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Die Schnurvermessung im mittelalterlichen Bauwesen<br />
von Rudolf Moosbrugger-Leu<br />
Im spätgotischen Polygonalchor<br />
der Chrischonakirche ob Bettingen,<br />
der Berggemeinde des Kantons<br />
Basel-Stadt, kam bei den Ausgrabungen<br />
1974 der Abdruck des zentralen<br />
Messpflockes zum Vorschein.<br />
Er lag mitten unter dem Altar 1<br />
(vgl. Abb. 19). Sensibilisiert durch<br />
andere Beobachtungen im Kantonsgebiet<br />
2 fand dieser Befund jene<br />
Beachtung, welche letztlich dann<br />
die vorliegende Betrachtung ausgelöst<br />
hat.<br />
Die Schnur<br />
als Messinstrument<br />
Es wird viel zu wenig beachtet, dass<br />
die Schnur nicht nur ideales Messgerät<br />
zum korrekten Abstecken von<br />
Bauvorhaben, sondern zugleich<br />
auch Kontrollinstrument ist, ohne<br />
das ein sach- und fachgerechtes<br />
Bauen schlechterdings sich nicht<br />
vorstellen lässt. Sie bürgt für ein<br />
sauberes Mauergefüge, garantiert<br />
für das senkrechte Aufführen der<br />
Wände wie die Horizontale der<br />
Böden, Tür- und Fensterstürze sowie<br />
der Mauerlager.<br />
Mit Hilfe des Senkels 3 , auch Lot genannt,<br />
bringt der Baumeister den<br />
Bau ins «Blei». Davon die allgemeine<br />
Redewendung für eine sauber<br />
geordnete Sache: «Es ist alles im<br />
Blei.»<br />
Als Wasserwaage fungierte im Mittelalter<br />
wie in der Antike die Setzwaage.<br />
Dabei handelte es sich um<br />
einen gleichschenkligen Holzwinkel,<br />
kombiniert mit einem an der<br />
Spitze befestigten Senkel. Steht<br />
dieser auf der Mittelmarke, so bilden<br />
die beiden Winkelfüsse die<br />
Waagrechte. Diese beiden sich so<br />
schlicht präsentierenden Instrumente<br />
sind auch im Mittelalter<br />
noch die gleichen (Abb. 1).<br />
Das einzige echte Werkzeug auf der<br />
abgebildeten Grabplatte ist der<br />
Steinmetzhammer; alle übrigen Instrumente<br />
gehören in erster Linie<br />
zum Besteck des Bauplaners. Es<br />
umfasst Zirkel, Lineal und Winkel.<br />
Genau besehen handelt es sich auch<br />
hier ursprünglich um Schnureinrichtungen,<br />
die für den Umgang<br />
am Sandkasten sich herausgebildet<br />
haben.<br />
Beim Lineal handelt es sich im<br />
wahrsten Sinne des Wortes um eine<br />
versteifte Schnur. Der Pflanzenname<br />
linum ist unschwer herauszuhören:<br />
Linnen–Leinen–Linie–<br />
Lineal. Dieser Begriffsentfaltung<br />
liegt die Vorstellung von der straff<br />
gestreckten Schnur zugrunde; davon<br />
leiten sich auch Begriffe wie<br />
«Strecke» oder «Abschnitt» her.<br />
In diesem Sinne – als Strecken-Abmesser<br />
– ist auch der Zirkel zu verstehen,<br />
d.h.,mit diesem Instrument<br />
kann der Planer jedes gewonnene<br />
Mass – sehr oft handelt es sich um<br />
Wurzelwerte – aufgreifen (ablängen)<br />
und übertragen (Abb. 2). Dabei<br />
vollzieht sich die Bewegung<br />
sehr oft im Sinne eines Bogenschlages,<br />
ohne dass dieser aufgerissen<br />
werden müsste. Im freien Umgang<br />
mit dem Zirkel steckt ein Grossteil<br />
der Begabungsfantasie des Bauplaners.<br />
Nicht von ungefähr wird den<br />
Architekten auf bildlichen Dar-<br />
1<br />
1: Römischer Grabstein eines Baumeisters mit seinen<br />
Arbeitsinstrumenten.<br />
2: Architekt und Baumeister: Die Masse des<br />
Planentwurfs werden baulich umgesetzt.<br />
stellungen ein Zirkel in die Hand<br />
gegeben (Abb. 2) 4 . Die gebündelten<br />
Stifte (vgl. Abb. 1) dienten<br />
wohl dazu, das Schnurgerüst abzustecken.<br />
Nur bei aufwändigen Planvorhaben<br />
und Grossbauten dürfte die Architektur<br />
ein selbsttragender Aufgabenbereich<br />
gewesen sein; ihm oblag<br />
dann auch die Bauleitung. Bei kleineren<br />
Aufträgen vereinten sich alle<br />
Fäden in der Hand des Baumeisters,<br />
getragen von einer erprobten Belegschaft.<br />
Zur Ausrüstung des Steinmetzes<br />
gehört der Hammer, je nach Aufgabe<br />
von ganz unterschiedlicher<br />
Gestalt und unterschiedlichem Gewicht.<br />
Die Hilfswerkzeuge sind Li-