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Journal Franz Weber Nr. 98 - Fondation Franz Weber

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38 JFW | Gesellschaft<br />

Anleitung zur Arbeit<br />

an der Erleuchtung<br />

■ Dominique Maurer<br />

Was brauchen wir jetzt<br />

noch, am Ende dieses<br />

Jahres? Was ist noch<br />

nicht gesagt worden? Was<br />

sollten wir noch tun, um<br />

nach einem weiteren<br />

Winterschlaf unbescholten<br />

in einen neuen Frühling<br />

hinein aufzuwachen?<br />

Wo stehen wir mit unserer<br />

Erde, mit unseren<br />

Ressourcen, mit unserer<br />

Lebenskraft, mit unserer<br />

Perspektive?<br />

«Erden»<br />

Lassen wir – trotz unseren<br />

vorweihnachtlichen Geschenkkauftouren<br />

und Heilig-Abendvorbereitungen<br />

–<br />

den Zwang zum Wirtschaftswachstum<br />

für einen Moment<br />

beiseite und richten wir unsere<br />

Gedanken auf das, was<br />

wir jetzt für uns selber noch<br />

erledigen wollen, was wir<br />

noch säen möchten, damit es<br />

im nächsten Jahr wachsen<br />

kann. Am Anfang aller<br />

Übung steht die «rückläufige<br />

Bewegung». Das ist die Bewegung,<br />

die dem kapriziösen<br />

Ich, das auf der obersten Stufe<br />

einer wackeligen Leiter<br />

steht und noch immer nach<br />

oben strebt, zurück zu einer<br />

Tiefe des Ursprungs verhilft.<br />

Man nennt diesen reinigenden<br />

und heilsamen Prozess<br />

auch «Erden». Wer sich aus<br />

der Hetze des Alltags und der<br />

Verstrickung in Pflichten,<br />

die die rationalen Kräfte des<br />

Denkens und Wollens übermässig<br />

belasten, im Erlebnis<br />

des Waldes, des Wassers oder<br />

der Berge von seinen Spannungen<br />

löst und aufjauchzt<br />

in der Beglückung der in ihm<br />

befreiten Natur, für den hat<br />

das «Herrliche», das er hier<br />

erlebt, einen Wert von unbeschreiblich<br />

exquisitem Charakter<br />

und himmlischem<br />

Wohlbefinden. Er erfährt die<br />

Befreiung einer seiner eigenen<br />

Natur innewohnenden,<br />

transzendenten Kraft ursprünglichen<br />

Lebens (vgl.<br />

Dürckheim, Karlfried Graf,<br />

«Hara, die Erdmitte des Menschen»,<br />

1<strong>98</strong>9, S. 102).<br />

Sich auf seine Wurzeln zu<br />

besinnen, ist ein immer<br />

wieder ein befreiender<br />

Augenblick<br />

Angesichts der aktuellen<br />

Jahreszeit scheint es angemessen,<br />

auf den bald endenden<br />

Jahreszyklus zurückzublicken<br />

und – bevor sich die<br />

Seele in neue Abenteuer<br />

stürzt – einen Augenblick inne<br />

zu halten, um einen Art<br />

«Kontrollgang» zu unternehmen<br />

durch die eigenen Speicher<br />

und Reservoire, für einen<br />

gut vorbereiteten Neuanfang<br />

im nächsten<br />

Frühling. Paradoxerweise<br />

sollten zu diesem Zweck unsere<br />

seelischen Speicher<br />

möglichst leer sein – frei von<br />

Energie bindendem Unrat,<br />

wie nicht eingelöste Versprechen,<br />

unnötige Beleidigungen,<br />

gedankenlose Verschandelung<br />

oder gar mutwillige<br />

Zerstörung von Lebendigem.<br />

Alles muss an seinen Platz<br />

zurück gebracht werden, bevor<br />

es wieder von vorne losgehen<br />

kann. So will es das<br />

Gesetz des Gleichgewichts.<br />

Das Schöne ist, dass es anschliessend<br />

nichts mehr zu<br />

tun gibt. Die ganzen Vorbereitungen<br />

zur grossen Übung<br />

waren die eigentliche Übung.<br />

Die Zeichen des Seins<br />

Jetzt heisst es nur noch, sich<br />

niederzulassen, sich getrauen,<br />

einfach zu SEIN, ohne zu<br />

erwarten. Der Sinn des<br />

Übens ist nicht die Gewinnung<br />

eines grösseren weltlichen<br />

Wissens oder Könnens,<br />

sondern die Verwirklichung<br />

eines höheren Seins. Allzu<br />

leicht verfällt man in dieser<br />

Phase dem Irrtum, den Erfolg<br />

seines Tuns sich selbst<br />

zuzuschreiben, und man entgeht<br />

ihm nur, wenn man sich<br />

immer wieder auf jene primären<br />

Voraussetzungen allen<br />

Übens besinnt: nämlich<br />

auf jene Kräfte des Lebens,<br />

die ohne das Zutun des Men-<br />

<strong>Nr</strong> <strong>98</strong> Oktober | November | Dezember 2011<br />

schen auf seine gesunde Entwicklung<br />

hinwirken. So ist es<br />

immer nur ein Bereithalten<br />

des Gefässes, ein Schaffen<br />

von Bedingungen, in der das<br />

Sein, das Leben, hervorkommen<br />

und Gestalt werden<br />

kann. Die geistigen Ressourcen<br />

sind NICHT knapp: Nutzen<br />

wir sie, rüsten wir uns<br />

mit Leere und Bescheidenheit,<br />

machen wir der Kreativität<br />

und dem Leben Platz!<br />

Wünschen wir uns Bewegung<br />

zu Weihnachten: frischen<br />

Wind, murmelnde Bäche, Vogelzwitschern,<br />

neugierige<br />

Blicke von Eichhörnchen<br />

und vielleicht sogar eines<br />

Rehs, das uns nicht gesehen<br />

hatte. Das Knistern der trockenen<br />

Blätter und Knacken<br />

des morschen Holzes am Boden,<br />

wenn wir uns einen wachen<br />

Spaziergang durch den<br />

Wald gönnen. Mehr braucht<br />

es nicht, da ist alles drin. ■

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