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KATAR Wie eine andere

KATAR Wie eine andere Welt: Blick aus der Imam Abdul Wahhab-Moschee (Staatsmoschee) auf die Skyline von Doha Fotos: Izuenov/AdobeStock, Qatar Tourism DIE WÜSTE LEBT 38 REISE-PREISE.de 4-2022

Hier noch traditionelles Arabien, dort schon Übermorgenland: Katar steht als Austragungsort der Fußball-WM im Scheinwerferlicht. Ist der Trubel vorbei, gibt es für Urlauber viel zu entdecken: Der Mix aus alt und neu macht die Hauptstadt Doha zum spannenden Reiseziel. VON HELGE BENDL Nach Sonnenuntergang, wenn sich der Vorhang der Nacht über die Stadt senkt, erwacht der Souq Waqif zum Leben. Als der Muezzin zum Maghrib gerufen hatte, dem vierten Gebet des Tages, waren die Läden noch geschlossen gewesen und die Stühle der Cafés menschenleer. Nur am plätschernden Brunnen herrschte reger Verkehr, weil die Glaubensvorschriften des Islam für Tauben nicht gelten. Nun aber werden im Basar die Lichter angeknipst. Es ist die beste Zeit für einen Besuch: Die Hitze des Tages hat sich verzogen, eine milde Brise zieht durch die Gassen und wie von Zauberhand gesteuert, ist plötzlich überall Betrieb. Vollreife Datteln aus Saudi-Arabien? Getrocknete Karkadeh-Hibiskusblüten aus dem Sudan? Berghonig aus dem Jemen? Safranfäden aus Iran (und zwar echte, keine billige Fälschung)? Weihrauch aus Oman, natürlich Hojari, die beste aller Sorten, weiße Körner mit grünlichem Schimmer und besonders feinem Aroma? All das (und noch viel mehr) bieten die Händler im historischen Zentrum von Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar. Doch Vorsicht: Wer auch nur eine Sekunde lang zu interessiert schaut, hat verloren. Zum Kaufen genötigt wird niemand, aber zum Probieren – hier Walnüsse und eine Handvoll Rosinen, dort ein Schluck Karak, mit Kardamom und Kondensmilch aromatisierter Schwarztee. Auf einen Einheimischen kommen zehn Ausländer Im Souk scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Auch in den Restaurants wird man bewirtet, als müsse eine ganze Karawane gefüttert werden. Der Gast ist König – sofern er die lokalen Traditionen achtet und sich entsprechend verhält, also weder zu viel Haut zeigt noch in der Öffentlichkeit seine Reisebegleitung knutscht. Das passt zu einem Land, das sich zwar liberaler gibt als Saudi-Arabien, in dem der Islam im Alltag aber eine größere Rolle spielt als in Abu Dhabi und Dubai. Nur 300.000 Einwohner sind Einheimische: Es gibt zehnmal so viele Ausländer, die hier unter oft fragwürdigen Bedingungen schuften. An fairer Bezahlung fehlt es, Geld für Entwicklung gibt es aber genug: Das Emirat ist dank der Öl- und Gasförderung das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen am Persischen Golf – und dürfte das auf absehbare Zeit auch bleiben, denn die größten Gasvorkommen werden erst in den kommenden Jahren erschlossen. Die hölzernen Dhaus an der Kaimauer, deren Vorgänger einst noch reich beladen mit Handelswaren aus dem Indischen Ozean zurückkamen, sind also nur noch eine fotogene Kulisse: Die Herrscherfamilie baut Katar in Windeseile zu einem Übermorgenland um. So ziemlich alles ist deshalb funkelniegelnagelneu in Doha: Der Stadtteil West Bay mit seiner nachts prächtig erleuchteten Skyline, die künstliche Insel The Pearl mit der Marina für die Motorjachten, das angesagte Msheireb-Viertel und die gerade entstehende Lagunenstadt Lusail. Einige der acht neuen Stadien für die im November startende Fußball-WM sind als Aushängeschilder für die eigene Kultur konzipiert: Das golden glänzende Stadion in Lusail (hier wird das Finale ausgetragen) erinnert an eine traditionelle Fanar-Laterne, das Al-Bayt-Stadion an ein Beduinenzelt, das Al-Janoub-Stadion an die geblähten Segel einer Dhau. Neu sind auch der Airport, die vierspurige Küstenstraße Corniche – und die riesigen Shopping Malls, die hier als Konsumtempel den Status von Sehenswürdigkeiten haben. Klimatisierte Mega-Shoping-Malls, die an Europa erinnern sollen Einkaufen ist nämlich Nationalsport: Als Reisender darf man mitmachen, wird aber Mit dem Jet-Ski übers Meer zu preschen, ist bei den Kataris sehr angesagt vermutlich niemals gegen die Einheimischen gewinnen. In der Villagio Mall können sich Besucher per Gondel, in der viele Einkaufstaschen Platz haben, über einen dann doch kläglich-kleinen Canal Grande fahren lassen, oder auf der Eisbahn ein paar Runden drehen. In der gigantischen Al Hazm Mall, die an die Mailänder Einkaufsgalerie Galleria Vittorio Emanuele II erinnern soll, wird der weiße Carrara-Marmor gekühlt, damit Besucher beim Flanieren auch bei über 45 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit im Sommer immer bella figura machen. Die Idee hat man sich wohl beim Katara Cultural Village abgeschaut. Dort ist zwar nicht das große Amphitheater mit Meerblick klimatisiert, dafür aber der zentrale Platz vor dem Einkaufszentrum Galeries Lafayette – und das, obwohl auch dieser Bereich gar nicht überdacht ist und man sich unter freiem Himmel bewegt! Aktuell am prunkvollsten gestaltet (es wird sicher weiter gehen) ist die Place Vendome Mall in Lusail: Vermutlich gibt es keine große Luxusmarke, die hier nicht vertreten ist. Der Food Court entführt dann aber schon in eine andere Welt: Hier treffen sich die Gastarbeiter von den Philippinen an ihrem freien Tag beim Hamburger-Bräter Jollibee. Wenn abends zur vollen Stunde die Wasserorgel-Show abläuft, fühlt man sich in der Place Vendome Mall dann mehr wie am Strip in Las Vegas als in der noblen Rue de la Paix in Paris. Obwohl anschließend kein sündiges Glücksspiel in Kasinos lockt, das versteht sich in Katar von selbst. Edle Pferde, Kamele und Falken sind Statussymbole in Katar Lieber rückt man die eigene Kultur ins beste Scheinwerferlicht. »Als Katari sollte man mindestens einen Falken, ein Kamel und ein Pferd haben«, erzählt Abdul Rashid bei einer Führung durch das Gestüt Al Shaqab. Für Kamele ist er nicht zuständig, die rennen in den Wintermonaten jeden Freitag auf dem Track von Al Shahaniya, angetrieben von Robotern. Für die Falken gibt es eigene Tierkliniken. Die Vollblutaraber aber sind bei ihm in Al Shaqab zu Hause, einem hundert Hektar großen Areal. Der ältesten und edelsten Pferderasse werden von ihren Fans in Katar nur positive Eigenschaften zugeschrieben: »Sie sind sowohl ausdauernd und athletisch als auch schnell und schön.« Die Zucht der Vollblüter ist ein gutes Geschäft, vor allem aber eine Frage der Ehre. Deswegen bekommen die Araberpferde alles, was sie brauchen – große Boxen, viel Auslauf, fri- 4-2022 REISE-PREISE.de 39

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