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Der neue Goethebogen - in der Gemeinde Zeuthen

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AM ZEUTHENER SEE - 8 - 11.Jahrgang<br />

Liebe Literaturfreunde,<br />

im vorletzten Amtsblatt wurde ich<br />

lyrisch, brachte Ihnen e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong><br />

schönsten Naturgedichte zur Er<strong>in</strong>nerung<br />

und bedauerte das mangelnde<br />

Interesse an <strong>der</strong> lyrischen Dichtung.<br />

Die Reaktion auf die Gedichte<br />

war aber recht erfreulich, so dass<br />

ich Ihnen heute e<strong>in</strong> Spezialgebiet<br />

<strong>der</strong> Lyrik ans Herz legen möchte,<br />

das mich immer beson<strong>der</strong>s berührt<br />

hat. Ich konnte Ihnen He<strong>in</strong>es<br />

„Loreley“ damals nur andeuten,<br />

heute möchte ich Ihnen diesen<br />

Dichter als Kritiker vorstellen. Er<br />

bezeichnete sich selbst als e<strong>in</strong>en<br />

Romantiker, und <strong>der</strong> größte Teil<br />

se<strong>in</strong>er Gedichte spiegelt das auch<br />

wi<strong>der</strong>, aber er beobachtete auch die<br />

wachsende Lebensfremde se<strong>in</strong>er<br />

Dichterkollegen, die ja von <strong>der</strong><br />

Sehnsucht nach dem Mittelalter bis<br />

zur Todessehnsucht und Todesverherrlichung<br />

g<strong>in</strong>g. Diese weltfremde<br />

Romantik nahm er als Ziel<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er „romantischen Ironie“ und<br />

se<strong>in</strong>en zeitkritischen Gedichten. Er<br />

baute e<strong>in</strong>e romantische Kulisse auf<br />

und lässt sie wie<strong>der</strong> zusammenbrechen,<br />

womit er den Leser <strong>in</strong> die<br />

Wirklichkeit zurückbr<strong>in</strong>gt.<br />

Ihr Hans-Georg Schra<strong>der</strong><br />

Viel Freude also an <strong>der</strong> „Romantischen<br />

Ironie“ von He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e.<br />

Trotzdem möchte ich an den Anfang<br />

e<strong>in</strong> echtes romantisches Liebesgedicht<br />

von ihm stellen:<br />

Du bist wie e<strong>in</strong>e Blume,<br />

So hold und schön und re<strong>in</strong>;<br />

Ich schau dich an und Wehmut<br />

Schleicht mir <strong>in</strong>s Herz h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />

Mir ist, als ob ich die Hände<br />

Aufs Haupt dir legen sollt,<br />

Betend, dass Gott dich erhalte<br />

So re<strong>in</strong> und schön und hold.<br />

Literaturfreunde<br />

Dazu e<strong>in</strong> Gegenstück:<br />

Mir träumte wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> alte Traum:<br />

Es war e<strong>in</strong>e Nacht im Maie,<br />

Wir saßen unter dem L<strong>in</strong>denbaum<br />

Und schwuren uns ewige Treue.<br />

Das war e<strong>in</strong> Schwören und Schwören<br />

aufs neu.<br />

E<strong>in</strong> Kichern, e<strong>in</strong> Kosen, e<strong>in</strong> Küssen;<br />

Dass ich gedenk des Schwures sei,<br />

Hast du <strong>in</strong> die Hand mich gebissen.<br />

O Liebchen mit den Äugle<strong>in</strong> klar!<br />

O Liebchen schön und bissig!<br />

Das Schwören <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ordnung war,<br />

Das Beißen war überflüssig.<br />

Und offene Ironie:<br />

Sie saßen und tranken am Teetisch,<br />

Und sprachen von Liebe viel.<br />

Die Herren, die waren ästhetisch,<br />

Die Damen von zartem Gefühl.<br />

Die Liebe muss se<strong>in</strong> platonisch,<br />

<strong>Der</strong> dürre Hofrat sprach.<br />

Die Hofrät<strong>in</strong> lächelt ironisch,<br />

Und dennoch seufzet sie: Ach!<br />

<strong>Der</strong> Domherr öffnet den Mund weit:<br />

Die Liebe sei nicht zu roh,<br />

Sie schadet sonst <strong>der</strong> Gesundheit.<br />

Das Fräule<strong>in</strong> lispelt: Wieso?<br />

Die Gräf<strong>in</strong> spricht wehmütig:<br />

Die Liebe ist e<strong>in</strong>e Passion!<br />

Und präsentieret gütig<br />

Die Tasse dem Herren Baron.<br />

Am Tische war noch e<strong>in</strong> Plätzchen;<br />

Me<strong>in</strong> Liebchen, da hast du gefehlt.<br />

Du hättest so hübsch, me<strong>in</strong> Schätzchen,<br />

Von de<strong>in</strong>er Liebe erzählt.<br />

Das „Seegespenst“ kann hier nicht<br />

ganz gebracht werden, es beg<strong>in</strong>nt<br />

aber ganz romantisch:<br />

Ich aber lag am Rande des Schiffes,<br />

Und schaute, träumenden Auges,<br />

H<strong>in</strong>ab <strong>in</strong> das spiegelklare Wasser,<br />

Und schaute tiefer und tiefer - …..<br />

(Er erblickt e<strong>in</strong>e mittelalterliche<br />

Stadt und <strong>in</strong> dieser Stadt e<strong>in</strong> Mädchen)<br />

So tief, meertief also<br />

Verstecktest du dich vor mir,<br />

Aus k<strong>in</strong>discher Laune,<br />

Und konntest nicht mehr herauf,<br />

Und saßest fremd unter fremden<br />

Leuten,<br />

Jahrhun<strong>der</strong>telang,<br />

<strong>Der</strong>weilen ich, die Seele voll Gram,<br />

Auf <strong>der</strong> ganzen Erde dich suchte,<br />

Und immer dich suchte,<br />

Du Immergeliebte,<br />

Du Längstverlorene,<br />

Du Endlichgefundene –<br />

Ich hab dich gefunden und schaue<br />

wie<strong>der</strong><br />

De<strong>in</strong> süßes Gesicht,<br />

Die klugen treuen Augen,<br />

Das liebe Lächeln –<br />

Und nimmer will ich dich wie<strong>der</strong><br />

verlassen,<br />

Und ich komme h<strong>in</strong>ab zu dir,<br />

Und mit ausgebreiteten Armen<br />

Stürz ich h<strong>in</strong>ab an de<strong>in</strong> Herz –<br />

Aber zur rechten Zeit noch<br />

Ergriff mich beim Fuß <strong>der</strong> Kapitän.<br />

Und zog mich vom Schiffsrand,<br />

Und rief, ärgerlich lachend:<br />

Doktor, s<strong>in</strong>d sie des Teufels?<br />

In e<strong>in</strong>er Fabel f<strong>in</strong>det er auch sehr<br />

drastische Worte:<br />

DER WANZERICH<br />

Es saß e<strong>in</strong> brauner Wanzerich<br />

Auf e<strong>in</strong>em Pfennig und spreizte sich<br />

Wie e<strong>in</strong> Rentier, und sprach: „Wer<br />

Geld hat,<br />

auch Ehr und Ansehn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt<br />

hat.<br />

Wer Geld hat, ist auch lieblich und<br />

schön –<br />

Es kann ke<strong>in</strong> Weib ihm wi<strong>der</strong>stehn;<br />

Die Weiber erbleichen schon und<br />

zittern,<br />

Sobald sie me<strong>in</strong>en Odem wittern.<br />

Ich habe manche Sommernacht<br />

Im Bett <strong>der</strong> König<strong>in</strong> zugebracht,<br />

Sie wälzte sich auf ihren Matratzen,<br />

Und musste sich beständig kratzen“<br />

E<strong>in</strong> lustiger Zeisig, welcher gehört<br />

Die prahlenden Worte, war drob<br />

empört:<br />

Im heiteren Unmut se<strong>in</strong> Schnäble<strong>in</strong><br />

schliff er,<br />

Und auf das Insekt e<strong>in</strong> Spottlied<br />

pfiff er.<br />

Geme<strong>in</strong> und schmutzig, <strong>der</strong><br />

Wanzerich,<br />

Wie Wanzen pflegen, rächte er sich:<br />

Er sagte, dass ihm <strong>der</strong> Zeisig grollte,<br />

Weil er ke<strong>in</strong> Geld ihm borgen wollte.<br />

Und die Moral? <strong>Der</strong> Fabulist<br />

Verschweigt sie heute mit klugem<br />

Zagen,<br />

Denn mächtig verbündet <strong>in</strong> unseren<br />

Tagen<br />

Das reiche Ungeziefer ist.<br />

Es sitzt mit dem Geldsack unter<br />

dem Arsch<br />

Und trommelt siegreich den Dessauer<br />

Marsch.<br />

Und mit dem nächsten Gedicht wird<br />

He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e wird auch sehr gegenwartsnah:<br />

WELTLAUF<br />

Hat man viel, so wird man bald<br />

Noch viel mehr dazu bekommen.<br />

Wer nur wenig hat, dem wird<br />

Auch das Wenige genommen.<br />

Wenn du aber gar nichts hast,<br />

Ach, so lasse dich begraben –<br />

Denn e<strong>in</strong> Recht zum Leben, Lump,<br />

Haben nur die etwas haben.

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