BASTIAN BAKER - Finanz Und Wirtschaft
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ACTU | PASSÉ-PRÉSENT | par David Chokron<br />
weise, die so charakteristisch für seine<br />
fi gurative Malerei werden sollte.<br />
Mit dem Akt auf einer Treppe schickte<br />
der junge Künstler selbstbewusst Marcel<br />
Duchamps Abschied von der Leinwand<br />
aus dem Jahr 1912 ein Motiv hinterher,<br />
das sagte: Doch, man kann noch<br />
malen. Fotografi e, Film und neuerdings<br />
auch Fernsehen können nicht, was der<br />
Maler kann – und in der Folge diff erenziert<br />
Gerhard Richter seine Arbeit in der<br />
Auseinandersetzung – und fast als Gegenspieler<br />
–einer Welt, die sich in einem<br />
Rausch für die Bilder der Medien<br />
verliert und in der alle Deutungshoheit<br />
über die eigene Geschichte vom Strom<br />
der Bilder fortgeschwemmt wird.<br />
Gerhard Richter setzt nicht nur Werbemotive<br />
oder Fotografi en aus Sach-<br />
36 | <strong>Finanz</strong> und <strong>Wirtschaft</strong> LUXE<br />
büchern, sondern auch Bilder aus dem<br />
eigenen Umfeld dazu in ein Spannungsverhältnis:<br />
«Onkel Rudi» und «Tante<br />
Marianne», beide 1965 entstanden, sind<br />
Motive aus dem Fotoalbum der eigenen<br />
Familie. Die Kunstgeschichte notiert zunächst<br />
vor allem die profane Herkunft<br />
« Sich ein Bild zu machen,<br />
eine Anschauung haben, macht<br />
uns zu Menschen.»<br />
der Motive, die erst über die Jahrzehnte<br />
in ihrem vielschichtigen, auch biografi -<br />
schen Reichtum erkannt und ausgedeutet<br />
werden.<br />
Dem Onkel, der in der Zeit Nationalsozialismus<br />
Täter war, steht die Tante<br />
gegenüber, die als behinderte junge Frau<br />
den Euthanasieprogrammen zum Opfer<br />
wurde. Das Baby, das die junge Frau auf<br />
dem Foto, das Gerhard Richter als Bildvorlage<br />
diente, auf dem Schoss hält, ist<br />
der Künstler selbst, was der Ausstellung<br />
jeweils in einem der ersten Säle eines<br />
der schönsten Autoporträts eines Künstlers<br />
überhaupt beschert.<br />
ABSTRAKTE ERHABENHEIT<br />
Dass die Londoner Station die fotorealistischen<br />
Motive mit den grossen Abstraktionen<br />
mischt, die Gerhard Richter<br />
seit den Achtzigerjahren malt, und dazwischen<br />
auch die konzeptuellen Farbtafelmalereien<br />
hängt, die Richter streng<br />
nach dem Zufallsprinzip komponiert, ist<br />
keine Überforderung – sondern eine inspirierende<br />
und stringente Präsentation,<br />
aus der sich die grauen Serien und<br />
Ausnahmewerke wie «4 Glasscheiben»<br />
(1967) gebührend abheben konnten: als<br />
einfache Konstruktion aus metallgefassten<br />
Scheiben, die zwischen Metallstäben<br />
eingehängt in verschiedenen Winkeln<br />
gekippt sind wie Fenster. Auch mit<br />
dieser abstrakten Skulptur bezieht sich<br />
Richter wieder auf Marcel Duchamp auf<br />
dessen «Grosses Glas».<br />
Eines der schönsten Kapitel war dann<br />
nicht der monumentale Raum mit dem<br />
Cage-Zyklus aus dem Jahr 2006, ei-<br />
© Gerhard Richter, 2012<br />
Seite 80: «Strip», 2011,<br />
160x300 cm, Digitaldruck<br />
auf Papier auf<br />
Aluminium.<br />
Seite 81: «Selbstportrait»,<br />
1996, 51x46, Öl<br />
auf Leinwand.<br />
f «Aladin», 2010,<br />
37x50 cm, Email auf<br />
Glas.<br />
p «Ema, Akt auf einer<br />
Treppe», 1966, 200x130<br />
cm, Öl auf Leinwand.<br />
s «Betty», 1977, 30x40<br />
cm, Öl auf Holz<br />
ner abstrakten Suite von sechs hell gespachtelten<br />
Quadraten mit jeweils drei<br />
Metern Kantenlänge, sondern das kleine<br />
Seitenkapitel, das die Kunstgeschichte<br />
als «Elbe»-Serie notiert, eine selten<br />
gezeigte Suite auf Papier, die entstand,<br />
als Gerhard Richter während des Studiums<br />
im Jahr 1957 in der Druckwerkstatt<br />
selbstvergessen auf dem Papier herumkrakelte.<br />
Damals entstanden, sozusagen im<br />
Zentrum des sozialistischen Realismus,<br />
erste Abstraktionen. <strong>Und</strong> es erstaunt im<br />
Rückblick, wie weit bei diesem Experiment<br />
– das nur überdauerte, weil ein<br />
Freund die Blätter bewahrte – das formale<br />
Verständnis für die Organisation<br />
abstrakter Flächen schon ausgeprägt<br />
war. Frappierend schliessen die frühen<br />
Versuche an die feinen kleinen Formate<br />
aus dem Jahr 2006 an, mit denen in der<br />
Tate Modern die Schau abschloss.<br />
Kurz nach der Londoner Vernissage<br />
konnte der Markt dann auch die Rekorde<br />
notieren, die den Auftritt des<br />
wichtigsten zeitgenössischen Künstlers<br />
abrundeten, der ja auch als teuerster lebender<br />
Maler gilt: Eine Version aus der<br />
«Kerze»-Serie aus dem Jahr 1982 wurde<br />
bei Christie’s für umgerechnet 12 Mio.<br />
€ zugeschlagen – was belegt, dass Gerhard<br />
Richter nicht nur von der Kunstgeschichte<br />
und Ausstellungskuratoren<br />
hoch geschätzt ist, sondern im Markt<br />
eine bestimmende Grösse bleibt. Dass<br />
Gerhard Richter selbst solche Preise für<br />
unbegründet und obszön hält und das<br />
auch ausspricht, konnte das gewaltige<br />
Medienecho, das nach solchen Rekorden<br />
anhebt, nicht konterkarieren.<br />
© Gerhard Richter, 2012<br />
© Gerhard Richter, 2012<br />
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