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1995 - Landzunft Regensdorf

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Da gab es noch den Postil. Selbstverständlich gibt es den<br />

Briefträger noch heute. Allerdings mit dem Unterschied,<br />

dass seine Arbeitszeit damals doppelt solang war. Über<br />

viele Jahre vertrug «der Postli» Briefe und Päckli vom<br />

Seehholz übers Gheid bis ins Rechenbüehl. Damit ist der<br />

stets hinkende und in entsprechender Schräglage lau<br />

fende Albert Schwarz gemeint. Nebst der täglichen Post<br />

zustellung sechsmal die Woche, musste er früh morgens<br />

mit seinem Handkarren die Post vom ersten Zug in Emp<br />

fang nehmen. Da damals die Dorfstrassen noch ohne<br />

Teerbelag war, ersetzte frühmorgens der vom Postli vor<br />

sich hergeschobene Karren den Strassenanwohnern den<br />

zuverlässlichsten Wecker. Von morgens fünf bis abends<br />

fünf Uhr war Albert unterwegs. Und war seine Tour zu<br />

Ende, so legte er im Landwirtschaftsbetrieb des Posthal<br />

ters — der sein Arbeitgeber war — noch Hand an.<br />

Da gab es noch den Strassenmeistei Er unterstand den<br />

kantonalen Behörden. Den grossen Besen vor sich her<br />

schiebend, durchlief der grossgewachsene Arnold jeden<br />

Samstag die Dor[strassen. Da ihn kein Randstein daran<br />

hinderte das vor sich her Gewischte auf die anstossende<br />

Wiese zu entsorgen, gab es nichts zum Aufladen. Den zu<br />

den Utensilien gehörenden Stosskarren liess er deswe<br />

gen zu Hause. Begegnete er jemandem am Strassen<br />

rand, wechselte der bedächtig und in sich gekehrte<br />

Arnold, weiterwischend, mit diesem einige Freundlichkei<br />

ten. Trotz der nicht sehr hoch angesehenen Funktion<br />

eines «Wegknechtes« genoss Arnold Schwarz vom<br />

ganzen Dorf grossen Respekt. Schliesslich war er auch<br />

einige Zeit Kommandant der Watter Feuerwehr.<br />

Da gab es noch den Vontobel, ein kurliges Original. Er<br />

schlief nie in einem Bett, ausser, als er nach einem Bein<br />

bruch kurz das Spital aufsuchen musste. Sein zuhause<br />

war ob Karl Meier‘s Stall. Da war Stroh und Heu genü<br />

gend vorhanden. Hier hatte er sein «Wohnrecht». Im Dorf<br />

wurde er immer dann aufgeboten, wenn irgendwo eine<br />

Wasserleitung zerbarst oder sonst ein Graben auszuhe<br />

ben war. Des öftern war sein Arbeitsplatz knietief mit<br />

Wasser gefüllt. Mit Fluchen und Schimpfen unter seinem<br />

schwarzen Pastorenhut war er jedoch jeder Tiefe ge<br />

wachsen. Stets trug er lange Stiefel. Ob diese das Was<br />

ser abhielten, war nicht auszumachen. Nach getaner Ar<br />

beit kaufte er sich öfters bei Frau Fassnacht eine<br />

Schokolade. Stand gerade ein Bubli glustig vor dem Krä<br />

merladen, war auch ihm eine Süssigkeit sicher. Vontobel<br />

verkörperte die rauhe Schale mit dem weichen Kern.<br />

Da gab es noch den Schärmuusei Ihm allein war erlaubt,<br />

quer über alle Wiesen zu gehen. Ab und zu kniete er nie<br />

der und grübelte nach den Gängen der lichtscheuen<br />

Schären. Das Mausen war sein Beruf. Darüber hinaus<br />

spielte er mit der Handorgel bei Tanzanlässen. Als Schär<br />

26<br />

mauser stand er in der Anstellung der Zivilgemeinde. All<br />

jährlich musste er der Versammlung über seinen Erfolg<br />

Rechenschaft ablegen. Kurz vor diesem Rapport mag<br />

den Mäusen das Lachen vergangen sein, doch danach<br />

liess er sie wieder in Ruhe. Als bekannt wurde, dass er<br />

sich von verschiedenen Gemeinden im Tal als Feldmau<br />

ser hatte verdingen lassen, wurde er aus dem Dienst un<br />

serer Gemeinde entlassen. Man war sich einig, dass<br />

seine Fangquote mit zunehmender Fläche zurück gehen<br />

musste. Seine Entlassung aber löste die Befürchtung<br />

einer Mäuseplage aus. Wie sich später herausstellte, war<br />

sie unbegründet.<br />

Diese Schilderungen vom Leben im Dorf könnten noch<br />

ergänzt werden. Doch dürfte das nicht geschehen, ohne<br />

auf die Mühsamkeiten der damaligen Zeit aufmerksam zu<br />

machen. Im Vergleich zu heute war das Leben früher we<br />

niger hektisch, stellte aber dafür körperlich und existen<br />

ziell grössere Anforderung. Den Begriff «Freizeit« gab es<br />

noch nicht. Es lebten unsere Vorfahren bescheidener,<br />

aber sie waren deswegen nicht weniger glücklich als wir<br />

heute.

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