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Laktation_und_Stillen_2015-4 S1-11

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AUS DER PRAXIS<br />

5<br />

Abb. 3:<br />

Wartezimmerposter<br />

der AAFP<br />

(American Academy of<br />

Family Physicians)<br />

Was sind nun die Gründe, warum FrauenärztInnen<br />

in Deutschland dem vorhandenen<br />

Bedarf ihrer Patientinnen nicht gerecht<br />

werden?<br />

Zunächst einmal stehen FrauenärztInnen<br />

in dem generellen Spannungsfeld,<br />

dass die ärztlichen Leistungen vor, während<br />

<strong>und</strong> nach der Schwangerschaft sich<br />

auf die Pathologie der Brust konzentrieren<br />

<strong>und</strong> wenig geeignet sind, das Vertrauen der<br />

Mutter in ihren Körper zu stärken.<br />

In der gynäkologischen Praxis zeigt<br />

sich dies an folgenden Stellen besonders<br />

markant:<br />

Wir wissen, dass es sowohl vor als auch<br />

während der Schwangerschaft wichtig ist,<br />

die potentiellen Mütter über das <strong>Stillen</strong> aufzuklären.<br />

In der Realität ist im Rahmen der<br />

Vorsorgeuntersuchungen kein Gespräch<br />

über das <strong>Stillen</strong> vorgesehen <strong>und</strong> wird auch<br />

nicht vergütet. Bei der Wochenbettuntersuchung<br />

6–8 Wochen post partum ist es<br />

häufig schon zu spät für Stillberatung, viele<br />

Mütter haben zu diesem Zeitpunkt bereits<br />

zugefüttert oder abgestillt, oft aufgr<strong>und</strong><br />

mangelnder Unterstützung.<br />

Wir wissen, dass Stillberatung Zeit <strong>und</strong><br />

Ruhe braucht. In der Realität bedeutet Zeitdruck<br />

in der Praxis, dass für eine Patientin<br />

exakt 10 Minuten Zeit zur Verfügung stehen,<br />

um wirtschaftlich arbeiten zu können.<br />

In der Regel rechnen die Krankenkassen<br />

pauschal pro Quartal ab, viele Besuche<br />

einer Patientin „rentieren“ sich nicht. Wer<br />

gut <strong>und</strong> gründlich berät, tut dies also größtenteils<br />

„ehrenamtlich“.<br />

Der Zeitaufwand, den die eigene Fort<strong>und</strong><br />

Weiterbildung zu Fragen der <strong>Laktation</strong><br />

umfassen würde <strong>und</strong> den eine kompetente<br />

Beratung der Frau mit Stillwunsch oder<br />

Stillproblemen fordern würde, wird im<br />

fachärztlichen Abrechnungssystem nicht<br />

angemessen vergütet: Nach Abrechnungsziffern<br />

für Stillberatung sucht man in der<br />

ärztlichen Praxisgebührenordnung vergeblich.<br />

Unter 20€ kann der Gynäkologe<br />

im Quartal für alle Kontakte derselben Patientin<br />

in seiner Praxis zulasten derselben<br />

Krankenkasse abrechnen (Leistungsziffer<br />

Breastfeeding<br />

is welcome here.<br />

Your family medicine team supports your healthy choice<br />

to breastfeed. If you prefer a private space, please ask<br />

at the front desk.<br />

082<strong>11</strong> <strong>und</strong> 08220 als Zuschlag zur gynäkologischen<br />

Gr<strong>und</strong>versorgung). Die zusätzliche<br />

Position 01770 für die Betreuung einer<br />

Schwangeren im Laufe eines Quartals kann<br />

nur von einem Vertragsarzt abgerechnet<br />

werden, auch dann, wenn durch Vertretung,<br />

Notfall oder bei Mit- <strong>und</strong> Weiterbehandlung<br />

mehrere Vertragsärzte in die<br />

Betreuung eingeb<strong>und</strong>en sind. Wenn diese<br />

Ziffer auch im auf die Entbindung folgenden<br />

Quartal abgerechnet werden kann bei<br />

Stillproblemen, Brustentzündung oder<br />

Rückbildungsstörung, kann die Vergütung<br />

in Höhe von knapp 100 € nur der erste im<br />

rechtlich zulässigen Zeitraum abrechnende<br />

Arzt in Anspruch nehmen. Andernfalls<br />

besteht die gesetzliche Verpflichtung, die<br />

Abrechnungsdaten auf Plausibilität zu prüfen<br />

<strong>und</strong> den zweiten abrechnenden Arzt in<br />

Regress zu nehmen. Dieser müsste also,<br />

um am Ende nicht „leer“ auszugehen, die<br />

beratene Patientin eine Erklärung unterschreiben<br />

lassen, dass er im Falle eines Regresses<br />

privat mit ihr abrechnen darf. Dem<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem in Deutschland ist also<br />

eine umfassende ärztliche Begleitung <strong>und</strong><br />

Beratung der stillwilligen Patientin durch<br />

einen speziell ausgebildeten Arzt max.<br />

etwa 120 € pro Quartal wert, d.h. einen<br />

finanziellen Anreiz, sich als Gynäkologe<br />

weiterzubilden <strong>und</strong> zu spezialisieren auf<br />

dem Gebiet der <strong>Laktation</strong>smedizin, gibt es<br />

nicht. Darüber hinaus erfordert eine kompetente<br />

Beratung, sowohl im Vorfeld als<br />

auch bei konkreten Stillhindernissen einen<br />

Zeitaufwand, der in der täglichen Sprechst<strong>und</strong>e<br />

bei nahezu fehlender Vergütung<br />

nicht zu leisten ist.<br />

In dem Spagat zwischen Wissen <strong>und</strong><br />

Realität können wir jedoch einige Kompromisse<br />

finden:<br />

Im Rahmen der Krebsvorsorge können<br />

wir bei der regulären Tastuntersuchung<br />

der Brust <strong>und</strong> Anleitung zur Selbstuntersuchung<br />

die Frauen über Bau <strong>und</strong> Funktion<br />

der Brust bzw. die werdenden Mütter<br />

über die Veränderungen der Brust in der<br />

Schwangerschaft <strong>und</strong> das <strong>Stillen</strong> aufklären.<br />

Bei den 3 Ultraschalluntersuchungen<br />

können wir den häufig anwesenden Vater<br />

mit einbeziehen <strong>und</strong> versuchen, dabei auch<br />

das <strong>Stillen</strong> anzusprechen, z.B. wenn wir beobachten,<br />

dass das Kind am Daumen saugt<br />

oder schluckt.<br />

Vor der Geburt existiert die Möglichkeit,<br />

die Schwangere über die Abrechnungsziffer<br />

01780 vorgeburtlich in der Entbindungsklinik<br />

vorzustellen: Zum einen zur<br />

Geburtsplanung bei Risikofaktoren (Z.n.<br />

Sectio, Makrosomie, BEL, Gemini…) mit<br />

Untersuchung <strong>und</strong> Ultraschall, aber auch<br />

zum vorgeburtlichen Gespräch ohne Ultraschall<br />

beim Fehlen von Risikofaktoren.<br />

Bei der Überweisung zu dieser Vorstellung<br />

können wir die Schwangere sensibilisieren,<br />

in der Klinik Routinen im Kreißsaal <strong>und</strong><br />

auf der Wochenstation zu erfragen <strong>und</strong> auf<br />

ihre Stillfre<strong>und</strong>lichkeit zu überprüfen.<br />

Auch in der Klinik ergeben sich ähnliche<br />

Spannungsfelder:<br />

Ein Teil der Frauen, die zur Geburt<br />

kommen, hat keinen Geburtsvorbereitungskurs<br />

besucht <strong>und</strong> ist nicht informiert<br />

über die Abläufe im Kreißsaal <strong>und</strong> auf der<br />

Wochenstation.<br />

Es ist hilfreich, diese Abläufe bereits in<br />

der Schwangerschaft bei der Kreißsaalführung,<br />

beim Infoabend oder bei stationären<br />

Aufenthalten durch speziell geschulte Hebammen,<br />

Pflegekräfte <strong>und</strong> Ärzte zu thematisieren,<br />

wofür in der Praxis wenig Zeit bleibt.<br />

Einzig im Kreißsaal ist der ärztliche<br />

Beitrag zur Förderung von <strong>Stillen</strong> <strong>und</strong> Bonding<br />

überschaubar, er beschränkt sich in<br />

der Regel auf das Nicht-Stören <strong>und</strong><br />

ermutigendes Interesse. ›

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