, ist Analphabetismus<br />

in <strong>Friedens</strong>angelegenheiten. Frieden sollte also<br />

nicht nur eine Chance erhalten, son<strong>der</strong>n er sollte<br />

auch einen Platz in den Lehrplänen bekommen.<br />

Doch anstatt Vorwürfe zuzuweisen, sollte sich je<strong>der</strong><br />

von uns fragen, wieviel mehr wir unternehmen<br />

können, um die Schulen zu reformieren. Die<br />

Schüler selbst sollten moralischen Druck erzeugen,<br />

um <strong>Friedens</strong>kurse zu bekommen. Wir müssen sie<br />

lehren, dass diese Welt ihnen gehört <strong>und</strong> ebenso die<br />

Zukunft; wir müssen sie lehren, sich die Welt vorzustellen,<br />

in <strong>der</strong> sie leben wollen, was sie benötigen,<br />

um sie aufzubauen <strong>und</strong> dann zu for<strong>der</strong>n, dass sie<br />

darin unterrichtet werden.<br />

H. Fel<strong>der</strong> (1923) beschreibt die franziskanische<br />

Bewegung als „die größte <strong>Friedens</strong>aktion, die jemals<br />

unternommen, <strong>und</strong> das größte <strong>Friedens</strong>ideal, das<br />

jemals verkündet wurde“. Die Notwendigkeit, dieses<br />

Ideal zu leben, war immer aktuell <strong>und</strong> herausfor<strong>der</strong>nd<br />

für die Franziskaner. Wir sind aufgefor<strong>der</strong>t,<br />

die globale Kultur <strong>der</strong> Gewalt auf eine Kultur <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong> hin zu verän<strong>der</strong>n. Wir können Orientierung<br />

finden in unserer großen christlichen <strong>und</strong><br />

franziskanischen Überlieferung. Mit offenem Geist<br />

<strong>und</strong> empfangsbereitem Herzen kann Friede gelehrt<br />

<strong>und</strong> gelernt werden.<br />

Wir haben die Verantwortung, jüngere Generationen<br />

die Entschiedenheit <strong>und</strong> die Fähigkeit zu vermitteln,<br />

Konflikte ohne Anwendung von Waffen zu<br />

lösen. Eine Welt, in <strong>der</strong> Menschen in Fertigkeiten<br />

ausgebildet werden, Probleme durch Dialog <strong>und</strong><br />

Verhandlungen zu lösen, ist eine Welt, in <strong>der</strong> wir für<br />

das Überleben erziehen.


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

Praktische Vorschläge<br />

Um erfolgreich zu unterrichten, muss sich Erziehung<br />

entschlossen in Richtung Praxis bewegen,<br />

d.h. in Richtung konkreter Interaktionen unter<br />

den Bewohnern unserer gemeinsamen Mutter<br />

Erde. Man hat oft geglaubt, dass wir allein durch<br />

den Erwerb von Kenntnissen bereits die betrachtete<br />

Situation än<strong>der</strong>n; doch dies ist nicht sicher.<br />

Der Erwerb von Kenntnissen kann die Situation<br />

verän<strong>der</strong>n, wenn diese Kenntnisse jeman<strong>des</strong><br />

Taten <strong>und</strong> Worte leiten, während er mit an<strong>der</strong>en<br />

Personen handelt. Um positive Resultate zu erzielen,<br />

müssen folglich die gr<strong>und</strong>legenden Erziehungsprinzipien<br />

für Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung in Praxis umgesetzt werden, die ein<br />

Erlernen positiver Wechselbeziehung <strong>und</strong> ein<br />

Ablassen von zerstörerischen Handlungen einschließen.<br />

Für religiöse Erziehungsprogramme gibt es viele<br />

Gelegenheiten, den Blick auf die katholische<br />

Soziallehre mit ihren Aussagen zu <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung zu richten.<br />

Jene, die an religiösen Erziehungsprogrammen<br />

beteiligt sind <strong>und</strong> in Schulen unterrichten, mögen<br />

einige <strong>der</strong> folgenden Ideen in Erwägung<br />

ziehen.<br />

Einige Vorschläge zur <strong>Friedens</strong>erziehung:<br />

■ In die Lehrpläne <strong>der</strong> Schulen <strong>und</strong> in die<br />

Programme <strong>der</strong> ständigen Fortbildung die in<br />

<strong>der</strong> Bibel <strong>und</strong> in <strong>der</strong> franziskanischen Überlieferung<br />

enthaltenen Themen <strong>und</strong> Interesse<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung aufnehmen.<br />

■ Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Konferenzen <strong>des</strong> Ordens<br />

(<strong>OFM</strong>), Handbücher, Broschüren, Flugblätter,<br />

Poster zu Themen sozialer <strong>und</strong> ökologischer<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden erarbeiten.<br />

■ Kin<strong>der</strong> ermutigen, sich <strong>der</strong> Angst vor ihrer<br />

Freiheit zu stellen, indem sie Entscheidungen<br />

treffen <strong>und</strong> Verantwortung für diese Entscheidungen<br />

übernehmen (sie lehren, dass Verantwortlichkeit<br />

keine Strafe ist, son<strong>der</strong>n eine<br />

natürliche Konsequenz).<br />

■ Junge Menschen erziehen, dass sie sich weniger<br />

mit ihren sozialen Rollen identifizieren <strong>und</strong><br />

statt<strong>des</strong>sen mit ihren Aufgabe, die ihrem ganzheitlichem<br />

Menschsein entsprechen.<br />

■ Ein Erziehungsklima erzeugen, das die Talente<br />

aller Kin<strong>der</strong> wertschätzt <strong>und</strong> ermutigt.<br />

■ Spiele <strong>und</strong> Erziehungsmaterialien bereitstellen,<br />

die die Entwicklung <strong>der</strong> Zusammenarbeit wie<br />

<strong>des</strong> Wettbewerbs för<strong>der</strong>n.<br />

■ Teil <strong>des</strong> religiösen Erziehungsprogrammes<br />

könnte sein, Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schüler zu ermutigen,<br />

mehr über arme Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> ältere Menschen zu<br />

lernen <strong>und</strong> ihnen Hilfen anzubieten.<br />

■ Spezielle Projekte unterstützen wie Aufsatzwettbewerbe,<br />

Besuche bei lokalen Organisationen,<br />

die bedürftigen Kin<strong>der</strong>n, älteren Menschen <strong>und</strong><br />

armen Bürgern helfen.<br />

■ Gastredner für einige Schulversammlungen<br />

während <strong>des</strong> Jahres organisieren (z.B. Menschenrechtsaktivisten,<br />

Sozialarbeiter, Ökologen,<br />

Missionare, usw.).<br />

■ Erzieherische Möglichkeiten für Kin<strong>der</strong> in den<br />

entwickelten Län<strong>der</strong>n schaffen, über Kin<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Kulturen <strong>der</strong> sich entwickelnden Län<strong>der</strong><br />

zu lernen.<br />

■ Die Benennung verschiedener Gefühle wie<br />

Ärger, Enttäuschung, Einschüchterung, usw.<br />

einüben, um sie in kreative Handlungen verwandeln<br />

zu können, die einan<strong>der</strong> näherbringen.<br />

■ Über Gewalt im Fernsehen diskutieren.<br />

■ Das Engagement für caritatives Tun <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> för<strong>der</strong>n, z.B. durch die Organisation<br />

<strong>des</strong> Sammelns von Geld, das ansonsten<br />

ausgegeben würde, z.B. um Knallkörper zu<br />

kaufen, für Weihnachtsgeschenke, usw.<br />

■ Klassen könnten ermutigt werden, ein<br />

bedürftiges Kind zu adoptieren, ihm Fre<strong>und</strong>schaft,<br />

Unterstützung, Briefe, usw. schenken.<br />

Es ist wichtig, Armut, Krankheit mit einem<br />

menschlichen Antlitz zu versehen. Wertvolle<br />

lebenslange Lehren können aus solchen Kontakten<br />

gezogen werden.<br />

■ Treffen für behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> mit Schülern <strong>und</strong><br />

Studenten planen.<br />

■ An Briefkampagnen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Aktivitäten<br />

teilnehmen, welche die politische Verantwortung<br />

<strong>und</strong> die Rolle för<strong>der</strong>n, die Christen bei <strong>der</strong><br />

Entwicklung politischer Projekte zugunsten von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung wahrnehmen sollten.<br />

■ Unternehmungen planen, welche Erholung,<br />

soziale <strong>und</strong> geistliche Stärkung ermöglichen,<br />

z.B. Besinnungszeiten für Klassen, Sportereignisse,<br />

Feiern in <strong>der</strong> Natur.<br />

187


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

■ Die Sakramentenvorbereitung auf Beichte,<br />

Erstkommunion, Firmung könnte die Aufmerksamkeit<br />

auf die christliche Verantwortung<br />

für den Zustand <strong>der</strong> Welt lenken, für soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Friede, die Verschlechterung <strong>des</strong><br />

Zustan<strong>des</strong> <strong>der</strong> Schöpfung, um einen korrekten<br />

christlichen Sinn für Solidarität zu entwickeln.<br />

■ Begleitete Reisen planen, die kulturüberschreitenden<br />

Dialog miteinschließen.<br />

■ An <strong>der</strong> Organisation verschiedener Veranstaltungen<br />

auf internationaler <strong>und</strong> nationaler Ebene<br />

teilnehmen <strong>und</strong> versuchen, Themen von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung mitaufzunehmen.<br />

■ Einen Stipendienfond einrichten, um junge<br />

Menschen zu verschiedenen nationalen <strong>und</strong><br />

internationalen Treffen schicken zu können, auf<br />

denen Themen <strong>der</strong> sozialen <strong>und</strong> ökologischen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> behandelt werden.<br />

■ Jugendliche aus an<strong>der</strong>en Klassen, Schulen, Pfarreien<br />

zu ständigen Aktivitäten in <strong>der</strong> eigenen<br />

Klasse, Schule, Pfarrei einladen.<br />

Einige Hinweise, um unsere Verwandtschaft<br />

mit <strong>der</strong> Natur zu entdecken:<br />

■ Versuchen, Ökologie in die Erziehungsstrukturen<br />

zu integrieren.<br />

■ Natur zu einem Ort <strong>der</strong> Meditation machen<br />

durch die Praxis symbolischen (d.h. sakramentalen)<br />

Verhaltens gegenüber <strong>der</strong> Natur, indem<br />

man jedem Geschöpf seinem Namen gibt, <strong>der</strong><br />

seine Würde darstellt; Einsatz <strong>des</strong> Geheimnisses<br />

<strong>der</strong> Natur als einer Inspirationsquelle für das<br />

Gebet.<br />

■ Das Fest <strong>der</strong> Schöpfung (Sabbat) bei verschiedenen<br />

Gelegenheiten feiern, beson<strong>der</strong>s am Erntedankfest.<br />

■ Ausflüge in die Natur organisieren, wo Gottesdienste<br />

zu verschiedenen Themen gefeiert werden<br />

können, wie z.B. über die Geschwisterlichkeit<br />

<strong>der</strong> Geschöpfe Gottes.<br />

■ Regelmäßig Informationen bereitstellen über<br />

die Auswirkungen <strong>der</strong> Wirtschaft auf die Umwelt,<br />

über die Beziehungen zwischen reichen<br />

<strong>und</strong> armen Län<strong>der</strong>n, Gegenden, Nationen <strong>und</strong><br />

Völkern.<br />

■ Mit Organisationen zusammenarbeiten, die<br />

sich um Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung mühen,<br />

<strong>und</strong> bestimmte Projekte anleiten.<br />

188<br />

■ Kin<strong>der</strong> lehren, ihr Glück <strong>und</strong> ihre Dankbarkeit<br />

im Kontakt mit Wasser, Luft, Feuer, Erde, Tieren,<br />

usw. auszudrücken.<br />

■ Anteil nehmen am Gefühl von Kin<strong>der</strong>n für die<br />

Schönheit <strong>und</strong> das Geheimnis <strong>der</strong> Schöpfung<br />

<strong>und</strong> sie ermutigen, sich von ihrem Staunen zu<br />

einem tiefen Glücklichsein leiten zu lassen.<br />

■ Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schüler ermutigen, in Ruhe eine<br />

Sache zu beobachten, bis sie beginnt, uns<br />

„anzuschauen“, <strong>und</strong> zu ihr zu sprechen, bis sie<br />

beginnt, zu uns zu „sprechen“ über ihren Wert<br />

<strong>und</strong> ihren Platz im Leben <strong>der</strong> Erde.<br />

■ Organisieren von Lied-, Schreib-, Zeichnen<strong>und</strong><br />

Malwettbewerben über verschiedene Themen<br />

im Bereich Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

■ Den Geist <strong>der</strong> Verletzlichkeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mitleidens<br />

mit den Schwächsten in <strong>der</strong> Natur,<br />

gegenüber allen Menschen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en leidenden<br />

Geschöpfen entwickeln.<br />

■ Baumpflanzaktionen organisieren.<br />

■ Aktionen zum Sammeln wie<strong>der</strong>verwertbaren<br />

Materials organisieren in Län<strong>der</strong>n, in denen<br />

dies nicht organisiert ist.<br />

■ Die Kin<strong>der</strong> anleiten, Dinge zu teilen, <strong>und</strong><br />

Erwachsene ermutigen, Autos, an<strong>der</strong>e Geräte,<br />

usw. zu teilen.<br />

■ Ökologische Themen als Basis für unterschiedliche<br />

ökumenische Ereignisse verwenden.<br />

■ Aufzeigen, dass <strong>der</strong> beste Schutz <strong>der</strong> Natur<br />

dadurch erreicht wird, dass <strong>der</strong> Mensch ein<br />

neues Verständnis seiner selbst <strong>und</strong> seiner Rolle<br />

unter den an<strong>der</strong>en Geschöpfen Gottes erwirbt.<br />

■ Niemals müde werden, Gott zu loben <strong>und</strong> zu<br />

danken für die Gabe <strong>des</strong> Lebens auf <strong>der</strong> Erde<br />

<strong>und</strong> für seine Anwesenheit inmitten seiner<br />

Schöpfung.<br />

„<strong>Friedens</strong>erziehung ist Feier <strong>des</strong> Lebens. Sie wird<br />

Konflikte nicht beseitigen. Jedoch kann Konflikt<br />

<strong>der</strong> Anstoß zu einer schöpferischen, kooperativen<br />

Problemlösung werden, eine neue Generation<br />

junger Menschen befähigen, konstruktiv mit Krieg,<br />

Armut, Hunger, Rassismus, Umweltzerstörung <strong>und</strong><br />

Ungerechtigkeit umzugehen. <strong>Friedens</strong>erziehung<br />

ist nicht statisches, son<strong>der</strong>n aktives Engagement“<br />

(Alice Friedman).<br />

Boˇze Vuleta <strong>OFM</strong>


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

f) Ordensausbildung<br />

RATIO FORMATIONIS FRANCISCANAE (<strong>OFM</strong>)<br />

Einführung<br />

Es gibt vielfältige Bezugnahmen auf <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong><br />

RATIO FORMATIONIS FRANCISCANAE. Wenn wir diese<br />

anregenden Gedanken nicht in konkrete Aktionen<br />

übersetzen können, dann haben wir den Ausgegrenzten,<br />

Armen <strong>und</strong> Unterdrückten unserer Welt<br />

nichts zu bieten. Wie es <strong>der</strong> ehemalige Generalminister<br />

John Vaughn schon 1985 ausdrückte: „Wir<br />

haben viele Dokumente <strong>und</strong> Worte. Was die Welt<br />

von uns erwartet sind Taten.“<br />

In diesem Abschnitt beabsichtigen wir, mit dir/euch<br />

einige konkrete Aktionen zu teilen, die in den Provinzen<br />

r<strong>und</strong> um die Welt stattfinden. Es gibt natürlich<br />

viel mehr, über die hier nicht berichtet werden<br />

wird, doch werden hoffentlich die aufgezählten Beispiele<br />

die Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Anfangsausbildung <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> ständigen Fortbildung ermutigen, den Kampf<br />

für eine gerechtere <strong>und</strong> friedvollere Welt in Harmonie<br />

mit <strong>der</strong> gesamten Schöpfung fortzusetzen.<br />

Es gibt viele Bezugnahmen auf <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> RATIO.<br />

Wir haben sechs Untertitel ausgewählt; es werden<br />

zunächst die Abschnitte <strong>der</strong> RATIO zitiert <strong>und</strong> dann<br />

konkrete Beispiele aus den gelebten Erfahrungen in<br />

den Provinzen gegeben.<br />

I. Bru<strong>der</strong>schaft<br />

a) RFF 18; RFF 21a; RFF 28b.<br />

b) Gelebte Erfahrungen<br />

1) Brü<strong>der</strong>, die über praktische Erfahrungen <strong>des</strong><br />

Engagements in den Themen <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im weitesten<br />

Sinn <strong>des</strong> Wortes verfügen, werden eingeladen, ihre<br />

Ideen <strong>und</strong> Kämpfe mit den Brü<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Anfangsausbildung<br />

zu teilen. Dieser Kontakt hat sich in vielen<br />

Provinzen als sehr nützlich erwiesen. Jüngere<br />

Brü<strong>der</strong> schreiben ihr späteres Engagement in den<br />

beson<strong>der</strong>en Diensten <strong>der</strong> Ermutigung durch ihre<br />

älteren Mitbrü<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Zeugnis zu.<br />

2) In Afrika, USA, Zentralamerika <strong>und</strong> Indien nehmen<br />

Brü<strong>der</strong> aus verschiedenen Kulturkreisen <strong>und</strong><br />

Sprachen an einer gemeinsamen Anfangsausbildung<br />

teil. Einige Provinzen ermutigen ihre jungen Brü<strong>der</strong>,<br />

in ihren ersten Ausbildungsjahren für eine<br />

gewisse Zeit mit Brü<strong>der</strong>n aus an<strong>der</strong>en Kulturen zu<br />

studieren, zu arbeiten <strong>und</strong> zu leben. Dies för<strong>der</strong>t<br />

Toleranz <strong>und</strong> bereitet die Brü<strong>der</strong> auf zukünftige<br />

internationale Herausfor<strong>der</strong>ungen vor.<br />

II. Präsenz<br />

a) RFF 22b; 25a; 32a; 155.<br />

b) Gelebte Erfahrungen<br />

1) Leben unter den Armen in kleinen Fraternitäten<br />

ist eine gemeinsame Praxis in vielen Provinzen. Auf<br />

den Philippinen, in Brasilien, Zentralamerika,<br />

Deutschland, Italien <strong>und</strong> Kolumbien leben die meisten<br />

Brü<strong>der</strong> eine gewisse Zeit während <strong>der</strong> Anfangsausbildung<br />

o<strong>der</strong> die gesamte Anfangsausbildung<br />

hindurch in Fraternitäten unter den Armen. Die<br />

Brü<strong>der</strong> erledigen alle Hausarbeiten selbst. In einigen<br />

Fällen arbeiten sie mit Pfarreien zusammen. An<strong>der</strong>e<br />

verrichten verschiedene kirchliche o<strong>der</strong> zivile Aufgaben,<br />

um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im<br />

Allgemeinen sind sie von an<strong>der</strong>en wirtschaftlich<br />

unabhängig.<br />

Wegen ihrer Nähe zu den Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Einfachheit<br />

ihres Lebensstils, haben die Brü<strong>der</strong> die<br />

Gelegenheit, die Alltagsschwierigkeiten <strong>der</strong> Menschen<br />

zu erleben, <strong>und</strong> können so ihrer theologischen<br />

<strong>und</strong> akademischen Reflexion einen realistischeren<br />

<strong>und</strong> mehr auf Praxis bezogenen Blick verleihen.<br />

Die Novizen <strong>der</strong> Provinz <strong>der</strong> hl. Barbara in Kalifornien<br />

verbringen das zweite Jahr ihres Noviziats in<br />

einem vernachlässigtem Gebiet in den Außenbezirken<br />

von Guatemala-Stadt. Sie lernen Spanisch <strong>und</strong><br />

leben für ein Jahr unter den Armen, bevor sie ihre<br />

Studien o<strong>der</strong> ihre Berufsausübung beginnen.<br />

2) Kontakt mit den Ausgegrenzten:<br />

Die meisten Provinzen ermutigen die Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Ausbildungszeit nach dem Noviziat, Gefangene,<br />

Kranke, Flüchtlinge, Drogenabhängige, ältere Menschen<br />

<strong>und</strong> Aussätzige, usw. zu besuchen <strong>und</strong> an<br />

<strong>der</strong>en Leben Anteil zu nehmen.<br />

3) Unterstützung für lokale Organisationen<br />

Viele Provinzen (Baskenland, Zentralamerika, Bra-<br />

189


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

silien, Korea, Südafrika) ermutigen ihre jungen<br />

Brü<strong>der</strong>, sich an lokalen, religiösen wie zivilen Organisationen,<br />

<strong>der</strong>en Ziel die Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbedingungen<br />

sind, zu beteiligen <strong>und</strong> sie zu unterstützen.<br />

Anstatt parallele Organisationen aufzubauen,<br />

bringt die Solidarität mit denen, die bereits<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung kämpfen, die Brü<strong>der</strong> an die Seite <strong>der</strong><br />

Menschen anstatt in Leitungspositionen.<br />

4) In vielen Provinzen unterbrechen die jungen<br />

Brü<strong>der</strong> ihre Studien für ein Jahr <strong>und</strong> mehr <strong>und</strong><br />

beteiligen sich am Dienst ihrer Provinzen. Einige<br />

gehen in Missionsgebiete ihrer eigenen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Provinzen <strong>und</strong> arbeiten mit den Armen. An<strong>der</strong>e<br />

begleiten ausgegrenzte Gruppen zu Hause, gewöhnlich<br />

dort, wo schon Brü<strong>der</strong> engagiert sind.<br />

III. Die Stimme <strong>der</strong>er,<br />

die keine Stimme haben<br />

a) RFF 25b; 34b.<br />

b) Gelebte Erfahrungen<br />

1) Beteiligung an Provinzkommissionen für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

In Zentralamerika werden die jungen Brü<strong>der</strong> ermutigt,<br />

sich in die Arbeit <strong>der</strong> Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung einzubringen.<br />

Sie gehören voll zum Team, das somit<br />

nicht allein von den Brü<strong>der</strong>n abhängt, die formal<br />

von <strong>der</strong> Provinzleitung ernannt worden sind. Einige<br />

Brü<strong>der</strong> sind ermutigt worden, sich selbst in für sie<br />

wichtigen Bereichen durch Teilnahme an kurzfristigen<br />

Kursen <strong>und</strong> Seminaren, zu Hause <strong>und</strong> im Ausland,<br />

vorzubereiten. Auf diese Weise unternimmt<br />

eine Provinz Schritte, um Kontinuität sicherzustellen<br />

<strong>und</strong> sich für die Zukunft vorzubereiten.<br />

2) Brü<strong>der</strong> in vielen Provinzen unterstützen direkt<br />

<strong>und</strong> indirekt Organisationen, die unermüdlich für<br />

die Menschenrechte streiten, wie z.B. Amnesty<br />

International, usw. Sie treten einer Ortsgruppe <strong>der</strong><br />

Organisation bei <strong>und</strong> schreiben an Regierungen<br />

<strong>und</strong> beteiligte Behörden, bitten um die Freilassung<br />

von Gefangenen, von denen viele ihrer Rechte<br />

beraubt sind <strong>und</strong> systematisch misshandelt werden.<br />

190<br />

IV. Kritisches Bewusstsein<br />

a) RFF 32b; 79; 162.<br />

b) Gelebte Erfahrungen<br />

In einigen Provinzen nehmen sich die Brü<strong>der</strong> einen<br />

vereinbarten Zeitabschnitt während ihres monatlichen<br />

Kapitels, um gemeinsam über Themen von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

nachzudenken. Einer <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> bereitet eine<br />

kurze Analyse vor über das, was sich auf lokaler <strong>und</strong><br />

nationaler Ebene in sozialen, wirtschaftlichen, politischen<br />

<strong>und</strong> religiösen Bereichen zugetragen hat.<br />

Die Brü<strong>der</strong> tauschen dann aus, was sie wissen <strong>und</strong><br />

welche Konsequenzen dies für die Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> die<br />

Menschen hat o<strong>der</strong> haben kann. Wenn es um praktische<br />

Durchführung geht, wird über beson<strong>der</strong>e<br />

Aufgaben entschieden <strong>und</strong> es werden Verantwortlichkeiten<br />

zugeteilt.<br />

V. Offenheit für alle<br />

<strong>und</strong> Ablehnung von Gewalt<br />

a) RFF 21b.<br />

b) Gelebte Erfahrungen<br />

1) Die Brü<strong>der</strong> im Baskenland verweigern den<br />

Militärdienst, <strong>der</strong> für jeden in Spanien verpflichtend<br />

ist. Sie weigern sich ebenso, Gemeinschaftso<strong>der</strong><br />

zivile Dienste zu übernehmen, die als Alternativen<br />

angeboten sind. In ihrem Kontext meinen sie,<br />

dass diese Dienste nur das militärische Ethos stützen.<br />

Wegen ihrer Verweigerung haben viele die einjährige<br />

Haftzeit auf sich genommen.<br />

2) Lebensraum mit den Armen teilen<br />

In Australien, Singapur <strong>und</strong> Thailand bieten die<br />

Brü<strong>der</strong> Menschen, die an AIDS leiden, Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />

an <strong>und</strong> teilen ihren Lebensbereich mit ihnen.<br />

An<strong>der</strong>e Provinzen haben öffentlich ihre Häuser zu<br />

Asylstätten für politische wie wirtschaftliche Flüchtlinge<br />

erklärt. Die irische, einige italienische <strong>und</strong><br />

US-amerikanische Provinzen haben Teile ihrer<br />

Gebäude entwe<strong>der</strong> ständig o<strong>der</strong> vorübergehend für<br />

die Arbeit mit Armen <strong>und</strong> Ausgegrenzten zur Verfügung<br />

gestellt: mit Drogenabhängigen, AIDS-Patienten,<br />

Straßenkin<strong>der</strong>n, usw.<br />

In Uruguay haben die Brü<strong>der</strong> in Verbindung mit<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Familie eines ihrer Häuser für<br />

Nichtregierungsorganisationen geöffnet, die Men-


■ <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung im Kontext einzelner Apostolate<br />

schenrechts- <strong>und</strong> Entwicklungsarbeit leisten; gleichzeitig<br />

haben sie über diese Herausfor<strong>der</strong>ungen vom<br />

Standpunkt unseres Charismas aus nachgedacht.<br />

VI. Ständige Fortbildung<br />

a) RFF 58<br />

b) Gelebte Erfahrungen<br />

1) Provinztreffen<br />

Viele Provinzen organisieren regelmäßig (jährlich<br />

o<strong>der</strong> alle zwei bis drei Jahre) ein Provinztreffen, um<br />

über Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong><br />

Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung nachzudenken. Alle Brü<strong>der</strong><br />

werden eingeladen. In den meisten Fällen<br />

nimmt <strong>der</strong> örtliche Promotor daran teil. Ziel ist es,<br />

Erfahrungen auszutauschen <strong>und</strong> zukünftige Engagements<br />

abzustimmen. In einigen Provinzen werden<br />

diese Treffen in Verbindung mit <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie organisiert. Professen mit zeitlichen<br />

Gelübden werden ermutigt daran teilzunehmen.<br />

2) Viele Brü<strong>der</strong> treten lokalen Organisationen bei,<br />

die sich um Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbedingungen<br />

in ihren Gebieten bemühen. Im Allgemeinen vermeiden<br />

sie hervorgehobene Leitungspositionen.<br />

An<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> beteiligen sich an Unterstützergruppen<br />

<strong>und</strong> arbeiten zu Hause, um das Bewusstsein für<br />

Themen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, Kontinenten<br />

<strong>und</strong> Kulturen zu wecken.<br />

Geraoid Ó Conaire <strong>OFM</strong><br />

191


QUELLEN UND GEBETE


■ Franziskanische Präsenz in <strong>der</strong> Welt<br />

Anhang<br />

Option für die Armen –<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

in den Generalkapiteln <strong>und</strong> Ordensräten zwischen 1971–1997<br />

Biblische Texte<br />

Franziskanische Texte<br />

Kirchliche Soziallehre<br />

Option für die Armen –<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

in den Generalkonstitutionen<br />

Eine Textauswahl zu GFBS in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />

Charakteristika <strong>der</strong> franziskanischen Arbeit für GFBS<br />

Adressen<br />

Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

195


■ Anregungen für die Praxis<br />

Als Quellen zur Arbeit für GFBS geben wir im<br />

vierten Kapitel unseres Handbuches Auszüge aus<br />

den Dokumenten <strong>des</strong> Franziskanerordens wie<strong>der</strong>.<br />

Es folgen Hinweise auf<br />

– einige Bibeltexte,<br />

– franziskanische Quellenschriften <strong>und</strong><br />

– Texte aus <strong>der</strong> Soziallehre <strong>der</strong> Kirche<br />

zu folgenden Themen:<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

Frauen<br />

Befreiung<br />

Frieden<br />

Vergebung – Verzeihung - Gnade<br />

Die Armen<br />

Teilen – Solidarität<br />

Gemeinschaft – Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

Dialog – Ökumenismus<br />

Dienst – Caritas<br />

Natur – Schöpfung<br />

Eine Sammlung von Gebeten <strong>und</strong> Texten, ein<br />

Gottesdienstvorschlag, wichtige Adressen <strong>und</strong><br />

Impulse zu Charakteristika unserer Arbeit für GFBS<br />

sollen <strong>der</strong> konkreten Arbeit dienen.<br />

196


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

Option für die Armen –<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung in den<br />

Generalkapiteln <strong>und</strong><br />

Ordensräten zwischen<br />

1971–1997<br />

Generalkapitel Medellin 1971<br />

1. Erziehung <strong>und</strong> Ausbildung<br />

im Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

I. Die franziskanische Berufung<br />

8. Arm mit den Armen,<br />

gering mit den Geringen<br />

Solche <strong>und</strong> ähnliche Tendenzen können <strong>und</strong> werden<br />

auch tatsächlich auf verschiedene Art <strong>und</strong> Weise<br />

verwirklicht. Entsprechen sie nicht <strong>der</strong> ureigenen<br />

Absicht <strong>des</strong> hl. Franziskus, <strong>der</strong> ein Mann <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit,<br />

<strong>der</strong> Armut, <strong>der</strong> Minoritas, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

gewesen ist, vom Verlangen erfüllt, ein Leben nach<br />

dem Evangelium zu führen <strong>und</strong> jene Liebe zu<br />

offenbaren, die nicht geliebt wird?<br />

Die Zeitgenossen <strong>des</strong> hl. Franziskus sahen in ihm<br />

einen Erneuerer <strong>des</strong> Evangeliums, <strong>der</strong> Christus in<br />

die beschaulichen Höhen <strong>des</strong> Tabor, aber auch auf<br />

den Kalvaria, den Berg seines Leidens gefolgt ist,<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> in den Herzen <strong>der</strong> Menschen die Glut <strong>der</strong><br />

Liebe wie<strong>der</strong> entfachte <strong>und</strong> sie durch Wort <strong>und</strong> Beispiel<br />

lehrte, mit allen in Frieden zu leben <strong>und</strong> die<br />

Würde <strong>und</strong> Gleichberechtigung <strong>des</strong> Nächsten anzuerkennen.<br />

Er wollte, dass seine Brü<strong>der</strong> mit den<br />

Armen arm sein <strong>und</strong> sich mit den Niedrigen auf die<br />

gleiche Stufe stellen sollten.<br />

10. Einpflanzung in die Welt –<br />

die Anziehungskraft <strong>des</strong> Ordens.<br />

Wenn unser Orden seinem heiligen Stifter die Treue<br />

hält <strong>und</strong> sich in den Dienst <strong>der</strong> heutigen Welt <strong>und</strong><br />

ihrer großen Aufgaben stellt, wird er auch heute<br />

noch seine Anziehungskraft auf jene nicht verfehlen,<br />

die – zur letzten Hingabe bereit – sich den<br />

wesentlichen Werten <strong>der</strong> Gegenwart erschließen.<br />

III. Beson<strong>der</strong>e Erfor<strong>der</strong>nisse<br />

<strong>der</strong> Erziehung <strong>und</strong> Ausbildung<br />

I. Charakteristische Aspekte<br />

<strong>des</strong> franziskanischen Lebens<br />

24. Gottesliebe <strong>und</strong> Menschenliebe<br />

Die franziskanische Lebensform kommt in einem<br />

Leben <strong>der</strong> Liebe zu Gott über alles zum Ausdruck.<br />

Doch schließt diese Liebe selbstverständlich auch<br />

die Menschen mit ein. Sich Christus gleich gestalten,<br />

alle Menschen lieben, sich gegen alle Geschöpfe<br />

edel <strong>und</strong> gut erweisen, ist ein <strong>und</strong> dasselbe.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Christus <strong>und</strong> seinen Aposteln<br />

in ihrem apostolischen Leben nachfolgt, will<br />

ein Zeichen sein <strong>und</strong> durch ein frohes, bescheidenes,<br />

schlichtes, offenes <strong>und</strong> echt menschliches<br />

Leben für das Kommen <strong>des</strong> Reiches Gottes Zeugnis<br />

ablegen. Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> verspricht, das Evangelium<br />

stets zu seiner Richtschnur zu machen, in <strong>des</strong>sen<br />

Licht er zu stetem Neuanfang bereit ist.<br />

Mitten im konkreten Leben stehend, sucht er sich<br />

den apostolischen Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus zu eigen<br />

zu machen, um damit seine gesamte Tätigkeit zu<br />

beseelen. Durch sein Zeugnis <strong>und</strong> durch seine Predigt<br />

sucht er alle sozialen <strong>und</strong> kulturellen Wirklichkeiten<br />

<strong>der</strong> heutigen Welt auf das Evangelium auszurichten.<br />

26. Minoritas<br />

Minoritas <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit geben unserem Leben<br />

sein wesentliches Gepräge. Der Franziskaner ist in<br />

dem Maße „Min<strong>der</strong>“-bru<strong>der</strong>, als er Christus in seiner<br />

Entäußerung gleich werden <strong>und</strong> ihm in Demut<br />

<strong>und</strong> Sanftmut nachfolgen will, bereit, Gott in kindlichem<br />

<strong>und</strong> frohem Gehorsam zu dienen, für alle<br />

Menschen da zu sein <strong>und</strong> den letzen Platz einzunehmen.<br />

Und wenn <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> heute an <strong>der</strong><br />

notwendigen Anpassung <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> Ordens<br />

an die mo<strong>der</strong>ne Zeit mitarbeitet, sucht er doch<br />

keine Vormachtstellung <strong>und</strong> ist bereit, bei all<br />

seinem bescheidenen Einsatz die Gefahr auf sich zu<br />

nehmen, missverstanden zu werden. Doch darf die<br />

Minoritas nicht mit Schwäche verwechselt werden.<br />

197


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

Die Minoritas macht die einzelnen Brü<strong>der</strong> wie die<br />

ganze brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft zu <strong>Werkzeuge</strong>n <strong>des</strong><br />

<strong>Friedens</strong>, gibt ihnen die richtige Einschätzung ihrer<br />

eigenen Kräfte <strong>und</strong> befähigt sie auch zum Verzicht,<br />

wo das Wohl <strong>der</strong> Gemeinschaft dies erfor<strong>der</strong>t: bei<br />

Versetzungen, bei Übernahme ungewohnter Arbeiten<br />

<strong>und</strong> Tätigkeiten, durch die Bereitschaft, auch<br />

unbezahlte Dienste zu leisten, notfalls in <strong>der</strong> Kirche<br />

allseits verfügbare Einsatzgruppen zu bilden. Doch<br />

ist die Minoritas alles eher als Oberflächlichkeit<br />

o<strong>der</strong> Mangel an Können; im Gegenteil, sie setzt das<br />

notwendige Können <strong>und</strong> die Ausdauer in <strong>der</strong> Arbeit<br />

voraus.<br />

50. Materielle <strong>und</strong> geistliche Armut<br />

Der hl. Franziskus weist alle seine Brü<strong>der</strong> darauf<br />

hin, dass Christus die Allerseligste Jungfrau Maria<br />

<strong>und</strong> seine Jünger arm <strong>und</strong> wie Fremdlinge in dieser<br />

Welt gelebt haben, um sie zu ermahnen, ihrem Beispiel<br />

zu folgen. Deshalb sollen die Erzieher die jungen<br />

Brü<strong>der</strong> dazu anleiten, diese Minoritas, die unserer<br />

brü<strong>der</strong>lichen Gemeinschaft ihr beson<strong>der</strong>es<br />

Gepräge gibt, zu leben. Sie sollen die Brü<strong>der</strong> durch<br />

Wort <strong>und</strong> Leben lehren, echte Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> zu<br />

sein <strong>und</strong> sich wegen Gott jedem Menschen unterzuordnen.<br />

Das aber setzt stete Selbstverleugnung <strong>und</strong> echte<br />

Demut voraus. Wir dürfen uns <strong>des</strong>sen, was <strong>der</strong> Herr<br />

durch uns sagt <strong>und</strong> wirkt, nicht rühmen, son<strong>der</strong>n<br />

müssen es auch ertragen können, für gering <strong>und</strong><br />

einfältig zu gelten <strong>und</strong> verachtet zu werden, denn<br />

<strong>der</strong> Mensch ist das, was er vor Gott ist, <strong>und</strong> nicht<br />

mehr.<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollen zu einfacher Lebensweise angehalten<br />

werden: die Häuser sollen schlicht <strong>und</strong> einfach<br />

ausgestattet sein. Doch darf die Armut nicht<br />

mit Unsauberkeit <strong>und</strong> Selbstvernachlässigung verwechselt<br />

werden. Sie sollen mit den Armen Kontakt<br />

pflegen, um ihre Nöte <strong>und</strong> Bedürfnisse kennen zu<br />

lernen. Dabei wird man gerade bei ihnen nicht selten<br />

eine echt evangelische Haltung <strong>und</strong> ein echtes<br />

Solidaritätsbewusstsein feststellen können.<br />

Wie <strong>der</strong> hl. Franziskus sollen sich auch die Brü<strong>der</strong><br />

freuen, mit einfachen <strong>und</strong> verachteten Menschen,<br />

mit Armen <strong>und</strong> Ausgestoßenen, mit Kranken <strong>und</strong><br />

Bettlern umgehen zu können.<br />

198<br />

4. Erziehung zum Umgang mit <strong>der</strong> Welt<br />

52. In <strong>der</strong> Welt präsent<br />

Eine echte Erziehung muss die Kandidaten auch<br />

zum richtigen Verhalten gegenüber <strong>der</strong> Welt anleiten,<br />

<strong>der</strong> sie angehören <strong>und</strong> in <strong>der</strong> sie zu wirken<br />

haben.<br />

Das franziskanische Leben ist keine Flucht aus <strong>der</strong><br />

Welt, son<strong>der</strong>n nach dem Beispiel <strong>des</strong> menschgewordenen<br />

Wortes ein Leben in <strong>der</strong> Welt um in ihr die<br />

Tatsache transzendenter Wirklichkeiten zu bezeugen,<br />

das Gute zu entdecken, das Gott in sie hineingelegt<br />

hat, sich ihrer zur Entfaltung <strong>des</strong> eigenen<br />

Lebens zu bedienen <strong>und</strong> sie als Zeichen zu betrachten,<br />

die den Menschen auf Gott hinweisen sollen.<br />

Der Umgang mit <strong>der</strong> Außenwelt aber soll dem Grad<br />

<strong>der</strong> menschlichen, beruflichen <strong>und</strong> geistigen Reife<br />

entsprechen, den <strong>der</strong> Kandidat erlangt hat. Vor<br />

allem aber muss er im Geist <strong>des</strong> hl. Franziskus verstanden<br />

werden. Denn dieser war unter den Menschen<br />

unermüdlich tätig, war aber dabei stets von<br />

<strong>der</strong> Sehnsucht erfüllt, wie<strong>der</strong> in die Einsamkeit<br />

zurückkehren zu können, um Christus im Gebet<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Verb<strong>und</strong>enheit mit dem Vater nachzuahmen,<br />

<strong>und</strong> bewies dadurch, dass er zwar in <strong>der</strong><br />

Welt lebte, aber nicht von <strong>der</strong> Welt war, wohl aber<br />

den Menschen dienen wollte.<br />

Die Kandidaten sollen nicht nur mit <strong>der</strong> eigenen<br />

Familie normale Beziehungen unterhalten, son<strong>der</strong>n<br />

gelegentlich auch mit an<strong>der</strong>en Menschen in Kontakt<br />

treten <strong>und</strong> mit ihnen arbeiten, um ihren<br />

Charakter <strong>und</strong> ihre Psyche kennen zu lernen, was<br />

für ihre künftige apostolische Tätigkeit von großem<br />

Nutzen sein wird. Sie sollen dadurch aber auch zur<br />

Erkenntnis gelangen, dass Zölibat <strong>und</strong> Ehe einan<strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> Kirche ergänzen <strong>und</strong> gegenseitig befruchten.<br />

53. Sensibel für die sozialen Verhältnisse<br />

Die Kandidaten sollen auch zum richtigen<br />

Gebrauch <strong>der</strong> Massenmedien angeleitet werden,<br />

soweit dies ihrer Entwicklung dienlich sein kann.<br />

Doch muss in diesem umfassenden <strong>und</strong> komplexen<br />

Bereich darauf geachtet werden, dass die Erzieher<br />

die Kandidaten dazu anleiten müssen, keine bloß<br />

passiven Zuschauer zu sein, son<strong>der</strong>n das Angebot<br />

<strong>und</strong> den Einfluss <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Welt kritisch zu<br />

beurteilen.<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollen auch zum Verständnis <strong>und</strong> zu<br />

einem richtigen Urteil über die sozialen Verhältnisse<br />

angeleitet werden, damit sie in ihrer künftigen


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

Tätigkeit die Mentalität <strong>und</strong> die Gepflogenheiten,<br />

die Gesetze <strong>und</strong> die Strukturen jener menschlichen<br />

Gesellschaft, in <strong>der</strong> sie leben, mit christlichem<br />

Geiste erfüllen können, <strong>und</strong>, soweit es von ihnen<br />

abhängt, in Wort <strong>und</strong> Tat am Aufbau einer menschlicheren<br />

<strong>und</strong> gerechteren zeitlichen Ordnung mitarbeiten<br />

können.<br />

7. Erziehung zu ökumenischer Gesinnung<br />

59. Ein universales Bewusstsein<br />

Die heutige ökumenische Bewegung erfor<strong>der</strong>t, dass<br />

die Erziehung <strong>der</strong> Notwendigkeit Rechnung trage,<br />

den Kandidaten einen umfassenden <strong>und</strong> weltweiten<br />

Horizont zu vermitteln.<br />

Deshalb sollen die Brü<strong>der</strong> nicht bloß in die Gr<strong>und</strong>züge<br />

<strong>der</strong> ökumenischen Theologie <strong>und</strong> die darauf<br />

bezüglichen Fragen eingeführt werden, son<strong>der</strong>n es<br />

soll ihnen auch die Möglichkeit <strong>und</strong> Gelegenheit<br />

geboten werden, ihre ökumenische Gesinnung in<br />

fre<strong>und</strong>schaftlichem <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kenntnis <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Standpunkte dienendem Dialog, <strong>und</strong> in gemeinsamem<br />

Gespräch <strong>und</strong> Gebet mit nichtkatholischen<br />

Christen o<strong>der</strong> Personen an<strong>der</strong>er Religionsbekenntnisse<br />

zum Ausdruck zu bringen. Doch müssen sie<br />

sich dabei stets an die Normen <strong>der</strong> Kirche halten,<br />

die in diesem wichtigen Anliegen klare Richtlinien<br />

erlassen hat <strong>und</strong> ihre Weisungen erteilt.<br />

Generalkapitel Medellin 1971<br />

„Der Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>orden <strong>und</strong> die Mission“<br />

I. Durch Menschwerdung <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

zur menschlichen Würde<br />

10. Wir sind fest überzeugt, dass diese Lebensform<br />

<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit in <strong>der</strong> Nachfolge Christi <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> hl. Franziskus <strong>der</strong> Menschheit von heute einen<br />

großen Dienst leisten kann. Wir sollen die Not<br />

unserer Zeit durch unsere Brü<strong>der</strong>lichkeit lin<strong>der</strong>n.<br />

„So hat <strong>der</strong> Sohn Gottes die Wege wirklicher<br />

Fleischwerdung beschritten, um die Menschen <strong>der</strong><br />

göttlichen Natur teilhaft zu machen; unseretwegen<br />

ist er arm geworden, da er doch reich war, damit wir<br />

durch seine Armut reich würden. Der Menschensohn<br />

kam nicht, um sich bedienen zu lassen, son<strong>der</strong>n<br />

um zu dienen <strong>und</strong> sein Leben als Lösegeld<br />

hinzugeben für die Vielen, d. h. für alle.“<br />

12. Wir hoffen <strong>und</strong> wünschen, dass unsere brü<strong>der</strong>liche<br />

Gemeinschaft, die unsere gesellschaftliche<br />

Form darstellt, stets zum Dienst an den Menschen<br />

bereit sei <strong>und</strong> ihnen helfe, die evangelischen Werte<br />

<strong>der</strong> Menschenwürde, eines umfassenden Fortschritts<br />

<strong>und</strong> einer wahren Freiheit zu verwirklichen.<br />

Dadurch wird die Gr<strong>und</strong>idee, die den Ansporn, das<br />

Maß <strong>und</strong> das Ziel <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft bildet,<br />

nämlich <strong>des</strong> Fortschritts, klarer erkannt <strong>und</strong> aufgehellt<br />

werden.<br />

II. Unsere Missionsarbeit vollzieht sich innerhalb<br />

<strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft<br />

13. Unsere Missionsarbeit gilt nicht bestimmten<br />

Gebieten, son<strong>der</strong>n Menschen, die in einer raumzeitlich<br />

bedingten Gesellschaft leben. Zu ihnen<br />

sendet uns <strong>der</strong> Vater, <strong>der</strong> sein Wort durch die Kirche<br />

an sie richtet. Die Völker, zu denen wir gesandt<br />

werden, haben vielleicht denselben Glauben wie<br />

wir, o<strong>der</strong> sie haben einen an<strong>der</strong>en Glauben, o<strong>der</strong><br />

überhaupt keinen. Ihnen allen wollen wir in gleicher<br />

Weise schon durch das Zeugnis unserer Präsenz<br />

Diener, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> sein. (…) Unsere<br />

Sorge gilt allen Menschen, vor allem aber denen,<br />

die neue Lebenstiefen suchen, die nach vollerer<br />

Wahrheit, <strong>Gerechtigkeit</strong>, Freiheit <strong>und</strong> Menschenwürde<br />

verlangen, jenen, die Armut <strong>und</strong> Not leiden<br />

199


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Welt verachtet <strong>und</strong> verstoßen sind.<br />

Unter ihnen wollen wir mehr denn je leben <strong>und</strong><br />

wirken.<br />

Heute ganz beson<strong>der</strong>s sind wir dringend verpflichtet,<br />

uns zum Nächsten schlechthin eines jeden<br />

Menschen zu machen <strong>und</strong> ihm, wo immer er uns<br />

begegnet, tatkräftig zu helfen, ob es sich nun um<br />

alte, von allen verlassene Leute handelt o<strong>der</strong> um<br />

einen Fremdarbeiter, <strong>der</strong> ungerechter Geringschätzung<br />

begegnet, um einen Heimatvertriebenen o<strong>der</strong><br />

um ein uneheliches Kind, das in unverdienter Weise<br />

für eine von ihm nicht begangene Sünde leidet,<br />

o<strong>der</strong> um einen Hungernden, <strong>der</strong> unser Gewissen<br />

aufrüttelt durch die Erinnerung an das Wort <strong>des</strong><br />

Herrn: „Was ihr einem <strong>der</strong> geringsten von meinen<br />

Brü<strong>der</strong>n getan habt, das habt ihr mir getan.“<br />

V. Wir sind Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

25. Kein Friede ohne <strong>Gerechtigkeit</strong>:<br />

Wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> können unsere Augen vor den<br />

harten Bedingungen nicht verschließen, unter<br />

denen viele unserer Brü<strong>der</strong> in vielen Teilen <strong>der</strong> heutigen<br />

Welt zu leben haben. Niemand kann leugnen,<br />

dass in vielen Teilen <strong>der</strong> Welt äußerste menschliche<br />

Not, Armut <strong>und</strong> Ungerechtigkeit herrschen. Unser<br />

Wahlspruch lautet: „Friede bedeutet Fortschritt!!“<br />

Doch gibt es keinen Frieden um den Preis <strong>der</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

26. Authentische Zeugen – bereit zum Risiko:<br />

Wir sind fest überzeugt, dass die Bekehrung zum<br />

gekreuzigten <strong>und</strong> auferstandenen Christus <strong>und</strong> das<br />

konkrete Zeugnis für diese Bekehrung die Gr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>des</strong> christlichen Lebens bildet. Als Jünger <strong>des</strong><br />

hl. Franziskus müssen wir echte Zeugen <strong>des</strong> Evangeliums<br />

sein, unserem Volke in Treue <strong>und</strong> Hingabe<br />

dienen, bereit, jede Gefahr auf uns zu nehmen, <strong>der</strong><br />

wir auf dem Wege <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

<strong>der</strong> Verfolgung um <strong>des</strong> Reiches Gottes willen<br />

begegnen.<br />

27. Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, nicht <strong>des</strong> Kompromisses:<br />

In Treue zu unserer Mission <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, sind wir<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, nicht aber<br />

<strong>des</strong> Kompromisses; denn <strong>der</strong> Friede, dem wir<br />

dienen, muss die Frucht wahrer <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Liebe sein. Wo aber <strong>der</strong> Ruf nach gewaltsamer<br />

Revolution erhoben wird, muss sich <strong>der</strong> Christ<br />

200<br />

bewusst bleiben, dass er die Gewalt gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

abzulehnen hat, wenn er auch respektiert, was die<br />

theologische, soziale <strong>und</strong> juridische Tradition in<br />

gewissen Fällen für erlaubt erklärt.<br />

Generalkapitel Madrid 1973<br />

„Die Berufung <strong>des</strong> Ordens heute“<br />

Kapitel 4: Brü<strong>der</strong> unter den Menschen<br />

12. Nicht alleine, son<strong>der</strong>n zusammen mit Brü<strong>der</strong>n:<br />

Der Herr hat uns berufen, das Evangelium zu leben,<br />

nicht als einzelne, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Gemeinschaft von<br />

Brü<strong>der</strong>n. In ihr <strong>und</strong> durch sie erfüllt sich unsere<br />

Berufung, denn sie ist <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Ort unserer<br />

Begegnung mit Gott. Wir wollen nicht nur nebeneinan<strong>der</strong><br />

leben als Menschen, die auf ein gemeinsames<br />

Ziel ausgerichtet sind <strong>und</strong> einan<strong>der</strong> helfen, es<br />

zu erreichen. Darüber hinaus wenden wir uns auch<br />

einer dem an<strong>der</strong>en mit gegenseitiger Liebe zu. Der<br />

Herr hat uns ja selbst das Beispiel <strong>und</strong> das Gebot<br />

dazu gegeben. Wir sollen alle einan<strong>der</strong> als Brü<strong>der</strong><br />

betrachten <strong>und</strong> einan<strong>der</strong> achten; wir sollen einan<strong>der</strong><br />

ganz schlicht unsere Sorgen sagen können <strong>und</strong> einan<strong>der</strong><br />

die geringsten Dienste tun; wir sollen Streitigkeiten,<br />

penetrante Nörgelei, Zorn <strong>und</strong> Verurteilung<br />

vermeiden. Kurz gesagt: wir sollen einan<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Tat <strong>und</strong> nicht in Worten lieben, <strong>und</strong> zwar mit jener<br />

Güte, die eine Mutter ihren Kin<strong>der</strong>n gegenüber<br />

hegt.<br />

15. Liebe, die nicht diskriminiert:<br />

Unsere brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft ist keine in sich<br />

selbst abgeschlossene Gruppe. Schon aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Dynamik ist sie offen für alle Menschen, in denen<br />

uns ja Christus sichtbar wird. Wir müssen Fre<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> Feinde lieben <strong>und</strong> sie annehmen, mögen sie zu<br />

uns kommen o<strong>der</strong> wir zu ihnen gehen. Und wir<br />

können mit denen, die es möchten, gemeinsam<br />

nach neuen Formen <strong>der</strong> Beziehung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verb<strong>und</strong>enheit<br />

mit <strong>der</strong> franziskanischen Familie suchen.<br />

Unsere Welt ist in soziale Klassen <strong>und</strong> ideologische<br />

Gruppen gespalten; das ist eine Tatsache. Wir lehnen es<br />

aber eindeutig ab, die Menschen aufgr<strong>und</strong> ihrer Klassen-<br />

o<strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit zu beurteilen <strong>und</strong> zu<br />

verurteilen. Wir wissen uns verpflichtet, überall<br />

Zeugen <strong>des</strong> Evangeliums zu sein. Deswegen dürfen


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

wir uns in unseren Kontakten nicht auf Streitigkeiten<br />

einlassen <strong>und</strong> sollen auf keinen Fall unversöhnlichen<br />

Gruppenbildungen Vorschub leisten. Wir<br />

wollen Menschen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> sein, ohne Hintergedanken,<br />

fre<strong>und</strong>lich, fröhlich, je<strong>der</strong>mann untertan.<br />

Wir werden auf unnötigen Wi<strong>der</strong>stand verzichten.<br />

Denn wir sind überzeugt, dass wir Diener eines<br />

Wortes sind, das größer <strong>und</strong> wirksamer ist als wir<br />

selbst. Durch unsere zugleich wachsame <strong>und</strong> wohlwollende<br />

Liebe sollen wir allen, mit denen wir<br />

zusammenkommen, Zeugnis geben von dem unersetzlichen<br />

Wert einer jeden menschlichen Person.<br />

16. Befreiend für Unterdrückte <strong>und</strong><br />

für Unterdrücker:<br />

In unserer Welt haben wirtschaftliche, soziale <strong>und</strong><br />

politische Strukturen großen Einfluss auf den Menschen.<br />

Durch subtile Formen <strong>der</strong> Manipulation<br />

wird oftmals die wahre Freiheit verhin<strong>der</strong>t. Wir<br />

können demgegenüber nicht indifferent bleiben. Seien<br />

wir solidarisch überall dort, wo aufgr<strong>und</strong> einer Situation,<br />

vielleicht durch Unterentwicklung <strong>und</strong> Ausbeutung,<br />

<strong>der</strong> Mensch nicht als Mensch leben kann. Im<br />

Namen <strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>und</strong> gerade<br />

aus unserer Berufung als „Herolde <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>“<br />

haben wir gegen dieses Übel anzukämpfen <strong>und</strong> uns<br />

einzusetzen für die Befreiung <strong>der</strong> Unterdrückten<br />

wie auch <strong>der</strong> Bedrücker, indem wir ihnen die<br />

Bekehrung <strong>und</strong> den Glauben an das Evangelium<br />

predigen (Mk I, 15).<br />

Kapitel 5: Diener aller<br />

18. Verweigerung je<strong>des</strong> Machtstrebens:<br />

Der Name „Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>“, den wir tragen, enthält<br />

nicht nur einen Aufruf zur Brü<strong>der</strong>lichkeit, son<strong>der</strong>n<br />

auch zum schlichten Dienst (minoritas). Schon<br />

innerhalb unserer Gruppe sind wir aufgefor<strong>der</strong>t,<br />

einan<strong>der</strong> gehorsam zu sein. Und wenn jemandem<br />

durch ein Amt eine gewisse Autorität gegeben ist,<br />

dann sollte je<strong>des</strong> Herrschenwollen <strong>und</strong> Machtstreben<br />

ausgeschlossen sein. Ein Amt haben bedeutet<br />

ganz einfach: den an<strong>der</strong>en dienen.<br />

19. Orden <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>en Brü<strong>der</strong><br />

Um Gottes willen sind wir aller Kreatur untertan.<br />

Deswegen müssen wir uns als einzelne wie als<br />

Gemeinschaft, als Kleine <strong>und</strong> als Diener erweisen.<br />

Niemand soll Angst vor uns haben. Denn wir versuchen<br />

zu dienen, nicht zu herrschen <strong>und</strong> uns aufzudrängen.<br />

Wir tun das aus religiösen Gründen. Solch<br />

eine Haltung braucht den Geist <strong>des</strong> Kindseins, <strong>des</strong><br />

Kleinseins, braucht Einfachheit <strong>und</strong> Optimismus<br />

den Menschen <strong>und</strong> den Ereignissen gegenüber. Wir<br />

müssen es hinnehmen, dass es Unsicherheit gibt im<br />

Bereich <strong>der</strong> Ideen <strong>und</strong> Institutionen <strong>und</strong> Ungewissheit<br />

angesichts <strong>der</strong> Zukunft. Wir wollen anerkennen,<br />

dass wir schwach <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>bar sind,<br />

„unnütze Knechte“ (Lk 17,10), <strong>und</strong> dass Gott allein<br />

stark ist. So können wir unseren Teil dazu beitragen,<br />

dass das Antlitz <strong>der</strong> christlichen Gemeinschaft wie<strong>der</strong><br />

strahlend wird – ihr Gesicht ist ja auch das ihres<br />

Herrn, <strong>der</strong> gekommen ist, „um zu dienen, nicht um<br />

bedient zu werden“ (Mt 20,28).<br />

Kapitel 6: Jünger <strong>des</strong> armen Christus<br />

20. Unsere ständige Herausfor<strong>der</strong>ung:<br />

Unsere Regel <strong>und</strong> unser Leben ist dies: in allem den<br />

Spuren Christi zu folgen. Weil er für uns arm<br />

geworden ist, sind wir gerufen, dem Herrn zu dienen<br />

in Armut <strong>und</strong> Einfachheit, wie Pilger <strong>und</strong><br />

Fremdlinge in dieser Welt. Gelebte Armut in ihrer<br />

doppelten, d. h. in ihrer geistlichen <strong>und</strong> sozialen<br />

Dimension ist unsere beson<strong>der</strong>e <strong>und</strong> bleibende Aufgabe.<br />

22. Leben wie einfache Leute:<br />

Wir müssen in unserer Zeit dafür sorgen, dass wir<br />

auch in einer völlig an<strong>der</strong>en sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Lage das Wesentliche unserer Entscheidung<br />

für die Armut durchhalten können. In <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

hat die radikale Armut <strong>des</strong> Franziskus auf den<br />

Orden immer wie<strong>der</strong> anziehend gewirkt. Der Orden<br />

hat sich stets mit größerer o<strong>der</strong> geringerer Strenge gegen<br />

den natürlichen Hang gewandt, sich einzurichten.<br />

Wir sind heute alle dazu aufgerufen, uns zu fragen,<br />

wie wir dieser For<strong>der</strong>ung gerecht werden können.<br />

Die Situation <strong>des</strong> größten Teils <strong>der</strong> Menschen lässt<br />

sich heute so kennzeichnen: Sie haben kein Eigentum<br />

an Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden, wohnen in Miete, sie<br />

arbeiten für ihren Lebensunterhalt, ihre Arbeitsstelle<br />

ist kündbar. Ein noch wichtigerer Maßstab vielleicht<br />

ist die Masse <strong>der</strong>er, die unter unmenschlichen<br />

Bedingungen leben. Wir müssen danach suchen,<br />

wie wir heute, unter Berücksichtigung <strong>der</strong> örtlichen<br />

201


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

Gegebenheiten, die ,minoritas‘ leben können. Aus<br />

<strong>der</strong> Situation, in <strong>der</strong> wir leben, können wir nicht<br />

einfach ausbrechen. Wir wenden uns jedoch gegen<br />

jene Strukturen <strong>und</strong> Zustände, durch die so viele<br />

unserer Mitmenschen in Not leben. Gemeinsam<br />

mit ihnen wollen wir versuchen, <strong>der</strong> Sauerteig<br />

für eine neue Gesellschaft zu sein, die zur vollkommenen<br />

Teilhabe am Heil Christi berufen ist<br />

(vgl. Röm 11,12).<br />

23. Frei <strong>und</strong> anspruchslos:<br />

Wenn wir so zu leben lernen, können wir uns von<br />

<strong>der</strong> heutigen Produktions- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft<br />

deutlich <strong>und</strong> kritisch distanzieren. Wir müssen auf<br />

Besitzungen verzichten <strong>und</strong> von unserer Arbeit<br />

leben, einfach, anspruchslos, aber nicht stillos. Wir<br />

müssen uns hüten, <strong>der</strong> Reklame zum Opfer zu fallen,<br />

die ja nur auf Konsum zielt. Das wird uns den Sinn<br />

<strong>der</strong> materiellen Güter aufgehen lassen. Es wird uns<br />

den Armen <strong>und</strong> Benachteiligten näher bringen <strong>und</strong><br />

beson<strong>der</strong>s allen jenen, die sich von <strong>der</strong> Wohlstandsgesellschaft<br />

angewi<strong>der</strong>t fühlen <strong>und</strong> versuchen, anspruchsloser<br />

<strong>und</strong> freier zu leben.<br />

24. Frei von Angst:<br />

Unsere evangelische Armut schließt auch das Teilen<br />

ein. Was wir haben, werden wir nicht nur untereinan<strong>der</strong><br />

teilen. Wir müssen vielmehr versuchen, es<br />

auch an<strong>der</strong>en weiterzugeben <strong>und</strong> sie geistig wie<br />

materiell zu unterstützen. Die Armut, für die wir<br />

uns entschieden haben, befreit uns von Sorge – wir<br />

haben die Verheißung, <strong>und</strong> unsere Hoffnung gründet<br />

sich darauf. So kann unser Leben <strong>und</strong> unsere<br />

Freude ein Zeugnis davon sein, dass diese Welt<br />

einen Sinn hat, <strong>der</strong> über sie hinausgeht; dass es auf<br />

eine Zukunft zugeht, die wir Jesus Christus nennen.<br />

25. Ökologie <strong>und</strong> brü<strong>der</strong>liche Menschlichkeit:<br />

Im Geist <strong>des</strong> „Sonnengesangs“ gilt unsere brü<strong>der</strong>liche<br />

Sorge auch <strong>der</strong> ganzen Schöpfung. Die Natur<br />

ist ja heute bedroht durch unverantwortliches <strong>und</strong><br />

gedankenloses Verhalten <strong>der</strong> Industrie- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft.<br />

Wir Menschen haben diese Erde als<br />

freie Gabe aus <strong>der</strong> Liebe Gottes empfangen – wir<br />

wollen sie menschlich gestalten durch eine Beherrschung,<br />

die nichts an<strong>der</strong>es ist als ein brü<strong>der</strong>licher<br />

Dienst an allem. Wir teilen zwar die Unruhe unserer<br />

Zeit; wir eröffnen ihr aber auch den tieferen Sinn:<br />

diese Schöpfung hat ihren Ursprung in <strong>der</strong> Liebe.<br />

Es soll eine brü<strong>der</strong>liche Menschheit entstehen in<br />

202<br />

Christus, durch den <strong>und</strong> auf den hin alles geschaffen<br />

ist.<br />

Kapitel 7: Kün<strong>der</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> in unserer Welt<br />

31. Neue Menschlichkeit:<br />

Die wesentliche Sendung unserer Brü<strong>der</strong>gemeinschaft,<br />

ihre Berufung in Kirche <strong>und</strong> Welt besteht in<br />

<strong>der</strong> lebendigen Verwirklichung unseres Lebensplans.<br />

Wenn wir uns bemühen, die Glaubenserfahrung<br />

innerhalb <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft zu<br />

leben, indem wir eine brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft <strong>der</strong><br />

Liebe <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes aufbauen, die für alle offen<br />

ist; wenn wir in Armut <strong>und</strong> Arbeit leben <strong>und</strong> die<br />

Hoffnung <strong>der</strong> Armen teilen, dann sind wir überzeugt:<br />

unser Leben kann eine Andeutung <strong>der</strong> neuen<br />

Menschheit sein – jener neuen Menschheit, die sich<br />

um den auferstandenen Jesus versammelt <strong>und</strong> bildet<br />

in <strong>der</strong> Kraft seines Geistes. Unser Beitrag zum Aufbau<br />

<strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschheit besteht in erster<br />

Linie darin: Zeugnis abzulegen durch unser Leben.<br />

33. Inmitten <strong>der</strong> Menschen:<br />

Wir wollen inmitten <strong>der</strong> Gesellschaft eine brü<strong>der</strong>liche<br />

Gemeinschaft aufbauen, in <strong>der</strong> die verschiedensten<br />

Menschen miteinan<strong>der</strong> leben, die Güter teilen,<br />

gemeinsam arbeiten. Wenn eine Gemeinschaft auf<br />

die Gewalt verzichtet, um dienstbar sein zu können;<br />

wenn sie sich für einen Lebensstil entscheidet, <strong>der</strong><br />

sie den Armen nahe bringt <strong>und</strong> sie aufmerksam<br />

macht für das Los <strong>der</strong> Unterdrückten, dann hat das<br />

– ob man es nun will o<strong>der</strong> nicht – soziale <strong>und</strong> politische<br />

Auswirkungen. Man möge sich davor hüten,<br />

unser Bestreben mit irgendeiner politischen Strömung<br />

zu verwechseln. Und man lasse sich auch nicht für die<br />

eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Tendenz einspannen. Was wir wollen<br />

ist nur dies: die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Seligpreisungen bis in<br />

die letzte Konsequenz hinein verfolgen. Je<strong>der</strong> menschliche<br />

Erfolg ist da relativ <strong>und</strong> vorläufig, denn er<br />

kann nicht einfach mit dem Reich Gottes in eins<br />

gesetzt werden; aber wir können doch zeigen, dass<br />

eine Gesellschaft möglich ist, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Mensch frei<br />

ist, in <strong>der</strong> er als Bru<strong>der</strong> anerkannt <strong>und</strong> in seinem<br />

Wert respektiert wird.<br />

34. Soziales <strong>und</strong> politisches Engagement:<br />

Daher <strong>und</strong> unter Beachtung unserer Berufung als<br />

<strong>Friedens</strong>stifter können wir wahrhaftig <strong>und</strong> ehrlich


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

an den sozialen <strong>und</strong> politischen Problemen <strong>und</strong><br />

Kämpfen von heute teilnehmen. Damit alle blinde<br />

<strong>und</strong> sentimentale Begeisterung vermieden wird,<br />

bedarf es natürlich einer ernsthaften Information;<br />

sie muss Pauschalurteile <strong>und</strong> unverantwortliche<br />

Erklärungen verhin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> eine möglichst objektive<br />

Analyse <strong>der</strong> Situation erlauben. Mehr noch:<br />

wenn wir untereinan<strong>der</strong> die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> das<br />

Teilen zu leben versuchen; wenn wir nach unseren<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Talenten am Los <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Arbeit<br />

für die Armen <strong>und</strong> Benachteiligten unserer Zeit teilnehmen,<br />

dann haben wir auch das Recht <strong>und</strong> die<br />

Pflicht, uns für die Unterdrückten einzusetzen. Das<br />

werden wir aus Liebe zur Person tun, die wir in<br />

jedem Menschen entdecken. Es spielt dabei keine<br />

Rolle, zu welcher sozialen Gruppe er gehört. Als<br />

Menschen, die sich für den Frieden einsetzen, werden<br />

wir das Reich Gottes vorantreiben. Dort wird es<br />

ja keine Mauern mehr zwischen den Menschen<br />

geben <strong>und</strong> keine Beherrschung <strong>des</strong> einen durch den<br />

an<strong>der</strong>en: „nicht mehr Sklave noch Freier, … son<strong>der</strong>n<br />

alle Söhne Gottes“ (Gal 3,26-28).<br />

Generalkapitel Assisi 1979<br />

Prioritäten <strong>und</strong> Empfehlungen<br />

<strong>des</strong> Generalkapitels<br />

2. Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> sollen in einer zunehmend<br />

säkularisierten Welt ihren Teil zur christlichen<br />

Durchdringung beitragen, indem sie sich selber<br />

zahlreich <strong>und</strong> intensiv <strong>und</strong> mit ihrer im Evangelium<br />

verwurzelten Predigt den Problemen dieser Erde<br />

zuwenden.<br />

6. Wir wollen uns mit „christlichen Basisgemeinden“<br />

verbünden, damit <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Evangeliums<br />

noch eindeutiger aufscheint. Ebenso wollen wir in<br />

unserem Einsatz für Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

denen nahe sein, die verfolgt <strong>und</strong> ausgebeutet werden.<br />

Wir wollen so leben, dass wir durch unsere<br />

Lebensweise Frieden <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> för<strong>der</strong>n<br />

gemäß dem Wort <strong>des</strong> Herrn in unserer Regel<br />

(RegB 10): „Selig sind jene, die wegen <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

verfolgt werden, denn ihnen gehört das<br />

Himmelreich.“<br />

Jesaja 58, 10<br />

Ordensrat Bahia 1983<br />

Kapitel 1: Unsere Sendung – Evangelisierung<br />

13. In unserer Welt mit ihren Hoffnungen <strong>und</strong><br />

Sehnsüchten sehen wir ein Verlangen nach Gemeinschaft,<br />

Frieden, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Menschenwürde,<br />

zugleich mit dem Verlangen nach Befriedigung<br />

menschlicher Gr<strong>und</strong>bedürfnisse. Zur gleichen Zeit<br />

leidet die Gesellschaft unter Atheismus <strong>und</strong> religiöser<br />

Gleichgültigkeit, unter wi<strong>der</strong>streitenden Ideologien,<br />

Kriegen, Rassismus, Unterdrückung <strong>und</strong> einer<br />

immer größer werdenden Kluft zwischen reich <strong>und</strong><br />

arm. Was haben wir angesichts einer solchen Weltsituation<br />

anzubieten?<br />

14. Jesus sagt uns: „Der Geist <strong>des</strong> Herrn ruht auf<br />

mir, denn <strong>der</strong> Herr hat mich gesalbt. Er hat mich<br />

gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht<br />

bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung<br />

verkünde <strong>und</strong> den Blinden das Augenlicht; damit<br />

ich die Zerschlagenen in Freiheit setze <strong>und</strong> ein<br />

Gnadenjahr <strong>des</strong> Herrn ausrufe“ (Lk 4, 18-19). Die<br />

Sendung <strong>der</strong> Kirche ist, Jesus <strong>und</strong> das Reich Gottes,<br />

das er verkündet hat, sichtbar zu machen. Er will<br />

203


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

alle Menschen befreien von Sünde <strong>und</strong> allem, was<br />

sie bedrückt, damit sie die Fülle <strong>des</strong> Lebens haben:<br />

ein Leben <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, <strong>der</strong><br />

Hoffnung, <strong>der</strong> Freude <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe.<br />

15. Die Nachfolge Jesu verlangt von uns metanoia,<br />

persönliche <strong>und</strong> gemeinsame Umkehr. Nur so vermögen<br />

wir Kulturen mit den Werten <strong>des</strong> Evangeliums<br />

zu durchdringen. Deshalb müssen wir selbst<br />

immer neu evangelisiert werden, d. h. <strong>der</strong> Sünde<br />

absagen, uns von je<strong>der</strong> Beteiligung an Unrecht <strong>und</strong><br />

Unterdrückung freimachen; alles ausräumen, was<br />

uns hin<strong>der</strong>t, die in <strong>der</strong> Welt wirkende Liebe Gottes<br />

zu erfahren <strong>und</strong> zu verkünden.<br />

16. In dem Bestreben, bessere Kün<strong>der</strong> <strong>des</strong> Evangeliums<br />

zu werden, schauen wir auf Franziskus, <strong>der</strong> seiner<br />

Zeit neue Einsichten <strong>und</strong> Akzente vermittelt hat:<br />

Brü<strong>der</strong>lichkeit:<br />

Als manche in <strong>der</strong> Kirche jene als Ketzer verdammten,<br />

die nicht zu ihrer Herde gehörten, ja sogar<br />

Armeen gegen sie schickten, verkündete Franziskus<br />

die gute Botschaft, dass sie unsere Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Schwestern sind.<br />

Frieden:<br />

Als Städtekriege tobten <strong>und</strong> die Gesellschaft durch<br />

das Feudalsystem zerrissen war, verkündete er die<br />

gute Botschaft vom Frieden.<br />

Armut:<br />

Als man die Reichen wie Götter behandelte,<br />

verkündete er die gute Botschaft von <strong>der</strong> „Seligpreisung“<br />

<strong>der</strong> Armen.<br />

Minoritas:<br />

Als viele nach Macht <strong>und</strong> Ansehen strebten, verkündete<br />

er die gute Botschaft <strong>der</strong> Kleinen <strong>und</strong> Geringen.<br />

Umwelt:<br />

Als viele Angst hatten vor <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e sie<br />

sich untertan zu machen suchten, verkündete er die<br />

gute Nachricht, dass die Erde unsere Mutter ist <strong>und</strong><br />

die ganze Schöpfung eine Familie, die mit Respekt<br />

zu behandeln ist.<br />

Präsenz:<br />

Als manche Ordensleute sich vom Volk abson<strong>der</strong>ten,<br />

wollte Franziskus, dass seine Brü<strong>der</strong> dem<br />

204<br />

einfachen Volke nahe seien, vor allem den Kleinen<br />

<strong>und</strong> Geringen.<br />

Heiliger Geist:<br />

Als die Kirche sehr stark institutionalisiert war,<br />

blieb Franziskus sich <strong>der</strong> Rolle <strong>des</strong> Geistes bewusst<br />

<strong>und</strong> ermahnte seine Brü<strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong>, „Männer<br />

<strong>des</strong> Geistes“ zu sein; er sagte, dass <strong>der</strong> Heilige Geist<br />

<strong>der</strong> wahre Generalminister unseres Ordens ist.<br />

Diese Punkte sind auch heute noch hochaktuell; wir<br />

wollen <strong>des</strong>halb in den folgenden Kapiteln ein wenig<br />

darüber nachdenken.<br />

17. Als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> sind wir dazu berufen, eine<br />

„Vorhut <strong>der</strong> Evangelisierung“ zu sein in einer Kirche,<br />

die immer wie<strong>der</strong> Fleisch werden <strong>und</strong> sich<br />

erneuern muss. Wir müssen dementsprechend offen<br />

<strong>und</strong> sensibel sein für das Wirken <strong>des</strong> Heiligen Geistes,<br />

<strong>und</strong> zwar innerhalb <strong>und</strong> außerhalb <strong>der</strong> Kirche.<br />

Neben <strong>der</strong> Seelsorge an den Gläubigen sehen wir<br />

eine große Verpflichtung darin, uns jener in unserer<br />

Gesellschaft anzunehmen, die vom Evangelium<br />

noch nicht berührt sind, wie auch jener, die sich von<br />

<strong>der</strong> traditionellen Verkündigung <strong>des</strong> Evangeliums<br />

nicht mehr angesprochen fühlen. Durch unsere Präsenz<br />

wollen wir sie ermutigen, ihr Leben zu hinterfragen<br />

<strong>und</strong> dabei das Gute, das wir in ihnen finden,<br />

zu för<strong>der</strong>n. Und wenn wir erkennen, dass es Gottes<br />

Wille ist (NbReg 16,17), wollen wir den HERRN<br />

freimütig verkünden. Des weiteren bitten wir unsere<br />

Brü<strong>der</strong>, jenen Ortskirchen in Asien, Afrika <strong>und</strong><br />

Lateinamerika, die in großer Not sind, eine großherzige<br />

Antwort zu geben. Drei Milliarden Menschen<br />

haben noch nie etwas vom Evangelium gehört. Es ist<br />

für uns eine große Chance <strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

die Vision <strong>des</strong> Franziskus an Kulturen weiterzugeben<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig von ihnen bereichert zu werden.<br />

Kapitel 2: Gesandt als Bru<strong>der</strong><br />

19. Habsucht, Rassismus, Unterdrückung <strong>und</strong><br />

Krieg spalten heute die Völker. Es gibt aber auch<br />

Zeichen von Hoffnung <strong>und</strong> neuem Leben in Initiativen,<br />

die vor allem auf internationaler Ebene für<br />

Solidarität eintreten sowie in Bewegungen für<br />

Menschenrechte, Ökumene, Gewerkschaften, unter<br />

<strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong> im praktischen Austausch mit<br />

Menschen in Entwicklungslän<strong>der</strong>n.


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

20. Solidarität in Leben <strong>und</strong> Arbeit ist charakteristisch<br />

für eine Familie. Denn das ist es, was wir<br />

Menschen sind: Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Schwestern, Kin<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

gleichen Gottes im Himmel. Jesus wurde unser Bru<strong>der</strong>,<br />

um alles im Himmel <strong>und</strong> auf Erden zu vereinigen.<br />

Er lädt alle ein, Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Familie Gottes zu<br />

werden. Diese Familie zu errichten, ist <strong>der</strong> Kern<br />

unserer Bemühungen.<br />

Kapitel 3: Als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> unter<br />

den Armen<br />

24. Vor allem in <strong>der</strong> Dritten Welt leidet die Mehrzahl<br />

<strong>der</strong> Menschen unter unmenschlicher Armut:<br />

Hunger, Krankheit, Analphabetismus, Arbeitslosigkeit,<br />

Leben in Slums. Einwan<strong>der</strong>er <strong>und</strong> Flüchtlinge<br />

bleiben am Rand <strong>der</strong> Gesellschaft. Millionen sind<br />

politisch unterdrückt, viele werden gefoltert <strong>und</strong><br />

sogar getötet. (Die Kirche hat eine immer länger<br />

werdende Liste mo<strong>der</strong>ner Märtyrer). In unserer<br />

Welt sterben jährlich 30 Millionen Menschen an<br />

Hunger. Frauen werden als Objekte behandelt <strong>und</strong><br />

gedemütigt. Die Mehrzahl <strong>der</strong> Menschen ist vom<br />

sozialen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Fortschritt<br />

ausgeschlossen. Sie erfahren wenig o<strong>der</strong> gar<br />

keine <strong>Gerechtigkeit</strong>. Kein Haus, kein Land, keine<br />

Arbeitsstelle, kein Geld, keine Freiheit – diese Menschen<br />

sind <strong>der</strong> Verzweiflung nahe.<br />

25. Auch die reicheren Län<strong>der</strong> in Ost <strong>und</strong> West<br />

haben ihre Armen <strong>und</strong> Marginalisierten: Immigranten,<br />

Min<strong>der</strong>heiten, Arbeitslose, Behin<strong>der</strong>te, politisch<br />

<strong>und</strong> religiös Verfolgte. Auch unter den Wohlhabenden<br />

steigt die Zahl <strong>der</strong> Einsamen, <strong>der</strong> psychisch<br />

Kranken, <strong>der</strong> Opfer von Alkohol <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Drogen.<br />

26. Die Industrielän<strong>der</strong> sind in erschrecken<strong>der</strong> Weise<br />

gekennzeichnet von <strong>der</strong> Konsummentalität, welche<br />

die Menschen nach dem beurteilt, was sie produzieren<br />

<strong>und</strong> besitzen. Über die Massenmedien<br />

breitet sich die Konsummentalität auch in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n<br />

aus <strong>und</strong> schafft dort künstliche<br />

Bedürfnisse <strong>und</strong> untergräbt Werte.<br />

27. Bereits im Alten Testament, beson<strong>der</strong>s aber im<br />

Neuen wird das Mitleiden Gottes mit den Armen<br />

deutlich gemacht. Jesus gab <strong>der</strong> Armut ihre tiefste<br />

Bedeutung in seiner eigenen Person: in seiner<br />

Geburt, in seinem Leben <strong>und</strong> am Kreuz. Er identifizierte<br />

sich mit den Armen (Mt. 25, 40). In Wort<br />

<strong>und</strong> Tat verkündete er die Macht <strong>der</strong> Machtlosen.<br />

Er hat die Armen nicht am Rand gelassen, son<strong>der</strong>n<br />

sie vielmehr ins Zentrum seines Lebens <strong>und</strong> seines<br />

Dienstes hinein genommen. Als Jesus seine Apostel<br />

aussandte, verlangte er von ihnen, nichts mitzunehmen<br />

(Lk 10,4). Maria, seine Mutter, gehörte<br />

ebenfalls zu den Armen (Lk 1,48).<br />

28. Franziskus fand Christus in den Ärmsten <strong>der</strong><br />

Armen, den Aussätzigen. Die Liebe <strong>des</strong> Vaters wurde<br />

für ihn Wirklichkeit im armen Kind von Bethlehem<br />

<strong>und</strong> im Leidensknecht von Golgatha. Franziskus<br />

lebte <strong>und</strong> arbeitete mit Aussätzigen <strong>und</strong> Armen,<br />

um an ihrer „Seligpreisung“ teilzuhaben. Er freute<br />

sich an ihrer Niedrigkeit <strong>und</strong> Machtlosigkeit, an<br />

ihrem großen Vertrauen in die Vorsehung, an ihrer<br />

Freiheit. Auch wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> werden Jesus finden,<br />

wenn wir für die Armen <strong>und</strong> mit den Armen<br />

sind <strong>und</strong> wie sie leben. Wir evangelisieren <strong>und</strong> wir<br />

werden <strong>des</strong>halb evangelisiert vor allem durch Armut<br />

<strong>und</strong> Min<strong>der</strong>sein.<br />

29. Die Nachfolge <strong>des</strong> armen Christus (NbReg 9,1)<br />

wird uns zu einem Leben mit den Armen führen, als<br />

„minores“, die dasselbe Leben führen wie sie, in<br />

Solidarität mit ihnen klein, niedrig <strong>und</strong> machtlos<br />

wie sie. Auf diese Weise evangelisieren wir <strong>und</strong> werden<br />

wir selber evangelisiert.<br />

30. Wir müssen jedoch freimütig bekennen, dass wir<br />

gegenwärtig oft weit entfernt von den Armen leben.<br />

Beson<strong>der</strong>s in dieser Hinsicht müssen wir uns selber<br />

ständig von neuem evangelisieren. Wirklich arm<br />

werden wir nur dann, wenn wir ihre Ängste, Unsicherheiten<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>bedürfnisse teilen. Als Brü<strong>der</strong><br />

unter den Armen, machtlos, werden wir um so mehr<br />

auf die Vorsehung Gottes vertrauen. Im Verzicht auf<br />

vieles werden wir uns um so stärker dem Dialog <strong>des</strong><br />

Lebens mit den Menschen um uns öffnen.<br />

31. Diese neue Sicht <strong>des</strong>sen, was wichtig ist, lässt<br />

uns als Franziskaner einen an<strong>der</strong>en Standort in <strong>der</strong><br />

Welt von heute einnehmen, wie es viele Ortskirchen<br />

in Lateinamerika durch eine vorrangige Option für<br />

die Armen schon getan haben.<br />

Deshalb ruft <strong>der</strong> Ordensrat alle Brü<strong>der</strong> auf:<br />

1. mit den Armen zu leben, damit wir die Ge-<br />

205


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

schichte <strong>und</strong> die Wirklichkeit vom Blickwinkel<br />

<strong>der</strong> Armen zu sehen lernen;<br />

2. keine unnützen Dinge zu kaufen, um so ein<br />

prophetisches Zeugnis gegen die wachsende<br />

Konsumhaltung zu geben;<br />

3. von den Armen den Geist <strong>der</strong> Solidarität <strong>und</strong><br />

echter Brü<strong>der</strong>lichkeit zu lernen, <strong>der</strong> uns in<br />

unseren oft zu großen <strong>und</strong> bequemen Häusern<br />

so schwer fällt;<br />

4. uns selbst <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en das ungerechte sozioökonomische,<br />

politische <strong>und</strong> kulturelle Herrschaftssystem<br />

<strong>der</strong> Supermächte, <strong>der</strong> reicheren<br />

Nationen in Ost <strong>und</strong> West, <strong>der</strong> multi- <strong>und</strong><br />

transnationalen Konzerne klarzumachen, unter<br />

dem Millionen von Menschen in <strong>der</strong> Dritten<br />

Welt leiden, <strong>und</strong> eine neue wirtschaftliche <strong>und</strong><br />

politische Ordnung herbeiführen zu helfen, die<br />

<strong>der</strong> Welt größere <strong>Gerechtigkeit</strong> schenkt;<br />

5. eine prophetische Haltung gegen alle oppressiven<br />

<strong>und</strong> totalitären Systeme einzunehmen;<br />

6. das Evangelium überall dorthin zu bringen,<br />

wo die Armen sich für eine integrale Befreiung<br />

organisieren – sei es in Volksorganisationen,<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> solchen Sozialprogrammen,<br />

die dem Volk zur Anerkennung seiner<br />

Rechte verhelfen sollen.<br />

Kapitel 4: <strong>Werkzeuge</strong> für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden<br />

32. Im vorhergehenden Kapitel war die Rede von<br />

<strong>der</strong> Ungerechtigkeit, die die Armen erleiden, die<br />

ihrer Gr<strong>und</strong>rechte beraubt werden. Die Armen leiden<br />

wie an<strong>der</strong>e Menschen auch unter <strong>der</strong> Ungerechtigkeit,<br />

die eine Folge <strong>des</strong> Krieges ist. Der Kontrast<br />

zwischen reich <strong>und</strong> arm besteht in Städten, Län<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> vor allem zwischen Nord <strong>und</strong> Süd.<br />

33. „Der Rüstungswettlauf, das große Verbrechen<br />

unseres Zeitalters, ist sowohl Folge als auch Ursache<br />

von Spannungen zwischen unseren Nationen.“ Das<br />

erklärten die Bischöfe von Lateinamerika in Puebla.<br />

Sie sagten weiter: „Enorme Mittel werden <strong>des</strong>halb<br />

zum Ankauf von Waffen verwandt statt zur Lösung<br />

lebenswichtiger Probleme.“ Papst Johannes Paul II<br />

hat in Hiroshima in eindrucksvoller Weise zum<br />

Ausdruck gebracht, dass <strong>der</strong> Weltfriede ein lebenswichtiger<br />

Teil unserer Evangelisierung ist. „Nur<br />

206<br />

durch eine bewusste Option … kann die Menschheit<br />

überleben.“<br />

34. Wir sind uns <strong>der</strong> Gewalttätigkeit <strong>des</strong> Krieges<br />

bewusst, nicht jedoch so sehr <strong>der</strong> Gewalttätigkeit,<br />

die aus Ungerechtigkeit erwächst. Wenn ein Kind<br />

verhungert, dann ist das Gewaltanwendung. In Brasilien<br />

ist die Kirche zusammen mit an<strong>der</strong>en bemüht,<br />

das Bewusstsein für diese Form <strong>der</strong> Gewalt zu<br />

wecken – die Gewaltanwendung durch Hunger,<br />

Landvertreibung, Einkerkerung, Folter <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit.<br />

Das Leiden unter Gewaltanwendung –<br />

direkter <strong>und</strong> indirekter Art – ist eine Lebensbedingung<br />

für viele Menschen. Zusehen zu müssen,<br />

wie die Kin<strong>der</strong> ohne Zukunftschancen aufwachsen,<br />

ist eine Form von Gewalt.<br />

36. Sich gegenseitig <strong>und</strong> unseren Planeten zu zerstören<br />

- das kann niemals das Ziel sein, das Gott <strong>der</strong><br />

Menschheit bereitet hat. Jesaja sagt: „Ich werde für<br />

immer mein Versprechen zum Frieden einhalten“<br />

(Jes 54, 10). Und Jesus hat versprochen: „Frieden<br />

hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“<br />

(Joh 14,27). Angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass 1,4 Milliarden<br />

Dollar pro Tag für Waffen ausgegeben werden,<br />

während zugleich pro Tag 40.000 Kin<strong>der</strong> verhungern,<br />

muss unsere Welt Wege finden, die<br />

Ermahnung Jesajas in die Tat umzusetzen, d. h.<br />

Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln (Jes 2,4)<br />

<strong>und</strong> die gewaltige Summe von 500 Milliarden<br />

Dollar pro Jahr für das einzusetzen, was unsere<br />

Menschheit wirklich braucht.<br />

38. <strong>Friedens</strong>stifter zu sein, ist eine ganz entscheidende<br />

Seite in unserem franziskanischen Leben <strong>und</strong><br />

unserer Evangelisierung <strong>der</strong> Welt.<br />

Der Ordensrat ruft <strong>des</strong>halb alle Brü<strong>der</strong> auf:<br />

1. im Gebet Männer <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> mit Gott <strong>und</strong><br />

den Menschen zu sein; Gebet <strong>und</strong> Fasten zu<br />

einem Teil unserer <strong>Friedens</strong>bemühungen zu<br />

machen; <strong>Friedens</strong>bewegungen in unserer<br />

Gesellschaft zu unterstützen; ja, persönlich in<br />

solchen Bewegungen mitzumachen;<br />

2. gewaltlose <strong>Friedens</strong>initiativen zu unterstützen,<br />

Kriegsdienstverweigerern zu helfen – vor allem<br />

jenen, die gegen Atomwaffen protestieren;<br />

denen beizustehen, die wegen ihrer Überzeugungen<br />

<strong>und</strong> ihrer Bemühungen für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden inhaftiert werden;


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

3. eine <strong>Friedens</strong>pädagogik zu entwickeln vor<br />

allem für die Jugend in unseren Schulen <strong>und</strong><br />

Seminarien;<br />

4. Wege zu finden, wie wir Ungerechtigkeiten<br />

unter uns selbst beseitigen können <strong>und</strong> wie wir<br />

bei allen unterschiedlichen Meinungen in unseren<br />

Gemeinschaften in Frieden zusammenleben<br />

können als Zeugen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> Christi;<br />

5. wo immer es möglich ist, Brü<strong>der</strong> hauptamtlich<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden einzusetzen <strong>und</strong><br />

alle jene Brü<strong>der</strong> zu unterstützen, die schon in<br />

den Justitia et Pax-Initiativen <strong>des</strong> Ordens <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Provinzen arbeiten;<br />

6. für die Rechte <strong>der</strong> Ungeborenen einzutreten,<br />

aber ebenso für jene, die schon geboren, jedoch<br />

ohne jede Hoffnung auf Zukunft sind;<br />

7. laut <strong>und</strong> deutlich den Rüstungswettlauf <strong>und</strong><br />

alle Atomwaffen, die schon produziert sind, zu<br />

verurteilen.<br />

Generalkapitel Assisi 1985<br />

„Das Evangelium Leben“<br />

5. Die neuen Generalkonstitutionen <strong>und</strong> -statuten,<br />

die aus dem Generalkapitel 1985 kommen, möchten<br />

eine zeitgemäße Antwort auf den Ruf <strong>des</strong><br />

Evangeliums an uns alle sein. Wenn wir auf diese<br />

<strong>und</strong> einige an<strong>der</strong>e franziskanische Dokumente <strong>der</strong><br />

letzten Jahre schauen, dann sehen wir, wie einige<br />

Themen dort immer wie<strong>der</strong>kehren.<br />

1) die kontemplativen Dimensionen unseres<br />

Lebens;<br />

2) die Option für die Armen – <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Friede;<br />

3) Ausbildung <strong>und</strong> ständige Weiterbildung im<br />

missionarischen Geist.<br />

B. Option für die Armen –<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Friede<br />

„Und sie müssen sich freuen, wenn sie mit gewöhnlichen<br />

<strong>und</strong> verachteten Leuten verkehren, mit<br />

Armen <strong>und</strong> Schwachen <strong>und</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettlern<br />

am Wege“ (NbReg 9,2)<br />

23. Wenn wir von <strong>der</strong> Option für die Armen sprechen,<br />

dann ist uns klar, dass die Formen <strong>und</strong> die<br />

Ursachen <strong>der</strong> Armut von Land zu Land verschieden<br />

sind. Als Min<strong>der</strong>e Brü<strong>der</strong> möchten wir jedoch mit<br />

den Armen sein, um zu helfen, dass ihnen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

wi<strong>der</strong>fährt.<br />

1. Wir ermutigen jede Provinz, wenigstens eine<br />

Bru<strong>der</strong>schaft zu haben, die unter den Armen <strong>und</strong><br />

Benachteiligten lebt. So können die Brü<strong>der</strong> lernen,<br />

sich mit den Armen zu identifizieren, mit ihnen zu<br />

beten <strong>und</strong> mit ihnen zusammen für eine bessere<br />

Welt einzutreten. Wir glauben daran, dass die<br />

Armen uns das Wort Gottes besser verstehen helfen.<br />

2. Wir ermutigen den Orden, beson<strong>der</strong>s die Provinzen,<br />

konkrete Wege <strong>der</strong> freiwilligen Trennung von<br />

Eigentum <strong>und</strong> Besitz zu finden, in einem Maße, das<br />

uns wirklich „Minores“ sein lässt.<br />

3. Jede Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> in ihr sollte<br />

sich im Umgang mit materiellen Gütern wirklich<br />

größter Einfachheit befleißigen <strong>und</strong> sich weigern,<br />

überflüssige Dinge zu kaufen. Sie sollen gegen die<br />

anwachsende Konsumhaltung ein prophetisches<br />

Zeichen setzen.<br />

4. Jede Provinz sollte in konkreter Weise ihre Güter<br />

mit den Armen teilen. Unsere beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit<br />

verdienen jene Bru<strong>der</strong>schaften, die selber<br />

keine ausreichende Mittel insbeson<strong>der</strong>e für die Ausbildung<br />

<strong>und</strong> ihren pastoralen Dienst haben, aber<br />

auch Mitglie<strong>der</strong> unserer Familien, die in Not sind<br />

<strong>und</strong> ehemalige Mitbrü<strong>der</strong>.<br />

5. Im Bewusstsein darum, dass Franziskus sich dem<br />

Frieden verpflichtet hatte, sollten wir Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

heute positive Programme für Frieden, Versöhnung<br />

<strong>und</strong> Zurückweisung <strong>der</strong> Gewalt in allen Formen<br />

entwickeln. Ja, wir müssen uns mit jenen zusammentun,<br />

die sich gegen den Rüstungswettlauf <strong>und</strong><br />

gegen den Waffenverkauf stellen. Wir sollten für<br />

nukleare Abrüstung <strong>und</strong> den Schutz menschlichen<br />

Lebens eintreten. Je<strong>der</strong> Provinz <strong>und</strong> je<strong>der</strong> lokalen<br />

Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> jedem einzelnen Bru<strong>der</strong> tragen<br />

wir auf, in möglichst konkreter Weise solche Initiativen<br />

zu för<strong>der</strong>n, von denen in Nr. 38 <strong>des</strong> Dokumentes<br />

von Bahia die Rede ist.<br />

Da solche Initiativen jedoch nicht je<strong>der</strong>manns<br />

Sache sind, möchten wir alle, die sich dazu imstande<br />

fühlen, zu solchen konkreten Schritten ermutigen.<br />

Alle an<strong>der</strong>en sollten solche Schritte wohlwollend<br />

unterstützen.<br />

6. Jede Provinz sollte eine Arbeitsgemeinschaft für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden haben. Die AG’s <strong>der</strong> Provinzen<br />

könnten sich untereinan<strong>der</strong> zu einer AG <strong>der</strong><br />

Konferenz zusammenschließen. Für den Gesamtor-<br />

207


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

den sollte schließlich in Zusammenarbeit mit allen<br />

Konferenzen ebenfalls eine entsprechende Struktur<br />

gef<strong>und</strong>en werden, welche die Anliegen von „<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden“ wirksam för<strong>der</strong>n hilft.<br />

7. Um „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“ weltweit zu<br />

för<strong>der</strong>n, soll je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganze Orden den<br />

Dialog mit den Menschen in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n<br />

suchen, auch mit solchen Menschen, die an<strong>der</strong>en<br />

Glaubensrichtungen <strong>und</strong> Ideologien angehören.<br />

8. Der Friede <strong>und</strong> die <strong>Gerechtigkeit</strong> müssen aber<br />

zunächst in je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft gelebt werden. Das<br />

„Wie“ könnte ein Jahresthema für das Hauskapitel<br />

sein. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit verdienen alle Fälle<br />

von Ungerechtigkeiten unter Brü<strong>der</strong>n, sollen alle<br />

doch glaubwürdige Zeugen <strong>des</strong> österlichen <strong>Friedens</strong><br />

Jesu Christi sein.<br />

9. Unsere Kontemplation, unser Hören auf Gottes<br />

Wort nach Beispiel <strong>des</strong> hl. Franziskus, unser Kontakt<br />

zu einer immer mehr von Gewalt <strong>und</strong> Krieg<br />

geprägten Welt, die Bedrohung durch den nuklearen<br />

Holocaust – alles das trägt uns unmissverständlich<br />

auf, <strong>Werkzeuge</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu sein. Daraus<br />

ergeben sich diese Folgerungen:<br />

■ Wir setzen uns für eine <strong>Gerechtigkeit</strong> ein, die<br />

<strong>der</strong> Gewaltanwendung gegen die Armen ein<br />

Ende macht, beson<strong>der</strong>s jener Form von Gewalt,<br />

als <strong>der</strong>en Folge viele Millionen an Hunger <strong>und</strong><br />

Unterernährung sterben müssen.<br />

■ Wir wollen alles tun, damit die Folter in allen<br />

totalitären <strong>und</strong> unterdrückerischen Systemen<br />

abgeschafft wird <strong>und</strong> damit die Menschenrechte<br />

geachtet werden, einschließlich das Recht auf<br />

freie Religionsausübung.<br />

■ Wir wünschen eine neue politische <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />

Weltordnung, welche das bestehende<br />

Ungleichgewicht unter den Nationen beseitigt.<br />

■ Wir wenden uns auch entschieden gegen die<br />

Gewaltanwendung an <strong>der</strong> Natur. Wir setzen<br />

uns ein für die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> natürlichen<br />

Umwelt, die unser Lebensraum ist, weil<br />

wir nicht wollen, dass er weiter zerstört wird.<br />

208<br />

Bangalore, Ordensrat 1988<br />

„Diener <strong>des</strong> Wortes … Diener aller“<br />

II. Option für die Armen –<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

„Der Geist <strong>des</strong> Herrn ruht auf mir; denn <strong>der</strong> Herr<br />

hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich<br />

den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich<br />

den Gefangenen die Entlassung verkünde <strong>und</strong><br />

den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen<br />

in Freiheit setze <strong>und</strong> ein Gnadenjahr<br />

<strong>des</strong> Herrn ausrufe“ (Lk 4,18-19).<br />

34. Die Bewusstseinsbildung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> zu dieser<br />

Priorität scheint gut auf dem Weg zu sein. Die<br />

Ergebnisse sind noch bescheiden, aber vielfältig. In<br />

verschiedenen Regionen <strong>der</strong> Welt deuten die gleichen<br />

Begriffe auf unterschiedliche Wirklichkeiten<br />

hin.<br />

35. Die Brü<strong>der</strong> sind sich sehr bewusst, dass die<br />

Frage <strong>der</strong> praktischen Gleichheit an Rechten <strong>und</strong><br />

Pflichten unter den Brü<strong>der</strong>n selbst noch gelöst werden<br />

muss. Der Ordensrat diskutierte, wie man <strong>der</strong><br />

Kirche unser Verständnis <strong>der</strong> Gleichheit aller Brü<strong>der</strong>,<br />

Kleriker <strong>und</strong> Laien, unterbreiten solle. In den<br />

örtlichen Gemeinschaften sollte es mehr wirkliche<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zwischen den Brü<strong>der</strong>n geben, in <strong>der</strong><br />

Aufteilung <strong>der</strong> häuslichen Arbeiten, in <strong>der</strong> Rückgabe<br />

aller erworbenen Mittel in die gemeinsame Kasse<br />

o<strong>der</strong> in die Provinzkasse, eine mehr ausgeglichene<br />

Lebensführung unter den Brü<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Verwendung<br />

<strong>der</strong> Güter, im Urlaub, im Teilen <strong>der</strong> Leitung,<br />

usw.. In seiner Eröffnungsrede fragte uns <strong>der</strong> Generalminister,<br />

ob wir den Laien-Charakter unserer<br />

Brü<strong>der</strong> achten <strong>und</strong> wie wir die Berufungen von<br />

jenen för<strong>der</strong>n können, die keine intellektuelle o<strong>der</strong><br />

berufliche Karriere wählen.<br />

36. In ihrem Verhalten gegenüber an<strong>der</strong>en ist für<br />

eine ständig wachsende Zahl von Brü<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Arme nicht nur ein Bru<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n ein bevorzugter<br />

Bru<strong>der</strong>. Sich wie Franziskus <strong>und</strong> die ersten Brü<strong>der</strong><br />

mit <strong>der</strong> Herrin Armut zu vermählen, heißt nicht<br />

nur, die Armut persönlich o<strong>der</strong> gemeinschaftlich<br />

zu praktizieren, son<strong>der</strong>n auch mit den Armen zu<br />

leben, ihr Schicksal <strong>und</strong> den langsamen <strong>und</strong><br />

schmerzvollen historischen Prozess ihrer Befreiung<br />

zu teilen. In einigen <strong>der</strong> jüngeren Provinzen leben


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

fast alle Brü<strong>der</strong> auf eine solche Weise. Zunehmend<br />

mehr Brü<strong>der</strong> haben sich in Solidarität Menschen<br />

auf ihrer Suche nach Freiheit <strong>und</strong> Befreiung angeschlossen.<br />

37. Eine bedeutsame Zahl von Rechtsgrößen (Provinzen,<br />

Vize-Provinzen, usw.) hat zumin<strong>des</strong>t eine<br />

Fraternität in armen Gebieten (unter Arbeitern,<br />

Menschen auf dem Land bzw. unterwegs) o<strong>der</strong><br />

unter den Ausgegrenzten (Arbeitslosen, Obdachlosen,<br />

Drogenabhängigen). Einige <strong>der</strong> Gemeinschaften<br />

stellen Ges<strong>und</strong>heitszentren für Alkohol- <strong>und</strong><br />

Drogenabhängige, Aufnahmezentren für Behin<strong>der</strong>te,<br />

ältere Menschen, Flüchtlinge, Obdachlose,<br />

Aussätzige zur Verfügung <strong>und</strong> übernehmen die Seelsorge<br />

für Gefangene. Verschiedene Gemeinschaften<br />

haben ihren Lebensstil überprüft <strong>und</strong> zu vereinfachen<br />

versucht.<br />

38. Auf dem Ordensrat waren wir betroffen von<br />

dem Zeugnis von Guy-Marie Nguyen, dem Provinzial<br />

von Vietnam. Angesichts <strong>der</strong> neuen politischen<br />

Situation <strong>und</strong> dem Verlust ihrer Erziehungs- <strong>und</strong><br />

Sozialeinrichtungen haben die Brü<strong>der</strong> die Entscheidung<br />

getroffen, die Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen<br />

in <strong>der</strong> neuen Gesellschaft zu teilen. In einem<br />

Geist innerer Freiheit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dienstes arbeiten<br />

einige in Pfarreien, an<strong>der</strong>e auf den Fel<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> in<br />

Produktionskooperativen, einige wenige in sozialen<br />

<strong>und</strong> erzieherischen Diensten. Sie glauben, dass Gott<br />

in <strong>der</strong> Geschichte ihres Volkes gegenwärtig ist, <strong>und</strong><br />

dass sie gerufen sind, mit <strong>der</strong> Kirche Vietnams zu<br />

leben <strong>und</strong> Jesus Christus zu bezeugen. Was sie anzunehmen<br />

gezwungen waren, sehen sie jetzt als<br />

Gnade.<br />

39. Unser (<strong>OFM</strong>) Internationaler Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden versucht eine Stellungnahme<br />

über Gewaltlosigkeit zu formulieren; dabei zieht er<br />

den ehrenhaften Kampf von Menschen in vielen<br />

Teilen <strong>der</strong> Welt, die Gewalt von unterdrückerischen<br />

Regierungen zu überwinden (versuchen), in seine<br />

Betrachtungen mit ein. Eine interfranziskanische<br />

Anstrengung ist auf dem Weg, den Status einer<br />

Nichtregierungsorganisation bei den Vereinten<br />

Nationen zu erhalten. In Indien wurden wir in den<br />

religiösen Geist hinter <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit (ahimsa)<br />

eingeführt <strong>und</strong> gedachten <strong>des</strong> großen Erbes von<br />

Mahatma Gandhi. 1 Ökologie ist zunehmend mehr<br />

ein Anliegen <strong>des</strong> oben genannten Rates <strong>und</strong> ein<br />

Anliegen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>. 2<br />

40. Den Empfehlungen von „Das Evangelium<br />

heute leben. Vorschläge zum konkreten Handeln“<br />

folgend, haben viele Provinzen <strong>und</strong> Konferenzen<br />

Kommissionen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

geschaffen. Das Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

in <strong>der</strong> Generalkurie führt beständig die Arbeit <strong>der</strong><br />

Animation <strong>und</strong> Koordination zwischen den Provinzen<br />

<strong>und</strong> Konferenzen durch, <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Gesamtebene<br />

<strong>des</strong> Ordens, indem es über Modelle <strong>und</strong> Projekte<br />

auf diesem Gebiet informiert <strong>und</strong> Vorschläge<br />

unterbreitet. Es bemüht sich auf dem Gebiet von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden auch um Koordination<br />

mit an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie <strong>und</strong> verschiedenen Sektoren <strong>der</strong> Kirche.<br />

41. Spezielle Programme zu sozialen Fragen wurden<br />

eingerichtet für Brü<strong>der</strong> in <strong>der</strong> ständigen Fortbildung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> anfänglichen Ausbildung. In einigen<br />

Rechtsgrößen gibt es eine eingehende <strong>und</strong> tiefe<br />

Reflexion über die Ursachen von Armut <strong>und</strong> Ungerechtigkeit.<br />

Einige unterhalten Veröffentlichungen,<br />

um die Suche nach neuen Wegen <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>des</strong> Systems, das Armut <strong>und</strong> Unterdrückung schafft,<br />

zu ermutigen.<br />

1 Das Assisi Peace Center för<strong>der</strong>t den Frieden (durch Kontakt) mit Regierungsvertretern <strong>der</strong> Welt. Brü<strong>der</strong> fasteten für den Frieden <strong>und</strong><br />

schlossen sich darin an<strong>der</strong>en an vor <strong>der</strong> <strong>Friedens</strong>versammlung in Assisi 1986.<br />

2 Im Anschluss an eine Wallfahrt in die Heimat <strong>des</strong> Franziskus initiierten polnische Brü<strong>der</strong> gemeinsam mit Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Franziskanischen<br />

Gemeinschaft, die von Beruf Wissenschaftler sind, ein Zentrum für Ökologie in Polen. Der indische Bru<strong>der</strong> Scaria Varanath entwarf<br />

vor dem Ordensrat eine kosmisch-zentrierte Spiritualität, genährt aus Hindu- <strong>und</strong> franziskanischen Quellen, als ein Heilmittel gegen die<br />

globale Vergiftung <strong>der</strong> Erde, <strong>der</strong> Luft <strong>und</strong> <strong>des</strong> Wassers. Er vergleicht die Hindu-Spiritualität mit <strong>der</strong> tiefen Ehrfurcht <strong>des</strong> Franziskus vor<br />

allem Geschaffenen.<br />

209


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

Grüsst einan<strong>der</strong> mit dem heiligen Kuss.<br />

2. Kor. 13, 12<br />

42. Die Generalkonstitutionen führen uns in diese<br />

Option für die Armen. „Im Bewusstsein, dass die<br />

allerhöchste Armut von Christus <strong>und</strong> seiner armen<br />

Mutter stammt, <strong>und</strong> in Anbetracht <strong>der</strong> Worte <strong>des</strong><br />

Evangeliums: Geh hin, verkauf alles, was du hast,<br />

<strong>und</strong> verteil das Geld an die Armen, sollen die<br />

Brü<strong>der</strong> sich um die Solidarität mit den Armen<br />

bemühen“ (8,2). „… nach dem Beispiel Christi sollen<br />

sie sich freuen, wenn sie mit gewöhnlichen <strong>und</strong><br />

verachteten Leuten verkehren, mit Armen <strong>und</strong><br />

Schwachen <strong>und</strong> Kranken <strong>und</strong> Aussätzigen <strong>und</strong> Bettlern<br />

am Wege; <strong>und</strong> das sollen sie … auch mit neuen<br />

Formen klar zum Ausdruck bringen“ (8,3; 66,1;<br />

87,3). Wir sollten das, was wir haben, mit den<br />

Bedürftigen, beson<strong>der</strong>s den Armen teilen (53; 72,3;<br />

75,1). Wir sollten auf die Armen hören (93,1) <strong>und</strong><br />

unsere Solidarität mit ihnen im Fasten (34,2), in<br />

unserem Dienst <strong>und</strong> unseren geistlichen Ämtern<br />

(78,1), in unserer Arbeit <strong>der</strong> Evangelisierung (97)<br />

zum Ausdruck bringen.<br />

43. Ähnlich drängen uns die Generalkonstitutionen,<br />

För<strong>der</strong>er von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden zu<br />

sein, „Zitat“ durch unsere Taten (1,2; 68). Wir soll-<br />

210<br />

ten „we<strong>der</strong> Arbeit noch Mühen scheuen, am Gottes<br />

Reich <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> zu bauen“ (69,2; 85). Wir sollten<br />

uns einsetzen, eine Gesellschaft zu errichten, die<br />

auf „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden im auferstandenen<br />

Christus“ (96,2) basiert, in <strong>der</strong> „die Rechte <strong>und</strong> die<br />

Menschenwürde aller anerkannt <strong>und</strong> geachtet werden“<br />

(96,3), beson<strong>der</strong>s die Rechte <strong>und</strong> Würde <strong>der</strong><br />

Armen (97,2). Unsere Methoden sollten gerecht<br />

sein (80,2), gewaltlos (69,1), bemüht, unter den<br />

Menschen „die Versöhnung, die von Christus am<br />

Kreuz bewirkt wurde“ (33,1; 70; 98,2), zu för<strong>der</strong>n.<br />

Wir sollten mit „allen Menschen die gleiche brü<strong>der</strong>liche<br />

Gemeinschaft suchen“ (87,1) <strong>und</strong> gegenüber<br />

allen an<strong>der</strong>en Christen <strong>und</strong> gegenüber den Gläubigen<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen, beson<strong>der</strong>s dem Islam,<br />

wohlgesonnen sein (95).<br />

44. Wir können uns selbst herausfor<strong>der</strong>n durch eine<br />

Anzahl von Anfragen <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> unseres franziskanischen<br />

Erbes:<br />

a) In seiner Enzyklika SOLLICITUDO REI SOCIALIS<br />

besteht Johannes Paul II. darauf, dass auch die<br />

Kirche nicht nur aus ihrem Überfluss, son<strong>der</strong>n auch<br />

aus ihrem Notwendigen geben muss; sogar bis zu<br />

dem Punkt, Überfluss an Kirchenschmuck <strong>und</strong><br />

kostbare Geräte für die Liturgie zu veräußern (31).<br />

Geben wir ein Beispiel, unsere Mittel mit den<br />

Armen zu teilen?<br />

b) In <strong>der</strong> gleichen Enzyklika merkt Papst Johannes<br />

Paul II. an: „Positive Zeichen in <strong>der</strong> heutigen Welt<br />

sind das wachsende Bewusstsein für die Solidarität<br />

<strong>der</strong> Armen untereinan<strong>der</strong>, ihre Initiativen gegenseitiger<br />

Hilfe, die öffentlichen K<strong>und</strong>gebungen im<br />

gesellschaftlichen Leben, wobei sie nicht zu Gewalt<br />

greifen, son<strong>der</strong>n die eigenen Bedürfnisse <strong>und</strong> ihre<br />

Rechte angesichts von Unwirksamkeit o<strong>der</strong> Korruption<br />

staatlicher Stellen deutlich machen …“ (39).<br />

Als Arme, sind wir dort mit ihnen?<br />

c) Teilen wir die Erfahrung <strong>des</strong> Franziskus: „Ich<br />

möchte alle wie meine Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Herren hochachten“<br />

(vgl. AnonPer 38)? Wie engagiert sind wir, „um<br />

Gottes willen die Knechte <strong>und</strong> Untergebenen je<strong>der</strong><br />

menschlichen Kreatur zu sein“ (BrGl II,47)?<br />

d) Verhalten wir uns gegenüber den Armen, wie<br />

Franziskus es getan hat, <strong>der</strong> in den Armen „das<br />

Abbild Christi erblickte; er gab ihnen, wenn er<br />

ihnen begegnete, alles, was man ihm an lebensnotwendigen<br />

Dingen geschenkt hatte; er meinte, er<br />

müsse es ihnen zurückgeben, als ob es ihr Eigentum<br />

wäre“ (Legmin III,7)?


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

e) Machen wir uns als <strong>Friedens</strong>stifter die Ermahnung<br />

<strong>des</strong> Franziskus zu eigen: „Wie ihr mit dem<br />

M<strong>und</strong> den Frieden verkündet, so sollt ihr ihn noch<br />

mehr in eurem Herzen festhalten, so dass durch<br />

euch niemand zu Zorn <strong>und</strong> zu Zank gereizt wird;<br />

je<strong>der</strong>mann soll durch euren Frieden <strong>und</strong> eure Sanftmut<br />

zum Frieden <strong>und</strong> zur Güte zurückgerufen<br />

werden“ (AnonPer 38)?<br />

Generalkapitel San Diego 1991<br />

„Der Orden <strong>und</strong> die Evangelisierung heute“<br />

„Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ <strong>und</strong> die Evangelisierung<br />

Im Bewusstsein <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen, die die Unterscheidung<br />

<strong>der</strong> Zeichen <strong>der</strong> Zeit an uns stellt, schlagen<br />

wir vor:<br />

22. Die Provinzialminister mit den Definitorien<br />

sollen für eine kritische Prüfung <strong>der</strong> traditionellen<br />

Evangelisierungsaktivitäten ihrer Provinzen im<br />

Bezug zu den neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen sorgen,<br />

<strong>und</strong> dabei nach neuen Fel<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Formen <strong>des</strong><br />

Dienstes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Evangelisierung Ausschau halten.<br />

Dabei sollen sie Sorge dafür tragen, dass die Brü<strong>der</strong><br />

darin ausgebildet werden.<br />

23. Die Provinzialminister <strong>und</strong> ihre Definitorien<br />

sollen sich darum kümmern, eine Überprüfung<br />

vorzunehmen, welchen Sinn die Inkulturation ihres<br />

Dienstes <strong>der</strong> Evangelisierung hat, <strong>und</strong> in ihren<br />

Provinzen für die nächsten sechs Jahre zumin<strong>des</strong>t<br />

ein spezifisches Projekt einer in eine Ortskultur<br />

eingepflanzten Evangelisierung planen.<br />

24. In den Län<strong>der</strong>n, in denen eine spezielle Präsenz<br />

an<strong>der</strong>er Religionen zu bemerken ist, sollen sich die<br />

Provinzen darum bemühen, die Formen <strong>des</strong> interreligiösen<br />

Dialogs zu überprüfen <strong>und</strong> neue Initiativen<br />

<strong>der</strong> Annäherung im Geist <strong>des</strong> Kapitels 16 <strong>der</strong> Regula<br />

non bullata <strong>und</strong> <strong>des</strong> Weltgebetstages <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

von Assisi zu suchen.<br />

25. Das Generaldefinitorium <strong>des</strong> Ordens ermutige<br />

<strong>und</strong> halte den Dienst <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entitäten<br />

in Gebieten mit muslimischer Mehrheit <strong>und</strong> in<br />

an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, wo <strong>der</strong>en Präsenz bedeutsam ist,<br />

aufrecht, <strong>und</strong> es helfe ihnen, ihr evangeliengemäßes<br />

Zeugnis an diesen Stätten nach dem Beispiel <strong>des</strong><br />

hl. Franziskus fortzusetzen, <strong>und</strong> es unterstütze die<br />

Islam-Kommission.<br />

26. Die Entitäten <strong>des</strong> Ordens mögen die konkreten<br />

Schritte prüfen, die sie in ihrer Option für die Armen<br />

<strong>und</strong> in ihrem Einsatz für eine Gesellschaft <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung gemacht haben <strong>und</strong> die noch zu machen<br />

sind. Dies gilt beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Suche nach Lösungen<br />

für Probleme wie das <strong>der</strong> Auslandsschuld <strong>der</strong><br />

ärmsten Län<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Unterdrückung <strong>des</strong> Schwächsten,<br />

<strong>der</strong> Situation beständiger Gewaltübergriffe, <strong>der</strong><br />

Verachtung <strong>des</strong> menschlichen Lebens <strong>und</strong> <strong>des</strong> unterschiedslosen<br />

Gebrauchs <strong>der</strong> Güter <strong>des</strong> Schöpfung.<br />

27. Die Entitäten <strong>des</strong> Ordens mögen prüfen, bis zu<br />

welchem Punkt ihre Evangelisierungstätigkeit auch<br />

die Mitarbeit bei <strong>der</strong> Organisation von Männern<br />

<strong>und</strong> Frauen einbezieht, unter denen sie evangelisieren,<br />

vor allem <strong>der</strong> ethnischen Min<strong>der</strong>heiten <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

unterdrückten Mehrheiten.<br />

Generalkapitel Assisi 1997<br />

„Von <strong>der</strong> Erinnerung zur Prophetie“<br />

I – Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> Welt: eine neue Situation<br />

1. Dialog<br />

7. Unter Hinweis darauf, dass „<strong>der</strong> neue Name <strong>der</strong><br />

Liebe ‚Dialog‘ ist“ (VC 74) <strong>und</strong> dass <strong>der</strong> religiöse<br />

Pluralismus, die Notwendigkeit <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />

die Interdependenz in allen Bereichen <strong>des</strong><br />

Zusammenlebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen Entwicklung<br />

einen Dialogstil <strong>der</strong> Beziehungen<br />

verlangen, trifft das Generalkapitel folgende<br />

Entscheidungen:<br />

7.1 es approbiert den Dienst für den Dialog, <strong>der</strong><br />

vom Generaldefinitorium eingerichtet wurde<br />

<strong>und</strong> in drei Kommissionen unterteilt ist:<br />

ökumenischer Dialog, interreligiöser Dialog<br />

<strong>und</strong> Dialog mit den Kulturen;<br />

7.2 Es for<strong>der</strong>t je<strong>des</strong> Konferenz auf zu überlegen,<br />

in welcher Form <strong>der</strong> Dienst für den Dialog im<br />

eigenen Gebiet eingerichtet werden kann;<br />

7.3 Es ermahnt die Konferenzen, in <strong>der</strong>en Gebiet<br />

es eine starke muslimische Präsenz gibt, eine<br />

211


Apostelgeschichte 8, 17<br />

Unterkommission für den Dialog mit dem<br />

Islam einzurichten;<br />

7.4 Es empfiehlt insbeson<strong>der</strong>e den innerkirchlichen<br />

Dialog.<br />

2. Für eine Kultur <strong>der</strong> Hoffnung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Solidarität<br />

8. Um in dieser Welt, die leidet <strong>und</strong> die gleichzeitig<br />

Zeichen <strong>der</strong> Hoffnung aufscheinen lässt,<br />

För<strong>der</strong>er einer neuen „Kultur <strong>der</strong> Hoffnung<br />

Solidarität“ zu sein, trifft das Kapitel folgende<br />

Entscheidungen:<br />

8.1 Das Generaldefinitorium möge damit fortfahren,<br />

Franciscans International auf dem <strong>der</strong>zeitigen<br />

Niveau zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> sich an den<br />

laufenden Überlegungen zur Klärung <strong>der</strong><br />

Struktur, <strong>des</strong> Status <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beziehung zwischen<br />

Franciscans International, dem Orden <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Franziskanischen Familie zu beteiligen;<br />

8.2 Mit <strong>der</strong> Ratifizierung <strong>der</strong> bevorzugten Option<br />

für die Armen <strong>und</strong> die von <strong>der</strong> heutigen Gesell-<br />

212<br />

schaft Ausgeschlossenen bittet es die Brü<strong>der</strong>,<br />

ihr Leben, ihre Geschichte <strong>und</strong> ihre Hoffnung<br />

zu teilen, um auch von ihnen evangelisiert<br />

zu werden;<br />

8.3 In Treue zu unserer Identität als Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> angefragt von den sozialen Ungerechtigkeiten,<br />

die einen immer tieferen Graben zwischen<br />

den Reichen <strong>und</strong> den Armen schaffen <strong>und</strong> Ausschluss<br />

<strong>und</strong> Marginalisierung hervor rufen, regt<br />

es dazu an, auf Konferenzebene <strong>und</strong> in Zusammenarbeit<br />

mit <strong>der</strong> Franziskanischen Familie ein<br />

konkretes Engagement zugunsten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung zu leisten, ein Engagement, das aus<br />

unserer Spiritualität erwachsen <strong>und</strong> den franziskanischen<br />

Beitrag zum neuen Jahrtausend<br />

bilden soll;<br />

8.4 Besorgt über die Lage so vieler Menschen,<br />

die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen,<br />

beson<strong>der</strong>s die Gastarbeiter, die Flüchtlinge,<br />

die ethnischen Min<strong>der</strong>heiten, bittet es das<br />

Generaldefinitorium, mit Hilfe <strong>des</strong> Büros<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung in Zusammenarbeit mit allen<br />

Konferenzen <strong>und</strong> Provinzen ein Netz von<br />

Helfern <strong>und</strong> Hilfsmitteln zu schaffen, um den<br />

Bedürfnissen <strong>der</strong> Flüchtlinge wirksamer begegnen<br />

zu können;<br />

8.5 Im Hinblick auf das Jubiläum <strong>des</strong> Jahres 2000<br />

ermahnt es Generaldefinitorium <strong>und</strong> die Provinzialminister,<br />

Brü<strong>der</strong> bereit zu stellen, die an<br />

dem von <strong>der</strong> Kustodie <strong>des</strong> Heiligen Lan<strong>des</strong> vorbereiteten<br />

Programme teilnehmen zu können.


■ Biblische Texte<br />

Biblische Texte<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

Exodus 23:6<br />

Deuteronomium 15:7-11; 16:20; 27:19<br />

Levitikus 19:12-18<br />

Hiob 29:14<br />

Psalmen 9:8 u.16; 11:7; 33:5; 72; 89:14; 103:6;<br />

140:12<br />

Sprichwörter 21:15; 29:4 u. 7<br />

Jeremia 9:23-24; 22:15-16; 23:5<br />

Jesaja 1:10-20; 5:23; 10:2; 29:21; 30:18; 32:15-20;<br />

42:4; 61:8<br />

Hosea 12:6<br />

Amos 2:7; 5:12<br />

Maleachi 2:17<br />

Matthäus 5:20; 23:23; 25:31-46<br />

Lukas 3:10-14; 11:42; 18:8<br />

Apostelgeschichte 4:32-37<br />

Römer 3:25-26<br />

Frauen<br />

Richter 4:5<br />

Judith 8:4-8; 9:8-10<br />

Esther 4,12-14; 5,1-3.7-8<br />

Ruth 1:16-18; 2:8-13; 4:9-17<br />

Vergleiche Matthäus 16:17 <strong>und</strong> Johannes 11:27<br />

Markus 14:9<br />

Lukas 7:36-50; 10:38-42; 21:1-4<br />

Apostelgeschichte 2:17-18; 21:8-9<br />

Galater 3:28<br />

Befreiung<br />

Exodus 2:23-25; 3:1-15<br />

Deuteronomium 26:5-11<br />

Psalmen 9:3-4; 10:18; 12:5; 74:14; 103:6<br />

Micha 3:4<br />

Baruch 4:21<br />

Lukas 4:18<br />

Galater 5:1 u. 13<br />

Unterdrückung<br />

Exodus 1:11<br />

Deuteronomium 26:6; 28:33<br />

Nehemia 9:36-37<br />

Psalmen 6:3-10; 17:9-12; 44:22-25; 94:5-6<br />

Jeremia 50:33<br />

Micha 3:3<br />

Frieden<br />

Levitikus 19:1 u. 9-18<br />

Psalmen 32; 72; 85:9-11; 122:6-8<br />

Jesaja 2:1-5; 9:5-6; 11:1-9; 32:15-20; 52:7; 53:5;<br />

57:19<br />

Sprichwörter 24:1-4; 22:31<br />

Matthäus 5:1-12 u. 38-48; 10:5-13 u.34<br />

Lukas 10:35; 12:51; 24:36<br />

Johannes 14:23-27; 19:19-23; 20:19 u. 21<br />

Römer 12:18; 14:17 u. 19<br />

2 Korinther 3:11<br />

Epheser 2:11-18; 4:3 u. 31-32<br />

Galater 5:22<br />

Philipper 2:5-11<br />

Jakobus 3:13-18<br />

Vergebung – Verzeihung<br />

Ezechiel 11:17-21<br />

Matthäus 7:1-5; 18:21-35<br />

Lukas 6:27-38; 15:1-10<br />

Römer 5:11<br />

2 Korinther 5:14-21<br />

Epheser 2:14-18<br />

Kolosser 3:12-17<br />

Philemon 1:18-21<br />

2 Petrus 3:8-12<br />

213


■ Biblische Texte<br />

Die Armen<br />

Exodus 1:8-14; 22:20-26<br />

Deuteronomium 15:4-11; 24:10-22; 26:5-11<br />

Levitikus 19:9-18; 25:8 u. 10 u. 23-24 u. 35-38 u.<br />

42-43<br />

Psalmen 9:13-14 u.19; 12:6; 14:6; 18:28; 22:27;<br />

25:9 u.16; 35:10; 37:11; 69:-30; 70:6; 72:1-4 u.12-<br />

14; 74:19-20; 76:10; 140:13<br />

Jesaja 1:11-17; 5:1-23; 11:1-9; 58:5-7; 61:1-2<br />

Jeremias 22:13-18<br />

Amos 2:6-16; 3:14-4:3; 8:4-7<br />

Micha 2:1-5; 3:1-4u.9-12; 4:6-7<br />

Zephania 3:11-12<br />

Jesus Sirach 34:18-22<br />

Markus 10:17-22; 10:23-27<br />

Matthäus 10:9-10<br />

Lukas 1:46-56; 12:33-34<br />

Apostelgeschichte 2:44-45; 4:32u.34-35; 11:27-30<br />

1 Korinther 1:17-31<br />

2 Korinther 8:1-15; 9:6-13<br />

Philipper 2:5-9<br />

Jakobus 2:1-5; 4:13-5:6<br />

Teilen – Solidarität<br />

1 Könige 17:7-16<br />

Jesaja 58:1-12<br />

Markus 12:38-44<br />

Matthäus 25:31-46<br />

Lukas 1:46-55; 10:25-37; 16:19-31<br />

Apostelgeschichte 4:32 u. 34-35<br />

Philipper 2:4-11<br />

Hebräer 13:12-16<br />

Jakobus 2:14-18; 5:1-6<br />

Offenbarung 21:1-6<br />

Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

Sprichwörter 3:27-33<br />

Matthäus 12:46-49<br />

Johannes 17:1 u. 6-11 u. 20 u. 26<br />

Hebräer 2:10-17<br />

2 Petrus 2:12; 3:8-9 u. 13-16<br />

1 Johannes 4:4-21<br />

214<br />

Dialog – Ökumenismus<br />

Genesis 17:1-7<br />

Jesaja 54:1-3<br />

Matthäus 10:41-45; 18:12-19; 22:1-10<br />

Johannes 17:18-24<br />

Apostelgeschichte 2:1-11<br />

1 Korinther 12<br />

Epheser 1:3-14<br />

Kolosser 3:12-17<br />

Hebräer 2:8b-12<br />

2 Petrus 4:7-11<br />

Dienst – Caritas<br />

1 Könige 17:7-16<br />

Jesus Sirach 4:1-10<br />

Matthäus 10:35-45<br />

Lukas 10:25-37<br />

Johannes 13:1-17 u. 34-35; 15:9-17<br />

Römer 12:9-17<br />

1 Korinther 13:1-13<br />

Philipper 2:1-4<br />

1 Petrus 4:7-11<br />

1 Johannes 4:7-17<br />

Natur – Schöpfung<br />

Genesis 1:1-2:3; 9:9-11<br />

Exodus 3:7-10; 15:22-27; 23:10-12<br />

Levitikus 25:1-24<br />

Jesaja 11:1-9; 40:12-31<br />

Daniel 3:57ff<br />

Psalmen 8; 19; 24; 104:16-23; 136; 148:1-4 u. 7-10<br />

Sprichwörter 8:22-31<br />

Markus 5:35-41<br />

Matthäus 6:26-30<br />

Johannes 9; 12:23-26<br />

Römer 8:18-25<br />

Kolosser 1:15-20<br />

Offenbarung 21:1-5; 6:16-21


■ Franziskanische Texte<br />

Franziskanische<br />

Texte<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong><br />

Leg Per 62<br />

„Heilt die W<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Menschheit durch konkretes<br />

Handeln“ (Aus <strong>der</strong> Botschaft <strong>der</strong> Generalminister<br />

<strong>der</strong> Franziskanischen Familie zum 800. Geburtstag<br />

<strong>des</strong> heiligen Franziskus)<br />

Bahia – Dokument, Kap. IV, 32-38<br />

Mattli, Abs. 4 „Im Einsatz für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden“<br />

Frauen<br />

1 Cel 18 b-d<br />

Fioretti 15; 16; 19<br />

LegMai 12:2<br />

Leg Per 101; 107<br />

Legende <strong>der</strong> hl. Klara 5<br />

Interfranziskanische Botschaft von Mattli (1982),<br />

Abs.2 „Zur Unterstützung <strong>der</strong> Frauen <strong>und</strong> gegen<br />

Diskriminierung“<br />

Frieden<br />

NbReg 22:1-4; 16:6<br />

BReg 2:17; 3:10-14<br />

Erm 13; 15<br />

Testament 6; 23<br />

1 Cel 23; 37; 40-41; 57<br />

2 Cel 37<br />

Leg Mai 6:9; 9:7-9<br />

Leg Per 44; 67<br />

AnonPer 17d; 38c<br />

Fioretti 21; 24<br />

DreiGef 26; 58<br />

Die Armen<br />

NbReg 5:9-12; 7:1-9 u. 13; 8:4 u. 12; 9:12; 23:4<br />

BReg 5<br />

Test 1-3; 20-22<br />

1 Cel 14-15; 17; 44; 76<br />

2 Cel 5; 8; 37; 81; 83-92; 196<br />

LegMai 11:2<br />

DreiGef 37; 40; 55-56<br />

Bahia-Dokument,<br />

Kap.III: „Kleine unter den Armen“<br />

Vergebung – Verzeihung – Gnade<br />

Erm 27<br />

BrMin 1-11 u. 13-17<br />

BrGl I, 5.28-29<br />

ErklVat 1 u. 7 u. 8<br />

1 Cel 23; 89<br />

2 Cel 185b<br />

LegMai 3:2; 8:1<br />

Leg Per 1; 44; 67<br />

SP 101<br />

DreiGef 11-12; 26<br />

Fioretti 21<br />

Mattli, Abs.5 „<strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong> Versöhnung“<br />

Teilen – Solidarität<br />

Testament 1-3<br />

2 Cel 175<br />

LegMai 1:2c-3a<br />

DreiGef 11-12<br />

Bahia 19-23a<br />

Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

1 Cel 38-39a<br />

2 Cel 175<br />

Der heilige Franziskus erzog zu universaler<br />

Gemeinschaft <strong>und</strong> einem familiären Geist<br />

215


■ Franziskanische Texte<br />

(Brief <strong>der</strong> Generalminister, „Ich habe meinen Teil<br />

getan; Christus wird Euch alles lehren“ – 1981)<br />

Bahia, Kap.II: "Als Brü<strong>der</strong> gesandt."<br />

Dialog – Ökumenismus<br />

NbReg 14; 16; 22:1-4<br />

BReg 12:1<br />

1 Cel 40a u. 41b-c; 57<br />

LegMai 9:7-9<br />

Fioretti 24<br />

Mattli, Abs.7: „In Dialog mit an<strong>der</strong>en Religionen“<br />

216<br />

Dienst – Caritas<br />

Testament 1-3<br />

2 Cel 172; 175; 177<br />

LegMai 9:1 u. 4<br />

DreiGef 11-12<br />

Regel <strong>der</strong> hl. Klara VIII: 12-16<br />

Natur – Schöpfung<br />

Sonnengesang<br />

1 Cel 77; 79; 81<br />

2 Cel 165<br />

Leg Per 84; 51


■ Kirchliche Soziallehre<br />

Kirchliche<br />

Soziallehre<br />

Christliche Anthropologie<br />

a) Menschenwürde,<br />

Der Mensch als Bild Gottes<br />

– Divini Redemptoris: 30 <strong>und</strong> 32-33<br />

– Mater at Magistra: 219-220<br />

– Pacem in Terris: 31; 28-34 <strong>und</strong> vor allem 44<br />

– Gaudium et Spes: 31<br />

– Ecclesiam Suam: 19<br />

– Redemptor Hominis<br />

– Christliche Befreiung <strong>und</strong> Freiheit: 20; 34<br />

– Laborem Exercens: 4-9<br />

– Richtlinien: No.31<br />

– Katechismus: 355-379; 1700-1709<br />

b) Die menschliche Person,<br />

Weg zur Sendung <strong>der</strong> Kirche<br />

– Gaudium et Spes: 1 <strong>und</strong> 3<br />

– Evangelii Nuntiandi: 29; 31; 33; 35; 36; 38<br />

– Redemptor Hominis: 13-14<br />

c) Menschliches Streben nach Freiheit<br />

– Instruktion über Christliche Freiheit <strong>und</strong><br />

Befreiung: 1 <strong>und</strong> 38<br />

d) Mann <strong>und</strong> Frau, Personen in Solidarität<br />

– Mater et Magistra: 218-219; 59-67<br />

– Pacem in Terris: 31<br />

– Gaudium at Spes: 24-25<br />

– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 73<br />

e) F<strong>und</strong>amentale Gleichheit je<strong>der</strong> Person<br />

– Gaudium et Spes: 24 <strong>und</strong> 29<br />

f) Vorrang <strong>der</strong> Person vor Strukturen<br />

– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 73; 75<br />

– Gaudium et Spes: 31<br />

– Redemptor Hominis: 14<br />

– Reconciliatio et Penitentia: 16<br />

g) Strukturen <strong>der</strong> Sünde<br />

– Gaudium et Spes: 13; 25<br />

– Instruktion über Christliche Freiheit <strong>und</strong><br />

Befreiung: 75<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 36-37<br />

– Centesimus Annus: 38<br />

– Catechism: 1878-1889<br />

Menschenrechte<br />

a) Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

– Gaudium et Spes: 27<br />

– Octogesima Adveniens: 23; vgl. RH:17<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 15: 26, 33<br />

b) Überblick über gr<strong>und</strong>legende Rechte<br />

– Pacem in Terris: 143-144:11-34; 75-79<br />

– Gaudium et Spes: 27; 79; 29; 60; 52; 75; 71;<br />

67: 68; 65; 69; 59<br />

– Octogesima Adveniens: 23<br />

– Puebla: 3890-3893<br />

– Redemptor Hominis: 17<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 26; 33-34<br />

c) Menschenrechte, eine For<strong>der</strong>ung<br />

<strong>des</strong> Evangeliums<br />

– Puebla: Grußadresse<br />

– Instruktion über Christliche Freiheit<br />

<strong>und</strong> Befreiung: 65<br />

Gemeinwohl<br />

– Mater et Magistra: 65; 78-81<br />

– Pacem in Terris: 53-66; 136<br />

– Gaudium et Spes: 26; 74<br />

– Populorum Progressio: 54<br />

– Octogessima Adveniens: 46<br />

– Redemptor Hominis: 17<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 26:33-34<br />

– Centesimus Annus: 9:37-38; 47<br />

– Katechismus: 1897-1912<br />

217


■ Kirchliche Soziallehre<br />

Solidarität <strong>und</strong> Subsidiarität<br />

a) Definition, Ko-relation <strong>und</strong> Begründung<br />

– Gaudium et Spes: 32; 80<br />

– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 73<br />

– Katechismus: 1883-1884; 1939-1942;<br />

2437-2440<br />

b) Solidarität<br />

– Pius XII, 1952 Weihnachtsradiobotschaft:<br />

26-27<br />

– Pacem in Terris: 98<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 38-40<br />

– Centesimus Annus: 10c; 33; 41d; 51<br />

c) Subsidiarität<br />

– Quadragesimo Anno: 79-80<br />

– Mater et Magistra: 51-52; 54-55; 57-58<br />

– Pacem in Terris: 140-141<br />

– Laborem Exercens: 17<br />

d) Soziale Partizipation<br />

– Mater et Magistra: 91-92<br />

– Gaudium et Spes: 31; 55; 59; 63; 68<br />

– Octogesima Adveniens: 22; 24; 46-47<br />

– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 86; 95<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 45<br />

– Centesimus Annus: 33<br />

– Katechismus: 1913-1917<br />

Universelle Bestimmung (Verteilung)<br />

<strong>des</strong> Wohlstan<strong>des</strong><br />

– Gaudium et Spes: 69-71<br />

– Populorum Progressio: 22-23<br />

– Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung : 90<br />

– Centesimus Annus: 30-32<br />

Privateigentum<br />

– Rerum Novarum 3:12-16<br />

– Quadragesimo Anno: 44-52<br />

– Mater et Magistra: 104-121<br />

– Gaudium et Spes: 69-71<br />

– Populorum Progressio: 19; 22-24<br />

– Laborem Exercens: 14<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 28; 42<br />

218<br />

Gemeineigentum<br />

– Rerum Novarum: 23-25<br />

– Quadragesimo Anno: 105-110<br />

– Mater et Magistra: 51-67<br />

– Gaudium et Spes: 70-71<br />

– Populorum Progressio: 23-24; 33-34<br />

– Laborem Exercens: 14<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 15<br />

Arbeit <strong>und</strong> Lohn<br />

a) Reflexion über menschliche Arbeit<br />

– Rerum Novarum: 32<br />

– Mater et Magistra: 82-103<br />

– Gaudium et Spes: 67<br />

– Laborem Exercens: 1; 3; 4-10; 18-19; 22-27<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 18<br />

b) Persönliches o<strong>der</strong> Familieneinkommen?<br />

– Rerum Novarum: 32-33<br />

– Quadragesimo Anno: 71<br />

– Laborem Exercens: 19<br />

c) Das Lohnsystem:<br />

Reduziert es Menschen zu Marktware?<br />

– Quadragesimo Anno: 64-68<br />

– Mater et Magistra: 75-77<br />

– Laborem Exercens: 19<br />

d) Das praktische Problem: Quantität<br />

– Rerum Novarum: 32<br />

– Quadragesimo Anno: 70-75<br />

– Mater et Magistra: 68; 71<br />

Streikrecht<br />

– Rerum Novarum: 29<br />

– Quadragesimo Anno: 94<br />

– Gaudium et Spes: 68<br />

– Octogesima Adveniens: 14<br />

– Laborem Exercens: 20


■ Kirchliche Soziallehre<br />

Gewerkschaften<br />

– Rerum Novarum: 34-40<br />

– Quadragesimo Anno: 34-38; 81-97<br />

– Mater et Magistra: 97-103<br />

– Gaudium et Spes: 68<br />

– Populorum Progressio: 38-39 <strong>und</strong> Octogesima<br />

Adveniens:14<br />

– Laborem Exercens: 20<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 15<br />

Politik <strong>und</strong> das Politische<br />

– Gaudium et Spes: 73; 76<br />

– Octogesima Adveniens: 3-4; 48-51<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 47-48<br />

Zivile <strong>und</strong> politische Gesellschaft<br />

a) Beschreibung<br />

– Gaudium et Spes: 74a<br />

b) Autorität<br />

– PT: 46-52<br />

– Gaudium et Spes: 74b-e<br />

c) Gemeinwohl<br />

(siehe oben)<br />

Politische Macht<br />

a) Der Staat: politische Organisation<br />

– Mater et Magistra: 20-21; 44; 52-53; 104;<br />

201-202<br />

– Pacem in Terris: 68-69; 72; 75-79; 130-131<br />

– Gaudium et Spes: 73-75<br />

– Octogesima Adveniens: 46<br />

b) Politische Systeme<br />

– Pacem in Terris: 52; 68; 73<br />

– Gaudium et Spes: 73; 74; 75<br />

– Redemptoris Hominis: 17<br />

– Sollicitudo Rei Socialis: 41<br />

Christliches sozialpolitisches Engagement<br />

a) Vor Populorum Progressio<br />

(Rechte von Arbeitern <strong>und</strong> Arbeitgebern)<br />

– Rerum Novarum: 14-16; Quadragesimo<br />

Anno: 50-51; 63-64; 78; 141-142<br />

– Mater et Magistra: 51; 82-84; 91; 122;<br />

– Gaudium et Spes: 65-70<br />

b) Nach Populorum Progressio<br />

– Über Unterentwicklung <strong>und</strong> Entwicklung:<br />

PP:14; 19-21; 43-51; 56-59; <strong>und</strong> OA: 24-25;<br />

37; 46-51; SRS: 27-39<br />

– Handeln in <strong>der</strong> Gesellschaft: PT:146-152;<br />

GS:36; 75-76; OA:3-4; 48-51; SRS:47-48<br />

– Der politische Pluralismus <strong>der</strong> Christen:<br />

OA: 50-51<br />

c) Gr<strong>und</strong>prinzipien humanistischer Politik<br />

– Wahrheit, <strong>Gerechtigkeit</strong>, Liebe, Freiheit:<br />

PT:35; GS:26c; 27-28; OA:23; 45<br />

– Gleichheit <strong>und</strong> Partizipation: PT:73; GS:75;<br />

OA:24-25; 47<br />

– Befreiung: Johannes Paul II., Grußadresse zur<br />

Eröffnung <strong>der</strong> III. Lateinamerikanischen<br />

(CELAM) Bischofskonferenz: III:5 <strong>und</strong> 6; III.<br />

Bischofssynode über „<strong>Gerechtigkeit</strong> in <strong>der</strong><br />

Welt“: 50-51<br />

d) Ideologien <strong>und</strong> Utopien:<br />

Octogesima Adveniens: 25-37<br />

Die Internationale Gemeinschaft<br />

a) Gr<strong>und</strong>lagen: Gaudium et Spes: 84<br />

b) Internationale Beziehungen: PT: 86-108;<br />

120-125; GS:85-90; PP:78; CA:21; 27;<br />

SRS: 14; 16; 43; 45<br />

219


■ Kirchliche Soziallehre<br />

Soziale Gewalt<br />

a) Arten sozialer Gewalt:<br />

– Strukturelle Gewalt<br />

– Revolutionäre Gewalt: PT:161-162; PP:30-<br />

31; LE:11-13<br />

– Gewalt durch Krieg: PT:109-116; GS:77-82;<br />

PP:53; 78; SRS:10; 20; 23-24; 39<br />

b) Aktive Gewaltfreiheit: Gaudium et Spes:79;<br />

Christliche Freiheit <strong>und</strong> Befreiung: 77-79;<br />

Katechismus: 2306<br />

Frieden<br />

a) Die Realität <strong>des</strong> Krieges<br />

PT:109-117; GS:79-80; 82; CA:14b; 17a, b;<br />

19a; Katechismus:2307-2317<br />

b) Skandal <strong>des</strong> Rüstungswettlaufs <strong>und</strong> Abrüstung<br />

PT:109-112; GS:81; PP:53; SRS:23-24;<br />

CA:28c<br />

c) <strong>Friedens</strong>ethik<br />

– Frieden über alles: Pacem in Terris<br />

– Einsatz aller für den Frieden: Gaudium et<br />

Spes:78-82; Katechismus:2302-2305<br />

– Entwicklung, <strong>der</strong> neue Name für Frieden:<br />

Populorum Progressio:76<br />

– Frieden, Frucht <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Solidarität:<br />

GS:78; SRS:26; 39; CA:5c; 23c; 29a<br />

220<br />

Christlicher Glaube <strong>und</strong> Kultur<br />

– Gaudium et Spes: 53-62<br />

– PP:12ff; 40; 41; 42; CA:32ff; 38-41; 50-52<br />

Soziale Kommunikationsmittel<br />

a) Christlicher Standpunkt zu den Medien:<br />

OA:20<br />

– Zu beachtende Werte: Communio et Progressio<br />

(CP):14-17<br />

– Zu vermeidende Risiken: CP:58; 80; SRS:22<br />

b) Einzelthemen<br />

– Information: Communio et Progressio:<br />

33-47; 75-76<br />

– Werbung: Communio et Progressio:<br />

23; 30; 59-62<br />

– Öffentliche Meinung: Communio et<br />

Progressio: 26-32; 114-125<br />

Ökologie<br />

– MM:196-199; OA:21; RH:8 and 15; LE:4;<br />

SRS:26; 29;34; CA:37-38<br />

– Welttag <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, Botschaft Johannes Paul<br />

II (1-1-1990): Frieden mit Gott, dem Schöpfer,<br />

Frieden mit aller Schöpfung<br />

– Katechismus: 299-301; 307; 339-341; 344;<br />

2415-2418


■ Generalkonstitutionen<br />

Option für die Armen –<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung in den<br />

Generalkonstitutionen<br />

Anmerkung: Die folgenden Artikel sind<br />

Textwie<strong>der</strong>gaben (keine wörtlichen Zitate)<br />

<strong>der</strong> Generalkonstitutionen in Bezug auf GFBS<br />

Kapitel I<br />

Artikel 1, 2<br />

Dies ist eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Wesensmerkmale<br />

<strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s:<br />

– Leben gemäß dem Evangelium,<br />

– Gebet <strong>und</strong> Hingabe<br />

– Zeugnis eines Lebens <strong>der</strong> Buße <strong>und</strong> <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>seins,<br />

– brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft<br />

– Liebe zu allen Menschen<br />

– durch ihr Tun von Versöhnung, Frieden <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> künden.<br />

Artikel 3<br />

Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> bilden eine „Bru<strong>der</strong>schaft“, in<br />

<strong>der</strong> alle Brü<strong>der</strong> sind, an Rechten <strong>und</strong> Pflichten in<br />

je<strong>der</strong> Hinsicht gleich; ein Zeugnis, dass Menschen<br />

wahre Brü<strong>der</strong>lichkeit <strong>und</strong> Gemeinschaft suchen, in<br />

<strong>der</strong> niemand aus irgendwelchen Gründen marginalisiert<br />

wird.<br />

Artikel 4, 1<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollen, verb<strong>und</strong>en mit dem Volk Gottes,<br />

die neuen Zeichen <strong>der</strong> Zeit erforschen, <strong>und</strong> in<br />

Beziehung stehen zu einer sich fortwährend wandelnden<br />

Welt<br />

Artikel 7, 3<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollen einan<strong>der</strong> freiwillig dienen <strong>und</strong><br />

gehorchen <strong>und</strong> gemeinsam Anzeichen <strong>des</strong> Willens<br />

Gottes <strong>des</strong> Herrn suchen<br />

Artikel 8<br />

Sie sollen radikal nach dem Evangelium leben <strong>und</strong><br />

„alles verkaufen“ um Zeichen für die Vorsorge <strong>des</strong><br />

Vaters im Himmel zu sein, in <strong>der</strong> Lage, das Los <strong>der</strong><br />

Armen zu teilen, indem sie die Option treffen, die<br />

vor allem eine persönliche Entscheidung ist dem<br />

Beispiel <strong>der</strong> Armut von Christus <strong>und</strong> seiner Mutter<br />

zu folgen. Sie sollen sich freuen, wenn sie mit den<br />

Armen leben <strong>und</strong> das auch mit neuen Formen klar<br />

zum Ausdruck bringen.<br />

Artikel 27, 1<br />

Der Geist <strong>des</strong> Gebetes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hingabe soll genährt<br />

werden davon, unter den einfachen Leuten zu<br />

leben, denen das Reich Gottes offenbart wurde <strong>und</strong><br />

sich mit ihnen zu unterhalten. Gemeinsam könne<br />

sie gute Formen <strong>der</strong> Volksfrömmigkeit lernen <strong>und</strong><br />

die Fähigkeit erwerben, dadurch dem christ-lichen<br />

Leben in sich <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en Nahrung zu bieten.<br />

Artikel 27, 2<br />

Wenn die Brü<strong>der</strong> mit dem Volk beten, wird das<br />

Gebet in <strong>des</strong>sen Lebenswirklichkeit verwurzelt <strong>und</strong><br />

wird so ein Zeichen <strong>des</strong> Teilens von Hoffnung <strong>und</strong><br />

Glauben .<br />

Kapitel II<br />

Artikel 32, 3<br />

Das Leben <strong>der</strong> Buße findet seinen Ausdruck im<br />

Dienst an den An<strong>der</strong>en, beson<strong>der</strong>s den Geringsten,<br />

von denen wir nichts dafür erhalten. Franziskus hat<br />

dies durch den Dienst an den Aussätzigen gelebt.<br />

Artikel 33, 1<br />

Die Brü<strong>der</strong> sind von ihrer Berufung her Zeichen<br />

<strong>und</strong> Werkzeug <strong>der</strong> Versöhnung mit jedem <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft. Dies ist ein beson<strong>der</strong>es<br />

„Dienstamt“ ihrer Berufung .<br />

Artikel 33, 3<br />

Buße <strong>und</strong> Umkehr haben auch einen sozialen<br />

Aspekt, <strong>der</strong> zur Versöhnung führt.<br />

Artikel 34, 2<br />

Fasten bedeutet Teilnahme an den Leiden Christi,<br />

gegenwärtig unter uns in denen, die viele Leiden<br />

tragen.<br />

221


■ Generalkonstitutionen<br />

Kapitel III<br />

Artikel 39<br />

Wahre Brü<strong>der</strong>lichkeit, gegründet auf Fre<strong>und</strong>schaft<br />

ist auch ein Weg <strong>der</strong> Erziehung hin zu froher <strong>und</strong><br />

höflicher Annahme aller Menschen.<br />

Sie wird ein Zeichen <strong>der</strong> Hoffnung, <strong>und</strong> eine Verkündigung<br />

von Frieden <strong>und</strong> Freude; sie ist ein Weg<br />

zu einer umfassenden, christlichen <strong>und</strong> religiösen,<br />

menschlichen Reife.<br />

Artikel 51<br />

Franziskanische Gastfre<strong>und</strong>schaft ist wesentlicher<br />

Bestandteil im Leben <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />

Artikel 52<br />

Brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft lässt<br />

die Gemeinschaft zu allen Menschen hin wachsen.<br />

Das heißt, alle Menschen fre<strong>und</strong>lich zu empfangen<br />

<strong>und</strong> sie wohlwollend zu behandeln, ob sie Fre<strong>und</strong><br />

o<strong>der</strong> Feind seien, ob sie zu uns kommen o<strong>der</strong> wir<br />

zu ihnen gehen.<br />

Artikel 53<br />

Zum Zeugnis <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> Liebe sind die Brü<strong>der</strong><br />

verpflichtet, den Nöten <strong>der</strong> Kirche abzuhelfen,<br />

die Notleidenden zu unterstützen <strong>und</strong> die Armen<br />

an den Gütern teilhaben zu lassen, die <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />

gegeben wurden.<br />

Kapitel IV<br />

Artikel 64<br />

„Min<strong>der</strong>sein“ (Demut), ein Zeichen <strong>der</strong> Nachfolge<br />

Jesu <strong>und</strong> seines Gehorsams gegenüber dem Willen<br />

<strong>des</strong> Vaters, ist Zeugnis <strong>der</strong> Freude <strong>und</strong> Vorbedingung<br />

<strong>der</strong> Verkündigung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

Artikel 66, 2<br />

Demut erlaubt eine Weise <strong>des</strong> Teilens, dass die<br />

„kleinen Leute“ sich nicht von <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />

ausgeschlossen fühlen, die berufen ist, solche zu<br />

bevorzugen, die vom Zugang zu den Gütern <strong>des</strong><br />

sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Prozesses ausgeschlossen<br />

sind.<br />

Artikel 67<br />

Demut hat Zeugnischarakter für die wahren Werte<br />

<strong>des</strong> Evangeliums <strong>und</strong> ist ein prophetisches Zeichen<br />

um die „falschen Werte“ unserer Zeit zu entlarven.<br />

222<br />

Artikel 68, 1 u.2.<br />

Frieden wird verkündet <strong>und</strong> weiter getragen<br />

indem das Gute getan wird. Friede wird nicht<br />

durch Gewalt errichtet.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Aspekt <strong>der</strong> Verkündung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

ist, we<strong>der</strong> Zorn noch Ärgernis zu erregen. Frieden<br />

<strong>und</strong> die Werke <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

kommen aus einem friedfertigen Herzen.<br />

Artikel 69,1<br />

<strong>Friedens</strong>arbeit, beson<strong>der</strong>s mit denen, die ungerecht<br />

ihrer Rechte beraubt sind, entstammt einem neuen<br />

Herzen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe zu <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden.<br />

Diese Rechte müssen verteidigt werden, nicht<br />

mit Gewalt, son<strong>der</strong>n mit den gleichen Mitteln, die<br />

auch den Armen zur Verfügung stehen.<br />

Artikel 69, 2<br />

Mit den gleichen Mitteln sollen die Brü<strong>der</strong> Krieg<br />

<strong>und</strong> jede Art von Gewalt anprangern; Frieden wird<br />

aufgebaut, indem man sich gegen jedwede Gewalt<br />

<strong>und</strong> Ungerechtigkeit ausspricht.<br />

Artikel 70<br />

Dieser Artikel betont den befreienden Aspekt <strong>der</strong><br />

Armut <strong>und</strong> bevorzugt freie <strong>und</strong> gerechte Beziehungen<br />

unter allen Menschen, gegenseitige Akzeptanz<br />

<strong>und</strong> Versöhnung. Reichtümer <strong>und</strong> Anhängen an die<br />

Wohlhabenden <strong>und</strong> Mächtigen sind Gr<strong>und</strong> für Versklavung<br />

<strong>und</strong> Hin<strong>der</strong>nis für das freie <strong>und</strong> integrale<br />

Leben <strong>der</strong> Hingabe <strong>und</strong> Sendung, unserer Berufung<br />

als „Min<strong>der</strong>e“ angemessen.<br />

Artikel 71<br />

Das Bild Gottes <strong>des</strong> Schöpfers ist anwesend in <strong>der</strong><br />

ganzen Schöpfung. Der Bru<strong>der</strong> soll <strong>des</strong>halb jede<br />

Form von Leben in <strong>der</strong> Welt respektieren aus Ehrfurcht<br />

vor Gott.<br />

Artikel 72, 1<br />

Das Versprechen <strong>der</strong> Armut ist das gr<strong>und</strong>legende<br />

Zeichen <strong>der</strong> Nachfolge Christi, <strong>des</strong> Pilgers, <strong>der</strong> mit<br />

uns geht. Die Lebensweise <strong>des</strong> Pilgers muss sich in<br />

unserem Leben wi<strong>der</strong>spiegeln, <strong>und</strong> auch in den<br />

Dingen die wir zur Arbeit <strong>und</strong> zum Leben nutzen.<br />

Artikel 72, 2<br />

Bauten für die Brü<strong>der</strong> sollten mit den Gegebenheiten<br />

<strong>der</strong> Armut in Einklang stehen, in <strong>der</strong> die Brü<strong>der</strong><br />

leben. Dasselbe betrifft auch alles, was wir anneh-


■ Generalkonstitutionen<br />

men o<strong>der</strong> benutzen. Brü<strong>der</strong> sollten nicht Eigentümer<br />

<strong>der</strong> Gebäude sein, son<strong>der</strong>n diese ausschließlich<br />

zum Gebrauch haben, soweit sie nötig sind, um zu<br />

leben <strong>und</strong> das Evangelium zu verkünden. Güter, die<br />

zum Gebrauch <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> gegeben sind, sollen mit<br />

den Armen geteilt werden.<br />

Artikel 73<br />

Das Eigentum an Gebäuden sollte eher im Besitz<br />

<strong>der</strong>er bleiben, denen wir zu Diensten sein sollen,<br />

o<strong>der</strong> im Besitz <strong>der</strong> Wohltäter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kirche o<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Heiligen Stuhles sein.<br />

Artikel 76<br />

Die Arbeit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> sollte als Dienst aufgefasst werden<br />

<strong>und</strong> nicht als Mittel zur Selbstgenügsamkeit <strong>und</strong><br />

Unabhängigkeit, <strong>und</strong> am wenigsten als Mittel, Macht<br />

über an<strong>der</strong>e zu haben. Arbeit ist ein Geschenk, das<br />

mit denen geteilt werden soll, die es nicht haben. Solche<br />

die arbeiten, sollten mit denen teilen, die keine<br />

Arbeit haben <strong>und</strong> sich selbst nicht ernähren können.<br />

Artikel 77<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollten für ihre Tätigkeiten qualifiziert<br />

sein, aber die erste Qualifizierung ist es, Bru<strong>der</strong> zu<br />

sein, in Gemeinschaft zu leben, mit den selben<br />

Rechten <strong>und</strong> Pflichten wie die an<strong>der</strong>en. Keine<br />

Arbeit gibt Son<strong>der</strong>rechte, am wenigsten das Recht,<br />

von einem Haus nicht versetzbar zu sein.<br />

Artikel 78, 1 u. 2<br />

Arbeit sollte nicht von den Brü<strong>der</strong>n trennen. Sie<br />

sollte einer größeren Solidarität allen gegenüber<br />

dienen, als einem angemesseneren „Dienst“ den<br />

„Armen“ gegenüber.<br />

Artikel 80, 1 u. 2<br />

Alle Brü<strong>der</strong> sollten weitmöglichst selber die Hausarbeit<br />

in den Bru<strong>der</strong>schaften tun. Wenn an<strong>der</strong>e<br />

Menschen in unseren Bru<strong>der</strong>schaften arbeiten,<br />

erfor<strong>der</strong>t es die <strong>Gerechtigkeit</strong>, dass die Gesetzesnormen<br />

beachtet werden.<br />

Artikel 82,3<br />

Was immer die Brü<strong>der</strong> als Arbeitslohn erhalten,<br />

sollte nicht zum Horten von Geld führen: wenn<br />

viel vorhanden ist, sollten sie sich erinnern, dass es<br />

<strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> den Armen gehört. Wir müssen<br />

es nutzen, weil wir arm sind <strong>und</strong> wie die Armen,<br />

nicht als Besitzer.<br />

Kapitel V<br />

Kapitel V spricht über unsere Berufung zur Evangelisierung,<br />

die die Gr<strong>und</strong>lage für unsere Treue zur<br />

Demut <strong>und</strong> Armut ist. Deshalb sollte sie ausgeführt<br />

werden mit Mitteln, die in Einklang mit unserer<br />

Berufung stehen <strong>und</strong> sollte vorwiegend auf die<br />

ärmeren Gebiete hin ausgerichtet sein.<br />

Artikel 85<br />

Die Verkündigung <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> ist gr<strong>und</strong>legend<br />

für unsere Evangelisierung.<br />

Artikel 87,1<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollten nicht für sich allein leben son<strong>der</strong>n<br />

zum Nutzen für an<strong>der</strong>e. Sie sollten versuchen, die<br />

selben brü<strong>der</strong>lichen Beziehungen mit allen Menschen<br />

zu haben, die sie untereinan<strong>der</strong> entwickeln.<br />

Artikel 87, 3<br />

Als Hoffnungszeichen sollten die Brü<strong>der</strong> Fraternitäten<br />

in ärmeren Gebieten <strong>und</strong> unter säkularisierten<br />

Gruppen von Menschen errichten <strong>und</strong> diese Fraternitäten<br />

als bevorzugte Mittel sehen, das Evangelium<br />

zu verkünden.<br />

Artikel 91<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollten nicht suchen, Privilegien zu<br />

erhalten o<strong>der</strong> anzunehmen, weil Bescheidenheit<br />

die Gr<strong>und</strong>lage ihrer Sendung in <strong>der</strong> Kirche ist.<br />

Artikel 92,2<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollten gerne in <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong><br />

Inkulturation helfen, wo immer sie leben.<br />

Artikel 93,1<br />

Die brü<strong>der</strong>liche Liebe verlangt dass die Brü<strong>der</strong> die<br />

Armen als ihre Lehrer sehen <strong>und</strong> ihnen zuhören.<br />

Artikel 94<br />

Die Evangelisierung <strong>der</strong> Kulturen ist von größter<br />

Bedeutung <strong>und</strong> sollte von den Brü<strong>der</strong>n stark geför<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

Artikel 95, 1-3<br />

Der ökumenische Geist sollte überall geför<strong>der</strong>t<br />

werden. Die Brü<strong>der</strong> sollten nach Wegen suchen, mit<br />

an<strong>der</strong>en Christen, Gläubigen an<strong>der</strong>er Religionen<br />

<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s mit den Muslimen zusammenzuarbeiten.<br />

223


■ Generalkonstitutionen<br />

Artikel 96,1<br />

Evangelisierung verlangt ein Verständnis <strong>der</strong> sozialen<br />

Probleme, denen Menschen <strong>und</strong> Familien ausgesetzt<br />

sind. Diese Kenntnis hilft, eine angemessene<br />

christliche Antwort zu finden.<br />

Artikel 96,2<br />

Die Anliegen von <strong>Gerechtigkeit</strong>, Freiheit <strong>und</strong><br />

Frieden sind gr<strong>und</strong>legend. Die Brü<strong>der</strong> sollten sich<br />

<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> ernsten Probleme widmen die aus<br />

Verletzungen <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit<br />

resultieren. Sie sollten zusammenarbeiten mit<br />

Menschen, die sich für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

in <strong>der</strong> Welt einsetzen.<br />

Artikel 96, 3<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollten bescheiden <strong>und</strong> zugleich mutig<br />

für die Achtung <strong>und</strong> Pflege <strong>der</strong> Menschenwürde<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Rechte aller innerhalb <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Ordens arbeiten.<br />

Artikel 97,1<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollen dem Beispiel <strong>des</strong> heiligen Franziskus<br />

folgen, <strong>der</strong> vom Herrn unter die Aussätzigen<br />

geführt wurde. Je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> sollte seine eigene<br />

Berufung zum Dienst an den Aussätzigen unserer<br />

Tage wie<strong>der</strong>entdecken: die an den Rand Gedrängten,<br />

die Armen <strong>und</strong> Unterdrückten, Kranken <strong>und</strong><br />

Bedrängten. Sie sollten froh sein unter ihnen zu<br />

leben <strong>und</strong> ihnen Barmherzigkeit zu erweisen.<br />

Artikel 97,2<br />

Sie sollten sich darum mühen, dass die Armen selbst<br />

bewusster ihrer eigenen Menschenwürde werden,<br />

sie schützen <strong>und</strong> mehren.<br />

Artikel 98,1<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollten nicht auf die Reichen <strong>und</strong><br />

Mächtigen herabsehen o<strong>der</strong> sie verurteilen. Sie sollten<br />

sie demütig zur Umkehr ermahnen <strong>und</strong> sie daran<br />

erinnern, dass sie alle Güter Gott zurückzuerstatten<br />

müssen, <strong>der</strong> in den Armen gegenwärtig ist.<br />

Artikel 98,2<br />

Dem Beispiel <strong>des</strong> Heiligen Franziskus folgend, sollten<br />

die Brü<strong>der</strong> zu denen gehen, die Leben <strong>und</strong> Freiheit<br />

an<strong>der</strong>er bedrohen, <strong>und</strong> ihnen die gute Nachricht<br />

<strong>der</strong> Versöhnung, Umkehr <strong>und</strong> Hoffnung auf<br />

ein neues Leben anbieten.<br />

224<br />

Kapitel VI<br />

Kapitel VI handelt von <strong>der</strong> Ausbildung <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s.<br />

Alles, was oben über Leben <strong>und</strong> Aktivitäten <strong>der</strong><br />

Brü<strong>der</strong> gesagt worden ist, wurde als feste Orientierung<br />

für die Erstausbildung <strong>und</strong> die fortwährende Weiterbildung<br />

genommen. Einige Beispiele dazu:<br />

Artikel 127, 2 u. 3<br />

Die Brü<strong>der</strong> sollten vorbereitet sein, sich aktiv in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft einzubringen. Ausbildung sollte engen<br />

Umgang mit Gott <strong>und</strong> herzliche Beziehungen mit<br />

den Menschen betonen, sowie auch einen Sinn für<br />

die Gemeinschaft mit <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> das Apostolat<br />

wecken.<br />

Artikel 127,4<br />

Ein gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> Prinzip <strong>der</strong> Ausbildung ist das<br />

Lernen <strong>und</strong> Einüben <strong>des</strong> franziskanischen Weges<br />

eines Lebens aus dem Evangelium in Bru<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />

Min<strong>der</strong>sein, <strong>des</strong> Lebens <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Sendung unseres Ordens.<br />

Artikel 128<br />

Franziskanische Ausbildung sollte integrale Ausbildung<br />

<strong>der</strong> ganzen Person sein <strong>und</strong> sollte die persönlichen<br />

<strong>und</strong> sozialen Dimensionen <strong>der</strong> Ausbildung<br />

berücksichtigen.<br />

Artikel 129, 1 u. 2<br />

Im Ausbildungsprozess sollten die persönlichen<br />

Gaben je<strong>der</strong> Person respektvoll behandelt werden<br />

<strong>und</strong> Verantwortungsbewußtsein im Gebrauch <strong>der</strong><br />

Freiheit ermutigt werden. Die Ausbildung sollte<br />

einen ausgewogenen kritischen Sinn für das Zeitgeschehen<br />

för<strong>der</strong>n.<br />

Artikel 132<br />

Die Bildung einer persönlichen Reife ist notwendig<br />

für ein Leben in Gemeinschaft <strong>und</strong> für ein Leben in<br />

Solidarität mit den Armen.<br />

Artikel 153, 2<br />

Um das franziskanische Leben tiefer zu erfahren,<br />

sollten die Novizen sich <strong>der</strong> Kontemplation, Buße,<br />

Armut, Arbeit, <strong>und</strong> dem Dienst an den Notleidenden<br />

unserer Zeit widmen, sei es innerhalb <strong>des</strong><br />

Hauses <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, sei es außerhalb.


■ Eine Textauswahl zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />

Eine Textauswahl zu<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden<br />

<strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung in<br />

<strong>der</strong> Ratio Formationis<br />

Franciscanae<br />

RFF 3.<br />

Die Nachfolge Jesu Christi gemäß <strong>der</strong> Lebensform<br />

<strong>des</strong> hl. Franziskus führt den Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> dazu,<br />

sich mit <strong>der</strong> Kirche einzusetzen <strong>und</strong> in den Dienst<br />

<strong>der</strong> Menschen unserer Zeit zu stellen als Bote <strong>der</strong><br />

Versöhnung <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />

RFF 12b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> betrachtet die unendliche<br />

Liebe Gottes zu ihm <strong>und</strong> wird angeleitet, Jesus<br />

Christus in <strong>der</strong> heiligen Schrift, in <strong>der</strong> Geschichte,<br />

in jedem Aspekt <strong>des</strong> Lebens, im Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> in <strong>der</strong><br />

ganzen Schöpfung zu suchen <strong>und</strong> zu finden, <strong>und</strong><br />

dies in einem stetigen Prozess geistlicher Unterscheidung,<br />

um das Wirken <strong>des</strong> Heiligen Geistes<br />

zu erkennen.<br />

RFF 15b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> stellt sich vor den armen <strong>und</strong><br />

gekreuzigten Christus, seinen Meister, indem er<br />

stets seine Treue zu Ihm <strong>und</strong> zum Evangelium, zur<br />

Kirche, zum Orden <strong>und</strong> zu seiner Sendung, zum<br />

Menschen <strong>und</strong> zu unserer Zeit bekräftigt.<br />

RFF 18.<br />

Die Bru<strong>der</strong>schaft … ist <strong>der</strong> Raum <strong>der</strong> Versöhnung<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> , wo die Begegnung mit dem<br />

lebendigen <strong>und</strong> wahren Christus möglich ist.<br />

RFF 21a.<br />

Die Erfahrung <strong>des</strong> Vaterseins Gottes <strong>und</strong> <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>seins<br />

in Christus führt die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> dazu,<br />

allen Menschen <strong>und</strong> jedem Geschöpf im Geiste <strong>des</strong><br />

Min<strong>der</strong>seins, <strong>der</strong> Einfachheit, <strong>der</strong> Freude <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Solidarität Brü<strong>der</strong> zu werden.<br />

RFF 21b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> nimmt alle in Güte an, ohne<br />

jegliche Ausnahme, er liebt alle Menschen, ganz<br />

beson<strong>der</strong>s die Armen <strong>und</strong> die Schwachen, denen er<br />

mit mütterlicher Sorge dient, er lehnt Gewalt ab,<br />

arbeitet für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden <strong>und</strong> achtet<br />

die Schöpfung.<br />

RFF 22b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> entdeckt das eigene Kleinsein<br />

<strong>und</strong> die totale Abhängigkeit von Gott, <strong>der</strong> Quelle<br />

alles Guten, <strong>und</strong> lebt als Pilger <strong>und</strong> Fremdling (vgl.<br />

BReg 6,2), versöhnt <strong>und</strong> friedliebend, offen, als Bru<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> je<strong>der</strong> Kreatur untertan (vgl. BrGl II, 47).<br />

RFF 24b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> arbeitet, wie Franziskus, gerne<br />

mit den eigenen Händen (vgl. Test 20), um das<br />

Reich Gottes aufzubauen, die Bru<strong>der</strong>schaft zu<br />

unterstützen <strong>und</strong> mit den Armen <strong>und</strong> Bedürftigen<br />

das zu teilen, was er hat (vgl. Apg 3,6).<br />

RFF 25a.<br />

Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> folgen dem Beispiel <strong>des</strong> hl. Franziskus,<br />

den Gott mitten unter die Leprakranken<br />

führte, indem sie das Leben <strong>und</strong> die Situation <strong>der</strong><br />

Armen wählen, sich mit ihnen identifizieren, den<br />

Unterdrückten, den Bedrängten <strong>und</strong> den Kranken<br />

dienen <strong>und</strong> sich von ihnen evangelisieren lassen<br />

(vgl. GG.CC. 66 § 1; 96 § 2; 97 § 1).<br />

RFF 25b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> ist einfühlsam <strong>und</strong> arbeitet, um<br />

jede Form von Ungerechtigkeit <strong>und</strong> die entmenschlichenden<br />

Strukturen in <strong>der</strong> Welt zu beseitigen; er<br />

ergreift ausdrücklich Option für die Armen indem<br />

er zur Stimme <strong>der</strong>er wird, die keine Stimme haben,<br />

als Werkzeug <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

<strong>und</strong> als Sauerteig Christi in <strong>der</strong> Welt.<br />

RFF 26a.<br />

Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>, Jünger <strong>des</strong> Herrn <strong>und</strong> Verkün<strong>der</strong><br />

seines Wortes, nehmen nach dem Beispiel <strong>der</strong><br />

Apostel teil an <strong>der</strong> Sendung <strong>der</strong> Kirche zur Evangelisierung<br />

(vgl. GG.CC. 83 § 2) <strong>und</strong> bringen „allen,<br />

denen sie begegnen den Frieden <strong>und</strong> das Heil <strong>des</strong><br />

Herrn“ (GG.CC. 85).<br />

225


■ Eine Textauswahl zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />

RFF 26b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> pflegt die Haltung <strong>des</strong> Wohlwollens<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> Dialoges gegenüber den verschiedenen<br />

Kulturen <strong>und</strong> ist aufmerksam für die Zeichen<br />

<strong>der</strong> Zeit, um die Werte <strong>des</strong> Evangeliums treu zu<br />

leben <strong>und</strong> den Menschen von heute treu zu verkünden.<br />

RFF 28b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> gibt sein Lebenszeugnis durch<br />

die brü<strong>der</strong>liche Gemeinschaft, das Leben <strong>der</strong> Kontemplation<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Buße, den Dienst in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft, als<br />

ein Mann <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>, in Freude <strong>und</strong> Einfachheit<br />

<strong>des</strong> Herzens.<br />

RFF 29a.<br />

Wenn es dem Herrn gefällt, verkünden die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

aus-drücklich das Evangelium mit dem<br />

Zeugnis <strong>des</strong> Wortes (vgl. NbReg 16,7), indem sie<br />

vor allem das Geheimnis <strong>des</strong> armen <strong>und</strong> gekreuzigten<br />

Christus verkünden <strong>und</strong> allen Menschen Buße,<br />

Versöhnung <strong>und</strong> Frieden predigen.<br />

RFF 32a.<br />

In <strong>der</strong> Nachfolge Christi, <strong>der</strong> seine Wohnung in <strong>der</strong><br />

Welt aufgeschlagen hat, sind die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong><br />

gerufen, als <strong>Werkzeuge</strong> <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Friedens</strong> ihr Charisma unter allen Menschen zu<br />

leben <strong>und</strong> aufmerksam auf die Zeichen <strong>der</strong> Zeit zu<br />

sein.<br />

RFF 32b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> macht sich die franziskanische<br />

Vision <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>des</strong> Menschen zu eigen, entwickelt<br />

ein ausgewogenes kritisches Urteil bezüglich<br />

den Ereignissen (vgl. GG.CC. 129 § 2; 1 31 § 1)<br />

<strong>und</strong> entdeckt in <strong>der</strong> Welt das Gute, das Gott darin<br />

verwirklicht (vgl. Medellin E 52).<br />

RFF 34a.<br />

Die Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong> bemühen sich, in Treue zum<br />

prophetischen Lebensstil den sie vom hl. Franziskus<br />

empfangen haben, schöpferisch neue Wege zu<br />

entdecken, um die evangelischen Werte zu för<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> zu verbreiten.<br />

RFF 34b.<br />

Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> als Herold <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> trägt<br />

diesen im Herzen <strong>und</strong> bietet ihn den an<strong>der</strong>en an<br />

226<br />

(vgl. GG.CC. 68 § 2) <strong>und</strong> ist bereit, kraftvoll alles<br />

anzuklagen, was <strong>der</strong> Würde <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> den<br />

christlichen Werten wi<strong>der</strong>spricht.<br />

RFF 56.<br />

Unter den wichtigsten Aspekten <strong>des</strong> menschlichen,<br />

christlichen <strong>und</strong> franziskanischen Wachstums<br />

beachtet die Ausbildung:<br />

1a. Aspekte menschlichen Wachstums im Blick auf<br />

die Welt:<br />

Fähigkeit, die „Zeichen <strong>der</strong> Zeit“ zu verstehen;<br />

Solidarität mit den Armen <strong>und</strong> den an den Rand<br />

Gedrängten.<br />

2b. Aspekte <strong>des</strong> christlichen Wachstums im Blick<br />

auf Kirche – Welt:<br />

Sinn für die Gegenwart Gottes in <strong>der</strong> Welt;<br />

Kenntnis <strong>des</strong> katholischen Glaubens;<br />

Liebe zur katholischen Kirche; missionarischer<br />

<strong>und</strong> ökumenischer Geist; Suche nach <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden.<br />

3c. Aspekte <strong>des</strong> franziskanischen Wachstums im<br />

Blick auf Kirche – Welt:<br />

Liebe zur Kirche;<br />

Gehorsam gegenüber den Hirten, <strong>der</strong> von Liebe<br />

getragen ist;<br />

Evangelisierung <strong>und</strong> Mission;<br />

prophetischer Geist;<br />

Option für die Armen;<br />

Einsatz für Versöhnung <strong>und</strong> Vergebung;<br />

Achtung für Natur <strong>und</strong> Umwelt.<br />

RFF 58.<br />

Die ständige Fortbildung geschieht im Kontext<br />

<strong>des</strong> täglichen Lebens <strong>des</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>s, im Gebet<br />

<strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Arbeit, in seinen Beziehungen sowohl<br />

innerhalb als auch außerhalb <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft, <strong>und</strong><br />

in <strong>der</strong> Beziehung zur kulturellen, sozialen <strong>und</strong><br />

politischen Welt, in <strong>der</strong> er sich bewegt.<br />

RFF 79.<br />

Die Bru<strong>der</strong>schaft <strong>des</strong> Ausbildungshauses achtet auf<br />

die Welt <strong>und</strong> ihre Geschichte, auf die bestimmte<br />

soziale Wirklichkeit <strong>und</strong> ist offen ganz beson<strong>der</strong>s<br />

gegenüber den Armen <strong>und</strong> an den Rand Gedrängten,<br />

in Übereinstimmung mit unserer Identität<br />

als Min<strong>der</strong>e.<br />

RFF 155.<br />

Der Bru<strong>der</strong> mit zeitlichen Gelübden glie<strong>der</strong>e sich<br />

ein <strong>und</strong> sei solidarisch mit <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong>


■ Eine Textauswahl zu <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in <strong>der</strong> Ratio Formationis Franciscanae<br />

Welt <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Problematik <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, in welchem<br />

er seine Berufung zu leben gerufen ist.<br />

RFF 156.<br />

In <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> Eignung <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s zur<br />

feierlichen Profeß sind einige <strong>der</strong> Kriterien, die<br />

beachtet werden sollten, folgende:<br />

– affektive Reife<br />

– offenk<strong>und</strong>ige Zeichen einer angemessenen <strong>und</strong><br />

reifen persönlichen Beziehung zu Gott im<br />

Gebet;<br />

– persönliche Initiative <strong>und</strong> Verantwortung <strong>des</strong><br />

eigenen religiösen Lebens;<br />

– Fähigkeit zum Leben <strong>und</strong> zur Arbeit mit <strong>der</strong><br />

Bru<strong>der</strong>schaft;<br />

– Fähigkeit, aktiv zu sein <strong>und</strong> sich auf den Dienst<br />

an den an<strong>der</strong>en, beson<strong>der</strong>s den Ärmeren,<br />

auszurichten<br />

– Sinn für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Achtung<br />

<strong>des</strong> Geschaffenen;<br />

– Geist <strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versöhnung;<br />

– Fähigkeit, eine endgültige Verpflichtung<br />

einzugehen, <strong>und</strong> die evangelischen Räte zu<br />

beobachten;<br />

– Verfügbarkeit, das Heilige Evangelium zu<br />

bezeugen <strong>und</strong> zu verkünden;<br />

– ausreichende innere Freiheit <strong>und</strong> Praxis <strong>der</strong><br />

Armut;<br />

– Sinn für die Zugehörigkeit zur Bru<strong>der</strong>schaft,<br />

zur Provinz, zum Orden <strong>und</strong> zur Kirche.<br />

RFF 162.<br />

Die Allgemeinbildung för<strong>der</strong>t eine persönliche Entwicklung<br />

<strong>und</strong> liefert <strong>Werkzeuge</strong> für das Verständnis<br />

<strong>und</strong> die Analyse, die es gestatten:<br />

– eine kritische Sicht <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Welt zu haben;<br />

– sich selbst zu erkennen, das Wesen <strong>des</strong> Menschen<br />

zu kennen <strong>und</strong> zu verstehen, die Stufen<br />

seiner Entwicklung, seiner Psyche;<br />

– in <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> im kulturellen Umfeld<br />

Kontakt zu haben;<br />

– mit Einzelpersonen <strong>und</strong> Gruppen, die eine<br />

an<strong>der</strong>e Sprache sprechen, in Verbindung zu<br />

sein;<br />

– das nötige Niveau zu besitzen, um zu einer<br />

fachlichen <strong>und</strong> technischen Ausbildung Zugang<br />

zu bekommen;<br />

– wirksam zu sein in <strong>der</strong> Evangelisierungsarbeit,<br />

im Dienst an <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft <strong>und</strong> am Orden,<br />

1. Kor. 14, 19<br />

im Bemühen, die Gesellschaft im Sinne <strong>der</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Achtung<br />

vor <strong>der</strong> Schöpfung umzugestalten.<br />

RFF 180.<br />

Dem Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> liegen, getreu dem Beispiel <strong>und</strong><br />

den Worten <strong>des</strong> hl. Franziskus, beson<strong>der</strong>s die kirchlichen<br />

Dienste <strong>der</strong> Nächstenliebe, <strong>des</strong> Wortes, <strong>der</strong><br />

Eucharistie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versöhnung am Herzen.<br />

a) Im Ausüben <strong>des</strong> kirchlichen Dienstes <strong>der</strong><br />

Nächstenliebe soll <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>:<br />

– Diener <strong>und</strong> Armer nach dem Beispiel Jesu<br />

Christi sein;<br />

– unentgeltlich dienen können;<br />

– teilen <strong>und</strong> solidarisch sein können;<br />

– Sensibilität gegenüber <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

entwickeln, um die Probleme zu sehen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>en Ursachen zu verstehen;<br />

– die Fähigkeit haben, sich ständig den Notwendigkeiten<br />

<strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>des</strong> geschichtlichen<br />

Augenblicks anzupassen;<br />

– Bote <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Versöhnung sein;<br />

227


– sich um die Empfänger <strong>der</strong> christlichen<br />

Nächstenliebe kümmern, damit sie Protagonisten<br />

ihres menschlichen Vorankommens<br />

<strong>und</strong> ihrer Befreiung werden.<br />

228


■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />

Charakteristika <strong>der</strong><br />

franziskanischen Arbeit<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />

Einführung<br />

Es ist leicht, ernsthafte Gesellschafts- <strong>und</strong> Umweltprobleme<br />

auf globaler <strong>und</strong> lokaler Ebene auszumachen.<br />

Die Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte, Abtreibung, Völkermord,<br />

verlassene Kin<strong>der</strong>, Rüstungsindustrie, Drogen<br />

<strong>und</strong> Umweltverschmutzung sind nur einige davon.<br />

Lösungen <strong>und</strong> die Entschlossenheit, diese Probleme zu<br />

benennen, sind jedoch schwer zu finden. Diese Schwierigkeiten<br />

sind verb<strong>und</strong>en mit Stimmen aus verschiedenen<br />

Traditionen, die wi<strong>der</strong>streitende Antworten vorschlagen<br />

o<strong>der</strong> einfor<strong>der</strong>n. Einige Stimmen sind fre<strong>und</strong>lich,<br />

an<strong>der</strong>e gewaltsam. Unsere Antwort muss authentisch<br />

<strong>und</strong> franziskanisch sein.<br />

„Pace e Bene!“ (Frieden <strong>und</strong> alles Gute!) ist ein Gruß,<br />

<strong>der</strong> auf allen Kontinenten von Millionen von franziskanischen<br />

Männern <strong>und</strong> Frauen seit <strong>der</strong> Zeit <strong>des</strong><br />

heiligen Franziskus gebraucht wird , um Bauern,<br />

Herrscher, Heilige <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong> ohne Unterschied<br />

anzuerkennen. Es ist zum inoffiziellen Motto <strong>der</strong><br />

franziskanischen Familie geworden. „Frieden <strong>und</strong> alles<br />

Gute“ drückt intuitiv <strong>und</strong> einfach die franziskanische<br />

Annäherung an das Leben aus. Wir fragen, was unser<br />

Wunsch <strong>und</strong> unsere Arbeit für „Frieden <strong>und</strong> alles<br />

Gute“ heute bedeuten.<br />

Dieses Dokument ist ein Versuch <strong>der</strong> Internationalen<br />

Interfranziskanischen Kommission für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Frieden, eine übereinstimmende Stellungnahme<br />

zu verfassen, die beschreibt, was wir als wichtige<br />

Kennzeichen einer franziskanischen Annäherung an<br />

die Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Ehrfurcht<br />

vor <strong>der</strong> Schöpfung ansehen. Wir haben aus vielen<br />

Diskussionen untereinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en, die<br />

wir bei unserer Arbeit getroffen haben, Ideen gesammelt.<br />

Wir teilen unsere Ideen mit euch in <strong>der</strong> Hoffnung,<br />

dass unser Bemerkungen zum Nachdenken <strong>und</strong><br />

zur weiteren Diskussion anregen werden.<br />

Frieden<br />

Frieden kommt von dem armen Gott, <strong>der</strong> sich<br />

offenbart hat in Jesus Christus.<br />

Die Heiligen von Assisi strahlten einen freudigen<br />

Frieden aus, <strong>der</strong> universal anerkannt worden ist.<br />

Dieser Friede war nicht das Ergebnis ihrer Leistung,<br />

ihrer körperlichen Ges<strong>und</strong>heit o<strong>der</strong> ihrer Sicherheit.<br />

In einer sehr öffentlichen Art <strong>und</strong> Weise haben sie<br />

gewählt, von ihrem behüteten Geburtsort, <strong>der</strong><br />

Kommune von Assisi, wegzuziehen, zu den unsicheren<br />

Behausungen <strong>der</strong> ausgestoßenen Leprösen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Armen, die am Rande ihrer Gesellschaft lebten.<br />

Die Zeitgenossen erkannten den verarmten Lebensstil<br />

<strong>der</strong> Heiligen als prophetischen Kommentar zum<br />

Evangelium <strong>und</strong> als Kritik an ihrer Gesellschaft. Die<br />

indirekte Gesellschaftsanalyse, ausgedrückt in ihrem<br />

Lebensstil, war we<strong>der</strong> motiviert durch humanitäre<br />

Besorgnis allein, noch durch Philosophie, noch<br />

durch Verdammung <strong>des</strong> „status quo“: Vielmehr war<br />

sie beeindruckt durch Gottes Inkarnation. Jesus<br />

Christus, <strong>der</strong> arme <strong>und</strong> gekreuzigte Herr, war <strong>der</strong><br />

Geber <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> für ihren Frieden. Ihre Versuche,<br />

dem evangelischen Leben Jesu Christi wörtlich<br />

in ganzer Einfachheit zu folgen, wurden die Gr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>und</strong> die Regel ihrer Leben. An<strong>der</strong>s als ähnliche<br />

„evangelikale“ o<strong>der</strong> prophetische Gruppen ihrer<br />

Zeit, waren Franziskus <strong>und</strong> Klara beharrlich darin,<br />

die Besiegelung <strong>und</strong> Bestätigung <strong>der</strong> universalen<br />

Kirche für ihre persönlichen Inspirationen <strong>und</strong><br />

Überzeugungen zu sichern. Franziskus’ Kontemplation<br />

<strong>und</strong> Erfahrung gaben Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

Bil<strong>der</strong> von Gott, offenbart in Jesus Christus, <strong>der</strong><br />

gewaltlos, verletzlich <strong>und</strong> arm im Stall von Bethlehem<br />

war; nackt <strong>und</strong> verlassen am Kreuz; <strong>und</strong> Nahrung<br />

in <strong>der</strong> Eucharistie. Gottes vollkommene Sanftmütigkeit,<br />

Demut <strong>und</strong> Armut gaben Franziskus<br />

<strong>und</strong> Klara den leidenschaftlichen Wunsch, „vollkommen<br />

wie unser himmlischer Vater vollkommen<br />

ist“ zu werden.<br />

Armut ist die Lampe, die wir brauchen, um durch<br />

die Pforte <strong>des</strong> Glaubens zu gelangen, um das Mysterium<br />

Gottes zu betreten, in dem wir wahren Frieden<br />

229


■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />

finden (St. Bonaventura). Jahrh<strong>und</strong>ertelange Interpretationen<br />

<strong>der</strong> Armut haben viele Streitigkeiten<br />

<strong>und</strong> Reformen innerhalb <strong>des</strong> Franziskanertums<br />

erzeugt. Die meisten Franziskaner sehen sich selbst<br />

als für die Armen arbeitend, viele arbeiten mit <strong>und</strong><br />

unter den Armen, <strong>und</strong> einige haben sich vollständig<br />

mit den Armen in ihrem Lebensstil <strong>und</strong> ihrer Arbeit<br />

identifiziert. Das Verfolgen <strong>der</strong> „Vollkommenheit“<br />

Gottes führte Franziskus dazu, einzutreten für die<br />

Herrin Armut <strong>und</strong> zum Frieden <strong>der</strong> „vollkommenen<br />

Freude“. Während ihres Lebens bestand Klara<br />

auf <strong>der</strong> absoluten Notwendigkeit <strong>und</strong> dem Privileg<br />

<strong>der</strong> vollkommenen Armut für ihre Gesellschaft <strong>der</strong><br />

Armen Frauen.<br />

Güte<br />

Gott ist nicht nur arm, son<strong>der</strong>n Er ist die Güte selbst,<br />

die sich in <strong>der</strong> Schöpfung wi<strong>der</strong>spiegelt.<br />

Die franziskanische Annäherung an das Leben ist<br />

gekennzeichnet durch eine Erkenntnis <strong>der</strong> Wichtigkeit,<br />

<strong>der</strong> Schönheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Güte <strong>der</strong> Schöpfung,<br />

die von einem guten Gott aus keinem an<strong>der</strong>en<br />

Gr<strong>und</strong> geschaffen wurde als aus Liebe. Wir teilen<br />

diese Erde, ihre Schätze, unsere Leben <strong>und</strong> die<br />

Arbeit mit allen Kreaturen Gottes, die unsere Brü<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Schwestern sind. An<strong>der</strong>s als einige, die<br />

danach strebten, die Natur zu bezwingen <strong>und</strong> zu<br />

beherrschen, erwarteten die beiden großen Heiligen<br />

von Assisi, auf unserer Schwester, <strong>der</strong> Mutter Erde<br />

leicht zu leben, ohne eine Last zu sein we<strong>der</strong> für die<br />

Erde noch für diejenigen, die sie ernährt <strong>und</strong> gekleidet<br />

hatten.<br />

Franziskus’ praktische Theologie <strong>und</strong> Spiritualität<br />

gaben ihm solch eine Gesellschaftsanalyse, dass alle<br />

Personen Verantwortungen <strong>und</strong> gleiche Rechte vor<br />

Gott haben. Das franziskanische Bewusstsein <strong>des</strong><br />

heiligen Wertes <strong>des</strong> Einzelnen blühte auf im Denken<br />

<strong>des</strong> Johannes Duns Scotus. Je<strong>des</strong> Individuum –<br />

ob Pflanze, Stein o<strong>der</strong> Amöbe – ist kostbar. Kein<br />

Geschöpf, kein Teil <strong>der</strong> Schöpfung kann abgetan<br />

werden als unbedeutend. Je<strong>des</strong> Geschöpf muss das<br />

volle Maß seiner eigenen Individualität erlangen,<br />

wenn <strong>der</strong> ganze Ausdruck von Gottes Liebe in <strong>der</strong><br />

Schöpfung verwirklicht werden soll.<br />

230<br />

Eigenschaften<br />

Die franziskanische Bewegung begann mit den<br />

Leben <strong>und</strong> den wertvollen Geschichten von dem<br />

Heiligen Franziskus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Heiligen Klara von<br />

Assisi, die eine ständige Inspiration <strong>und</strong> Richtungsweisung<br />

geben. Jahrh<strong>und</strong>ertelang wurden h<strong>und</strong>erttausende<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen vom Heiligen Geist<br />

geleitet <strong>und</strong> vom einfachen Genie <strong>und</strong> <strong>der</strong> praktischen<br />

theologischen Weisheit von Klara <strong>und</strong> Franziskus.<br />

Generation um Generation haben Brü<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Schwestern die ursprüngliche franziskanische<br />

Inspiration entwickelt <strong>und</strong> populär gemacht. Diese<br />

Entwicklung <strong>des</strong> Geistes von Franziskus <strong>und</strong> Klara<br />

hatte einen tiefen humanisierenden menschlichen<br />

Effekt auf die Christenheit, die westliche Zivilisation<br />

<strong>und</strong> auf an<strong>der</strong>e Kulturen.<br />

Franziskanische Männer <strong>und</strong> Frauen haben eine<br />

Geschichte <strong>des</strong> Antwortens auf praktische Art <strong>und</strong><br />

Weise auf akute soziale Probleme, motiviert durch<br />

Überzeugungen, die von dem Heiligen Franziskus<br />

ererbt worden sind: Seine Überzeugung von <strong>der</strong><br />

absoluten Güte Gottes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schöpfung, <strong>der</strong> Primat<br />

<strong>der</strong> Liebe, die Inkarnation <strong>und</strong> ihre christozentrischen<br />

Auswirkungen. Der frühe Bann <strong>des</strong> Waffentragens<br />

für Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Dritten Ordens half,<br />

dass das feudale System in Europa zusammenbrach.<br />

Franziskaner waren verantwortlich für die Einrichtung<br />

von einigen <strong>der</strong> ersten Apotheken in Europa,<br />

ursprünglich um die Bedürfnisse <strong>der</strong> kranken Pilger,<br />

die nach Assisi strömten zu befriedigen. Um die<br />

Armen, die gelähmt waren von den hohen ungerechten<br />

Zinsen auf Kredite, zu schützen, organisierten<br />

die Brü<strong>der</strong> in Italien den Mons Pietatis, eine<br />

Finanzgesellschaft, die Vorläufer <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Banksystems war. Zahllose franziskanische Männer<br />

<strong>und</strong> Frauen haben ihre Häuser heimatlosen jungen<br />

Leuten geöffnet <strong>und</strong> ihnen so den Schutz <strong>und</strong> die<br />

Bildung gegeben, die ihre Gesellschaft ihnen nicht<br />

gegeben hat. In Län<strong>der</strong>n, wo die Armen sich keine<br />

Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge leisten konnten, haben franziskanische<br />

Frauen <strong>und</strong> Männer auf praktische Weise<br />

durch die Einrichtung von Krankenhäusern <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitssystemen geantwortet.<br />

Franziskus war besessen von einer großen Mission.<br />

Er war <strong>der</strong> Herold Gottes <strong>und</strong> Gottes Botschaft<br />

vom Frieden. Die Botschaft von Gottes Liebe<br />

brannte so stark in Franziskus, dass sie nicht festgehalten<br />

werden konnte. Wie die Herolde in jener<br />

Zeit, die ihren Herren vorausgingen, um ihre


■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />

Ankunft anzukündigen, reiste Franziskus von Dorf<br />

zu Dorf, um die Güte <strong>und</strong> den Frieden Gottes zu<br />

verkündigen. Nach Franziskus ist das Evangelium<br />

zuerst zu verkündigen durch unsere Zeugenschaft<br />

für das evangelische Leben, nicht nur durch Worte.<br />

Wenn es angemessen ist <strong>und</strong> wir vom Geist Gottes<br />

veranlasst sind, ergreifen wir die Gelegenheit, an<strong>der</strong>en<br />

die Gründe unseres Glaubens zu erklären, niemals<br />

jedoch streitsüchtig werdend. Für Franziskus<br />

ist die höchste vollkommene Form <strong>der</strong> Evangelisierung<br />

das Martyrium, wo wir vereint werden mit<br />

Jesus, dem vollkommenen Evangelisten, indem wir<br />

unsere Leben vollständig für die evangelische Botschaft<br />

von Gottes Liebe hingeben.<br />

In solchen Schriften wie dem Sonnengesang <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Regel für Einsiedeleien <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Beziehung<br />

zwischen den Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>n, den Armen Frauen<br />

<strong>und</strong> den Büßern sehen wir, dass von Anfang an in<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Bewegung weibliche <strong>und</strong><br />

männliche Energien <strong>und</strong> Talente vereint waren.<br />

Geschichtlich <strong>und</strong> theoretisch bedeutet franziskanisches<br />

Leben gegenseitigen Respekt, Mitwirkung<br />

<strong>und</strong> Zusammenarbeit von Männern <strong>und</strong> Frauen.<br />

Franziskus’ großer König war <strong>der</strong>selbe <strong>und</strong> doch<br />

sehr an<strong>der</strong>e Gott <strong>der</strong> Christen seiner Zeit. Als die<br />

Kirche einen Heiligen Kreuzzug gegen ihre Feinde,<br />

die Sarazenen, führte, waren Franziskus’ Interpretation<br />

<strong>des</strong> evangelischen Lebens <strong>und</strong> seiner For<strong>der</strong>ungen<br />

revolutionär. Er war gewaltlos, kreativ <strong>und</strong> aktiv<br />

in seiner Annäherung an den Konflikt. Er war nicht<br />

passiv. Er ergriff die Initiative als ein Schlichter <strong>und</strong><br />

suchte die gegnerischen Seiten zum Dialog auf, um<br />

Versöhnung zu erreichen. Franziskus war schnell im<br />

Dialog mit dem wohlhabenden Sultan, <strong>der</strong> als<br />

Feind <strong>der</strong> Christen angesehen wurde <strong>und</strong> mit dem<br />

Wolf, <strong>der</strong> von den Leuten von Gubbio gefürchtet<br />

wurde. Die Brü<strong>der</strong> waren Instrumente darin, den<br />

Bischof <strong>und</strong> den Bürgermeister von Assisi zusammenzubringen,<br />

nicht indem sie sie mit öffentlichem<br />

Ausschimpfen beschämten, son<strong>der</strong>n durch das<br />

Vorsingen <strong>des</strong> Sonnengesangs.<br />

In einer Periode <strong>der</strong> tiefen Entmutigung schrieb<br />

Franziskus den Sonnengesang. Zu dieser Zeit fuhr<br />

er fort, die Erfahrung <strong>der</strong> vollkommenen Freude zu<br />

erleben, obwohl er krank war <strong>und</strong> an den körperlichen<br />

W<strong>und</strong>malen Jesu <strong>und</strong> <strong>der</strong> Entmutigung <strong>der</strong><br />

Enttäuschung von seinen Brü<strong>der</strong>n litt. Seine Freude<br />

im Schmerz war nicht masochistisch, son<strong>der</strong>n sie<br />

war eine ehrliche Anerkennung seiner Schmerzen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Ungerechtigkeit, begleitet von <strong>der</strong> überra-<br />

schenden Freude, getragen worden zu sein in dieser<br />

Ungerechtigkeit. Es muss eine Gnade o<strong>der</strong> irgendjemanden,<br />

<strong>der</strong> ihn in seinem Leiden unterstützt hat,<br />

gegeben haben. Franziskus’ Freude kam mit <strong>der</strong><br />

Erkenntnis, dass Gottes Geist ihn in den sehr<br />

schmerzvollen Situationen getragen hatte. Der Heilige<br />

Geist, <strong>der</strong> „Generalminister“, half Franziskus,<br />

zu verstehen, eher, als verstanden zu werden, zu<br />

trösten, eher, als getröstet zu werden, <strong>und</strong> zu lieben,<br />

eher, als geliebt zu werden. Franziskanische Freude<br />

ist nicht eine naive Verneinung <strong>des</strong> menschlichen<br />

Leidens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Probleme. Sie ist eine Überzeugung,<br />

dass trotz alles Schlechten im Leben, Gottes<br />

Geist immer in uns, in den an<strong>der</strong>n <strong>und</strong> in <strong>der</strong><br />

Schöpfung ist. Freude bewahrte Franziskus davor,<br />

bitter zu werden in <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> Leidens <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Enttäuschung.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Der Heilige Franziskus <strong>und</strong> die Heilige Klara hatten<br />

Wege, schrittweise Gewalt durch Liebe zu verän-<br />

231


■ Charakteristika <strong>der</strong> Franziskanischen Arbeit für <strong>Gerechtigkeit</strong>, Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung (1993)<br />

<strong>der</strong>n <strong>und</strong> aufzunehmen. Mit offenen Augen <strong>und</strong> liebevollem<br />

Respekt für alle Klassen von Menschen<br />

wählten sie, arm unter den Armen zu sein. Statt bei<br />

dem Negativen <strong>und</strong> Bösen in ihren Gesellschaften<br />

zu verweilen, wählten sie prophetische Wege, das<br />

Positive mit konstruktiven Aktionen zu betonen.<br />

Franziskaner haben bewusste <strong>und</strong> unbewusste Traditionen<br />

<strong>des</strong> Lesens <strong>der</strong> Zeichen <strong>der</strong> Zeit, die sich<br />

offenbaren in den Bedürfnissen <strong>der</strong> Armen. Antworten<br />

auf diese Bedürfnisse waren praktische, oftmals<br />

kleine Schritte, die geholfen haben, das unterdrückerische<br />

kulturelle System aufzulösen.<br />

Heute ist unsere kollektive <strong>und</strong> persönliche Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

diese traditionellen franziskanischen<br />

Charismen gemäß den beson<strong>der</strong>en Umständen <strong>und</strong><br />

Kulturen zu entwickeln. Indem wir die Gründe von<br />

<strong>der</strong> Wurzel <strong>und</strong> nicht nur die Symptome <strong>der</strong> Probleme<br />

aufzeigen, müssen wir sorgfältig arbeiten, uns<br />

konstruktive praktische Lösungen auszudenken.<br />

Mit entschlossener Ausbildung <strong>und</strong> Übung müssen<br />

wir den Vorteil <strong>der</strong> neuen Instrumente, die uns zur<br />

Verfügung stehen, um in unseren Gesellschaften<br />

„Frieden <strong>und</strong> alles Gute“ voranzubringen, nutzen.<br />

Wir hoffen, dass unsere franziskanischen Ausbildungsprogramme<br />

in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>ausbildung <strong>und</strong><br />

232<br />

in <strong>der</strong> ständigen Fortbildung sowohl biblische,<br />

religiöse <strong>und</strong> moralische Reflexionen auf <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung beinhalten<br />

werden, als auch Vertrautheit mit sozialen,<br />

psychologischen <strong>und</strong> politischen Wissenschaften<br />

anbieten. Wir drängen auf eine mehr öffentliche<br />

<strong>und</strong> kollektive Zeugenschaft unserer Arbeit <strong>und</strong><br />

Anwaltschaft für das <strong>Friedens</strong>stiften, Einsatz für die<br />

Armen <strong>und</strong> Sorge für die Schöpfung.<br />

Gemeinsam mit allen Menschen guten Willens teilen<br />

wir eine wichtige Pflicht <strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

auf die Probleme unseres Planeten <strong>und</strong> seiner<br />

Gesellschaften zu antworten. Ausgehend von unserer<br />

Tradition, unserer Zahl, unserer Bildung <strong>und</strong><br />

unseres moralischen Einflusses in verschiedenen<br />

Gesellschaften, hat nicht die internationale<br />

Gemeinschaft das Recht, von <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie, einen beträchtlichen positiven Effekt auf<br />

die Probleme <strong>der</strong> Welt zu erwarten? „Von denen,<br />

denen viel gegeben worden ist, wird viel erwartet<br />

werden.“<br />

Die Internationale Interfranziskanische Kommission<br />

für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden, 1993


■ Adressen<br />

Adressen<br />

(Stand 1999)<br />

Konferenz <strong>der</strong> Franziskanischen Familie<br />

(CFF)<br />

Generalminister <strong>OFM</strong><br />

Via Santa Maria Mediatrice 25<br />

I-00165 Roma, Italia<br />

Tel: (+39.06) 68 49 19 Curia<br />

Fax: (+39.06) 63 80 292 Curia<br />

E-mail: mingen@ofm.org<br />

Web: http://www.ofm.org/<br />

Generalminister <strong>OFM</strong> Conv.<br />

Piazza SS. Apostoli 51<br />

I-00186 Roma, Italia<br />

Tel: (+39.06) 699 571<br />

Fax: (+39.06) 699 57 321<br />

E-mail: jzambanini@ofmconv.org<br />

Web: http://www.ofmconv.org/<br />

Generalminister <strong>OFM</strong> Cap.<br />

Via Piemonte 70<br />

I-00187 Roma, Italia<br />

Tel: (+39.06) 4620 121<br />

Fax: (+39.06) 4620 1210<br />

E-mail: curiagen08@ofmcap.org<br />

Web: http://www.ofmcap.org/<br />

Generalminister TOR<br />

Via dei Fori Imperiali I<br />

I-00186 Roma, Italia<br />

Tel: (+39.06) 699 15 40<br />

Fax: (+39.06) 678 49 70<br />

Web: http://home.penn.com/franciscanstor/<br />

Präsident CFI-TOR<br />

Piazza del Risorgimento 14, Int. A-1<br />

I-00192 Roma, Italia<br />

Tel: (+39.06) 39 72 35 21<br />

Fax: (+39.06) 39 72 35 21<br />

E-mail: isctorsg@tin.it<br />

Generalminister OFS<br />

Via Pomponia Grecina 31<br />

I-00145 Roma, Italia<br />

Tel: (+39.06) 512 39 64<br />

E-mail: ciofs@ofs.it<br />

Web: http://www.ofs.it/<br />

Büro für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden <strong>OFM</strong><br />

Ufficio Giustizia e Pace, Curia Generalizia<br />

Via S. Maria Mediatrice 25<br />

I-00165 Roma, Italia<br />

Tel.: (+39.06) 6849 1218<br />

Fax: (+39.06) 6849 1266<br />

E-mail: pax@ofm.org<br />

Web: http://www.ofm.org/<br />

Fraternitas<br />

Curia Generaliza dei Frati Minori<br />

Via S. Maria Mediatrice 25<br />

I- 00165 Roma, Italia<br />

Tel: (+39.06) 68 49 19 Curia<br />

Fax: (+39.06) 63 80 292 Curia<br />

E-mail: comgen@ofm.org<br />

Web: http://www.ofm.org/<br />

233


■ Adressen<br />

Römische Organisationen<br />

Päpstlicher Rat für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

Pontificio Consiglio Giustitia e Pace<br />

Palazzo San Callisto<br />

I-00120 Citta del Vaticano<br />

Tel: (+39.06) 69 88 71 91<br />

Fax: (+39.06) 69 88 72 05<br />

E-mail: pcjust@justpeace.va<br />

Web: http://www.vatican.va/<br />

Kommission GFBS<br />

<strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Ordensoberen<br />

JPIC Commission<br />

of the Union of Superiors General<br />

Via Aurelia 476<br />

I-00100 Roma, Italia<br />

Tel/Fax: (+39.06) 662 29 29<br />

234<br />

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)<br />

Franciscans International<br />

211 East 43 rd St. Room 1100<br />

New York, NY 10017-4707, USA<br />

Tel: (+1.212) 490 4624<br />

Fax: (+1.212) 857 4977<br />

E-mail: franintl@<strong>und</strong>p.org<br />

Web: http://www.franintl.org/<br />

Franciscans International and Dominicans<br />

P.O. Box 97<br />

CH-1211 Geneva 25, Schweiz<br />

Tel: (+41.22) 839 20 91<br />

Fax: (+41.22) 839 21 29<br />

E-mail: geneve@compuserve.com<br />

Web: http://www.fiop.org/<br />

Pax Christi International<br />

Oude Graanmarket 21<br />

B-1000 Bruxelles, Belgien<br />

Tel: (+32.2) 502 55 50<br />

Fax: (+32.2) 502 46 26<br />

E-mail: office@pci.ngonet.be<br />

Web: http://www.pci.ngonet.be/<br />

Amnesty International<br />

1 Easton Street<br />

London WC1X 8DJ, United Kingdom<br />

Tel: (+44.1-71) 413 55 00<br />

Fax: (+44.1-71) 956 11 57<br />

E-mail: amnestyis@amnesty.org<br />

Web: http://www.amnesty.org/<br />

Internationales Komittee <strong>des</strong> Roten Kreuzes<br />

International Committee of the Red Cross<br />

19, Avenue de la Paix<br />

CH-1202 Geneva, Schweiz<br />

Tel: (+41.22) 734 60 01<br />

Fax: (+41.22) 733 20 57<br />

E-mail: webmaster.gva@icrc.org<br />

Web: http://www.icrc.org/


■ Adressen<br />

Büro <strong>des</strong> Zusammenschlusses<br />

europäischer Hilfswerke «Acuerdo de Londres»<br />

für Menschenrechte in Kolumbien<br />

Oficina Internacional<br />

de Derechos Humanos-Accion Colombia<br />

OIDH-ACO<br />

Vlasfabriekstraat 11<br />

B-1060 Brussel, Belgien<br />

Tel: (+32.2) 536 19 13<br />

Fax: (+32.2) 536 19 43<br />

Catholic Institute of International Relations (CIIR)<br />

Unit 3 Canonbury Yard<br />

190a New North Road, Islington<br />

London N1 7BJ, United Kingdom<br />

Tel: (+44.1) 71 354 08 83<br />

Fax: (+44.1) 71 359 00 17<br />

Email: ciirlon@gn.apc.org<br />

International Alert<br />

1 Glyn Street<br />

London SE 115 HT, United Kingdom<br />

Tel: (+44.1) 71 793 83 83<br />

Fax: (+44.1) 71 793 79 75<br />

Email: intlalert@gn.apc.org<br />

Peace Briga<strong>des</strong> International<br />

Archway Resource Centre<br />

1 b Waterloo Road<br />

London N19 5NJ, United Kingdom<br />

Tel: (+44.1) 71 272 44 48<br />

Fax: (+44.1) 71 272 92 43<br />

(attention of PBI-Colombia)<br />

Email: pbicolombia@gn.apc.org<br />

Web: http://www.igc.apc.org/pbi/index.html<br />

OMCT/SOS Torture<br />

Rue de Vermont 37-39<br />

CH-1211 Genève 20, Schweiz<br />

Tel: (+41 22) 733 31 40<br />

Fax: (+41 22) 733 10 51<br />

ICMC<br />

(International Catholic Commission for Migration)<br />

37-37, rue de Vermont<br />

CH-1202 Genève, Schweiz<br />

(P.O. Box 96, 1211 Genève 20, Schweiz)<br />

Tel: (+41 22) 919 10 20<br />

Fax: (+41 22) 919 10 48<br />

E-mail: secretariat@icmc.dpn.ch<br />

APT (Association for the prevention of torture)<br />

P.O. Box 2267<br />

CH-1211 Geneva 2, Schweiz<br />

Tel: (+41.22) 734 20 88<br />

Fax: (+41.22) 734 56 49<br />

E-mail: apt@apt.ch<br />

Washington Office on Latin America<br />

1630 Connecticut Avenue<br />

Washington D.C. 20009, USA<br />

Tel: (+1.202) 797 21 71<br />

Fax: (+1.202 797 21 72<br />

E-mail: wtate@wola.org<br />

Maryknoll Office for Global Concerns<br />

Peace, Social Justice an Integrity of Creation<br />

P.O. Box 29132<br />

Washington D.C. 20017, USA<br />

Tel: (+1.202) 832 17 80<br />

Fax: (+1.202) 832 51 95<br />

E-mail: mknolldc@igc.apc.org<br />

Web: www.maryknoll.org<br />

Centro de Derechos Humanos<br />

Serapio Rendon 57-B<br />

Col. San Rafael<br />

06740 Mexico, D.F, Mexico<br />

Tel: (+52.5) 66 78 54 or 46 82 17<br />

Fax: (+52.5) 35 68 92<br />

E-mail: prodh@laneta.apc.org<br />

235


■ Adressen<br />

Organisationen <strong>der</strong> UNO<br />

His Excellency<br />

Secretary General of the United Nations<br />

United Nations Headquarters<br />

New York, NY 10017, USA<br />

Web: http://www.un.org/<br />

Managing Director<br />

International Monetary F<strong>und</strong>, IMF (FMI)<br />

700 19 th Street, N.W.<br />

Washington D.C. 20431, USA<br />

Tel: (+1.202) 623 70 00<br />

Fax: (+1.202) 623 46 61<br />

E-mail: publicaffairs@imf.org<br />

Web: http://www.imf.org/<br />

President World Bank<br />

1818 H. Street, N.W.<br />

Washington D.C. 20433, USA<br />

Tel: (+1.202) 473 06 93<br />

Fax: (+1.202) 522 33 13 or 522 32 28<br />

Web: http://www.worldbank.org<br />

Office of the High Commissioner<br />

for Human Rights<br />

Palais Wilson<br />

12, rue <strong>des</strong> Pâquis<br />

CH-1201 Geneva, Schweiz<br />

Tel: (+41.22) 917 12 34<br />

Fax: (+41.22) 917 90 12<br />

Web: http://www.unhchr.ch/<br />

236<br />

ILO (International Labor Office)<br />

Route <strong>des</strong> Morillons 14<br />

CH-1202 Geneva, Schweiz<br />

Tel: (+41.22) 799 61 11<br />

Web: http://www.ilo.org/<br />

WTO (World Trade Organization)<br />

Rue de Lausanne154<br />

CH-1202 Geneva, Schweiz<br />

Tel: (+41.22) 739 51 11<br />

Fax: (+41.22) 731 42 06<br />

Web: http://www.wto.org/<br />

UNHCR<br />

(United Nations High Commissioner for Refugees)<br />

Rue de Montbrillant 94<br />

CH-1202 Geneva, Schweiz<br />

Tel: (+41.22) 739.81.11<br />

E-mail: hqpi00@unhcr.ch<br />

Web: http://www.unhcr.ch


■ Adressen<br />

Regierungen<br />

US Secretary of the Treasury<br />

1500 Pennsylvania Ave, N.W.<br />

Washington D.C. 20220, USA<br />

Tel: (+1.202) 622 20 00<br />

Fax: (+1.202) 622 64 15<br />

E-mail: OPCMAIL@treas-sprint.com<br />

President<br />

The White House<br />

Washington D.C. 20500, USA<br />

Tel: (+1.202) 456 14 14<br />

Fax: (+1.202) 456 24 61<br />

E-mail: president@whitehouse.gov<br />

Web: http://www.whitehouse.gov/<br />

US Secretary of State<br />

2201 C. Street, N.W.<br />

Washington D.C. 20520, USA<br />

Web: http://www.state.gov/<br />

Prime Minister<br />

10 Downing Street<br />

London SW1A 2AA, United Kingdom<br />

Tel: (+44.171) 270 30 00<br />

Web: http://www.number-10.gov.uk/index.html<br />

Bun<strong>des</strong>kanzler<br />

Bun<strong>des</strong>kanzleramt<br />

Willy-Brandt-Strasse 1<br />

D-10557 Berlin (Deutschland)<br />

Tel: (49.1888) 400-0<br />

(49.30) 4000-0<br />

Fax: (+49.30) 400 2357<br />

Web http://www.bun<strong>des</strong>kanzler.de<br />

Präsident <strong>der</strong> Europäischen Kommission<br />

200 Rue de la Loi<br />

B-1049 Bruxelles, Belgien<br />

Tel: (+32.2) 299 11 11<br />

Tel: (+29) 53914 / 62288<br />

Fax: (+29) 605 54<br />

E-mail: echo@echo.cec.be<br />

Präsident von Russland<br />

Kreml<br />

Moskau, Russland<br />

Tel: (+7.95) 925 35 81<br />

Fax: (+7.95) 206 85 10<br />

Web: http://www.gov.ru/<br />

Prime Minister<br />

House of Commons 111 Wellington St<br />

Ottawa, Ontario K1A 0A2, Canada<br />

Tel: (+1.613) 992 42 11<br />

Web: http://www.canada.gc.ca/<br />

President de la Republique<br />

Palais de l’Elysée<br />

55, rue du Faubourg Saint-Honoré<br />

F-75008-Paris, France<br />

Web: http://www.elysee.fr/<br />

Premier Ministre<br />

Office du Premier Ministre<br />

57, rue de Varennes<br />

F-75700 Paris, France<br />

Web: http://www.premier-ministre.gouv.fr/<br />

Primo Ministro<br />

Palazzo Chigi<br />

Piazza Colonna<br />

I-00187 Roma, Italia<br />

Web: http://www.palazzochigi.it/<br />

Prime Minister Office<br />

1-6-1 Nagata-cho<br />

Chiyoda-ku<br />

Tokyo 100, Japan<br />

E-mail: jpm@kantei.ga.jp<br />

Web: http://www.sorifu.go.jp/english/index.html<br />

237


Hilfswerke<br />

Misereor (Bischöfliches Hilfswerk)<br />

Mozartstrasse 9<br />

D-52064 Aachen, Deutschland<br />

Tel: (+49.241) 442 178 or 442 223<br />

Fax: (+49.241) 442 188<br />

Web: http://www.misereor.de/<br />

Trocaire<br />

(Irish f<strong>und</strong>ing agency for Caritas Latin America)<br />

Departemento de Proyectos<br />

169 Booterstown Avenue<br />

Blackrock, Co. Dublin, Ireland<br />

Tel: (+353.1) 288 53 85<br />

Fax: (+353.1) 283 6022<br />

Email: patty@trocaire.ie<br />

CAFOD<br />

Romero Close<br />

Stockwell Road<br />

London SW9 9TY, United Kingdom<br />

Tel: (+44.1) 71 733 79 00<br />

Fax: (+44.1) 71 274 96 30<br />

Email: hqcafod@cafod.org.uk<br />

Web: http://www.cafod.org.uk/<br />

Oxfam House<br />

274 Banbury Road<br />

Oxford, OX2 7DZ, United Kingdom<br />

Tel: (+44.1865) 311 311<br />

Email: oxfam@oxfam.org.uk<br />

Web: http://www.oxfam.org.uk/<br />

USCC<br />

(United States Catholic Conference [Bishops])<br />

Department of Social Development<br />

and World Peace<br />

3211 4 th Street NE<br />

Washington DC 20017-1194, USA<br />

Tel: (+1.202) 541 31 53<br />

Fax: (+1.202) 541 33 39<br />

E-mail: sdwpmail@nccbuscc.org<br />

Web: http://www.nccbuscc.org/<br />

238<br />

USCC<br />

(United States Catholic Conference Bishops)<br />

Migration and Refugees Services<br />

3211 4 th Street NE<br />

Washington DC 20017-1194, USA<br />

Tel: (+1.202) 541 32 60<br />

Fax: (+1.202) 541 33 99<br />

E-mail: mrs@nccbuscc.org<br />

Web: http://www.nccbuscc.org/<br />

JRS (Jesuit Refugee Service)<br />

Borgho Santo Spirito 4<br />

I-00193 Roma<br />

PO Box 61.39 0095 Roma Prati, Italia<br />

Tel: (+39.06) 689 77 388<br />

Fax: (+39.06) 940 22 60<br />

E-mail: jrs.rome@agora.stm.it<br />

Web: http://www.jesuit.org/refugee/<br />

Caritas Internationalis<br />

Piazza San Calisto, 16<br />

I-00120 Vatican City<br />

Tel: (+39.06) 69 88 71 97<br />

Fax: (+39.06) 69 88 72 37<br />

E-mail: ci.comm@caritas.va<br />

Web: http://www.caritas.net/<br />

OneWorld – Zusammenschluss von über 350<br />

weltweiten Organisationen, die für <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

arbeiten. OneWorld widmet sich <strong>der</strong> Menschenrechtsarbeit<br />

<strong>und</strong> zukunftsfähiger Entwicklung,<br />

indem es die Möglichkeiten <strong>des</strong> Internet nutzt.<br />

http://www.oneworld.org/


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Gebete<br />

aus verschiedenen<br />

Glaubenstraditionen<br />

Welttag <strong>des</strong> Gebets um Frieden,<br />

Assisi, Oktober 1986<br />

Die Gebete <strong>der</strong> Weltreligionen<br />

<strong>Friedens</strong>gebet <strong>der</strong> Buddhisten<br />

Aus dem Zueignungskapitel <strong>der</strong> „Lebensregel für<br />

den Bodhisattva“ <strong>des</strong> buddhistischen Heiligen <strong>und</strong><br />

Gelehrten Shantideva aus dem 8. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Kraft dieses Versuches,<br />

den Weg zur Erleuchtung einzuschlagen,<br />

möge alles, was da lebt, dazu kommen,<br />

diesen Wandel zu vollziehen.<br />

Mögen alle Wesen, wo auch immer,<br />

die an Leib <strong>und</strong> Seele von Leid geplagt sind,<br />

kraft meiner Verdienste<br />

ein Meer von Glückseligkeit erlangen.<br />

Möge ihr Glück (in dieser Welt),<br />

solange sie im Kreislauf <strong>des</strong> Daseins bleiben,<br />

nie abnehmen,<br />

<strong>und</strong> mögen sie alle ohne Unterlass<br />

von den Bodhisattvas<br />

Wogen <strong>der</strong> Freude empfangen.<br />

Möge Wärme finden,<br />

wer vor Kälte vergeht,<br />

<strong>und</strong> mögen die, die vor Hitze schmachten,<br />

sich kühlen in den nie versiegenden Wassern,<br />

die sich aus den großen Wolken (<strong>der</strong> Verdienste)<br />

<strong>des</strong> Bodhisattva ergießen.<br />

Mögen alle Tiere frei sein von <strong>der</strong> Furcht,<br />

voneinan<strong>der</strong> gefressen zu werden;<br />

mögen die hungrigen Geister so glücklich sein<br />

wie die Menschen auf dem Kontinent <strong>des</strong> Nordens.<br />

Mögen die Blinden Gestalten erblicken,<br />

die Tauben Laute hören,<br />

<strong>und</strong> mögen die Schwangeren, ganz wie Mayadevi<br />

(Buddhas Mutter), schmerzlos gebären.<br />

Mögen die Nackten Kleidung finden<br />

<strong>und</strong> Brot die Hungrigen;<br />

mögen die Verlassenen wie<strong>der</strong> Hoffnung schöpfen,<br />

Glück <strong>und</strong> Wohlergehen ohne Ende.<br />

Mögen alle, die sich krank <strong>und</strong> elend fühlen,<br />

schnell von ihren Leiden erlöst werden,<br />

<strong>und</strong> möge keine Krankheit mehr auftreten<br />

in <strong>der</strong> Welt.<br />

Möge, wer vor Schrecken zittert,<br />

seine Furcht vergessen,<br />

<strong>und</strong> wer in Banden liegt, sich frei erheben;<br />

mögen die Ohnmächtigen erstarken<br />

<strong>und</strong> die Menschen darauf sinnen,<br />

einan<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong> zu werden.<br />

Mögen alle Reisenden ihr Glück machen<br />

auf all ihren Wegen<br />

<strong>und</strong> mühelos erreichen,<br />

wozu sie ausgezogen sind.<br />

Mögen alle, die zu Schiff<br />

o<strong>der</strong> mit dem Boot unterwegs sind,<br />

zum Ziel ihrer Wünsche gelangen<br />

<strong>und</strong> nach glücklicher Heimkehr<br />

ein frohes Wie<strong>der</strong>sehen mit den Ihren feiern.<br />

Mögen fehlgegangene Wan<strong>der</strong>er in ihrer Not<br />

Weggefährten finden<br />

<strong>und</strong> ohne Bangen vor Räubern <strong>und</strong> Tigern<br />

leichten Fußes dahinziehen.<br />

Mögen alle, die sich ohne Weg <strong>und</strong> Steg<br />

den Schrecken <strong>der</strong> Wildnis ausgesetzt sehen,<br />

Kin<strong>der</strong>, Greise <strong>und</strong> Schutzbedürftige,<br />

Berauschte <strong>und</strong> Wahnsinnige<br />

den gütigen Schutz <strong>der</strong> Himmelsgeister finden.<br />

239


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Mögen Schwangere schmerzlos gebären<br />

ganz wie <strong>des</strong> Weltalls Schatzhaus<br />

<strong>und</strong> ohne Streit <strong>und</strong> Schaden<br />

(die sich daraus ergeben können)<br />

daran ihre Freude haben, ganz nach Wunsch.<br />

Mögen alle Geschöpfe, die in einem Leibe weilen,<br />

unaufhörlich den Klang <strong>des</strong> Dharma hören,<br />

<strong>der</strong> Vögeln <strong>und</strong> Bäumen entströmt,<br />

Strahlen <strong>des</strong> Lichts <strong>und</strong> sogar das All.<br />

Mögen die Himmlischen<br />

Regen bringen zur rechten Zeit,<br />

damit die Ernten gesegnet sind.<br />

Mögen Könige nach dem Dharma handeln<br />

<strong>und</strong> die Völker <strong>der</strong> Erde immer blühen.<br />

Möge kein Lebewesen jemals leiden,<br />

Böses tun o<strong>der</strong> erkranken:<br />

möge niemand in Furcht geraten<br />

o<strong>der</strong> herablassend behandelt werden<br />

o<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>geschlagenen Herzens sein.<br />

Mögen die Wesen, die da sind,<br />

vor dem Elend <strong>der</strong> Unterwelt verschont bleiben<br />

<strong>und</strong> niemals Mühsal kosten;<br />

mögen sie in einer Gestalt,<br />

die <strong>der</strong> <strong>der</strong> Götter überlegen ist,<br />

schnell zum Buddha-Sein gelangen.<br />

Solange das Weltall Bestand hat<br />

<strong>und</strong> solange es noch Lebewesen gibt,<br />

so lange darf auch ich es auf mich nehmen,<br />

das Elend <strong>der</strong> Welt abzuwenden.<br />

Möge alles, was die Lebewesen schmerzt,<br />

(nur) auf mir sich voll entfalten,<br />

<strong>und</strong> möge alles, was da lebt,<br />

durch Bodhisattva Sanghas Macht<br />

Glückseligkeit verspüren.<br />

240<br />

<strong>Friedens</strong>gebet <strong>der</strong> Hindus<br />

I. Gebete aus den Upanischaden<br />

Möge Gott uns schützen, möge er uns ernähren.<br />

Mögen wir tatkräftig zusammenarbeiten.<br />

Möge unser Trachten zum Erfolg führen.<br />

Mögen wir einan<strong>der</strong> lieben <strong>und</strong> in Frieden leben.<br />

Friede, Friede, Friede mit allen.<br />

Seid einig; sprecht im Einklang; lasst uns zur gleichen<br />

Auffassung gelangen. Unsere Versammlung<br />

soll einmütig enden. Unsere Entschließung soll<br />

einmütig sein; unsere Beratungen sollen einträchtig<br />

sein. All unseren Mitgeschöpfen wollen wir mit<br />

<strong>der</strong>selben Einstellung begegnen. Unsere Herzen<br />

sollen eins sein. Vollkommen sei unsere<br />

Einmütigkeit für den Frieden.<br />

Friede, Friede, Friede mit allen.<br />

Mögen wir mit unseren Ohren hören,<br />

was Glück verheißt.<br />

Mögen wir mit unseren Augen sehen,<br />

was Glück verheißt.<br />

Mögen wir die Ehre Gottes singen <strong>und</strong> ein langes<br />

Leben in Ges<strong>und</strong>heit führen.<br />

Friede, Friede, Friede mit allen.<br />

O Gott,<br />

führe uns vom Unwirklichen zum Wirklichen.<br />

O Gott, führe uns aus <strong>der</strong> Finsternis zum Licht.<br />

O Gott, führe uns vom Tod zur Unsterblichkeit.<br />

Friede, Friede, Friede mit allen.<br />

II. Gebet um Frieden<br />

Friede soll herrschen im Himmel; Friede am<br />

Himmelszelt <strong>und</strong> auf Erden; Friede in den<br />

Wassern; Friede in den Kräutern <strong>und</strong> Pflanzen;<br />

Friede auf allen Göttern; Friede mit allen Wesen.


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

III. Antwortruf <strong>der</strong> Versammlung<br />

Friede, Friede, Friede mit allen.<br />

IV. Bekenntnis zum Frieden<br />

Wir bekennen uns dazu, in gemeinsamem<br />

Bemühen mit allen Religionen auf <strong>der</strong> Welt eine<br />

Ordnung <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> aufzurichten.<br />

Wir, die Vertreter <strong>der</strong> hier versammelten Religionsgemeinschaften,<br />

beten zu Gott um gegenseitige<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> unter den Menschen durch unser<br />

aller Einsatz <strong>und</strong> beten auch um Liebe <strong>und</strong> Frieden<br />

unter den Völkern.<br />

Vedische Hymnen<br />

Möge <strong>der</strong> allmächtige Gott, <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong> aller, für<br />

unseren Frieden sein. Möge <strong>der</strong> göttliche Richter<br />

unser <strong>Friedens</strong>bringer sein. Möge <strong>der</strong> höchste Lenker<br />

<strong>des</strong> Alls uns Frieden gewähren. Möge <strong>der</strong> Herr<br />

aller Macht <strong>und</strong> Fülle, <strong>der</strong> alles, was groß ist,<br />

besitzt, für unseren Frieden sein. Möge <strong>der</strong> allgegenwärtige<br />

Gott in seiner unergründlichen Macht<br />

uns den Frieden schenken.<br />

O Herr, allmächtiger Gott, lass Frieden herrschen in<br />

den himmlischen Sphären. Lass Frieden herrschen<br />

auf Erden. Lass die Wasser Ruhe bringen. Lass die<br />

Kräuter heilsam sein <strong>und</strong> Bäume <strong>und</strong> Pflanzen allen<br />

zum Frieden gereichen. Mögen alle nützlichen<br />

Wesen uns Frieden bringen. Möge dein vedisches<br />

Gesetz überall in <strong>der</strong> Welt Frieden stiften. Mögen<br />

alle Dinge für uns ein Quell <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> sein, <strong>und</strong><br />

lass deinen eigenen Frieden alle mit Frieden erfüllen,<br />

<strong>und</strong> möge dieser Friede auch zu mir gelangen.<br />

Islamisches <strong>Friedens</strong>gebet<br />

Das islamische Gebet ist ganz dem Koran, dem<br />

heiligen Buch <strong>des</strong> Islam, entnommen. Es beginnt<br />

mit <strong>der</strong> Fatiha, <strong>der</strong> Eröffnungssure <strong>des</strong> Koran,<br />

die alle anwesenden Muslime arabisch vorgetragen<br />

haben. Den zweiten Teil bilden Koran-Stellen,<br />

die ein Leser vorgetragen hat.<br />

Erster Teil: Die Fatiha<br />

Im Namen Allahs, <strong>des</strong> Allbarmherzigen!<br />

Lob <strong>und</strong> Preis sei Allah, dem Herrn aller Weltenbewohner,<br />

dem gnädigen Allerbarmer, <strong>der</strong> am Tage<br />

<strong>des</strong> Gerichtes herrscht.<br />

Dir allein wollen wir dienen, <strong>und</strong> zu dir allein<br />

flehen wir um Beistand.<br />

Führe uns den rechten Weg, den Weg <strong>der</strong>er,<br />

welche sich deiner Gnade freuen – <strong>und</strong> nicht<br />

den Pfad jener, über die du zürnst o<strong>der</strong> die in die<br />

Irre gehen!<br />

Zweiter Teil: Ausgewählte Koran-Verse<br />

Sagt: „Wir glauben an Allah <strong>und</strong> an das, was er uns<br />

offenbarte, <strong>und</strong> an das, was allen Propheten von<br />

ihrem Herrn gegeben wurde.<br />

Wir kennen unter diesen keinen Unterschied.<br />

Wir bleiben Allah ergeben“ (Sure II, 136).<br />

O ihr Menschen, fürchtet Allah, euren Schutzherrn,<br />

<strong>der</strong> euch aus einem einzigen Wesen geschaffen hat<br />

<strong>und</strong> aus diesem <strong>des</strong>sen Partnerin <strong>und</strong> aus beiden<br />

viele Männer <strong>und</strong> die Frauen werden ließ.<br />

Verehrt allein Allah, in <strong>des</strong>sen Namen ihr Bitten<br />

zueinan<strong>der</strong> sprecht, <strong>und</strong> seid ehrfürchtig dem<br />

Mutterschoß gegenüber, <strong>der</strong> euch gebar:<br />

Allah wacht über euch (Sure IV, 1).<br />

O Gläubige! Wenn ihr zum Kampfe für die<br />

Religion Allahs auszieht, seid behutsam <strong>und</strong> sagt<br />

nicht zu jedem, <strong>der</strong> euch mit „Friede“ begrüßt:<br />

„Du bist kein Gläubiger!“, um ihn <strong>der</strong> Güter dieses<br />

Lebens zu berauben; bei Allah ist mehr Beute. So<br />

tatet ihr ehedem; aber Allah war gnädig mit euch;<br />

darum unterscheidet gut, denn Allah weiß, was<br />

ihr tut (Sure IV, 95).<br />

241


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Sind sie (d. h. die Feinde) aber zum Frieden geneigt,<br />

so sei auch du dazu geneigt <strong>und</strong> vertraue nur auf<br />

Allah; denn er hört <strong>und</strong> weiß alles (Sure VIII, 62).<br />

Diener <strong>des</strong> Allbarmherzigen sind die, welche<br />

demütig auf <strong>der</strong> Erde wandeln <strong>und</strong>, wenn die<br />

Unwissenden zu ihnen sprechen, nur „Friede“<br />

antworten (Sure XXV, 64).<br />

O ihr Menschen, wir haben euch von einem Mann<br />

<strong>und</strong> einer Frau erschaffen <strong>und</strong> euch in Völker<br />

<strong>und</strong> Stämme eingeteilt, damit ihr liebevoll einan<strong>der</strong><br />

kennen mögt.<br />

Wahrlich, nur <strong>der</strong> von euch ist am meisten bei Allah<br />

geehrt, <strong>der</strong> am frömmsten unter euch ist;<br />

denn Allah weiß <strong>und</strong> kennt alles (Sure XLIX, 13).<br />

242<br />

<strong>Friedens</strong>gebet<br />

<strong>der</strong> afrikanischen Stammesreligionen<br />

Allmächtiger Gott,<br />

Du Großer Daumen, dem wir nicht ausweichen<br />

können, um etwas zu verknoten;<br />

Du Krachen<strong>der</strong> Donner, <strong>der</strong> mächtige Bäume<br />

zersplittern lässt;<br />

Du Allsehen<strong>der</strong> Herr in <strong>der</strong> Höhe, <strong>der</strong> sogar<br />

die Antilopenfährte auf dem Felsen hier unten auf<br />

<strong>der</strong> Erde sieht;<br />

Du bist es, <strong>der</strong> nicht zögert mit <strong>der</strong> Antwort auf<br />

unseren Ruf;<br />

Du bist <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>stein <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />

Wir alle rufen heute vor allem aus einem Gr<strong>und</strong> zu<br />

dir: Unsere Welt ist friedlos. Ringsum herrschen dauernd<br />

Kriege <strong>und</strong> Streit.Wir brauchen den Frieden.<br />

Das hat den Heiligen Vater bewogen, alle Weltreligionen<br />

zu einem gemeinsamen <strong>Friedens</strong>gebet einzuladen.<br />

Wir beten daher um den Weltfrieden.<br />

Lass Frieden herrschen im Vatikan.<br />

Gib Afrika den Frieden. Gib den einzelnen Menschen,<br />

ihren Helmen <strong>und</strong> Familien den Frieden, <strong>und</strong><br />

breite ihn aus bis in die fernsten Winkel <strong>der</strong> Welt.<br />

Wir beten um langes Leben, Weisheit, Frieden,<br />

Klugheit <strong>und</strong> Mut für Seine Heiligkeit,<br />

Papst Johannes Paul II., <strong>und</strong> seine Berater.<br />

Überhäufe sie mit Segen.<br />

Verflucht seien alle Bösen, die unser lobenswertes<br />

<strong>Friedens</strong>werk vereiteln wollen.<br />

Möge dein in je<strong>der</strong> Hinsicht reicher Segen auf<br />

alle herabkommen, die den Frieden för<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

erstreben.<br />

Schließlich beten wir auch in eigener Sache, wenn<br />

auch nur kurz, zu dir. Du hast uns beschützt <strong>und</strong><br />

heil hierhin gebracht; bring uns auch heil wie<strong>der</strong><br />

nach Hause.<br />

Lass alle bösen Vorfahren <strong>und</strong> Geister ihren Trank<br />

erhalten <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Flucht ins Ver<strong>der</strong>ben stürzen.<br />

Du aber <strong>und</strong> die guten Geister <strong>der</strong> Vorfahren, die<br />

wir herbeigerufen haben, empfangt unseren Trank,<br />

segnet uns reich <strong>und</strong> gebt uns den Frieden.


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

<strong>Friedens</strong>gebet <strong>der</strong> Juden<br />

Unser Gott im Himmel, <strong>der</strong> Herr <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>,<br />

wird Gnade <strong>und</strong> Barmherzigkeit über uns <strong>und</strong> allen<br />

Völkern <strong>der</strong> Erde walten lassen, die seine Barmherzigkeit<br />

<strong>und</strong> Gnade erflehen <strong>und</strong> um Frieden<br />

bitten <strong>und</strong> ihn suchen.<br />

Unser Gott im Himmel, gib uns die Kraft,<br />

zu handeln, zu wirken <strong>und</strong> zu leben, bis <strong>der</strong> Geist<br />

von oben sich über uns zeigt <strong>und</strong> die Wüste zum<br />

Weinberg wird <strong>und</strong> <strong>der</strong> Weinberg sich als Wald<br />

erweist.<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong> wird in <strong>der</strong> Wüste eine Wohnstatt<br />

haben <strong>und</strong> die Nächstenliebe im Weinberg ihre<br />

Wohnung. Was die <strong>Gerechtigkeit</strong> tut, wird zum<br />

Frieden führen, <strong>und</strong> das Wirken <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bringt Ruhe <strong>und</strong> Sicherheit auf ewig. Und mein<br />

Volk wird ringsum Frieden haben in sicheren Wohnstätten<br />

<strong>und</strong> Geborgenheit an seinen Lagerplätzen.<br />

Und <strong>des</strong>halb, Herr, unser Gott <strong>und</strong> Gott unserer<br />

Väter, lass für uns <strong>und</strong> für alle Welt in Erfüllung<br />

gehen, was du durch den Propheten Micha verheißen<br />

hast: „Am Ende <strong>der</strong> Tage wird es geschehen:<br />

Der Berg mit dem Haus <strong>des</strong> Herrn steht fest<br />

gegründet als höchster <strong>der</strong> Berge; er überragt alle<br />

Hügel. Zu ihm strömen die Völker. Viele Nationen<br />

machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir<br />

ziehen hinauf zum Berg <strong>des</strong> Herrn <strong>und</strong> zum Haus<br />

<strong>des</strong> Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege,<br />

auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion<br />

kommt die Weisung, aus Jerusalem kommt das<br />

Wort <strong>des</strong> Herrn. Er spricht Recht im Streit vieler<br />

Völker, er weist mächtige Nationen zurecht bis in<br />

die Ferne. Dann schmieden sie Pflugscharen aus<br />

ihren Schwertern <strong>und</strong> Winzermesser aus ihren<br />

Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert,<br />

Volk gegen Volk, <strong>und</strong> übt nicht mehr für den Krieg.<br />

je<strong>der</strong> sitzt unter seinem Weinstock <strong>und</strong> unter seinem<br />

Feigenbaum, <strong>und</strong> niemand schreckt ihn auf.<br />

ja, <strong>der</strong> M<strong>und</strong> <strong>des</strong> Herrn <strong>der</strong> Heere hat gesprochen“<br />

(4,1-4).<br />

O Herr im Himmel, gib <strong>der</strong> Erde den Frieden, gib<br />

<strong>der</strong> Welt Wohlergehen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ruhe eine bleibende<br />

Stätte in unseren Häusern.<br />

Und lasst uns sagen: Amen!<br />

Verschiedene Gebete<br />

Gebet einer vergewaltigten Frau<br />

Hava’s Bitte<br />

In jener Nacht im Lager,<br />

als mich sieben vergewaltigten,<br />

bat ich Dich, aus meinem Schoß den Samen<br />

dieser Hun<strong>des</strong>öhne auszuspeien.<br />

Warum hast Du mich nicht erhört, Herr?<br />

Ich habe Dir nichts getan.<br />

Ich bat Dich,<br />

mich wenigstens für einen Moment<br />

von den wachsamen Augen <strong>der</strong> Peiniger zu erlösen,<br />

damit ich meinen Schoß mit den Nägeln meiner<br />

Hände auskratzen könnte.<br />

Warum hast Du mich nicht erhört, Herr?<br />

Ich habe Dir nichts getan.<br />

Ich wandte mein Gesicht vom Wasser ab.<br />

Ich wandte mein Gesicht vom Brot ab,<br />

damit <strong>der</strong> Tod sich meiner Bitten erbarmen könnte.<br />

Wie soll <strong>der</strong> Tod sich meiner erbarmen,<br />

da doch alles in Deinen Händen liegt, Allmächtiger?<br />

Ich bat die, welche mich vergewaltigten,<br />

die welche meine Mutter abschlachteten,<br />

die welche mein Haus nie<strong>der</strong> brannten,<br />

ich flehte sie in deinem Namen an,<br />

sagte, dass ich ihnen alles vergeben will,<br />

wenn sie mich nur töten,<br />

wenn sie mich nur zerstückeln würden.<br />

Sie erhörten mich nicht,<br />

doch boten sie mir einen Apfel,<br />

Tag für Tag bemerkten sie,<br />

wie ihre Frucht sich entwickelte.<br />

An jenem Morgen,<br />

als das Kind sich zum ersten Mal in mir bewegte,<br />

bat ich Dich,<br />

dass mein Mann Alija niemals vom Schlachtfeld<br />

zurückkehren möge.<br />

Du hast mich nicht erhört, Herr.<br />

Du veranlasstest, mich zum Hospital zu begleiten,<br />

dass vier Ärzte mir Hände <strong>und</strong> Füße festbanden,<br />

damit ich das Kind nicht mit meinen Schenkeln<br />

erdrückte.<br />

243


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Mehr als die Sonne zu sehen, wünschte ich,<br />

dies Kind tot zu sehen,<br />

o<strong>der</strong> dass das Kind seine Mutter tot gesehen hätte.<br />

Warum hast Du mich nicht erhört,<br />

mein guter Herr?<br />

Denn ich habe Dir nichts getan,<br />

wie auch dies arme, unschuldige Kleine nicht.<br />

Gib mir Kraft, barmherziger Herr,<br />

dies Kind aufzuziehen,<br />

das niemand außer Dir behüten würde.<br />

Und gib dem Kind genügend Kraft,<br />

mit den Menschen <strong>und</strong> ihren Wahrheiten zu leben.<br />

Darum bittet Dich seine unglückliche Mutter.<br />

244<br />

Enes Kiˇsević<br />

Gebet zum heiligen Franziskus<br />

Heiliger Franziskus, du hast auf dem Berg Alverna<br />

die Stigmata empfangen.<br />

Die Welt hat Sehnsucht nach dir.<br />

Denn du bist wie eine lkone <strong>des</strong> Gekreuzigten.<br />

Sie braucht dein Herz,<br />

offen für Gott <strong>und</strong> den Menschen,<br />

deine w<strong>und</strong>en Füße,<br />

deine durchbohrten <strong>und</strong> flehenden Hände.<br />

Sie sehnt sich nach deiner schwachen Stimme,<br />

die zugleich stark war in <strong>der</strong> Kraft <strong>des</strong> Evangeliums.<br />

Franziskus, hilf den Menschen von heute,<br />

dass sie das Übel <strong>der</strong> Sünde erkennen<br />

<strong>und</strong> ihre innere Reinheit durch Umkehr erlangen.<br />

Hilf den Menschen, sich zu befreien<br />

aus den Strukturen <strong>des</strong> Bösen,<br />

die unsere Gesellschaft unterdrücken.<br />

Rufe das Gewissen <strong>der</strong> Regierenden dazu auf,<br />

Frieden unter den Nationen <strong>und</strong> unter den Völkern<br />

zu stiften.<br />

Übertrage auf die jungen Menschen<br />

die Kraft deines Lebens, eine Kraft,<br />

die sich von <strong>der</strong> Hinterlist<br />

<strong>der</strong> vielfältigen Kulturen <strong>des</strong> To<strong>des</strong> abhebt.<br />

Franziskus, zeige allen, die Böses verletzt hat,<br />

deine Freude <strong>des</strong> Vergebens.<br />

Allen, die von Leid, Hunger <strong>und</strong> Krieg<br />

gekreuzigt wurden,<br />

öffne erneut die Tore <strong>der</strong> Hoffnung.<br />

(Johannes Paul II., La Verna, Kapelle <strong>der</strong> Stigmata,<br />

17.09.1993)


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Gebet zu Unserer Frau von <strong>der</strong> Portiunkula<br />

Maria, Mutter unseres Bru<strong>der</strong>s <strong>und</strong> Herrn Jesus<br />

Christus, <strong>des</strong> Armen <strong>und</strong> Gekreuzigten, Mutter<br />

unserer Familie, Mutter <strong>der</strong> Armen, höre unsere<br />

vertrauensvolle Bitte, die wir heute an Dich richten.<br />

Es fehlt vielen Völkern unserer Welt an materiellem<br />

<strong>und</strong> geistigem Brot;<br />

In vielen Köpfen <strong>und</strong> Herzen fehlt das Brot<br />

<strong>der</strong> Wahrheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Liebe; vielen Menschen fehlt<br />

das Brot <strong>des</strong> Wortes <strong>und</strong> das Brot <strong>des</strong> Herrn.<br />

Nimm aus dem Herzen so vieler Männer <strong>und</strong><br />

Frauen den Egoismus, denn er macht arm.<br />

Mach’, dass die Völker <strong>der</strong> ganzen Welt das wahre<br />

Licht aufzunehmen wissen<br />

<strong>und</strong> auf den Wegen <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> gehen,<br />

in gegenseitiger Ehrfurcht <strong>und</strong> in einer Solidarität,<br />

die in <strong>der</strong> Menschlichkeit unseres Gottes verwurzelt<br />

liegt.<br />

Unsere Frau von <strong>der</strong> Portiunkula,<br />

mach' unsere Hoffnung hell <strong>und</strong> stark,<br />

läutere unsere Augen <strong>und</strong> Herzen,<br />

geh' mit uns die Wege einer neuen Evangelisierung<br />

auf eine neue gerechte Welt zu,<br />

in <strong>der</strong> Freiheit für alle sein wird.<br />

Amen.<br />

Br. Hermann Schalück ofm<br />

Gebet um den Heiligen Geist<br />

„Wir bitten Dich, Gott, um Deinen Geist heute. Er<br />

sei uns wie ein helles, leuchten<strong>des</strong> Feuer, das unsere<br />

Dunkelheit erhellt <strong>und</strong> unsere Liebe neu entfacht.<br />

Er sei uns wie ein kühlen<strong>der</strong> Hauch, <strong>der</strong> uns tröstet<br />

<strong>und</strong> in unserer kleingläubigen Sorge um unsere<br />

Zukunft besänftigt. Er sei uns wie eine kräftige Brise,<br />

in <strong>der</strong> wir mutig unsere Segel setzen <strong>und</strong> neuen<br />

Horizonten zusteuern. Er sei uns wie das Gewitter,<br />

das die Luft reinigt. Er sei uns wie das Wasser, das<br />

nach <strong>der</strong> Dürre neue Blüten sprossen lässt.<br />

Herr unseres Lebens <strong>und</strong> unserer Geschichte:<br />

Dein Geist zeige uns, dass unser alter Auftrag,<br />

den Du uns in Wahrheit gegeben hast, auch in diesen<br />

neuen Zeiten die Welt noch verwandeln kann."<br />

Br. Hermann Schalück ofm,<br />

Zeichen <strong>der</strong> Zeit – Spuren <strong>des</strong> Lebens,<br />

Brief <strong>des</strong> Generalministers zum Pfingstfest<br />

1993<br />

245


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Er war mitten auf <strong>der</strong> Straße<br />

Die Welt ist bis zu einem solchen Grade in Unordnung,<br />

dass viele Menschen gezwungen sind – um<br />

ihr tägliches Brot zu verdienen –, direkt o<strong>der</strong> indirekt<br />

an Arbeiten teilzunehmen, durch die Waffen<br />

geschmiedet werden, um an<strong>der</strong>e Menschen physisch<br />

o<strong>der</strong> moralisch umzubringen. Als Gefangene <strong>des</strong><br />

ökonomischen Systems im Zustand <strong>der</strong> Sünde sind<br />

manche zur Lüge <strong>und</strong> zum Diebstahl gezwungen.<br />

Es muss Menschen geben, die schwer leiden an dieser<br />

tragischen Situation. Mitverantwortlich für diese<br />

Welt, können sie sich aber nun nicht einfach verdrücken,<br />

ohne sich um die an<strong>der</strong>en zu kümmern.<br />

Sie müssen vielmehr die Sünde ihres Lebenskreises<br />

erkennen <strong>und</strong> sich ihrer anklagen. In gleicher Weise,<br />

wie es keine wahre Reue gibt, wenn man sein<br />

Leben nicht zu än<strong>der</strong>n sucht, gibt es auch kein wahres<br />

Leiden an <strong>der</strong> Umgebung, wenn man nicht<br />

bemüht ist, das unmenschliche Gefüge zu verwandeln.<br />

Das ist eine absolut verpflichtende Aufgabe,<br />

von <strong>der</strong> nichts den Christen befreien kann.<br />

246<br />

Ihr seid das Licht <strong>der</strong> Welt. Eine Stadt, die auf dem<br />

Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben.<br />

Auch zündet man ein Licht nicht an, um es unter den<br />

Scheffel zu stellen, son<strong>der</strong>n auf den Leuchter, damit es<br />

allen leuchte im Hause. So leuchte euer Licht vor den<br />

Menschen, damit sie eure guten Werke sehen <strong>und</strong> euren<br />

Vater im Himmel preisen (Matthäus 5,14-16)<br />

Er war mitten auf <strong>der</strong> Straße,<br />

Schwankend sang er aus allen Kräften mit seiner alteingerosteten<br />

Säuferstimme.<br />

Die Leute wandten sich um, blieben stehen, amüsierten<br />

sich.<br />

Da kam ganz leise von hinten ein Polizist;<br />

hat ihn grob an <strong>der</strong> Schulter gepackt <strong>und</strong> auf die<br />

Wachstube geführt.<br />

Er sang noch immer,<br />

Die Leute lachten.<br />

Ich habe nicht gelacht.<br />

Ich habe an die Frau gedacht, Herr, die heute abend<br />

vergeblich warten würde.<br />

Ich habe an alle an<strong>der</strong>en Säufer <strong>der</strong> Stadt gedacht,<br />

an die in den Wirtshäusern <strong>und</strong> in den Bars,<br />

an die in den Salons <strong>und</strong> auf den vornehmen Parties.<br />

Ich habe gedacht an ihre Heimkehr am Abend,<br />

an die verstörten Kin<strong>der</strong>,<br />

an die leere Geldtasche,<br />

an die Schreie,<br />

an die Schläge,<br />

an die Tränen,<br />

an die Kin<strong>der</strong>, die aus stinkenden Umarmungen<br />

geboren würden.<br />

Herr, jetzt hast Du Deine Nacht über die Stadt<br />

ausgebreitet,<br />

Und während sich die Tragödien verflechten<br />

<strong>und</strong> lösen,<br />

Schlafen die Menschen, die den Alkohol<br />

verteidigt haben,<br />

die ihn erzeugt haben,<br />

die ihn verkauft haben,<br />

In <strong>der</strong>selben Nacht in Frieden ein.<br />

Ich denke an sie alle, sie tun mir von Herzen leid;<br />

sie haben Elend erzeugt <strong>und</strong> verkauft,<br />

sie haben Sünde erzeugt <strong>und</strong> verkauft.


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Ich denke an alle an<strong>der</strong>en, die Menge <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en,<br />

die arbeiten,<br />

um zu zerstören, <strong>und</strong> nicht, um aufzubauen,<br />

um zu beschmutzen, <strong>und</strong> nicht, um zu adeln,<br />

um zu verdummen, <strong>und</strong> nicht, um zu entfalten,<br />

um zu erniedrigen, <strong>und</strong> nicht, um zu erhöhen.<br />

Herr, ich denke beson<strong>der</strong>s an die vielen Menschen,<br />

die für den Krieg arbeiten,<br />

die, um eine Familie ernähren zu können,<br />

arbeiten müssen<br />

für die Zerstörung an<strong>der</strong>er Familien,<br />

die, um zu leben, den Tod bereiten müssen.<br />

Ich bitte Dich nicht, sie alle von ihrer Arbeit wegzunehmen,<br />

das ist nicht möglich,<br />

Aber gib, Herr, dass sie sich Fragen stellen,<br />

dass sie nicht zu ruhig schlafen, dass sie kämpfen<br />

in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Unordnung, dass sie<br />

Sauerteig seien, dass sie Erlöser seien.<br />

Und <strong>der</strong>er willen, die verw<strong>und</strong>et sind an Seele <strong>und</strong><br />

Leib, <strong>der</strong> Opfer <strong>der</strong> Arbeit ihrer Brü<strong>der</strong>,<br />

Um all <strong>der</strong> Toten willen, denen Tausende von<br />

Menschen gewissenhaft den Tod bereitet haben,<br />

Um dieses Säufers willen, <strong>des</strong> grotesken Clown<br />

mitten auf <strong>der</strong> Straße,<br />

Um <strong>der</strong> Angst willen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schreie seiner Kin<strong>der</strong>,<br />

Um <strong>der</strong> Verdemütigung willen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tränen<br />

seiner Frau,<br />

Hab Erbarmen, Herr, mit mir, <strong>der</strong> ich all zu oft<br />

schläfrig bin,<br />

Hab Erbarmen mit den Unglücklichen, die völlig<br />

eingeschlafen <strong>und</strong> Spießgesellen einer Welt sind<br />

in <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> sich gegenseitig umbringen, um ihr<br />

tägliches Brot zu verdienen.<br />

Michel Quoist<br />

Ich glaube an den Frieden:<br />

Ich glaube an den Frieden:<br />

Nicht diktiert<br />

Son<strong>der</strong>n gewährt;<br />

Nicht aufgebürdet,<br />

son<strong>der</strong>n angeboten;<br />

Nicht befohlen,<br />

son<strong>der</strong>n zugesichert;<br />

Nicht eine äußerliche Verpflichtung<br />

son<strong>der</strong>n eine innere Entscheidung;<br />

Vollendet niemals<br />

aber aufgebaut ewig;<br />

Nicht vorgeschrieben,<br />

son<strong>der</strong>n verkündet;<br />

Ohne jährliche Erntezeit<br />

doch mit Früchten, in Hoffnung gesammelt.<br />

Ich glaube an den Frieden:<br />

Nicht durch Macht gewonnen<br />

aber im Gebet gesucht <strong>und</strong> gefeiert.<br />

Boˇze Vuleta, Kroatien<br />

247


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Gottesdienst<br />

Einführung<br />

Ich möchte beginnen mit <strong>der</strong> Aussage, dass die Brü<strong>der</strong><br />

immer beschäftigt, engagiert <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb knapp<br />

an Zeit sind. Das ist es, was GFBS-Arbeit oftmals<br />

schwer macht. Es gibt so viele an<strong>der</strong>e Kommissionen,<br />

Verantwortungen <strong>und</strong> For<strong>der</strong>ungen an ihre<br />

Zeit. Als GFBS-Beauftragte müssen wir realistisch<br />

<strong>und</strong> phantasiebegabt darin sein, Wege zu suchen,<br />

das Gewissen <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>n für GFBS-Angelegenheiten<br />

zu schärfen, ihnen Möglichkeiten vorzustellen,<br />

sich zu beteiligen, <strong>und</strong> sie dazu zu ermutigen, Wege<br />

dazu zu finden, das durch das zu tun, was sie<br />

ohnehin schon tun.<br />

Anstatt immer alternative Aktivitäten zu organisieren,<br />

sollten wir Vorteil aus den Situationen <strong>und</strong><br />

Verpflichtungen ziehen, die die Brü<strong>der</strong> schon<br />

haben. Die Brü<strong>der</strong> beten immer o<strong>der</strong> sie sollten<br />

es zumin<strong>des</strong>t.<br />

Dies im Hinterkopf schlagen wir den GFBS-Kommissionen<br />

<strong>und</strong> Beauftragten vor, Gottesdienste<br />

zu entwerfen, die leicht gebraucht o<strong>der</strong> angepasst<br />

werden können an die beson<strong>der</strong>en Umstände<br />

unserer Fraternitäten.<br />

Das folgende Gebet kann benutzt werden in den<br />

sechs Wochen <strong>der</strong> Fastenzeit. Anstelle <strong>des</strong> Breviers<br />

kann diese Gebetsform als eine Alternative einmal<br />

in <strong>der</strong> Woche benutzt werden. Wenn die Brü<strong>der</strong><br />

sich damit nicht wohl fühlen, die Form <strong>des</strong> Gebetes<br />

zu än<strong>der</strong>n, können einige Ideen in das traditionelle<br />

Gebet <strong>der</strong> Lau<strong>des</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vesper integriert werden.<br />

Wir schlagen ein beson<strong>der</strong>s ökologisches Thema vor<br />

o<strong>der</strong> eines, welches den Brü<strong>der</strong>n hilft, ihre Wirklichkeit<br />

zu reflektieren: z.B.: Wasser, Gewalt, Abfall,<br />

Armut, Reichtum, Bildung, Straßenkin<strong>der</strong>, Prostitution,<br />

Landlose, Arbeitslose usw.<br />

Die Form <strong>des</strong> Gottesdienstes kann folgen<strong>der</strong>maßen<br />

sein:<br />

Thema: „Wasser“<br />

Einführung:<br />

Dies kann ausgeführt werden in einer einfachen<br />

<strong>und</strong> zwanglosen Weise, dadurch, welche Schwierigkeiten<br />

in einem Land o<strong>der</strong> einer Region bestehen.<br />

Z.B.: In El Salvador könnte es so hilfreich sein:<br />

Die Fastenzeit-Liturgie lädt uns dazu ein, über die<br />

Themen Wasser <strong>und</strong> Wüste nachzudenken.<br />

248<br />

Diese Themen machen Sinn in El Salvador, wo die<br />

Hälfte <strong>der</strong> Bevölkerung (45,2%) kein fließen<strong>des</strong><br />

Wasser hat. Diejenigen, die es haben, merken wie<br />

glücklich sie sind. Sogar die Wasserwerke geben eine<br />

ernsthafte Verseuchung zu. Die Flüsse, Seen <strong>und</strong><br />

Brunnen sind auch verseucht. Nur 5% <strong>der</strong> 360<br />

Flüsse von El Salvador haben saubere Wasserläufe.<br />

Die Brunnen <strong>der</strong> Hauptstadt San Salvador sinken<br />

je<strong>des</strong> Jahr um einen Meter.<br />

Nach Haiti ist El Salvador das am meisten entwaldete<br />

Land in Lateinamerika. Nur 12% <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

sind bewaldet, <strong>und</strong> sind durch die wahllose Abholzung<br />

von Wäl<strong>der</strong>n, durch das Bauen von Handelszentren,<br />

Fabriken <strong>und</strong> Verpachten von Naturreservaten,<br />

wie dem El Crisfio’s, in <strong>der</strong> Gefahr zerstört zu<br />

werden. Man befürchtet, dass noch vor dem Jahre<br />

2010 El Salvador die Wüste in Mittelamerika haben<br />

könnte.<br />

Psalm 137 (136)<br />

Biblische Lesung Ez 36,24-27<br />

Fragen für die Reflexion<br />

■ Wer ist für die Verseuchung <strong>des</strong> Wassers<br />

verantwortlich?<br />

■ Sollten wir still halten?<br />

■ Was können wir tun, um in unserer Bru<strong>der</strong>schaft<br />

Wasser zu sparen?<br />

■ Wer ist verantwortlich für die Zerstörung<br />

<strong>des</strong> Wal<strong>des</strong>?<br />

■ Wie sorgen wir für die Pflanzen <strong>und</strong> Bäume<br />

auf unserem Eigentum?<br />

Fürbitten: Frei gestaltet<br />

Vater unser<br />

Schlussgebet<br />

Lied<br />

Wenn die Brü<strong>der</strong> es wünschen, das St<strong>und</strong>engebet<br />

<strong>der</strong> Form nach zu erhalten, können sie nach <strong>der</strong><br />

Lesung über das Thema nachdenken <strong>und</strong> die Fragen<br />

beantworten. Die Fürbitten können frei sein <strong>und</strong><br />

sich auf das Thema beziehen.


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Gebete <strong>und</strong> Texte<br />

Es war nicht möglich, alle Gebete <strong>der</strong> englischen<br />

Fassung zu übertragen.<br />

Die folgenden Gebete <strong>und</strong> Texte sind für die deutsche<br />

Fassung <strong>des</strong> Handbuches von <strong>der</strong> Koordination<br />

GFBS <strong>der</strong> MEFRA ausgewählt.<br />

Wenn Cbristus<br />

morgen an deine Türe klopfte …<br />

Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte,<br />

wür<strong>des</strong>t du ihn wohl erkennen?<br />

Wie einst wird er ein Armer sein, ein Verlassener.<br />

Wohl ein Arbeiter,<br />

vielleicht ein Erwerbsloser<br />

o<strong>der</strong> gar ein Streiken<strong>der</strong>, wenn <strong>der</strong> Streik berechtigt<br />

ist.<br />

O<strong>der</strong> er wird für eine Versicherung werben o<strong>der</strong><br />

Staubsauger verkaufen …<br />

Endlos wird er Treppen steigen, immer wie<strong>der</strong> auf<br />

den Stufen stehen bleiben <strong>und</strong> auf seinem traurigen<br />

Gesicht ein w<strong>und</strong>erbares Lächeln tragen …<br />

Aber deine Schwelle ist so düster …<br />

Auch sieht man das Lächeln <strong>der</strong> Menschen nicht,<br />

die man abweisen will.<br />

Noch eh’ er den M<strong>und</strong> auftut, sagst du:<br />

„Interessiert mich nicht …“<br />

O<strong>der</strong> das Mädchen spricht schon wie auswendig:<br />

„Die gnädige Frau hat ihre Armen.“<br />

Und schlägt die Türe zu<br />

vor dem Armen, welcher <strong>der</strong> Erlöser ist.<br />

Vielleicht ist es ein Flüchtling,<br />

einer unter den fünfzehn Millionen, mit einem Ausweis<br />

von <strong>der</strong> UNO; einer von denen, die niemand<br />

will, die herumirren <strong>und</strong> herumirren in einer zur<br />

Wüste gewordenen Welt;<br />

einer von denen, die zum Sterben verdammt sind,<br />

„weil man schließlich nicht weiß,<br />

wo solche Leute herkommen …“<br />

O<strong>der</strong> aber in Amerika,<br />

ein Schwarzer,<br />

ein Neger, wie sie sagen, müde vom Suchen<br />

nach einem Quartier in New York<br />

wie einst in Nazareth<br />

die Jungfrau Maria …<br />

Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte,<br />

wür<strong>des</strong>t du ihn wohl erkennen?<br />

Gedrückt steht er da,<br />

erschöpft <strong>und</strong> zerschlagen,<br />

denn er trägt alle Pein <strong>der</strong> Welt …<br />

Aber wer kann schon einen so müden Mann<br />

brauchen?<br />

Und wenn man ihn fragt: „Was kannst du?“<br />

so kann er nicht sagen: Alles.<br />

„Wo kommst du her?“<br />

er kann nicht sagen: Von alleweg.<br />

„Was willst du haben?“<br />

er kann nicht sagen: Dich.<br />

Dann wird er fortgehen,<br />

noch mehr erschöpft <strong>und</strong> zerschlagen,<br />

den Frieden in seinen bloßen Händen …<br />

Raoul Follereau<br />

249


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Der Arbeiter einer Waffenfabrik<br />

Ich beeinflusse nicht <strong>des</strong> Globus Schicksal,<br />

beginne keine Kriege.<br />

Ob ich mit Dir o<strong>der</strong> gegen Dich gehe –<br />

ich weiß es nicht.<br />

Ich sündige nicht.<br />

Es plagt mich ausgerechnet, dass ich<br />

nichts beeinflusse <strong>und</strong> nicht sündige,<br />

dass ich Muttern <strong>und</strong> Fragmente<br />

<strong>der</strong> Zerstörung drehe <strong>und</strong> koche,<br />

aber nicht das Ganze, nicht das menschliche<br />

Schicksal umfasse.<br />

Ich hätte ein an<strong>der</strong>es Ganzes, ein an<strong>der</strong>es Schicksal<br />

gemacht<br />

(aber wie geht das ohne Fragmente),<br />

in welches ich selbst, gleichzeitig,<br />

wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Mensch, in dieser Sache wäre,<br />

solide <strong>und</strong> heilig, in welcher niemand seine Taten<br />

herausstreicht<br />

<strong>und</strong> nicht verlogen ist in <strong>der</strong> Sprache.<br />

Die Welt, die ich bilde, ist nicht gut –<br />

aber nicht ich mache eine böse Welt !<br />

Reicht das ?<br />

250<br />

Karol Woytila (Johannes Paul II.)<br />

Die zweifel <strong>des</strong> lehrers<br />

In <strong>der</strong> phase <strong>der</strong> entmutigung<br />

gehen die klassenkämpfe zurück<br />

die ängste <strong>der</strong> menschen wachsen<br />

einige frieden werden vermittelt<br />

die völker sind nicht gefragt<br />

welche art frieden sie wollen<br />

die hoffnungen <strong>der</strong> opfer<br />

wan<strong>der</strong>n ab ins okkulte<br />

In <strong>der</strong> phase <strong>der</strong> entmutigung wächst<br />

meine sicherheit<br />

immer unzerstörbarer<br />

komme ich mir vor<br />

dass <strong>der</strong> arme jesus die wahrheit bedeutet<br />

den weg<br />

ist mir zur zeit<br />

kaum einen zweifel wert<br />

In <strong>der</strong> zeit <strong>der</strong> ängste<br />

singe ich wie<strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> zeit <strong>des</strong> unfriedens<br />

wächst mein frieden<br />

Aber wozu<br />

wenn er nicht teilbar ist<br />

wenn er nicht sichtbar wird<br />

wenn man ihn nicht mit an<strong>der</strong>en essen kann<br />

wenn die Opfer nichts von ihm haben<br />

was soll dieser reichtum<br />

Wenn man ihn nicht lehren kann<br />

Ist es dann frieden?<br />

dorothee sölle


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Heiliger franziskus<br />

Heiliger franziskus bitt für uns<br />

jetzt <strong>und</strong> in <strong>der</strong> phase <strong>der</strong> entmutigung<br />

dein bru<strong>der</strong> wasser ist vergiftet<br />

dein bru<strong>der</strong> feuer kennen die kin<strong>der</strong> nicht mehr<br />

es meiden uns die vögel<br />

Über dich lächeln sie<br />

päpste <strong>und</strong> zaren<br />

<strong>und</strong> die Amerikaner kaufen ganz assisi<br />

samt dir<br />

heiliger franziskus wozu warst du da<br />

In den steinernen vorstädten<br />

sah ich dich herumlaufen<br />

ein h<strong>und</strong> <strong>der</strong> im abfall wühlt<br />

selbst den kin<strong>der</strong>n ist ein plastikauto lieber<br />

als du<br />

Heiliger franziskus<br />

was hast du geän<strong>der</strong>t<br />

wem hast du genützt<br />

Heiliger franziskus bitt für uns<br />

jetzt <strong>und</strong> wenn uns das wasser ausgeht<br />

jetzt <strong>und</strong> wenn uns die luft ausgeht<br />

dorothee sölle<br />

Argumente für die Überwindung<br />

<strong>der</strong> ohnmacht<br />

Wir haben den längeren atem<br />

wir brauchen die bessere zukunft<br />

zu uns gehören leute mit schlimmeren schmerzen<br />

die opfer <strong>des</strong> kapitals<br />

bei uns hat schon mal einer brot verteilt<br />

das reichte für alle<br />

Wir haben den längeren atem<br />

wir bauen die menschliche stadt<br />

mit uns sind verbündet die rechtlosen<br />

in den anstalten<br />

<strong>und</strong> die landlosen in den städten<br />

zu uns gehören die toten <strong>des</strong> zweiten weltkriegs<br />

die endlich zu essen haben wollen gerechtigkeit<br />

bei uns ist schon mal einer aufgestanden<br />

von den toten<br />

dorothee sölle<br />

251


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Unterwegs zu Dir<br />

Aus den Dörfern <strong>und</strong> Städten<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Aus den Tälern <strong>und</strong> Bergen<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Mit den leidenden Brü<strong>der</strong>n<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Mit den lachenden Kin<strong>der</strong>n<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Als Bauleute <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong><br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Als Boten <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Als Zeugen deiner Liebe<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Als Glie<strong>der</strong> deiner Kirche<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Wenn wir das Brot teilen,<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Wenn wir die Schwachen stützen,<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Wenn wir für die Verfolger beten,<br />

sind wir unterwegs zu dir.<br />

Wenn wir Gottesdienst feiern,<br />

bist du bei deinem Volk.<br />

252<br />

Aus Lateinamerika<br />

Ich werde nicht glauben<br />

an das Recht <strong>des</strong> Stärkeren,<br />

an die Sprache <strong>der</strong> Waffen,<br />

an die Macht <strong>der</strong> Mächtigen.<br />

Aber ich will glauben<br />

an das Recht <strong>der</strong> Menschen,<br />

an die offene Hand,<br />

an die Macht <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit.<br />

Ich werde nicht glauben,<br />

dass ich nichts zu tun habe<br />

mit dem, was woan<strong>der</strong>s geschieht.<br />

Aber ich will glauben,<br />

dass die ganze Welt mein Haus ist<br />

<strong>und</strong> das Feld, das ich bestelle,<br />

dass alle ernten, was alle gesät haben.<br />

Ich werde nicht glauben,<br />

dass ich Unterdrückung dort bekämpfen kann,<br />

wenn ich Unrecht hier bestehen lasse.<br />

Aber ich will glauben,<br />

dass das Recht ungeteilt ist hier <strong>und</strong> dort,<br />

dass ich nicht frei bin,<br />

solange noch ein einziger Mensch Sklave ist.<br />

Ich werde nicht glauben,<br />

dass Krieg <strong>und</strong> Hunger unvermeidlich sind<br />

<strong>und</strong> die Ferne unerreichbar.<br />

Aber ich will glauben an die kleine Tat,<br />

an die scheinbar machtlose Liebe,<br />

an den Frieden auf Erden.<br />

Ich werde nicht glauben,<br />

dass alle Mühe umsonst ist,<br />

dass <strong>der</strong> Traum <strong>der</strong> Menschheit ein Traum bleibt,<br />

dass <strong>der</strong> Tod das Ende sein wird.<br />

Aber ich wage zu glauben,<br />

immer <strong>und</strong> trotz allem,<br />

an den neuen Menschen.<br />

Ich wage zu glauben an Gottes eigenen Traum,<br />

an eine neue Erde, auf <strong>der</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> herrscht,<br />

unter einem neuen Himmel.<br />

Glaubensbekenntnis aus Südamerika


■ Gebete aus verschiedenen Glaubenstraditionen<br />

Gott, Du bist ein Gott <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> Du willst,<br />

dass wir Menschen in Deiner Schöpfung das Leben<br />

in Fülle haben<br />

Wir kommen voller Ängste zu Dir,<br />

ratlos <strong>und</strong> ohnmächtig angesichts <strong>der</strong> Gewalt um<br />

uns <strong>und</strong> in uns.<br />

Wandle uns in <strong>der</strong> Tiefe unseres Herzens<br />

zu Menschen,<br />

durch die Dein Friede in unsere Welt getragen wird!<br />

Segne mit Deinem Geist<br />

<strong>der</strong> schöpferischen Phantasie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Geduld<br />

alle Menschen, die mit uns auf dem Weg sind zu<br />

Deinem Reich <strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>.<br />

Sende Deinen Geist auch in die Herzen <strong>der</strong>er,<br />

die gefangen sind im Netz <strong>der</strong> Gewalt<br />

– als Täter o<strong>der</strong> Opfer –<br />

<strong>und</strong> lass uns nie die Suche aufgeben nach dem<br />

Gespräch mit ihnen.<br />

Der Du uns Vater <strong>und</strong> Mutter bist<br />

<strong>und</strong> uns in unserem Bru<strong>der</strong> Jesus Christus vorgelebt<br />

hast,<br />

wie wir Gewalt überwinden<br />

<strong>und</strong> Frieden schaffen können.<br />

Amen<br />

Gebet vom „<strong>Friedens</strong>kapitel <strong>der</strong> Ordensleute“<br />

Pfingsten 1986,<br />

Raketenstationierungsort Hasselbach<br />

Quellenangaben<br />

Die deutsche Übersetzung <strong>der</strong> Gebete <strong>der</strong><br />

Weltreligionen wurde von P. Dr. Radbert Kohlhaas OSB<br />

erstellt <strong>und</strong> ist entnommen dem Buch:<br />

„Die <strong>Friedens</strong>gebete von Assisi“,<br />

Verlag Her<strong>der</strong>, Freiburg 1987<br />

Raoul Follereau,<br />

Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte, in:<br />

„Wenn Christus morgen an deine Türe klopfte“,<br />

übersetzt von Lieselotte Härtl, Verlag Her<strong>der</strong>,<br />

Freiburg i. Brsg, 9. Auflage 1964<br />

Michel Quoist,<br />

„Er war mitten auf <strong>der</strong> Straße“ in<br />

„Herr da bin ich – Gebete“,<br />

Styria-Verlag, Graz, 25. Auflage 1962<br />

Karol Woytila (Johannes Paul II.):<br />

„Der Arbeiter einer Waffenfabrik“,<br />

in „Päpstliche Gedichte“, aus dem Polnischen<br />

übersetzt von Marian Ignacy Danowski,<br />

Danowski-Press, Zürich 1998<br />

Dorothee Sölle:<br />

– Die zweifel <strong>des</strong> lehrers<br />

– Argumente für die überwindung <strong>der</strong> ohnmacht<br />

– Heiliger franziskus<br />

Aus: „die revolutionäre geduld – gedichte“<br />

Wolfgang Fietkau Verlag – Berlin, 1974<br />

253


Koordination<br />

„<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />

<strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen<br />

(MEFRA)<br />

Web: www.franciscans.de<br />

e-mail: Koordination@franciscans.de<br />

Koordinatoren<br />

Br. Markus Heinze ofm<br />

Fraternität <strong>der</strong> Franziskaner<br />

Sigm<strong>und</strong>-Freud-Strasse 111<br />

60435 Frankfurt<br />

Tel. 069/545297<br />

e-mail: Markus.Heinze@t-online.de<br />

Br. Jürgen Neitzert ofm<br />

Gemeinschaft <strong>der</strong> Franziskaner<br />

Burgstrasse 61<br />

51103 Köln<br />

Tel. 0221-873113<br />

Fax 0221-8700464<br />

e-mail: juergen.neitzert@franziskaner.de<br />

Zu Beginn <strong>der</strong> 80er Jahre haben die deutschsprachigen<br />

Franziskanerprovinzen die Koordination<br />

<strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaften „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Frieden“ <strong>der</strong> mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen<br />

(MEFRA) gegründet.<br />

Schwerpunkte <strong>des</strong> Engagements sind die<br />

Koordinierung <strong>und</strong> Animierung <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaften<br />

„<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden“<br />

<strong>der</strong> Franziskaner (<strong>OFM</strong>) in Mitteleuropa, die<br />

Zusammenarbeit für Menschenrechte mit den<br />

Koordinationen für <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

<strong>der</strong> Franziskaner in Bosnien, Kroatien <strong>und</strong><br />

Kolumbien, <strong>der</strong> interreligiöse Dialog <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Einsatz für Flüchtlinge sowie die Mitarbeit mit<br />

verschiedenen Organisationen, Kampagnen<br />

<strong>und</strong> Initiativen wie etwa:<br />

■ „Franciscans International“ Deutschland<br />

(www.franintl.dland.de) <strong>und</strong> dem Büro<br />

für Menschenrechte von „Franciscans<br />

International“ <strong>und</strong> den Dominikanern bei<br />

<strong>der</strong> Menschenrechtskommission <strong>der</strong> UNO<br />

in Genf (www.fiop.org)<br />

254<br />

■ dem Netzwerk „<strong>Friedens</strong>kooperative“, dem<br />

Koordinationsbüro <strong>der</strong> deutschen <strong>Friedens</strong>bewegung<br />

(www.friedenskooperative.de)<br />

■ <strong>der</strong> christlichen „Kampagne gegen<br />

Rüstungsexport“, Wiesbaden,<br />

(AntiRexpo@t-online.de)<br />

■ <strong>der</strong> Initiative „Ordensleute für den Frieden“<br />

(www.freenet.de\IOF)<br />

■ <strong>der</strong> von vielen Hilfswerken <strong>und</strong> Organisationen<br />

getragenen Deutschen<br />

„Menschenrechtskoordination Kolumbien“<br />

(kolko@t-online.de)<br />

■ dem von uns mitgetragenen<br />

„Internationalen Verein für Frieden <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> – Pro Humanitate e.V. Köln“,<br />

<strong>der</strong> Humanitäre Hilfe im Kurdengebiet <strong>der</strong><br />

Türkei organisiert, <strong>und</strong> dem „Dialogkreis“,<br />

das sich für Frieden <strong>und</strong> Dialog in <strong>der</strong><br />

Türkei <strong>und</strong> in Deutschland einsetzt.<br />

(www.pro-humanitate-koeln.de <strong>und</strong><br />

dialogkreis@t-online.de)<br />

■ dem Ökumenischen Schalomdiakonat,<br />

das <strong>Friedens</strong>arbeiter ausbildet<br />

(schalomdiakonat@t-online.de)


Franciscans International<br />

Eine Nichtregierungsorganisation<br />

bei den Vereinten Nationen<br />

Büro New York: www.franintl.org<br />

Büro Genf: www.fiop.org<br />

Franciscans International Deutschland<br />

c/o INFAG-Zentrum<br />

Haugerring 9<br />

97070 Würzburg<br />

Tel. 0931/ 3 52 84 51<br />

Fax: 0931/ 3 52 84 52<br />

Web: www.franintl.dland.de<br />

Koordinatorenteam für Deutschland:<br />

Gisela Fleckenstein OFS<br />

Markus Heinze <strong>OFM</strong><br />

Jürgen Neitzert <strong>OFM</strong><br />

Zielsetzungen <strong>der</strong> Franziskaner<br />

bei den Vereinten Nationen<br />

Wir Franziskaner, Männer <strong>und</strong> Frauen, die wir<br />

dem heiligen Franziskus von Assisi nachfolgen, sind<br />

überzeugt, dass die ganze Schöpfung, vom kleinsten<br />

Organismus bis zum Menschen in gegenseitiger<br />

Abhängigkeit auf dem Planeten Erde lebt.<br />

Wir wissen, dass diese Beziehung bedroht ist durch<br />

ein mangeln<strong>des</strong> Bewusstsein dieser gegenseitigen<br />

Abhängigkeit, durch Ausbeutung <strong>und</strong> Herrschaft.<br />

Wir verpflichten uns, die Beziehungen gegenseitiger<br />

Abhängigkeit wie<strong>der</strong> zu entdecken <strong>und</strong> zu<br />

pflegen, damit die ganze Schöpfung in Harmonie<br />

leben kann.<br />

Wir wollen dazu beitragen durch den Dienst an<br />

unseren eigenen Mitglie<strong>der</strong>n, an den Menschen <strong>der</strong><br />

Vereinten Nationen sowie an allen, die sich dafür<br />

interessieren.<br />

Bei diesem Bemühen wollen wir die Zusammenarbeit<br />

suchen mit den Verantwortlichen <strong>der</strong><br />

Vereinten Nationen <strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en Nichtregierungsorganisationen.<br />

Unser Bemühen soll franziskanische Werte wi<strong>der</strong>spiegeln<br />

bezüglich<br />

<strong>der</strong> Sorge für die Armen,<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedens</strong>tiftens<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

Dies sind auch die Werte, die von den Vereinten<br />

Nationen in ihrer Charta <strong>und</strong> in ihrer Erklärung <strong>der</strong><br />

Menschenrechte zum Ausdruck gebracht werden.<br />

Die Entwicklung<br />

von Franciscans International<br />

1982 Ein Franziskaner in Malta <strong>und</strong> eine Franziskanerin<br />

aus den USA träumten von einer Präsenz<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Familie bei den Vereinten<br />

Nationen. In den folgenden Jahren greift ein Vorbereitungskomitee<br />

diese Idee auf. Die Zielsetzungen<br />

werden formuliert.<br />

1989 Im Februar erhalten die Franziskaner <strong>und</strong><br />

Franziskanerinnen den Status einer Nichtregierungsorganisation<br />

(NGO) bei <strong>der</strong> Abteilung für<br />

öffentliche Information bei <strong>der</strong> UN in New<br />

York. Ein Internationales Büro in New York<br />

wird eingerichtet.<br />

1990 Die sechs Generalminister <strong>und</strong> -ministerinnen<br />

<strong>der</strong> franziskanischen Orden erklären sich mit<br />

den Zielsetzungen einverstanden.<br />

1993 Im Mai erhält FI den sog. Roster Status<br />

(Kategorie III) beim Sozial- <strong>und</strong> Wirtschaftsrat<br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen in Verbindung mit<br />

<strong>der</strong> Kommission für nachhaltige Entwicklung<br />

zuerkannt. Das Projekt wird in Europa<br />

vorgestellt <strong>und</strong> es bildet sich ein Europäisches<br />

Exekutivkomitee.<br />

1994 Einrichtung eines deutschen Büros von FI<br />

bei <strong>der</strong> Interfranziskanische Arbeitsgemeinschaft<br />

(INFAG), einem Zusammenschluss<br />

deutschsprachiger franziskanischer Gemeinschaften<br />

mit einem Zentrum in Würzburg.<br />

1995 Am 14. Juni erhält FI den Konsultativstatus<br />

(Kategorie I) beim Sozial- <strong>und</strong> Wirtschaftsrat<br />

<strong>der</strong> UN.<br />

1996 Erstmals nimmt eine Delegation von FI an<br />

<strong>der</strong> jährlichen Tagung <strong>der</strong> Menschrechtskommission<br />

in Genf teil.<br />

255


■ Generalkapitel <strong>und</strong> Ordensräte<br />

1997 Im Februar wird – zusammen mit den<br />

Dominikanern – in Genf ein Internationales<br />

Büro (FI/OP Geneva Office) eingerichtet, welches<br />

sich aktiv in <strong>der</strong> Menschenrechtsarbeit<br />

engagiert. Das Büro wird aus Beiträgen <strong>und</strong><br />

Spenden finanziert.<br />

1999 Die Mitglie<strong>der</strong>versammlung von FI Deutschland<br />

wählt in Bamberg ein Koordinatorenteam<br />

für FI-Deutschland.<br />

INFAG-<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Frieden<br />

Die bestehenden Arbeitsgruppen für <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Frieden <strong>und</strong> Ehrfurcht vor <strong>der</strong> Schöpfung identifizieren<br />

sich mit <strong>der</strong> Arbeit von FI.<br />

Mitglied werden bei Franciscans International Deutschland<br />

Da die Arbeit von FI weltweit von den franziskanischen<br />

Gemeinschaften getragen wird,<br />

sind alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> franziskanischen Familie<br />

Teil von FI. Doch wer sich regelmäßig über<br />

FI informieren o<strong>der</strong> bei FI engagieren will, sollte<br />

seine Mitgliedschaft erklären.<br />

Für Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen <strong>der</strong> franziskanischen<br />

Familie ist die Mitgliedschaft eine<br />

persönliche Entscheidung. Mitglied werden<br />

kann je<strong>der</strong>/jede, <strong>der</strong>/die sich mit <strong>der</strong> Zielsetzung<br />

von FI einverstanden erklärt <strong>und</strong> bereit<br />

ist, die Anliegen von FI sowohl spirituell als<br />

auch finanziell mitzutragen. Für eine Einzelmitgliedschaft<br />

gilt jährlich ein Min<strong>des</strong>tbeitrag<br />

von 25,– DM; für Gruppen o<strong>der</strong><br />

256<br />

Warum engagieren sich Franziskanerinnen<br />

<strong>und</strong> Franziskaner bei den Vereinten Nationen?<br />

Sie haben in den Gremien <strong>der</strong> Vereinten Nationen ein<br />

Forum, in dem sie den Armen <strong>und</strong> Entrechteten eine<br />

Stimme verleihen können.<br />

Sie können in Fragen von weltweiter Bedeutung mit<br />

an<strong>der</strong>en Nichtregierungsorganisationen wirkungsvoll<br />

zusammenarbeiten<br />

Sie haben die Möglichkeit, den friedenstiftenden Geist<br />

von Franziskus <strong>und</strong> Klara von Assisi bekannt <strong>und</strong><br />

erfahrbar zu machen.<br />

Sie haben eine Anlaufstelle, um Informationen aus<br />

erster Hand zu erhalten <strong>und</strong> auf alle Ebenen weiterzuleiten.<br />

Gemeinschaften ein Min<strong>des</strong>tbetrag von<br />

100,– DM. Nähere Informationen zur Mitgliedschaft<br />

bei Franciscans International Deutschland:<br />

INFAG-Zentrum<br />

Franciscans International<br />

Haugerring 9<br />

97070 Würzburg<br />

Fax 0931/ 3 52 84 52<br />

Überweisung von Beiträgen<br />

<strong>und</strong> Spenden auf:<br />

Konto-Nr. 103 009 890,<br />

LIGA-Bank Würzburg BLZ 750 903 00

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