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Autobiografische Körper-Geschichten : sozialer Aufstieg zwischen ...

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Figuration des Phänomens <strong>sozialer</strong> <strong>Aufstieg</strong> um 1900<br />

Hier kommt ein Widerstandsverhalten zum Ausdruck, das sich über Generationen<br />

hinweg durch die mündliche Überlieferung des Eulenspiegel tradiert zu haben<br />

scheint524: der „‚buchstäbliche Gehorsam’“, der „‚Dienst nach Vorschrift’ als Widerstandsmodell<br />

der Schwachen“ 525. Bei dieser „passiven Resistenz“ 526 geht es<br />

dem Abhängigen darum, so der Eulenspiegel-Forscher Dieter Arendt, „mit seiner<br />

wahrheits- und buchstabengetreuen Haltung sich den Anschein einer kindlichreinen<br />

Redlichkeit [zu] geben, die zugleich sein Alibi ist vor drohender Strafe“ 527.<br />

Wichtig ist bei der hier weitergegebenen Erfahrung des Großknechts aber zudem<br />

der Hinweis, dass man sich bei einer derartigen Strategie „auf seine Knochen verlassen<br />

können“ muss. Dies unterstreicht sowohl das Risiko eines solchen Vorgehens<br />

– womöglich eine Gefahr für ‚Leib und Leben’ – als auch die Bedeutung, die<br />

dem Leib als wichtigster (und letzter) Ressource in diesem ländlichen Kontext – als eine Art<br />

‚leibliches Kapital’ zukommt.<br />

Rehbein sollte dieses strategische Verhalten in der Tat einige Jahre später „mit gutem<br />

Erfolg“ 528 anwenden. Etwa zwei Jahre nach seinem Militärdienst (im Alter von 25<br />

Jahren) war er selber als Großknecht bei dem Großbauern Georg Breetfoot in<br />

„Poggensand“ beschäftigt. Dieser Bauer war es schon gewöhnt, so hörte Franz<br />

von Knechten der Umgebung, dass ihm die Bediensteten wegen der schlechten<br />

Behandlung und Kost „mitten in der Dienstzeit unter Zurücklassung ihres Lohnes<br />

bei Nacht und Nebel davonliefen“ 529. „Ganz Dithmarschen“ wusste, „daß er für<br />

seine Schweine und Mastochsen ungleich besser sorge, wie für seine Leute“ 530.<br />

Rehbein hatte insbesondere aufgrund der üblen Kost für die Bediensteten „immer<br />

öfter Krach“ mit Breetfoot:<br />

„Mir kam es schließlich ganz so vor, als wolle er besonders mich so weit schikanieren, daß ich aus<br />

dem Dienst laufen sollte.“ 531<br />

Er erfuhr auch, dass der Bauer seine bestbezahlten Leute stets einige Wochen vor<br />

dem „Abgangstermin systematisch [...] zum Weglaufen zwiebele“, um den Lohn<br />

einzusparen. Er stellte daher folgende Überlegung an:<br />

„Lief ich [...] davon, so hätte ich nicht nur meinen Lohn im Stich lassen müssen, sondern konnte<br />

mich auch darauf gefaßt machen, daß er mich – vielleicht erst nach Wochen – durch den Gendarm<br />

wieder zurückholen ließ, und mir wurden dann nicht nur die amtlichen Kosten, sondern auch der<br />

Schadensersatz vom Lohne abgezogen, so daß mir am Ablauf meiner Dienstzeit womöglich nicht<br />

ein Pfennig mehr übrig geblieben wäre.“<br />

524 Frerichs [1979], S. 541.<br />

525 Frerichs [1979], S. 542, die hier Dieter Arendt zitiert (Arendt 1978, S. 81).<br />

526 Frerichs [1979], S. 542.<br />

527 Arendt 1978, S. 81.<br />

528 Rehbein 1911, S. 152.<br />

529 Rehbein 1911, S. 205.<br />

530 Rehbein 1911, S. 210.<br />

531 Rehbein 1911, S. 211.<br />

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