alexander fehling miriam stein moritz bleibtreu material - GEW
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Halbnahe in Schnitt / Gegenschnitt erpresst sie ihn nun mit<br />
Luftanhalten zum Vortrag eines Gedichts und sie benennen<br />
sich gegenseitig – wie schon häufig im Film – mit Eigenschafts -<br />
wörtern. Während dieser so deutlich retardierenden Aktion als<br />
Liebesspiel wechselt die Kamera zwischen der Totale auf die<br />
beiden in der Landschaft und auf die Nahe ihrer jeweiligen<br />
Gesichter. Bis Lotte schließlich in einer Totale umfällt und wir<br />
darüber ebenso erschrecken wie Johann nach ihrem Luftanhalten.<br />
Doch er fängt sie natürlich auf und sagt ihr nun nah ins<br />
Gesicht seine Liebeserklärung als zitiertes Gedicht „es schlug<br />
mein Herz geschwind zu Pferde…“ (verkürzt aus WILLKOMMEN<br />
UND ABSCHIED).<br />
In schnellem Wechsel zwischen beiden Gesichtern nah wächst<br />
unsere Spannung auf ihre Reaktion nun zu ihrem erfüllten<br />
Wunsch, der schon in der vorigen Sequenz (s.o.) gepflanzt war<br />
und wovon sie nun weiß, dass es ihr selbst gilt und nicht nur<br />
so zitiert ist. Doch statt etwa eines Kusses erschreckt uns Lotte<br />
mit der Antwort „lächerlich!“ Wir bleiben auf ihrem Gesicht<br />
und sie wiederholt „Das ist wahrlich lächerlich, dass Sie nicht<br />
an sich glauben.“<br />
Mit dieser Antwort als Höhepunkt der Sequenz statt einer<br />
zärtlichen körperlichen Annäherung leistet die Szene für die<br />
Liebesgeschichte einerseits eine erneute Retardation, anderer -<br />
seits auch eine deutliche Aussage zu ihrer Beziehung, die<br />
nicht in eine erfüllte Liebes-Partnerschaft münden wird. Lotte<br />
ist die erste, die sein Talent anerkennt und sie wird ihn dafür<br />
lieben und unterstützen. Damit ist diese Szene sehr deutlich<br />
und emotional in den Gesamtrahmen des Biopic gehoben,<br />
wo es um Wertschätzung und Erfolg geht. Mit dem Dialogsatz<br />
weist sie ihn auch ganz entschieden auf sich selbst zurück,<br />
wo er für sein Scheitern oder Gelingen selbst verantwortlich<br />
ist (wie er es übrigens auch am Anfang bei der Prüfung schon<br />
war). Er darf von ihr nichts dazu erwarten; nicht sie ist es, die<br />
sein Lebensglück ausmacht – es geht um ihn selbst und seine<br />
Dichtung. Im Vergleich zum WERTHER-Text führt dieser Satz<br />
neben der Anspielung auf Lotte als große rettende Liebesvision<br />
auch zu einem entscheidenden Motiv von Werthers Selbstmord<br />
im Roman hin, seinem mangelnden Selbstwertgefühl.<br />
Die Sequenz endet mit einem Gewitter als Spiegel der Gefühle<br />
wie im WERTHER und nötigt das Paar, die jetzt ganz und gar<br />
wissen, was sie voneinander halten, in erneuter Landschafts-<br />
Totale zum Unterschlupf in einer Ruine – und damit zur Erfüllung<br />
ihrer und unserer Liebeserwartung an dieser Stelle des<br />
Romantischen Dramas.<br />
So hat diese Sequenz ohne direkte Handlungsübersetzung<br />
vom Roman zum Film in ihren beiden Höhepunkten sowohl<br />
die Form der Romanvorlage – die Briefe – dramatisch und<br />
emotional übertragen und sogar hervorgehoben, als auch das<br />
Thema von Selbstwert und Kunstschöpfung aus dem WERTHER<br />
zu GOETHE! geholt. Für diese Art der indirekten Detail-Übertragung<br />
von einem Medium ins andere steht diese Sequenz<br />
paradigmatisch und soll ermuntern, noch weitere solche<br />
Charakteristika der Verfilmung aufzuspüren.<br />
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