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Autobiografische Körper-Geschichten : sozialer Aufstieg zwischen ...

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Teil 2<br />

Er beschloss: „Ausgekniffen wird nicht!“ 532 Stattdessen bediente er sich jener<br />

„passiven Resistenz“, die ihm einst empfohlen worden war. Da er sich auf seine<br />

„eigenen Knochen ziemlich verlassen konnte“, wollte er „den Spieß einmal<br />

um[]drehen“ und Breetfoot „so viel gesinderechtlich gestatteten Verdruß“ bereiten,<br />

dass dieser ihn „schließlich gerne von selbst laufen ließ“. Er griff also auf jene<br />

Eulenspiegel-Methode zurück und befolgte „die Anordnungen des Bauern wortwörtlich“.<br />

533 Als ihm Breetfoot z.B. bezogen auf den gerade angelieferten Kunstdünger<br />

zurief: „Schmiet den Sack up de Wagschal!“ 534, warf er den 200 Pfund<br />

schweren Sack „mit aller Wucht auf die Dezimalwage [sic]“, worauf „Sack und<br />

Wage aus dem Leim gingen“. Nach einigen Wochen solcher „Niederträchtigkeiten“<br />

535 wurde es dem Bauern zu viel.<br />

„Ick heww mi de Saak öwerlegt“, kam er Rehbein entgegen, „doh’ mi den eenzigsten Gefallen, un<br />

mak dat du wegkummst! Du kannst jo ‘n Peerd dotargern! [...] Ick gew di all wat dir hört.“ 536<br />

Franz „willigte mit Vergnügen ein“. Er bekam seinen Lohn ausgezahlt und zog<br />

„wohlgemut [...] von dannen“ 537.<br />

Aus dem „apathisch und widerspruchslos“ „jedes Unrecht“ seines Arbeitgebers<br />

Hinnehmenden, der er mit 17 noch war, ist (mit 25 Jahren) ein selbstbewusststrategisch<br />

Handelnder geworden, der dem Bauern die Initiative aus der Hand<br />

nimmt. Der sich eigentlich bauernschlau dünkende Arbeitgeber wird so von seinem<br />

Knecht an Verwegenheit übertroffen. Hierbei sollte allerdings nicht unterschätzt<br />

werden, dass es für die Umsetzung jener einst erhaltenen Ratschläge, für<br />

die Eulenspiegel-Methode, durchaus einer gewissen Kreativität und Spontaneität im<br />

Akt der Destruktion bedurfte. Jede neue Umsetzung musste auf Kenntnis des in<br />

der konkreten Situation vorhandenen Spielraums beruhen. Eine Destruktion<br />

musste sich in relativ eng gesteckten Grenzen halten, damit der Bauer nicht doch<br />

eine Handhabe gegen Franz gehabt hätte. Gelingt ein solches Vorgehen dem eigentlich<br />

Untergebenen, dann wird Formalität geradezu mit Über-Formalität beantwortet,<br />

was im Endeffekt zu einer Desavouierung des herrschenden Formalitätsträgers<br />

führt. Ohne die soziale und rechtliche Reflexion 538 der eigenen Lage war<br />

solch ein Handeln nicht möglich. Allerdings war dieser komplexe Hintergrund<br />

durch die Tradition teilweise schon vorher verarbeitet worden. Eine Anschlusshandlung<br />

bot sich insofern an. Es bleibt festzuhalten, dass Franz in diesem Fall<br />

letztendlich zwar den ihm zustehenden Lohn erhalten, damit jedoch nur das Beste<br />

532 Rehbein 1911, S. 211.<br />

533 Rehbein 1911, S. 211.<br />

534 Hochdeutsche Übersetzung: „Schmeiß den Sack auf die Waagschale!“<br />

535 Rehbein 1911, S. 212.<br />

536 Hochdeutsch Übersetzung: „Ich habe mir die Sache überlegt“, …, „tu mir den einzigen Gefallen,<br />

und mach, dass du wegkommst! Du kannst ja ein Pferd totärgern! […] Ich gebe dir alles, was dir<br />

gehört/zusteht.“<br />

537 Rehbein 1911, S. 220.<br />

538 Frerichs [1979], S. 543.

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