Der Transformationsprozess der Steinkohlereviere hat an vielen Orten markante Bauten freigelegt, die den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft symbolisieren. Stehen gebliebene Zechengebäude verkörpern lokale Identität und gehören im Ruhrgebiet oft zum baukulturellen „Tafelsilber“. Das international bekannteste Beispiel ist Schacht XII des heutigen UNESCO- Weltkulturerbes Zeche Zollverein in Essen-Katernberg. 1926, zwei Jahre bevor sie mit den Planungen für Zollverein begannen, entwarfen die Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer die Werkstatt und die Schreinerei für die Zeche Nordstern, wenige Kilometer nördlich im Gelsenkirchener Ortsteil Horst gelegen. Nordstern, wo 1855 erstmals nach Steinkohle gebohrt wurde, war lange Zeit die nördlichste Schachtanlage des Reviers, daher ihr Name. 1993 verließ der letzte Förderwagen mit Nordsternkohle die Zeche, es folgten Abrisse, Umbauten und Zwischennutzungen. Im Rahmen der Bundesgartenschau 1997 wurden 100 Hektar des Areals in einen Landschaftspark umgewandelt. Die denkmalgeschützten Bauten von Schupp und Kremmer der Schachtanlage 1/2 wurden zum Kern eines neuen Gewerbeparks. Die Wohnungsgesellschaft THS, deren Wurzeln im Wohnstättenbau für Bergarbeiter liegen, ließ 2003 den Wagenumlauf und die Sieberei zur neuen Hauptverwaltung umbauen; 2006 wurde auch das Werkstattgebäude für Büroflächen hergerichtet. Weiterer Raumbedarf entstand, als 2012 nach der Zusammenlegung mit Evonik Immobilien die neue Dachmarke Vivawest gegründet wurde. Am Hauptverwaltungsstandort im Nordsternpark musste nun Platz für rund 600 Mitarbeiter geschaffen werden. Der erforderliche Erweiterungsbau resultiert aus einer Mehrfachbeauftragung, die <strong>JSWD</strong> Architekten mit ihrem Entwurf 2014 gewannen. Der 126 Meter lange Neubau, der wie eine Spange das Hauptgebäude mit der ehemaligen Werkstatt verbindet, steht an der Stelle des ehemaligen Kesselhauses, von dem nur noch das Stahlskelett vorhanden war. Das neue Gebäude, braunrot wie das Stahlziegelfachwerk der benachbarten Altbauten, ist von den Bestandsbauten abgerückt, um angemessene Lichtverhältnisse für die Büroflächen zu schaffen. Über zwei Brücken, die großflächig verglast sind und dementsprechend filigran wirken, wird die Berührung zwischen Alt- und Neubau dezent in Szene gesetzt. Über diese beiden „Gangways“ gelangt man von den beiden Altbauten in das Flözgeschoss, einen sich über die gesamte Gebäudelänge erstreckenden Bereich mit Besprechungs- und Seminarräumen, einem teilbaren Konferenzsaal und einer kleinen Cafeteria. Der Begriff Flöz hält zum einen die Erinnerung an die einstigen Kohlenschätze unter Tage wach, lässt sich im übertragenen Sinn aber auch als Ort von Betriebsamkeit und Austausch begreifen. Die großflächige Verglasung erlaubt es, sowohl die Landschaft als auch das Baudenkmal zu erleben, und hebt dieses kommunikative Element vor allem bei Dämmerlicht hervor. Im Kontrast dazu steht das mit Blechpaneelen blickdicht verkleidete Sockelgeschoss, das nur im Eingangsbereich gläsern und offen ist, und hier den Durchgang zum südlich anschließenden Landschaftspark ermöglicht. Das Eingangsfoyer sticht vertikal mit einem Luftraum nach oben und stellt die Verbindung zwischen Sockel- und Flözgeschoss her. Das ist überraschend repräsentativ für einen Nebeneingang, aber umso sinnvoller, wenn man an Veranstaltungen außerhalb der Bürozeiten denkt und das Hauptgebäude dann geschlossen bleiben kann. 16
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