GLAUBEN LERNEN?! - Albrecht-Bengel-Haus
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Die BeDeutung Des AuswenDiglernens für Den glAuBen<br />
multikulturellen Horizont. Angesichts<br />
einer Vielzahl von Glaubensvorstellungen<br />
und religiösen Meinungen gilt<br />
es, die eigene Identität zu kennen und<br />
auch darüber Rechenschaft ablegen zu<br />
können. Voraussetzung solchen „Maßnehmens“<br />
ist allerdings, dass einem die<br />
Texte, am besten auswendig, zur Verfügung<br />
stehen. Wenn heute Pfarrer nicht<br />
selten über die mangelnden biblischen<br />
Grundkenntnisse mancher Kirchenvorstandsmitglieder<br />
klagen, und Theologieprofessoren<br />
bei vielen Studienanfängern<br />
denselben Eindruck haben,<br />
ist dies ein deutlicher Hinweis darauf,<br />
dass selbst uns Christen die selbstverständlichen<br />
Inhalte des Glaubens nicht<br />
mehr präsent sind. Wer sich aber über<br />
die eigenen Fundamente nicht mehr im<br />
Klaren ist, lässt sich leichter vom Strom<br />
der Meinungen und Weltanschauungen<br />
mitreißen. Durch das Auswendiglernen<br />
von Glaubenstexten lässt sich dem<br />
leichter widerstehen. Oder mit Rudolf<br />
Bachmann: „Wer den Geist der Väter<br />
verachtet, wird zum haltlosen Kind des<br />
Zeitgeistes“.<br />
SIcH IN üBERLIEfERTEN<br />
wORTEN BERGEN<br />
Nachdem der spätere Bischof Christian<br />
Zippert die Ehefrau von Rudolf<br />
Bultmann beerdigt hatte und Zippert<br />
dann als Direktor an das Predigerseminar<br />
in Hofgeismar ging, gab der Marburger<br />
Theologieprofessor ihm die<br />
Worte mit auf den Weg: „Sagen sie ihren<br />
Kandidaten, dass sie die alten Choräle lernen<br />
sollen. Es ist gut, sie im Gedächtnis<br />
zu haben, wenn die Augen nicht mehr<br />
lesen können. Das ist es, was mich jetzt<br />
Hören Sie Dr. Rolf Sons im ERF-Fernsehen und -Radio<br />
„Sorgenfrei glauben lernen – mit Martin Luther“<br />
auf ERF eins ab Dienstag 26.10., 20 Uhr<br />
(Wdh z.B. 29.10., 22.00, 31.10., 22.30 und<br />
in der Mediathek auf www.erftv.de)<br />
auf ERF Radio am Samstag 30.10., 21.30<br />
(Wdh. 1.11., 10.45)<br />
14 THEOLOGISCHE ORIENTIERUNG : Oktober – Dezember 2010<br />
aufrecht erhält.“ Es ist beeindruckend,<br />
dass ausgerechnet Rudolf Bultmann<br />
(1883-1976), der als Professor mit vielen<br />
Inhalten des überlieferten Glaubens<br />
gebrochen hatte, sich in einer Notsituation<br />
auf die Choräle besinnt und es<br />
jungen Predigern empfiehlt, sich dieselben<br />
anzueignen. Wenn nun aber<br />
schon Pfarrer und Prediger, die durch<br />
den beständigen Umgang mit diesen<br />
Texten eher vertraut sind, diese auswendig<br />
lernen sollen, um wie viel mehr<br />
gilt dies dann nicht für alle getauften<br />
Christen, dass sie sich die wichtigsten<br />
Psalmen, Choräle und Bibeltexte einprägen?<br />
Gerade in den Wechselfällen des<br />
Lebens ist es wichtig, die großen Trosttexte<br />
unseres Glaubens unmittelbar<br />
bei sich zu haben. Viele ältere Christen<br />
haben sich im Laufe ihres Lebens einen<br />
wahren Schatz an Glaubenstexten angeeignet.<br />
Oft hat dieser sie bis in ihre letzten<br />
Lebensstunden hinein begleitet.<br />
AUSwENDIG GELERNTES<br />
INwENDIG BEI SIcH TRAGEN<br />
Ein weiterer Vorteil des Auswendiglernens<br />
besteht darin, dass der Heilige<br />
Geist Schriftworte in uns wachrufen<br />
kann. So machen Seelsorger immer<br />
wieder die Erfahrung, dass der Heilige<br />
Geist sie an Worte Gottes erinnert, die<br />
sie in konkreten Situationen zusprechen<br />
können. Eine Voraussetzung solchen<br />
Zusprechens aber ist, dass der Seelsorger<br />
diese Worte auch inwendig in sich<br />
trägt. Das Auswendiglernen von Glaubenstexten<br />
und das inwendige In-sichtragen<br />
dieser Worte gehören untrennbar<br />
zusammen. Ein Vorbild will uns<br />
Maria sein. Sie hatte das Gehörte Wort<br />
für Wort gespeichert. Nur so konnte sie<br />
dieses im Herzen bewegen und später<br />
durch den Heiligen Geist an sie erinnert<br />
werden.<br />
EMpfANGENES IN fAMILIE UND<br />
GEMEINDE wEITERGEBEN<br />
In christlichen Familien kann es<br />
eine gute Möglichkeit sein, bestimmte<br />
Gebete wie etwa den Morgensegen<br />
Martin Luthers auswendig zu lernen.<br />
Sie werden erstaunt sein, wie leicht<br />
schon kleinere Kinder solche Texte lernen<br />
oder sie, sobald sie diese aus dem<br />
Mund ihrer Eltern immer wieder hören,<br />
mitsprechen können. Weitere Texte, die<br />
man zusammen in der Familie sprechen<br />
kann, sind die Psalmen 23, 121 und 139<br />
oder auch Paul Gerhards „Befiehl du<br />
deine Wege“.<br />
Neben der Familie, deren Prägekraft<br />
in den letzten Jahrzehnten immer mehr<br />
abgenommen hat, können auch andere<br />
diese Aufgabe übernehmen. So kann es<br />
zu einem festen Bestandteil in der Jungschar,<br />
der Kinderkirche, dem Konfi-3<br />
oder auch eines Jugendkreises werden,<br />
dass man sich einen Psalm vornimmt,<br />
indem man ihn bespricht, seiner Bedeutung<br />
für das eigene Leben auf die Spur<br />
kommt und ihn dann auswendig lernt.<br />
Keine Generation steht an einem<br />
Punkt „Null“. Vielmehr lebt sie von dem,<br />
was die vorhergehende ihr weitergegeben<br />
hat. Dieses anzunehmen, zu bewahren<br />
und an die nächste weiterzugeben,<br />
ist unsere Aufgabe.<br />
Dr. Rolf Sons<br />
Rektor<br />
FOTO: S. 13 Mele Avery/fotolia