Arme Kinder in der Schweiz - Caritas Bern
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ist». Mit dem Sparen kennt sich jedes<br />
<strong>der</strong> <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> bestens aus.<br />
Letztes Jahr konnte Familie S. e<strong>in</strong>e<br />
Ferienwoche im Tess<strong>in</strong> verbr<strong>in</strong>gen.<br />
Das Wetter war schön, es war<br />
warm, es hatte so viele Ameisen<br />
wie <strong>in</strong> Brasilien, aber weil das Sozialamt<br />
den Bungalow bezahlte, aber<br />
halt nichts an die Extras, die auch<br />
zum Ferienglück gehören, gab es<br />
für die Familie ke<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>en Freuden<br />
wie hie und da e<strong>in</strong>e Glace o<strong>der</strong><br />
Besuche im Schwimmbad.<br />
Natalie sagt zwar: «Mami kann<br />
zaubern!», wenn sie davon erzählt,<br />
wie ihre beiden Brü<strong>der</strong> und sie von<br />
<strong>der</strong> Mutter zum Geburtstag stets<br />
Geschenke erhalten. Aber sie weiss,<br />
dass ihr grosser Wunsch für den<br />
nächsten Geburtstag – mit ihren<br />
Freund<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e Bowl<strong>in</strong>gbahn <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Restaurant besuchen, so wie<br />
es an<strong>der</strong>e Mädchen <strong>in</strong> ihrer Klasse<br />
auch machen – möglicherweise e<strong>in</strong><br />
Wunsch bleiben wird. «Es kostet<br />
halt», sagt sie nüchtern. «Mami<br />
sagt, dass sie es probiert, aber vielleicht<br />
geht es nicht.»<br />
Haustiere liegen nicht dr<strong>in</strong><br />
Sven weiss, dass se<strong>in</strong> Wunsch nach<br />
e<strong>in</strong>em Hund unerfüllbar ist. Haustiere<br />
s<strong>in</strong>d im Budget nicht vorgesehen.<br />
Die Meerschwe<strong>in</strong>chen und<br />
Hamster, die sie vor e<strong>in</strong>iger Zeit<br />
von e<strong>in</strong>em wegziehenden Nachbarn<br />
übernommen hatten, mussten sie<br />
aus demselben Grund weiterverschenken.<br />
«Das Futter war zu teuer»,<br />
erklärt Sven.<br />
Aber daneben gibt es viele D<strong>in</strong>ge,<br />
die Spass machen und wenig bis<br />
nichts kosten. Geme<strong>in</strong>sam Kuchen<br />
backen! Geme<strong>in</strong>sam brasilianische<br />
Gerichte kochen! Geme<strong>in</strong>sam<br />
Spiele spielen! «Ich liebe me<strong>in</strong>e<br />
<strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> und ich liebe es, mit ihnen<br />
Zeit zu verbr<strong>in</strong>gen», sagt Frau S.<br />
Und Sven fügt an: «Es kommt gar<br />
nicht so fest drauf an, was wir machen<br />
– Hauptsache, wir machen es<br />
geme<strong>in</strong>sam.»<br />
Nachbarn 1 / 12<br />
KommENtAr<br />
Wie bee<strong>in</strong>trächtigt Armut die Entwicklung von <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong>n?<br />
Michael Marugg,<br />
Mitglied <strong>der</strong> Eidg. Kommission für<br />
<strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong>- und Jugendfragen (EKKJ)<br />
Schwerpunkt<br />
Materielle Armut bedeutet nicht nur weniger Geld, sie zieht Nachteile<br />
für die <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> und die ganze Familie <strong>in</strong> vielen Lebensbereichen<br />
nach sich. Weniger soziale Kontakte, schlechtere Lernmöglichkeiten,<br />
mangelhafte Gesundheitsvorsorge müssen aufgeholt werden,<br />
bevor e<strong>in</strong>e chancengleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben<br />
möglich wird. Materielle Armut kann Eltern <strong>der</strong>art beanspruchen,<br />
dass sie ihre Verantwortung gegenüber den <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong>n nicht mehr<br />
wahrnehmen können, und <strong>der</strong> Stress kann sogar das Risiko von<br />
Misshandlungen erhöhen.<br />
Fallen arme <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> auf?<br />
Armut versteckt sich und will sich suchenden Blicken entziehen.<br />
<strong>Arme</strong> <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> s<strong>in</strong>d als Persönlichkeiten nicht auffälliger o<strong>der</strong> unauffälliger<br />
als an<strong>der</strong>e. Trotz-<br />
«Armutsbetroffene<br />
<strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> haben<br />
schlechteren<br />
Zugang zu höherer<br />
Bildung.»<br />
dem weiss man, <strong>in</strong> welchen<br />
Quartieren sicher ke<strong>in</strong>e reichen<br />
Leute wohnen. Gleichaltrige<br />
haben e<strong>in</strong>en scharfen<br />
Blick dafür, wem die<br />
M<strong>in</strong>imalausstattung an materiellen<br />
D<strong>in</strong>gen fehlt. Die<br />
Statistik zeigt, dass armutsbetroffene<br />
<strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> schlech-<br />
teren Zugang zu höherer Bildung haben. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes armes K<strong>in</strong>d<br />
fällt vielleicht nicht auf, die Armut von <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong>n dagegen schon,<br />
wenn man nicht wegschaut.<br />
Welche Perspektiven haben <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> aus armen Familien?<br />
Vom-Tellerwäscher-zum-Milliardär-Karrieren s<strong>in</strong>d möglich, werden<br />
aber die Ausnahme zur Regel e<strong>in</strong>es hohen Risikos se<strong>in</strong>, dass sich<br />
Armut vererbt. Das muss nicht tatenlos h<strong>in</strong>genommen werden. Die<br />
Startl<strong>in</strong>ie für armutsbetroffene <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> kann verbessert werden, beispielsweise<br />
mit e<strong>in</strong>er adäquaten Existenzsicherung, Mentor<strong>in</strong>g-Projekten<br />
o<strong>der</strong> situationsgerechter Unterstützung <strong>der</strong> Eltern <strong>in</strong> ihrer<br />
Erziehungsaufgabe. Haben <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong> e<strong>in</strong>e gute Gegenwart, haben sie<br />
auch bessere Zukunftschancen. Dafür hat sich die Eidgenössische<br />
Kommission für <strong>K<strong>in</strong><strong>der</strong></strong>- und Jugendfragen (EKKJ) im Bericht «Jung<br />
und arm: das Tabu brechen» engagiert.<br />
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