Hiltruper Monatshefte - Hiltruper Missionare
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12<br />
Chicha ausgeschenkt. Und liebte er die<br />
Musik, dann winken sie eine Combo<br />
herbei, und über den Friedhof klingen<br />
die fröhlichen Melodien der Selva oder<br />
die melancholischen Weisen des Hochlands.<br />
Mancher hört still zu, versunken<br />
in Erinnerungen, andere singen mit,<br />
klatschen, tanzen und lachen.<br />
Auf der Suche nach Arbeit und Zukunft<br />
haben die Eltern Heimat und Kultur<br />
zurückgelassen. In Lima, in der Fremde,<br />
haben sie ihr Grab gefunden. Doch<br />
an Todos Santos wird dieses Grab zur<br />
Heimat auch für die Kinder und Enkel. Für<br />
24 Stunden lebt hier die Kultur der alten<br />
Heimat in den Liedern und Gebräuchen<br />
wieder auf. Und wer heute stirbt, so<br />
erzählen die Alten, dessen Seele braucht<br />
nicht zu warten. Sie kann hinübergehen<br />
in die andere Welt. Denn heute und nur<br />
heute, diesen einen Tag im Jahr, ist das<br />
Tor zur anderen Welt offen.<br />
José sucht noch immer das Grab seines<br />
Vaters. Es ist das Grab eines Armen und<br />
kostet 200 Soles, etwa 50 Euro. José<br />
sucht vergebens. Das Lattenkreuz mag<br />
umgefallen sein, die Steine fassen jetzt<br />
womöglich andere Gräber ein. Doch die<br />
Seele des Vaters ist da, davon ist der<br />
<strong>Hiltruper</strong> <strong>Monatshefte</strong><br />
Sohn überzeugt. Er gibt auf und trinkt<br />
mit dem Enkel an einem der improvisierten<br />
Kioske auf das Leben und das Wohl<br />
des Großvaters.<br />
Abends wird die Stimmung ausgelassener,<br />
bierseliger. Unzählige Kerzen<br />
flackern lebendig über die Hügel von<br />
Esperanza, so als wollten die Toten zum<br />
Tanz laden. Das Fest der Toten führt die<br />
Lebenden zusammen und lässt sie Kraft<br />
finden in der Erinnerung.<br />
Die Wurzeln des Brauches reichen zurück<br />
in vorspanische Zeiten. Damals mumifizierten<br />
die Inkas ihre Verstorbenen und<br />
verehrten sie in Fruchtbarkeitskulten.<br />
An diesem einen Tag zu Frühjahrsbeginn<br />
– so der alte Glaube – kehren die Seelen<br />
zurück in ihre trockenen Körper. Die Zeit<br />
der winterlich trockenen Todesstarre<br />
ist vorbei, und Mutter Erde, die Pacha<br />
Mama, erwacht zu neuem Leben. Deshalb<br />
vielleicht heißen die Toten in der<br />
Sprache der Inka „mallqui“, was Setzling<br />
oder Pflanze bedeutet. Die Seelen<br />
kommen mit dem Hauch des Windes<br />
von den Anden oder mit den Insekten,<br />
den Boten des erwachenden Frühlings.<br />
Speisen und Chicha werden ihnen dargebracht<br />
in einem großen Fest.