Laktation_und_Stillen_2015-4 S1-11
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TITELTHEMA<br />
› Kriterien gelten <strong>und</strong> andere Wege beschritten<br />
werden.<br />
Am 28. Januar 2014 ging die deutsche<br />
Muttermilch-Börse als gemeinnütziges<br />
Projekt online – die erste ihrer Art in<br />
Deutschland. Dadurch wurde das Bedürfnis<br />
der Mütter hier erstmals sichtbar <strong>und</strong><br />
diskutiert. Bislang haben sich 1817 Nutzerinnen<br />
angemeldet, 303 Mütter haben<br />
inseriert, <strong>und</strong> 783-mal wurden Mütter<br />
infolge ihres Inserats kontaktiert (Stand<br />
24. 8. <strong>2015</strong>). Die Nutzerzahlen der weltweiten<br />
Börsen steigen konstant. 2014 waren<br />
weltweit allein bei HM4HB (Human<br />
Milk for Human Babies) über 56.000 Nutzerinnen<br />
aktiv – <strong>und</strong> hier sind die großen<br />
Börsen wie Only The Breast oder Eats On<br />
Feets noch gar nicht berücksichtigt. Es ist<br />
eine weltweite Mütter-Bewegung, die in<br />
den Markt drückt, <strong>und</strong> sie offenbart ein<br />
Ur-Bedürfnis vieler Mütterherzen.<br />
Eine sinnvolle Ergänzung<br />
Eine Gr<strong>und</strong>satzentscheidung<br />
Beim privaten Muttermilch-Tausch, ob<br />
über eine Börse oder nicht, sind Parallelen<br />
zur freien Wahl des Geburtsortes erkennbar.<br />
Es geht auch hier um die Entscheidungshoheit<br />
von Müttern <strong>und</strong> darum, was<br />
allgemein als Standardnahrung für Säuglinge<br />
gelebt wird. Interessant ist, dass die<br />
Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (WHO) sich<br />
schon seit Jahren für Spendermuttermilch<br />
vor Formula ausspricht, bis heute jedoch<br />
keine Wege zur praktizierbaren Handhabung<br />
für alle Säuglinge beschritten wurden.<br />
Die gr<strong>und</strong>sätzlichen Fragen sind diese:<br />
› Ist künstlich hergestellte Pulvernahrung<br />
die bessere Alternative zu Muttermilch<br />
einer anderen Frau, oder lohnt es sich,<br />
Spendermilch aus der Tabuzone zu<br />
holen?<br />
› Gehören Milchspenden ausschließlich in<br />
die Hände von medizinischem Personal?<br />
Oder können Mütter unter fachlicher<br />
Beratung den privaten Muttermilchtausch<br />
sicher gestalten?<br />
Der private Muttermilch-Tausch ist keine<br />
Konkurrenz zu Milchbanken, er ist Konkurrenz<br />
zur Pulvermilch <strong>und</strong> steht daher<br />
einer finanzstarken Lobby entgegen. In<br />
Bezug auf Milchbanken ist er eine sinnvolle<br />
Ergänzung. Der private Muttermilch-<br />
Tausch ist auch keine Abkehr vom <strong>Stillen</strong><br />
– im Gegenteil. Medizinische Studien belegen<br />
auch, dass eine frühe Formulagabe<br />
in der Klinik das <strong>Stillen</strong> deutlich erschwert,<br />
selbst bei hoch still-motivierten Müttern.<br />
Der Muttermilch-Tausch unter Müttern<br />
unterstützt das <strong>Stillen</strong> durch die generelle<br />
Aufwertung menschlicher Milch <strong>und</strong> durch<br />
die Vorbildwirkung des Fach- <strong>und</strong> Klinikpersonals<br />
auf die Eltern. Dies konnte in<br />
Brasilien durch den Aufbau von 214 Milchbanken<br />
<strong>und</strong> zusätzlich 145 Muttermilch-<br />
Abgabestationen eindrucksvoll beobachtet<br />
werden. Dies trug stark dazu bei, dass Brasilien<br />
trotz seiner hohen Kaiserschnittrate<br />
eine Stillquote von über 50 % in den ersten<br />
6 Lebensmonaten ausschließlich gestillter<br />
Kinder hat. Auch in der Bevölkerung entwickelte<br />
sich ein Bewusstsein für den Wert<br />
von Spender-Muttermilch. Dies spiegelt<br />
sich nicht nur in der stark gesunkenen<br />
Sterblichkeitsrate <strong>und</strong> in der verbesserten<br />
Ges<strong>und</strong>heit der Säuglinge wider, sondern<br />
auch in den gesunkenen Kosten für das<br />
Ges<strong>und</strong>heitssystem.<br />
Fachpersonal <strong>und</strong> Kliniken involvieren<br />
Beim privaten Muttermilch-Tausch für<br />
ges<strong>und</strong>e Säuglinge zu Hause sollte Fachpersonal<br />
involviert sein. Nicht zwangsweise<br />
als Institution, die den Vorgang wie bei<br />
Intensivpatienten komplett übernimmt,<br />
sondern als begleitendes Instrument. Es<br />
sind die Hebammen, Stillberaterinnen,<br />
Kinderkrankenschwestern <strong>und</strong> Ärzte, die<br />
die Mütter fachlich begleiten <strong>und</strong> beraten<br />
können. In Deutschland ist bereits ein breites<br />
Netz dieser Fachkräfte implementiert,<br />
zumindest im Vergleich mit anderen Ländern.<br />
Das sollte genutzt werden.<br />
Der Weg von einer bereits bekannten<br />
Mutter zur anderen (z. B. in der Großfamilie<br />
oder über Nachbarinnen, Fre<strong>und</strong>innen)<br />
ist sicherlich der Beste. Die Muttermilch-<br />
Börse kann eine Hilfe sein, muss sie aber<br />
nicht. Das Medium „Internet“ stellt wohl<br />
mit den größten Angstfaktor dar. Es ist<br />
jedoch aus dem Privatleben der Menschen<br />
heute nicht mehr wegzudenken <strong>und</strong> natürlich<br />
ist auch hier Sicherheit möglich. Hier<br />
finden sich Frauen, die sich nicht trauen<br />
würden, sich auf der Straße oder in der<br />
Krabbelgruppe gegenseitig nach Muttermilch<br />
zu fragen. Wichtig ist, dass die Mütter<br />
sich gut kennenlernen, denn Anonymität<br />
ist in jedem Fall dringend zu vermeiden.<br />
Es ist kaum realisierbar, den Vorgang ausschließlich<br />
in die Hände der Kliniken zu<br />
legen. Zum einen wird es schwer, den<br />
Müttern den privaten Tausch zu verbieten,<br />
man würde die Mütter in unsichtbare<br />
<strong>und</strong> gefährliche Situationen drängen. Zum<br />
anderen ist die Aufbereitung der Milch, so<br />
wie es die Milchbanken heute in Deutschland<br />
tun, für Babys, die nicht auf einer Intensivstation<br />
um ihr Leben kämpfen, zu<br />
aufwendig <strong>und</strong> zu kostenintensiv. Ohne<br />
zusätzliche Finanzierungshilfen, wie z. B.<br />
die Involvierung der Krankenkassen sowie<br />
eine Modernisierung der Milchbanken in<br />
Bezug auf Muttermilch für reife <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e<br />
Säuglinge, wird die breite Versorgung<br />
aller Babys nicht möglich sein. Der<br />
Weg über die Geburtskliniken ist jedoch<br />
ein wichtiger Pfad, der parallel gegangen<br />
werden sollte.<br />
Foto: iStock<br />
www.elacta.eu <strong>Laktation</strong> & <strong>Stillen</strong> 4 • <strong>2015</strong>