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Während die Welt seit<br />
dem 11. September mit dem<br />
Kampf gegen den Terrorismus<br />
beschäftigt ist und vor<br />
allem Richtung Naher<br />
Osten blickt, wo die blutige<br />
Konfrontation zwischen Israeli<br />
und Palästinensern<br />
neu entfacht ist, sind die<br />
Ereignisse der vergangenen<br />
Wochen im indischen<br />
Gliedstaat Gujarat wenig<br />
beachtet an der Öffentlichkeit<br />
vorbeigezogen. Allein die<br />
Dimension des Pogroms hinduistischer<br />
Fanatiker gegen die muslimische<br />
Minderheit des Landes<br />
sollte jedoch aufhorchen lassen.<br />
Die Zahl der Todesopfer ist mittlerweile<br />
auf über 800 gestiegen,<br />
mehr als 100 000 Vertriebene<br />
leben unter bedenklichen Bedingungen<br />
in Flüchtlingslagern.<br />
Alarmierend ist auch die ausgesprochene<br />
Grausamkeit, mit der<br />
die Täter vorgegangen sind. Die<br />
Opfer wurden von den eigenen<br />
Nachbarn regelrecht abgeschlachtet.<br />
Ganze Familien wurden in<br />
ihren Autos angezündet, ihre<br />
Häuser niedergebrannt, ihre<br />
Geschäfte geplündert. Betroffen<br />
waren in erster Linie Muslime,<br />
aber auch Christen und Angehörige<br />
anderer Minderheiten. Zwar<br />
hat die Armee, nachdem die Regierung<br />
und die Polizei Gujarats<br />
lange tatenlos zugesehen hatten,<br />
dem Massaker schliesslich ein<br />
Ende gesetzt. Doch der Terror<br />
kocht auf kleinerer Flamme<br />
weiter. Täglich wird über neue<br />
Opfer berichtet. Muslime werden<br />
immer noch bedroht und vert-<br />
M‹LLÎ GÖRÜfi•<strong>PERSPEKTIVE</strong> • May›s / Mai 2002<br />
BLICK IN DIE PRESSE<br />
Ein kaum beachtetes Pogrom<br />
rieben. Im grossen Stil wird zum<br />
Boykott ihrer Waren und Dienstleistungen<br />
aufgerufen.<br />
Das Schwerwiegendste an der<br />
Sache ist aber, dass das Pogrom<br />
nicht ein unerwarteter Ausbruch<br />
angestauten Volkszorns gewesen<br />
zu sein scheint, sondern eine<br />
systematisch geplante und von<br />
staatlichen Stellen wenn nicht gar<br />
geförderte, so zumindest geduldete<br />
Aktion war. Gujarats Chefminister<br />
Modi und seine von der<br />
Bharatiya Janata Party (BJP)<br />
dominierte Landesregierung sind<br />
deswegen stark unter Druck geraten.<br />
Folgen haben die Ereignisse<br />
für sie bisher allerdings noch<br />
keine gehabt. Die BJP gibt sich,<br />
seit sie 1998 in Delhi an die Macht<br />
gekommen ist, gemässigt. Doch<br />
wird sie die Geister nicht mehr<br />
los, die sie einst selbst rief. Sie<br />
hatte ihre Wahlerfolge in den<br />
neunziger Jahren allein chauvinistischen<br />
Tönen zu verdanken.<br />
Dass sich der indische Ministerpräsident<br />
Vajpayee, der als moderates<br />
Aushängeschild der Partei<br />
gilt, nicht deutlich vom militantnationalistischen<br />
Welt-Hindu-Rat<br />
30<br />
(VHP) und von anderen<br />
Hindu-Organisationen distanziert,<br />
welche die Massaker<br />
durch ihre Propaganda<br />
ausgelöst haben, ist kaum<br />
verwunderlich. Denn die<br />
BJP ist wie der VHP aus<br />
dem paramilitärischen<br />
Nationalen Freiwilligenbund<br />
RSS heraus entstanden<br />
und als dessen politischer<br />
Flügel ideell und<br />
personell eng mit ihm<br />
verbunden. Wie Modi steht auch<br />
der indische Innenminister Advani<br />
- neben Vajpayee der zweite<br />
starke Mann in der BJP - den hinduistischen<br />
Extremisten gefährlich<br />
nahe. Er hatte während der<br />
Unruhen 1992, als ein aufgebrachter<br />
Hindu- Mob in Ayodhya eine<br />
Moschee zerstört und damit<br />
Unruhen ausgelöst hatte, die über<br />
2000 vorwiegend muslimische<br />
Inder das Leben kosteten, eine<br />
höchst fragwürdige Rolle gespielt.<br />
Die Nähe zu den Fundamentalisten<br />
hat Vajpayee nun aber in arge<br />
Bedrängnis gebracht. Seine Koalitionspartner<br />
fordern wie auch die<br />
Opposition, er müsse Modi endlich<br />
fallenlassen. Der Regierungschef<br />
selbst hat die Massaker in Gujarat<br />
zwar ausdrücklich verurteilt und<br />
damit versucht, seine kompromittierte<br />
Rolle als Ministerpräsident aller<br />
Inder und als Wahrer der gesetzlichen<br />
Ordnung wiederherzustellen.<br />
Doch viele seiner radikalen Parteifreunde<br />
wie auch ein Teil seiner<br />
Wählerschaft lassen sich wohl<br />
kaum von der Forderung nach<br />
dem Bau eines Tempels in Ayodhya<br />
abbringen. Vajpayee sitzt in der