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Untitled - Les chemins du Baroque

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dER ROSEnkRAnz und SEInE MYSTERIEn<br />

Das Rosenkranz-Gebet hat stets einen hohen<br />

Rang im Ausdruck des Glaubens innerhalb der<br />

katholischen Gemeinde eingenommen. Obwohl der<br />

Hl.Dominikus im 13.Jahrhundert als Begründer dieser<br />

Praxis gilt, ist es nicht unmöglich, daß sie auf<br />

ältere Wurzeln zurückgeht. Bereits im 11.Jahrhundert<br />

gibt es Darstellungen von Mönchen, die<br />

Perlenschnüre in der Hand oder am Gürtel tragen.<br />

Das Fest des Hl.Rosenkranzes wurde von Papst Pius<br />

V. 1571 zur Erinnerung an die Seeschlacht von<br />

Lepanto gestiftet, in der die Türken besiegt und dem<br />

grausamen Sultan Selim eine empfindliche<br />

Niederlage beigebracht wurde. Daraus erklärt sich<br />

die überraschende Popularität dieser Form der<br />

Andacht im 17.Jahrhundert. In ganz Europa schossen<br />

„Bruderschaften zum Hl.Rosenkranz“ aus dem<br />

Boden wie zum Beispiel diejenige in Salzburg, die<br />

bereits lange Jahre existierte, als Heinrich Ignaz<br />

Biber zwischen 1670 und seinem Tode 1704 hier<br />

wirkte.<br />

Der Rosenkranz, lateinisch „Rosarium“, bezeichnet<br />

wörtlich das Rosenbeet. In diesem Sinne ist<br />

jedes gebetete „Ave Maria“ eine Rose, die von diesem<br />

Beet gepflückt und der Hl.Jungfrau dargebracht<br />

wird. Die Rose, die symbolträchtigste Blume der<br />

westlichen Welt (so wie es der Lotus im Orient ist),<br />

verkörpert mit ihrer absolut konzentrischen, kreisförmigen<br />

Struktur die Vollkommenheit und die<br />

Quintessenz: ihr Blütenkelch erinnert an den Kelch<br />

des Lebens, die äußere Hülle, das Sichtbare, und ihr<br />

Herz weckt Träume einer paradiesischen Liebe. Von<br />

der „rosa candida“ des letzten Paradieses-Kreises in<br />

Dantes „Divina Commedia“ bis zu Lorcas inständigen<br />

Beschwörungen der Rose symbolisiert die Blume<br />

Geheimwissen, den verborgenen Sinn, das<br />

Mysterium. Die meisten dieser allegorischen Rosen<br />

im mystischen oder alchimistischen Kontext besitzen<br />

sieben Blütenblätter als Symbol der Totalität von<br />

Raum und Zeit, und die Stifter des Rosenkreuzer-<br />

Ordens rückten sie, wie die Handwerker des<br />

Mittelalters, vom Miniaturmaler bis zu den<br />

Baumeister der Kathedralen (man denke an die<br />

Rosetten!), in den Mittelpunkt ihrer Darstellung der<br />

Welt.<br />

Ohne Kenntnis der Praxis und Bedeutung des<br />

Rosenkranz-Gebets sind die Absichten Heinrich<br />

Bibers in seinen Rosenkranz-Sonaten kaum vollumfänglich<br />

zu verstehen, wie der bedeutende<br />

Interpret dieses Zyklus, Davitt Moroney, zeigte. Dem<br />

Gläubigen bedeutet das Rosenkranz-Gebet eine<br />

Meditation über die „Mysterien“ des Lebens der<br />

Hl.Jungfrau Maria in fünfzehn Abschnitten, die<br />

Biber zu dreimal fünf Meditationen zusammenfasst.<br />

Er meditiert über jedes Mysterium, indem er anhand<br />

der Perlenschnur ein Pater Noster, zehn Ave Maria<br />

und ein Gloria Patri betet. Und jede dieser Gruppen<br />

lässt ihn emotional kontrastierende Abschnitte im<br />

irdischen und himmlischen Leben der Hl.Jungfrau<br />

nachempfinden. Die erste Gruppe hat die Züge eines<br />

Freudenmysteriums. Sie umfasst Verkündigung,<br />

Heimsuchung, Geburt des Herrn, Darstellung Jesu im<br />

Tempel und Auffin<strong>du</strong>ng des 11-jährigen Jesus im<br />

Tempel. Die folgenden fünf Meditationen sind den<br />

schmerzensreichen Geheimnissen gewidmet: Leiden<br />

Christi am Ölberg, Geisselung, Dornenkrönung,<br />

Kreuztragung und Kreuzigung. Die letzten fünf<br />

Meditationen gelten schließlich den glorreichen<br />

Geheimnissen: Auferstehung, Himmelfahrt, das<br />

Pfingstgeheimnis, Himmelfahrt der Muttergottes<br />

und Himmelskrönung der Hl.Jungfrau.<br />

Handelt es sich bei den Rosenkranz-Sonaten<br />

demnach um Geistliche Musik? Wenn man allein die<br />

musikalische Form untersucht, sicher nicht. Sie entspricht<br />

dem gängigen Formen-Repertoire, wie sie für<br />

die Kammermusik jener Zeit typisch ist: Präludien,<br />

Allemanden, Couranten, Giguen, Sarabanden und<br />

Gavotten wechseln einander ab, ohne daß die<br />

geringsten Anzeichen einer Annäherung an Formen<br />

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