26.07.2013 Views

BALTIC MEETINGS - Baltic Writers Council

BALTIC MEETINGS - Baltic Writers Council

BALTIC MEETINGS - Baltic Writers Council

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

ziemlij“ und spiegelt das ostpreußische Erbe wieder, das jetzt in Europa ein gemeinsames Erbe<br />

ist. In diesem Buch haben wir auch eine Reihe russischer Schriftsteller vorgestellt. Vorher<br />

kannte kein Mensch russische Schriftsteller aus Kaliningrad. Die Dichterin Apollinaria Sujewa<br />

schreibt in ihrem 1992 verfassten Gedicht:<br />

Luisenallee – was sagt dieser Name?<br />

Wessen Geschicke verbanden sich hier und sangen?<br />

Ahorne wiegen sich, lichterfüllt,<br />

Woran erinnern sie sich in der Luisenallee?<br />

Ich selbst stamme aus Wartenburg bei Allenstein, das heute Barczewo kolo Olsztyna heißt.<br />

In der kommunistischen Zeit war eine Identifizierung mit meiner Heimat nicht möglich.<br />

Jetzt geht das. Ich wäre ein unverbesserlicher ermländischer Provinzler, wenn ich mich jetzt<br />

ausschließen und bei „Borussia“ nicht mitmachen würde.<br />

Auf diese Weise die Heimat wiedergewinnen, d. h. das geistige Erbe aufspüren und pflegen,<br />

das ergibt Sinn. Da kann man die Heimat wiederfinden und zu ihr intentional zurückkehren.<br />

Das führt zu einer neuen Identifikation. So müsste das auch in Kaliningrad möglich sein.<br />

Das Gedenken an das Vergangene und Verlorene ist ein normaler Vorgang, der nichts<br />

mit Revanchismus zu tun hat. Dagegen ist ein Anspruchdenken und Habenwollen in der<br />

heutigen Zeit ungebührlich und unversöhnlich. Wer das betreibt, tut so, als hätte eine<br />

Aussöhnung überhaupt noch nicht stattgefunden. Wir müssen endlich zu einer gemeinsamen<br />

Erinnerungskultur kommen. Deutsche, Russen, Polen dürfen nicht der eigenen Erinnerung<br />

gleichsam gegen den anderen, gegen den Nachbarn nachgehen, sondern wir müssen unser<br />

Erbe, das gewesene und das neue, zusammen tragen und pflegen. Dann werden auch Vorurteile<br />

abgebaut werden. Immanuel Kant war nun einmal ein Deutscher, aber ihn studieren und<br />

pflegen können wir doch gemeinsam. Ähnlich ist es mit Kopernikus oder Veit Stoß in Polen.<br />

Oder: Papst Johannes Paul II.? Dessen Erbe gehört nicht nur den Polen, es gehört der ganzen<br />

Welt. Obgleich er Pole war. Es wäre kleinkariert, wollten die Polen dieses Papst nur als den<br />

ihren bezeichnen.<br />

Eine Russin aus Kaliningrad sagte mir einmal: Seit wir hier Gräber haben, haben wir hier auch<br />

unsere Kultur. Richtig. Und die Deutschen hatten hier auch ihre Kultur und ihre Gräber, die<br />

ja noch da sind, wenn auch vermutlich unsichtbar. Deshalb können Deutsche und Russen<br />

ihrer Toten auch gemeinsam gedenken. Die Kultur der Erinnerung ist ein Prozess. Da den<br />

Krieg sehr viele Menschen erlebt haben, ist es ein Prozess der kollektiven Erinnerung, wobei<br />

jeder Mensch, jeder Deutsche, Russe, Pole, dasselbe Ereignis etwas anders erinnern wird. Und<br />

so wird die Vergangenheit erinnert und tradiert je nach den sich verändernden Verhältnissen<br />

der Gegenwart. Die Erinnerung wirkt daher nach rückwärts und vorwärts.<br />

In den Nachkriegsjahren haben alle ihr Erleben anders erinnert als heute, das ist verständlich, es<br />

darf nur nicht verschüttet werden, es darf kein Gras darüber wachsen. Heute, im gemeinsamen<br />

Europa, müssen wir das Erinnerte an die junge Generation weiter geben. Wenn wir das nicht<br />

tun, werden wir mitschuldig an künftigen Konflikten. „Die kulturelle Erinnerung bewahrt die<br />

faktische Geschichte nicht auf, sie bewahrt lediglich die erinnerte Geschichte... Diese ist aber<br />

keineswegs unwirklich, im Gegenteil, erst als erinnerte Geschichte wird sie zur normativen<br />

Kraft, die die Realität bestimmt“ – so heißt es in einem deutsch-polnischen Werk über die<br />

Erinnerung an die Kriegszeit, das bei „Borussia“ erschienen ist.<br />

Der polnische Lyriker Kazimierz Brakoniecki in Olsztyn schreibt in einem seiner Gedichte:<br />

„Die Heimat des Menschen ist der andere Mensch“, ein sehr wahres Wort, das man aus<br />

ideologischen Gründen seinerzeit vermutlich so nicht einmal ausdrücken durfte. Der<br />

17

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!