Vicki Baum - Filmarchiv Austria
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NICOLE STREITLER<br />
Die 1888 in Wien geborene und 1960 in Hollywood<br />
gestorbene populäre Erfolgsautorin <strong>Vicki</strong> <strong>Baum</strong><br />
schuf als kluge Beobachterin ihrer Zeit und als<br />
amüsante Kritikerin der Massengesellschaft in den<br />
1920er-Jahren den Typus der »neuen Frau«, die als<br />
Sekretärin, Verkäuferin und als erotisch attrak-<br />
tive moderne Frau in der Großstadt ein Leben mit<br />
Kindern, Haushalt, Beruf und Karriere zu meistern<br />
versucht. In ihrem ersten Bestsellerroman Stud.<br />
chem. Helene Willfüer (1928) ist sie eine literarische<br />
Anwältin des Frauenstudiums und der Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie für Frauen. In Menschen im<br />
Hotel (1929), ihrem global best seller, thematisiert<br />
sie den Verlust von Bindung und Verbindlichkeit,<br />
die alles beherrschende Macht des Geldes und<br />
die unaufhebbaren ökonomischen und sozialen<br />
Gegensätze der modernen Gesellschaft. Zugleich<br />
begründete sie mit diesem Roman gewissermaßen<br />
zwei neue Genres: den Hotelroman, der sich in<br />
unzähligen (auch filmischen) Reprisen bis heute<br />
großer Beliebtheit erfreut, und die group novel, den<br />
Gruppenroman.<br />
Weil <strong>Vicki</strong> <strong>Baum</strong> selbst ihre Karriere als Redakteu-<br />
rin und Lektorin im Ullstein Verlag begann und ihr<br />
erster Roman Feme (1926), in dem sie das Attentat<br />
auf Walter Rathenau literarisch verarbeitete, im<br />
Feuilleton der Berliner Illustrierten Zeitschrift als<br />
Fortsetzungsroman abgedruckt wurde, weil die rou-<br />
tinierte Schriftstellerin Geld mit Liebesgeschichten,<br />
Reiseliteratur und trivialer Sozialkolportage<br />
VIcKI BAUM<br />
GRAND HOTEL | US 1932<br />
verdiente, stand die Rezeption ihres Werkes lange<br />
im Zeichen des Kitsches. Sten Nadolny beispiels-<br />
weise spricht von einer Neigung zum Kitsch und zu<br />
kleineren moralischen Anfällen, hebt aber gleichzei-<br />
tig die erzählerische Ökonomie, das Augenmaß und<br />
den Sinn für überraschende Wendungen hervor, die<br />
das ganze Werk kennzeichne, und die man ihr erst<br />
einmal nachmachen müsse.<br />
Diese Orientierung an tradierten Erzählmustern und<br />
die Neigung zu einer versöhnlichen Deutung von<br />
Krisen und Katastrophen, die das Werk (über vierzig<br />
Romane und Erzählungen) durchziehen, haben die<br />
Literaturwissenschaft meist daran gehindert, die<br />
wirklichen Qualitäten desselben zu erkennen. Die<br />
in der Literaturkritik lange vorherrschende Skepsis<br />
gegenüber möglichen Veränderungen der ästhe-<br />
tischen Form und einem entschieden politischen<br />
Anliegen im Werk der 1931 ins amerikanische Exil<br />
gegangenen jüdischen Autorin hat eine junge<br />
Generation kulturwissenschaftlich orientierter<br />
Literaturwissenschaftlerinnen dennoch nicht davon<br />
abgehalten, das literarische Werk der <strong>Vicki</strong> <strong>Baum</strong><br />
neu zu lesen. In jüngster Zeit wird die Schriftstelle-<br />
rin geradezu als eine geschickte und versierte Spie-<br />
lerin mit Versatzstücken aus der zeitgenössischen<br />
(neusachlichen) Literatur und als intelligente und<br />
witzige Kommentatorin der neuen Medien wieder<br />
entdeckt und neu gelesen. Besondere Aufmerksam-<br />
keit erfährt das Werk <strong>Vicki</strong> <strong>Baum</strong>s durch Neuausga-<br />
ben, insbesondere der in der Berliner Zeit entstan-<br />
denen Texte. Im Aviva Verlag erschien 2006 in einer<br />
von Julia Bertschik herausgegebenen Edition die<br />
Komödie Pariser Platz 13 (1930) gemeinsam mit<br />
einer Reihe feuilletonistischer Texte der Autorin,<br />
die im Zusammenspiel mit ihrem literarischen Werk,<br />
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