Untersuchungskommission des Wiener Gemeinderates
Wörtliches Protokoll 3.4.2008 - Der Wiener Psychiatrieskandal
Wörtliches Protokoll 3.4.2008 - Der Wiener Psychiatrieskandal
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<strong>Untersuchungskommission</strong> 3. April 2008 2. Sitzung / 35<br />
schreibt, es ist in dieser oder dieser oder dieser<br />
Sache so oder so zu verfahren, oder ist es besser<br />
so, dass die Politik einfach eben die Rahmenbedingungen<br />
vorschreibt und die Medizinerin<br />
und der Mediziner vor Ort entscheidet nach<br />
wie vor mit dem Hintergrund der unterschiedlichen<br />
Traditionen, die es dort gibt, mit dem Unterschied<br />
der eigenen Willensbildung, die man<br />
sich allein oder im Kollektiv der ÄrztInnen getroffen<br />
hat, welche Maßnahme dann jeweils zu treffen<br />
ist.<br />
Univ.-Prof. Dr. Hinterhuber: Herr Gemeinderat!<br />
Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar für diese<br />
sehr differenzierte Fragestellung.<br />
Ich bin bei der letzten - Vorschriften von Seiten<br />
der Politik, eine allgemein sehr sozialphilosophisch,<br />
sozial-politisch auch zu diskutierende<br />
Frage. Ich bin froh persönlich, wenn nicht<br />
alles reglementiert ist, wenn wir doch noch einen<br />
bestimmten Spielraum haben, wo wir eben auch<br />
dem Einzelfall besser gerecht werden können,<br />
wo wir nicht nur nach einem ganz festgelegten<br />
Schema vorgehen müssen, dass eben auch<br />
unterschiedliche Traditionen, unterschiedliche<br />
Schweregrade der Erkrankung, unterschiedliche,<br />
oft auch schwer differenzierbare – also wir können<br />
nicht alles in Schweregrade, wie in einer<br />
Thermometerskala, einteilen. Es gibt sicherlich<br />
auch Grauflächen. Ich bin froh, wenn wohl Richtlinien<br />
da sind, Leitlinien, aber wenn nicht alles<br />
von Seiten von der Öffentlichkeit reglementiert<br />
wird, wenn bestimmte Spielräume noch da sind.<br />
Bei der Masernepidemie würde ich die Spielräume<br />
gerne einengen. Ich würde da eben auch<br />
eine – wenn wir 95 Prozent der Bevölkerung<br />
geimpft haben, dann haben wir keine Masernproblematik<br />
mehr. In Tirol haben wir 60 Prozent<br />
und haben ohnedies noch für Österreich, glaube<br />
ich, einen noch passablen Durchimpfungsgrad.<br />
Aber hier würde ich auch, und dasselbe gilt natürlich<br />
noch bei der Kinderlähmung. Wir sind<br />
natürlich auch, weil wir vieles nicht sehen, nachlässig<br />
und missachten die latente Gefahr, gerade<br />
in einer globalisierten Welt, wo eben auch<br />
Krankheitserreger innerhalb von wenigen Stunden<br />
von einem Kontinent zum anderen eben<br />
auch verschleppt werden könnten.<br />
Sie sehen, dass ich selbst eben auch – bei<br />
den Masern bin ich für eine ganz starre Reglementierung,<br />
bei anderen hätte ich gerne einen<br />
größeren Entscheidungsfreiheitsraum.<br />
Bezüglich der Freiheitsbeschränkung. Sicherlich,<br />
ich persönlich kann mich auch noch immer<br />
sehr deutlich an eine Aussage eines meiner<br />
Mitarbeiter erinnern, der einen alten Mann in<br />
einem Gitterbett beobachtet hat, zu Tode traurig,<br />
weniger depressiv, sondern traurig, jetzt bin ich<br />
dort gelandet. Während in meiner Beobachtung<br />
auch einmal eine kurzfristige Fixierung, um eben<br />
auch ein Medikament verabreichen zu können,<br />
ja nicht so traumatisierend erlebt wird, das ist<br />
sicherlich meine Überzeugung, die von, ich<br />
glaube, einer Mehrheit in Österreich und darüber<br />
hinaus auch geteilt wird.<br />
Ich muss vielleicht eben auch noch eine Korrektur<br />
darin anbringen, Sie haben mit Recht e-<br />
ben auch so die mechanische Fixierung mit Gurten<br />
besprochen, Sie haben eben auch hier das<br />
Netzbett erwähnt und haben so als dritte Freiheitsbeschränkung<br />
eine eher Ruhigstellung<br />
durch Medikamente erwähnt. Das entspricht<br />
sicherlich sehr häufig eben auch eher der Angabe<br />
vieler Patienten – „man hat mich voll gepumpt<br />
mit Medikamenten“. Aber die Medikamente, die<br />
zur Sedierung dienen, sind therapeutisch hoch<br />
wirksame Substanzen. Wir geben einem Menschen,<br />
der in diesem aggressiven Zustand auf<br />
Grund einer veränderten Realitätswahrnehmung<br />
nicht eine hohe Dosis von Valium, vielleicht geben<br />
wir auch diese noch hinzu, um eine raschere<br />
Sedierung zu erreichen. Aber wir geben ihm ein<br />
antipsychotisch wirken<strong>des</strong> Medikament, dass wir<br />
die Chance nützen, eben auch ihn zu beruhigen<br />
und auch mit einem spezifisch wirkenden Antipsychotikum,<br />
das auch dämpfend wirkt, ihm<br />
gleich auch eine ganz gezielte therapeutische<br />
Intervention zukommen zu lassen.<br />
Vorsitzender Dr. Baumgartner: Frau Dr. Pilz,<br />
bitte.<br />
GRin Dr. Pilz: Danke schön. – Herr Prof. Hinterhuber,<br />
Sie haben davon gesprochen, dass die<br />
Standards in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />
dem eines guten Hotels entsprechen sollen<br />
und jeder, der sich vorstellt, und es sind ja PsychiatriepatientInnen<br />
oft wesentlich länger als<br />
andere PatientInnen in einer stationären Versorgung<br />
und jeder kann das nachvollziehen. Ich<br />
weiß nicht, wann Sie heute nach Hause fahren,<br />
aber dann würde ich Ihnen vorschlagen, wenn<br />
Sie noch Zeit haben, besuchen Sie Ihre Kollegin,<br />
Frau Prim. Kalousek, im Otto-Wagner-Spital<br />
und lassen Sie sich durch die nicht renovierten<br />
Pavillons, und das ist ja die überwiegende Zahl,<br />
führen. Dort werden Sie feststellen, dass es von<br />
einem Zimmer mit Nasszelle und Zwei-Bett-<br />
Zimmer oder Drei-Bett-Zimmer ja in der Regel<br />
keinesfalls die Rede ist, dass es Faktum ist,<br />
dass es Vier-Bett-Zimmer gibt und dass es<br />
Durchgangszimmer gibt und die Geschlechtertrennung<br />
ist nicht gewährleistet. Und es gibt<br />
auch, und wenn Sie das Buch von der Frau<br />
Schweiger kennen, "Fallen lassen", dann steht<br />
da drinnen, wie sehr sie darunter leidet, dass sie<br />
das Badezimmer, das sie zusammen und die<br />
Toiletten, die sie zusammen mit den männlichen<br />
Patienten benützen muss, dass sie eine Tür<br />
öffnet und da steht ein nackter oder ein halb-